Friedrich Hebbel
Judith
Friedrich Hebbel

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Zweiter Akt

Gemach der Judith

Judith und Mirza am Webstuhl

Judith
Was sagst du zu diesem Traum?

Mirza
Ach, höre lieber auf das, was ich dir sagte.

Judith
Ich ging und ging, und mir war's ganz eilig, und doch wußt' ich nicht, wohin mich's trieb. Zuweilen stand ich still und sann nach; dann war's mir, als ob ich eine große Sünde beginge; "fort, fort!" sagt' ich zu mir selbst und ging schneller wie zuvor.

Mirza
Eben ging Ephraim vorbei. Er war ganz traurig.

Judith
(ohne auf sie zu hören)
Plötzlich stand ich auf einem hohen Berg, mir schwindelte, dann ward ich stolz, die Sonne war mir so nah, ich nickte ihr zu und sah immer hinauf. Mit einmal bemerkt' ich einen Abgrund zu meinen Füßen, wenige Schritte von mir, dunkel, unabsehlich, voll Rauch und Qualm. Und ich vermochte nicht zurückzugehen noch stillzustehen, ich taumelte vorwärts; "Gott! Gott!" rief ich in meiner Angst – "hier bin ich!" tönte es aus dem Abgrund herauf, freundlich, süß; ich sprang, weiche Arme fingen mich auf, ich glaubte, einem an der Brust zu ruhen, den ich nicht sah, und mir ward unsäglich wohl; aber ich war zu schwer, er konnte mich nicht halten, ich sank, sank, ich hört' ihn weinen, und wie glühende Tränen träufelte es auf meine Wange. –

Mirza
Ich kenne einen Traumdeuter. Soll ich ihn zu dir rufen?

Judith
Leider ist's gegen das Gesetz. Aber das weiß ich, solche Träume soll man nicht gering achten! Sieh, ich denke mir das so. Wenn der Mensch im Schlaf liegt, aufgelöst, nicht mehr zusammengehalten durch das Bewußtsein seiner selbst, dann verdrängt ein Gefühl der Zukunft alle Gedanken und Bilder der Gegenwart, und die Dinge, die kommen sollen, gleiten als Schatten durch die Seele, vorbereitend, warnend, tröstend. Daher kommt's, daß uns so selten oder nie etwas wahrhaft überrascht, daß wir auf das Gute schon lange vorher so zuversichtlich hoffen und vor jedem Übel unwillkürlich zittern. Oft hab' ich gedacht, ob der Mensch wohl auch noch kurz vor seinem Tode geträumt.

Mirza
Warum hörst du nie, wenn ich dir von Ephraim spreche?

Judith
Weil mich's vor Männern schaudert.

Mirza
Und hast doch einen Mann gehabt!

Judith
Ich muß dir ein Geheimnis anvertrauen. Mein Mann war wahnsinnig.

Mirza
Unmöglich. Wie wäre mir das entgangen?

Judith
Er war es, ich muß es so nennen, wenn ich nicht vor mir selbst erschrecken, wenn ich nicht glauben soll, daß ich ein grauenhaftes, fürchterliches Wesen bin. Sieh, keine vierzehn Jahr war ich alt, da ward ich dem Manasses zugeführt. Du wirst des Abends noch gedenken, du folgtest mir. Mit jedem Schritt, den ich tat, ward mir beklommener; bald meint' ich, ich sollte aufhören zu leben, bald, ich sollte erst anfangen. Ach, und der Abend war so lockend, so verführerisch, man konnt' ihm nicht widerstehen; der warme Wind hob meinen Schleier, als wollt' er sagen: nun ist's Zeit; aber ich hielt ihn fest, denn ich fühlte, wie mein Gesicht glühte, und ich schämte mich dessen. Mein Vater ging an meiner Seite, er war sehr ernsthaft und sprach manches, worauf ich nicht hörte; zuweilen schaut' ich zu ihm auf, dann dacht' ich: Manasses sieht gewiß anders aus. Hast du denn all das nicht bemerkt? Du warst ja auch dabei.

Mirza
Ich schämte mich mit dir.

Judith
Endlich kam ich in sein Haus, und seine alte Mutter trat mir mit einem feierlichen Gesicht entgegen. Es kostete mir Überwindung, sie Mutter zu nennen; ich glaubte, meine Mütter müsse das in ihrem Grabe fühlen und es müsse ihr weh tun. Dann salbtest du mich mit Narden und Öl, da hatt' ich doch wahrlich eine Empfindung, als wäre ich tot und würde als Tote gesalbt; du sagtest auch, ich würde bleich. Nun kam Manasses, und als er mich anschaute, erst schüchtern, dann dreist und immer dreister, als er zuletzt meine Hand faßte und etwas sagen wollte und nicht konnte, da war mir's ganz so, als ob ich in Brand gesteckt würde, als ob es lichterloh aus mir herausflammte. Verzeih, daß ich dies sage.

