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Viertes Kapitel.

Mit einem Schreckensrufe trat de Ferrières dem Eindringlinge entgegen und suchte ihm den Weg zu versperren – aber Nott besiegte den Widerstand des kranken Mannes mit gleichsam elementarer Gewalt, indem er nur einfach und langsam die große Hand aufhob und sie auf dessen Brust legte. Die Aermlichkeit des Raumes schien er gar nicht zu bemerken, ja es sah aus, als beachte er kaum seinen Bewohner. Mit zerstreutem Blicke und unbeweglichem Gesichte drängte er ihn nur nach dem Stuhle zurück, von welchem Rosi soeben aufgestanden war, und setzte ihn da nieder; dann nahm er selbst auf dem Kissenhaufen gegenüber Platz. Seine gewöhnlich an halbgares Fleisch erinnernde Gesichtsfarbe war jetzt von bläulicher Blässe, und sein finsterer ausdrucksloser Blick schien auf seinen Abmieter einen gewissen lähmenden Zauber auszuüben.

»Ich hätte Ihnen ja wohl hier auf der Stelle und ohne 'n Wort zu sagen, 's Lebenslicht ausblasen können,« sagte Nott endlich langsam. »Ich könnte Ihnen auch bei Ihren Gängen durch Montgomery Street, oder an sonst 'nen Orte, wo Platz is, 'nen Sechsläufigen abzufeuern, 'ne Kugel durch 'n Hirnkasten jagen, wie Johnson von Petaluma, der 'nen gewissen Flinn aufpaßte, als er am Sonntage aus der Kirche kam, und Johnson that das nur von wegen seiner Frau, die so zu sagen 'ne Frau aus zweiter Hand war. Ich hätte 's auch machen können, wie Walter von Contra Costa, der 'nen jungen Kerl aus Sacramento in demselbigten Augenblicke das Fell voll Löcher schoß, als dieser Walkers Tochter ›Gute Nacht‹ sagte. Ich hätte, wie gesagt, genau das oder 'was Aehnliches thun können, wenn's mir paßte. Aber 's paßt mir nich; denn wenn Sie und Flinn und der junge Kerl aus Sacramento auch alle von derselbigten Art sind, so is Rosi doch von 'ner anderen Sorte, als jene Weibsleute waren.«

»Mademoiselle ist ein Engel!« rief de Ferrières, indem er wie elektrisiert von seinem Sitze aufsprang. »Eine Heilige – und wer sie beleidigt, dem schlage ich die Worte in den eigenen Hals zurück.«

»Wenn Sie mit der Mamzell meine Rosi meinen, alsdann haben Sie ganz recht,« sagte Nott indem er seine mächtige Hand auf de Ferrières' Schulter legte und ihn langsam wieder auf den Stuhl niederdrückte. »Aber sie is noch keine Mamzell nich. Und was ich sagen wollte, war nur, daß ich Sie, wenn's für Rosi hätte 'nen Nutzen haben können, ja wohl tot geschossen hätte, wie 'nen tollen Hund.«

»Wenn es für sie geschähe! Da schauen Sie her!« rief de Ferrières wieder auf die Füße springend und seinen Rock mit beiden Händen aufreißend. »Schauen Sie her – da ist mein Herz. Schießen Sie!«

»'s is wie ich sage,« fuhr Nott fort, indem er den aufgeregten Mann abermals auf den Stuhl niederdrückte. »Ich hätte Ihnen 'nen Treff versetzen können, und Sie hätten sich vielleicht nich 'mal nich viel draus gemacht. Aber ich schätze, daß das keiner Sache nich is, bei der's auf mich oder auf Sie ankommt, sondern aber nur auf Rosi, und die alleinigte Frage is: Was is da zu thun?«

Dabei richtete er seine kleinen runden Augen zum erstenmal auf de Ferrières' Gesicht, wendete sie aber ebenso schnell wieder ab. Der ins Leere starrende Blick des alten Missouriers, welcher auf seinen Abmieter eine so lähmende Wirkung ausgeübt hatte, war, allem Anschein nach, nur aus dem festen Vorsatze hervorgegangen, de Ferrières Augen zu vermeiden, und aus einer abergläubischen Vorstellung von der geheimnisvollen Macht des Mannes, vor der er sich zu schützen suchte.

