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Erstes Kapitel.

Es hatte in den ersten Januarwochen des Jahres 1854 in San Francisco so anhaltend geregnet, daß eine gewisse sumpfige Stelle auf der »Lange-Werft Straße« ungangbar geworden war, und man dieselbe durch ein darüber gelegtes Brett hatte überbrücken müssen. So gefährlich war der Platz, daß ein Reisender, der sich einst unvorsichtig darauf gewagt, seinen Handkoffer – wie man uns aus zuverlässiger Quelle berichtet – ohne Rettung in den bodenlosen Pfuhl hatte versinken sehen, und gern bereit gewesen war, sein Eigentumsrecht an dies wertvolle Gepäckstück für eine Entschädigungssumme von zwei Dollars und fünfzig Cents an einen unternehmenden Ausländer auf der Werft abzutreten. Als dann späterhin die Nachsuchungen, welche dieser Ausländer anstellte, nur zur Auffindung der Leiche eines dort verunglückten Chinesen führten, der ihm, wahrscheinlich in verbrecherischer Absicht, hatte zuvorkommen wollen, so war der Ort, neben seinem sonstigen zweifelhaften Rufe, auch noch in den Geruch bedenklicher geschäftlicher Unsicherheit geraten.

Obenbesagtes Brett nun führte zu dem Eingänge eines Gebäudes, welches sich selbst in der kunterbunten Frontarchitektur dieser Straße wunderlich genug ausnahm. Die Häuser zu beiden Seiten – unregelmäßige Konstruktionen von Holz oder geripptem Gußeisen – trugen samt und sonders die Spuren ihrer schnellen Entstehung. Sie waren eilig und schmucklos zusammengefügt, um die Passagiere und Güter aufzunehmen, die an den sumpfigen Gestaden der noch in den Windeln liegenden Stadt ausgeschifft wurden – wogegen das in Rede stehende Gebäude eine gewisse künstliche Form und allerlei sonstige Zeichen trug, welche dieser Voraussetzung widersprachen. Es kehrte der Straße eine seltsam ausgebauchte Front mit einer Reihe kleiner, in gebogener Linie angebrachter Fenster zu, und über diesen schlängelten sich hübsche Schnitzereien – zum Teil Weinranken und Blätterwerk darstellend – empor, während unterhalb derselben, in verblaßter Goldschrift die Worte: » Pontiac-Marseilles« zu lesen waren.

Der Eindruck, welchen dies Bauwerk beim ersten Anblick an diesem Orte hervorbrachte, war ein verblüffender, und man erzählt, daß einst ein trunksüchtiger Goldgräber, der sowohl durch den Schmutz vor der Thür, wie durch seinen Zustand, hier zum Stillstehen gebracht wurde, in starrem Staunen an dieser merkwürdigen Façade emporblickte und, zu dem Samariter, der ihn unterstützte, gewendet, voll tiefen Kleinmutes und mit seiner dicksten Stimme in die Worte ausbrach: »Ich habe 'n freies Leben geführt, Kamerad, und hätte, da ich in den letzten sechs Wochen nicht nüchtern geworden bin, vielleicht erwarten können, daß es noch so weit mit mir kommen würde. Schlangen habe ich schon oft vor den Augen gehabt, und auch die Ratten sind mir nicht unbekannt geblieben, aber wenn's nun dahin gekommen ist, daß ich Schiffe in 'ner Straße sehe, so kalkuliere ich, ist es die höchste Zeit, der Sache Einhalt zu thun.«

»'s ist ja auch 'n Schiff, du alter ausgepichter Saufaus!« hatte darauf der Samariter kurz geantwortet.

Es war in der That ein Schiff – ein Schiff, welches vor Jahren hier gelandet, und von seiner Mannschaft, die sich zerstreute, um Gold zu suchen, verlassen worden war. Die mit wahnsinniger Schnelligkeit wachsende Stadt hatte das Watt, in welches das Fahrzeug rettungslos eingebettet lag, immer mehr zurückgedrängt; Werfte, Quais und Wasserbrecher hatten dem »Pontiac« den Rückzug abgeschnitten; die anfänglichen leichten Warenschuppen, welche ringsum entstanden, hatten sich schnell in mächtige Speicher und solide Gebäude verwandelt, die ihn fest einschlössen, und nachdem er auf diese Weise von drei Seiten umbaut war, schaute er mit seinen Kajütenfenstern rat- und hoffnungslos hinab auf die vor ihm liegende geschäftige Straße. Aber die Gestalt eines Schiffes trotzt jedweder Umbildung. Jede sichtbar gebliebene Umrißlinie verriet die Bestimmung des Pontiac für ein anderes Element. In der Balustrade seines Daches ließ sich die Galerie eines Schiffsspiegels nicht verkennen, der Regen floß so langsam wie das ehemalige salzige Spritzwasser an den ausgebauchten Seiten seines Rumpfes herab, dem heimtückischen Grunde ringsum war ebensowenig zu trauen, wie dem heimischen Elemente des Bauwerkes, selbst der Wind blies in einer gewissen nautischen Weise um seinen Schornstein, und wenn das Fahrzeug einmal während eines Südweststurmes bei nächtlicher Weile die Anker gelichtet hätte und, einen schimmernden Streifen hinter sich lassend, durch die untere Stadt nach der fernen See hinausgesteuert wäre, so würde sich im Grunde niemand darüber gewundert haben.

