Gerhart Hauptmann
Die Jungfern vom Bischofsberg
Gerhart Hauptmann

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Vierter Akt

Oberhalb des Weingeländes auf dem Talabhang und im Park des Bischofsbergs. Den Hintergrund bildet das Saaletal; darin, nicht zu weit entfernt, ist Naumburg sichtbar. Halb im Weinberg links ein verfallener alter Luginsland. Die Eingangspforte ist ohne Tür; rechts mehr nach vorn eine mit Brettern bedeckte Zisterne. Gegen den Weinberg hin begrenzt ein verfallener Mauerkranz, über den Spitzen von Weinpfählen ragen, den Vordergrund. Links erhöht, über Stufen zu erreichen, eine kleine Einsiedlerzelle mit Glockentürmchen aus Borke. Zwischen alledem ein breiter Rasenplatz, von Gehölz umgeben, mit weitem offenen Horizont über Mauerkranz, Tal und jenseitige Hügel. Bunte Herbstfarben, ein Pistolenschuß dann und wann in den anliegenden Weinbergen, Rufe der Winzer, Geräusch des Sensenwetzens usw.

Es ist an einem klaren Herbsttage, mittags gegen zwölf Uhr.

Aus der Kapelle dringt Geigenspiel. Auf den unteren Stufen, die zu ihr führen, sitzen Kozakiewicz und Grünwald in Strohhüten mit Spazierstöcken, sommerlich hell gekleidet.

Kozakiewicz. Ceterum censeo! Ich halte es für das beste, mein Junge.

Grünwald. Das wird mir allerdings eher schwer als leicht! Ganz verdammt und verteufelt schwer, Kozakiewicz.

Kozakiewicz. Warum? Es kommt der Entwöhnung zugute in einem Fall, und im günstigen Fall hat es nichts zu bedeuten.

Grünwald. Entwöhnung?

Kozakiewicz. Ich sagte Entwöhnung, gewiß. Auch diese Wendung ist zu berücksichtigen. Zugegeben, daß es nicht leicht wäre für dich, denn sie prangt! Sie ist schön! Ihr Anblick ist so: es muß jeden Mann auf der Stelle verwirren! Doch hüte dich: etwas ist auch in ihr, was dich später nach einer Reihe von Jahren noch tiefer und bittrer vielleicht verwirrt.

Grünwald. Duell! Duell! Weiter sage ich nichts.

Kozakiewicz. Kein Duell! ich bitte dich dringend darum. Gegen diesen Mann den Kartellträger machen verstieße gegen mein Anstandsgefühl. Und ich habe auch etwas Mitleid mit ihm. – Nein! ziehe dich lieber ein wenig zurück, und ich werde für dich zu wirken suchen, daß es möglichst zu deinem Nachteil nicht ist.

Grünwald. Mensch, wo finde ich Luft, zu atmen, wenn du mich aus diesem Garten schickst?

Kozakiewicz. Ich leugne es nicht, daß das Atmen hier oben mir ebenfalls ganz besonders leicht und belebend ist. Eine anachronistische Süße liegt in der Luft! Etwas Stilles, Unschuldvolles, Verwunschenes, das durch die alten, bemoosten Steine der Parkmauer von dem gellenden Lärm des europäischen Kulturparoxysmus geschieden ist. – Lies etwas! Lege dich aufs Ohr! Betrüge die Stunden auf jede Weise!

Grünwald. Lesen? Ich stiere die Bücher wie Steine an, als wären es Steine, mich totzuschlagen! Was hast du für eine Bemerkung gemacht?

Kozakiewicz. Wann?

Grünwald. Die sich auf unsere Zukunft bezog.

Kozakiewicz. Ich meinte, sie wird dir zu schaffen machen, wenn du wirklich auch heute der Sieger bist.

Grünwald. Mensch, lästere diese – Gottheit möchte ich beinahe sagen . . . lästere sie nicht! Sieh diese freie Stirn! die gewölbte Brust! die Einfachheit! das offene Auge! . . . keine trübe Stunde, sage ich dir! . . . jede andere müßte mir Katzen zur Welt bringen.

Kozakiewicz. O meine kleine Angorakatze! Was machst du daheim, und wer sorgt für dich?

Grünwald. Glaubst du denn überhaupt, Kozakiewicz, daß noch ein Schimmer von Hoffnung für mich ist?

Kozakiewicz. Das wird wohl kein Mensch in der Welt bezweifeln. Die Kleine hat etwas angedeutet, wer weiß, ob sie richtig vermutet hat? und ob wirklich die Proklamation der Verlobung deiner Cœur-Dame mit diesem Treff-As heute stattfinden wird? Und wenn schon, Verlobung ist noch nicht Hochzeit.

Grünwald. Duell! Duell! Und nichts als Duell! – Wie spät ist es?

