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Zeit: wenige Minuten nach dem Vorfall zwischen Helene und ihrer Stiefmutter im Hofe. Der Schauplatz ist der des ersten Vorgangs.
Dr. Schimmelpfennig sitzt, ein Rezept schreibend, Schlapphut, Zwirnhandschuhe und Stock vor sich auf der Tischplatte, an dem Tisch links im Vordergrunde. Er ist von Gestalt klein und gedrungen, hat schwarzes Wollhaar und einen ziemlich starken Schnurrbart. Schwarzer Rock im Schnitt der Jägerschen Normalröcke. Die Kleidung im ganzen solid, aber nicht elegant. Hat die Gewohnheit, fast ununterbrochen seinen Schnurrbart zu streichen oder zu drehen, um so stärker, je erregter er innerlich wird. Sein Gesichtsausdruck, wenn er mit Hoffmann redet, ist gezwungen ruhig, ein Zug von Sarkasmus liegt um seine Mundwinkel. Seine Bewegungen sind lebhaft, fest und eckig, durchaus natürlich. Hoffmann, in seidenem Schlafrock und Pantoffeln, geht umher. Der Tisch rechts im Hintergrunde ist zum Frühstück hergerichtet. Feines Porzellan. Gebäck, Rumkaraffe usw.
Hoffmann. Herr Doktor, sind Sie mit dem Aussehen meiner Frau zufrieden?
Dr. Schimmelpfennig Sie sieht ja ganz gut aus, warum nicht.
Hoffmann. Denken Sie, daß alles gut vorübergehen wird?
Dr. Schimmelpfennig Ich hoffe.
Hoffmann, nach einer Pause, zögernd. Herr Doktor, ich habe mir vorgenommen – schon seit Wochen –, Sie, sobald ich hierherkäme, in einer ganz bestimmten Sache um Ihren Rat zu bitten.
Dr. Schimmelpfennig, der bis jetzt unter dem Schreiben geantwortet hat, legt die Feder beiseite, steht auf und übergibt Hoffmann das geschriebene Rezept. So! ... das lassen Sie wohl bald machen. Indem er Hut, Handschuhe und Stock nimmt. Über Kopfschmerz klagt Ihre Frau. In seinen Hut blickend, geschäftsmäßig. Ehe ich es vergesse: suchen Sie doch Ihrer Frau begreiflich zu machen, daß sie für das kommende Lebewesen einigermaßen verantwortlich ist, ich habe ihr bereits selbst einiges gesagt – über die Folgen des Schnürens.
Hoffmann. Ganz gewiß, Herr Doktor ... ich will ganz gewiß mein möglichstes tun, ihr ...
Dr. Schimmelpfennig, sich ein wenig linkisch verbeugend. Empfehle mich. Geht, bleibt wieder stehen. Ach so! ... Sie wollten ja meinen Rat hören. Er blickt Hoffmann kalt an.
Hoffmann. Ja, wenn Sie noch einen Augenblick Zeit hätten ... Nicht ohne Affektiertheit. Sie kennen das entsetzliche Ende meines ersten Jungen. Sie haben es ja ganz aus der Nähe gesehen. Wie weit ich damals war, wissen Sie ja wohl auch. – Man glaubt es nicht, dennoch: die Zeit mildert! ... Schließlich habe ich sogar noch Grund zur Dankbarkeit, mein sehnlichster Wunsch soll, wie es scheint, erfüllt werden. Sie werden begreifen, daß ich alles tun muß ... Es hat mich schlaflose Nächte genug gekostet, und doch weiß ich noch nicht, noch immer nicht, wie ich es anstellen soll, um das jetzt noch ungeborene Geschöpf vor dem furchtbaren Schicksale seines Brüderchens zu bewahren. Und das ist es, weshalb ich Sie ...
Dr. Schimmelpfennig, trocken und geschäftsmäßig. Von seiner Mutter trennen: Grundbedingung einer gedeihlichen Entwickelung.
Hoffmann. Also doch?! – Meinen Sie, völlig trennen? ... Soll es auch nicht in demselben Hause mit ihr ...?
Dr. Schimmelpfennig. Nein, wenn es Ihnen ernst ist um die Erhaltung Ihres Kindes, dann nicht. Ihr Vermögen gestattet Ihnen ja in dieser Beziehung die freieste Bewegung.
Hoffmann. Gott sei Dank, ja! Ich habe auch schon in der Nähe von Hirschberg eine Villa mit sehr großem Park angekauft. Nur wollte ich auch meine Frau ...
Dr. Schimmelpfennig dreht seinen Bart und starrt auf die Erde. Unter Nachdenken. Kaufen Sie doch Ihrer Frau irgendwo anders eine Villa ...
Hoffmann zuckt die Achseln.
Dr. Schimmelpfennig, wie vorher. Könnten Sie nicht – Ihre Schwägerin – für die Aufgabe, dieses Kind zu erziehen, interessieren?
Hoffmann. Wenn Sie wüßten, Herr Doktor, was für Hindernisse ... außerdem: ein unerfahrenes junges Ding ... Mutter ist doch Mutter.
Dr. Schimmelpfennig Sie wissen meine Meinung. Empfehle mich.
Hoffmann, mit Überfreundlichkeit um ihn herumkomplimentierend. Empfehle mich ebenfalls! Ich bin Ihnen äußerst dankbar ... Beide ab durch die Mitteltür.
Helene, das Taschentuch vor den Mund gepreßt, schluchzend, außer sich, kommt herein und läßt sich auf das Sofa links vorn hinfallen. Nach einigen Augenblicken tritt Hoffmann, Zeitungsblätter in den Händen haltend, abermals ein.