Um wenigsten hätte dies vielleicht sein gegenwärtiger Eigentümer und Inwohner, Mr. Abner Nott, gethan; denn durch eine Ironie des Schicksals war der Pontiac in Besitz eines Farmers aus dem fernen Westen gekommen, der nie vorher weder ein Schiff, noch ein größeres Wasser als einen Nebenfluß des Missouri gesehen hatte. Halb durch die Seltsamkeit des Unternehmens, halb durch Spekulationslust verlockt, hatte er das Fahrzeug, als es gänzlich leer und verlassen stand, gekauft und hatte seitdem seine Farm in Petaluma mit Hypotheken überhäuft und das lebende Inventar derselben verpfändet, um den Boden rings um das Schiff aufschütten und den nötigen inneren Umbau vornehmen zu lassen. Er überführte seinen Hausrat, sowie seine einzige Tochter nach der Kajüte des Pontiac und teilte den Raum »zwischen den Decks« in Logierzimmer und in Speicher für Güter und Waren ein.

Das Unternehmen war kaum ein einträgliches zu nennen, denn die Abmieter hatten bald instinktiv herausgefunden, daß dasselbe – aus einem gewissen Hange zur Sentimentalität hervorgegangen – von Nott mehr als Herzenssache, denn als Geschäft betrieben wurde, und trugen in generöser Weise das Ihrige zur Aufrechterhaltung der Illusion bei, indem sie häufig davongingen, ohne zu bezahlen. Andere behandelten ihren Aufenthalt in dem eigentümlichen Hause von vornherein als einen Jux – als eine angenehme Erholung, und betrachteten sich, bei der kindlichen Familiarität des Grenzverkehrs, einfach als Gäste des Wirtes, während noch andere ihm – mit der Empfindung, ihm eine Gunst zu erweisen – ihre unverkäuflichen Waren als Bezahlung überließen.

Zuweilen erwachte übrigens in Abner Nott der alte praktische Sinn und dann geriet er wohl in Wut gegen die, welche ihn mißbrauchten, und er drohte, sie herauszuwerfen, oder sogar den Pontiac einzureißen – aber er ließ sich immer leicht besänftigen, wenn man von dem »lieben alten Schiffe« sprach, oder wenn der Schuldige wohl gar den Versuch machte, etwas zur Ausschmückung desselben oder zu seinem Ruhme zu thun. So blieb z. B. ein Photograph, welcher das Vorderkastell in sinnreicher Weise zu einem Glassalon für sein Geschäft umgewandelt (das Lokal war von einer Nebenstraße über die Backen des Schiffes zugänglich), ruhig wohnen, obwohl er dem Wirte nie eine andere Entschädigung geboten hatte, als ein Bild des hübschen Gesichtes seiner Tochter Rosi Nott.

Die abergläubische Verehrung, welche Abner Nott dem Gegenstand seiner Phantasterei widmete, wurde noch gesteigert durch die fabelhaften Vorstellungen einer Landratte von der wirklichen Leistung eines Schiffes und von der Beschaffenheit seines ursprünglichen Elements, »'s ist gefahren, gefahren, gefahren – immer in gerader Linie, wie 'ne Biene fliegt, so daß man noch tagelang seine Spur gesehen hat,« pflegte Nott zu sagen, ohne sich die etwaige Unverträglichkeit der gebrauchten Bilder groß zu Herzen zu nehmen. »Schätze, 's hat mehr Stürme und harte Nüsse geknackt, als auf 'ne Kuhhaut gehen. Heute is es auf den Walfischfang gefahren, morgen hat sich's mit Piraten und Freibeutern 'rumgeschlagen, is über dem ganzen Weltmeer und noch 'n gutes Ende drüber 'nausgekommen. Hernach is es querfeldein nach Marselje 'nübergesegelt, wo man's hat für Geld sehen lassen, und nun sitzt's ja wohl hier so still und zufrieden, als ob's niemals nich über 'n Kartoffelacker 'nausgeguckt hätte, und die See nich mit tausend Focksegeln, und wie die Dinger sonst alle heißen, die um den Mast 'rumhängen, durchpflügt hätte.«