Kozakiewicz. Zeit, daß du dich besserst, Freund! Blinder Eifer ist immer schädlich. So hat sogar dein Losbruch von gestern, obgleich du die Jugend für dich hast, nichts genützt. Du hast nur den Gegner entschlossen gemacht, ihm den Ernst seiner Lage demonstriert. Wenn alles und alles verlorengeht: sieh doch auf mich! was liegt daran, Grünwald? Wir beide haben uns nochmals berührt, Nächte durchphilosophiert miteinander, was immerhin doch auch etwas ist und uns jedenfalls einen versöhnten Rückblick gewährleistet. – Höre doch mal, wie der Pelikan singt!

Grünwald. Bist du nicht etwa auch verliebt?

Kozakiewicz. Leider bin ich schon lange auf Urlaub, Freund, und so hab' ich im Dienst nicht mehr mitzusprechen. – Du aber gehorche, verstehst du mich?!

Sie haben sich beide erhoben, Grünwald begibt sich, von dem Freunde begleitet, auf den Weg.

Grünwald (stehenbleibend). Du wirst sie sehen! Vergiß mich nicht!

Beide entschwinden hinter den Turm. Kozakiewicz kommt sogleich wieder, dem Freunde mit dem Stock nachwinkend. Alsdann nimmt er wiederum lauschend Platz auf den Kapellenstufen. Bald danach tritt Ludowike mit der Geige in die Kapellentür.

Ludowike (mit erstauntem Ausruf). Herr Doktor, Sie haben zugehört!

Kozakiewicz. Das darf Sie unmöglich wundernehmen, o schönste Fee: Wer einen solchen Faden über die Gärten spinnt, ein solches funkelndes Traumgewebe aus Glanz und Glut, der muß ganz natürlich auch törichte, taumelnde Motten fangen.

Ludowike. Ich habe mich hier heraufgemacht, weil der Lärm im Haus unerträglich ist.

Kozakiewicz. Und es ist auch unendlich viel schöner hier draußen.

Ludowike. Es wird aber auch hier bald Lärm genug ausbrechen. Gegen ein Uhr kommt die Gesellschaft herauf, und da soll hier im Grünen ein Picknick stattfinden. – Wo haben Sie denn Ihren Freund?

Kozakiewicz. Gott weiß! (Er nimmt eine traurige Miene an und zuckt fatalistisch mit den Achseln.)

Ludowike. Es ist was Schreckliches mit dem ekligen Ewald Nast. Kein Mensch unter uns kann ihn eigentlich leiden! Selbst unsere Großmama mag ihn nicht. Und doch tyrannisiert er uns alle mitnander.

Kozakiewicz. An dem letzteren Umstand zweifle ich nicht. Das erstere duldet jedoch eine Ausnahme.

Ludowike. Ja! Aber das ist uns allen, die wir Agathe liebhaben, vollkommen rätselhaft.

Kozakiewicz. Ich habe nichts gegen Herrn Ewald Nast, aber es ist die Unnatur ohnegleichen. Ein einziger flüchtiger Blick genügt, um das Mißverhältnis ganz aufzufassen, das zwischen Ihrer verehrten Schwester und diesem geschätzten Schulmann besteht.

Ludowike. Ja, weshalb war denn Ihr Freund so dumm und hat Agathen so lange braten lassen!

Kozakiewicz. Mein Freund ist ein herzensguter, vorzüglicher Mensch; aber in seiner Art ein bißchen zu gradlinig, weshalb er mitunter so wenig biegsam ist, daß er gegen alle Wahrscheinlichkeit, ja mitunter gegen alle Vernunft – es ist nicht zu sagen, wie töricht! – handelt und ein ganz nahe gelegenes Ziel verfehlt.

Ludowike (lachend). Da passen Sie eigentlich gut zueinander. (Sabine, sommerlich gekleidet, erscheint auf dem Plan.)

Sabine. Ah, da warten die Vögelchen schon auf die Brosamen. Geduld! das Frühstück im Grünen ereignet sich bald.

Ludowike. Wir sprachen von Agathe und Grünwald.

Sabine. Du Dummchen, was gäbe es da wohl zu sprechen?

Kozakiewicz. Wir schweigen, sobald Sie befehlen, davon! – Aber nein. Es geht nicht. Man darf jetzt nicht schweigen: ich, meine Gnädigste, nicht als Freund und Sie, meine Gnädigste, nicht als Schwester! Und so richte ich eine Frage an Sie mit vollem Bewußtsein der Gefahr, mir Ihre Gnade sogleich zu verscherzen. Ist es wahr? ich habe mir sagen lassen, und zwar von dem kleinen Herrn Otto Kranz: ein Herr Konsistorialrat wird heut hier im Freien, nach einer Sitte des Hauses aus alter Zeit, eine Andacht halten und wird bei dieser schönen Gelegenheit eine schreckliche Tatsache öffentlich mitteilen.

Sabine. Für wen ist es denn eine schreckliche Tatsache?

Kozakiewicz. Oh, meine Gnädigste, für jedermann.

Sabine. Sind Sie der Anwalt von jedermann?

Kozakiewicz. Es ist eine widersinnige Tatsache, die zwei edle Naturen im Mark ihres Daseins verwunden wird.

