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Will erzählen, will versuchen
einen kleinen Sang zu singen,
singen einer Schar von Kindern.
Hört mich an, die ihr euch Kinder
fühlet in der tiefsten Seele,
lauschet still und unterbrecht mich,
wenn zu trüb mein Liedlein schleichet.
Ist ein alt bekanntes Liedlein,
und »Es war einmal« beginnt es.
War einmal ein reicher Schloßherr,
hatte viele große Schlösser,
lebte lang und lebte glücklich,
starb und ward begraben. Eilig
kamen Brüder, Söhne, Enkel,
zu empfangen, zu beerben,
und empfingen und beerbten.
Einer kam herbeigeritten
hoch zu Roß, ein schmucker Knabe,
einer stieg vom Roß und weinte,
weinte, bis der neue Erbe
ihn zum Walde gehen hieß;
hin von seines Vaters Leiche,
hin von seines Vaters Hause;
und der arme Knabe ging.
Sprach er drauf: »Wo ist mein Erbe,
hat mein Vater mich alleine
ganz vergessen, seiner Söhne
liebsten, wie er oft mich nannte?« –
Trat zu ihm ein alter Schenke,
heißt ihn auf sein Rößlein steigen,
ritt mit ihm durch Wald und Gründe,
Wald und Gründ' und Bach und Berge,
hielt an eines prächt'gen Schlosses
goldner Pforte, hielt und pochte. –
»Dieses«, sprach er, »hat dein alter
treuer Vater dir vererbt,
dies, das schönste seiner Schlösser,
dies, das höchste seiner Güter,
dies, die Krone seines Lebens,
die du niemals darfst veräußern.
Als er fühlte, daß er sterbe,
hieß er dich ans Lager rufen,
und es flogen tausend Boten,
dich zu suchen, in die Fremde.
Aber kaum die halbe Strecke
schlugen ihrer Pferde Hufe,
als dein alter Vater bleicher
ward und schon des kalten Todes
Schritt vernahm mit Geistersinnen.
Und er sprach zu mir von Dingen,
die ich vorher nie verstanden,
hieß zuletzt mich, dir zu zeigen,
dir zu geben, was du siehst.
Als er starb, da lag ein Wort ihm
bebend noch auf bleichen Lippen,
und ich weiß, es war das deine,
doch der Tod hat es entwandt.«
Heil'ger Schauer faßt den Jüngling,
zagend sieht er, leise zagend,
seines Schlosses Mauern blinken,
schaut die lange Front hinunter,
wie sie kahl sich dehnt und gleißend,
marmorweiß die Sonne spiegelt,
hehr zugleich und graunerweckend
wie ein Wunder. Auf dem weiten
Vorplatz stehn in ernster Reihe,
ewig schwankend, düstre Pappeln,
ragend über des Gewäldes
rings umschließendes Gewand.
Und die Pappeln reden leise,
reden hoch in stolzer Wipfel
Einsamkeit Geheimnisvolles.
Lautlos öffnet sich die Pforte,
schließt sich hinter Knab' und Schenk. –
Beide wallen durch die Gänge,
wandern durch die weiten Säle,
schaun der Bilder kalte Pracht,
und es scheint, als triefe Geist nur
von der Wand, als sei die Wandung
inhaltsvoll-gewalt'ger Geist.
Totes lebt, lebendig einzig
nur das Tote! Ernsten Schrittes
geht der Schenke, leis der Jüngling
folgt ihm, bis der Schenke steht
und in des Gewandes Falten
wühlt, zu suchen und zu finden;
weich in Seide eingebettet
ruht ein Schlüssel, silbern, zierlich,
und es faßt der Schenk den Schlüssel,
übergibt ihn still dem Knaben,
tut's und schwindet. – Einsam, einsam
steht der Knabe, steht und sinnet,
in der Hand das Silberwerkzeug,
sinnt, zu welchem Schatze wohl des
Schlüssels Zünglein sei gefertigt.
Kaum noch sinnt er, da erfaßt ihn
zauberisch ein dunkles Etwas,
und es zieht ihn vorwärts, vorwärts
ohne Rast durch Gäng' und Treppen.
Sicher geht er, dennoch zagend,
den geheimen Kräften nach;
dunkelt es in finstrem Gange,
strahlt das Schlüßlein tausendfarbig,
strahlt und lockt ihn vorwärts, vorwärts!
