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Zwischen drei und vier Uhr morgens brachen sich die Wolken über dem Pontiac und im Lichte des hochstehenden Mondes zeichneten sich die Linien des langen, zwischen eisernen Speichern und hölzernen Wohngebäuden wie in eine Wiege eingebetteten Schiffsrumpfes in deutlichen schwarzen und weißen Linien ab. Die Kambüse und der bedeckte Raum davor bildeten eine dunkle Schattenmasse, gegen welche sich das glänzend weiße Deck bis zum Vorderkastell scharf abhob, während das kleine Glasdach des Photographen wie ein Helmschmuck von Edelsteinen den Pontiac schimmernd überragte. So friedlich und regungslos lag das Schiff da, daß man es ebensogut für eine kürzlich ausgegrabene und wieder ans Licht geförderte Versteinerung aus früheren Zeitaltern hätte halten können.
Aber diese Ruhe war nur eine trügerische und verdeckte ein geheimes Leben und Weben in dem Schiffe. Ein etwas, das bis dahin wie ein toter Schatten ausgesehen hatte, löste sich leise und vorsichtig vom Deck ab und begann sich Schritt vor Schritt im Schutze des Bollwerkes nach der Richtung der Kajütentreppe hinzuschleichen. Dort hielt es an und blieb eine Weile regungslos zusammengekauert liegen. Dann erhob es sich wieder, glitt mit derselben ruckweisen Bewegung weiter bis zu der kleinen Erhöhung der Kabelgatsluke, öffnete diese mit einer Geschicklichkeit, welche stete Uebung in solchen Dingen verriet, und verschwand in der Oeffnung. Da der Mond gerade in diesem Moment in die Luke und auf das Gesicht des Hinabtauchenden fiel, wurden die glänzenden Augen und die weißen Zähne des Malayen deutlich sichtbar.
Nachdem er sich unhörbar in den unteren Deckraum hatte fallen lassen, suchte er tastend seinen Weg durch den dunklen Gang zwischen den Verschlägen, mit denen er offenbar weniger vertraut war, und stand vor jeder Thüre lauschend still. Endlich kehrte er um, schlich sich zu der unteren Kabelgatsluke zurück, welche früher einmal Rosis Aufmerksamkeit erregt hatte, und öffnete geräuschlos den Verschluß. Ein durchdringender Geruch nach Moder und stehendem Wasser drang aus der Oeffnung hervor. Der Mann zog eine kleine Blendlaterne aus seiner Brusttasche, zündete sie an, und ließ sich dann, ohne einen Augenblick zu zögern, in die Tiefe hinab.
Das hin und her schwankende Licht der Laterne fiel nach oben und unten in den Raum und scheuchte Scharen von Ratten auf, welche im Zickzack an den Schiffsrippen und auf den Querhölzern hin und her schossen – aber ohne auf diese seltsamen Zuschauer seines Thuns zu achten, wandte der Mann seine gespannte Aufmerksamkeit dem Raume selbst zu, in dem er sich befand. Derselbe schien an einer Stelle durch das Einfügen neuer Holzteile ausgebessert und verstärkt und der Malaye begann sofort, diese Stelle mit den Instrumenten zu untersuchen, welche er bei sich trug. Das unsichere Licht der Laterne, das auf seinen geölten Anzug fiel, gab ihm eine gewisse phantastische Aehnlichkeit mit den nassen, gleißenden Tieren, die ihn von allen Seiten umgaben, und das leichte nagende Geräusch, welches er mit seinen Instrumenten hervorbrachte, vermehrte noch diese Aehnlichkeit. Schon nach einigen Minuten war es ihm gelungen, ein Loch in den Plankenverschlag zu arbeiten, und dasselbe gestattete ihm, sich zu überzeugen, daß der ganze dahinter liegende Raum mit kleinen hölzernen Kisten gefüllt war. Mit fieberhafter Gier zog er eine derselben heraus, sprengte den Deckel vorsichtig auf und vor ihm lag eine festgepackte Masse blindgewordener Münzen. Der Schatz war noch vorhanden!