Sabine. Herr Doktor, wir Schwestern haben die Abrede, daß keine der andern im Wege ist und die Freiheit ihrer Entschlüsse beeinträchtigt. – Wer fragt nach mir? daran halte ich fest! Überdies: Agathe ging stets ihren eigenen Weg! Papa selber konnte sie kaum beeinflussen. Mir gelingt erst recht nicht, was ihm nicht gelang.

Kozakiewicz. Wenn Sie aber unserer Meinung sind, so sollten wir doch eine Liga bilden, eine Art Rettungsgenossenschaft.

Otto (tritt aus den Büschen, sommerlich angezogen und mit Strohhut). Begebt euch mal von hier weg, guten Leute!

Sabine. Erst muß ich wissen: wo ist mein Kreuz?

Otto. Das Kreuz des Kreuzes dem Kreuze das Kreuz! Ihr wißt ja noch gar nicht, wie korsikanisch rachsüchtig ich bin. – Lux, komm! Nun zu unserer Hauptsache! Und ihr tut uns die Liebe und geht von hier fort.

Sabine. Verbrennt euch nur nicht bei euren Dummheiten! (Sabine, geleitet von Kozakiewicz, steigt hinter der Kapelle weiter den Berg hinauf und verschwindet.)

Otto. Jetzt flott. Lux, hilf mir den Kasten heraufschleppen!

Ludowike springt sogleich mit ihm in die Büsche, und sie bringen einen eichenen Kasten hervor, der fast schwarz vor Alter und über und über mit rostigen gotischen Eisenbeschlägen versehen ist. Inmitten des Platzes müssen sie ausruhen.

Otto. In wenig Minuten kommt er rauf. Der Kammerjäger parliert bereits unten am Teiche mit ihm. Paß mal auf: er muß mir gehörig aufsitzen.

Ludowike. Schnell! Schnell, Otto, sonst überrascht er uns noch. (Sie schleppen den Kasten bis an den Eingang des Turmes, wo sie ihn nochmals niedersetzen.)

Otto. Du sagst, er hat dir das Kreuzchen gezeigt?

Ludowike. Ewald hat mich gefragt, ob es uns gehört, und ich habe sofort mit Nein geantwortet.

Otto und Ludowike verschwinden mit dem Kasten im Innern des Turms. Gleich darauf kommen atemlos Adelheid und ihr Bräutigam Reinhold Kranz von unten her auf den Platz. Der Bräutigam, ein stattlicher siebenundzwanzigjähriger Mensch mit Schnurrbart, einigermaßen offiziell gekleidet mit Gehrock, Zylinder und Stock.

Adelheid. Gott sei Dank, daß du da bist, Reinhold! Gott sei Dank, daß wir hier oben sind, aus dem Trubel heraus, wo uns niemand stört! Gott sei Dank, daß wir nun bald über alle Berge sein werden.

Reinhold. Liebste! Geliebte, Liebste, du hast ja so schrecklich recht! Komm! (Er umarmt sie. Sie schmiegt sich an seine Brust, und sie küssen einander voll Inbrunst. Plötzlich fahren sie auseinander.) Was gibt's denn?

Adelheid. Nichts. Es war, als wenn jemand gesprochen hätte!

Reinhold. Sag mal, verstehst du Agathens Geschmack?

Adelheid. Ewald? Sie hat sich ja selber früher, solange ich mich erinnern kann, einfach nur über ihn lustig gemacht. – Nun, mögen sie sehen, wie sie sich durchfinden. (Erneute Umarmung und Kuß. Adelheid befreit sich plötzlich und sagt) Hast du den eigentümlichen Laut gehört?

Reinhold. Nein! Wo denn?

Adelheid. Irgendwo in der Erde unten; ganz deutlich ein hallender, dumpfer Laut.

Reinhold. Aber Liebste, du bist ja ganz blaß geworden. Spukt es denn manchmal hier oben bei euch?

Adelheid. Es ist manchmal nicht ganz geheuer im Garten. Besonders hier um die alten Ruinen herum. Neulich gingen wir vier Schwestern mal miteinander, und plötzlich blieben wir alle stehn und bekamen das Zittern und sahen uns an! Und ich kann dir die Versicherung geben, wir hatten alle zugleich dicht neben uns eine Stimme gehört, die rief ganz deutlich zweimal nach Hilfe. – Zu Hilfe! Zu Hilfe! etwa so.

Reinhold. Das wird wohl der alte vor dreihundert Jahren gestorbene Schwerenotsbischof Benno gewesen sein, der hier oben mit seinen niedlichen Nichtchen gehaust hat.

Adelheid. Gib mal acht, schon wieder! Du, mach keinen Unsinn!

Reinhold. Das war in der alten Zisterne drin! – Jetzt ist es im Turm! Hier geht's ja um!

Adelheid. Turm und Zisterne sind nämlich durch einen unterirdischen Gang verbunden.

Ludowike erscheint im Turmeingang.

Reinhold. Lux! Das ist des Pudels Kern.