»Und wenn wir das auskalkeliert haben, hernach müssen wir noch auskalkelieren, was Rosi is und was Rosi braucht,« fuhr Nott fort, »Sie bilden sich vielleicht ein, Sie wüßten, was sie is? Vielleicht sind Sie ihr 'mal begegnet, wenn sie 'nen roten Samthut und weiße Atlasschuh und desselbigtengleichen mehr trug. Vielleicht haben Sie ihr auch 'mal dabei getroffen, daß sie Geschichten und Reisebeschreibungen nur so las, wie Wasser – aber das is noch lange nich meine Rosi. Was meine Rosi is, das is 'n kleines Kind, was auf den großen Salzfeldern, allwo meilenweit ringsum nichts nich weiter zu sehen war, als dem Alkalium, in 'ner Auswandererkarre aus und ein kroch – 's is 'n kleines Mädchen, das Hunger und Durst mit derselbigten Ruhe ausgehalten hat, wie sie anjetzt essen und trinken thut, so viel als ihr Herze begehrt – 'n kleines Mädchen, das auf seinem Laubsacke in dem Karren, auch wenn ringsum die wilden Indianer heulten, niemals nich mehr gezittert hat, als anjetzt in der schönen Kabine. Das is dasjenigte Mädchen, dem ich kenne. Das is meine Rosi, die meine Alte in der Nacht, allwo's ihr am schlechtsten ging, in meine Arme legte, indem daß sie sagte: ›Abner die Karre kann nich mehr weiter. Zieh das Kind gut auf, und wir werden schon alle gut 'nüber kommen, in die neue Heimat‹. Ich wußte aber, die neue Heimat, von der sie sprach, das war nich Kalifornien. Und so kam's ja wohl auch. – Sie ließ mich mit dem Kinde allein in dem Wagen. Und wenn ich mir alles so richtig überlege, so wäre 's ja doch wohl am besten, wenn ich Ihnen gleich allhier auf der Stelle den Garaus machte. Rosi wird's nur nich wollen.«

Dabei hatte er einen seiner riesenhaften Schuhe vom Fuße verloren, und als er sich bückte, um ihn wieder anzuziehen, setzte er ruhig hinzu: »'s kann aber doch auch nich sein, daß Sie ihr heiraten.«

Der Ausdruck äußerster Bestürzung, welcher sich bei diesen Worten auf de Ferrières' Gesicht malte, entging Notts abgewendeten Augen; auch schien er nicht zu bemerken, daß sich sein Zuhörer im nächsten Moment noch steifer aufrichtete und seine Krawatte zurecht rückte.

»Wenn Rosi,« fuhr er fort, »in den Reisen zu Wasser und zu Lande, über Frankreich und Italjen etwa von solchen Leuten, wie Sie einer sind, gelesen hat und kalkelieren sollte, daß Sie der Richtige wären, so könnte dasselbigte doch nur stattfinden, wenn Sie da drüben übern Wasser in 'nem Schlosse oder so 'was lebten, aber nich wenn Sie hier 'rüber kommen und in 'nem Schiffe wohnen, noch dazu wenn dieser selbigte Schiff ganz ruhig auf 'm Strande in San Francisco liegen thut; denn Sie passen hier nich ins Klima und sehen im ganzen ja wohl aus, wie 'ner Vogelscheuche. Sie paßten viel besser zu denen alten verschimmelten Ruinen in Rom und Palmyry, wo davon Rosi viel gelesen hat, als hierher in der Neuen Welt. Ich will damit nich sagen,« fuhr er fort, als sein Gegenüber einen Versuch machte, ihn zu unterbrechen, »ich will nich sagen, daß Rosi nich in Ihnen verschossen wäre – 's würde ja wohl nichts nich nützen, zu lügen und zu sagen, 's wäre nich wahr, daß Sie ihr lieber sind als ihr alter Vater und alle jungen Kerls von ihrer eigenen Art. Nein – ich habe das ja wohl längst gewußt, hatte 'ne Witterung davon, ehe ich ihr noch heute aus der Thür hier, 'naus schlüpfen sah. Na, reißen Sie sich nur die Haare nich aus,« fuhr er fort, als de Ferrières eine lebhafte abwehrende Gebärde machte. »Ich will ihr nich fragen, wie ofte sie schon hier gewesen is, und was Sie mit'ander gesprochen haben – ich will ihr nich fragen und Ihnen auch nich. Sie werden ja wohl die Priliminarjen abgemacht und ihr 'nen Ring gekauft haben, und was desselbigtengleichen mehr is. Ich will Ihnen nur fragen – wenn Sie nu doch wohl alle Trümpfe in der Hand haben – was soll ich Ihnen davor geben, wenn Sie dem Schiffe sogleich verlassen?«

Der Blick starrer Verwunderung, mit dem de Ferrières den Sprecher anstarrte, hatte wohl auch auf den nur von einem Gedanken beherrschten Nott Eindruck gemacht, wenn es nicht in dem System des Mannes gelegen hätte, die Augen in schonender Weise abzuwenden, um den Gegner nicht in seiner Berechnung und Ueberlegung zu stören.

