Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Phänomenologie des Geistes
Georg Wilhelm Friedrich Hegel

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Beobachtung der Beziehung des Selbstbewußtseins auf seine unmittelbare Wirklichkeit; Physiognomik und Schädellehre

Die psychologische Beobachtung findet kein Gesetz des Verhältnisses des Selbstbewußtseins zu der Wirklichkeit oder der ihm entgegengesetzten Welt, und ist durch die Gleichgültigkeit beider gegeneinander auf die eigentümliche Bestimmtheit der realen Individualität zurückgetrieben, welche an und für sich selbst ist, oder den Gegensatz des Für-sich-seins und des An-sich-seins in ihrer absoluten Vermittlung getilgt enthält. Sie ist der Gegenstand, der itzt der Beobachtung geworden, oder zu dem sie übergeht.

Das Individuum ist an und für sich selbst: es ist für sich oder es ist ein freies Tun; es ist aber auch an sich; oder es selbst hat ein ursprüngliches bestimmtes Sein – eine Bestimmtheit, welche dem Begriffe nach dasselbe ist, was die Psychologie außer ihm finden wollte. An ihm selbst tritt also der Gegensatz hervor, dies Gedoppelte, Bewegung des Bewußtseins und das feste Sein einer erscheinenden Wirklichkeit zu sein, einer solchen, welche an ihm unmittelbar die seinige ist. Dies Sein, der Leib der bestimmten Individualität, ist die Ursprünglichkeit derselben, ihr Nicht-getan-haben. Aber indem das Individuum zugleich nur ist, was es getan hat, so ist sein Leib auch der von ihm hervorgebrachte Ausdruck seiner selbst; zugleich ein Zeichen, welches nicht unmittelbare Sache geblieben, sondern woran es nur zu erkennen gibt, was es in dem Sinne ist, daß es seine ursprüngliche Natur ins Werk richtet.

Betrachten wir die hier vorhandenen Momente in Beziehung auf die vorhergehende Ansicht, so ist hier eine allgemeine menschliche Gestalt, oder wenigstens die allgemeine eines Klimas, Weltteils, eines Volks, wie vorhin dieselben allgemeinen Sitten und Bildung. Hiezu kommen die besondern Umstände und Lage innerhalb der allgemeinen Wirklichkeit; hier ist diese besondere Wirklichkeit als besondere Formation der Gestalt des Individuums. – Auf der andern Seite, wie vorhin das freie Tun des Individuums und die Wirklichkeit als die seinige gegen die vorhandne gesetzt war, steht hier die Gestalt, als Ausdruck seiner durch es selbst gesetzten Verwirklichung, die Züge und Formen seines selbsttätigen Wesens. Aber die sowohl allgemeine als besondere Wirklichkeit, welche die Beobachtung vorhin außer dem Individuum vorfand, ist hier die Wirklichkeit desselben, sein angeborner Leib, und in eben diesen fällt der Ausdruck, der seinem Tun angehört. In der psychologischen Betrachtung sollte die an und für sich seiende Wirklichkeit und die bestimmte Individualität aufeinander bezogen werden; hier aber ist die ganze bestimmte Individualität Gegenstand der Beobachtung; und jede Seite seines Gegensatzes ist selbst dies Ganze. Zu dem äußern Ganzen gehört also nicht nur das ursprüngliche Sein, der angeborne Leib, sondern ebenso die Formation desselben, die der Tätigkeit des Innern angehört; er ist Einheit des ungebildeten und des gebildeten Seins, und die von dem Für-sich-sein durchdrungne Wirklichkeit des Individuums. Dieses Ganze, welches die bestimmten ursprünglichen festen Teile und die Züge, die allein durch das Tun entstehen, in sich faßt, ist, und dies Sein ist Ausdruck des Innern, des als Bewußtsein und Bewegung gesetzten Individuums. – Dies Innre ist ebenso nicht mehr die formelle, inhaltlose oder unbestimmte Selbsttätigkeit, deren Inhalt und Bestimmtheit, wie vorhin, in den äußern Umständen läge, sondern es ist ein an sich bestimmter ursprünglicher Charakter, dessen Form nur die Tätigkeit ist. Zwischen diesen beiden Seiten also wird hier das Verhältnis betrachtet, wie es zu bestimmen, und was unter diesem Ausdrucke des Innern im Äußern zu verstehen ist.