Mirza
Du preßtest dein Gesicht erst einige Augenblicke in deine Hände, dann sprangst du schnell auf und fielst ihm um den Hals. Ich erschrak ordentlich.

Judith
Ich sah es und lachte dich aus, ich dünkte mich mit einmal viel klüger als du. Nun höre weiter, Mirza. Wir gingen in die Kammer hinein; die Alte tat allerlei seltsame Dinge und sprach etwas, wie einen Segen; mir ward doch wieder schwer und ängstlich, als ich mich mit Manasses allein befand. Drei Lichter brannten, er wollte sie auslöschen; "laß, laß", sagte ich bittend; "Närrin!" sagte er und wollte mich fassen – da ging eins der Lichter aus, wir bemerkten's kaum; er küßte mich – da erlosch das zweite. Er schauderte, und ich nach ihm, dann lacht' er und sprach: "Das dritte lösch' ich selbst"; – "schnell, schnell", sagte ich, denn es überlief mich kalt; er tat's. Der Mond schien hell in die Kammer, ich schlüpfte ins Bett, er schien mir gerade ins Gesicht. Manasses rief: "Ich sehe dich so deutlich wie am Tage", und kam auf mich zu. Auf einmal blieb er stehen; es war, als ob die schwarze Erde eine Hand ausgestreckt und ihn von unten damit gepackt hätte. Mir ward's unheimlich; "komm, komm!" rief ich und schämte mich gar nicht, daß ich's tat. "Ich kann ja nicht", antwortete er dumpf und bleiern; "ich kann nicht!" wiederholte er noch einmal und starrte schrecklich mit weit aufgerissenen Augen zu mir herüber; dann schwankte er zum Fenster und sagte wohl zehnmal hintereinander: "Ich kann nicht!" Er schien nicht mich, er schien etwas Fremdes, Entsetzliches zu sehen.

Mirza
Unglückliche!

Judith
Ich fing an, heftig zu weinen, ich kam mir verunreinigt vor, ich haßte und verabscheute mich. Er gab mir liebe, liebe Worte, ich streckte die Arme nach ihm aus, aber statt zu kommen, begann er leise zu beten. Mein Herz hörte auf zu schlagen, mir war, als ob ich einfröre in meinem Blut; ich wühlte mich in mich selbst hinein, wie in etwas Fremdes, und als ich mich zuletzt nach und nach in Schlaf verlor, hatt' ich ein Gefühl, als ob ich erwachte. Am andern Morgen stand Manasses vor meinem Bett, er sah mich mit unendlichem Mitleid an, mir ward's schwer, ich hätte ersticken mögen; da war's, als ob etwas in mir riß, ich brach in ein wildes Gelächter aus und konnte wieder atmen. Seine Mutter blickte finster und spöttisch auf mich, ich merkte, daß sie gelauscht hatte; sie sagte kein Wort zu mir und trat flüsternd mit ihrem Sohn in eine Ecke. "Pfui!" rief er auf einmal laut und zornig; "Judith ist ein Engel!" setzte er hinzu und wollte mich küssen; ich weigerte ihm meinen Mund, er nickte sonderbar mit dem Kopf, es schien ihm recht zu sein.
(Nach einer langen Pause)
Sechs Monate war ich sein Weib – er hat mich nie berührt.

Mirza
Und – ?

