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Erster Akt

Das Zimmer ist niedrig; der Fußboden mit guten Teppichen belegt. Moderner Luxus auf bäuerische Dürftigkeit gepfropft. An der Wand hinter dem Eßtisch ein Gemälde, darstellend einen vierspännigen Frachtwagen, von einem Fuhrknecht in blauer Bluse geleitet.

Miele, eine robuste Bauernmagd mit rotem, etwas stumpfsinnigen Gesicht; sie öffnet die Mitteltür und läßt Alfred Loth eintreten. Loth ist mittelgroß, breitschultrig, untersetzt, in seinen Bewegungen bestimmt, doch ein wenig ungelenk; er hat blondes Haar, blaue Augen und ein dünnes, lichtblondes Schnurrbärtchen, sein ganzes Gesicht ist knochig und hat einen gleichmäßig ernsten Ausdruck. Er ist ordentlich, jedoch nichts weniger als modern gekleidet. Sommerpaletot, Umhängetäschchen, Stock.

Miele. Bitte! Ich werde den Herrn Inschinnär glei ruffen. Wolln Sie nich Platz nehmen?!

Die Glastür zum Wintergarten wird heftig aufgestoßen; ein Bauernweib, im Gesicht blaurot vor Wut, stürzt herein. Sie ist nicht viel besser als eine Waschfrau gekleidet. Nackte rote Arme, blauer Kattunrock und Mieder, rotes punktiertes Brusttuch. Alter: Anfang Vierzig – Gesicht hart, sinnlich, bösartig. Die ganze Gestalt sonst gut konserviert.

Frau Krause schreit. Ihr Madel!! ... Richtig! ... Doas Loster vu Froovulk! ... Naus! mir gahn nischt! ... Halb zu Miele, halb zu Loth. A koan orbeita, a hoot Oarme. Naus! hier gibbt's nischt!

Loth. Aber Frau ... Sie werden doch ... ich ... ich heiße Loth, bin ... wünsche zu ... habe auch nicht die Ab ...

Miele. A wull ock a Herr Inschinnär sprechen.

Frau Krause. Beim Schwiegersuhne batteln: doas kenn mer schunn. – A hoot au nischt, a hoot's au ock vu ins, nischt iis seine!

Die Tür rechts wird aufgemacht. Hoffmann steckt den Kopf heraus.

Hoffmann. Schwiegermama! – Ich muß doch bitten ... Er tritt heraus, wendet sich an Loth. Was steht zu ... Alfred! Kerl! Wahrhaftig'n Gott, du!? Das ist aber mal ... nein das is doch mal'n Gedanke!

Hoffmann ist etwa dreiunddreißig Jahre alt, schlank, groß, hager. Er kleidet sich nach der neuesten Mode, ist elegant frisiert, trägt kostbare Ringe, Brillantknöpfe im Vorhemd und Berloques an der Uhrkette. Kopfhaar und Schnurrbart schwarz, der letztere sehr üppig, äußerst sorgfältig gepflegt. Gesicht spitz, vogelartig. Ausdruck verschwommen, Augen schwarz, lebhaft, zuweilen unruhig.

Loth. Ich bin nämlich ganz zufällig ...

Hoffmann, aufgeregt. Etwas Lieberes ... nun aber zunächst leg ab! Er versucht ihm das Umhängetäschchen abzunehmen. Etwas Lieberes und so Unerwartetes hätte mir jetzt, – er hat ihm Hut und Stock abgenommen und legt beides auf einen Stuhl neben der Tür – hätte mir jetzt entschieden nicht passieren können, – indem er zurückkommtentschieden nicht.

Loth, sich selbst das Täschchen abnehmend. Ich bin nämlich – nur so per Zufall auf dich ... Er legt das Täschchen auf den Tisch im Vordergrund.

Hoffmann. Setz dich! Du mußt müde sein, setz dich – bitte. Weißt de noch? wenn du mich besuchtest, da hatt'st du so 'ne Manier, dich lang auf das Sofa hinfallen zu lassen, daß die Federn krachten; mitunter sprangen sie nämlich auch. Also du, höre! mach's wie damals.

Frau Krause hat ein sehr erstauntes Gesicht gemacht und sich dann zurückgezogen. Loth läßt sich auf einen der Sessel nieder, die rings um den Tisch im Vordergrunde stehen.

Hoffmann. Trinkst du was? Sag! – Bier? Wein? Kognak? Kaffee? Tee? Es ist alles im Hause.

Helene kommt lesend aus dem Wintergarten; ihre große, ein wenig zu starke Gestalt; die Frisur ihres blonden, ganz ungewöhnlich reichen Haares, ihr Gesichtsausdruck, ihre moderne Kleidung, ihre Bewegungen, ihre ganze Erscheinung überhaupt verleugnen das Bauernmädchen nicht ganz.

Helene. Schwager, du könntest ... Sie entdeckt Loth und zieht sich schnell zurück. Ach! ich bitte um Verzeihung. Ab.

Hoffmann. Bleib doch, bleib!

Loth. Deine Frau?

Hoffmann. Nein, ihre Schwester. Hörtest du nicht, wie sie mich betitelte?

Loth. Nein.

Hoffmann. Hübsch! Wie? – Nu aber erklär dich: Kaffee? Tee? Grog?

Loth. Danke, danke für alles.

Hoffmann präsentiert ihm Zigarren. Aber das ist was für dich – nicht?! ... Auch nicht?!

Loth. Nein, danke.

Hoffmann. Beneidenswerte Bedürfnislosigkeit! Er raucht sich selbst eine Zigarre an und spricht dabei. Die A... Asche, wollte sagen, der ... der Tabak ... ä! Rauch natürlich ... der Rauch belästigt dich doch wohl nicht?

Loth. Nein.

Hoffmann. Wenn ich das nicht noch hätte ... ach Gott ja, das bißchen Leben! – Nu aber tu mir den Gefallen, erzähle was. – Zehn Jahre – bist übrigens kaum sehr verändert – zehn Jahre, 'n ekliger Fetzen Zeit – was macht Schn... Schnurz nannten wir ihn ja wohl? Fips – die ganze heitere Blase von damals? Hast du den einen oder anderen im Auge behalten?

Loth. Sach mal, solltest du das nicht wissen?

Hoffmann. Was?

Loth. Daß er sich erschossen hat.

Hoffmann. Wer – hat sich wieder mal erschossen?

Loth. Fips! Friedrich Hildebrandt.

Hoffmann. I warum nich gar!

Loth. Ja! er hat sich erschossen – im Grunewald, an einer sehr schönen Stelle der Havelseeufer. Ich war dort, man hat den Blick auf Spandau.

Hoffmann. Hm! – Hätt' ihm das nicht zugetraut, war doch sonst keine Heldennatur.

Loth. Deswegen hat er sich eben erschossen. – Gewissenhaft war er, sehr gewissenhaft.

Hoffmann. Gewissenhaft? Woso?

Loth. Nun, darum eben ... sonst hätte er sich wohl nicht erschossen.

Hoffmann. Versteh' nicht recht.

Loth. Na, die Farbe seiner politischen Anschauungen kennst du doch?

Hoffmann. Ja, grün.

Loth. Du kannst sie gern so nennen. Er war, dies wirst du ihm wohl lassen müssen, ein talentvoller Jung. – Fünf Jahre hat er als Stukkateur arbeiten müssen, andere fünf Jahre dann, sozusagen, auf eigene Faust durchgehungert und dazu kleine Statuetten modelliert.

Hoffmann. Abstoßendes Zeug. Ich will von der Kunst erheitert sein ... Nee! diese Sorte Kunst war durchaus nicht mein Geschmack.