Hoffmann. Was ist denn das –? Sag mal, Schwägerin! soll denn das noch lange so fortgehen? – Seit ich hier bin, vergeht nicht ein Tag, an dem ich dich nicht weinen sehe.
Helene. Ach! – was weißt du!? – Wenn du überhaupt Sinn für so was hätt'st, dann würdst du dich vielmehr wundern, wenn ich mal nicht weinte.
Hoffmann. – Das leuchtet mir nicht ein, Schwägerin!
Helene. Mir um so mehr!
Hoffmann. ... Es muß doch wieder was passiert sein, hör mal!
Helene springt auf, stampft mit dem Fuße. Pfui! Pfui! ... und ich mag's nicht mehr leiden ... das hört auf! ich lasse mir das nicht mehr bieten! ich sehe nicht ein, warum ... ich ... In Weinen erstickend.
Hoffmann. Willst du mir denn nicht wenigstens sagen, worum sich's handelt, damit ...
Helene, aufs neue heftig ausbrechend. Alles ist mir egal! Schlimmer kann's nicht mehr kommen: – einen Trunkenbold von Vater hat man, ein Tier – vor dem die ... die eigene Tochter nicht sicher ist. – Eine ehebrecherische Stiefmutter, die mich an ihren Galan verkuppeln möchte ... Dieses ganze Dasein überhaupt. – Nein –! ich sehe nicht ein, wer mich zwingen kann, durchaus schlecht zu werden. Ich gehe fort! ich renne fort – und wenn ihr mich nicht loslaßt, dann ... Strick. Messer, Revolver! ... mir egal! – ich will nicht auch zum Branntwein greifen wie meine Schwester.
Hoffmann, erschrocken, packt sie am Arm. Lene! ... Ich sag' dir, still! ... davon still!
Helene. Mir egal! ... mir ganz egal! – Man ist ... man muß sich schämen bis in die Seele nein. – Man möchte was wissen, was sein, was sein können – und was ist man nu?
Hoffmann, der ihren Arm noch nicht wieder losgelassen, fängt an, das Mädchen allmählich nach dem Sofa hinzudrängen. Im Tone seiner Stimme liegt nun plötzlich eine weichliche, übertriebene, gleichsam vibrierende Milde. Lenchen –! Ich weiß ja recht gut, daß du hier manches auszustehen hast. Sei nur ruhig ...! brauchst es mir gar nicht zu sagen. Er legt die Rechte liebkosend auf ihre Schulter, bringt sein Gesicht nahe dem ihren. Ich kann dich gar nicht weinen sehen. Wahrhaftig! – 's tut mir weh. Sieh doch nur aber die Verhältnisse nicht schwärzer, als sie sind –; und dann: – hast du vergessen, daß wir beide – du und ich – sozusagen in der gleichen Lage sind? – Ich bin in diese Bauernatmosphäre hineingekommen ... passe ich hinein? Genauso wenig wie du hoffentlich.
Helene, immer noch weinend. Hätte mein – gutes – M–Muttelchen das geahnt – als sie ... als sie bestimmte – daß ich in Herrnhut – erzogen ... erzogen werden sollte. Hätte sie – mich lieber ... mich lieber zu Hause gelassen, dann hätte ich ... hätte ich wenigstens – nichts anderes kennengelernt, wäre in dem Sumpf hier auf ... aufgewachsen. – Aber so ...
Hoffmann hat Helene sanft auf das Sofa gezwungen und sitzt nun, eng an sie gedrängt, neben ihr. Immer auffälliger verrät sich in seinen Tröstungen das sinnliche Element. Lenchen –! Sieh mich an, laß das gut sein, tröste dich mit mir. – Ich brauche dir von deiner Schwester nicht zu sprechen. Heiß und mit Innigkeit, indem er sie enger umschlingt. Ja, wäre sie, wie du bist! ... So aber ... sag selbst: was kann sie mir sein? – Wo lebt ein Mann, Lenchen, ein gebildeter Mann, – leiser – dessen Frau von einer so unglückseligen Leidenschaft befallen ist? – Man darf es gar nicht laut sagen: eine Frau – und – Branntwein ... Nun, sprich, bin ich glücklicher? ... Denk an mein Fritzchen! – Nun? ... bin ich am Ende besser dran, wie? ... Immer leidenschaftlicher. Siehst du: so hat's das Schicksal schließlich noch gut gemeint. Es hat uns zueinandergebracht. – Wir gehören füreinander! Wir sind zu Freunden vorausbestimmt, mit unsren gleichen Leiden. Nicht, Lenchen? Er umschlingt sie ganz. Sie läßt es geschehen, aber mit einem Ausdruck, der besagt, daß sie sich zum Dulden zwingt. Sie ist still geworden und scheint mit zitternder Spannung etwas zu erwarten, irgendeine Gewißheit, eine Enthüllung, die unfehlbar herankommt.
Hoffmann, zärtlich. Du solltest meinem Vorschlag folgen, solltest dies Haus verlassen, bei uns wohnen. – Das Kindchen, das kommt, braucht eine Mutter. – Komm! sei du ihm das, – leidenschaftlich, gerührt, sentimental – sonst hat es eben keine Mutter. Und dann: – bring ein wenig, nur ein ganz, ganz klein wenig Licht in mein Leben. Tuu's! – Tu-'s! Er will seinen Kopf an ihre Brust lehnen. Sie springt auf, empört. In ihren Mienen verrät sich Verachtung, Überraschung, Ekel, Haß.