Dieser Enthusiasmus Abner Notts wurde geteilt von seiner Tochter, nur von ihrer Seite mit besserem Verständnis und einer Phantasie, welche sich, angeregt durch die kärgliche Litteratur, die der Auswandererwagen ihres Vaters bot, und genährt durch einige Bücher, die sich in der Schiffskajüte vorfanden, aufs üppigste entfaltete. Die seltsame Muschel, in der Rosi wohnte, umschloß für sie eine ungleich größere und erhabenere Welt, als das rauhe bunte Leben, das sie aus den kleinen Kajütenfenstern beobachtete oder durch die Abmieter ihres Vaters kennen lernte. Der kleine Raum, auf welchen sie tagelang, monatelang ausschließlich angewiesen war, hatte sich aus dem märchenhaften Spielplätze der Kinderzeit zum Schauplatz ihrer Mädchenträume umgewandelt, ohne an idealem, romantischem Reiz zu verlieren. Sie hatte sich die Geschichte des Schiffes in ihrer eigenen Weise ausgestaltet und die noch vorhandenen seemännischen Hieroglyphen an seinen Wänden gewannen für sie eine geheimnisvolle Bedeutung. In ihrer Phantasie hatte sie mit dem Schiffe weite Reisen in ferne Weltteile und Länder gemacht, hatte die weicheren Laute fremder Sprachen auf dem Deck gehört, in schönen Sommernächten, vom Dache des Quarterdecks aus, am Horizonte Sternbilder von milderem Glanze aufsteigen sehen, als die, welche von dem metallisch schimmernden Himmel Kaliforniens herableuchteten, und zuweilen kam es ihr in ihrer Einsamkeit sogar vor, als ob das lange cylinderförmige, gewölbte Gemach, in dem sich ihr Dasein hinspann, wie andere große Seemuscheln musikalisch würde und das Murmeln und Rauschen der fernen See wiedergäbe. Das Schiff füllte sie so ganz aus, daß es schließlich die gewöhnlichen Interessen und Neigungen der weiblichen Jugend völlig verdrängte, und Rosi sogar vergessen ließ, daß ihr Anzug ärmlich und altmodisch war. In der Regel hörten auch ihre Hausgenossen nach dem ersten bewundernden Erstaunen auf, dem eigentümlichen, gleichsam in einer unsichtbaren Welt lebenden jungen Mädchen anders als mit den Augen zu folgen – teils weil das vergeistigte Wesen und die Schüchternheit Rosis sie fern hielt, teils weil Nott die Tochter eifersüchtig überwachte. Und ebenso fern wie diesem Verkehr blieb sie dem mit der Außenwelt. Rosi kam nur selten in die belebteren Gegenden der wachsenden Stadt, und ihre wenigen Ausflüge richteten sich meist nach dem alten Viehhofe in Petaluma, von woher sie Blumen und Pflanzen mitbrachte, mit denen sie eine Art von hängendem Garten auf dem Quarterdeck des Pontiac anlegte.

Es regnete noch immer, und der Wind, der sich fast in Sturm verwandelt hatte, trieb die Tropfen mit einem Geräusch, als sei es Flugwasser, gegen die schrägliegenden Fenster der Kajüte. Abner Nott saß eifrig mit seinen Rechnungsbüchern beschäftigt vor dem Tische, denn es war »Steamertag« – d. h. jener große Rechentag vor Abgang des regelmäßigen Postdampfers, welcher für den Handel von San Francisco von so weittragender Bedeutung ist – und Mr. Nott erlitt zu solchen Zeiten immer Rückfälle in sein früheres auf praktische Erfolge gerichtetes Wesen. Ein hängende Schiffslampe verlieh dem seltsamen, niedrigen mit Holz getäfelten schmuckkästchenartigen Gemache, mit seinen sorgfältig eingepaßten, kleinen, an eine Puppenstubeneinrichtung erinnernden Geräten erst den richtigen Charakter, während das hübsche ovale Gesicht Rosi Notts in dieser Beleuchtung um so mehr als die schönste Zierde desselben erschien. Eine Schiebethür führte aus der Kajüte nach einem schmalen Gange des jetzt mit einem Dache versehenen Hauptdeckes, welcher so angelegt war, daß er nach dem offenen Steuerbord mündete, wo eine schmale Treppe die Stelle der ehemaligen Schiffsleiter versah und nach der Straße hinabführte.