Heißer wird des Jünglings Busen,
flammender des Jünglings Blick,
gierig lechzt die Zung' nach Kühlung.
Heiße Sehnsucht füllt das Herz ihm,
endlich, endlich zu enträtseln,
was ihn rätselhaft umgibt.
Da – ein Pförtchen! Knarrend, knackend
dreht das Schloß sich, und die Türe
weicht, er sieht ein starres Steinbild,
weiß und stumm und still, nichts weiter,
in der Mitte eines Tempels,
rings umzirkt von Marmorsäulen;
und er sieht's und ist erkältet,
ist erkältet bis ans Herz.
Weinend stürzt er durch die Gänge
rückwärts bis zur Eingangspforte,
doch des Tempels Türe schließt sich
eigens, und des Tempels Schlüßlein
liegt in seinen Händen wieder.
Wie er klagt und wie er weinet,
hüllt er's ein in weiche Seide,
steckt es sicher in sein Wams.
Draußen schwingt er sich aufs Rößlein,
und mit drei gewalt'gen Sätzen
jagt er staubend über jenen
weiten Vorplatz durch die Pappeln,
ist in Waldesnacht verschwunden.
Still im Mondschein liegt das Schloß.
In der Städte wildes Treiben
hat der Knabe sich geworfen,
ward zum Jüngling, kämpfte, rang,
dachte immer seines Schlosses
ehrfurchtsvoll und furchtvoll schauernd,
dachte nie es zu veräußern,
wie der Schenke ihm gebot.
Und, o Wunder, ihm im Haupte
stand das Bild der Marmorjungfrau,
stand und ließ sich nicht vertreiben.
Und es hüllten seine Träume
sehnend sich um jenes Bildwerk.
Ruhig blickt es in die Träume,
tief bewegt und unbeweglich.
Wenn er stieg von seinem Lager,
stand's in Wolken, zog ihn nach sich,
stand auf Sockeln steingemauert,
stand und trank des Jünglings Blicke,
der ihm folgte unbewußt. –
Armut kam, ach, bittre Armut,
ärmlicher ward Jünglings Lager,
ärmlicher sein dünnes Kleid,
und der Hunger nagte gierig
ihm am Geiste, ihm am Mute.
Und er dachte seines Schlosses,
dachte seiner ew'gen Sehnsucht
und ging hin. Nicht hoch zu Rosse,
barfuß irrt' er durch die Wälder,
irrte bis zu seines prächt'gen,
kalten Schlosses Pforte, welches
zu betreten kaum er wagte.
Doch die Türe klang im Schlosse,
und der Jüngling flog geschäftig,
tief erschauernd, durch die Gänge
gradeswegs zu jenem Tempel,
der sein ew'ges Traumbild barg,
und das Traumbild stand, in Marmor
war's gemeißelt, wie am Anfang,
weiblich einfach schöne Glieder,
hold bewegt und dennoch ruhig,
keusch das Marmoraug' gesenket
und zu Händen eine Tafel.
Eine Tafel? Lies, o Jüngling!
sprach das stummgesenkte Auge,
und der Jüngling las und las:
»Schätze berg' ich, hohe Schätze,
Schätze, leuchtend wie Rubinen,
Schätze, strahlend wie Demant;
wird der Marmor einst erwärmen,
hebst du, Jüngling, diese Schätze!
Will dich lehren, wie du meinen
Marmorbusen magst erwärmen,
sei ...« Hier war die Schrift unlesbar,
und es blinkte hie und da nur
noch hervor ein heller Buchstab'.
»›Sei?‹ Was soll ich sein? O rede,
rede weiter, daß ich eile,
zu vollführen die Gebote,
die dich mir erwärmen sollen!«
rief der Jüngling; doch die Tafel
blieb unlesbar. Armer Jüngling!
Da und dort in fieberhaftem
wilden Drange forschte brennend
sein erregter, irrer Blick.
»Du lebendig, du lebendig?«
klang's in ihm, und heißen Dranges
schlug sein Herz und schlug das eine
Wort nur immer: »Du lebendig?« –
»Wie, wie tu' ich's? Soll ich beten,
soll ich wimmern dir zu Füßen,
Liebe stammeln, heiße Liebe
dir gestehn, die in mir toset?
Soll ich mich in Qualen winden?«
Lautlos steht der kalte Marmor.
»Lautlos stehst du? Soll ich also
mich erheben, deine Knie
fest umfassen, soll ich meiner
Augen Strahl in deine brennen?