Adelheid. Was treibst du denn unter der Erde, Lux? Du hast uns ja einen Schreck eingejagt.

Ludowike. Ich seh' euch noch gar nicht, ich bin noch ganz blind. Eine Luft ist da unten, fürchterlich! Ich bin über ganze Skelette gestolpert.

Otto (unsichtbar in der Zisterne, rufend). Lux!

Adelheid. Noch jemand ist unten?

Reinhold. Jawohl! – Du, Brüderchen, steig auf der Stelle herauf! Ich werde dich lehren, hier Unfug anstiften!

Adelheid. Mit Otto bist du hier unten? Was heißt denn das?

Ludowike. Damit wollten wir etwas Besonderes nicht ausdrücken.

Adelheid. Komm mal mit mir, Lux, das geht doch nicht. Ihr seid wohl nicht recht bei Troste, ihr Kinder! – Gleich kommst du mit!

Reinhold (am Turmeingang, ruft hinunter). Otto, gleich kommst du herauf! – (Zu Adelheid.) Lies du deinem Schwesterchen die Leviten! Ich nehme das Brüderchen in die Kur.

Ludowike, fortgezogen, lachend, ab mit Adelheid. Otto erscheint am Turmeingang.

Otto. Himmel, mir ist wie 'ner Eule zumut. Ich sehe ja nicht die Hand vor den Augen! Wo ist denn Lux?

Reinhold. Das geht dich nichts an. Es kommen schon Leute herauf. Wenn man euch hier nun getroffen hätte! Das fällt doch auf unsere Familie zurück, der Tante und Ewald sowieso nicht grün sind.

Otto (heftig, indem er nach unten späht). Pst! Halt mal das Maul einen Augenblick! – Komm weg!

Reinhold. Wie erlaubst du dir, Bengel, dich auszudrücken?

Otto. Quatsch nich, Krause! Komm weg! Komm weg! Ich sag' dir: komm weg! Verdirb mir den Jux nicht!

Reinhold (während er gewaltsam durch Otto fortgerissen und gestoßen wird). Junge, bist du tatsächlich übergeschnappt?

Beide ab.

Nach einigen Augenblicken betritt der Vagabund und nach ihm Nast den Rasenplatz.

Der Vagabund (erregt und ein wenig angetrunken). Jetze han mersch erreicht.

Nast. Also sind wir am Platz. Nun, das ist ja so, wie ich vermutet habe: der Turm, die Zisterne, der Mauerkranz! – Und wo fanden Sie nun das Kreuzchen auf?

Der Vagabund. Dunda! Dunda! Hier oben nich.

Nast. Dort hinunter kann ich heut leider nicht steigen. Dazu eignen sich schwarzer Rock und Zylinder nicht! Wir wären auch heut nicht ungestört. Aber da ich ein Frühaufsteher bin, will ich morgen vor acht früh einmal heraufkommen, für den Zweck gehörig herausstaffiert, und dann soll es mir wieder mal nicht drauf ankommen, Maulwurf unter Maulwürfen zu sein.

Der Vagabund. Halt! Sachte! Ma sieht's von hier oben schon! (Er nimmt sehr geheimnistuerisch den Deckel von der Zisterne, legt sich lang auf den Bauch und blickt hinein.) Sehn Se's, es blitzt unten in der Zisterne.

Nast. Was soll man denn sehen, guter Mann?

Der Vagabund. Ma sieht's! Ma sieht's unten blinseln und finkeln.

Nast. Ich werde doch mal meinen Bratenrock ablegen und werfe doch mal einen Blick hinab. (Er hängt seinen Rock an Zweigen auf, legt sorgfältig den Zylinder darunter sowie seinen Stock und kniet am Rande der Zisterne nieder.) Dazu brauche ich aber mein zweites Glas. (Er setzt einen Zwicker hinter seine Brillengläser.) Dort unten sehe ich zunächst nichts als etwas Wasser.

Der Vagabund. Und an'n Schweinigel, der dadrieber schwimmt.

Nast. Da haben Sie bessere Augen als ich!

Der Vagabund. Und jetzt, jetzt is der Schweinigel uff'm Trocknen. – Und sehn Se, was a fir Fährten macht? Jetze geht a und tappst a und kugelt sich! und steht wieder auf und kugelt wieder! und lauft in direkter Direktion direkt uff an alten Kast'n los, der mit eener Ecke aus'm Schlamme vorgucken tutt. Sehn Se's. Ich zeige ja hin mit'm Finger.

Nast. Leider hab' ich mein Opernglas nicht hier. Aber warten Sie mal: Zeigen Sie mir noch mal die Stelle.

Der Vagabund. A schwarzer Kasten, beinah wie a Sarg! Bloß kleener! Mit alten Beschlägen von Eisen.

Nast. Wo? – Dort! – Es könnte tatsächlich sein! – Sie haben wahrhaftig nicht ganz so unrecht! – Wie kommt man denn aber dort hinab?

Der Vagabund. Mir holen ane lange Steigeleiter.

