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Holofernes und zwei seiner Hauptleute
Einer der Hauptleute
Der Feldhauptmann sieht aus wie ein Feuer, das ausgehen will.
Der zweite
Vor solch einem Feuer muß man sich in acht nehmen. Es verschlingt alles, was ihm nahekommt, um sich zu ernähren.
Der erste
Weißt du, daß Holofernes in der letzten Nacht nahe daran war, sich selbst zu töten?
Der zweite
Das ist nicht wahr!
Der erste
Doch! Ihn drück der Alp, und er glaubt im Schlafe, daß sich jemand auf ihn wirft und ihn würgen will. Er greift, in seinen Traum verstrickt, nach dem Dolch, und meint den Feind hinterrücks zu durchbohren und stößt ihn in die eigne Brust. Glücklicherweise gleitet das Eisen an den Rippen ab. Er erwacht und sieht's, und ruft, als der Kämmerer ihn verbinden will, lachend aus: "Laß laufen, mich kühlt's, ich hab' des Blutes zuviel!"
Der zweite
Es klingt fabelhaft.
Der erste
Frag' den Kämmerer!
Holofernes
(wendet sich rasch)
Fragt mich selbst!
Die Hauptleute
(erschrecken)
Holofernes
(für sich)
Sie wundern sich über mich, daß ich ihr Gespräch hörte; Schande genug für mich, daß ich Zeit und Aufmerksamkeit dafür hatte! Ein Kopf, der sich nicht selbst mit Gedanken auszufüllen weiß, der für die Grillen und Einfälle anderer Platz übrig hat, ist nicht wert, daß man ihn füttert; die Ohren sind Almosensammler des Geistes, nur Bettler und Sklaven bedürfen ihrer, und man wird eins von beidem, wenn man sie braucht! Wer zu gebieten hat, kann sie entbehren; zum Überwachen der Befehle genügen die Augen!
(Zu den Hauptleuten)
Ich hadre nicht mit euch; es ist nicht eure Schuld, daß ihr nichts zu tun habt; ihr müßt jetzt schon Worte machen, um euch vorlügen zu können, daß ihr lebt! Aber sagt mir doch: was würdet ihr getan haben, wenn ihr mich wirklich heut morgen tot im Bett gefunden hättet?
Die Hauptleute
Herr, was hätten wir tun sollen?
Holofernes
(wendet sich)
Wenn ich's auch wüßte, so würde ich's nicht sagen! Wer sich aus der Welt wegdenken und seinen Ersatzmann nennen kann, der gehört nicht mehr hinein und wird auch bald genug hinausgestoßen, wenn er nicht von selbst geht!
(Zu den Hauptleuten)
Also ihr kennt keinen, der
(er deutet auf sein Schwert)
hierin sein Erbteil erblickt hätte? Ich glaub's! Aber ich dank's doch meinen Rippen, daß sie von Eisen sind, und meiner Hand, daß sie nicht anderswohin stach! Das wär' ein Tod gewesen wie eine Posse und hätte gewiß irgendeinen magern Gott, zum Beispiel den der Ebräer, fett gemacht! Wie würde Achior sich mit seiner Vorherverkündigung gebrüstet und Respekt vor seinem Wahrsagergeist bekommen haben! Er sprach ja schon davon, daß ich mich gegen mich selbst empören würde, wenn mir kein anderer in den Weg zu treten wagte, und das wäre wirklich bald geschehen. Eins möcht' ich wissen: Was ist der Tod?
Einer der Hauptleute
Das Ding, um dessentwillen wir das Leben lieben!