Ein neues prasselndes Anschlagen des Regens an die Fenster veranlaßte Rosi, von ihrem Buche aufzublicken.

»Wieviel besser ist's doch hier als draußen auf dem Viehhofe, Vater,« sagte sie in sanftem, liebevollem Tone. »Sogar wenn wir ganz allein hier wohnen, haben wir's immer noch besser, denn 's ist doch ein schönes festes Schiff anstatt eines Bretterschuppens, durch dessen Spalten der Wind pfeift und einem das Licht ausbläst, wenn man lesen will. Der Regen verdirbt auch hier nicht die Sachen, die man an die Wand hängt, und du, du siehst hier aus, wie – wie ein Herr, der in seinem eigenen Schiffe sitzt, und seine Bücher durchsieht, um neue Aufträge zu geben.«

So unbestimmt und allgemein Miß Rosis Schmeichelei gehalten war, verfehlte sie doch ihre Wirkung nicht auf den Vater, in welchem von Zeit zu Zeit eine dunkle Ahnung seiner eigenen hoffnungslosen Verbauerung und des Mangels an Uebereinstimmung mit seiner Umgebung aufdämmerte.

»Ja,« sagte er verdrießlich aber nicht unfreundlich, »ja, 's is ja wohl mehr nach der jetzigen Mode, aber 's macht sich nich bezahlt, Rosi – 's macht sich nich bezahlt. Der Pontiac sollte, schlecht gerechnet, dreihundert Dollar monatlich abwerfen – aber er thut's nich. Ich hätte wirklich Lust, denselbigen zu verkaufen.«

Da Rosi ihren Vater kannte und sich erinnerte, daß er sich während der letzten zwei Jahre an jedem Steamertage solchen düsteren Betrachtungen hingegeben und so verzweifelte Entschlüsse gefaßt, dieselben aber stets am nächsten Morgen vergessen hatte, so begnügte sie sich zu sagen:

»Aber die Lagerräume und Wohnungen werden sich wieder vermieten, Vater.«

»Das is es eben,« entgegnete Mr. Nott nachdenklich, während er mit Daumen und Zeigefinger an seinem langen Backenbarte herumzupfte, als ob er dies unwegsame Dickicht lichten müsse, um den Weg aus seinen Bedrängnissen zu finden. »Das is es ja gerade! Voll könnte man ja wohl alles haben, aber 's bezahlt keiner weder Logiergeld noch Lagerzins. Der Bursche mit den eisernen Zuckerkesseln sagte dieser Tage, nachdem er 'nen Versuch gemacht hatte, mir noch 'nen zweiten Vorschuß drauf abzuschwindeln – na, sagte er, dann würde er mir ja wohl die Kessel opfern müssen, aber er machte sich's aus, und verließe sich drauf, daß ich 'm den Rückkauf zehn Jahre lang offen ließe; in zehn Jahren wollte er das Pfand für die doppelte Summe auslösen, die ich 'm drauf geborgt hätte. Der andere Bursche, der fünfhundert Kisten voll Haarfärbemittel hier im Zwischendeck einstellte und sich hernach, jawohl, flugs nach Sacramento einschiffte, begegnete mir vor'n paar Tagen auf der Straße und gab mir den Rat, ich möchte doch 'ne Flasche davon brauchen und mich selber als 'nen Aushängeschild benutzen, oder aber den Pontiac vorne damit anstreichen und sehen, ob ich den Stoff nich als feuerfeste Farbe loswürde. Er hat nichts nich im Kopfe als solche Raupen – aber 's is doch die Frage, ob sich mit selbiger Farbe nich wirklich 'was machen ließe, wenn unsereinem nur's Glück besser unter den Armen griffe. Da war zum Beispiel der junge Kerl aus New Jork, der die beschädigten Kisten mit Rolltaback für fünfzig Dollar 's Tausend erstand, und sie hernach mit tausend Dollar reinem Profit wieder losschlug, 's kommt ja wohl alles auf's Glück an, Rosi.«

Das junge Mädchen hatte ihre Augen bereits wieder dem Buche zugewendet gehabt. Vielleicht war ihr der Inhalt der Selbstgespräche ihres Vaters bereits bekannt genug! heute aber nahm sie einen besonders gereizten Ton in seiner Stimme wahr und so legte sie das Buch zur Seite und faltete geduldig die Hände im Schöße.