Judith
Wir gingen so eins neben dem andern hin, wir fühlten, daß wir zueinander gehörten, aber es war, als ob etwas zwischen uns stände, etwas Dunkles, Unbekanntes. Zuweilen ruhte sein Auge mit einem Ausdruck auf mir, der mich schaudern machte; ich hätte ihn in einem solchen Moment erwürgen können, aus Angst, aus Notwehr; sein Blick bohrte wie ein Giftpfeil in mich hinein. Du weißt, es war vor drei Jahren in der Gerstenernte, da kam er krank vom Felde zurück und lag nach drittehalb Tagen im Sterben. Mir war's, als wollt' er sich mit einem Raub an meinem Innersten davonschleichen; ich haßte ihn, seiner Krankheit wegen, mir schien's, als ob er mich mit seinem Tode wie mit einem Frevel bedrohte. Er darf nicht sterben – rief's in meiner Brust – er darf sein Geheimnis nicht mit ins Grab hinunternehmen, du mußt Mut fassen und ihn endlich fragen. "Manasses", sprach ich und beugte mich über ihn, "was war das in unsrer Hochzeitsnacht?" – Sein dunkles Auge war schon zugefallen, er schlug es mühsam wieder auf, ich schauderte, denn er schien sich aus seinem Leibe wie aus einem Sarge zu erheben. Er sah mich lange an, dann sagte er: "Ja, ja, ja, jetzt darf ich's dir sagen, du" – – Aber schnell, als ob ich's nimmermehr wissen dürfte, trat der Tod zwischen mich und ihn und verschloß seinen Mund auf ewig.
(Nach einem großen Stillschweigen)
Sag', Mirza, muß ich nicht selbst wahnsinnig werden, wenn ich aufhöre, Manasses für wahnsinnig zu halten?

Mirza
Ich schaudere.

Judith
Du hast oft gesehen, daß ich manchmal, wenn ich still am Webstuhl oder bei sonst einer Arbeit zu sitzen scheine, plötzlich ganz zusammenfalle und zu beten anfange. Man hat mich deswegen fromm und gottesfürchtig genannt. Ich sage dir, Mirza, wenn ich das tue, so geschieht's, weil ich mich vor meinen Gedanken nicht mehr zu retten weiß. Mein Gebet ist dann ein Untertauchen in Gott, es ist nur eine andere Art von Selbstmord, ich springe in den Ewigen hinein, wie Verzweifelnde in ein tiefes Wasser – –

Mirza
(mit Gewalt ablenkend)
Du solltest lieber in solchen Augenblicken vor einen Spiegel treten. Vor dem Glanz deiner Jugend und Schönheit würden die Nachtgespenster scheu und geblendet entweichen.

Judith
Ha, Törin, kennst du die Frucht, die sich selber essen kann? Du wärest besser nicht jung und nicht schön, wenn du es für dich allein sein mußt. Ein Weib ist ein Nichts; nur durch den Mann kann sie etwas werden; sie kann Mutter durch ihn werden. Das Kind, das sie gebiert, ist der einzige Dank, den sie der Natur für ihr Dasein darbringen kann. Unselig sind die Unfruchtbaren; doppelt unselig bin ich, die ich nicht Jungfrau bin und auch nicht Weib!

Mirza
Wer verbietet's dir, auch für andere, auch für einen geliebten Mann jung und schön zu sein? Hast du nicht unter den Edelsten die Wahl?

Judith
(sehr ernst)
Du hast mich in nichts verstanden. Meine Schönheit ist die der Tollkirsche; ihr Genuß bringt Wahnsinn und Tod!

Ephraim
(tritt hastig herein)
Ha, ihr seid so ruhig, und Holofernes steht vor der Stadt!

Mirza
So sei Gott uns gnädig!

Ephraim
Wahrlich, Judith, wenn du gesehen hättest, was ich sah, du würdest zittern. Man möchte schwören, alles, was Furcht und Schrecken einflößen kann, sei im Solde des Heiden. Diese Menge von Kamelen und Rossen, von Wagen und Mauerbrechern! Ein Glück, daß Wälle und Tore keine Augen haben! Sie würden vor Angst einstürzen, wenn sie all den Greuel erblicken könnten!

Judith
Ich glaube, du sahest mehr wie andere.

Ephraim
Ich sage dir, Judith, es gibt keinen in ganz Bethulien, der jetzt nicht aussieht, als ob er das Fieber hätte. Du scheinst wenig vom Holofernes zu wissen; ich weiß um so mehr von ihm. Jedes Wort aus seinem Wort ist ein reißendes Tier. Wenn es des Abends dunkel wird – –

Judith
So läßt er Lichter anzünden.

Ephraim
Das tun wir, ich und du! Er läßt Dörfer und Städte in Brand stecken und sagt: "Dies sind meine Fackeln! Ich hab' sie billiger wie andere." Und er meint sehr gnädig zu sein, wenn er bei der Glut einer und derselben Stadt sein Schwert putzen und seinen Braten schmoren läßt. Als er Bethulien erblickte, soll er gelacht und seinen Koch spöttisch gefragt haben: "Meinst du, daß du ein Straußenei dabei rösten kannst?"

Judith
Ich möcht ihn sehen!
(Für sich)
Was sagt' ich da!

