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Dritte Szene

Gerichtszimmer beim Amtmann von Bohus. Amtmann und Schreiber sitzen hinter der Schranke. Vor der Schranke stehen Pfarrer Arnesohn, Schiffer Frederik, der Bauer und seine Tochter Anne von Branehög und Torarin neben seiner Nichte Elsalil. Das Mädchen sitzt, ihr Gesicht ist von unnatürlicher Blässe und hat einen verstörten, starren Ausdruck.

Amtmann

Die Tat ist furchtbar! Über alles Maß
entmenscht und furchtbar! Wahrlich, ganz gewiß,
hochwürdigster Herr Pfarrer Arnesohn;
doch mäßigt Euch, Ihr schädigt sonst, weiß Gott,
den Gang des Rechts und hindert die Entdeckung.

Arnesohn

Das hoff ich nicht zu tun, Herr Amtmann! Nein!
Trotzdem ich Mäßigung in diesem Punkt
zu üben nun und nimmermehr gewillt bin.
Wer sie mir dennoch ansinnt, der begreift,
was mir geschehn, was mich betroffen, nicht.

Amtmann

Man weiß es, man begreift es.

Arnesohn

zu Elsalil

Mädchen, rede!
Denn wozu anders hätte sonst Gott dich,
nur grade dich, gerettet aus der Mordnacht?
Dich, die Geringste unter allen fast,
trug Gottes Racheengel durch das Blutbad,
damit ein Zeuge sei und auch ein Zeugnis
wider die schwarzen Bestien des Abgrunds.

Amtmann

Wir wissen, wie es mit dem Mädchen steht:
das Schrecknis, dessen Zeugin sie gewesen,
hat ihren Geist zerstört. Ihr hörtet ja,
daß sie auf Euer dringlichstes Ermahnen
nur dunkle, ungereimte Reden ausstößt.
Nein, dieser Zeugin Zeugnis bleibt heut wertlos;
vielleicht nicht so in Zukunft, wenn die Zeit
ihr ganz zerrüttetes Gemüt geheilt.
Geduld ist's, die hier einzig fördern kann,
indes unzeitiger Eifer alles hindert.

Arnesohn

Nichts von Geduld, Herr Amtmann, nichts von Zukunft!
Der Augenblick, das Heut, das Jetzt sind alles.
Wer von Geduld und Zukunft spricht, der baut
den Tätern goldne Brücken, drauf zu flüchten
Gibt so Justitia das Racheschwert
dem Roste preis, dann heißt es: hilf dir selber,
du, der umsonst nach ihrer Hilfe schreit!

Amtmann

Hochwürdigster Herr Pfarrer, nehmt Vernunft an.
Bei Gott, ich möchte nicht gezwungen sein,
Beleidigungen des Gerichts zu ahnden.

Arnesohn

Herr, Herr, Ihr predigt leicht Gelassenheit;
denkt Euch in das hinein, was mir geschehn ist,
und dann versucht es nochmals. Schlächter haben ...
bedenkt das: zu Solberga steht ein Pfarrhaus,
und Schlächter haben ... was sie abgeschlachtet,
sind Lämmer oder Rinder, meint Ihr? Weit
gefehlt! 's ist ein ehrwürdiger Greis: mein Vater!
's ist die ehrwürdige Pfarrfrau: meine Mutter!
's ist meine ... 's ist mein liebstes Kind ... erlaubt,
daß ich mich fasse! – Berghild heißt sie! Und
auf Böden, in den Ställen liegt umher
das Hausgesinde mit durchstochnen Gurgeln!
Ja! Zweifelt jemand dran? So ist es! So!
Nicht anders! Und nun predigt Mäßigung.

Amtmann

Nun, die Gerichtsbarkeit tut ihre Pflicht,
sie hat sich Säumigkeit nicht vorzuwerfen.
Es ist geschehn, was konnte – wird geschehn,
was möglich, die Verbrecher zu entdecken,
gleichviel, ob Ihr Euch mäßigt oder nicht.