Holofernes
Das ist die beste Antwort! Jawohl, nur weil wir es stündlich verlieren können, halten wir's fest und pressen's aus und saugen's ein bis zum Zerplatzen. Verfluchte Würze das, an unserer täglichen Speise! Ging's ewig so fort, wie gestern und heut, so würde uns ekeln; wir würden ruhen und schlafen und vielleicht vor nichts zittern wie vor dem Erwachen. Jetzt suchen wir uns durchs Essen gegen das Gegessenwerden zu schützen und kämpfen mit unseren Zähnen gegen die Zähne der Welt. Darum ist's auch so einzig schön, durchs Leben selbst zu sterben! den Strom so anschwellen zu lassen, daß die Ader, die ihn aufnehmen soll, zerspringt! die höchste Wollust und die Schauder der Vernichtung ineinanderzumischen! Oft kommt's mir vor, als hätt' ich einmal zu mir selbst gesagt: "Nun will ich leben!" Da ward ich losgelassen, wie aus zärtlichster Umschlingung, es ward hell um mich, mich fröstelte, ein Ruck, und ich war da! So möcht' ich auch einmal zu mir selbst sagen: "Nun will ich sterben!" Und wenn ich nicht, sowie ich das Wort ausspreche, aufgelöst in alle Winde verfliege und eingesogen werde von all den durstigen Lippen der Schöpfung, die schon jetzt auf mich brennen, so will ich mich schämen und vor mir selbst erröten, denn dann hab' ich's zu früh getan. Möglich ist's; es wird sich noch einer töten durch den bloßen Willen; das Netz muß reißen, wenn man sich darin dehnt und reckt, so weit man kann!
Einer der Hauptleute
Holofernes!
Holofernes
Du meinst, man muß sich nicht berauschen. Das ist wahr; denn wer den Rausch nicht kennt, weiß auch nichts davon, wie schal die Nüchternheit ist! Und doch ist der Rausch der Reichtum unserer Armut, und ich mag's so gern, wenn's wie ein Meer aus mir hervorbricht und alles, was Damm und Grenze heißt, überflutet! Und wenn's einmal in allem, was lebt, so strömte und schäumte, sollte es dann nicht zusammenkommen können, wie die Wetterwolken zusammenkommen und sich in Donner und Blitz entladen, wenn der Wind hinter ihnen her bläst? O gewiß, sowie das geschähe, würde alles umfallen, was nicht zu stehen verdient, doch dafür würde sich einer erheben, in dessen Adern dann mehr Blut kreiste, als der Ozean Wasser faßt, und dessen Augen Sonne, Mond und Sterne verdunkeln, ja die Nacht verzehren würden. Aber wer bringt
(gegen die Hauptleute)
dich und dich und die draußen dahin, daß ihr das mit fühlt und mit wünscht, und doch gehört ihr alle mit dazu, wie ich selbst! Ihr wundert euch über mich, daß ich aus meinem Kopf eine Spindel mache und den Traum- und Hirnknäuel darin Faden nach Faden abzwirne wie ein Bündel Flachs. Ja, ja, das ist ebenso dumm, als ob man sich selbst das Blut abzapfte oder sich die Eingeweide aus dem Leibe haspelte. Doch heute mag's gehen! Wir haben ja Zeit; denn die in Bethulien scheinen nicht zu wissen, daß der Soldat sein Schwert so lange schärft, als sie ihn hindern, es zu brauchen. Aber sie sollen's büßen, büßen, daß sie sich zwischen mich und mein Ziel stellen. Sie sind in ihrem Nest oben sicher vor mir; denn Berge kann ich nicht versetzen und Felsen nicht zerreiben; aber sie sind nicht sicher vor Hunger und Durst. Es ist doch gesorgt, daß auch nicht ein Vogel hineinfliegt?
Einer der Hauptleute
Er wird zuvor heruntergeschossen! Darauf verlaß dich!
Holofernes
Die Brunnen sind zerstört oder bewacht, und Regen gibt's noch lange nicht. Bald werd' ich ihnen minder schrecklich sein, als die eigne Not es ihnen ist, und dann – Nicht einer soll mit dem Leben davonkommen! Nicht einer! Wenn sie mir einen halben Monat stehlen, so will ich den halben Tag, der nötig ist, sie bis auf den letzten Mann niederzumachen, in den Kauf geben.
Ein Hauptmann
(tritt herein)
Herr, ein ebräisch Weib, das wir auf dem Berg aufgegriffen haben, steht vor der Tür.
Holofernes
Was für eine Art Weib?