Loth. Meiner war es auch nicht, aber er hatte sich nun doch einmal drauf versteift. Voriges Frühjahr schrieben sie da ein Denkmal aus; irgendein Duodezfürstchen, glaub' ich, sollte verewigt werden. Fips hatte sich beteiligt und gewonnen; kurz darauf schoß er sich tot.

Hoffmann. Wo da die Gewissenhaftigkeit stecken soll, ist mir völlig schleierhaft. – Für so was habe ich nur eine Benennung: Span – auch Wurm – Spleen – so was.

Loth. Das ist ja das allgemeine Urteil.

Hoffmann. Tut mir leid, kann aber nicht umhin, mich ihm anzuschließen.

Loth. Es ist ja für ihn auch ganz gleichgültig, was ...

Hoffmann. Ach überhaupt, lassen wir das. Ich bedauere ihn im Grunde ganz ebensosehr wie du, aber – nun ist er doch einmal tot, der gute Kerl; – erzähle mir lieber was von dir, was du getrieben hast, wie's dir ergangen ist.

Loth. Es ist mir so ergangen, wie ich's erwarten mußte. – Hast du gar nichts von mir gehört? – durch die Zeitungen, mein' ich.

Hoffmann, ein wenig befangen. Wüßte nicht.

Loth. Nichts von der Leipziger Geschichte?

Hoffmann. Ach so, das! – Ja! – Ich glaube ... nichts Genaues.

Loth. Also, die Sache war folgende ...

Hoffmann, seine Hand auf Loths Arm legend. Ehe du anfängst – willst du denn gar nichts zu dir nehmen?

Loth. Später vielleicht.

Hoffmann. Auch nicht ein Gläschen Kognak?

Loth. Nein. Das am allerwenigsten.

Hoffmann. Nun, dann werde ich ein Gläschen ... Nichts besser für den Magen. Holt Flasche und zwei Gläschen vom Büfett, setzt alles auf den Tisch vor Loth. Grand Champagne, feinste Nummer; ich kann ihn empfehlen. – Möchtest du nicht ...?

Loth. Danke.

Hoffmann kippt das Gläschen in den Mund. Oah! – na, nu bin ich ganz Ohr.

Loth. Kurz und gut: da bin ich eben sehr stark hineingefallen.

Hoffmann. Mit zwei Jahren, glaub' ich?!

Loth. Ganz recht! Du scheinst es ja doch also zu wissen. Zwei Jahre Gefängnis bekam ich, und nach dem haben sie mich noch von der Universität relegiert. Damals war ich – einundzwanzig. – Nun! in diesen zwei Gefängnisjahren habe ich mein erstes volkswirtschaftliches Buch geschrieben. Daß es gerade ein Vergnügen gewesen, zu brummen, müßte ich allerdings lügen.

Hoffmann. Wie man doch einmal so sein konnte! Merkwürdig! So was hat man sich nun allen Ernstes in den Kopf gesetzt. Bare Kindereien sind es gewesen, kann mir nicht helfen, du! – nach Amerika auswandern, 'n Dutzend Gelbschnäbel wie wir! – wir und Musterstaat gründen! Köstliche Vorstellung!

Loth. Kindereien?! – tjaa! In gewisser Beziehung sind es auch wirklich Kindereien gewesen; wir unterschätzten die Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens.

Hoffmann. Und daß du nun wirk-lich hinausgingst – nach Amerika – al-len Ernstes mit leeren Händen ... Denk doch mal an, was es heißt, Grund und Boden für einen Musterstaat mit leeren Händen erwerben zu wollen: das ist ja beinah ver... jedenfalls ist es einzig naiv.

Loth. Ach, gerade mit dem Ergebnis meiner Amerikafahrt bin ich ganz zufrieden.

Hoffmann, laut auflachend. Kaltwasserkur, vorzügliche Resultate, wenn du es so meinst ...

Loth. Kann sein, ich bin etwas abgekühlt worden; damit ist mir aber gar nichts Besonderes geschehen. Jeder Mensch macht seinen Abkühlungsprozeß durch. Ich bin jedoch weit davon entfernt, den Wert der ... nun, sagen wir hitzigen Zeit zu verkennen. Sie war auch gar nicht so furchtbar naiv, wie du sie hinstellst.

Hoffmann. Na, ich weiß nicht?!

Loth. Du brauchst nur an die Durchschnittskindereien unserer Tage denken: das Couleurwesen auf den Universitäten, das Saufen, das Pauken. Warum all der Lärm? Wie Fips zu sagen pflegte: um Hekuba! – – Um Hekuba drehte es sich bei uns doch wohl nicht; wir hatten die allerhöchsten menschheitlichen Ziele im Auge. Und abgesehen davon, diese naive Zeit hat bei mir gründlich mit Vorurteilen aufgeräumt. Ich bin mit der Scheinreligion und Scheinmoral und mit noch manchem anderen ...

Hoffmann. Das kann ich dir ja auch ohne weiteres zugeben. Wenn ich jetzt doch immerhin ein vorurteilsloser, aufgeklärter Mensch bin, dann verdanke ich das, wie ich gar nicht leugne, den Tagen unseres Umgangs. – Natürlicherweise! – Ich bin der letzte, das zu leugnen. – Ich bin überhaupt in keiner Beziehung Unmensch. Nur muß man nicht mit dem Kopfe durch die Wand rennen wollen. – Man muß nicht die Übel, an denen die gegenwärtige Generation leider Gottes krankt, durch noch größere verdrängen wollen; man muß – alles ruhig seinen natürlichen Gang gehen lassen. Was kommen soll, kommt! Praktisch, praktisch muß man verfahren! Erinnere dich! Ich habe das früher gerade so betont, und dieser Grundsatz hat sich bezahlt gemacht. – Das ist es ja eben. Ihr alle – du mit eingerechnet! –, ihr verfahrt höchst unpraktisch.

Loth. Erklär mir eben mal, wie du das meinst.

Hoffmann. Einfach! Ihr nützt eure Fähigkeiten nicht aus. Zum Beispiel du: 'n Kerl wie du, mit Kenntnissen, Energie et cetera, was hätte dir nicht offengestanden! Statt dessen, was machst du? Kom-pro-mit-tierst dich von vornherein der-art ... na, Hand aufs Herz! hast du das nicht manchmal bereut?

Loth. Ich konnte nicht gut bereuen, weil ich ohne Schuld verurteilt worden bin.

Hoffmann. Kann ich ja nicht beurteilen, weißt du.

Loth. Du wirst das gleich können, wenn ich dir sage: die Anklageschrift führte aus, ich hätte unseren Verein Vancouver-Island nur zum Zwecke parteilicher Agitation ins Leben gerufen; dann sollte ich auch Geld zu Parteizwecken gesammelt haben. Du weißt ja nun, daß es uns mit unseren kolonialen Bestrebungen ernst war, und was das Geldsammeln anlangt, so hast du ja selbst gesagt, daß wir alle miteinander leere Hände hatten. Die Anklage enthält also kein wahres Wort, und als Mitglied solltest du das doch ...

Hoffmann. Na – Mitglied war ich doch wohl eigentlich nicht so recht. – Übrigens glaube ich dir selbstredend. – Die Richter sind halt immer nur Menschen, muß man nehmen. – Jedenfalls hättest du, um praktisch zu handeln, auch den Schein meiden müssen. Überhaupt: ich habe mich in der Folge manchmal baß gewundert über dich: Redakteur der Arbeiterkanzel, des obskursten aller Käseblättchen – Reichstagskandidat des süßen Pöbels! Und was hast du nu davon? – versteh mich nicht falsch! Ich bin der letzte, der es an Mitleid mit dem armen Volke fehlen läßt, aber wenn etwas geschieht, dann mag es von oben her ab geschehen! Es muß sogar von oben herab geschehen, das Volk weiß nun mal nicht, was ihm not tut – das Von-unten- herauf, siehst du, das eben nenne ich das Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Rennen.