Doch du siehst auf mich hernieder,
und erkältet sinkt mein Auge,
sinkt und weiß nichts mehr von Kraft.«
Lautlos steht der kalte Marmor;
aber zaubrisch zuckt des Jünglings
ganzer Bau, er schnellt empor sich
und umfaßt der Marmorjungfrau
kalte Brust, er preßt sie glühend.
»Nun erwarme, nun erwarme!«
ruft er. Küsse, heiße Küsse
zittern auf dem blassen Marmor;
aber mählich legt die Glut sich,
mählich sinkt die Hand, und mählich
lösen sich des Jünglings Glieder;
aus den Augen rinnt ein heißer,
wonnevoller Tränenstrom,
und er läßt sich atmend nieder
an der Pforte kalter Schwelle,
liegt und schaut mit Sehnsuchtsblicken,
ob der Jungfrau blasse Wange
sich nicht röte, ob ein Schimmer
ihrer Glieder weiße Pracht nicht
überzöge. Da, ein Schatten!
Ihre Lippen zittern. »Götter!«
Vor Erwartung bebend, schauernd
steht er, das geheimnisvolle
Wirken nicht zu stören. »Götter!«
Gold durchdringt das Haar, ein Funke
glüht in ihrem Auge. »Götter!«
Glühend schnellt empor der Jüngling,
will es fassen, will es halten!
Und von neuem sinkt er ächzend
nieder, jetzt wie einst betrogen;
starr wie immer steht das Steinbild.
»Trügerischer Schein«, so ruft er,
»lieblich fürchterliches Trugbild,
willst du Liebe mir nicht geben,
gib mir Gold! Gold, sag' ich, gib mir,
daß ich nähre mich und kleide.
Gold! ich fordre Gold von dir.«
Wogend schleudert ihm der Busen,
leidenschaftlich wild erbebend,
Worte auf die flinke Zunge.
Hunger, Angst und Not und Sorge,
heißer Drang und ew'ges Schmachten
bringen ihn dem Wahnsinn nah.
Und er eilt durch Dorn und Dickicht,
über Ströme schwimmend, keuchend
nach der Stadt zurück. Dort findet
schnell er Händler mancher Arten,
die in goldnen Säckeln wühlen,
die ihn mitleidsvoll betrachten.
Mitleidsvoll allein von außen,
denn sie sehen seinen Blicken
an, daß Taten der Verzweiflung
sich in seinem Busen bergen.
Diese aber füllten immer
noch die Beutel der Hebräer,
und so sprechen sie zu ihm:
»Komm herein, auf daß wir nähren
dich und kleiden, armer Jüngling,
daß wir wärmen deine Glieder,
daß wir stärken dich und laben!« –
»Bin nicht arm, ihr werten Männer,
ist ein Gut mir hinterblieben,
kommt und seht, ob's wert euch scheinet,
euer Gold dafür zu setzen.
Mag's mein Vater mir verzeihen,
daß ich handle, wie ich muß.
Bin nicht arm, nicht brauch' ich Speise,
Haufen Goldes nicht als Gabe,
Stärkung nicht noch Labung brauch' ich;
kommt und folgt mir!« Und sie folgten,
die Hebräer, gier'gen Blickes.
Staunend standen die Hebräer
vor des Schlosses langer Front,
staunend zählten ihre Finger
Goldeshaufen in den Säckeln,
staunend sahen sie sich an;
aber bald entwich das Staunen,
und die gier'ge Schlauheit thronte
fest auf der Hebräer Stirnen.
Wehmutsvoll führt sie der Jüngling
in das Schloß, durchschweift mit ihnen
alle Gänge, alle Säle.
Lautlos folgen die Hebräer,
schier geblendet von dem Reichtum.
Truhen, wunderbar und kunstreich,
Becher, Schalen und Pokale,
Bilder, wunderfein und lieblich,
Bilder, mächtig und gewaltig,
nie geahnter Schätze Zahl.
Wieder staunen die Hebräer,
bis die List den Sieg gewinnt.
»Dieses Schloß wollt Ihr verkaufen,
edler Jüngling? So erlaubet,
daß wir fühlend dieser Dinge
Wert begreifen. Ist's gestattet?«
Und der Jüngling nickt bejahend.
Hei, da regen sich die Finger,
griffen nach den Goldpokalen,
griffen nach dem herrlichen Schnitzwerk;
doch verblüfft sehn sich die Prüfer
in die Augen, und in allen
malte Schrecken sich und Zorn.