Helene. Schwager! Du bist, du bist ... Jetzt kenn' ich dich durch und durch. Bisher hab' ich's nur so dunkel gefühlt. Jetzt weiß ich's ganz gewiß.
Hoffmann, überrascht, fassungslos. Was ...? Helene ... einzig, wirklich ...
Helene. Jetzt weiß ich ganz gewiß, daß du nicht um ein Haar besser bist ... was denn! schlechter bist du, der Schlechtste von allen hier!
Hoffmann steht auf; mit angenommener Kälte. Dein Betragen heut ist sehr eigentümlich, weißt du!
Helene tritt nahe zu ihm. Du gehst doch nur auf das eine Ziel los. Halblaut in sein Ohr. Aber du hast ganz andere Waffen als Vater und Stiefmutter oder der ehrenfeste Herr Bräutigam, ganz andere. Gegen dich gehalten sind sie Lämmer, alle mitnander. Jetzt, jetzt auf einmal, jetzt eben ist mir das sonnenklar geworden.
Hoffmann, in erheuchelter Entrüstung. Lene! Du bist ... du bist nicht bei Trost, das ist ja heller Wahn ... Er unterbricht sich, schlägt sich vor den Kopf. Gott, wie wird mir denn auf einmal, natürlich! ... du hast ... es ist freilich noch sehr früh am Tage, aber ich wette, du hast ... Helene, du hast heut früh schon mit Alfred Loth geredet.
Helene. Weshalb sollte ich denn nicht mit ihm geredet haben? Es ist ein Mann, vor dem wir uns alle verstecken müßten vor Scham, wenn es mit rechten Dingen zuginge.
Hoffmann. Also wirklich! ... Achsooo! ... na jaaa! ... allerdings ... da darf ich mich weiter nicht wundern. – So, so, so, hat also die Gelegenheit benützt, über seinen Wohltäter 'n bißchen herzuziehen. Man sollte immer auf dergleichen gefaßt sein, freilich!
Helene. Schwager! das ist nun geradezu gemein.
Hoffmann. Finde ich beinah auch!
Helene. Kein Sterbenswort, nicht ein Sterbenswort hat er gesagt über dich.
Hoffmann, ohne darauf einzugehen. Wenn die Sachen so liegen, dann ist es geradezu meine Pflicht, ich sage, meine Pflicht, als Verwandter, einem so unerfahrenen Mädchen gegenüber, wie du bist ...
Helene. Unerfahrenes Mädchen –? Wie du mir vorkommst!
Hoffmann, aufgebracht. Auf meine Verantwortung ist Loth hier ins Haus gekommen. Nun mußt du wissen: – er ist – gelinde gesprochen – ein höchst ge-fähr-licher Schwärmer, dieser Herr Loth.
Helene. Daß du das von Herrn Loth sagst, hat für mich so etwas – Verkehrtes – etwas lächerlich Verkehrtes.
Hoffmann. Ein Schwärmer, der die Gabe hat, nicht nur Weibern, sondern auch vernünftigen Leuten die Köpfe zu verwirren.
Helene. Siehst du: wieder so eine Verkehrtheit! Mir ist es nach den wenigen Worten, die ich mit Herrn Loth geredet habe, so wohltuend klar im Kopfe ...
Hoffmann, im Tone eines Verweises. Was ich dir sage, ist durchaus nichts Verkehrtes.
Helene. Man muß für das Verkehrte einen Sinn haben, und den hast du eben nicht.
Hoffmann, wie vorher. Davon ist jetzt nicht die Rede. Ich erkläre dir nochmals, daß ich dir nichts Verkehrtes sage, sondern etwas, was ich dich bitten muß, als tatsächlich wahr hinzunehmen ... Ich habe es an mir erfahren: er benebelt einem den Kopf, und dann schwärmt man von Völkerverbrüderung, von Freiheit und Gleichheit, setzt sich über Sitte und Moral hinweg ... Wir wären damals um dieser Hirngespinste willen – weiß der Himmel – über die Leichen unserer Eltern hinweggeschritten, um zum Ziele zu gelangen. Und er, sage ich dir, würde erforderlichenfalls noch heute dasselbe tun.
Helene. Wie viele Eltern mögen wohl alljährlich über die Leichen ihrer Kinder schreiten, ohne daß jemand ...
Hoffmann, ihr in die Rede fallend. Das ist Unsinn! Da hört alles auf! ... Ich sage dir, nimm dich vor ihm in acht, in jeder ... ich sage ganz ausdrücklich, in jeder Beziehung. – Von moralischen Skrupeln ist da keine Spur.
Helene. Nee, wie verkehrt dies nun wieder ist. Glaub mir, Schwager, fängt man erst mal an drauf zu achten ... es ist so schrecklich interessant ...
Hoffmann. Sag doch, was du willst, gewarnt bist du nun. Ich will dir nur noch ganz im Vertrauen mitteilen: ein Haar, und ich wäre damals durch ihn und mit ihm greulich in die Tinte geraten.
Helene. Wenn dieser Mensch so gefährlich ist, warum freutest du dich denn gestern so aufrichtig, als ...
Hoffmann. Gott ja, er ist eben ein Jugendbekannter! Weißt du denn, ob nicht ganz bestimmte Gründe vorlagen ...
Helene. Gründe? Wie denn?
Hoffmann. Nur so. – Käme er allerdings heut und wüßte ich, was ich jetzt weiß –
Helene. Was weißt du denn nur? Ich sagte dir doch bereits, er hat kein Sterbenswort über dich verlauten lassen.