»Das machst du recht – denn ich habs dir noch 'was zu sagen,« fuhr Nott, als er dies bemerkte, fort. »Die Sache is nämlich die, daß Sleight den Pontiac wie er geht und steht mitsamt dem Grunde und Boden, auf dem er liegt, kaufen will.«

»Sleight will ihn kaufen? Sleight?« rief Rosi ungläubig.

»Wie ich dir sage. Sleight der Geldmann, der schlauste Kerl in ganz Francisco.«

»Wozu will er ihn kaufen?« fragte Rosi, indem sie ihre hübschen Augenbrauen zusammenzog.

Diese anscheinend ganz einfache Frage schien Nott in Verlegenheit zu setzen. Er sah seine Tochter mit einem unsicheren Blicke an und runzelte die Stirn.

»Das is nu so,« sagte er dann, indem er einen langen Atemzug that. »'s wird ja wohl seinen Grund haben.«

»Aber welchen Grund gibt er an?« fuhr das junge Mädchen ungeduldig fort. »Was sagt er?«

»Nich viel. ›Ihr habt da den Pontiac, Nott‹ sagte er. ›So is es‹ sagte ich. ›Was wollt Ihr für den Kasten mit dem Grunde und Boden, auf dem er steht, haben?‹ fragte er kurz und schneidig, wie 'n Schermesser. Nu würden ja wohl viele an meiner Stelle 'n tüchtiges Stück Geld verlangt haben und wären gefangen gewesen,« fuhr Nott mit schlauer Miene fort; »aber das is bei nur keine Mode nich, und ich sah meinen Mann nur an. ›Ich werde bis zum nächsten Steamertage warten, daß Ihr Euch die Sache überlegt‹ sagte Sleight und ging fort, wie aus 'ner Pistole geschossen. Er is 'n furchtbar schneidiger Kerl, Rosi.«

»Wenn er das ist, Vater, und den Pontiac wirklich kaufen will, so wird's wohl sein, weil er den wahren Wert kennt und nicht weil er das Schiff lieb hat, wie wir's lieb haben,« gab Rosi nachdenklich zur Antwort, »Den Wert behält's aber, wenn wir's ihm auch jetzt noch nicht verkaufen, und während der Zeit haben wir doch den Vorteil, drin zu wohnen. Meinst du nicht auch, Vater?«

Diese den Gegenstand erschöpfende Schlußfolgerung stimmte viel zu gut mit den eigenen Wünschen und Ansichten Notts überein, als daß sie ihn nicht hätte überzeugen sollen – dennoch fand er es weise, die Miene des praktischen Mannes noch eine Weile beizubehalten.

»Aber dieses verhilft uns nich zu unserem Gelde, Rosi,« sagte er. »'s muß irgend 'was geschehen. Wenn wir nu den Photographen 'raus bugsierten?«

»Jetzt, nachdem er eben die schöne Ansicht vom Pontiac von der Straße aus aufgenommen hat? Nein, Vater! Er hat versprochen, uns das eine Exemplar zu geben und das andere an dem Schaukasten in Montgomery Street auszustellen.«

»Das is richtig – 's würde auch gar nicht schlecht aussehen, wenn drunter stünde: ›Der Pontiac, Eigentum von A. Nott EZq. aus St. Johann in Missouri‹ Was für Augen würden die alten Leute machen, wenn man der Tante Phöbe das Bild schickte. Na, und da der Mann ja wohl auch etliche Ausgaben gehabt hat, um sich 'n Eingang von der anderen Straße her machen zu lassen, so mag er schwimmen. Aber der verd– alte Franzose, der Ferrers, der daneben wohnt und solche großnäsige Manieren annimmt, und mich mit den gesponnenen Pferdehaaren so hübsch übern Löffel halbiert hat –«

»Wie kannst du das sagen, Vater,« rief Rosi, während sich ihre Wangen ein wenig höher färbten. »Du hast sie ihm ja selbst angeboten. Der letzte Abmietet hatte dir diese Ballen gesponnener Roßhaare hier gelassen, um dich damit für Logis- und Lagergeld bezahlt zu machen, und als später Mr. de Ferrières das Zimmer mietete, machtest du selbst den Vorschlag, ihm die Haare anstatt der notwendigen Ausbesserungen und neuen Einrichtung der Wohnung zu überlassen. Du hast es ihm selber angeboten.«

»Ja, aber ich wußte damals ja wohl nich, daß man den vermaledeiten Stoff zu Kanapees und zu Kissen und zu solchem Zeuge braucht, und so teuer bezahlt.«

»Warum glaubst du, daß er's wußte?« fragte Rosi.