Nast (steht auf, sieht nach der Uhr). Wie lange hätte man denn noch Zeit? – Die Sache ist wirklich sonderbar und versetzt mich einigermaßen in Aufregung. – Ein Kasten, der halb in der Erde liegt: uralt augenscheinlich und verschlossen: Wie haben denn Sie die Sache entdeckt?

Der Vagabund. Nu will ich amal kee verlogener Hund, sondern will Ihn'n uffs Abendmahl ehrlich sein. D'r Puz drieben von Naumburg war hinder m'r her, und da bin ich erscht über die Mauer geplankt und bin in den alten Turm gekrochen, und da fand ich an unterirdischen Gang, und uff eenmal, da war ich wieder in Naumburg.

Nast. Wollen Sie etwa damit sagen, der Gang hätte Sie bis Naumburg geführt?

Der Vagabund. Bis Naumburg hinter de alte Kirche.

Nast. Davon abgesehen! Lassen wir das! Ihr reger Geist ergeht sich in Märchen. Man behauptet zwar das Vorhandensein eines solchen unterirdischen Ganges . . .

Der Vagabund. Ich kruch in d'r Angst durch a durch, und dort fand ich's Kreuzel und sah a Kasten durch faustgroße Löcher im Gestein.

Nast (mit Entschluß). Schnell! Laufen Sie runter ins Gärtnerhaus, und holen Sie mir eine lange Leiter! Lieber geht man der Sache gleich mal auf den Grund. Ehe sie kommen, vergeht gut noch 'ne kleine halbe Stunde.

Der Vagabund. Besser is besser, da ham Se recht. (Er springt über den Mauerkranz davon, um die Leiter zu holen.)

Nast (in der Absicht, seinen Entschluß zurückzunehmen). Nein! Mensch! Sie! Horchen Sie mal: Es geht doch wohl jetzt nicht! – Wahrhaftig, da sind sie schon auf der Naturtreppe. (Er zieht eilig seinen Rock an, setzt seinen Hut auf, nimmt seinen Stock in die Hand und putzt sich ab.)

Es erscheinen danach in heiter würdigem Zuge von unten her folgende Paare: Konsistorialrat Joël und die alte Frau von Heyder, die siebzigjährige Großmama der Mädchen. Sie hat ein kleines, kluges, zerknittertes und vogelartiges Gesichtchen und wirkt in schwarzer Seide altväterisch vornehm. Der Konsistorialrat, im gleichen Alter, trägt sich elegant und jugendlich und ist mit seinem wohlgepflegten Silberhaar der Typus eines Schöngeistes. Auf diese beiden folgt das Brautpaar Reinhold und Adelheid. Danach kommt Tante Emilie, von Agathe geführt. Alsdann Sabine und Dr. Kozakiewicz. Hinter ihnen geht der Onkel mit Ludowike am Arm. Als letzter folgt Otto. Die Begrüßung aller mit Nast geschieht durch feierliches Kopfnicken. Die Herren holen, nachdem sich die Paare gelöst haben, Korbstühle aus der Kapelle, stellen einen davon für den Konsistorialrat auf der Plattform zurecht, zwei andere unten für die alten Damen. Diese und der Konsistorialrat nehmen Platz. Ebenso die anderen, in zwangloser Weise.

Konsistorialrat Joël (sitzend und mit weicher Stimme). Ich will es kurz machen, meine Lieben im Herrn. Ich sehe drei Generationen vor mir. Mit jeder von ihnen bin ich durch Gottes Ratschluß auf eine tiefe und ganz besondere Weise verbunden. Die edle Greisin, die es sich nicht hat nehmen lassen, die weite, beschwerliche Reise zu tun, um bei dem Ehrentage ihrer Enkeltochter zugegen zu sein, brachte einst ihre eigene Tochter zu mir in die Kirche, da ich noch ein junger und wenig erprobter Geistlicher war, und die Tochter war klein, und wir nannten sie Orthalie, und wir tauften sie mit der heiligen Taufe! Und Orthalie, dies engelsgleiche liebliche Kind, ward eine engelsgleiche liebliche Frau unter meinen Augen. Und eines Tages kam ihre verehrte Mutter zu mir und bat mich, den Herzensbund ihres Kindes mit einem braven Kaufherrn und Mann am Altar zu segnen. Das habe ich getan! Diese alten Hände segneten Orthalie und ruhten dabei auf ihrem Scheitel und auf dem des erwählten Gatten. Und Orthalie ward zur Frau. Doch der Weg, den der Ratschluß des Allerbarmers ihr noch zu wandeln bestimmt hatte, war nur kurz. Sie starb, nachdem sie dem Gatten vier blühende Töchter geboren hatte.