Aber Mr. Sleight hatte die Wirkung dieser Entdeckung auf die natürliche Schlechtigkeit seines Werkzeuges nicht berechnet. Im Moment des Triumphes schoß dem Malayen auch der Gedanke durch den Kopf, den Schatz für sich zu behalten. Er hatte ihn aufgefunden, warum sollte er ihn einem anderen überlassen? Er hatte die ganze Gefahr auf sich genommen, denn wenn er jetzt ertappt wurde, wer sollte ihm glauben, daß er bei diesem mitternächtlichen Besuche keinen anderen Zweck verfolgt, als den, sich im Auftrage und Interesse eines anderen von dem Nochvorhandensein des Schatzes zu überzeugen. Nein! Die Gelegenheit war zu günstig – er wollte die Goldkisten sofort aus dem Schiffe fortschaffen, sie seitwärts hinab auf die Straße bringen, sie auf einem der anstoßenden Bauplätze verscharren und dann nach seiner Bequemlichkeit weiter drüber verfügen. Wer war nun der Klügste?
Vor allem war es nötig, den Platz nochmals zu rekognoszieren. Er wußte, daß der Deckraum über ihm leer war, wußte auch, daß derselbe von der Nebengasse einen Zugang besaß, denn er hatte heute morgen die Thür probiert. Dorthin mußte er also die Kisten schleppen und sie von da aus hinabbringen. Aber sie waren schwer, er konnte jedesmal nur eine tragen, und mußte die Reise also vielmal machen. Immerhin hoffte er, auch für den Fall, daß er gestört wurde, wenigstens etwas zu erbeuten, und so zog er vorläufig eine Anzahl von Kisten aus ihrem Verstecke hervor und stellte sie in einem Stoß übereinander.
Ha, war es nicht lustig, daß er – der malayische Hund, der verdammte Nigger, nun den Reichtum haben sollte, um den ganz andere Männer, als er war, ihr Leben gelassen hatten! Das Blut des Obersteuermanns klebte noch an den Goldkisten, wenn das Seewasser es nicht abgewaschen hatte. Welch ein mörderischer Kampf war es gewesen, als sie den Kapitän – Aber was war das? War eine Ratte klatschend in das Kimmwasser gesprungen, oder was war es sonst gewesen!
Ein abergläubisches Grauen hatte sich des farbigen Mannes bei dem Gedanken an das vergossene Blut bemächtigt. Der mit erstickendem Dunste gefüllte Raum schien sich mit kämpfenden Gestalten zu bevölkern, die er gekannt hatte, die Luft schien noch einmal von wilden Flüchen und Verwünschungen widerzuhallen! Entsetzt sprang er auf seine Füße, eilte zu der Kabelgatsluke und schwang sich zu dem Mitteldeck hinauf. Alles war still! Die Thür des leeren Vorschlages gab unter dem Drucke seiner Hand nach. Ohne auf ein Hindernis zu stoßen, glitt er zu der ins Freie führenden Pforte und öffnete sie. Der Mondschein flutete mit der kühlen Luft lautlos in den Raum. Der Weg zum Entkommen war frei! Nun zurück zu dem Schatze!
Eben hatte der Malaue den Gang wieder erreicht, als er bemerkte, daß sich das hinter ihm eindringende Licht plötzlich verdunkelte. Blitzschnell drehte er sich um und erblickte auf der Schwelle der offengelassenen Pforte eine hohe, hagere, seltsame Gestalt, welche sich deutlich gegen den hellen Himmel dahinter abhob. Im Schatten verborgen that er – einen schweren eisernen Schraubenschlüssel in der hocherhobenen Hand – einen leisen, schnellen Schritt nach der Gestalt hin. Doch im nächsten Momente schon erweiterten sich seine Augäpfel in abergläubischem Schrecken, das Eisen entfiel ihm und mit einem Schrei, wie ihn ein tödlich erschrockenes Tier ausstößt, wandte er sich zur Flucht nach dem Gange. In kopflosem Entsetzen versuchte er das obere Deck durch die Kabelgatsluke zu erreichen – aber das Geräusch schwerer Tritte über ihm ließ ihn von diesem Vorhaben abstehen – und nun gewann die naherliegende Gefahr der Entdeckung die Oberhand über die abergläubische Furcht. Lieber noch wollte er der gespenstischen Erscheinung trotzen und durch den eben verlassenen Verschlag zu entkommen suchen – aber ehe er dahin zurückkehren konnte, näherten sich andere Fußtritte von dem Ende des Ganges her, den er überschreiten mußte. Jetzt gab es nur noch eine Möglichkeit zu entwischen; er mußte in den unteren Schiffsraum zurückschlüpfen und dort abwarten, bis alles wieder ruhig geworden war. Schnell wie der Blitz glitt er nach der Luke zurück und schloß den Deckel leise und gerade in dem Moment über seinem Kopfe, als die obere Lucke sich öffnete und die kleinen runden Augen Abner Notts in die Tiefe hinabspähten. Die im Gange daherkommenden Tritte erwiesen sich als die Renshaws, aber sie bogen nach seitwärts ab, denn der junge Mann, welchem die offene Thür des Verschlags auffiel, trat in denselben ein. Sobald er verschwunden war, schwang sich Abner Nott vorsichtig von oben herab, trat zu der Oeffnung, durch welche der Malaye soeben seinen Rückzug genommen hatte, und schob den Riegel, welcher den Deckel von oben schloß, wieder vor. Als Renshaw nach wenigen Augenblicken mit einem Lichte in den Gang zurückkehrte, fand er Nott ruhig auf der Luke sitzend.