»Warum machte er denn zuerst 'n so dummes, unschuldiges Gesicht und that hernach so großnäsig, wenn ich 'mal drauf anspielte?«

»Vielleicht verstand er deinen Spaß gar nicht, Vater,« entgegnete Rosi. »Er ist ein Fremder, und stolz und zurückhaltend – ganz anders als die übrigen, und ich glaube, er hat deinen Scherz ebensowenig verstanden, wie er damals gewußt hat, welchen vorteilhaften Handel er machte. Er ist vielleicht arm, aber ich denke, er ist ein – ein – Edelmann.«

Die Lebhaftigkeit und Wärme des jungen Mädchens verfehlte denn auch nicht ihre Wirkung auf Mr. Notts schwerfälliges Fassungsvermögen; aber ihre ungewöhnliche Opposition und sogar ihre durch den Eifer gesteigerte Schönheit erfüllte ihn mit einer Art schmerzlicher Vorahnung. Seine kleinen runden Augen nahmen einen zerstreuten Ausdruck an, sein Mund blieb offen und sein frisches Gesicht wurde sogar ein weniger blässer.

»Du scheinst ja recht viel über selbigen Herrn nachgedacht zu haben, Rosi,« sagte er mit einem verzweifelten Versuche zur Schelmerei, »und wenn er nich, obwohl er sich auf jung zurecht macht, so 'n alter Krippensetzer wäre, könnte man ja wohl denken, du hätt'st 'n Auge auf ihn.«

Aber die lebhaftere Röte war bereits wieder von Rosis jungen Wangen gewichen und sie hatte die Augen wieder auf das Buch gerichtet.

»Er bezahlt seine Miete pünktlich an jedem Steamertage, und ich wette drauf, daß er bald hier sein wird,« sagte sie ruhig, als halte sie den Gegenstand für erledigt. Dabei nahm sie ihr Buch wieder vor und vertiefte sich, indem sie den Kopf auf die Hand stützte, in seinen Inhalt.

Ein unbehagliches Schweigen folgte. Der Regen schlug gegen die Fenster und das Ticken einer Uhr wurde hörbar. Noch immer saß Mr. Nott und hielt, mit dem halb verlegenen, halb schmerzlichen lächelnden Zuge um die Lippen, die Augen mit nichtssagendem Ausdruck auf die Tochter geheftet. Er hatte sie nie zuvor so hübsch gesehen, das wußte er, aber er vermochte sich nicht klar zu machen, warum ihm das heute nicht das ungemischte Vergnügen bereitete wie sonst. Er hatte es immer selbstverständlich und natürlich gefunden, daß andere Rosi bewunderten, aber es war ihm heute zum erstenmal zum Bewußtsein gekommen, daß auch sie sich nicht nur für andere interessierte, sondern diese anderen auch gründlich kannte und beobachtet hatte. Woher wußte sie das alles über den Mann, den Ferrers, und warum hatte sie außer heute, wo der Zufall es mit sich brachte, bis jetzt nie über ihn gesprochen? Nott seinerseits würde es doch gewiß gethan haben. Alles dies ging aber in so konfuser Weise durch seinen ungeschulten Kopf, daß er keinen bestimmten Eindruck davon zurückbehielt, als den etwas weit hergeholten, daß sein Abmieter durch die abscheuliche Umsicht und Geschicklichkeit, welche er in der Geschichte mit den Pferdehaaren an den Tag gelegt, einen geheimnisvollen Einfluß auf Rosi gewonnen habe. »Denn,« sagte er in seiner milden Weise zu sich selbst, »solche Streiche verrücken den jungen Mädchen immer die Köpfe, und ich muß anjetzt auf Rosi n' bißchen aufpassen.«

Leise, regelmäßige Schritte, die sich auf dem Gange hören ließen, unterbrachen Nott in seinen väterlichen Betrachtungen. Hastig knöpfte er die rauhe Matrosenjacke zu, welche er daheim – gleichsam als die einzige Konzession an seine seemännische Umgebung – zu tragen pflegte, und richtete sich stramm auf, was ihm trotz eines gewissen ländlichen Charakters seiner Stiefeln und Beine, ungefähr das Aussehen eines Schiffskapitäns gab. Die Fußtritte kamen indessen näher und einen Augenblick später stand die hohe Gestalt eines Mannes in der Thür.