Der Hauptmann
Herr, jeder Augenblick, daß du sie nicht siehst, ist ein verlorener. Wär' sie nicht so schön, ich hätte sie nicht zu dir geführt. Wir lagen am Brunnen und harrten, ob sich jemand heranwagte. Da sahen wir sie kommen; ihre Magd hinterdrein, wie ihr Schatten. Sie war verschleiert und ging anfangs so schnell, daß die Magd ihr kaum zu folgen vermochte; dann hielt sie plötzlich inne, als wollte sie umkehren, und wandte sich gegen die Stadt und warf sich zu Boden und schien zu beten. Nun kam sie auf uns zu und ging zum Brunnen. Einer der Wächter trat ihr entgegen; ich dachte schon, er wolle ihr ein Leides tun, denn die Soldaten sind grimmig ob dem langen Müßiggang; aber er bückte sich und schöpfte und reichte ihr das Gefäß. Sie nahm es, ohne zu danken, und führte es an ihre Lippen; doch bevor sie noch getrunken hatte, setzte sie es wieder ab und goß es langsam aus. Dies verdroß den Wächter, er zog sein Schwert und zückte es gegen sie; da schlug sie ihren Schleier zurück und sah ihn an. Es fehlte wenig, so hätt' er sich ihr zu Füßen geworfen; sie aber sprach: "Führt mich zum Holofernes; ich komme, weil ich mich vor ihm demütigen und ihm die Heimlichkeiten der Meinigen offenbaren will."
Holofernes
Führe sie herein!
(Der Hauptmann ab)
Alle Weiber der Welt seh' ich gern, ausgenommen eins, und das hab' ich nie gesehen und werd' es nie sehen.
Einer der Hauptleute
Welche ist das?
Holofernes
Meine Mutter! Ich hätt' sie so wenig sehen mögen, als ich mein Grab sehen mag. Das freut mich am meisten, daß ich nicht weiß, woher ich kam! Jäger haben mich als einen derben Buben in der Löwenhöhle aufgelesen, eine Löwin hat mich gesäugt; darum ist's kein Wunder, daß ich den Löwen selbst einst in diesen meinen Armen zusammendrückte. Was ist denn auch eine Mutter für ihren Sohn? Der Spiegel seiner Ohnmacht von gestern und von morgen. Er kann sie nicht ansehen, ohne der Zeit zu gedenken, wo er ein erbärmlicher Wurm war, der die paar Tropfen Milch, die er schluckte, mit Schmätzen bezahlte. Und wenn er dies vergißt, so sieht er ein Gespenst in ihr, das ihm Alter und Tod vorgaukelt und ihm die eigene Gestalt, sein Fleisch und Blut, zuwider macht.
(Judith tritt herein; sie wird von Mirza und dem Hauptmann, die beide an der Tür stehen bleiben, begleitet; sie ist anfangs verwirrt, faßt sich aber schnell, geht auf Holofernes zu und fällt ihm zu Füßen)
Judith
Du bist der, den ich suche, du bist Holofernes.
Holofernes
Du denkst, der muß hier der Herr sein, auf dessen Kleid das meiste Gold schimmert.
Judith
Nur einer kann so aussehen!
Holofernes
Fänd' ich den zweiten, so würd' ich ihm den Kopf vor die Füße legen; denn auf mein Gesicht glaub' ich allein ein Recht zu haben.
Einer der Hauptleute
(zum andern)
Ein Volk, das solche Weiber hat, ist nicht zu verachten.
Der zweite
Man sollt' es allein der Weiber wegen bekriegen. Nun hat Holofernes einen Zeitvertreib. Vielleicht erstickt sie mit Küssen seinen ganzen Zorn.
Holofernes
Ist's einem nicht, solange man sie anschaut, als ob man ein Bad nähme? Man taucht, tiefer und immer tiefer, bis die Besinnung schwindet und – Nur der ist elend, der ein solches Weib nicht sehen kann! Ich will nie wieder jemand blenden lassen, ich schwör's!
(Zu Judith)
Du liegst noch auf den Knien? Steh auf!
(Sie tut's; er setzt sich auf seinen Fürstenstuhl unter den Teppich)
Wie heißt du?
Judith
Ich heiße Judith.
Holofernes
Fürchte dich nicht, Judith; du gefällst mir, wie mir noch keine gefiel.
Judith
Dies ist das Ziel aller meiner Wünsche.
Holofernes
Nun sag' an: warum hast du die in der Stadt verlassen und bist zu mir gekommen?
Judith
Weil ich weiß, daß dir niemand entgehen kann! Weil unser eigner Gott dir die Meinigen in die Hand geben will.