Arnesohn

Nie kann genug geschehn in dieser Sache,
nie ist genug geschehn, solange nicht
unschuldiges Blut durch Mörderblut gesühnt ist.
Wie will ein Mensch im Lande Schweden künftig
noch lachen, wenn dies Unnatürliche
fortan als blutiges Geheimnis lastet
auf der entsetzten Christenheit? Wer schließt,
vom König bis zum Bettler, noch ein Auge
nachts, wissend, daß die Täter solcher Untat
vom Angesicht der Erde nicht getilgt sind?
Nochmals beschwör' ich dich zu reden, Mädchen.

Amtmann

Ich bin der Richter, und es steht bei mir,
bei keinem sonst, die Zeugen zu befragen.
Und hier sind welche, die noch bei Verstand sind.
Du bist der Schiffer Frederik?

Frederik

Jawohl, Herr.

Amtmann

Und du dort der Fischhändler Torarin?

Torarin

Jawohl, Herr Amtmann.

Amtmann

Und du dort der Wirt
zu Branehög, und dies ist deine Tochter?

Bauer

Ja, meine Tochter, namens Anne, Herr.

Amtmann

Nun also, ihr, ihr saht in jener Nacht ...
ihr alle hier saht drei verdächtige Männer,
die auf der Tenne deines Hofes, Bauer,
sich lange Messer schliffen?

Frederik, Torarin, Bauer, Anne

Ja, so ist's.

Amtmann

Erzählt uns nun den Vorfall nach der Reihe.

Torarin

Fang du an!

Bauer

Nein, fang du an, Torarin!

Torarin

Laß Frederik beginnen, den ich ja
bereits bei dir auf deinem Hofe antraf.

Frederik

Na ja, das waren so drei Kerls, Herr Amtmann.

Amtmann

Wie sahn sie aus?

Frederik

Gott straf mich, bös, nicht gut!
Schwarz! Recht wie schwarze Teufel aus der Hölle.

Amtmann

»Wildblume« heißt dein Schiff?

Frederik

'ne Galeasse,
die festgefroren jetzt im Eise sitzt.

Amtmann

Wie kamst du auf den Hof, was hattest du,
Schiffer, so spät in Branehög zu suchen?

Frederik

Gott helf mir, ganz was andres, als ich vorfand.

Amtmann

Was war's?

Frederik

Herr, 'ne Wehmutter sucht' ich, weil
mein Weib an Bord in Kindesnöten lag
und nirgend keine Hilfe.

Er weint.

Amtmann

Torarin,
wie kamst du auf den Hof?

Torarin

Mit Seefisch. Ich
wollte die Nacht noch weiter auf den Pfarrhof
zu Pfarrer Arne, weil das so der Brauch war
seit vielen Jahren.

Amtmann

Welches war der Brauch?

Torarin

Daß ich den Dorsch ihm brachte zum Geburtstag.

Arnesohn

Und mit dem Brauche grade brächest du
zum erstenmal, als ebendieser Brauch
des teuren Mannes Leben retten sollte.

Torarin

Das hab' ich selber schon gedacht, Herr Pfarrer.
Gott weiß, wie sehr mir mein Gewissen zusetzt.
Und doch war's diese Nacht, als hätte sich
der Himmel selber wider das verschworen.

Amtmann

Erzähl!

Torarin

Zuerst, als ich im Hofe einfuhr,
war mir's, als säße mir 'ne Mück' im Ohr
und zischte. Dacht' ich bei mir: he, was ist das?
Das muß wohl eine Satansmucke sein,
im Frein, bei Vollmond, wenn es Stein und Bein friert.

Arnesohn

ungeduldig

Ja, du bist jener Kluge, Torarin,
der Mücken seihet und Kamele einschluckt.

Amtmann

Herr Pfarrer, unterbrecht nicht! Weiter!

Torarin

Nun,
da sprangen die Mordkerle aus der Scheune.
Das kam so schnell, Herr Amtmann, daß ich gar
nicht recht mal wußte, ob es bloß ein Traum war.
Sie führten wirre Reden, nannten sich
ja doch Luftspringer, Iltis, Marder, Hecht!
Wollten auf einen Jahrmarkt und weiß Gott was.

Amtmann

Und fragten auch dabei nach Pfarrer Arne?

Arnesohn

Das taten sie, das gibt den Ausschlag! ja.
Du hättest rennen müssen durch den Eissturm,
durch Eis und Feuer, barfuß meinethalb,
um meinem Vater die Gefahr zu melden.
Und wärst du, mit der Warnung auf der Zunge,
verröchelt auf der Schwelle zu Solberga.