Es war eine so seltsame Erscheinung, daß sie sogar in der bunten Maskerade jener ersten Civilisationsperiode auffiel, aber sie war dem Vater wie der Tochter schon zu bekannt, um noch ihre Verwunderung zu erregen. Die Gestalt eines mit allen Hilfsmitteln der Toilette verjüngten alten Mannes, welcher, gepudert, gemalt und gefärbt bis zur krassesten Karikatur, dennoch nicht die leiseste Absicht verriet, einen komischen oder erheiternden Eindruck hervorzubringen. Sein Gesicht war so sehr Kunstprodukt, daß es einer Maske glich, und, wie eine solche, mehr pathetisch als belustigend wirkte. Er war nach der übertriebensten Mode einer seit etwa zehn Jahren verflossenen Periode gekleidet und trug straff über die lackierten Stiefel gezogene, perlgraue Beinkleider, während eine ungeheure Atlaskrawatte und ein hochstehender Hemdkragen bis zu den rotgeschminkten Wangen und dem gefärbten Backenbart hinauf reichten. Sein bis oben zugeknöpfter Rock umschloß eine Taille, welche aussah, als werde sie durch eine Schnürbrust gestützt und aufrecht erhalten.

In steifer Haltung und mit einer Gemessenheit der Bewegungen, welche vielleicht die Schwächen des Alters verdecken sollten, trat er um zwei Schritte näher und sagte bedächtig und mit fremder Betonung:

»Dar–rf ich um Quittung bitten?«

Mr. Notts abweisende Würde geriet in der leibhaftigen Gegenwart des Betreffenden ein wenig ins Schwanken und unschlüssig und unbehaglich blickte er zu seiner Tochter hinüber. Da er indessen bemerkte, daß sie den Sprecher ohne alle Verlegenheit ansah, kreuzte er die Arme steif über der Brust, und indem er sich den Anschein gab, als betrachte er mit hochmütiger Gleichgültigkeit die Kajütendecke, sagte er:

»Rosi, die Quittung des Herrn!«

Das war kein sehr glücklicher Kunstgriff, denn der Fremde, welcher offenbar bis dahin die Gegenwart des jungen Mädchens gar nicht bemerkt hatte, drehte sich sofort zu ihr um, that einige Schritte auf sie zu, beugte sich steif aber tief über die kleine Hand, welche ihm die Quittung reichte und führte sie an die Lippen. Dann legte er mit einem: »Bitte tausendmal um Ver–rzeihung, Mademoiselle!« ein kleines Leinwandbeutelchen, welches den Betrag seiner Miete enthielt, vor den aus seiner Haltung gebrachten Mr. Nott auf den Tisch und verschwand ebenso steif wie er gekommen war.

Diese Nacht war eine unruhige für den geistig schwach beanlagten Besitzer des guten Schiffes Pontiac. Unfähig seinem Unbehagen durch fernere Besprechung der Sache Ausdruck zu geben, fühlte er gleichwohl, daß dies letzte Zusammentreffen mit seinem Abmieter einen ausdrücklichen Protest erheische; da aber seine Tochter die Sache glücklicherweise fallen ließ, entfernte er sich, unter dem Vorwande von Geschäften, für den Rest des Abends.

Die Kassen und Bureaus waren noch alle hell erleuchtet; das geschäftliche Leben der handeltreibenden Stadt stand auf seinem fieberhaftesten Höhepunkte, und geleitet von dem allerdings noch unklaren Gedanken, sofort mit Sleight Verhandlungen über den Verkauf des Schiffes anzuknüpfen, wodurch er mit einem Schlage aller seiner Verlegenheiten enthoben worden wäre, lenkte Nott die Schritte nach dem Geschäftslokale des großen Spekulanten – stand aber, ehe er es erreichte, still und kehrte um. Er ging nun nach den Werften hinab und betrachtete zerstreut die zitternde Spiegelung der Lichter in dem gallertartigen Wasser; aber wohin er auch ging und blickte, immer hatte er die komische Gestalt seines Abmieters vor Augen, über den er früher stets halb mitleidig gelächelt, der aber jetzt in seinem schwachen, wirren Kopfe eine verhängnisvolle Bedeutung erlangt zu haben schien. Hier beim Anblick der glitzernden Wasserfläche kam dem alten Missourier plötzlich ein neuer Gedanke. So schnell er konnte lief er nach dem Schiffe zurück und hemmte seine Schritte erst, als er dort angekommen war. In der Thür stand er einen Augenblick still, und stieg dann langsam die Treppe hinauf. Als er den Gang erreicht hatte, hustete er ein wenig und stand wieder still. Dann schob er die Thür zu der dunklen Kabine zurück und rief mit sanftem Tone:

»Rosi!«

»Was willst du, Vater?« fragte Rosis Stimme aus dem anstoßenden Zimmerchen rechts, das zu einem Nestchen für sie eingerichtet war.

