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Am nächsten Abend kam der Türke heran. Sein Herr war in der Besuchsstunde dagewesen. Morgen sollte er abgeholt werden. Er hatte die Räude gehabt und war sorgfältig von uns anderen abgesperrt worden. Aber nun war er rein.
Es war ein sehr häßlicher Hund. Er sah so ähnlich aus wie Karo, der Schäferhund, nur hatte er kurze Haare von einer abscheulichen schmutzig gelben Farbe. Die Augen waren unruhig und funkelnd. Ich hatte noch nie einen ähnlichen Hund gesehen.
»Ich kann nicht viel erzählen«, begann er. »Ich bin mit meinem Herrn erst vor kurzem aus Konstantinopel gekommen und bin noch jung.«
»Wir hatten in unserem Theater eine Nummer«, sagte der Pudel, »die hieß ›der Konstantinopolitanische Dudelsackpfeifer‹, und der Pudel, der sie ausführte, trug einen roten Fez und spielte einen Dudelsack. So erzählen Sie uns wenigstens, wie die Hunde in Konstantinopel leben.«
Da wurde der Türke ganz lebhaft.
»Ja, das will ich. Und zuerst muß ich Euch sagen: wir sind freie Hunde, wir haben keine Herren.«
Keine Herren? Das begriffen wir nicht. Sogar 142 dem alten Bernhardiner mußten wir es laut zubellen, daß es Hunde gäbe, die keine Herren hätten.
»Nein«, erzählte der Türke. »Wir sind so viele, wie der Sand am Meere. Wir leben in den alten Schutthaufen, die wie Festungswälle um die Städte des Orients liegen. Die gehören den Muselmännern. Und die Türken flicken nicht aus und halten nichts zusammen. Was fällt, mag fallen, wenn Allah es so will. So sieht es um ihre Städte immer wüst aus, und es gibt unzählige Schlupfwinkel.
Die brauchen die herrenlosen Hunde auch. Zwei Löcher braucht ein jeder in den Schuttbergen, eins nach Osten gegen Morgen, und eins nach Westen gegen Abend. Denn dort, in den heißen Ländern, sind die Nächte oft kalt, besonders vor Sonnenaufgang. Da liegt man denn in dem Loch gegen Osten und wartet. Die Sonne kommt wie eine große, glühende Kugel und scheint auf all die spitzen, bunten Minaretts der Moscheen, und der Wächter ruft zum Gebet. Dann werden die Hunde in ihren Höhlen allmählich warm. Ja, der Berg wird gegen Mittag ganz glühend, und dann laufen sie schnell hinüber in ihre westlichen Löcher, die noch kühl sind, einer voran und alle anderen hinterher. Da schlafen sie weiter, bis die Sonne am Himmel herumgekommen ist und sie wieder zurücktreibt.«
»Und wann fressen sie«, fragte der Mops.
Der Mops hatte noch nie gesprochen. Er war auch so verachtet, daß niemand ihn anredete. Er saß nur da und schnappte nach Luft. Seine Herrin, die ebenso dick war wie er selbst, hatte den Doktor 143 gebeten, es doch noch acht Tage mit ihm zu versuchen. Sie könne keine Hungerkur mit ihm durchführen, sie brächte es nicht übers Herz.
»Sie fressen in der Nacht«, sagte der Türke. »Sie fressen nur Aas. Die Esel und die Maultiere, die am Wege verrecken, die fressen sie auf. Sie sind darum sehr nützlich. Aber die Geier sind ihre Feinde. Die lauern auch auf das Aas, hoch in der Luft. Und mit denen müssen sie kämpfen.«
Ein heftiges Würgen unterbrach ihn. Der Mops übergab sich. Er konnte so etwas Entsetzliches offenbar nicht anhören.
»Entschuldigen Sie«, stammelte er. »Es tut mir sehr leid, daß ich die Gemütlichkeit störe. Aber Aas fressen – nein – entschuldigen Sie.«
Und er übergab sich noch einmal.
Wir fanden alle, daß der Mops sich eben wie ein Mops betrüge.
»Waren Sie auch solch ein Höhlenhund«, fragte der Pudel.