Hoffmann. – Verlaß dich drauf! Ich hätte mir's zweimal überlegt und mich wahrscheinlich sehr in acht genommen, ihn hierzubehalten. Loth ist und bleibt 'n Mensch, dessen Umgang kompromittiert. Die Behörden haben ihn im Auge.
Helene. Ja, hat er denn ein Verbrechen begangen?
Hoffmann. Sprechen wir lieber darüber nicht. Laß es dir genug sein, Schwägerin, wenn ich dir die Versicherung gebe: mit Ansichten, wie er sie hat, in der Welt umherzulaufen, ist heutzutage weit schlimmer und vor allem weit gefährlicher als stehlen.
Helene. Ich will's mir merken. – Nun aber – Schwager! hörst du? Frag mich nicht – wie ich nach deinen Reden über Herrn Loth noch von dir denke. – Hörst du?
Hoffmann, zynisch kalt. Denkst du denn wirklich, daß mir so ganz besonders viel daran liegt, das zu wissen? Er drückt den Klingelknopf. Übrigens höre ich ihn da eben hereinkommen. Loth tritt ein. Nun –? gut geschlafen, alter Freund?
Loth. Gut, aber nicht lange. Sag doch mal: ich sah da vorhin jemand aus dem Haus kommen, einen Herrn.
Hoffmann. Vermutlich der Doktor, der soeben hier war. Ich erzählte dir ja ... dieser eigentümliche Mischmasch von Härte und Sentimentalität.
Helene verhandelt mit Eduard, der eben eingetreten ist. Er geht ab und serviert kurz darauf Tee und Kaffee.
Loth. Dieser Mischmasch, wie du dich ausdrückst, sah nämlich einem alten Universitätsfreunde von mir furchtbar ähnlich – ich hätte schwören können, daß er es sei – einem gewissen Schimmelpfennig.
Hoffmann, sich am Frühstückstisch niederlassend. Nu ja, ganz recht: Schimmelpfennig!
Loth. Ganz recht? Was?
Hoffmann. Er heißt in der Tat Schimmelpfennig.
Hoffmann. Du sagtest es doch eben. Ja, der Doktor.
Loth. Dann ... das ist aber auch wirklich wunderlich! Unbedingt ist er's dann.
Hoffmann. Siehst du wohl, schöne Seelen finden sich zu Wasser und zu Lande. Du nimmst mir's nicht übel, wenn ich anfange; wir wollten uns nämlich gerade zum Frühstück setzen. Bitte, nimm Platz! Du hast doch wohl nicht schon irgendwo gefrühstückt?
Loth. Nein!
Hoffmann. Nun dann, also. Er rückt, selbst sitzend, Loth einen Stuhl zurecht. Hierauf zu Eduard, der mit Tee und Kaffee kommt. Ä! wird ... e ... meine Frau Schwiegermama nicht kommen?
Eduard. Die gnädige Frau und Frau Spiller werden auf ihrem Zimmer frühstücken.
Hoffmann. Das ist aber doch noch nie ...
Helene, das Service zurechtrückend. Laß nur! Es hat seinen Grund.
Hoffmann. Ach so ... Loth, lang zu ... ein Ei? Tee?
Loth. Könnte ich vielleicht lieber ein Glas Milch bekommen?
Hoffmann. Mit dem größten Vergnügen.
Helene. Eduard! Miele soll frisch einmelken.
Hoffmann schält ein Ei ab. Milch – brrr! mich schüttelt's. Salz und Pfeffer nehmend. Sag mal, Loth, was führt dich eigentlich in unsre Gegend? Ich hab' bisher ganz vergessen, dich danach zu fragen.
Loth bestreicht eine Semmel mit Butter. Ich möchte die hiesigen Verhältnisse studieren.
Hoffmann, mit einem Aufblick. Bitte ...? ... Was für Verhältnisse?
Loth. Präzise gesprochen: Ich will die Lage der hiesigen Bergleute studieren.
Hoffmann. Ach, die ist im allgemeinen doch eine sehr gute.
Loth. Glaubst du? – Das wäre ja übrigens recht schön ... Doch eh ich's vergesse: du mußt mir dabei einen Dienst leisten. Du kannst dich um die Volkswirtschaft sehr verdient machen, wenn ...
Hoffmann. Ich? I! wieso ich?
Loth. Nun, du hast doch den Verschleiß der hiesigen Gruben?
Hoffmann. Ja! und was dann?
Loth. Dann wird es dir auch ein leichtes sein, mir die Erlaubnis zur Besichtigung der Gruben auszuwirken. Das heißt: ich will mindestens vier Wochen lang täglich einfahren, damit ich den Betrieb einigermaßen kennenlerne.
Hoffmann, leichthin. Was du da unten zu sehen bekommst, willst du dann wohl schildern?
Loth. Ja. Meine Arbeit soll vorzugsweise eine deskriptive werden.
Hoffmann. Das tut mir nun wirklich leid, mit der Sache habe ich gar nichts zu tun. – Du willst bloß über die Bergleute schreiben, wie?
Loth. Aus dieser Frage hört man, daß du kein Volkswirtschaftler bist.
Hoffmann, in seinem Dünkel gekränkt. Bitte sehr um Entschuldigung! Du wirst mir wohl zutrauen ... Warum? Ich sehe nicht ein, wieso man diese Frage nicht tun kann? – und schließlich: es wäre kein Wunder ... Alles kann man nicht wissen.