Holofernes
(lachend)
Weil du ein Weib bist, weil du dich auf dich selbst verlässest, weil du weißt, daß Holofernes Augen hat, nicht wahr?
Judith
Höre mich gnädig an. Unser Gott ist erzürnt über uns, er hat längst durch seine Propheten verkündigen lassen, daß er das Volk strafen wollte um seiner Sünde willen.
Holofernes
Was ist Sünde?
Judith
(nach einer Pause)
Ein Kind hat mich das einmal gefragt. Dies Kind hab' ich geküßt. Was ich dir antworten soll, weiß ich nicht.
Holofernes
Sprich weiter.
Judith
Nun stehen sie zwischen Gottes Zorn und deinem Zorn und zittern sehr. Dazu leiden sie Hunger und müssen verschmachten vor Durst. Und ihre große Not verleitet sie zu neuem Frevel. Sie wollen das heilige Opfer essen, das auch nur anzurühren ihnen verboten ist. Es wird in ihrem Eingeweide zu Feuer werden!
Holofernes
Warum ergeben sie sich nicht?
Judith
Sie haben nicht den Mut! Sie wissen, daß sie das ärgste verdient haben; wie könnten sie glauben, daß Gott es von ihnen abwenden werde!
(Für sich)
Ich will ihn versuchen.
(Laut)
Sie gehen weiter in ihrer Angst, als du in deinem Grimm gehen kannst. Deine Rache würde mich zermalmen, wollt' ich dir sagen, wie ihre Furcht den Helden und den Mann in dir zu beflecken wagt! Ich schaue zu dir empor, ich erspähe in deinem Angesicht die edlen Grenzen deines Zorns, ich finde den Punkt, über den er in seiner wildesten Flamme gar nicht hinauslodern kann. Da muß ich erröten; denn ich erinnre mich dabei, daß sie sich erfrechen, jeden Greuel von dir zu erwarten, den ein schuldiges Gewissen in feiger Selbstpeinigung nur irgend auszusinnen vermag, daß sie sich erkühnen, in dir einen Henker zu sehen, weil sie selbst des Todes würdig sind.
(Sie fällt vor ihm nieder)
Auf meinen Knien bitt' ich dich wegen dieser Beleidigung meines verblendeten Volks um Vergebung.
Holofernes
Was machst du? Ich will nicht, daß du vor mir knien sollst.
Judith
(steht auf)
Sie meinen, daß du sie alle töten willst! Du lächelst, statt empört zu sein? Oh, ich vergaß, wer du bist! Du kennst die Gemüter der Menschen, dich kann nichts überraschen, dich reizt es nur noch zum Spott, wenn dein Bild in einem trüben Spiegel entstellt und verzerrt erscheint. Aber, dies muß ich doch zum Ruhm der Meinigen sagen: sie selbst hätten einen solchen Gedanken nimmermehr gefaßt. Sie wollten dir das Tor öffnen, da trat Achior, der Moabiterhauptmann, unter sie und erschreckte sie; "was wollt ihr tun", rief er, "wißt ihr auch, daß Holofernes euch allen den Untergang geschworen hat?" Ich weiß, du hast ihm Leben und Freiheit geschenkt; du hast, weil du dich an einem Unwürdigen nicht rächen mochtest, ihn zu uns hinübergesandt, ihn großmütig in die Reihen deiner Feinde gestellt. Er dankt es dir dadurch, daß er dein Bild in Blut malt und dir jedes Herz abwendig macht. Nicht wahr, mein kleines Volk bildet sich zuviel ein, wenn es sich deines Zorns würdig dünkt? Wie könntest du hassen, die du gar nicht kanntest, die du nur zufällig auf deinem Weg antrafst und die dir nur darum nicht auswichen, weil die Angst sie erstarrte und ihnen Leben und Besinnung raubte? Und wenn wirklich etwas wie Mut sie beseelt hätte, könnte das dich reizen, von dir selbst abzufallen? Könnte Holofernes sich selbst, alles, was ihn groß und einzig macht, in anderen anfeinden und verfolgen? Das ist wider die Natur und geschieht nimmermehr!