Gott nahm die Blume des Paradieses, die, selbst in diesem irdischen Eden hier, nur mit süßer Schwermut getränkt zu leben vermochte, Gott nahm sie in seinen Glanz, in seinen Strahl und in seinen Jubel zurück. Hier habe ich mit eurer verewigten herrlichen Mutter oft gesessen. Sie war in der letzten Zeit ihres Lebens nur mehr wie ein reiner, verklärter Geist. Doch auch euer Vater ist heut nicht mehr. Dafür blüht nun die Saat von Gott gesät in Anmut und Lieblichkeit: ihr, liebe Kinder! Ihr blühet, obgleich ihr Waisen seid. Und mein Amt, nachdem ich die Eltern in ihren Grüften gesegnet habe, steht heute wieder im Dienste des Glücks und der irdischen Seligkeit. Der Segen Gottes ist tausendfach, aber es ist eine zwiefache Form, in der er sich heut ganz besonders manifestiert: Ich nenne zwei Namen: Adelheid und Agathe!

Viele Blicke richten sich auf Agathe, die sehr bleich geworden ist. In diesem Augenblick wird eine lange Leiter allmählich von Sprosse zu Sprosse hinten über den Mauerkranz heraufgeschoben. Die Gesellschaft bemerkt es zuerst kaum, und der Geistliche fährt fort.

Ihr Lieben, möge die Huld des himmlischen Vaters immer über euch sein. Schauet hernieder, verklärte Geister des Elternpaares, auf beide Bräute und ihre Erwählten! Amen.

Der Vagabund hat die Leiter nach und nach ganz heraufgeschoben, wodurch er den Geistlichen gestört und zum schnellen Abschluß gezwungen hat. Ganz sichtbar, quält er sich nun mit der Leiter vollends über die Mauer.

Ruschewey (entrüstet auf den Vagabunden losgehend). Esel! Haben Sie denn den Pips? Was wollen Sie hier mit der verfluchten Leiter?

Tante Emilie. Aber, Gustav! Nein, Gustav! Mäßige dich! – Nun, gib mir nun einen Kuß, gute Agathe.

Sabine (zum Konsistorialrat hinaufsteigend). Tausend Dank, liebster Herr Konsistorialrat.

Konsistorialrat Joël. Schön, wenn du zufrieden bist, liebe Sabine.

Tante Emilie (zu Ewald). Mein Waldchen! Nun wünsch' ich euch beiden braven Kindern befriedigten Herzens mit Dank zu Gott einen langen, gesegneten Ehestand! Kommt, Kinder, steht nicht so fern voneinander.

Konsistorialrat Joël (ist heruntergestiegen, drückt dem Brautpaar Kranz die Hände). Glückwünsche! Tausend gesegnete Glückwünsche!

Die Großmama (die Ludowike und Otto die Hand zum Kusse darbietet). Es ist immer das gleiche mit dem Konsistorialrat. Er macht die Herzen zerschmelzen wie Wachs.

Tante Emilie (führt Nast vor die Großmama). Darf er Ihnen nun auch die Hände drücken?

Nast (nach dem Handkuß). Ich habe den Vorzug, gnädigste Frau.

Ruschewey (heftig zu dem Vagabunden, der sich durch sein halblautes Einsprechen in seinem Tun nicht beirren läßt). Ich schmeiße Sie über den Abhang hinunter! Packen Sie sich! Entfernen Sie sich!

Die Großmama (zu Tante Emilie). Wie ist eigentlich der Verwandtschaftsgrad?

Nast. Ich will mir erlauben, es deutlich zu machen. Mein Vater war der Konrektor Nast. Meine selige Mutter, geborene Finke, heiratete nach des Vaters Tod . . .

Die Großmama (die, höchst zerstreut, schon nicht mehr zuhört). Meine Lieben, wo bleibt denn mein Kavalier? Vergeßt nur mich Alte nicht, Konsistorialrätchen! Ohne Euch wird mir Angst unter der jungen Welt! (Der Konsistorialrat kommt sogleich und bietet ritterlich seinen Arm, den sie annimmt. Fortfahrend.) Mir fehlt . . . ich weiß nicht . . . Wer fehlt mir doch heut? – Wo ist doch . . . (Sie blickt durchs Lorgnon umher.) Wo steht Dr. Kozakiewicz?

Kozakiewicz (tritt sogleich hervor, küßt ihr die Hand). Mit gnädigster Erlaubnis: ich bin hier.

Die Großmama. Und . . . ja . . . wo haben Sie Ihren Freund? Er hat mir scharmante Dinge von dem Pelzschiff erzählt, das von Hamburg nach dem Amazonenstrom, den Strom hinauf und, mit köstlichem Rauchwerk beladen, sogleich wieder zurückgeht. Agathe, euer Herr Grünwald ist abgereist?

Kozakiewicz. Ich vermute es wenigstens, meine Gnädige. Soviel ich weiß, hat er Depeschen gewechselt mit dem Kolonialamte in Berlin. Er hat keine Ruhe auf dem festen Lande.

Ruschewey (laut zu dem Vagabunden, der die Leiter in die Zisterne gesenkt hat). Was heißt denn das, Sie infamer Schuft!

Der Vagabund. Ich bin kee Schuft! Da fragen Se den dorte! Vor dem hab' ich Rega! Vor Ihn'n hab' ich keen'n.