Torarin

So ist's, das streit' ich nicht. Mir sollt' es recht sein.

Arnesohn

Denn was warst du dem teuren Gottesmann
nicht alles schuldig! Deine Schwester starb
in Sünden, eines grauenvollen Tods,
und ward begraben außerhalb des Kirchhofs.
Des Sündenkinds, das sie geboren hatte,
mein edler Vater nahm sich seiner an:
hier hockt es! Und er hielt sie wie 'ne Tochter.

Torarin

Habt Mitleid!

Arnesohn

Was ist Mitleid? Hatten die
Bluthunde etwa Mitleid? Fand das Flehn
der armen Opfer um ihr Leben wohl
Gehör bei jenen Ungeheuern, die
mein Liebstes ohne Gnade meuchelten?

Amtmann

Nun sei's genug, Herr Pfarrer! Jetzt kein Wort mehr.
Ich beuge mich vor Eurem Schmerz, allein,
unedel ist's, wie Ihr dem schlichten Mann
zusetzt. Es geht nicht an, sonst irgendwem
die Schuld an jener Untat zuzuschieben
als ihren Tätern selbst.

Zu Torarin

Erzähle nun,
was du erlebtest, was dich hinderte,
bei guter Zeit auf der Pfarrei zu sein.

Torarin

Gott, Gott! – Der Wind, der Schnee hat mich gehindert.
Schneewehen, haushoch, deckten Weg und Steg;
zu zwein selbst, Schiffer Frederik war mit mir,
gab's mit dem Schlitten bald kein Vorwärtskommen.
Da blieb mir nur der Umweg übers Eis.
Die Luft war still und klar bis dahin. Ja,
bis dahin. Plötzlich aber brach ein Sturm los,
daß alle Sterne nur so fackelten. –
Da konnten wir auch übers Eis nicht weiter.
Gelt, Frederik? Wir haben uns gestemmt
gut eine Stunde an der gleichen Stelle.
Der Himmel weiß, wie mir zumute war,
doch einem Menschen kann ich's nicht erklären.
Was war das für ein Sturm! Wer will es sagen?
Erstlich der Teufelsspuk zu Branehög,
und jetzt das Höllenwetter auf den Buchten ...

Arnesohn

Mein Vater war ein Streiter Gottes, war
untadeligen Lebens: meinest du,
daß über einen solchen Gottesmann
dämonisches Geschmeiß der Hölle Macht hat?

Amtmann

Du fandest deine Frau in Kindesnöten,
Schiffer?

Frederik

So war's. Wir hörten ihr Geschrei
'ne Meile schon von Bord her durch die Sturmnacht.

Amtmann

Und weil du dich auf mancherlei verstehst,
so bat er dich, dem Weibe beizustehn,
und du stiegst mit an Bord, ihm zu willfahren?

Torarin

Nicht anders war's.

Arnesohn

Indes verfloß die Zeit,
der Pfarrhof ward den Mördern preisgegeben.

Amtmann

Du sahst, so steht im ersten Protokoll,
östlich von Deck die Röte eines Brandes?

Torarin

Was soll ich weiter sagen? Ja doch, ja,
und ich beeilte mich, obschon ich nicht
von weitem an Solberga dachte oder,
es brenne etwa Pfarrer Arnes Pfarrhof.

Amtmann

Nun sagt das Protokoll, du seiest Leuten
begegnet ...

Torarin

Nicht begegnet. Stimmen hört' ich
von Männern, die ein Pferd antrieben. Hü!
und Hott! klang übers Eis und pfeifender
Laut von geschwungner Peitsche. Und, Herr Amtmann,
mir stand das Blut still, ich gesteh' es Euch,
so grausig und gespenstisch klang es.

Amtmann

Wohl,
die Laute schwanden auf die Wacke zu,
die wie ein großer See im Eis sich auftut.

Torarin

So war's, bei Gott. Und dann mit einemmal
kam Höllenlärm von dorther, von der Wacke,
als wären tausend Teufel aufgescheucht
und Hunderttausende verdammter Seelen
kreischten verzweifelt durcheinander. Ein
Gewölk von taumelndem Gefieder, schwarz,
stieg in die Nacht und fast bis an die Sterne.