»Nein, ich war ein Straßenhund in Konstantinopel. Meine Mutter war von den Schuttbergen in die Stadt gewandert. Sie war auf einem Auge erblindet und kam nun zu kurz beim Fressen. Man ließ ihr nur immer die Eselsfüße übrig. Davon konnte sie nicht bestehen. So ging sie in die Stadt. Anfangs wurde sie furchtbar zerbissen, denn keine Straßenrotte wollte sie aufnehmen. Jede erklärte, sie wäre gerade groß genug. Die Hunde, die in der einen Straße leben, dürfen nicht in die andere. Wenn sie es zur Nachtzeit doch versuchen, kommt 144 es zu fürchterlichen Kämpfen zwischen den Rotten, in denen mancher Hund sein Leben läßt.«
»Schlafen die Stadthunde denn auch auf den Steinen?«
»Ja, wir liegen mitten auf der Straße. Es ist aber mehr Schmutz als Steine. Und mitten auf der Straße bin ich auch geboren, in einem Loch, wo die Wagen immer stecken bleiben, wenn es regnet. Und da behielt die Rotte meine Mutter und uns bei sich, und wir durften helfen, den Unrat aufzufressen, den die Türken aus ihren Häusern auf die Straße warfen.«
»Oh, oh«, stöhnte der Mops.
»Ja, und sie gaben uns manchmal im Vorübergehen ein paar kalte Bohnen. Denn die Muselmänner tun den Tieren nichts zuleide. Aber sie haben auch kein Herz für sie, wie die Abendländer.«
»Und wie sind Sie dann hierher gekommen, wenn ich fragen darf«, erkundigte sich der Pudel.
»Es kam einmal ein Schiff und legte an der neuen Brücke in Pera an, gerade dicht bei unserer Straße. Und auf dem Schiff war mein jetziger Herr. Der stieg gleich, als er an Land kam, in eine Droschke und wollte in die Bazare fahren. Aber in dem Loch, wo ich geboren war, bekam der Wagen einen solchen Krach, daß das eine Rad sich löste und fortrollte, und gerade über mich herüber, der ich in der Nähe lag. Ich heulte entsetzlich, und der Herr kam, besah mich von allen Seiten und sagte: ›Armer Teufel! Du bist mir auch eine nette Blüte des Morgenlandes! Warte, ich werde dich mitnehmen in das Abendland!‹ Und er ließ mich auf das Schiff 145 bringen und stieg in eine andere Droschke. Auf dem Schiff aber hat er mich an sich gewöhnt und ist gut zu mir gewesen. Dann bekam ich noch die Räude, und er brachte mich hierher. Wenn ich morgen abgeholt werde, bin ich ein Hund, der einen Herrn hat, ein deutscher Hund. Und dann bleibe ich ihm treu bis an den Tod.«
Ich wollte ihm gerade etwas erwidern, denn die Sache interessierte mich in der Tat sehr, als der Eskimo in ein wahnsinniges Geheul ausbrach und wie verrückt hin und hersprang. Wir dachten alle, er hätte einen seiner gewöhnlichen Anfälle, aber er schrie plötzlich: »Keinen Herren – nicht treu sein – Hund sein eigener Herr bleiben.« Und dann bellte er wie toll.
»Erklären Sie sich«, sagte der Pudel würdig. »Wir erteilen Ihnen das Wort.«
Aber der Eskimo wollte das Wort nicht haben.
»Unsinn«, sagte er.
Da wurde Mohr, der Pudel sehr böse.
»Wieso Unsinn? Haben Sie nicht gesehen, daß sich hier die berühmtesten Hunde getroffen haben? Steht Herr Schlumski nicht in der Zeitung? Hat der Bernhardiner nicht vierundzwanzig Menschen das Leben gerettet und soll einmal ausgestopft werden? Und das nennen Sie Unsinn? Wer sind Sie denn? Man sagt, Sie haben Ihren Verstand verloren.«
Da kam der Eskimo dicht an das Gitter seines Käfigs. Er war der einzige von uns, der einen Käfig hatte. Und als seine Lichter so grün funkelten, hätten wir alle schwören mögen, daß er ein 146 Wolf sei. Ich hatte zwar noch nie einen gesehen, aber so, dachte ich, mußte unser Stiefbruder aussehen, der sich von den Hunden losgesagt hat und in die Wildnis gegangen ist, und ein fürchterliches Raubtier geworden, das die Menschen verfluchen und ausrotten, während sie den Hund als ihren Gefährten lieben.
Und nun zischte er uns an.