»Pardon,« stammelte de Ferrières endlich, »Pardon – ich verstehe Sie nicht!« Und sich mit den Händen nach dem Kopfe fahrend, fügte er hinzu: »Ich bin nicht ganz wohl, fühle mich ganz verwirrt. Ah, mon Dieu

»Das glaube ich wohl,« fuhr Nott etwas milder fort, »glaub's ja wohl, daß Ihnen nich zum besten zu Mute is – 's is ja ganz natürlich. Aber Geschäft is Geschäft, und so muß ich Ihnen fragen,« setzte er hinzu, indem er eine mächtige Brieftafel aus der Brusttasche zog, »wieviel ich Ihnen anjetzt gleich und wieviel am nächsten Steamertage davor zahlen soll, wenn Sie Rosi laufen lassen und machen, daß Sie vom Schiffe fortkommen.«

Jetzt taumelte de Ferrières trotz der auf seiner Schulter liegenden Hand von seinem Sitze empor.

»Wenn ich Mademoiselle laufen lasse, und mache, daß ich fortkomme – haben Sie nicht so gesagt?« fragte er mit heiserer Stimme.

»Schätze, Sie haben mich verstanden, Mann,« entgegnete Nott, indem er sich zum erstenmal in dem elenden Raume umsah. »Sie können hier alles stehen und liegen lassen, wie Sie's gefunden haben, 's geht in eins hin. Ich nehme den Pferdehaaren zurück, und Sie brauchen nur zu sagen, was Sie vor Rosi und vor Ihrer verlorenen Zeit haben wollen.«

»Ich glaube er hat gesagt, ich solle gehen?« wiederholte sich de Ferrières mit erstickter Stimme.

»Wenn Sie mich meinen, wenn Sie sagen er, was ich wohl glaube, da ich keinen anderen Mann nich hier sehe, so is es so!« gab Nott zur Antwort.

»Und er, der Mann mit den Füßen und der Tochter, fragt, womit ich – de Ferrières – mich abfinden lassen will!« fuhr der Franzose fort, während er seinen Rock zuknöpfte. »Das alles ist kein Traum!«

Dabei schritt er steif und aufrecht nach der Ecke, in welcher sein Handkoffer stand, hob ihn auf, ging nach der in die Schiffswand geschnittenen, zu der äußeren Treppe führenden Pforte und riß sie weit auf. Ein dicker Nebel drang von draußen in den Raum.

»Sie fragen, was ich haben will, um zu gehen,« fügte de Ferrières auf der Schwelle stehen bleibend. »Ich nehme mit mir, was Sie mir nicht geben können, Monsieur, was ich aber verlieren würde, wenn ich einen Augenblick länger hier bliebe. Ich nehme meine Ehre mit mir, Monsieur, und – damit adieu!«

Die Umrisse der seltsamen Gestalt zeichneten sich noch einen Moment in der Thüröffnung gegen den Nebel ab, dann verschwand sie, als hätte ein unsichtbarer Ocean da unten sie verschlungen.

Verblüfft und durch diesen unerwartet schnellen Erfolg seiner Eröffnungen vollständig aus der Fassung gebracht, blieb Abner Nott sprachlos sitzen und starrte auf die leere Stelle, bis die Kälte des eindringenden Nebels ihn wieder zu sich brachte. Dann sprang er auf und schlurfte so schnell er konnte nach der Thür.

»He – Ferrers! Kommen Sie doch noch 'mal her! Warum haben Sie's denn so eilig, Kamerad?«

Aber er erhielt keine Antwort. Der dichte Nebel, welcher das Schiff einhüllte, schien selbst den Ton seiner Stimme zu verschlucken. Nach einer kurzen Pause schloß Nott die Thür, ohne sie indessen von innen zu verriegeln. Dann trat er in die Mitte der Koje und blickte auf die beiden Lichter nieder, während er die Lösung eines verblüffenden Rätsels aus seinem Barte pflücken zu wollen schien. Plötzlich schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf. Rosi! Wo war sie? Vielleicht lag hier ein verabredeter Plan vor, und sie war mit dem Franzosen entflohen! Hastig blies Nott die Lichter aus und eilte nach der oberen Kajüte. Die Thür derselben war offen und er hörte drinnen Stimmen – die Renshaws und Rosis. Eine Last fiel von Notts Herzen; dennoch geriet er in Verlegenheit. Am liebsten hätte er seine Tochter heute abend gar nicht mehr gesehen – aber während er sich das noch sagte, stolperte er schon mit dem gewöhnlichen Ungeschick ins Zimmer. Rosi fuhr mit einem leichten Schrecken empor; Renshaws lebhaft bewegtes Gesicht nahm sofort wieder den Ausdruck innerer Unzufriedenheit an.