Loth. Na, beruhige dich nur, die Sache ist einfach die: wenn ich die Lage der hiesigen Bergarbeiter studieren will, so ist es unumgänglich, auch alle die Verhältnisse, welche diese Lage bedingen, zu berühren.
Hoffmann. In solchen Schriften wird mitunter schauderhaft übertrieben.
Loth. Von diesem Fehler gedenke ich mich frei zu halten.
Hoffmann. Das wird sehr löblich sein. Er hat bereits mehrmals und jetzt wiederum mit einem kurzen und prüfenden Blick Helenen gestreift, die mit naiver Andacht an Loths Lippen hängt, und fährt nun fort. Doch ... es ist urkomisch, wie einem so was ganz urplötzlich in den Sinn kommt. Wie so etwas im Gehirn nur vor sich gehen mag?
Loth. Was ist dir denn auf einmal in den Sinn gekommen?
Hoffmann. Es betrifft dich. – Ich dachte an deine Ver... nein, es ist am Ende taktlos, in Gegenwart von einer jungen Dame von deinen Herzensgeheimnissen zu reden.
Helene. Ja, dann will ich doch lieber ...
Loth. Bitte sehr, Fräulein! ... bleiben Sie ruhig, meinetwegen wenigstens – ich merke längst, worauf er hinauswill. Ist auch durchaus nichts Gefährliches. Zu Hoffmann. Meine Verlobung, nicht wahr?
Hoffmann. Wenn du selbst darauf kommst, ja! – – Ich dachte in der Tat an deine Verlobung mit Anna Faber.
Loth. Die ging auseinander – naturgemäß – als ich damals ins Gefängnis mußte.
Hoffmann. Das war aber nicht hübsch von deiner ...
Loth. Es war jedenfalls ehrlich von ihr! Ihr Absagebrief enthielt ihr wahres Gesicht; hätte sie mir dies Gesicht früher gezeigt, dann hätte sie sich selbst und auch mir manches ersparen können.
Hoffmann. Und seither hat dein Herz nicht irgendwo festgehakt?
Loth. Nein.
Hoffmann. Natürlich! Nun: Büchse ins Korn geworfen – Heiraten verschworen! verschworen wie den Alkohol! Was? Übrigens: chacun à son goût.
Loth. Mein Geschmack ist es eben nicht, aber vielleicht mein Schicksal. Auch habe ich dir, soviel ich weiß, bereits einmal gesagt, daß ich in bezug auf das Heiraten nichts verschworen habe; was ich fürchte, ist: daß es keine Frau geben wird, die sich für mich eignet.
Hoffmann. Ein großes Wort, Lothchen!
Loth. Im Ernst! – Mag sein, daß man mit den Jahren zu kritisch wird und zu wenig gesunden Instinkt besitzt. Ich halte den Instinkt für die beste Garantie einer geeigneten Wahl.
Hoffmann, frivol. Der wird sich schon noch mal wieder finden, – lachend – der Instinkt nämlich.
Loth. – Schließlich, was kann ich einer Frau bieten? Ich werde immer mehr zweifelhaft, ob ich einer Frau zumuten darf, mit dem kleinen Teile meiner Persönlichkeit vorliebzunehmen, der nicht meiner Lebensarbeit gehört – dann fürchte ich mich auch vor der Sorge um die Familie.
Hoffmann. Wa... was? – vor der Sorge um die Familie? Kerl! hast du denn nicht Kopf, Arme, he?
Loth. Wie du siehst. Aber ich sagte dir ja schon, meine Arbeitskraft gehört zum größten Teil meiner Lebensaufgabe und wird ihr immer zum größten Teil gehören: sie ist also nicht mehr mein. Ich hätte außerdem mit ganz besonderen Schwierigkeiten ...
Hoffmann. Pst! klingelt da nicht jemand?
Loth. Du hältst das für Phrasengebimmel?
Hoffmann. Ehrlich gesprochen, es klingt etwas hohl! Unsereiner ist schließlich auch kein Buschmann, trotzdem man verheiratet ist. Gewisse Menschen gebärden sich immer, als ob sie ein Privilegium auf alle in der Welt zu vollbringenden guten Taten hätten.
Loth, heftig. Gar nicht! – denk' ich gar nicht dran! – Wenn du von deiner Lebensaufgabe nicht abgekommen wärst, so würde das an deiner glücklichen materiellen Lebenslage mit liegen.
Hoffmann, mit Ironie. Dann wäre das wohl auch eine deiner Forderungen.
Loth. Wie? Forderungen? was?
Hoffmann. Ich meine: du würdest bei einer Heirat auf Geld sehen.
Loth. Unbedingt.
Hoffmann. Und dann gibt es – wie ich dich kenne – noch eine lange Zaspel anderer Forderungen.
Loth. Sind vorhanden! Leibliche und geistige Gesundheit der Braut zum Beispiel ist conditio sine qua non.
Hoffmann, lachend. Vorzüglich, dann wird ja wohl vorher eine ärztliche Untersuchung der Braut notwendig werden! – Göttlicher Hecht!
Loth, immer ernst. Ich stelle aber auch an mich Forderungen, mußt du nehmen.
Hoffmann, immer heiterer. Ich weiß, weiß! ... wie du mal die Literatur über Liebe durchgingst, um auf das gewissenhafteste festzustellen, ob das, was du damals für irgendeine Dame empfandest, auch wirklich Liebe sei. Also sag doch mal noch einige deiner Forderungen.
Loth. Meine Frau müßte zum Beispiel entsagen können.
Helene. – Wenn ... wenn ... Ach! ich will lieber nicht reden ... ich wollte nur sagen: die Frau ist doch im allgemeinen ans Entsagen gewöhnt.