Ephraim
Wehe dir, wenn du von ihm gesehen würdest! Holofernes tötet die Weiber durch Küsse und Umarmungen, wie die Männer durch Spieß und Schwert. Hätte er dich in den Mauern der Stadt gewußt: deinetwegen allein wäre er gekommen!

Judith
(lächelnd)
Möcht' es so sein! Dann braucht' ich ja nur zu ihm hinauszugehen, und Stadt und Land wäre gerettet!

Ephraim
Du allein hast das Recht, diesen Gedanken auszudenken.

Judith
Und warum nicht? Eine für alle, und eine, die sich immer umsonst fragte: "Wozu bist du da?" Ha, und wenn er nicht meinetwegen kam, wär' er nicht dahin zu bringen, daß er meintwegen gekommen zu sein glaubte? Ragt der Riese mit seinem Haupt so hoch in die Wolken hinein, daß ihr ihn nicht erreichen könnt, ei, so werft ihm einen Edelstein vor die Füße; er wird sich bücken, um ihn aufzuheben, und dann überwältigt ihr ihn leicht.

Ephraim
(für sich)
Mein Plan war einfältig. Was ihr Angst einjagen und sie mir in die Arme treiben sollte, macht sie kühn. Ich komme mir wie gerichtet vor, wenn ich ihr ins Auge schaue. Ich hoffte, sie sollte in dieser allgemeinen Not sich nach einem Beschützer umsehen, und wer war ihr näher wie ich!
(Laut)
Judith, du bist so mutig, daß du aufhörst, schön zu sein.

Judith
Wenn du ein Mann bist, so darfst du mir das sagen!

Ephraim
Ich bin ein Mann und darf dir mehr sagen. Sieh, Judith, es kommen schlimme Zeiten, Zeiten, in denen niemand sicher ist, als die in den Gräbern wohnen. Wie willst du sie bestehen, die du nicht Vater, nicht Bruder, nicht Gatten hast?

Judith
Du willst doch den Holofernes nicht zu deinem Freiwerber machen?

Ephraim
Spotte nur, aber höre. Ich weiß, daß du mich verschmähst, und hätte sich die Welt um uns her nicht so drohend verändert, ich wäre dir nicht wieder unter die Augen getreten. Siehst du dies Messer?

Judith
Es ist so blank, daß ich mein eigenes Bild darin erblicken kann.

Ephraim
Ich schliff es den Tag, an dem du mich hohnlachend von dir stießest, und wahrlich, stünden jetzt die Assyrier nicht vor dem Tor, so stäke es schon in meiner Brust! Dann hättest du es nicht als Spiegel gebrauchen können; denn mein Blut würde es rostig gemacht haben!

Judith
Gib her.
(Sie sticht nach seiner Hand, die er zurückzieht)
Pfui! Du wagst von Selbstmord zu reden und zitterst vor einem Stich in die Hand.

Ephraim
Du stehst vor mir, ich sehe dich, ich höre dich, jetzt lieb' ich mich selbst, denn ich fühle mich nicht mehr, ich bin voll von dir! So etwas gelingt nur in finstrer Nacht, wo im Herzen nichts mehr wacht als der Schmerz, wo der Tod die Seele zusammendrückt, wie der Schlaf die Augen, und wo man nur willenlos auszuführen glaubt, was eine unsichtbare Macht gebietet. Oh, ich kenn's; denn ich war so weit, daß ich selbst nicht weiß, warum ich nicht weiter ging! Das hat mit Mut und Feigheit nichts zu tun; es ist wie ein Abriegeln der Tür, wenn man schlafen will!
(Judith reicht ihm die Hand)
Judith, ich liebe dich, du liebst mich nicht. Du kannst für das eine nicht, ich kann nicht für das andere. Aber weißt du, was das heißt, zu lieben und verschmäht zu werden? Das ist nicht wie sonst ein Leid. Nimmt man mir heute etwas, so lern' ich morgen, daß ich's entbehren kann. Schlägt man mir eine Wunder, so hab' ich Gelegenheit, mich im Heilen zu versuchen. Aber behandelt man meine Liebe wie eine Torheit, so macht man das Heiligste in meiner Brust zur Lüge. Denn, wenn das Gefühl, was mich zu dir hinzieht, mich betrügt, welche Bürgschaft hab' ich, daß das, was mich vor Gott darniederwirft, Wahrheit ist?

Mirza
Fühlst du's nicht, Judith?

Judith
Kann Liebe Pflicht sein? Muß ich diesem meine Hand reichen, damit er seinen Dolch fallen läßt? Fast glaub' ich's!