»Herr, du willst uns äffen!« – »Äffen?« –
»Greife selbst nur, öffne jenes
Schrankes ausgelegte Türe,
greif das elfenbeingeschnitzte
Stierhaupt, greif es!« Und der Jüngling
griff und griff – in leere Luft!
»Blendwerk, Blendwerk, schnödes Blendwerk«,
riefen zeternd die Hebräer.
Rasend durch des Schlosses Gänge
eilte ihnen nach der Jüngling,
führte flehend sie zurücke. –
»Kommt und seht, wenn alles Trug ist,
eines zeig' ich euch, das sicher
greifbar ist mit Menschenhänden!«
Und so zog er zu dem Tempel
sie, in welchem blaß wie immer,
stumm und kalt das Steinbild stand.
»Welch ein Kunstwerk!« Diese Worte
stieß ein jeder staunend aus.
Und mit schleichend gier'gen Schritten
naheten sie sich der Jungfrau,
hoben ekle Spinnenfinger,
zu betasten, zu befühlen,
und befühlten – leere Luft.
Flüche, Flüche, ekle Flüche
krächzten durch die heil'gen Hallen;
die Hebräer ziehen Dolche,
scharen zeternd sich zusammen,
so des Schlosses Ausgang suchend;
und sie finden ihn, betreten
unbefriedigt, gier'gen Blickes
rückwärts schauend, weiten Platzes
weißen Kiessand, stolpern fluchend
durch der Pappeln ernsten Kreis
in den Wald, wo sie verschwinden,
draus nur leise hin und wieder
noch ein Fluch herüberschallt.
Und der Jüngling liegt zerschmettert,
liegt vernichtet, ohne Regung
auf des Tempels kalten Steinen.
»Wertlos – also wertlos«, weint er,
»darum sollt' ich's nicht veräußern,
daß ich ewig des Betruges
Dasein nicht entdecken sollte. –
Aber doch, bei allen Göttern,
hab' ich's doch im Arm gehalten,
hab' ich doch gefühlt der Jungfrau
kalte Glieder!« Wunden Blickes
schleppt er sich zum hehren Bildwerk,
will's umfassen, will's berühren,
doch vergebens sucht sein Finger,
was das Auge staunend sieht.
Und es irrt sein Blick zur Tafel,
will die alten Lettern finden,
will versuchen, ob nicht lesbar
sei der Schrift Geheimnisvolles.
»Schätze berg' ich, hohe Schätze«,
liest er, »leuchtend wie Rubinen,
Schätze, strahlend wie Demant.
Himmelreich hat sie geboren.
Wird das Luftbild Marmor wieder,
hebst du, Jüngling, diese Schätze!
Willst du mich zu Marmor machen,
sei ...« Hier war die Schrift verloschen.
»Erst zum Leben aus dem Marmor,
dann zum Marmor aus dem Nichts?
Nein, zu Staub will ich dich machen!«
rief der Jüngling, schlug mit Fäusten
nach der Jungfrau, schlug und schäumte,
doch er schlug in leere Luft.
Schamhaft ruhig stand das Bildwerk,
ewig rein und ewig würdig,
niederwärts den Blick gerichtet,
ohne Zorn und ohne Mitleid.
Da erfror des Jünglings Seele,
wie ein Hund schlich er von dannen,
öffnete des Schlosses Pforte,
trat hinaus in bleichen Mondschein,
der am Marmorschlosse glühte
und in Pappelwipfeln glimmte.
Schattenlos lag Schloß und Schloßplatz.
Da! – »Verkaufe mir das Schloß«, so
klang es, also daß der Jüngling
jähe schrak zusammen. – »Sage,
wer du bist? Wer bist du, Fremder?«
rief er aus und blickte schaudernd
auf ein langes, hagres Etwas,
einen Mann mit falt'gem Antlitz,
drauf sich Lüsternheit und Laster
breitgemacht, doch dessen Stirne
schien verwegnen Stolz zu atmen,
weltmannsförmlich war sein Gruß.
Zierlich lehnt er an der Mauer;
zierlich nickt die Reiherfeder
vom Barett ihm; zierlich sind die
schlanken Beine überschränkt;
fest umhüllt ein roter Mantel
seine Glieder; auf die Brust ist
ihm das Kinn gesunken; über
Mantelfalten blitzt sein Auge.