Arnesohn

Und daraus wird der Schluß gezogen, daß
die Mörder dort ertrunken sind. Mit Unrecht!
Ich kenne diese Weise längst genugsam,
sie ist ein Schlaflied der Gerechtigkeit.

Amtmann

Ihr irrt, Herr Pfarrer.

Arnesohn

Meines Vaters Gold
hat man auf einem Schlitten fortgeführt,
das Fuhrwerk zog der alte Pfarrhausschimmel;
dies ist gewiß! Niemand bestreitet auch,
daß Gaul und Schlitten unterm Eise faulen.
Die Mordgesellen aber strichen ab,
die fernre Spur nach Möglichkeit verwischend: –
gelang es, den Verfolgern weiszumachen,
sie seien eingebrochen und ertrunken,
dann konnten sie erst recht in Sicherheit
sich mästen an den Früchten ihrer Schandtat.

Amtmann

Du kamst der Wacke nah. Sprich, Torarin.
Sprich frei heraus und laß dich nicht beirren.
Du neigst, ich weiß es, jener Meinung zu,
die hier Herr Arnesohn so schroff bestreitet.

Torarin

Das tu' ich, ja, Herr Amtmann.

Amtmann

Gib den Grund an.

Torarin

Nun ja. Ihr wißt, wo ich das Mädchen fand.
Zehn Schuh weit von dem Rand der Wacke kaum
nahm ich für tot sie auf. Als es geschehn war,
da kamen schon die Leute von Solberga
und sprachen durcheinander von der Mordtat.
Ich traute meinen Ohren nicht. Ich griff
mir an die Stirn, kniff selbst mir in den Arm,
sagt selbst: dies mußte wohl ein böser Traum sein.
Doch endlich ward mir klar, daß es kein Traum war.
Mit beiden Händen griff ich meine Schläfen,
weil ich beinah von Sinnen kam. Und sie
schrie immerzu: »Die Mörder sind ertrunken!«

Arnesohn

Sie log! Sie weiß es anders! Ja, bei Gott!
Zwar nicht aus freiem Willen log sie, nein:
der Hurenbuben und der Mörder Schutzgeist,
er kreischt heraus, was sie nicht sagen will,
und was sie sagen will, hält er gebunden.
Seht sie doch an! Scheint nicht ihr Geist geschlossen
mit Ketten? Gleitet über ihr Gesicht
nicht grüblerische Qual der Ohnmacht? Kurz:
Hier ist die Wissende! Hier ist sie! Hier!
Sie ist und bleibt das Werkzeug der Vergeltung. –
Scheinst du jetzt blind, einst wirst du wieder sehn
und mit den Fingern weisen auf die Täter. –
Wir werden mit ihr beten, werden den
Feind Gottes in ihr Tag und Nacht bekämpfen
mit Gott und Gottes Wort. Und du wirst nicht
noch einmal etwa, als saumseliger Christ,
der Hölle Vorschub tun. Ihr Plan war fein
und dennoch wohl durchschaubar: denn es galt,
den Gottesmann, des Glaubens festen Eckstein,
in Schmach zu stampfen und zu schleifen, und
das Volk soll wispern: nun, da sieht man's, wes
Geistes die Arnes und die Arnesohns
im Grunde sind. Gott selbst hat sie verworfen!
Wohl also! Nein, nicht so, Herr Luzifer!
Ich denke mich nicht dreinzufinden, und
der Herrgott wird dies auch nicht wollen, nein!
Nein, nein und nein! Ich sage nein! Gewiß nicht!
Und fügt sich's anders, sollte etwa Gott
schweigen, das Rachewort, das Richterwort
nicht sprechen, fällt sein Ratschluß etwa so,
daß er und auch die Tat in Nacht verhüllt bleibt,
so bin ich ferner seines Dienstes unwert.
Dann steht die Kirche voller Flammen, und
der Herde Schicksal ist besiegelt. Ich,
der Hirte aber, bin vielleicht alsdann
Wolf unter Wölfen noch und reiße Lämmer.

Er läuft hinaus.

Amtmann

Bei Gott: ein wilder, hünenhafter Mann.
Wie lebt in ihm die Kraft des toten Vaters!
Welch ein Geschlecht! Kein beßres kennt der Nord.


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