(Sie sieht ihn an. Er schweigt)
Oh, ich möchte du sein! Nur einen Tag, nur eine Stunde! Dann wollt' ich dadurch, daß ich das Schwert einsteckte, einen Triumph feiern, wie ihn noch keiner durch das Schwert gefeiert hat. Tausende zittern jetzt vor dir in jener Stadt; "ihr habt mir getrotzt," würd' ich ihnen zurufen, "doch eben, weil ihr mich beleidigt habt, schenk' ich euch das Leben; ich will mich rächen an euch, aber durch euch selbst; ich lasse euch frei ausgehen, damit ihr ganz meine Sklaven seid!"
Holofernes
Weib, ahnst du auch, daß du mir dies alles unmöglich machst, indem du mich dazu aufforderst? Wäre der Gedanke in mir selbst aufgestiegen, vielleicht hätt' ich ihn ausgeführt. Nun ist er dein und kann nimmer mein werden. Es tut mir leid, daß Achior recht behält!
Judith
(bricht in ein wildes Gelächter aus)
Vergib; gestatte mir, daß ich mich selbst verhöhne. Es sind Kinder in der Stadt, so unschuldig, daß sie lächeln werden, wenn sie das Eisen blinken sehen, daß sie spießen soll. Es sind Jungfrauen in der Stadt, die vor dem Lichtstrahl zittern, der durch ihren Schleier dringen will. Ich dachte an den Tod, der diese Kinder erwartet, ich dachte an die Schmach, die diese Jungfrauen bedroht; ich malte mir das Gräßliche aus, und ich glaubte, niemand könne so stark sein, daß er vor solchen Bildern nicht zusammenschauderte. Verzeih, daß ich dir meine eigne Schwäche unterlegte!
Holofernes
Du wolltest mich schmücken, und das verdient meinen Dank, wenn die Art mir auch nicht ansteht. Judith, wir müssen nicht miteinander rechten. Ich bin bestimmt, Wunden zu schlagen, du, Wunden zu heilen. Wär' ich in meinem Beruf lässig, so hättest du keinen Zeitvertreib. Auch mit meinen Kriegern mußt du's nicht so genau nehmen. Leute, die heute nicht wissen, ob sie morgen noch da sind, müssen schon dreist zugreifen und sich den Magen etwas überladen, wenn sie ihren Teil von der Welt haben wollen.
Judith
Herr, du übertriffst mich an Weisheit ebensoweit wie an Mut und Kraft. Ich hatte mich in mir selbst verirrt, und nur dir dank' ich's, daß ich mich wieder zurechtfand. Ha, wie töricht war ich! Ich weiß, daß sie alle den Tod verdient haben, daß er ihnen längst verkündigt worden ist; ich weiß, daß der Herr, mein Gott, dir das Rächeramt übertragen hat, und dennoch werf' ich mich, von erbärmlichem Mitleid überwältigt, zwischen dich und sie. Heil mir, daß deine Hand das Schwert festhielt, daß du es nicht fallen ließest, um die Tränen eines Weibes zu trocknen. Wie würden sie in ihrem Übermut bestärkt worden sein! Was bliebe ihnen noch zu fürchten, wenn Holofernes an ihnen vorüberzöge, wie ein Gewitter, das nicht zum Ausbruch kommt! Wer weiß, ob sie nicht Feigheit in deiner Großmut sehen und Spottlieder auf deine Barmherzigkeit machen würden! Jetzt sitzen sie im Sack und in der Asche und tun Buße; aber für jede Stunde der Enthaltsamkeit würden sie sich vielleicht durch einen Tag wilder Lust und Raserei entschädigen! Und all' ihre Sünden würden auf meine Rechnung kommen, und ich müßte vergehen vor Reue und Scham. Nein, Herr, gedenk' deines Schwurs und vertilg' sie! Dies läßt der Herr, mein Gott, dir gebieten durch meinen Mund; er will dein Freund sein, wie du ihr Feind bist!
Holofernes
Weib, es kommt mir vor, als ob du mit mir spieltest. Doch nein, ich beleidige mich selbst, indem ich dies für möglich halte.
(Nach einer Pause)
Du klagst die Deinigen hart an.