Und er klirrt mit goldnen Ketten,
und er spielt mit Diamanten,
die den Mantel reich besetzen.
An die lange Schloßfront steht er
stumm gelehnt, als ob der Mondschein,
Wald und Nacht für ihn ein Nichts sei.
Einzig nur und selbstgefällig
sich betrachtend, alles ringsum
achtend nicht und nicht verachtend,
selbst die Sterne hoch am Himmel.
Wiederum mit feinem Gruße
lüpft er sein Barett und näselt:
»So verkaufe mir das Schloß!«
Und mit festem Blick, der Rede
Wirkung untersuchend, naht er
sich dem Jüngling, reicht dem Zagen
ritterlich die feine Rechte,
die, so weich und fein geschnitten,
Bürge für des Trägers Herz ist.
Ringe blinken ihm vom Finger,
und der Jüngling schlägt bezaubert
in die Rechte und empfindet
leisen Druck, den er erwidert.
»Komm, ich habe Gold die Menge!«
spricht der Fremde, »dir indessen
darf ich nimmermehr verhehlen,
daß du reich und mächtig bist.
Deine Schätze sind lebendig;
der Hebräer plumpe Finger
fühlten nicht, und ihre Augen
sahen nicht; so wie du jene
riefest, warst du selber blind.«
Und er zog zur goldnen Pforte,
drängte hin den zagen Jüngling,
griff das Schloß, doch ... »Halte, halte!«
rief der Jüngling, »darf ich öffnen?
Dir? Dir, den ich nie gesehen,
nie gekannt und nie geahnet?
Sage, der du solche Macht hast,
sage, bei dem Geiste meines
toten Vaters, darf ich öffnen?« –
Bleicher ward des Fremden Miene,
doch er sprach in festem Tone,
mit der Hand die schmale Stirne
leichthin streichend: »Ja, du darfst!«
Und unhörbar für den Jüngling
sprach er noch: »Die Toten schlummern.«
Durch die Gänge ging es wieder,
durch die Säle, durch die Hallen.
Schal' und Krüge griff der Fremde,
und der Jüngling griff sie alle,
schlug Metalle zu Metallen
mit dem Fremden, daß es klang.
Fühlbar alles, wertvoll alles,
und es schien dem guten Jüngling
wie ein Traum, wenn er bedachte
der Hebräer wild Geschrei.
Sichren Schrittes ging der Fremde
immer nach dem einen Ziele,
immer hin nach der Kapelle;
und er sprach, indem er ging:
»Fühlbar bleibe das Gefühlte,
fühlbar dir auf ew'ge Zeit;
aber wenn ich dir's vollbringe
und des Schlosses Schätze hebe,
gib ein Kleines mir zum Lohne!« –
»Sprich!« – »In deinem Schloß ein Flecklein
Erde, breit genug, die Füße
mir zu tragen, nur die Füße,
nichts als dies; ein kleiner Wunsch nur,
und du kannst ihn mir gewähren,
eine Scholle für ein Land.«
Schallend schlug des Jünglings Rechte
ein, und in des Fremden Auge
glühte düster ein Geheimnis.
Schneller wurden seine Schritte.
»Gib den Schlüssel«, sprach er ruhig.
»Welchen?« – »Den zu der Kapelle!« –
»Der Kapelle?« – »Der Kapelle!«
Bebend hört's der Jüngling, bebend
fliegt ein »Nein« von seinen Lippen;
aber kaum ist's ausgesprochen,
hämmern glühend tausend Pulse,
jagt das Blut nach seinem Herzen,
und er faßt des Fremden Mantel:
»Du – du kannst ihr Leben geben«,
ächzt er, »gib ihr Leben, Fremder!«
Spricht's und preßt den Silberschlüssel
in die Hand des fremden Mannes,
der ihn hastig stößt ins Schloß.
Bläulich flammt es in den Angeln,
und die Tür geh sausend auf. –
Lautlos ruhig stand das Steinbild,
lautlos ruhig stand das Wahnbild,
duldend, denkend, ewig schweigend.
Flüsternd nestelt sich der Jüngling
an den Fremden, drückt im Fieber
seine Lumpen an sein Goldwams:
»Nun, so schaffe sie zum Leben,
schaffe sie zum Leben, Fremdling,
nimm das Schloß, ja nimm das Ganze
für dies eine Werk dahin!«
Doch der Fremde gab zurück ihm:
»Bettler du in deinem Reichtum!