»Nichts,« entgegnete Nott mit erheuchelter Ruhe. »Wollte eigentlich nur sehen, ob du schon schliefst. 's is heute abend 'n furchtbares Geschäft in der Stadt.«

»So.«

»Rechne, daß morgen früh viele Tonnen Geldes nach den Vereinigten Staaten 'nüber gehen.«

»So.«

»Hast du dich schon niedergelegt?«

»Ja, Vater.«

»So will ich nur noch 'nen Gang durchs Schiff machen, und mich hernach auch niederlegen.«

»Gut, Vater.«

Mr. Nott nahm eine an der Wand hängende Laterne, zündete sie an und trat in den Gang hinaus. Eine zweite Laterne hing über der Treppenluke, um den Bewohnern des unteren Decks den Weg zu zeigen. Dies Deck war der Länge nach durch einen Gang geteilt und die Thüren der daran stoßenden Verschlage, welche ihr Licht von außen durch die Fensterluken empfingen, mündeten sämtlich nach diesem Gange. Nur für zwei oder drei hatte man durch die Außenwand des Schiffes kleine Pforten geschnitten, welche auf jeder Seite mit einer separaten Treppe in Verbindung standen, und das war auch der Fall bei der Abteilung, welche der Franzose innehatte. Dieselbe besaß außer der nach dem Mittelgange führenden Thür noch diesen besonderen Ausgang, aber Mr. Nott hatte nie bemerkt, daß derselbe benutzt worden wäre. Monsieur de Ferrìeres pflegte stets, wenn er – wie jeden Tag geschah – nachmittags um drei Uhr ausging, sich durch den Mittelgang nach dem oberen Deck, und von da in die Straße zu begeben, wo seine seltsame Erscheinung, auf den Hauptpromenaden und in den belebtesten Teilen der Stadt, für zwei oder drei Stunden die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zog. Um acht Uhr kehrte er mit derselben Regelmäßigkeit nach dem Schiffe zurück und schloß sich in seinen Verschlag ein.

Vor der Thür desselben blieb Mr. Nott jetzt stehen, als ob er das Licht seiner Laterne in den Schatten des Vorderraumes fallen lassen wolle. Drinnen war alles still und eben beschloß er, umzukehren, als ihm ein regelmäßig wiederkehrendes Geräusch auffiel, welches er zuerst dem Anstreifen der Laterne an seinen rauhen Kleidern zugeschrieben hatte. Er setzte die Laterne nieder und horchte. Das Geräusch – ein langer, sägender Ton – kam offenbar aus dem Inneren des Verschlages. Waren es vielleicht die Ratten, welche, ebenfalls als gehaßte, nicht bezahlende Gäste, das Schiff in großer Menge bewohnten? Nein! Da, mit einem Male, blitzte ein helles Licht in Mr. Notts schwerfälligem Kopfe auf! Es war de Ferrìeres, welcher schnarchte. Ein schadenfrohes Lächeln stahl sich über das Gesicht des Lauschenden. »Ob Rosi ihn wohl noch 'nen Edelmann nennen würde, wenn sie 'n so schnarchen hörte,« dachte er, sich vor Vergnügen schüttelnd, während er nach der Kajüte zurückkehrte und sich in das kleine, dem Schlafzimmer seiner Tochter gegenüberliegende Gemach begab. Er träumte in der Nacht, daß sich Rosi mit dem Franzosen verheiratete und daß dieser während der ganzen Trauung vernehmlich schnarchte.

Inzwischen schlummerte Miß Rosi in ihrem wiegenartigen Nestchen sanft und friedlich, bis sie von einem Traume erwachte. Sie hatte von Venedig geträumt, von dem Venedig, wie es eine Kinderphantasie sich ausmalt – hatte die Stadt vom Deck des stolz und mit vollen Segeln in den Hafen einlaufenden Pontiac herab erblickt, und der Traum war so lebhaft gewesen und hatte einen solchen Eindruck hinterlassen, daß sie aufstehen mußte, um sich auf den Zehen an die Fensterluke zu schleichen. Eben dämmerte der Morgen über der flachhingestreckten Stadt herauf, aber aus jedem Warenhause und aus jedem Geschäftscomptoir glänzten ihr noch mit hellem Schimmer die Lichter der fieberhaft arbeitenden Jünger Merkurs und der gierigen Mammonsdiener entgegen.


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