Loth. Ums Himmels willen! Sie verstehen mich durchaus falsch. So ist das Entsagen nicht gemeint. Nur insofern verlange ich Entsagung, oder besser, nur auf den Teil meines Wesens, der meiner Lebensaufgabe gehört, müßte sie freiwillig und mit Freuden verzichten. Nein, nein! im übrigen soll meine Frau fordern und immer fordern – alles, was ihr Geschlecht im Laufe der Jahrtausende eingebüßt hat.
Hoffmann. Au! au! au! ... Frauenemanzipation! – wirklich, deine Schwenkung war bewunderungswürdig – nun bist du ja im rechten Fahrwasser. Alfred Loth oder der Agitator in der Westentasche! ... Wie würdest du denn hierin deine Forderungen formulieren, oder besser: wie weit müßte deine Frau emanzipiert sein? – Es amüsiert mich wirklich, dich anzuhören – Zigarren rauchen? Hosen tragen?
Loth. Das nun weniger – aber – sie müßte allerdings über gewisse gesellschaftliche Vorurteile hinaus sein. Sie müßte zum Beispiel nicht davor zurückschrecken, zuerst – falls sie nämlich wirklich Liebe zu mir empfände – das bewußte Bekenntnis abzulegen.
Hoffmann ist mit Frühstücken zu Ende. Springt auf, in halb ernster, halb komischer Entrüstung. Weißt du! das ... das ist ... eine geradezu unverschämte Forderung! mit der du allerdings auch – wie ich dir hiermit prophezeie –, wenn du nicht etwa verziehst, sie fallenzulassen, bis an dein Lebensende herumlaufen wirst.
Helene, mit schwer bewältigter innerer Erregung. Ich bitte die Herren, mich jetzt zu entschuldigen – die Wirtschaft ... du weißt, Schwager: Mama ist in der Stube, und da ...
Hoffmann. Laß dich nicht abhalten.
Helene verbeugt sich; ab.
Hoffmann, mit dem Streichholzetui zu dem Zigarrenkistchen, das auf dem Büfett steht, schreitend. Das muß wahr sein ... Du bringst einen in Hitze ... ordentlich unheimlich. Nimmt eine Zigarre aus der Kiste und läßt sich dann auf das Sofa links vorn nieder. Er schneidet die Spitze der Zigarre ab und hält während des Folgenden die Zigarre in der linken, das abgetrennte Spitzchen zwischen den Fingern der rechten Hand. Bei alledem ... es amüsiert doch. Und dann: Du glaubst nicht, wie wohl es tut, so'n paar Tage auf dem Lande, abseit von den Geschäften, zuzubringen. Wenn nur nicht heute dies verwünschte ... wie spät ist es denn eigentlich? Ich muß nämlich leider Gottes heute zu einem Essen nach der Stadt. – Es war unumgänglich: dies Diner mußte ich geben. Was soll man machen, als Geschäftsmann? – Eine Hand wäscht die andere. Die Bergbeamten sind nun mal dran gewöhnt. – Na! eine Zigarre kann man noch rauchen – in aller Gemütsruhe. Er trägt das Spitzchen nach dem Spucknapf, läßt sich dann abermals auf dem Sofa nieder und setzt seine Zigarre in Brand.
Loth, am Tisch; blättert stehend in einem Prachtwerk. »Die Abenteuer des Grafen Sandor.«
Hoffmann. Diesen Unsinn findest du hier bei den meisten Bauern aufliegen.
Loth, unter dem Blättern. Wie alt ist eigentlich deine Schwägerin?
Hoffmann. Im August einundzwanzig gewesen.
Loth. Ist sie leidend?
Hoffmann. Weiß nicht. – Glaube übrigens nicht – macht sie dir den Eindruck? –
Loth. Sie sieht allerdings mehr verhärmt als krank aus.
Hoffmann. Naja! die Scherereien mit der Stiefmutter ...
Loth. Auch ziemlich reizbar scheint sie zu sein!?
Hoffmann. Unter solchen Verhältnissen ... Ich möchte den sehen, der unter solchen Verhältnissen nicht reizbar werden würde ...
Loth. Viel Energie scheint sie zu besitzen.
Hoffmann. Eigensinn!
Loth. Auch Gemüt, nicht?
Hoffmann. Zu viel mitunter ...
Loth. Wenn die Verhältnisse hier so mißlich für sie sind – warum lebt deine Schwägerin dann nicht in deiner Familie?
Hoffmann. Frag sie, warum! – Oft genug hab' ich's ihr angeboten. Frauenzimmer haben eben ihre Schrullen. Die Zigarre im Munde, zieht Hoffmann ein Notizbuch und summiert einige Posten. Du nimmst es mir doch wohl nicht übel, wenn ich ... wenn ich dich dann allein lassen muß?
Loth. Nein, gar nicht.
Hoffmann. Wie lange gedenkst du denn noch ...?
Loth. Ich werde mir bald nachher eine Wohnung suchen. Wo wohnt denn eigentlich Schimmelpfennig? Am besten, ich gehe zu ihm, der wird mir gewiß etwas vermitteln können. Hoffentlich findet sich bald etwas Geeignetes, sonst würde ich die nächste Nacht im Gasthaus nebenan zubringen.
Hoffmann. Wieso denn? Natürlich bleibst du dann bis morgen bei uns. Freilich, ich bin selbst nur Gast in diesem Hause – sonst würde ich dich natürlich auffordern ... du begreifst ...!
Loth. Vollkommen! ...