Dies Äußere macht zuerst nur als Organ das Innere sichtbar oder überhaupt zu einem Sein für Anderes; denn das Innere, insofern es in dem Organe ist, ist es die Tätigkeit selbst. Der sprechende Mund, die arbeitende Hand, wenn man will auch noch die Beine dazu, sind die verwirklichenden und vollbringenden Organe, welche das Tun als Tun, oder das Innre als solches an ihnen haben; die Äußerlichkeit aber, welche es durch sie gewinnt, ist die Tat, als eine von dem Individuum abgetrennte Wirklichkeit. Sprache und Arbeit sind Äußerungen, worin das Individuum nicht mehr an ihm selbst sich behält und besitzt, sondern das Innre ganz außer sich kommen läßt, und dasselbe Anderem preisgibt. Man kann darum ebensosehr sagen, daß diese Äußerungen das Innere zu sehr, als daß sie es zu wenig ausdrücken; zu sehr – weil das Innere selbst in ihnen ausbricht, bleibt kein Gegensatz zwischen ihnen und diesem; sie geben nicht nur einen Ausdruck des Innern, sondern es selbst unmittelbar; zu wenig – weil das Innere in Sprache und Handlung sich zu einem Andern macht, so gibt es sich damit dem Elemente der Verwandlung preis, welches das gesprochene Wort und die vollbrachte Tat verkehrt, und etwas anders daraus macht, als sie an und für sich als Handlungen dieses bestimmten Individuums sind. Nicht nur verlieren die Werke der Handlungen durch diese Äußerlichkeit von dem Einwirken anderer den Charakter, etwas Bleibendes gegen andere Individualitäten zu sein; sondern indem sie sich zum Innern, das sie enthalten, als abgesondertes, gleichgültiges Äußeres verhalten, können sie als Innres durch das Individuum selbst ein anders sein, als sie erscheinen, – entweder daß es sie mit Absicht für die Erscheinung zu etwas anderem macht, als sie in Wahrheit sind, oder daß es zu ungeschickt ist, sich die Außenseite zu geben, die es eigentlich wollte, und sie so zu befestigen, daß ihm von andern sein Werk nicht verkehrt werden kann. Das Tun also, als vollbrachtes Werk, hat die doppelte entgegengesetzte Bedeutung, entweder die innere Individualität und nicht ihr Ausdruck, oder als Äußeres eine von dem Innern freie Wirklichkeit zu sein, welche ganz etwas anderes ist als jenes. – Um dieser Zweideutigkeit willen müssen wir uns nach dem Innern umsehen, wie es noch, aber sichtbar oder äußerlich an dem Individuum selbst ist. Im Organe aber ist es nur als unmittelbares Tun selbst, das seine Äußerlichkeit an der Tat erlangt, die entweder das Innre vorstellt oder auch nicht. Das Organ nach diesem Gegensatze betrachtet gewährt also nicht den Ausdruck, der gesucht wird.

Wenn nun die äußere Gestalt nur, insofern sie nicht Organ oder nicht Tun, hiemit als ruhendes Ganzes ist, die innre Individualität ausdrücken könnte, so verhielte sie sich also als ein bestehendes Ding, welches das Innre als ein Fremdes in sein passives Dasein ruhig empfinge, und hiedurch das Zeichen desselben würde, – ein äußerer, zufälliger Ausdruck, dessen wirkliche Seite für sich bedeutungslos, eine Sprache, deren Töne und Tonverbindungen nicht die Sache selbst, sondern durch die freie Willkür mit ihr verknüpft und zufällig für sie sind.

Eine solche willkürliche Verbindung von solchen, die ein Äußeres füreinander sind, gibt kein Gesetz. Die Physiognomik soll sich aber von andern schlechten Künsten und heillosen Studien dadurch unterscheiden, daß sie die bestimmte Individualität in dem notwendigen Gegensatze eines Innern und Äußern, des Charakters als bewußten Wesens und ebendesselben als seiender Gestalt betrachtet, und diese Momente so aufeinander bezieht, wie sie durch ihren Begriff aufeinander bezogen sind, und daher den Inhalt eines Gesetzes ausmachen müssen. In der Astrologie, Chiromantie und dergleichen Wissenschaften hingegen scheint nur Äußeres auf Äußeres, irgend etwas auf ein ihm Fremdes bezogen zu sein. Diese Konstellation bei der Geburt, und wenn dies Äußere näher auf den Leib selbst gerückt wird, diese Züge der Hand sind äußere Momente für das lange oder kurze Leben und das Schicksal des einzelnen Menschen überhaupt. Als Äußerlichkeiten verhalten sie sich gleichgültig zueinander und haben nicht die Notwendigkeit füreinander, welche in der Beziehung eines Äußern und Innern liegen soll.