Loth. Ich bin aus dem, was du eben gesagt hast, nicht klug geworden.

Hoffmann. Na, ich meine eben: sieh mich an! Ich habe die Hände frei: ich könnte nu schon anfangen, was für die Ideale zu tun. – Ich kann wohl sagen, mein praktisches Programm ist nahezu durchgeführt. Aber ihr ... immer mit leeren Händen, was wollt denn ihr machen?

Loth. Ja, wie man so hört: du segelst stark auf Bleichröder zu.

Hoffmann, geschmeichelt. Zu viel Ehre – vorläufig noch. Wer sagt das? – Man arbeitet eben seinen soliden Stiefel fort: das belohnt sich naturgemäß – wer sagt das übrigens?

Loth. Ich hörte drüben in Jauer zwei Herren am Nebentisch davon reden.

Hoffmann. Ä! du! – Ich habe Feinde! – Was sagten die denn übrigens?

Loth. Nichts Besonderes. Durch sie erfuhr ich, daß du dich zur Zeit eben hier auf das Gut deiner Schwiegereltern zurückgezogen hast.

Hoffmann. Was die Menschen nicht alles ausschnüffeln! Lieber Freund! Du glaubst nicht, wie ein Mann in meiner Stellung auf Schritt und Tritt beobachtet wird. Das ist auch so'n Übelstand des Reich ... – Die Sache ist nämlich die: ich erwarte der größeren Ruhe und gesünderen Luft wegen die Niederkunft meiner Frau hier.

Loth. Wie paßt denn das aber mit dem Arzt? Ein guter Arzt ist doch in solchen Fällen von allergrößter Wichtigkeit. Und hier auf dem Dorfe ...

Hoffmann. Das ist es eben, der Arzt hier ist ganz besonders tüchtig; und, weißt du, so viel habe ich bereits weg: Gewissenhaftigkeit geht beim Arzt über Genie.

Loth. Vielleicht ist sie eine Begleiterscheinung des Genies im Arzt.

Hoffmann. Meintwegen, jedenfalls hat unser Arzt Gewissen. Er ist nämlich auch so'n Stück Ideologe, halb und halb unser Schlag – reüssiert schauderhaft unter Bergleuten und auch unter dem Bauernvolk. Man vergöttert ihn geradezu. Zuzeiten übrigens 'n recht unverdaulicher Patron, 'n Mischmasch von Härte und Sentimentalität. Aber, wie gesagt, Gewissenhaftigkeit weiß ich zu schätzen! – Unbedingt! – Eh ich's vergesse ... es ist mir nämlich darum zu tun ... man muß immer wissen, wessen man sich zu versehen hat ... Höre! ... sage mir doch ... ich seh' dir's an, die Herren am Nebentische haben nichts Gutes über mich gesprochen. – Sag mir doch, bitte, was sie gesprochen haben.

Loth. Das sollte ich wohl nicht tun, denn ich will dich nachher um zweihundert Mark bitten, geradezu bitten, denn ich werde sie dir wohl kaum je wiedergeben können.

Hoffmann zieht ein Scheckbuch aus der Brusttasche, füllt Scheck aus, übergibt ihn Loth. Bei irgendeiner Reichsbankfiliale ... Es ist mir'n Vergnügen ...

Loth. Deine Fixigkeit übertrifft alle meine Erwartungen. – Na! – ich nehm' es dankbar an, und du weißt ja: übel angewandt ist es auch nicht.

Hoffmann, mit Anflug von Pathos. Ein Arbeiter ist seines Lohnes wert! – Doch jetzt, Loth, sei so gut, sag mir, was die Herren am Nebentische ...

Loth. Sie haben wohl Unsinn gesprochen.

Hoffmann. Sag mir's trotzdem, bitte! – Es ist mir lediglich interessant, ledig-lich interessant –

Loth. Es war davon die Rede, daß du hier einen anderen aus der Position verdrängt hättest – einen Bauunternehmer Müller.

Hoffmann. Na-tür-lich! diese Geschichte!

Loth. Ich glaube, der Mann sollte mit deiner jetzigen Frau verlobt gewesen sein.

Hoffmann. War er auch. – Und was weiter?

Loth. Ich erzähle dir alles, wie ich es hörte, weil ich annehme: es kommt dir darauf an, die Verleumdung möglichst getreu kennenzulernen.

Hoffmann. Ganz recht! Also?

Loth. Soviel ich heraushörte, soll dieser Müller den Bau einer Strecke der hiesigen Gebirgsbahn übernommen haben.

Hoffmann. Ja! Mit lumpigen zehntausend Talern Vermögen. Als er einsah, daß dieses Geld nicht zureichte, wollte er schnell eine Witzdorfer Bauerntochter fischen; meine jetzige Frau sollte diejenige sein, welche.

Loth. Er hätte es, sagten sie, mit der Tochter, du mit dem Alten gemacht. – Dann hat er sich ja wohl erschossen?! – Auch seine Strecke hättest du zu Ende gebaut und noch sehr viel Geld dabei verdient.

Hoffmann. Darin ist einiges Wahre enthalten, doch – ich könnte dir eine Verknüpfung der Tatsachen geben ... Wußten sie am Ende noch mehr dergleichen erbaulichen Dinge?

Loth. Ganz besonders – muß ich dir sagen – regten sie sich über etwas auf: sie rechneten sich vor, welch ein enormes Geschäft in Kohlen du jetzt machtest, und nannten dich einen ... na, schmeichelhaft war es eben nicht für dich. Kurz gesagt, sie erzählten, du hättest die hiesigen dummen Bauern beim Champagner überredet, einen Vertrag zu unterzeichnen, in welchem dir der alleinige Verschleiß aller in ihren Gruben geförderter Kohle übertragen worden ist gegen eine Pachtsumme, die fabelhaft gering sein sollte.

Hoffmann, sichtlich peinlich berührt, steht auf. Ich will dir was sagen, Loth ... Ach, warum auch noch darin rühren? Ich schlage vor, wir denken ans Abendbrot, mein Hunger ist mörderisch. – Mörderischen Hunger habe ich. Er drückt auf den Knopf einer elektrischen Leitung, deren Draht in Form einer grünen Schnur auf das Sofa herunterhängt; man hört das Läuten einer elektrischen Klingel.

Loth. Nun, wenn du mich hierbehalten willst – dann sei so gut ... ich möchte mich eben 'n bißchen säubern.

Hoffmann. Gleich sollst du alles Nötige ... Eduard tritt ein, Diener in Livree. Eduard! führen Sie den Herrn ins Gastzimmer.

Eduard. Sehr wohl, gnädiger Herr.

Hoffmann, Loth die Hand drückend. In spätestens fünfzehn Minuten möchte ich dich bitten zum Essen herunterzukommen.

Loth. Übrig Zeit. Also Wiedersehen!

Hoffmann. Wiedersehen!

Eduard öffnet die Tür und läßt Loth vorangehen. Beide ab. Hoffmann kratzt sich den Hinterkopf, blickt nachdenklich auf den Fußboden, geht dann auf die Tür rechts zu, deren Klinke er bereits gefaßt hat, als Helene, welche hastig durch die Glastür eingetreten ist, ihn anruft.

Helene. Schwager! Wer war das?

Hoffmann. Das war einer von meinen Gymnasialfreunden, der älteste sogar, Alfred Loth.