»Die Pforte in dem Verschlage dort stand offen,« sagte Renshaw. »Ohne Zweifel ist der Eindringling, wer er auch gewesen sein mag, dort hinaus entwischt.«
»Sicherlich,« entgegnete Nott, während sich ein schlauer Ausdruck, der Renshaw ärgerte, über sein Gesicht stahl.
»Sie glauben also gewiß, daß es Ferrières war, den Sie unter Ihrem Fenster vorüberstreichen sahen, ehe Sie mich weckten?« fragte der junge Mann.
Nott nickte mit unergründlich ausdrucksvoller Miene.
»Aber Sie sagten doch, er sei in der Richtung vom Schiffe weggegangen. Dann kann er es doch nicht gewesen sein, welcher vorhin den Lärm da unten machte.«
»Er mag's gewesen sein, und mag's auch nicht gewesen sein,« gab Nott vorsichtig zur Antwort.
»Aber wenn er sich schon im Inneren des Schiffes befand, wie die offene Pforte anzuzeigen scheint, welche Ihrer Mitteilung nach von innen verriegelt war, wozu, zum Teufel, hatte er das Ding hier nötig?« fragte Renshaw, welcher den Schraubenschlüssel vom Boden aufgenommen hatte.
Mr. Nott betrachtete das Instrument sorgfältig und schüttelte mit wichtiger Miene den Kopf. Dann kehrten seine Augen zu dem Lukendecke! zurück, auf welchem er saß.
»Haben Sie da 'was Verdächtiges bemerkt?« fragte Mr. Renshaw, indem er den Blicken seines Wirtes folgte. »War die Luke etwa nicht mehr so verschlossen, wie sie jetzt ist?«
»Doch, doch,« entgegnete Nott ruhig, »aber 's würde mir lieb sein, wenn Sie so gut wären und mir aus dem Schranke oben 'n Hammer und 'n paar große Nägel 'runter holten, derweil ich hierbleibe, um aufzupassen, damit daß kein neuer Einbruch nich stattfindet.«
Renshaw erfüllte das Verlangen, aber als Nott nun mit dem größten Ernste begann, einen Nagel nach dem anderen in den Lukendeckel einzuschlagen, drehte er ihm ungeduldig den Rücken, um sich weiter im Schiffe umzusehen. Die Thüren der übrigen Verschlage und ihre Schlösser und Riegel schienen fest und unberührt. Es war allerdings kaum zu bestreiten, daß ein Einbruch versucht morden war, aber von wem und zu welchem Zwecke blieb unaufgeklärt. Selbst jetzt noch fand, Renshaw es unmöglich, Notts Ansichten, daß de Ferneres der Uebelthäter und Rosi der Zweck sei, zu teilen – aber er hatte ebensowenig Beweise für seinen eigenen Verdacht, welcher sich gegen den Malayen und gegen Sleight als Anstifter richtete. Es überkam ihn ein Gefühl, daß, wenn das junge Mädchen zur Stelle gewesen wäre, er ihr eine vollständige Beichte abgelegt, und sie um ein gleiches Vertrauen gebeten haben würde, denn er fing bereits an, sein thörichtes zweck- und nutzloses Bündnis mit dem Vater zu beklagen, der, obwohl er die Tochter bemißtraute, auf der anderen Seite doch nicht den Mut hatte, sie des Einverständnisses mit einem Einbrecher zu bezichtigen. Was war mit dem Manne anzufangen, der in einem solchen Momente keinen anderen Gedanken hatte, als eine verschlossene und immer verschlossen gewesene Luke zu vernageln! So versunken war Renshaw in diese Gedanken, daß er, als Nott später in der Kabine erschien, dessen Gegenwart kaum gewahr wurde, und keinen der verstohlenen Blicke bemerkte, welche ihm der alte Missourier von Zeit zu Zeit zuwarf.