Ephraim
Judith, ich werb' noch einmal um dich! Das heißt, ich werb' um die Erlaubnis, für dich zu sterben. Ich will nichts als der Schild sein, an dem die Schwerter, die dich bedrohen, sich stumpf hacken!

Judith
Ist dies derselbe Mensch, den ein Blick auf das Lager der Feinde entseelt zu haben schien? Der mir vorkam wie einer, dem ich einen von meinen Röcken borgen müsse? Sein Auge flammt, seine Faust ballt sich! O Gott, ich achte so gern, mir ist, als schnitt' ich in mein eignes Fleisch hinein, wenn ich jemanden verachten muß! Ephraim, ich habe dir weh getan! Es schmerzt mich! Ich wollte aufhören, in deinen Augen liebenswert zu sein, denn ich konnte dir nichts gewähren; darum spottete ich dein. Ich will dich belohnen, ich kann's! Aber weh dir, wenn du mich jetzt nicht verstehst, wenn, sowie ich das Wort ausspreche, die Tat nicht, gebietend wie die Notwendigkeit selbst, vor deine Seele hintritt, wenn dir's nicht ist, als lebtest du nur, um sie zu vollbringen. Geh hin und töte den Holofernes! Dann – dann fordere von mir den Lohn, den du willst!

Ephraim
Du rasest! Den Holofernes töten in der Mitte der Seinen? Wie wär's möglich!

Judith
Wie es möglich ist? Weiß ich's? Dann tät' ich's selbst! Ich weiß nur, daß es nötig ist.

Ephraim
Ich sah ihn nie, aber ich seh' ihn!

Judith
Ich auch, mit dem Antlitz, das ganz Auge ist, gebietendes Auge, und dem Fuß, vor dem die Erde, die er tritt, zurückzubeben scheint. Aber es gab eine Zeit, wo er nicht war; darum kann eine kommen, wo er nicht mehr sein wird!

Ephraim
Gib ihm den Donner und nimm ihm sein Heer, und ich wag's; aber jetzt –

Judith
Wolle nur! Und aus den Tiefen des Abgrunds herauf und von der Feste des Himmels herunter rufst du die heiligen, schützenden Kräfte, und sie segnen und schirmen dein Werk, wenn nicht dich! Denn du willst, was alles will; worüber die Gottheit brütet in ihrem ersten Zorn, und worüber die Natur, die vor der Riesengeburt ihres eigenen Schoßes zittert und die den zweiten Mann nicht erschaffen wird, oder nur darum, damit er den ersten vertilge, knirschend sinnt in qualvollem Traum!

Ephraim
Nur weil du mich hassest, weil du mich töten willst, forderst du das Undenkbare.

Judith
(glühend)
Ich hab' dir recht getan! Was? Solch ein Gedanke begeistert dich nicht? Er berauscht dich nicht einmal? Ich, die du liebst, ich, die ich dich über dich selbst erhöhen wollte, um dich wieder lieben zu können, ich leg' ihn dir in die Seele, und er ist dir nichts als eine Last, die dich nur tiefer in den Staub drückt? Sieh, wenn du ihn mit Jauchzen empfangen, wenn du stürmisch nach einem Schwert gegriffen und dir nicht einmal zum flüchtigen Lebewohl die Zeit genommen hättest, dann – oh, das fühl' ich – dann hätt' ich mich dir weinend in den Weg geworfen, ich hätte dir die Gefahr ausgemalt mit der Angst eines Herzens, das für sein Geliebtestes zittert, ich hätte dich zurückgehalten oder wäre dir gefolgt. Jetzt! – Ha! ich bin mehr als gerechtfertigt; deine Liebe ist die Strafe deiner armseligen Natur, sie ward dir zum Fluch, damit sie dich verzehre; ich würde mir zürnen, wenn ich mich auch nur auf einer Regung des Mitleids mit dir ertappte. Ich begreife dich ganz, ich begreife sogar, daß das Höchste dir sein muß wie das Gemeinste, daß du lächeln mußt, wenn ich bete!

Ephraim
Verachte mich! Aber erst' zeig' mir den, der das Unmögliche möglich macht!

Judith
Ich werd' ihn dir zeigen! Er wird kommen! Er muß ja kommen! Und ist deine Feigheit die deines ganzen Geschlechts, sehen alle Männer in der Gefahr nichts als die Warnung, sie zu vermeiden – dann hat ein Weib das Recht erlangt auf eine große Tat, dann – ha, ich hab' sie von dir gefordert, ich muß beweisen, daß sie möglich ist!


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