Helene, schnell. Ist er schon wieder fort?

Hoffmann. Nein! Er wird mit uns zu Abend essen. – Womöglich ... ja, womöglich auch hier übernachten.

Helene. O Jeses! Da komme ich nicht zum Abendessen.

Hoffmann. Aber Helene!

Helene. Was brauche ich auch unter gebildete Menschen zu kommen! Ich will nur ruhig weiter verbauern.

Hoffmann. Ach, immer diese Schrullen! Du wirst mir sogar den großen Dienst erweisen und die Anordnungen für den Abendtisch treffen. Sei so gut! – Wir machen's 'n bißchen feierlich. Ich vermute nämlich, er führt irgendwas im Schilde.

Helene. Was meinst du, im Schilde führen?

Hoffmann. Maulwurfsarbeit – wühlen, wühlen. – Davon verstehst du nun freilich nichts. – Kann mich übrigens täuschen, denn ich habe bis jetzt vermieden, auf diesen Gegenstand zu kommen. Jedenfalls mach alles recht einladend, auf diese Weise ist den Leuten noch am leichtesten ... Champagner natürlich! Die Hummern von Hamburg sind angekommen?

Helene. Ich glaube, sie sind heut früh angekommen.

Hoffmann. Also Hummern! Es klopft sehr stark. Herein!

Postpaketträger, eine Kiste unterm Arm; eintretend, spricht er in singendem Ton. Eine Kis-te.

Helene. Von wo?

Paketträger. Ber- lin.

Hoffmann. Richtig! Es werden die Kindersachen von Hertzog sein. Er besieht das Paket und nimmt den Abschnitt. Ja, ja, es sind die Sachen von Hertzog.

Helene. Die-se Kiste voll? Du übertreibst.

Hoffmann lohnt den Paketträger ab.

Paketträger, ebenso halb singend. Schön'n gu'n A-bend. Ab.

Hoffmann. Wieso übertreiben?

Helene. Nun, hiermit kann man doch wenigstens drei Kinder ausstatten.

Hoffmann. Bist du mit meiner Frau spazierengegangen?

Helene. Was soll ich machen, wenn sie immer gleich müde wird?

Hoffmann. Ach was, immer gleich müde. – Sie macht mich unglücklich! Ein und eine halbe Stunde ... sie soll doch um Gottes willen tun, was der Arzt sagt. Zu was hat man denn den Arzt, wenn ...

Helene. Dann greife du ein, schaff die Spillern fort! Was soll ich gegen so'n altes Weib machen, die ihr immer nach dem Munde geht!

Hoffmann. Was denn? ... ich als Mann ... was soll ich als Mann? ... und außerdem, du kennst doch die Schwiegermama.

Helene, bitter. Allerdings.

Hoffmann. Wo ist sie denn jetzt?

Helene. Die Spillern stutzt sie heraus, seit Herr Loth hier ist; sie wird wahrscheinlich zum Abendbrot wieder ihr Rad schlagen.

Hoffmann, schon wieder in eigenen Gedanken, macht einen Gang durchs Zimmer; heftig. Es ist das letzte Mal, auf Ehre! daß ich so etwas hier in diesem Hause abwarte. Auf Ehre!

Helene. Ja, du hast es eben gut, du kannst gehen, wohin du willst.

Hoffmann. Bei mir zu Hause wäre der unglückliche Rückfall in dies schauderhafte Laster auch sicher nicht vorgekommen.

Helene. Mich mache dafür nicht verantwortlich! Von mir hat sie den Branntwein nicht bekommen. Schaff du nur die Spillern fort. Ich sollte bloß'n Mann sein!

Hoffmann, seufzend. Ach, wenn es nur erst wieder vorüber wär'! – In der Tür rechts. Also Schwägerin, du tust mir den Gefallen: einen recht appetitlichen Abendtisch! Ich erledige schnell noch eine Kleinigkeit.

Helene drückt auf den Klingelknopf. Miele kommt. Miele, decken Sie den Tisch! Eduard soll Sekt kalt stellen und vier Dutzend Austern öffnen.

Miele, unterdrückt, batzig. Sie kinn'n 's 'm salber sagen, a nimmt nischt oa vu mir, a meent immer: a wär' ock beim Inschinnär gemit't.

Helene. Dann schick ihn wenigstens rein. Miele ab. Helene tritt vor den Spiegel, ordnet dies und das an ihrer Toilette; währenddes tritt Eduard ein. Helene, immer noch vor dem Spiegel. Eduard, stellen Sie Sekt kalt und öffnen Sie Austern! Herr Hoffmann hat es befohlen.

Eduard. Sehr wohl, Fräulein. Eduard ab. Gleich darauf klopft es an die Mitteltür.

Helene fährt zusammen. Großer Gott! – Zaghaft. Herein! – Lauter und fester. Herein!

Loth tritt ein ohne Verbeugung. Ach, um Verzeihung! – ich wollte nicht stören – mein Name ist Loth.

Helene verbeugt sich tanzstundenmäßig.

Stimme Hoffmanns, durch die geschlossene Zimmertür. Kinder! keine Umstände! – Ich komme gleich heraus. Loth! es ist meine Schwägerin Helene Krause! Und Schwägerin! es ist mein Freund Alfred Loth! Betrachtet euch als vorgestellt.

Helene. Nein, über dich aber auch!

Loth. Ich nehme es ihm nicht übel, Fräulein! Bin selbst, wie man mir sehr oft gesagt hat, in Sachen des guten Tons ein halber Barbar. – Aber wenn ich Sie gestört habe, so ...

Helene. Bitte – Sie haben mich gar nicht gestört – durchaus nicht. Befangenheitspause, hierauf. Es ist ... es ist schön von Ihnen, daß – Sie meinen Schwager aufgesucht haben. Er beklagt sich immer, von ... er bedauert immer, von seinen Jugendfreunden so ganz vergessen zu sein.

Loth. Ja, es hat sich zufällig so getroffen. – Ich war immer in Berlin und daherum – wußte eigentlich nicht, wo Hoffmann steckte. Seit meiner Breslauer Studienzeit war ich nicht mehr in Schlesien.

Helene. Also nur so zufällig sind Sie auf ihn gestoßen?

Loth. Nur ganz zufällig – und zwar gerade an dem Ort, wo ich meine Studien zu machen habe.

Helene. Ach, Spaß! – Witzdorf und Studien machen, nicht möglich! in diesem armseligen Neste?!

Loth. Armselig nennen Sie es? – Aber es liegt doch hier ein ganz außergewöhnlicher Reichtum.

Helene. Ja doch! in der Hinsicht ...

Loth. Ich habe nur immer gestaunt. Ich kann Sie versichern, solche Bauernhöfe gibt es nirgendwo anders; da guckt ja der Überfluß wirklich aus Türen und Fenstern.

Helene. Da haben Sie recht. In mehr als einem Stalle hier fressen Kühe und Pferde aus marmornen Krippen und neusilbernen Raufen! Das hat die Kohle gemacht, die unter unseren Feldern gemutet worden ist, die hat die armen Bauern im Handumdrehen steinreich gemacht. Sie weist auf das Bild an der Hinterwand. Sehen Sie da – mein Großvater war Frachtfuhrmann; das Gütchen gehörte ihm, aber der geringe Boden ernährte ihn nicht, da mußte er Fuhren machen. – Das dort ist er selbst in der blauen Bluse – man trug damals noch solche blaue Blusen. – Auch mein Vater als junger Mensch ist darin gegangen. – Nein! – so meinte ich es nicht – mit dem »armselig«; nur ist es so öde hier. So ... gar nichts für den Geist gibt es. Zum Sterben langweilig ist es.