Hoffmann. Aber, sag doch mal – sollte das wirklich dein Ernst gewesen sein ...?
Loth. Daß ich die nächste Nacht im Gast ...?
Hoffmann. Unsinn! ... Bewahre. Was du vorhin sagtest, meine ich. Die Geschichte da – mit deiner vertrackten deskriptiven Arbeit?
Loth. Weshalb nicht?
Hoffmann. Ich muß dir gestehen, ich hielt es für Scherz. Er erhebt sich, vertraulich, halb und halb im Scherz. Wie? du solltest wirklich fähig sein, hier ... gerade hier, wo ein Freund von dir glücklich festen Fuß gefaßt hat, den Boden zu unterwühlen?
Loth. Mein Ehrenwort, Hoffmann! Ich hatte keine Ahnung davon, daß du dich hier befändest. Hätte ich das gewußt ...
Hoffmann springt auf, hocherfreut. Schon gut! schon gut! Wenn die Sachen so liegen ... siehst du, das freut mich aufrichtig, daß ich mich nicht in dir getäuscht habe. Also, du weißt es nun, und selbstredend erhältst du die Kosten der Reise und alles, was drum und dran baumelt, von mir vergütet. Ziere dich nicht! Es ist einfach meine Freundespflicht ... Daran erkenne ich meinen alten, biederen Loth! Denke mal an: ich hatte dich wirklich eine Zeitlang ernstlich im Verdacht ... Aber nun muß ich dir auch ehrlich sagen, so schlecht, wie ich mich zuweilen hinstelle, bin ich keineswegs. Ich habe dich immer hochgeschätzt: dich und dein ehrliches, konsequentes Streben. Ich bin der letzte, der gewisse – leider, leider mehr als berechtigte Ansprüche der ausgebeuteten, unterdrückten Massen nicht gelten läßt. – Ja, lächle nur, ich gehe sogar so weit, zu bekennen, daß es im Reichstag nur eine Partei gibt, die Ideale hat: und das ist dieselbe, der du angehörst! ... Nur – wie gesagt – langsam! langsam! – nichts überstürzen. Es kommt alles, kommt alles, wie es kommen soll. Nur Geduld! Geduld! ...
Loth. Geduld muß man allerdings haben. Deshalb aber ist man noch nicht berechtigt, die Hände in den Schoß zu legen!
Hoffmann. Ganz meine Ansicht! – Ich hab' dir überhaupt in Gedanken weit öfter zugestimmt als mit Worten. Es ist 'ne Unsitte, ich geb's zu. Ich hab' mir's angewöhnt, im Verkehr mit Leuten, die ich nicht gern in meine Karten sehen lasse ... Auch in der Frauenfrage ... du hast manches sehr treffend geäußert. Er ist inzwischen ans Telefon getreten, weckt und spricht teils ins Telefon, teils zu Loth. Die kleine Schwägerin war übrigens ganz Ohr ... Ins Telefon. Franz! In zehn Minuten muß angespannt sein ... Zu Loth. Es hat ihr Eindruck gemacht ... Ins Telefon. Was? – ach was, Unsinn! – Na, da hört doch aber ... Dann schirren Sie schleunigst die Rappen an ... Zu Loth. Warum sollte es ihr keinen Eindruck machen? ... Ins Telefon. Gerechter Strohsack, zur Putzmacherin, sagen Sie? Die gnädige Frau ... die gnä... Ja – na ja! aber sofort – na ja! – ja! – schön! Schluß! Nachdem er darauf den Knopf der Hausklingel gedrückt, zu Loth. Wart nur ab, du! Laß mich nur erst den entsprechenden Monetenberg aufgeschichtet haben, vielleicht geschieht dann etwas ... Eduard ist eingetreten. Eduard! Meine Gamaschen, meinen Gehrock! Eduard ab. Vielleicht geschieht dann etwas, was ihr mir alle jetzt nicht zutraut ... Wenn du in zwei oder drei Tagen – bis dahin wohnst du unbedingt bei uns – ich müßte es sonst als eine grobe Beleidigung ansehen, – er legt den Schlafrock ab – in zwei bis drei Tagen also, wenn du abzureisen gedenkst, bringe ich dich mit meiner Kutsche zur Bahn. Eduard mit Gehrock und Gamaschen tritt ein. Hoffmann, indem er sich den Rock überziehen läßt. So! Auf einen Stuhl niedersitzend. Nun die Stiefel! Nachdem er einen derselben angezogen. Das wäre einer!
Loth. Du hast mich doch wohl nicht ganz verstanden.
Hoffmann. Ach ja! das ist leicht möglich. Man ist so raus aus all den Sachen. Nur immer lederne Geschäftsangelegenheiten. Eduard! ist denn noch keine Post gekommen? Warten Sie mal! – Gehen Sie doch mal in mein Zimmer! Auf dem Pult links liegt ein Schriftstück mit blauem Deckel, bringen Sie's raus in die Wagentasche. Eduard ab in die Tür rechts, dann zurück und ab durch die Mitteltür.
Loth. Ich meine ja nur: du hast mich in einer Beziehung nicht verstanden.
Hoffmann, sich immer noch mit dem zweiten Schuh herumquälend. Upsa! ... So! Er steht auf und tritt die Schuhe ein. Da wären wir. Nichts ist unangenehmer als enge Schuhe ... Was meintest du eben?
Loth. Du sprachst von meiner Abreise ...
Hoffmann. Nun?
Loth. Ich habe dir doch bereits gesagt, daß ich um eines ganz bestimmten Zweckes willen hier am Ort bleiben muß.