Die Hand freilich scheint nicht so sehr etwas Äußeres für das Schicksal zu sein, sondern vielmehr als Inneres zu ihm sich zu verhalten. Denn das Schicksal ist auch wieder nur die Erscheinung dessen, was die bestimmte Individualität an sich als innre ursprüngliche Bestimmtheit ist. – Zu wissen nun, was sie an sich ist, dazu kommt der Chiromante wie auch der Physiognomiker auf eine kürzere Weise als zum Beispiel Solon, der erst aus und nach dem Verlaufe des ganzen Lebens dies wissen zu können erachtete; er betrachtete die Erscheinung, jene aber das An-sich. Daß aber die Hand das An-sich der Individualität in Ansehung ihres Schicksals darstellen muß, ist leicht daraus zu sehen, daß sie nächst dem Organ der Sprache am meisten es ist, wodurch der Mensch sich zur Erscheinung und Verwirklichung bringt. Sie ist der beseelte Werkmeister seines Glücks; man kann von ihr sagen, sie ist das, was der Mensch tut, denn an ihr als dem tätigen Organe seines Sich-selbst-vollbringens ist er als Beseelender gegenwärtig, und indem er ursprünglich sein eignes Schicksal ist, wird sie also dies An-sich ausdrücken.

Aus dieser Bestimmung, daß das Organ der Tätigkeit ebensowohl ein Sein als das Tun in ihm ist, oder daß das innre An-sich-sein selbst an ihm gegenwärtig und ein Sein für Andre hat, ergibt sich eine andre Ansicht desselben als die vorherige. Wenn nämlich die Organe überhaupt darum nicht als Ausdrücke des Innern genommen werden zu können sich zeigten, weil in ihnen das Tun als Tun gegenwärtig, das Tun als Tat aber nur Äußeres ist, und Inneres und Äußeres auf diese Weise auseinanderfällt und fremde gegeneinander sind oder sein können, so muß nach der betrachteten Bestimmung das Organ auch wieder als Mitte beider genommen werden, indem eben dies, daß das Tun an ihm gegenwärtig ist, zugleich eine Äußerlichkeit desselben ausmacht, und zwar eine andere, als die Tat ist, jene nämlich bleibt dem Individuum und an ihm. – Diese Mitte und Einheit des Innern und Äußern ist nun vors erste selbst auch äußerlich; alsdenn aber ist diese Äußerlichkeit zugleich in das Innere aufgenommen; sie steht als einfache Äußerlichkeit der zerstreuten entgegen, welche entweder nur ein einzelnes für die ganze Individualität zufälliges Werk oder Zustand, oder aber als ganze Äußerlichkeit das in eine Vielheit von Werken und Zuständen zersplitterte Schicksal ist. Die einfachen Züge der Hand also, ebenso Klang und Umfang der Stimme, als die individuelle Bestimmtheit der Sprache, – auch dieselbe wieder, wie sie durch die Hand eine festere Existenz als durch die Stimme bekommt, die Schrift, und zwar in ihrer Besonderheit als Handschrift – alles dieses ist Ausdruck des Innern, so daß er als die einfache Äußerlichkeit sich wieder gegen die vielfache Äußerlichkeit des Handelns und des Schicksals, sich als Inneres gegen diese verhält. – Wenn also zuerst die bestimmte Natur und angeborne Eigentümlichkeit des Individuums zusammen mit dem, was sie durch die Bildung geworden, als das Innere, als das Wesen des Handelns und des Schicksals genommen wird, so hat es seine Erscheinung und Äußerlichkeit zuerst an seinem Munde, Hand, Stimme, Handschrift, sowie an den übrigen Organen und deren bleibenden Bestimmtheiten; und alsdann erst drückt es sich weiter hinaus nach außen an seiner Wirklichkeit in der Welt aus.

Weil nun diese Mitte sich als die Äußerung bestimmt, welche zugleich ins Innere zurückgenommen ist, ist ihr Dasein nicht auf das unmittelbare Organ des Tuns eingeschränkt, sie ist vielmehr die nichts vollbringende Bewegung und Form des Gesichts und der Gestaltung überhaupt. Diese Züge und ihre Bewegung sind nach diesem Begriffe das zurückgehaltne an dem Individuum bleibende Tun, und nach seiner Beziehung auf das wirkliche Tun das eigene Beaufsichtigen und Beobachten desselben, Äußerung als Reflexion über die wirkliche Äußerung. – Das Individuum ist zu und bei seinem äußern Tun darum nicht stumm, weil es dabei zugleich in sich reflektiert ist, und es äußert dies In-sich-reflektiert-sein; dies theoretische Tun oder die Sprache des Individuums mit sich selbst darüber ist auch vernehmlich für andere, denn sie ist selbst eine Äußerung.