Miele und Eduard, ab - und zugehend, decken den Tisch rechts im Hintergrunde.

Loth. Gibt es denn nicht zuweilen Bälle oder Kränzchen?

Helene. Nicht mal das gibt es. Die Bauern spielen, jagen, trinken ... was sieht man den ganzen Tag? Sie ist vor das Fenster getreten und weist mit der Hand hinaus. Hauptsächlich solche Gestalten.

Loth. Hm! Bergleute.

Helene. Welche gehen zur Grube, welche kommen von der Grube: das hört nicht auf. – Wenigstens ich sehe immer Bergleute. Denken Sie, daß ich alleine auf die Straße mag? Höchstens auf die Felder, durch das Hintertor. Es ist ein zu rohes Pack! – Und wie sie einen immer anglotzen, so schrecklich finster – als ob man geradezu was verbrochen hätte. – – Im Winter, wenn wir so manchmal Schlitten gefahren sind, und sie kommen dann in der Dunkelei in großen Trupps über die Berge, im Schneegestöber, und sie sollen ausweichen, da gehen sie vor den Pferden her und weichen nicht aus. Da nehmen die Bauern manchmal den Peitschenstiel, anders kommen sie nicht durch. Ach, und dann schimpfen sie hinterher. Hu! ich habe mich manchmal so entsetzlich geängstigt.

Loth. Und nun denken Sie an: gerade um dieser Menschen willen, vor denen Sie sich so sehr fürchten, bin ich hierhergekommen.

Helene. Nein aber ...

Loth. Ganz im Ernst, sie interessieren mich hier mehr als alles andere.

Helene. Niemand ausgenommen?

Loth. Nein.

Helene. Auch mein Schwager nicht ausgenommen?

Loth. Nein! – Das Interesse für diese Menschen ist ein ganz anderes – höheres ... verzeihen Sie, Fräulein! Sie können das am Ende doch wohl nicht verstehen.

Helene. Wieso nicht? Ich verstehe Sie sehr gut, Sie ... Sie läßt einen Brief aus der Tasche gleiten, Loth bückt sich darnach. Ach, lassen Sie ... es ist nicht wichtig, nur eine gleichgültige Pensionskorrespondenz.

Loth. Sie sind in Pension gewesen?

Helene. Ja, in Herrnhut. Sie müssen nicht denken, daß ich ... nein, nein, ich verstehe Sie schon.

Loth. Ich meine, die Arbeiter interessieren mich um ihrer selbst willen.

Helene. Ja, freilich – es ist ja sehr interessant ... so ein Bergmann ... wenn man's so nehmen will ... Es gibt ja Gegenden, wo man gar keine findet, aber wenn man sie so täglich ...

Loth. Auch wenn man sie täglich sieht, Fräulein ... Man muß sie sogar täglich sehen, um das Interessante an ihnen herauszufinden.

Helene. Nun, wenn es so schwer herauszufinden ... was ist es denn dann? das Interessante, mein' ich.

Loth. Es ist zum Beispiel interessant, daß diese Menschen, wie Sie sagen, immer so gehässig oder finster blicken.

Helene. Wieso meinen Sie, daß das besonders interessant ist?

Loth. Weil es nicht das gewöhnliche ist. Wir anderen pflegen doch nur zeitweilig und keineswegs immer so zu blicken.

Helene. Ja, weshalb blicken sie denn nur immer so ... so gehässig, so mürrisch? Es muß doch einen Grund haben.

Loth. Ganz recht! und den möchte ich gern herausfinden.

Helene. Ach Sie sind! Sie lügen mir was vor. Was hätten Sie denn davon, wenn Sie das auch wüßten?

Loth. Man könnte vielleicht Mittel finden, den Grund, warum diese Leute immer so freudlos und gehässig sein müssen, wegzuräumen; – man könnte sie vielleicht glücklicher machen.

Helene, ein wenig verwirrt. Ich muß Ihnen ehrlich sagen, daß ... aber gerade jetzt verstehe ich Sie doch vielleicht ein ganz klein wenig. – Es ist mir nur ... nur so ganz neu, so – ganz> – neu!

Hoffmann, durch die Tür rechts eintretend. Er hat eine Anzahl Briefe in der Hand. So! da bin ich wieder. – Eduard! daß die Briefe noch vor acht auf der Post sind. Er händigt dem Diener die Briefe ein; der Diener ab. – So, Kinder! jetzt können wir speisen. – Unerlaubte Hitze hier! September und solche Hitze! Er hebt den Champagner aus dem Eiskübel. Veuve Cliquot: Eduard kennt meine stille Liebe. Zu Loth gewendet. Habt ja furchtbar eifrig disputiert. Tritt an den fertig gedeckten, mit Delikatessen überladenen Abendtisch, reibt sich die Hände. Na! das sieht ja recht gut aus! Mit einem verschmitzten Blick zu Loth hinüber. Meinst du nicht auch? – Übrigens, Schwägerin! wir bekommen Besuch: Kahl Wilhelm. Er war auf dem Hof.

Helene macht eine ungezogene Gebärde.

Hoffmann. Aber Beste! Du tust fast, als ob ich ihn ... was kann denn ich dafür? Hab' ich ihn etwa gerufen? Man hört schwere Schritte draußen im Hausflur. Ach! das Unheil schreitet schnelle.

Kahl tritt ein, ohne vorher angeklopft zu haben. Er ist ein vierundzwanzigjähriger plumper Bauernbursch, dem man es ansieht, daß er soweit möglich gern den feinen, noch mehr aber den reichen Mann herausstecken möchte. Seine Gesichtszüge sind grob, der Gesichtsausdruck vorwiegend dumm-pfiffig. Er ist bekleidet mit einem grünen Jackett, bunter Samtweste, dunklen Beinkleidern und Glanzlack-Schaftstiefeln. Als Kopfbedeckung dient ihm ein grüner Jägerhut mit Spielhahnfeder. Das Jackett hat Hirschhornknöpfe, an der Uhrkette Hirschzähne usw. Stottert.

Kahl. Gun'n Abend minander! Er erblickt Loth, wird sehr verlegen und macht stillstehend eine ziemlich klägliche Figur.

Hoffmann tritt zu ihm und reicht ihm die Hand, aufmunternd. Guten Abend, Herr Kahl!

Helene, unfreundlich. Guten Abend.

Kahl geht mit schweren Schritten quer durch das ganze Zimmer auf Helene zu und gibt ihr die Hand. 'n Abend ooch, Lene.

Hoffmann, zu Loth. Ich stelle dir hiermit Herrn Kahl vor, unseren Nachbarssohn.

Kahl grinst und dreht den Hut. Verlegenheitsstille.

Hoffmann. Zu Tisch, Kinder! Fehlt noch jemand? Ach, die Schwiegermama. Miele! bitten Sie Frau Krause zu Tisch.

Miele ab durch die Mitteltür.

Miele, draußen im Hausflur schreiend. Frau!! – Frau!! Assa kumma! Se silln assa kumma!

Helene und Hoffmann blicken einander an und lachen verständnisinnig, dann blicken sie vereint auf Loth.

Hoffmann, zu Loth. Ländlich, sittlich!

Frau Krause erscheint, furchtbar aufgedonnert. Seide und kostbarer Schmuck. Haltung und Kleidung verraten Hoffart, Dummstolz, unsinnige Eitelkeit.

Hoffmann. Ah! da ist Mama! – Du gestattest, daß ich dir meinen Freund Dr. Loth vorstelle.

