Friedrich Hebbel
Judith
Friedrich Hebbel

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Die Stadt Bethulien, wie im dritten Akt

Öffentlicher Platz mit Aussicht auf das Tor. Wachen am Tor. Viel Volk, liegend und stehend, in mannigfaltigen Gruppen. Es wird Morgen

(Zwei Priester, von einer Gruppe Weiber (Mütter usw.) umringt)

Ein Weib
Habt ihr uns betrogen, als ihr sagtet, daß unser Gott allmächtig sei? Ist er wie ein Mensch, daß er nicht halten kann, was er verspricht?

Priester
Er ist allmächtig. Aber ihr selbst habt ihm die Hände gebunden. Er darf euch nur helfen, wie ihr's verdient.

Weiber
Wehe, wehe, was wird mit uns geschehn!

Priester
Sehet hinter euch, dann wisset ihr, was vor euch steht!

Eine Mutter
Kann eine Mutter sich so versündigen, daß ihr unschuldiges Kind verdursten muß?
(Hält ihr Kind empor)

Priester
Die Rache hat keine Grenzen, denn die Sünde hat keine.

Mutter
Ich sage dir, Priester, eine Mutter kann sich nicht so versündigen! In ihrem Schoß mag der Herr, wenn er zürnt, ihr Kind noch ersticken; ist's geboren, so soll's leben. Darum gebären wir, daß wir unser Selbst doppelt haben, daß wir's im Kinde, wo es uns rein und heilig anlacht, lieben können, wenn wir's in uns hassen und verachten müssen.

Priester
Du schmeichelst dir! Gott läßt dich gebären, damit er dich in deinem Fleisch und Blut züchtigen, dich noch übers Grab hinaus verfolgen kann!

Der zweite Priester
(zum ersten)
Gibt's nicht schon genug Verzweifelte in der Stadt?

Erster Priester
Willst du müßig sein, da du säen solltest? Treib deine Wurzel, da der Boden locker ist!

Mutter
Mein Kind soll nicht für mich leiden. Nimm's hin! Ich will mich in meine Kammer verschließen und mich auf all' meine Sünden besinnen und mir für jede eine zweifache Marter antun; ich will mich peinigen, bis ich sterbe, oder bis Gott selbst vom Himmel herunterruft: "Hör' auf!"

Zweiter Priester
Behalt dein Kind und pfleg's. Das will der Herr, dein Gott!

Die Mutter
(drückt es an die Brust)
Ja, ich will es so lange ansehen, bis es bleich wird, bis sein Wimmern in sich selbst erstickt und sein Atem stockt; ich will keinen Blick von ihm verwenden, sogar dann nicht, wenn die Qual sein Kindesauge vor der Zeit klug macht und mich wie ein Abgrund von Elend daraus anschauert. Ich will's tun, um zu büßen wie keine. Aber wenn es nun noch klüger wird und nach oben blickt und die Hände ballt?

Erster Priester
Dann sollst du sie falten! Und sollst mit Schaudern erkennen, daß auch ein Kind sich gegen Gott empören kann.

Die Mutter
Moses' Stab schlug an den Felsen, und ein kühler Quell sprang hervor. Das war ein Fels!
(Schlägt sich an die Brust)
Verfluchte Brust, was bist du? Von innen drängt die glühendste Liebe; von außen pressen dich heiße, unschuldige Lippen, doch gibst du keinen Tropfen! Tu's! tu's! Saug' mir jede Ader aus und gib dem Wurm noch einmal zu trinken!

Zweiter Priester
(zum ersten)
Rührt's dich nicht?

Erster Priester
Ja. Aber ich sehe in der Rührung immer nur eine Versuchung zur Untreue an mir selbst und unterdrücke sie. Bei dir löst sich der Mann in Wasser auf, du kannst ihn im Schnupftuch auffangen oder ein Veilchen damit erquicken.

Zweiter Priester
Tränen, von denen man selbst nichts weiß, sind erlaubt.

Ein anderes Weib
(auf die Mutter deutend)
Hast du keinen Trost für die?