»Du kommst ja so leise wie ein Geist, Vater,« sagte Rosi mit einem Anflug von Gereiztheit, der bei ihr neu war. »Ich dachte, du wärst in die Stadt gegangen. Bitte bleiben Sie doch noch, Mr. Renshaw!«

Aber Mr. Renshaw fand, daß er Miß Notts Zeit schon allzusehr in Anspruch genommen, und vermutete, daß Mr. Nott allerlei mit seiner Tochter zu reden hätte. Zu seinem Unbehagen und Erstaunen bestand indessen Mr. Nott darauf, ihn nach seiner Koje zu begleiten und ließ sich auch an der Thür derselben durch Renshaws kaltes »Gute Nacht« nicht abhalten, einzutreten und das Schloß hinter sich einzuklinken.

»Vielleicht können Sie sich noch besinnen,« begann Nott mit verlegener Miene, »daß Sie dazumal, als Sie zuerst hierher kamen, ja wohl fragten, ob Sie nich der Koje kriegen könnten, in welcher selbigten der Franzose wohnte.«

»Nein, darauf besinne ich mich nicht,« entgegnete Renshaw ziemlich unfreundlich. »Aber,« fuhr er nach einer Pause mit der Miene eines Mannes fort, der sich nur ungern an eine unangenehme Sache erinnert sieht, »wenn ich's gethan habe – was soll's damit?«

»Nichts nich, als daß Sie ihr morgen kriegen können,« sagte Nott. »Der Franzose is ausgezogen – und 's schien mir im Anfange, als ob Ihnen 'was dran gelegen wäre.«

»Hm: wir wollen morgen weiter drüber sprechen,« entgegnete Renshaw; aber das bedrückte, ängstliche Wesen Notts fing an, dem jungen Manne aufzufallen und mit einem Anfluge von Humor fragte er seinen verlegen dastehenden Wirt: »Sagen Sie, warum haben Sie eigentlich das alte Schiff nicht längst verkauft, und haben nicht lieber eine anständige Wohnung in der Stadt genommen, um Ihre Tochter wie andere junge Damen erziehen zu lassen?«

Aber sogar diese Lästerung des geliebten Schiffes hinderte Nott nicht, der Frage wie gewöhnlich eine falsche Deutung zu geben.

»Schätze, Rosi hat anjetzt große Blasen im Kopfe; möchte ja wohl in 'nem Schlosse mit Ruinen wohnen – nich wahr?« fragte er schlau.

»Mir hat sie davon nichts gesagt,« gab Renshaw kurz zur Antwort. »Gute Nacht.«

Fest überzeugt, daß Rosi nicht imstande gewesen sei, ihre Träume von einer Zukunft als Schloßherrin an de Ferrières' Seite vor Renshaw zu verheimlichen, kam Nott in die Kabine zurück, und da sich Rosi, zu seiner nicht geringen Erleichterung, bereits in ihr Kämmerchen zurückgezogen hatte, suchte auch er sein Lager auf. Aber er fand keinen Schlaf. Er konnte die Gestalt de Ferrières', wie dieselbe in der Thür stand und dann draußen in Nebel und Finsternis verschwand, nicht loswerden, und gegen seinen Willen mußte er in seinen Gedanken den Franzosen durch die Gassen und Gäßchen der Stadt begleiten. Es stand für ihn felsenfest, daß derselbe mit geheimer, vielleicht übernatürlicher Kraft begabt sei – und welche tief angelegten, Abner Nott unbekannten Pläne verfolgte er vielleicht, um sich Rosis zu bemächtigen? Jetzt, nachdem der Mann nicht mehr unter dem Dache des Vaters weilte, hatte er ja die unbeschränkteste Freiheit, von seinen Künsten Gebrauch zu machen. »Er sagte ja wohl, seiner Ehre, die nähme er mit,« murmelte Abner in seine Kissen, »und wenn man dieselbigten Worte beim richtigen Lichte besieht, haben sie 'ne schlechte Bedeutung.«


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