Frau Krause macht einen undefinierbaren Knicks. Ich bin so frei! Nach einer kleinen Pause. Nein aber auch, Herr Doktor, nahmen Sie mir's ock beileibe nicht iebel! Ich muß mich zurerscht muß ich mich vor Ihn'n vertefentieren, – sie spricht je länger, um so schneller – vertefentieren wegen meiner vorhinigten Benehmigung. Wissen Se, verstiehn Se, es komm ein der Drehe bei uns eine so ane grußmächtige Menge Streemer ... Se kinn's ni gleeba, ma hoot mit dan Battelvulke seine liebe Not. Asu enner, dar maust akrat wie a Ilster. Uf da Pfennig kimmt's ins nee ernt oa, nee ock nee, ma braucht a ni dreimol rimzudrehn, au kenn Toaler nich, eeb ma'n ausgibbt. De Krausa-Ludwig'n, die iis geizig, schlimmer wie a Homster egelganz, die ginnt kem Luder nischt. Ihrer is gesturba aus Arjer, weil a lumpigte zweetausend ei Brassel verloern hoot. Nee, nee! asu sein mir dorchaus nicht. Sahn Se, doas Buffett kust't mich zweehundert Toaler, a Transpurt ni gerechent; na, d'r Beron Klinkow koan's au nee andersch honn.

Frau Spiller ist kurz nach Frau Krause ebenfalls eingetreten. Sie ist klein, schief und mit den zurückgelegten Sachen der Frau Krause herausgestutzt. Während Frau Krause spricht, hält sie mit einer Art Andacht die Augen zu ihr aufgeschlagen. Sie ist etwa fünfundfünfzig Jahre alt; ihr Ausatmen geschieht jedesmal mit einem leisen Stöhnen, welches auch, wenn sie redet, regelmäßig wie »m« hörbar wird.

Frau Spiller, mit unterwürfigem, wehmütig gezierten Mollton, sehr leise. Der Baron Klinkow haben genau dasselbe Buffet – m – .

Helene, zu Frau Krause. Mama! wollen wir uns nicht erst setzen, dann ...

Frau Krause wendet sich blitzschnell und trifft Helene mit einem vernichtenden Blick; kurz und herrisch. Schickt sich doas? Frau Krause, im Begriff, sich zu setzen, erinnert sich, daß das Tischgebet noch nicht gesprochen ist, und faltet mechanisch, doch ohne ihrer Bosheit im übrigen Herr zu sein, die Hände.

Frau Spiller spricht das Tischgebet.

Komm, Herr Jesu, sei unser Gast.
Segne, was du uns bescheret hast.
Amen.

Alle setzen sich mit Geräusch. Mit dem Zulangen und Zureichen, welches einige Zeit in Anspruch nimmt, kommt man über die peinliche Situation hinweg.

Hoffmann, zu Loth. Lieber Freund, du bedienst dich wohl?! Austern?

Loth. Nun, will probieren. Es sind die ersten Austern, die ich esse.

Frau Krause hat soeben eine Auster geschlürft. Mit vollem Munde. In dar Saisong, mein'n Se woll?

Loth. Ich meine, überhaupt.

Frau Krause und Frau Spiller wechseln Blicke.

Hoffmann, zu Kahl, der eine Zitrone mit den Zähnen auspreßt. Zwei Tage nicht gesehen, Herr Kahl! Tüchtig Mäuse gejagt in der Zeit?

Kahl. N...n...nee!

Hoffmann, zu Loth. Herr Kahl ist nämlich ein leidenschaftlicher Jäger.

Kahl. D...d...die M...mm...maus, das ist'n in...in...infamtes Am...am...amf...ff...fibium.

Helene platzt heraus. Zu lächerlich ist das; alles schießt er tot, Zahmes und Wildes.

Kahl. N...nächten hab' ich d...d...die alte Szss...sau vu ins t...tot g...g...geschossen.

Loth. Da ist wohl Schießen Ihre Hauptbeschäftigung?

Frau Krause. Herr Kahl tut's ock bloßig zum Prifatvergniegen.

Frau Spiller. »Wald, Wild, Weib«, pflegten Seine Exellenz der Herr Minister von Schadendorf oftmals zu sagen.

Kahl. I…i...iberm...m...murne hab'n mer T...t...tau...t...taubenschießen.

Loth. Was ist denn das: Taubenschießen?

Helene. Ach, ich kann so was nicht leiden; es ist doch nichts als eine recht unbarmherzige Spielerei. Ungezogene Jungens, die mit Steinen nach Fensterscheiben zielen, tun etwas Besseres.

Hoffmann. Du gehst zu weit, Helene.

Helene. Ich weiß nicht – meinem Gefühl nach hat es weit mehr Sinn, Fenster einzuschmeißen, als Tauben an einem Pfahl festzubinden und dann mit Kugeln nach ihnen zu schießen.

Hoffmann. Na, Helene – man muß doch aber bedenken ...

Loth, irgend etwas mit Messer und Gabel zerschneidend. Es ist ein schandbarer Unfug.

Kahl. Um die p...poar Tauba ...!

Frau Spiller, zu Loth. Der Herr Kahl -m-, müssen Sie wissen, haben zweihundert Stück im Schlage.

Loth. Die ganze Jagd ist ein Unfug.

Hoffmann. Aber ein unausrottbarer. Da werden zum Beispiel eben jetzt wieder fünfhundert lebende Füchse gesucht; alle Förster hierherum und auch sonst in Deutschland verlegen sich aufs Fuchsgraben.

Loth. Was macht man denn mit den vielen Füchsen?

Hoffmann. Sie kommen nach England, wo sie die Ehre haben, von Lords und Ladys gleich vom Käfig weg zu Tode gehetzt zu werden.

Loth. Muhammedaner oder Christ, Bestie bleibt Bestie.

Hoffmann. Darf ich dir Hummer reichen, Mama?

Frau Krause. Meinswejen, ei dieser Saisong sind se sehr gutt!

Frau Spiller. Gnädige Frau haben eine so feine Zunge -m-!

Frau Krause, zu Loth. Hummer han Sie woll auch noch nich gegassen, Herr Dukter?

Loth. Ja, Hummer habe ich schon hin und wieder gegessen – an der See oben, in Warnemünde, wo ich geboren bin.

Frau Krause, zu Kahl. Gell, Wilhelm, ma weeß wirklich'n Gott manchmal nich meh, was ma assen sull?

Kahl. J...j...ja, w...w...weeß ... weeß G...Gott, Muhme.

Eduard will Loth Champagner eingießen. Champagner.

Loth hält sein Glas zu. Nein! ... danke!

Hoffmann. – Mach keinen Unsinn.

Helene. Wie, Sie trinken nicht?

Loth. Nein, Fräulein.

Hoffmann. Na, hör mal an: das ist aber doch ... das ist langweilig.

Loth. Wenn ich tränke, würde ich noch langweiliger werden.

Helene. Das ist interessant, Herr Doktor.

Loth, ohne Takt. Daß ich langweiliger werde, wenn ich Wein trinke?

Helene, etwas betreten. Nein, ach nein, daß ... daß Sie nicht trinken ... daß Sie überhaupt nicht trinken, meine ich.

Loth. Warum soll das interessant sein?

Helene, sehr rot werdend. Es ist ... ist nicht das gewöhnliche. Wird noch röter und sehr verlegen.

Loth, tolpatschig. Da haben Sie recht, leider.

Frau Krause, zu Loth. De Flasche kust uns fufza Mark, Sie kinn a dreiste trink'n. Direkt vu Reims iis a, mir satz'n Ihn gewiß nischt Schlechtes vier, mir mieja salber nischt Schlechtes.

Frau Spiller. Ach, glauben Sie mich -m-, Herr Doktor, wenn Seine Exellenz der Herr Minister von Schadendorf -m- so eine Tafel geführt hätten ...