An diesem Innern, welches in seiner Äußerung Inneres bleibt, wird also das Reflektiert sein des Individuums aus seiner Wirklichkeit beobachtet, und es ist zu sehen, welche Bewandtnis es mit dieser Notwendigkeit hat, die in dieser Einheit gesetzt ist. – Dies Reflektiertsein ist zuerst verschieden von der Tat selbst, und kann also etwas anderes sein und für etwas anderes genommen werden, als sie ist; man sieht es einem am Gesicht an, ob es ihm Ernst mit dem ist, was er sagt oder tut. – Umgekehrt aber ist dieses, was Ausdruck des Innern sein soll, zugleich seiender Ausdruck, und fällt hiemit selbst in die Bestimmung des Seins herunter, das absolut zufällig für das selbstbewußte Wesen ist. Es ist daher wohl Ausdruck, aber zugleich auch nur wie ein Zeichen, so daß dem ausgedrückten Inhalte die Beschaffenheit dessen, wodurch es ausgedrückt wird, vollkommen gleichgültig ist. Das Innere ist in dieser Erscheinung wohl sichtbares Unsichtbares, aber ohne an sie geknüpft zu sein; es kann ebensowohl in einer andern Erscheinung sein, als ein anderes Inneres in derselben Erscheinung sein kann. – Lichtenberg sagt daher mit Recht: Gesetzt, der Physiognom haschte den Menschen einmal, so käme es nur auf einen braven Entschluß an, sich wieder auf Jahrtausende unbegreiflich zu machen. – Wie in dem vorhergehenden Verhältnisse die vorliegenden Umstände ein Seiendes waren, woraus die Individualität sich das nahm, was sie vermochte und wollte, entweder sich ihm ergebend oder es verkehrend, aus welchem Grunde es die Notwendigkeit und das Wesen der Individualität nicht enthielt, – ebenso ist hier das erscheinende unmittelbare Sein der Individualität ein solches, das entweder ihr Reflektiertsein aus der Wirklichkeit und ihr In-sich-sein ausdrückt, oder das für sie nur ein Zeichen ist, das gleichgültig gegen das Bezeichnete, und darum in Wahrheit nichts bezeichnet; es ist ihr ebensowohl ihr Gesicht als ihre Maske, die sie ablegen kann. – Sie durchdringt ihre Gestalt, bewegt sich, spricht in ihr; aber dies ganze Dasein tritt ebenso als ein gleichgültiges Sein gegen den Willen und die Handlung über; sie tilgt an ihm die Bedeutung, die es vorhin hatte, ihr Reflektiertsein in sich oder ihr wahres Wesen an ihm zu haben, und legt es umgekehrt vielmehr in den Willen und in die Tat.

Die Individualität gibt dasjenige In-sich-reflektiert-sein auf, welches in den Zügen ausgedrückt ist, und legt ihr Wesen in das Werk. Hierin widerspricht sie dem Verhältnisse, welches von dem Vernunftinstinkte, der sich auf das Beobachten der selbstbewußten Individualität legt, in Ansehung dessen, was ihr Inneres und Äußeres sein soll, festgesetzt wird. Dieser Gesichtspunkt führt uns auf den eigentlichen Gedanken, der der physiognomischen – wenn man so will – Wissenschaft zum Grunde liegt. Der Gegensatz, auf welchen dies Beobachten geraten, ist der Form nach der Gegensatz von Praktischem und Theoretischem, beides nämlich innerhalb des Praktischen selbst gesetzt, – von der sich im Handeln, dies im allgemeinsten Sinne genommen, verwirklichenden Individualität, und derselben, wie sie in diesem Handeln zugleich daraus heraus, in sich reflektiert, und es ihr Gegenstand ist. Das Beobachten nimmt diesen Gegensatz nach demselben verkehrten Verhältnisse auf, worin er sich in der Erscheinung bestimmt. Für das unwesentliche Äußere gilt ihm die Tat selbst und das Werk, es sei der Sprache oder einer befestigtem Wirklichkeit, – für das wesentliche Innre aber das In-sich-sein der Individualität. Unter den beiden Seiten, welche das praktische Bewußtsein an ihm hat, dem Beabsichten und der Tat – dem Meinen über seine Handlung und der Handlung selbst –, wählt die Beobachtung jene Seite zum wahren Innern; dieses soll seine mehr oder weniger unwesentliche Äußerung an der Tat, seine wahre aber an seiner Gestalt haben. Die letztere Äußerung ist unmittelbare sinnliche Gegenwart des individuellen Geistes; die Innerlichkeit, die die wahre sein soll, ist die Eigenheit der Absicht und die Einzelnheit des Für-sich-seins; beides der gemeinte Geist. Was das Beobachten zu seinen Gegenständen hat, ist also gemeintes Dasein, und zwischen solchem sucht es Gesetze auf.


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