Hoffmann, aufs äußerste verblüfft und entrüstet zugleich. Hör mal ...! Das ist aber beinahe nichtswürdig! – Weißt du denn nicht, was du mir als Freund schuldest?
Loth. Doch wohl nicht den Verrat meiner Sache!?
Hoffmann, außer sich. Nun, dann ... dann habe ich auch nicht die kleinste Veranlassung, dir gegenüber als Freund zu verfahren. Ich sage dir also: daß ich dein Auftreten hier – gelinde gesprochen – für fabelhaft dreist halte.
Loth, sehr ruhig. Vielleicht erklärst du mir, was dich berechtigt, mich mit dergleichen Epitheta ...
Hoffmann. Das soll ich dir auch noch erklären? Da hört eben Verschiedenes auf! Um so was nicht zu fühlen, muß man Rhinozeroshaut auf dem Leibe haben! Du kommst hierher, genießt meine Gastfreundschaft, drischst mir ein paar Schock deiner abgegriffnen Phrasen vor, verdrehst meiner Schwägerin den Kopf, schwatzest von alter Freundschaft und so was Guts, und dann erzählst du ganz naiv: du wolltest eine deskriptive Arbeit über hiesige Verhältnisse verfertigen. Ja, für was hältst du mich denn eigentlich? Meinst du vielleicht, ich wüßte nicht, daß solche sogenannte Arbeiten nichts als schamlose Pamphlete sind? ... Solch eine Schmähschrift willst du schreiben, und zwar über unseren Kohlendistrikt. Solltest du denn wirklich nicht begreifen, wen diese Schmähschrift am allerschärfsten schädigen müßte? Doch nur mich! – Ich sage: man sollte euch das Handwerk noch gründlicher legen, als es bisher geschehen ist, Volksverführer! die ihr seid. Was tut ihr? Ihr macht den Bergmann unzufrieden, anspruchsvoll, reizt ihn auf, erbittert ihn, macht ihn aufsässig, ungehorsam, unglücklich, spiegelt ihm goldene Berge vor und grapscht ihm unter der Hand seine paar Hungerpfennige aus der Tasche.
Loth. Erachtest du dich nun als demaskiert?
Hoffmann, roh. Ach was! Du lächerlicher, gespreizter Tugendmeier! Was mir das wohl ausmacht, vor dir demaskiert zu sein! – Arbeite lieber! Laß deine albernen Faseleien! – Tu was! Komm zu was! Ich brauche niemand um zweihundert Mark anzupumpen. Schnell ab durch die Mitteltür.
Loth sieht ihm einige Augenblicke ruhig nach, dann greift er, nicht minder ruhig, in seine Brusttasche, zieht ein Portefeuille und entnimmt ihm ein Stück Papier (den Scheck Hoffmanns), das er mehrmals durchreißt, um die Schnitzel dann langsam in den Kohlenkasten fallen zu lassen. Hierauf nimmt er Hut und Stock und wendet sich zum Gehen. Jetzt erscheint Helene auf der Schwelle des Wintergartens.
Helene, leise. Herr Loth!
Loth zuckt zusammen, wendet sich. Ah! Sie sind es. – Nun – dann – kann ich Ihnen doch wenigstens ein Lebewohl sagen.
Helene, unwillkürlich. War Ihnen das Bedürfnis?
Loth. Ja! – es war mir Bedürfnis –! Vermutlich – wenn Sie dadrin gewesen sind – haben Sie den Auftritt hier mit angehört – und dann ...
Helene. Ich habe alles mit angehört.
Loth. Nun – dann – wird es Sie nicht in Erstaunen setzen, wenn ich dieses Haus so ohne Sang und Klang verlasse.
Helene. N-nein! – ich begreife –! ... Vielleicht kann's Sie milder gegen ihn stimmen ... mein Schwager bereut immer sehr schnell. Ich hab's oft ...
Loth. Ganz möglich –! Vielleicht gerade deshalb aber ist das, was er über mich sagte, seine wahre Meinung von mir. – Es ist sogar unbedingt seine wahre Meinung.
Helene. Glauben Sie das im Ernst?
Loth. Ja! – im Ernst! Also ... – er geht auf sie zu und gibt ihr die Hand – leben Sie recht glücklich! Er wendet sich und steht sogleich wieder still. Ich weiß nicht ..! oder besser: – Helenen klar und ruhig ins Gesicht blickend – ich weiß, weiß erst seit ... seit diesem Augenblick, daß es mir nicht ganz leicht ist, von hier fortzugehen ... und ... ja ... und ... na ja!
Helene. Wenn ich Sie aber – recht schön bäte ... recht sehr ... noch weiter hierzubleiben –?
Loth. Sie teilen also nicht die Meinung Ihres Schwagers?
Helene. Nein! – und das – wollte ich Ihnen unbedingt ... unbedingt noch sagen, bevor ... bevor – Sie – gingen.
Loth ergreift abermals ihre Hand. Das tut mir wirklich wohl.
Helene, mit sich kämpfend. In einer sich schnell bis zur Bewußtlosigkeit steigernden Erregung. Mühsam hervorstammelnd. Auch noch mehr w-ollte ich Ihnen ... Ihnen sagen, nämlich ... näm-lich: daß – ich Sie sehr hoch – achte und – verehre – wie ich bis jetzt ... bis jetzt noch – keinen Mann ... daß ich Ihnen – vertraue – daß ich be-reit bin, das ... das zu beweisen – daß ich – etwas für – dich, Sie fühle ... Sinkt ohnmächtig in seine Arme.