»Wo ist denn der berühmte Ziehhund, über den Sie in allen Zeitungen geschrieben haben? Und was hat er getan? Einen Wagen mit Kohlen hat er gezogen, über glatten Asphalt! Ha, ha, ha, ha! Er soll nur hinkommen auf die Eisfelder um den Nordpol! Er soll es nur versuchen! Acht Hunde vor einen Schlitten, und dann die Menschen herauf und die Ladung, und dann die Peitsche. Davor ein Schlitten, dahinter ein Schlitten – und ein Gebell! 30 Grad Kälte und mehr, und der Sturm schneidet mit Messern, und Schnee! Wer von euch, die ihr hier großtut, weiß, was Schnee ist? Nichts wißt ihr! Und dann wie der Wind über das Eis, über die Humpel und Schollen, daß der Schlitten in die Luft fliegt, weiter, immer weiter. Nichts als Schnee und Himmel. Ja, wer von euch ist schon eingeschneit mit seinem Schlitten? Meterhoch liegt der Schnee über uns. Aber unser Atem schmilzt einen kleinen Rauchfang aus, der als Luftröhre dient, damit wir nicht ersticken, und unser warmes Fell schmilzt eine Höhle aus für den Menschen. Hunger? Ha ha ha! Wer hat schon das Leder vom Schlitten abgefressen? Was für ein Festtag, wenn die Grube mit stinkenden Fischen 147 aufgemacht wird! Jeden Tag das Maul blutig von den Gräten. Fische am Sonntag und am Alltag. Im Sommer, wenn der Mensch dich nicht braucht, kannst du am Bach sitzen und sie dir selber fangen!«
»Oh, oh, oh«, stöhnte der Mops, der sich nicht mehr übergeben konnte, weil nichts mehr in seinem Magen drin war, und der aussah wie ein Gummiball, der ein Loch bekommen und die Luft verloren hat, »oh, oh, oh!«
Aber da erhob sich der Bernhardiner. Langsam richtete er sich auf und ging vor den Käfig des Eskimos. Dort stand er, ein ergrauter Riese. Jedes Wort hatte er verstanden, so scharf und giftig bellte der Eskimo.
»Du«, knurrte er verächtlich, »willst du uns sagen, der Hund, der in einem Lande lebt, wo auch der Mensch nur Fische zur Nahrung hat, soll den Menschen verachten, weil er ihm nichts anderes gibt, als er selbst ißt? Willst du uns sagen, wenn der hohe Herr des Himmels es neun Monate im Jahr schneien läßt, dann soll der Hund darüber murren? Willst du nur dienen mit Knurren und Beißen, weil der Mensch stärker ist als du? Weißt du denn, wer der Mensch ist?«
Der Eskimo fletschte seine Zähne und seine Lichter funkelten wie grünes Feuer.
»Am Anfang, als die Erde noch grün war vom Nordpol zum Südpol, konnte der Hund sprechen, wie der Mensch. Und der Hund hätte der Herr der Erde werden können, denn seine Füße sind schneller und seine Nase ist feiner. Aber der Mensch hat den Hund unterdrückt, daß er ihm dienen muß. 148 Ich liebe meinen Unterdrücker nicht. Ich ziehe seinen Schlitten, wenn er die Peitsche schwingt. Aber dann verwirre ich die Seile, daß er sich mühen muß, sie wieder auseinander zu bringen. Ha ha ha!«
Der Bernhardiner schlug mit seinem mächtigen Schweif auf.
»Elender! Höre mich an und schäme dich in deine tückische Seele. Auch ich bin geboren, wo zehn Monate hindurch Winter ist, wo auch im Sommer der Schnee in weichen, weißen Lappen noch auf die Blumen fällt, die eben aus den abgetauten Wiesen sprießen. Hoch, 8000 Fuß über dem Meere, in dem Kloster des Sankt Bernhard. Auch ich kenne kein Wohlleben, keine reiche Kost. Arme Mönche wohnen oben im Kloster. Arm sind auch wir Hunde. Wir dienen unser Leben lang. Die Gefahr, der Tod umgibt uns auf jedem Schritt. Aber das ist unser Stolz, unsere Ehre. Freiwillig nehmen wir noch viel härtere Lasten auf uns, als die guten Mönche sie fordern.
Laß dir erzählen von den Hunden von Sankt Bernhard!
Himmelhoch liegen die Alpen, die Deutschland von dem schönen Lande Italien trennen. Jetzt haben die Menschen lange, schwarze Tunnel hineingebohrt, und Eisenbahnzüge gehen hindurch. Aber früher mußte der Wanderer mühsam hinüber über die Berge. Der Kaufmann führte sein Maultier am Zügel, das die Waren trug, und ängstlich sah er sich um, ob nicht oben von den Bergen sich ein Stückchen Schnee loslöste, rollte und rollte, größer und größer wurde, und dann als Lawine zu Tal 149 stürzte und ihn hilflos begrub. Auch heute noch gehen viele, viele Reisende zu Fuß über den Sankt Bernhard. Sie sind froh, wenn die freundlichen Mönche ihnen in ihren großen, steinernen Häusern ein Nachtquartier geben und eine warme Schale Suppe. Immer brennt auf den Herden das Feuer, damit die Erstarrten ihre Glieder wärmen, ihre Kleider trocknen können.