Erster Priester
(kalt)
Nein!

Das Weib
Dann sitzt dein Gott nirgends als auf deinen Lippen!

Erster Priester
Dies Wort allein verdient, daß Bethulien dem Holofernes in die Hände fällt. Dir auf die Seele wälz' ich den Untergang der Stadt. Du fragst, warum die leidet? Weil du ihre Schwester bist!
(Gehen vorüber)

(Zwei Bürger, die den Auftritt ansahen, treten hervor)

Erster
Durch mein eignes Leid hindurch fühl' ich dieses Weibes Leid. Oh, es ist entsetzlich!

Zweiter
Es ist das Entsetzlichste noch nicht! Das tritt erst dann ein, wenn es dieser Mutter einfällt, daß sie ihr Kind essen kann!
(Er schlägt sich vor die Stirn)
Ich fürchte, meinem Weibe ist das schon eingefallen.

Erster
Du rasest!

Zweiter
Um sie nicht totschlagen zu müssen, bin ich aus dem Hause geflogen. Lüg' nicht! Ich rannte fort, weil mich's schauderte vor der unmenschlichen Speise, nach der sie lüstern schien, und weil ich mich doch fürchtete, daß ich mitessen könnte. Unser Söhnlein lag im Verscheiden; sie, in ungeheurem Jammer, war zu Boden gestürzt. Auf einmal erhob sie sich und sagte, leise, leise: "Ist's denn ein Unglück, daß der Knabe stirbt?" Dann beugte sie sich zu ihm nieder und murmelte, wie unwillig: "Noch ist Leben in ihm!" Mir ward's gräßlich klar; sie sah in ihrem Kinde nur noch ein Stück Fleisch.

Erster
Ich könnte hingehen und dein Weib niederstechen, ob sie gleich meine Schwester ist!

Zweiter
Du kämst zu früh oder zu spät. Wenn sie sich nicht tötete, bevor sie aß, so tat sie's gewiß, als sie gegessen hatte.

Ein dritter Bürger
(tritt hinzu)
Vielleicht kommt uns noch Rettung. Heut ist der Tag, an welchem Judith wiederkehren wollte!

Zweiter
Jetzt noch Rettung? Jetzt noch? Gott! Gott! Ich widerrufe alle meine Gebete! Daß du sie erhören könntest, nun es zu spät ist, das ist ein Gedanke, den ich noch nicht dachte, den ich nicht ertrage. Ich will dich rühmen und preisen, wenn du deine Unendlichkeit auch am wachsenden Elend dartun, wenn du meinen starrenden Geist über sein Maß hinaustreiben, wenn du einen Greuel vor mein Auge stellen kannst, der mich die Greuel, die ich schon erblickte, vergessen und verlachen macht. Aber ich werde dich verfluchen, wenn du nun noch zwischen mich und mein Grab trittst, wenn ich Weib und Kind begraben und sie mit Erde, statt mit dem Lehm und Moder meines eigenen Leibes, bedecken muß!
(Gehen vorüber)

Mirza
(vor dem Tor)
Macht auf, macht auf!

Wachen
Wer da?

Mirza
Judith ist's. Judith mit dem Kopf des Holofernes

Wachen
(rufen in die Stadt hinein, während sie öffnen)
Hallo! Hallo! Judith ist wieder da!
(Volk versammelt sich. Älteste und Priester kommen. Judith und Mirza treten ins Tor)

Mirza
(wirft den Kopf hin)
Kennt ihr den?

Volk
Wir kennen ihn nicht!

Achior
(tritt herzu und fällt auf die Knie)
Groß bist du, Gott Israels, und es ist kein Gott außer dir!
(Er steht auf)
Das ist des Holofernes Haupt!
(Er faßt die Hand der Judith)
Und dies ist die Hand, in die er gegeben ward? Weib, mir schwindelt, wenn ich dich ansehe!

Die Ältesten
Judith hat ihr Volk befreit! Ihr Name werde gepriesen!

Volk
(sammelt sich um Judith)
Judith Heil!