»Schätze, Sie werden's mir nich übelnehmen, wenn ich Ihnen um 'ne Gefälligkeit bitte, Mr. Renshaw,« sagte Nott, plötzlich das bisherige Schweigen brechend. »Vielleicht mute ich Ihnen 'n zu großes Opfer an Geld zu, vielleicht aber auch 'n zu großes Opfer an Zeit – aber ich kalkeliere, ich kann Ihnen die Auslagen ersetzen und auch vor Ihrer Zeit, wenn Sie mir sagen, was sie Ihnen wert is, aufkommen. Um was ich Ihnen bitte, is nämlich, daß Sie 'nen Brief von mir zu Rosi schaffen, und mir 'ne Antwort mitbringen mochten.«
Renshaw fuhr bei dieser plötzlichen Verwirklichung eines Wunsches, der wenige Minuten vorher in seiner Seele aufgetaucht war, wie erschrocken empor.
»Ich verstehe Sie wohl nicht recht –« stammelte er.
»Vielleicht nich,« versetzte Nott mit Würde, »Aber das is auch nich die Hauptsache, um die sich's handelt. Die Hauptsache is Ihre Zeit und die Geldkosten.«
»Ich wollte nur sagen, daß es mir viel Vergnügen machen wird, Ihren Auftrag auszuführen, wenn ich Ihnen dadurch nützlich sein kann,« entgegnete Renshaw eifrig.
»Dann können Sie ja wohl noch mit dem Siebenuhrschiffe nach San Rafael fahren und sind um zehn Uhr –«
»Aber ist denn Miß Rosi nicht nach Petaluma gegangen?« fiel Renshaw ein.
Nott blickte ihn mit einer Art gönnerhafter Ueberlegenheit an.
»Das is, was wir den Leuten und insbesondere dem Ferrers und seiner Bande weis machten,« bemerkte er. »Wir sagten freilich Petalumi, aber wenn Sie nach Madroño Cottage in San Rafael gehen, werden Sie ihr ja wohl finden.«
Wenn es noch eines Grundes bedurft hätte, um Renshaw zu überzeugen, wie dringend nötig eine möglichst schnelle Verständigung mit Rosi sei, so wäre es dieser letzte Beweis für die gänzlich unberechenbaren Absichten und Maßnahmen ihres Vaters gewesen. Er willigte also rasch ein und empfing von Nott einen an Rosi adressierten Brief.
»Sie müssen 'n aber ihr selbsten und in ihre eigenen Hände geben und auf der Antwort warten,« schärfte der Missourier dem jungen Manne mit dem größten Ernste ein.
Nachdem sich Renshaw mit Entschiedenheit geweigert hatte, auf die Besprechung seiner Ausgaben und die Schätzung seiner Zeit einzugehen, befand er sich um sieben Uhr auf dem nach San Rafael bestimmten Dampfboote, und fand hier – so kurz die Fahrt auch war – Zeit und Muße, über die bevorstehende Unterredung mit Rosi nachzudenken. Er beschloß, mit einer offenen Beichte zu beginnen. Die Vorgänge dieser Nacht hatten ihn jeder Verpflichtung gegen Sleight entbunden, und außerdem bezweifelte er keinen Augenblick, daß Notts Brief einige Mitteilungen über diese Dinge, wie er sich dieselben in seiner verzwickten Weise zurechtgelegt hatte, enthalten müßte.