Judith
Meinst du, daß es mit leichtem Herzen geschieht? Es ist die Strafe meiner eignen Sünden, daß ich sie wegen der ihrigen verklagen muß. Glaube nicht, daß ich bloß darum von ihnen geflohen bin, weil ich dem allgemeinen Untergang, den ich vor Augen sah, entgehen wollte. Wer fühlte sich so rein, daß er, wenn der Herr ein großes Gericht hält, sich ihm zu entziehen wagte? Ich kam zu dir, weil mein Gott es mir gebot. Ich soll dich nach Jerusalem führen, ich soll dir mein Volk in die Hand geben, wie eine Herde, die keinen Hirten hat. Dies hat er mich geheißen in einer Nacht, wo ich im verzweifelnden Gebet vor ihm auf den Knien lag, wo ich tausendfaches Verderben auf dich und die Deinigen von ihm herabflehte, wo jeder meiner Gedanken dich zu umschnüren und zu erwürgen suchte. Seine Stimme erscholl, und ich jauchzte hoch auf; aber er hatte mein Gebet verworfen, er sprach über mein Volk das Todesurteil, er lud auf meine Seele das Henkeramt. Oh, das war ein Wechsel! Ich erstarrte, aber ich gehorchte; ich verließ eilig die Stadt und schüttelte den Staub von meinen Füßen; ich trat vor dich hin und ermahnte dich, die zu vertilgen, für deren Rettung ich kurz zuvor noch Leib und Blut geopfert hätte. Siehe, sie werden mich schmähen und meinen Namen brandmarken für immer; das ist mehr als der Tod, dennoch beharr' ich und wanke nicht!
Holofernes
Sie werden's nicht tun. Kann dich einer schmähen, wenn ich keinen am Leben lasse? Wahrlich, wenn dein Gott ausrichten wird, was du gesagt hast, so soll er auch mein Gott sein, und dich will ich groß machen, wie noch nie ein Weib!
(Zum Kämmerer)
Führe sie in die Schatzkammer und speise sie von meinem Tisch.
Judith
Herr, ich darf noch nicht essen von deiner Speise, denn ich würde mich versündigen. Ich kam ja nicht zu dir, um von meinem Gott abzufallen, sondern um ihm recht zu dienen. Ich habe etwas mit mir genommen; davon will ich essen.
Holofernes
Und wenn das auf ist?
Judith
Sei gewiß, bevor ich dies wenige verzehren kann, wird mein Gott durch mich ausführen, was er vorhat. Auf fünf Tage hab' ich genug, und in fünf Tagen bringt er's zu Ende. Noch weiß ich die Stunde nicht, und mein Gott wird sie mir nicht eher sagen, als bis sie da ist. Darum gib Befehl, daß ich, ohne von den Deinigen gehindert zu werden, hinausgehen darf ins Gebirg bis vor die Stadt, damit ich anbete und der Offenbarung harre.
Holofernes
Die Erlaubnis hast du. Ich ließ die Schritte eines Weibes noch nie bewachen! Aber hör' auf mich! Kehre nach Bethulien zurück, sag', ich zöge ab, und mach' sie sicher. Dann öffne mir bei Nacht ein Tor! Etwas anderes kann dein Gott dir auch nicht eingeben!
Judith
Herr, ich muß es erst von ihm selbst hören!
Holofernes
(wendet sich)
Mirza
(die ihr Entsetzen und ihren Abscheu längst durch Gebärden zu erkennen gab)
Verfluchte, so bist du gekommen, dein Volk zu verraten?
Judith
Sprich laut! Es ist gut, wenn alle hören, daß auch du an meine Worte glaubst!
Mirza
Sag' selbst, Judith, muß ich dir nicht fluchen?
Judith
Wohl mir! Wenn du nicht zweifelst, so kann Holofernes gewiß nicht zweifeln!
Mirza
Du weinst?
Judith
Freudentränen darüber, daß ich dich täuschte. Ich schaudere vor der Kraft der Lüge in meinem Munde.
Holofernes
Aber in fünf Tagen, Judith!
Judith
(fällt ihm zu Füßen)
In fünf Tagen, Holofernes!
Holofernes
(indem er abgeht)
Dabei' spar ich Zeit, und die ist mir jetzt kostbar! Nebukadnezar muß herunter und ich hinauf!
(Ab)