Kahl. Ohne menn Wein kennt' ich nich laben.

Helene, zu Loth. Sagen Sie uns doch, warum Sie nicht trinken!

Loth. Das kann gerne geschehen, ich ...

Hoffmann. Ä, was! alter Freund! Er nimmt dem Diener die Flasche ab, um nun seinerseits Loth zu bedrängen. Denk dran, wie manche hochfidele Stunde wir früher miteinander ...

Loth. Nein, bitte bemühe dich nicht, es ...

Hoffmann. Trink heut mal!

Loth. Es ist alles vergebens.

Hoffmann. Mir zuliebe!

Hoffmann will eingießen, Loth wehrt ab; es entsteht ein kleines Handgemenge.

Loth. Nein! ... nein, wie gesagt ... nein! ... nein, danke.

Hoffmann. Aber nimm mir's nicht übel ... das ist eine Marotte.

Kahl, zu Frau Spiller. Wer nich will, dar hat schunn. Frau Spiller nickt ergeben.

Hoffmann. Übrigens, des Menschen Wille ... und so weiter. Soviel sage ich nur: ohne ein Glas Wein bei Tisch ...

Loth. Ein Glas Bier zum Frühstück ...

Hoffmann. Nun ja, warum nicht? Ein Glas Bier ist was sehr Gesundes.

Loth. Ein Kognak hie und da ...

Hoffmann. Na, wenn man das nicht mal haben sollte ... zum Asketen machst du mich nun und nimmer. Das heißt ja dem Leben allen Reiz nehmen.

Loth. Das kann ich nicht sagen. Ich bin mit den normalen Reizen, die mein Nervensystem treffen, durchaus zufrieden.

Hoffmann. Eine Gesellschaft, die trockenen Gaumens beisammenhockt, ist und bleibt eine verzweifelt öde und langweilige – für die ich mich im allgemeinen bedanke.

Frau Krause. Bei a Adlijen wird doch auch aso viel getrunk'n.

Frau Spiller, durch eine Verbeugung des Oberkörpers ergebenst bestätigend. Es ist Schentelmen leicht, viel Wein zu trinken.

Loth, zu Hoffmann. Mir geht es umgekehrt; mich langweilt im allgemeinen eine Tafel, an der viel getrunken wird.

Hoffmann. Es muß natürlich mäßig geschehen.

Loth. Was nennst du mäßig?

Hoffmann. Nun ... daß man noch immer bei Besinnung bleibt.

Loth. Aaah! ... also du gibst zu: die Besinnung ist im allgemeinen durch den Alkoholgenuß sehr gefährdet. – Siehst du! deshalb sind mir Kneiptafeln – langweilig.

Hoffmann. Fürchtest du denn, so leicht deine Besinnung zu verlieren?

Kahl. Iiii...i...ich habe n...n...neulich ene Flasche Rrr...r...rü...rüd...desheimer, ene Flasche Sssssekt get...t...trunken. Obendrauf d...d...d...dann n...noch eine Flasche B...b...bordeaux, aber besuffen woar ich no n...nich.

Loth, zu Hoffmann. Ach nein, du weißt ja wohl, daß ich es war, der euch nach Hause brachte, wenn ihr euch übernommen hattet. Ich hab' immer noch die alte Bärennatur: nein, deshalb bin ich nicht so ängstlich.

Hoffmann. Weshalb denn sonst?

Helene. Ja, warum trinken Sie denn eigentlich nicht? Bitte, sagen Sie es doch.

Loth, zu Hoffmann. Damit du doch beruhigt bist: ich trinke heut schon deshalb nicht, weil ich mich ehrenwörtlich verpflichtet habe, geistige Getränke zu meiden.

Hoffmann. Mit anderen Worten, du bist glücklich bis zum Mäßigkeitsvereinshelden herabgesunken.

Loth. Ich bin völliger Abstinent.

Hoffmann. Und auf wie lange, wenn man fragen darf, machst du diese ...

Loth. Auf Lebenszeit.

Hoffmann wirft Gabel und Messer weg und fährt halb vom Stuhle auf. Pf! gerechter Strohsack! Er setzt sich wieder. Offen gesagt, für so kindisch ... verzeih das harte Wort.

Loth. Du kannst es gerne so benennen.

Hoffmann. Wie in aller Welt bist du nur darauf gekommen?

Helene. Für so etwas müssen Sie einen sehr gewichtigen Grund haben – denke ich mir wenigstens.

Loth. Der existiert allerdings. Sie, Fräulein! – und du, Hoffmann! weißt wahrscheinlich nicht, welche furchtbare Rolle der Alkohol in unserem modernen Leben spielt ... Lies Bunge, wenn du dir einen Begriff davon machen willst. – Mir ist noch gerade in Erinnerung, was ein gewisser Everett über die Bedeutung des Alkohols für die Vereinigten Staaten gesagt hat. – Notabene, es bezieht sich auf einen Zeitraum von zehn Jahren. Er meint also: Der Alkohol hat direkt eine Summe von drei Milliarden und indirekt von sechshundert Millionen Dollars verschlungen. Er hat dreihunderttausend Menschen getötet, hunderttausend Kinder in die Armenhäuser geschickt, weitere Tausende in die Gefängnisse und Arbeitshäuser getrieben, er hat mindestens zweitausend Selbstmorde verursacht. Er hat den Verlust von wenigstens zehn Millionen Dollars durch Brand und gewaltsame Zerstörung verursacht, er hat zwanzigtausend Witwen und schließlich nicht weniger als eine Million Waisen geschaffen. Die Wirkung des Alkohols, das ist das Schlimmste, äußert sich sozusagen bis ins dritte und vierte Glied. – Hätte ich nun das ehrenwörtliche Versprechen abgelegt, nicht zu heiraten, dann könnte ich schon eher trinken, so aber ... meine Vorfahren sind alle gesunde, kernige und, wie ich weiß, äußerst mäßige Menschen gewesen. Jede Bewegung, die ich mache, jede Strapaze, die ich überstehe, jeder Atemzug gleichsam führt mir zu Gemüt, was ich ihnen verdanke. Und dies, siehst du, ist der Punkt: ich bin absolut fest entschlossen, die Erbschaft, die ich gemacht habe, ganz ungeschmälert auf meine Nachkommen zu bringen.

Frau Krause. Du! – Schwiegersuhn! – inse Bargleute saufen woahrhaftig zu viel: doas muuß woahr sein.

Kahl. Die saufen wie d' Schweine.

Helene. Ach! so etwas vererbt sich?

Loth. Es gibt Familien, die daran zugrunde gehen, Trinkerfamilien.

Kahl, halb zu Frau Krause, halb zu Helene. Euer Aler, dar treibt's au a wing zu tull.

Helene, weiß wie ein Tuch im Gesicht, heftig. Ach, schwatzen Sie keinen Unsinn!

Frau Krause. Nee, do hier enner asu ein patziges Froovulk oa; asu 'ne Prinzessen. Hängst de wieder amol de Gnädige raus, wie? – Asu fährt se a Zukinftigen oa. Zu Loth, auf Kahl deutend. 's is nämlich d'r Zukinftige, missen Se nahmen, Herr Dukter, 's is alles eim reenen.

Helene, aufspringend. Hör auf! oder ... hör auf, Mutter! oder ...

Frau Krause. Do hiert doch aber werklich ... na, do sprecha Se, Herr Dukter, iis das wull Bildung, hä? Weeß Gott, ich hal se wie mei eegnes Kind, aber die treibt's reen zu tull.

Hoffmann, beschwichtigend. Ach, Mama! tu mir doch den Gefallen ...