Nast (schnell und von oben herab). Herr Klemt, gut, gehen Sie jetzt hinunter!

Der Vagabund (unverschämt). Dreck! Wär ich jetzt nundergehn! Was hon Se denn fir a verpuchtes Gemahre? Ich wer mir hie meine Zeit verstehn!

Ruschewey. Sag mal, Ewald, was hast du denn mit dem Spitzbuben?

Nast. Privatangelegenheiten. Nichts.

Ruschewey. Ah, dann bitte ich sehr um Entschuldigung.

Otto. Hier sollten wohl Tiefbohrungen gemacht werden?

Nast. Wer weiß: vielleicht, kleiner Naseweis.

Konsistorialrat Joël. Nun, mein wertester Herr Oberlehrer Nast, von ganzem Herzen aufrichtigen Glückwunsch.

Nast. Hochwürdigster Herr, meinen innigsten Dank.

Konsistorialrat Joël. Und machen Sie unsere Agathe glücklich.

Nast. Ein girrender Liebhaber bin ich nicht. Über die Zeit der zwanzig und mehr Seiten langen Liebesbriefe ist man ja freilich gründlich hinaus. Ich hoffe indes, daß es mir gelingen wird, meine Agathe zu überzeugen, daß sie in guten Händen ist.

Konsistorialrat Joël. Die Zeit der Freiheit, liebste Agathe, ist nun vorbei. Es heißt: Ihr Weiber, seid euren Männern untertan . . .

Nast. Nun, mein bestes Mädchen, fürchte dich nicht! Meine Schüler sagen von mir: streng, aber gerecht. Und ich hoffe, du sollst ihr Urteil bestätigen.

Der Vagabund (schreit). Werd das nu hier oder nich, Herr Professor?

Nast. Klemt, was denn? Sind Sie denn immer noch hier? Ich will morgen die Untersuchung machen!

Sabine. Aber, Ewald, Ewald, wie wundert mich das! Seinetwegen willst du den Gärtner fortschicken, und nun läßt du dich selbst mit dem Manne ein?

Nast. Ich habe wohl meine Gründe dazu. Wer sich, wie ich, seit nahezu zwanzig Jahren um die Lokalgeschichte bemüht hat, weist keine Gelegenheit zurück, irgendwie darüber, auch nur im kleinsten vielleicht, etwas Licht zu verbreiten. Es kommt nicht darauf an, daß man über die Skulpturen in unserem Dom Phrasen macht, sondern daß man sich für eine entschwundene Epoche überall tatkräftig interessiert! – Warum schließlich nicht? Klemt, steigen Sie in die Zisterne hinunter! (Der Vagabund schnell ab in die Zisterne.) – Und währenddem, in der Zwischenzeit, werde ich Ihnen etwas vorzeigen, was der Zufall mir kürzlich hat in die Hände gespielt.

Ludowike. Zufall! Zufall ist kein Verdienst.

Nast (lachend). Erwägen Sie doch den seltsamen Umstand, daß wir quasi auf einmal hier eine wissenschaftliche Untersuchungskommission geworden sind, die meinerseits keineswegs Zufall ist.

Die Großmama. Ah! Ah! Außerordentlich interessant!

Nast. Und dies interessiert Sie vielleicht noch lebhafter! (Er weist der alten Dame das Elfenbeinkreuzchen vor, das der Vagabund ihm überbracht hat.) Es ist herrliche alte Elfenbeinarbeit, und, nicht zu verwechseln mit Otto dem Kleinen, – (dabei klopft er Otto die Schulter) – vermutlich aus Ottos des Großen Zeit.

Die Großmama. Entzückend!

Tante Emilie. Köstlich!

Kozakiewicz. Eine prächtige Arbeit!

Konsistorialrat Joël. Beinahe so schön wie das, – (zu Sabine) – was du bei der Konfirmation um den Hals hattest.

Sabine. Es ist ja das . . . sah wirklich beinah so aus.

Nast (ruft in die Zisterne). Klemt! Klemt!

Klemts Stimme. Ich hab's an der Hand, Herr Professor!

Nast (erregt). Ich bin immerhin neugierig, was das ist. (Läuft zu Agathe, gibt ihr das Kreuzchen.) Das Kreuzchen ist dein, mein Herzenskind.

Agathe (wie aus einer Betäubung aufwachend). Nein, Ewald, das ist ja Sabinens Kreuz.

Nast. Erst meine Agathe und dann Sabine! (Er eilt wieder zum Brunnen, zieht seinen Rock ab.) Gestattet mir diese Freiheit, Herrschaften. Die Sache ist merkwürdig interessant. Es ist nämlich möglich, daß hier nicht bloß absolut wertloser Kram gehoben wird. Als Gustav Adolf und Kurfürst Johann Georg den furchtbaren Tilly bei Leipzig aufs Haupt schlugen, hat sicherlich mancher Kirchenfürst seine Schätze und Kostbarkeiten in Kellern und Brunnen beiseite gebracht! – Herr Klemt!

Klemts Stimme. Ich komme!