Bettler du in deinem Schlosse!
Schau, wie diese Lumpen deines
Körpers Blöße nicht verhüllen.
Nun, so will ich dir sie nennen,
die dir alles dies bereitet,
die dir Hunger schafft und Elend,
die dir alle deine Güter
wertlos macht, die Dirne ist es,
die nicht Fleisch noch Luft noch Marmor,
die ein Nichts ist, und doch alles.
Schau, du gibst das ganze Schloß mir,
wenn ich sie zum Leben schaffe?
Da, ich schaffe sie zum Leben,
will sie dir zu Willen zwingen,
sei sie mir zu Willen erst.
Aber ihrer Füße Sockel
sei der Raum, den ich erkiese
einzig mir zum Lohne, einzig,
und das ganze Schloß behalte.«
Jählings sprang er wie ein Tiger
auf das zarte Bild, und gierig
faßten seine langen Arme
ihren Gürtel, mächtig hob er
sie empor, und unter seinen
wollustvoll unreinen Küssen
schien das Steinbild warm und blühend.
Mächtig warf er es dem Jüngling
zu; doch kaum aus seinen Armen,
stieg das Bild in alter Ruhe
in die Lüfte, rein und lieblich,
duldend, denkend, ewig schweigend;
und so schwand es seinen Blicken,
schwand in Wolken, schwand zum Himmel.
Und auf dem verlaßnen Sockel
stand der Fremdling. »Also«, sprach er,
»hab' ich dir den Wahn vernichtet,
ihn entweiht und ihn entpuppt.
Ich bin alles, komm und greife,
ich bin Fleisch und Blut und Knochen,
bin freigebig wie die Götter!«
Und er schwenkte seines Mantels
Enden: Regen, goldner Regen,
Myriaden Münzen klirrten
nieder, blendeten des Jünglings
Augen, rollten auf den Estrich.
»So, nun suche, willst du mehr, so
komm und schüttle! Ich indessen
will zu deinem Gott mich schlafen.« –
Starr auf einmal blieb der Fremde,
starr und steif und unbeweglich;
doch der Jüngling sah ihn nicht.
Denn es kam Gesang und Jubel
aus den Sälen nah und näher;
Tänzerinnen, Spiel und Reigen,
Zimbeln- und Trompetenschmettern
wirbelten durchs weite Schloß.
Mädchen kamen, wilde Mädchen,
schlanke Mädchen, zart wie Silber,
weich wie Samt, in Dunstgewebe
eingehüllt; in Perlen glitzernd,
nahten sie ihm, hold errötend,
und sie hüllten ihn in Tücher,
und sie trugen ihn in Bäder,
und sie kleideten ihn fürstlich.
Gaben Degen ihm und Ketten,
schmückten ihn zuletzt mit Blumen
und mit Efeu, führten dann ihn,
tanzend, singend, zum Bankett.
Lichter glühten, tausend Lichter
funkelten, und Stimmen schwirrten
durcheinander. Sammet, Seide,
holde Augen, zarte Glieder,
reiche Speisen, Wein in Strömen.
Pfropfenknallen, Becherklingen
und ein donnernd wilder Jubel
grüßt den Jüngling tausendstimmig!
Lieblich führt man ihn zum Sessel,
der erhöht ist und bekränzet,
und man huldigt ihm als Herrn.
»Hei, Fanfaren!« Neue Reigen.
Vorhäng' rauschen auseinander,
glühnde Mädchen tanzen; Knaben
schlagen Zimbeln, andre singen,
andre tragen volle Becher,
und der Jüngling greift begierig
bald nach Dirnen, bald nach Bechern,
schlägt ans Glas und ruft die Worte,
denen alle gierig lauschen:
»So erweckt man tote Geister,
so erwärmet man die Pole,
so erwärmet man den Marmor!«
Und er stürzt das Glas hinunter,
stürzt noch eins hinab, ein neues,
alle tun desgleichen; alle
lallen: »So erweckt man Tote,
so erwärmet man die Pole,
so erwärmet man den Marmor!«,
bis der lichte Morgen tagt.
Feste jagen üpp'ge Feste,
und der Reichtum will nicht enden;
unerschöpflich ist sein Born.
Starr im Tempel steht das neue
Bild, das farbige des Fremden,
dessen Mantel nur beweglich
schüttelt Reichtum nach Bedarf.