Wie sollen sie aber das Hospiz finden, wenn so viel Schnee in der Luft umherwirbelt, oder wenn der Sturm ganz kleine, spitze Eiskristalle vor sich hertreibt, oder sich solche weiße Mauern um das Haus aufgetürmt haben, daß kaum das Dach der Kapelle herübersieht? Wenn die Menschen dann so müde sind, daß sie nicht weiter können, setzen sie sich hin und schlafen ein. Und dann erfrieren sie, und der Schnee deckt sie zu.
Darum wohnen aber die guten Mönche oben, so hoch über den freundlichen Städten. Sie wollen den armen, verirrten Menschen helfen. Und weil sie es allein nicht könnten, darum wohnen die Hunde bei ihnen, als ihre Freunde und Helfer. Jeden Morgen gehen zwei Klosterknechte mit zwei Hunden hinaus in den Schnee und suchen. Ja, freilich haben die Hunde eine feinere Nase. Aber nur, um den Menschen zu helfen. Sie wittern die Eingeschneiten und kratzen und scharren, bis das starre Gesicht hervorkommt, und sie es belecken und erwärmen können. Sie laufen zurück und holen die Mönche mit den Tragbahren, sie stürzen nach dem Kloster und ziehen an der Klingel. Und wenn Sturm und Unwetter gewesen ist, wenn man in der Nacht gehört 150 hat, daß die Lawinen donnernd zu Tal gegangen sind, wenn kein Mensch sich hinauswagt, dann schicken die Mönche all ihre Hunde hinaus. Jeder hat um den Hals in einem ledernen Beutel ein Fläschchen Wein und ein Stückchen Brot. Eine warme Decke ist auf seinen Rücken geschnallt. Und nun suchen sie. Was schadet ihnen Wind und Wetter? Viele, viele sind schon in den Lawinen umgekommen. Aber wie viele haben sie nicht gerettet! Ein Hund, Barry hieß er, und ich bin von seiner Familie, hat vierzig Menschen das Leben gerettet. Einmal fand er einen Vater im Schnee, der hielt seinen kleinen Knaben im Arm. Beide waren wie tot. Da brachte er den Vater wieder zum Leben und der flößte sich und dem Kinde von dem Wein ein. Dann setzte er Barry den Kleinen auf den Rücken, und Barry lief mit seinem Reiter zum Kloster und führte die Mönche zu dem schwachen Vater.«
Da erhoben wir uns alle und kratzten dreimal mit der Pfote zum Zeichen der Achtung für Barry. Nur der Eskimo lachte sein wildes Lachen.
»Siehst du nun, was für ein Unterschied zwischen uns und euch ist? Auch ich habe vierundzwanzig Menschen gefunden. Auch ich bin meines Ahnen Barry würdig. Wir beide werden einmal ausgestopft werden. Du, weil du bei einer großen Expedition geholfen hast. Wir beide kommen in ein Museum, wo die Menschen lernen, wie es in der Welt aussieht. Und ich freue mich schon, in dem Glaskasten zu stehen, mit der Flasche um den Hals und der Decke auf dem Rücken. Aber du?«
151 »Es ist mir ganz gleich, oh ich ausgestopft werde oder nicht«, bellte der Eskimo.
Der Mops aber, der sich ein wenig erholt hatte, als der Bernhardiner öfters das Wort »Wein« aussprach, sagte:
»Ich werde auch ausgestopft, sagt meine Herrin. Dann werde ich auch unter eine Glasglocke gestellt, damit ich nicht die Motten bekomme.«
Wir merkten, daß er sich freute, etwas mit dem Bernhardiner gemeinsam zu haben, den wir alle bewunderten. Denn er hatte die Ehre des Hundes wieder hergestellt. Dem Türken, der von morgen an seinem Herrn gehören sollte, war so feierlich zu Mut, daß er sagte:
»Vielleicht war ich doch noch ein wenig Muselmann, ohne es recht zu wissen. Aber nun bin ich ein deutscher Hund. Ach, wie freue ich mich darauf, nicht mehr in den Straßen Konstantinopels herumlaufen zu müssen, zwischen den Wasserträgern und den Ausrufern.«
Und wir nickten ihm zu, als er so sprach. Der Bernhardiner war auf sein Lager zurückgekehrt, und nach fünf Minuten schnarchte er wie ein alter Mann. Wir anderen aber wachten noch lange. Der Mops, der sein Lager ganz verunreinigt hatte, erhielt sogar von dem großmütigen Pudel die Erlaubnis, sich auf einen Zipfel seiner Decke zu legen. 152