Judith
Ja, ich habe den ersten und den letzten Mann der Erde getötet, damit du
(zu dem einen)
in Frieden deine Schafe weiden, du
(zu einem zweiten)
deinen Kohl pflanzen und du
(zu einem dritten)
dein Handwerk treiben und Kinder, die dir gleichen, erzeugen kannst!

Stimmen im Volk
Auf! Hinaus ins Lager! Jetzt sind sie ohne Herrn

Achior
Wartet noch! Noch wissen sie nicht, was in der Nacht geschah! Wartet, bis sie uns selbst das Zeichen zum Angriff geben! Wenn ihr Geschrei erschallt, dann wollen wir unter sie fahren!

Judith
Ihr seid mir Dank schuldig, Dank, den ihr mir nicht durch die Erstlinge eurer Herden und eurer Gärten abtragen könnt! Mich trieb's, die Tat zu tun; an euch ist's, sie zu rechtfertigen! Werdet heilig und rein, dann kann ich sie verantworten!
(Man hört ein wildes, verworrenes Geschrei)

Achior
Horcht, nun ist's Zeit!

Ein Priester
(deutet auf den Kopf)
Steckt den auf einen Spieß und tragt ihn voran!

Judith
(tritt vor den Kopf)
Dies Haupt soll sogleich begraben werden!

Wachen
(rufen von der Mauer herunter)
Die Wächter am Brunnen fliehen in wilder Unordnung. Einer der Hauptleute tritt ihnen in den Weg – sie zücken das Schwert gegen ihn. Einer der Unsrigen kommt ihnen entgegengerannt. Es ist Ephraim. Sie sehen ihn gar nicht.

Ephraim
(vorm Tor)
Öffnet, öffnet!
(Das Tor wird geöffnet. Ephraim stürzt herein. Das Tor bleibt offen. Man sieht vorüberfliehende Assyrer)

Ephraim
Spießen, auf dem Rost braten hätten sie mich können. All dem bin ich entgangen. Nun Holofernes kopflos ist, sind sie's alle. Kommt, kommt! Ein Narr, der sich noch fürchtet!

Achior
Auf, auf!
(Sie stürmen aus dem Tor; man hört Stimmen rufen: "Im Namen Judiths!")

Judith
(wendet sich mit Ekel)
Das ist Schlächtermut!
(Priester und Älteste schließen um sie einen Kreis)

Einer der Ältesten
Du hast die Namen der Helden ausgelöscht und den deinigen an ihre Stelle gesetzt!

Der erste Priester
Du hast dich um Volk und Kirche hoch verdient gemacht. Nicht mehr auf die dunkle Vergangenheit, auf dich darf ich von jetzt an deuten, wenn ich zeigen will, wie groß der Herr, unser Gott, ist!

Priester und Älteste
Fordre deinen Lohn!

Judith
Spottet ihr mein?
(Zu den Ältesten)
Wenn's nicht heilige Pflicht war, wenn ich's lassen durfte, ist's dann nicht Hochmut und Frevel?
(Zu den Priestern)
Wenn das Opfer verröchelnd am Altar niederstürzt, quält ihr's mit der Frage, welchen Preis es auf sein Blut und Leben setzt?
(Nach einer Pause, wie von einem plötzlichen Gedanken erfaßt)
Und doch, ich fordre meinen Lohn! Gelobt mir zuvor, daß ihr ihn nicht weigern wollt!

Älteste und Priester
Wir geloben's! Im Namen von ganz Israel!

Judith
So sollt ihr mich töten, wenn ich's begehre!

Alle
(entsetzt)
Dich töten?

Judith
Ja, und ich hab' euer Wort.

Alle
(schaudernd)
Du hast unser Wort!

Mirza
(ergreift Judith beim Arm und führt sie vorwärts, aus dem Kreis heraus)
Judith! Judith!

Judith
Ich will dem Holofernes keinen Sohn gebären! Bete zu Gott, daß mein Schoß unfruchtbar sei. Vielleicht ist er mir gnädig!

Ende.


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