Frau Krause. Neee! groade – iich sah' doas nich ein – asu ane Goans wie die iis ... do hiert olle Gerechtigkeet uff ... su ane Titte!

Hoffmann. Mama, ich muß dich aber wirklich doch jetzt bitten, dich ...

Frau Krause, immer wütender. Stats doaß doas Froovulk ei der Wertschoft woas oagreeft ... bewoahre nee! Doa zeucht se an Flunsch biis hinger beede Leffel. – Oaber da Schillerich, oaber a Gethemoan, asu 'ne tumme Scheißkarle, die de nischt kinn'n als lieja: vu dan'n läßt se sich a Kupp verdrehn. Urnar zum Kränke krieja iis doas. Schweigt bebend vor Wut.

Hoffmann, begütigend. Nun – sie wird ja nun wieder ... es war ja vielleicht – nicht ganz recht ... es ... Gibt Helenen, die in Erregung abseits getreten ist, einen Wink, auf den hin sich das Mädchen, die Tränen gewaltsam zurückhaltend, wieder auf seinen Platz begibt. Hoffmann, das nunmehr eingetretene peinliche Schweigen unterbrechend, zu Loth. Ja ... von was sprachen wir doch? ... Richtig! – vom biederen Alkohol. Er hebt sein Glas. Nun, Mama: Frieden! – Komm, stoßen wir an – seien wir friedlich – machen wir dem Alkohol Ehre, indem wir friedlich sind. Frau Krause, wenn auch etwas widerwillig, stößt doch mit ihm an. Hoffmann, zu Helene gewendet. Was, Helene?! – dein Glas ist leer? ... Ei der Tausend, Loth! du hast Schule gemacht.

Helene. Ach ... nein ... ich ...

Frau Spiller. Mein gnädiges Fräulein, so etwas läßt tief ...

Hoffmann. Aber du warst doch sonst keine von den Zimperlichen.

Helene, batzig. Ich hab' eben heut keine Neigung zum Trinken, einfach!

Hoffmann. Bitte, bitte, bitte seeehr um Verzeihung. – – Ja, von was sprachen wir doch?

Loth. Wir sprachen davon, daß es Trinkerfamilien gäbe.

Hoffmann, aufs neue betreten. Schon recht, schon recht, aber ... Man bemerkt zunehmenden Ärger in dem Benehmen der Frau Krause, während Herr Kahl sichtlich Mühe hat, das Lachen über etwas, das ihn innerlich furchtbar zu amüsieren scheint, zurückzuhalten. Helene beobachtet Kahl ihrerseits mit brennenden Augen, und bereits mehrmals hat sie durch einen drohenden Blick Kahl davon zurückgehalten, etwas auszusprechen, was ihm sozusagen auf der Zunge liegt. Loth, ziemlich gleichmütig, mit Schälen eines Apfels beschäftigt, bemerkt von alledem nichts.

Loth. Ihr scheint übrigens hier ziemlich damit gesegnet zu sein.

Hoffmann, nahezu fassungslos. Wieso? ... mit ... mit was gesegnet?

Loth. Mit Trinkern natürlicherweise.

Hoffmann. Hm! ... meinst du? ... ach ... jaja ... allerdings, die Bergleute ...

Loth. Nicht nur die Bergleute. Zum Beispiel hier in dem Wirtshaus, wo ich abstieg, bevor ich zu dir kam, da saß ein Kerl so: Er stützt beide Ellenbogen auf den Tisch, nimmt den Kopf in die Hände und stiert auf die Tischplatte.

Hoffmann. Wirklich? Seine Verlegenheit hat den höchsten Grad erreicht; Frau Krause hustet, Helene starrt noch immer auf Kahl, welcher jetzt am ganzen Körper vor innerlichem Lachen bebt, sich aber doch noch so weit bändigt, nicht laut herauszuplatzen.

Loth. Es wundert mich, daß du dieses – Original, könnte man beinahe sagen, noch nicht kennst. Das Wirtshaus ist ja gleich hier nebenan das. Mir wurde gesagt, es sei ein hiesiger steinreicher Bauer, der seine Tage und Jahre buchstäblich in diesem selben Gastzimmer mit Schnapstrinken zubrächte. Das reine Tier ist er natürlich. Diese furchtbar öden, versoffenen Augen, mit denen er mich anstierte. Kahl, der bis hierher sich zurückgehalten hat, bricht in ein rohes, lautes, unaufhaltsames Gelächter aus, so daß Loth und Hoffmann, starr vor Staunen, ihn anblicken.

Kahl, unter dem Lachen hervorstammelnd. Woahrhaftig! das is ja ... das is ja woahrhaftig der ... der Alte gewesen.

Helene ist entsetzt und empört aufgesprungen. Zerknüllt die Serviette und schleudert sie auf den Tisch. Bricht aus. Sie sind ... – macht die Bewegung des Ausspeiens – pfui! Sie geht schnell ab.

Kahl, die aus dem Bewußtsein, eine große Dummheit gemacht zu haben, entstandene Verlegenheit gewaltsam abreißend. Ach woas! ... Unsinn! 's iis ju zu tumm! – Iich gieh' menner Wege. Er setzt seinen Hut auf und sagt, indem er abgeht, ohne sich noch einmal umzuwenden. 'n Obend!

Frau Krause ruft ihm nach. Koan dersch nich verdenken, Willem! Sie legt die Serviette zusammen und ruft dabei. Miele! Miele kommt. Räum ab! Für sich, aber doch laut. Su ane Gans.

Hoffmann, etwas aufgebracht. Ich muß aber doch ehrlich sagen, Mama! ...

Frau Krause. Mahr dich aus. Steht auf, schnell ab.

Frau Spiller. Die gnädige Frau -m- haben heut manches häusliche Ärgernis gehabt -m-. Ich empfehle mich ganz ergebenst. Sie steht auf und betet still, unter Augenaufschlag, dann ab.

Miele und Eduard decken den Tisch ab. Hoffmann ist aufgestanden und kommt mit einem Zahnstocher im Mund nach dem Vordergrund; Loth folgt ihm.

Hoffmann. Ja, siehst du, so sind die Weiber.

Loth. Ich begreife gar nichts von alledem.

Hoffmann. Ist auch nicht der Rede wert. – So etwas kommt, wie bekannt, in den allerfeinsten Familien vor. Das darf dich nicht abhalten, ein paar Tage bei uns ...

Loth. Hätte gern deine Frau kennengelernt, warum läßt sie sich denn nicht blicken?

Hoffmann, die Spitze einer frischen Zigarre abschneidend. Du begreifst, in ihrem Zustand ... die Frauen lassen nun mal nicht von der Eitelkeit. Komm! wollen uns draußen im Garten bißchen ergehen. – Eduard! den Kaffee in die Laube.

Eduard. Sehr wohl.

Hoffmann und Loth ab durch den Wintergarten. Eduard ab durch die Mitteltür, hierauf Miele, ein Brett voll Geschirr tragend, ebenfalls ab durch die Mitteltür. Einige Augenblicke bleibt das Zimmer leer, dann erscheint

Helene, erregt, mit verweinten Augen, das Taschentuch vor den Mund haltend. Von der Mitteltür, durch welche sie eingetreten ist, macht sie hastig ein paar Schritte nach links und lauscht an der Tür von Hoffmanns Zimmer. Oh! nicht fort! – Da sie hier nichts vernimmt, fliegt sie zur Tür des Wintergartens hinüber, wo sie ebenfalls mit gespanntem Ausdruck einige Sekunden lauscht. Bittend und mit gefalteten Händen, inbrünstig. Oh! nicht fort, geh nicht fort!


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