Nast. Nur mutig, Klemt!

Kozakiewicz (zu Ruschewey, halblaut). Verstehen Sie diese Sache, Herr Onkel?

Ruschewey. Nee! Offen gestanden, bis jetzt noch nicht. Mir geht's im Kopfe rum wie'n Brummkreisel.

Konsistorialrat Joël. Um was handelt es sich, Herr Oberlehrer?

Nast. Unten in der Zisterne liegt etwas. Ich habe es schon vor Wochen bemerkt! Neulich wieder mit meinem Freund Ostermann. Und nun wollt' ich die Sache mal spaßeshalber genauer feststellen! – In der Tat, er bringt etwas Schweres herauf.

Die Großmama. Sehr spannend! Sehr scharmant in der Tat! (Zu Agathe.) Äußerst scharfsinnig, äußerst klug ist doch dein Bräutigam!

Nast. Allzu schmeichelhaft! Bitte, warten wir ruhig ab. – So viel sehe ich schon jetzt, daß die Kiste sehr alt ist! Durchaus ein echt gotischer Beschlag! (Er beugt sich mit dem ganzen Oberkörper über den Zisternenrand.) Otto, halte du hier meine Hand! (Otto faßt seine Rechte, so daß Nast nicht in die Zisterne fallen kann; an Otto spannt sich noch Kozakiewicz, an diesen Ludowike. Seine freie Hand reicht Nast tief in den Brunnen.) – Jetzt zufassen, Klemt! – Ruck! Also eins: ruck! – zwei: ruck! und zum drittenmal: ruck!

Otto (übermütig). Ho hopp! Ho hopp!

Nast. Bravissimo! Endlich. (Die Kiste, die Ludowike und Otto vorher über den Platz getragen hatten, wird mit vereinten Kräften aus der Zisterne gebracht und auf den Rasen gezogen.) Was habe ich gesagt?

Der Vagabund. Das mach' ich Ihn'n nich zum zweiten Male. Jetze will ich mei Geld, und dann muß ich fort.

Nast. Ich bin nobel. Hier ist ein Taler, Mann! – Und jetzt wollen wir uns das Ding mal betrachten. – Zunächst: ein Vorlegeschloß! – Es ist auf! Wahrscheinlich vom Alter durchgerostet.

Der Vagabund (halblaut zu Otto). Nu, hab' ich die Sache nu prompte gemacht?

Otto. Schnabel gehalten und eiligst abtrappen! (Der Vagabund springt über die Mauer und verschwindet.)

Nast. Diese Schwierigkeit fiele außer Betracht! – Kann sein, daß der Inhalt belanglos ist! Möglicherweise sogar schon verdorben. Aber immerhin auch möglicherweise . . . (Er öffnet den Deckel der Kiste, vor der er kniet, mit zitternden Fingern und starrt hinein. Alle drängen sich in äußerster Neugier um ihn.) Was ist denn das?!

Tante Emilie. Nun, was ist denn, Ewald?

Nast (halb abwesend). Es ist . . . es sind Wunderdinge darin.

Konsistorialrat Joël. Das sieht ja recht appetitlich aus!

Sabine (greift hinein und nimmt eine große, in Seidenpapier gewickelte Wurst heraus). Das ist doch hier Gothaer Zervelatwurst?

Ruschewey. Und hier Naumburger Gänseleberwurst!

Ludowike. Und hier frisch gekochter Prager Schinken!

Die Großmama. Konsistorialrat, sehen Sie das? Das ist ja ein reizender Scherz, liebe Kinder, der wirklich reizend gelungen ist! Oh, wie würde das eurem Vater Spaß machen! (Sabine, Ludowike, Ruschewey, Reinhold Kranz und Adelheid brechen in lautes Gelächter aus. Der Konsistorialrat kann kaum den Ernst bewahren.)

Tante Emilie (bleich, aus tiefster Entrüstung). Ich finde das geradezu pöbelhaft! –

Nast (steht auf, zieht unter Grabesschweigen seinen Rock an und reicht Tante Emilie den Arm). Ah, man will mich hier illudieren! – Meine brave Tante Emilie, komm! unter solche Verhältnisse passen wir nicht.

Sabine (halb lachend, halb ernst begütigend). Ewald, man muß doch Spaß verstehen.

Nast. Bedaure.

Agathe. Bitte, Ewald, nimm mich doch mit!

Nast. Ich möchte dir nicht das Picknick verderben!

Nast, mit Tante Emilie, entfernt sich, ohne umzublicken, nach unten. Agathe tut einige Schritte hinter ihm her und ruft: Ewald! – Ein Ruf, der unbeantwortet bleibt. Darauf entfernt sie sich eilig nach entgegengesetzter Richtung in den Park. Nun stürzen sich gleichzeitig Sabine, Reinhold Kranz und der Onkel auf Otto. Alle drei packen ihn bei den Ohren.

Sabine. Bekenne, was du verbrochen hast!?

Otto. Das hab' ich, jawohl! Das war für den Palmesel.


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