Aber ach! Es graut dem Hausherrn
vor dem Tempel, und es ist ein
kläglicher, gemeiner Anblick,
wenn er jenen Mantel schüttelt,
dennoch, von der Not bewogen,
wie er knechtisch seinen Rücken
beugt und sucht die bunten Münzen,
die der Geist verächtlich wegwirft.
Armer Jüngling, armer Jüngling!
Ach, es bleichen deine Locken,
und es furcht sich deine Wange,
und ermattet sinkt dein Auge.
Heute, wenn die Pfropfen knallen,
sitzest du in deinem Sessel,
ein Verlaßner, ein Verlorner.
Kaum, daß sich dein mattes Auge
noch erhebt, kaum, daß die Lippe
nippt am Becher, den die Rechte
zitternd hält, als sei der Wein dir,
den du trinkst, zum Rätsel worden.
Und indes die andern jubeln,
murmelst du die stillen Worte:
»So erwärmte ich die Pole,
so erwärmte ich den Marmor,
ach, der Marmor ist erkaltet,
ach, der Marmor ist nicht einmal
mehr ein Trugbild, ist verschwunden,
ganz verschwunden, ganz verschwunden!«
So auch heute sitzt er wieder,
sitzt, indes die andern zechen,
tanzen, singen um ihn her,
sitzt und spricht dieselben Worte.
Da auf einmal hebt er leise
sich vom Sessel, tastet einsam
durch die Gänge nach dem Tempel,
drin der Mond in magischen Flecken
spielt und flackernd auf der bunten
Schreckgestalt des Fremden ruht.
Vom Barette nickt die Feder,
und die Stellung ist dieselbe,
die er einnahm, als die ersten
Worte seinem Mund entschlüpften.
Über seines Mantels Falten
blitzt das Auge, aber lautlos,
wortlos, ohne Regung stand er
seit dem ersten Tage also.
Und der Hausherr schrickt zusammen,
lehnt die schweißbedeckte Stirne
an die Marmorwand und weinet:
»Gib mir meine Lumpen wieder,
gib mir meine Armut wieder,
gib mir auch mein Marmorbild!«
Nun, mein Märlein ist zu Ende;
wer den Drang hat, mag sich's deuten,
wer ihn nicht hat, der mag lachen.
Doch für die, die gerne wissen
möchten, wie's zu End' gekommen
mit dem Hausherrn, mit dem Schlosse,
ob der Fremde ewig stehe
und das Steinbild ewig weile,
unerreicht im hohen Himmel,
denen will ich noch berichten:
Ruhig zog ein alter Waller
steinige Straße, zog gebückten
Hauptes, aber festen Schrittes.
Bettlerkittel schützte spärlich
ihn vor Sturm und rauhem Froste;
aber wer ihm in die Augen
sah, der fühlte süßen Frieden
drin gelagert; sah den Frieden
drunten auch in Wallers Brust.
Und kein Blick traf die Paläste,
die am Weg sich prunkend türmten,
keiner traf die Prachtkarossen,
die an ihm vorüber jagten.
Sinnend haftete am Boden
stets sein Auge oder hob sich
hoffnungsstrahlend in die Sterne.
Ihm zur Seite, ungesehen
von den andern, ging die Jungfrau
der Kapelle, warm und blühend.
Und sie küßte ihn in Schlummer,
und sie weckte ihn des Morgens,
treu vermählt mit ihm im Geiste. –
Müde einst vom langen Wege,
sank der alte Waller nieder,
und in ihre weichen Arme
bettete die Jungfrau ihn;
da durchrannen Jugendkräfte
seine Glieder; auf sich hebend,
leicht und frei, entschwand er lächelnd
mit der Holden in die Sterne.
Abend war's – und im Gestrüppe
fand man morgens eine Leiche.
Fern im Walde stand verlassen
noch das Erbe. Doch zur Stunde,
als der Alte stieg zum Himmel,
warf ein Blitz das bunte Zerrbild
von dem alten Postamente.
Fluchend floh es aus dem Tempel
in den Wald, drin es verschwand.
Und herab zum zweiten Male
stieg das stille Götterwesen
wieder auf den alten Sockel.
Auf dem Sockel steht's noch heute.
Weiß nicht, ob der alte Waller
seinen Erben hinterlassen
jenes urgeheime Wort,
das der Tafel Sinn enträtselt,
neu die Jungfrau rief vom Himmel,
das er allzu spät erkannt.