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Zuerst sprach der Pudel.
»Es ist mir eine Freude, aus meinem Leben erzählen zu dürfen, wenn so edle, verdiente Mitglieder der Hundegesellschaft mir zuhören. Ich bin ein Künstler. Ein Künstler ist an Publikum und Beifall gewöhnt, und ich gestehe gern, daß ich mehr als einen Lorbeerkranz davongetragen habe. Aber selten habe ich vor Hunden gesprochen, die ich mehr achtete, als meine augenblickliche Umgebung.«
Nach diesen Worten erhob sich ein Beifallsknurren, das den Redner für eine Weile unterbrach.
»Meine Herren Hunde! Ich bin geboren in einem jener meist grün angestrichenen Wagen, die mit einem Schornstein und kleinen Fenstern versehen, mit einer Falltreppe ausgestattet, wie kleine fahrende Häuser von Dorf zu Dorf ziehen. Meine Eltern gehörten einer Seiltänzerfamilie. Mein sehr begabter Vater, ein schneeweißer Pudel, war ein hervorragender Seiltänzer, der mit einer Balanzierstange im Maule auf das haushoch aufgespannte Seil ging, nachdem sein Herr es verlassen, und den erstaunten Bauern dort genau dieselben Kunststücke vormachte, die er seinem Herrn abgesehen hatte. Meine Mutter ging in den Pausen, auf zwei Beinen aufgerichtet, zwischen den Bänken umher und 126 sammelte das Geld ein. Legte jemand Kupfer auf den Teller, so schüttelte sie solange mit dem Kopfe, bis der Betreffende die Pfennige fortnahm und durch Nickel ersetzte.
Nun, meine Herren Hunde, die Talente der Pudel sind ja unbestritten. Sie alle kennen von der Straße her Pudel, die ihren Herren den Stock nachtragen, oder solche, die man mit einem Körbchen zum Bäcker schickt, um das Weißbrot zu holen, oder die mit einem Zettel in ihrem Korb sogar zum Fleischer gehen. Sie wissen, mit wie hochachtungsvollen Blicken die anderen Hunde diesen nützlichen Mitgliedern der Hundegesellschaft nachsehen, und wie nie ein müßiger Herumtreiber es wagen wird, einen solchen Pudel zu belästigen, oder zu einem dieser gemeinen Straßenkämpfe herauszufordern, wie sie die Köter lieben. Aber was will das alles sagen, verglichen mit den wahrhaft künstlerischen Leistungen meiner Eltern! Sie waren der Stolz und das teuerste Besitztum der Seiltänzer. Als es das Unglück wollte, daß der Vater der Familie eines Abends, als er seine Sohlen nicht ordentlich eingekreidet hatte, vom Seil fiel und ein Bein brach, beschloß er, sich selbst vollständig von der Kunst zurückzuziehen, und die Bühne nur noch uns Hunden zu überlassen. Unsere Familie hatte sich indessen stark vermehrt. Ich hatte eine stattliche Anzahl von Brüdern und Schwestern bekommen, und so nahmen meine Leute eines Tages das große Schild ab, auf dem sie ihre Seiltänzerkunststücke angekündigt hatten, und ergänzten es durch das Wort: »Hundezirkus«. Der Seiltänzer wurde Direktor.
127 Sie haben wohl auch schon gehört, daß man Bären zum Tanzen abrichtet, indem man sie auf eine Eisenplatte stellt, die man heiß macht, so daß der Schmerz sie zwingt, ein Bein um das andere hochzuheben. Ich glaube nicht, daß das wahr ist. Denn lehren kann man nur mit Liebe, nicht mit Grausamkeit. Ein Pudel jedenfalls würde mit Gewalt nie zu unterrichten sein. Das wußte der lahme Seiltänzer sehr wohl und so waren die Stunden, die er uns Geschwistern gab, eigentlich nur ein Vergnügen. Wir lernten fabelhaft rasch. Ein Bruder von mir kannte bald jede Karte und holte die gewünschte mit unübertrefflicher Sicherheit aus einem Spiel hervor. Ein anderer lernte die Zahlen und zählte im Zahlenkreis bis zehn richtig zusammen, indem er so oft mit dem Fuße scharrte, bis die Höhe der Summe erreicht war. Ja, wir legten sogar die Scheu vor Feuerwaffen ab. Ich und mein Vater traten uns in einem richtigen Duell gegenüber, nachdem mein Vater mich zuerst tödlich beleidigt, und mir eine Ohrfeige gegeben hatte. Wir schossen zu gleicher Zeit, ich fiel für tot zur Erde, und ein Hund in der Tracht eines gewöhnlichen Soldaten kam und karrte mich hinaus.
Natürlich spielten bei uns die Kostüme eine große Rolle. Jeder von uns hatte seinen eigenen Koffer mit Garderobe. Da waren Anzüge von jungen Gecken mit grauen Zylinderhüten, Uniformen der verschiedensten Länder, Anzüge für Schusterjungen, Jäger, Schornsteinfeger, immer mit allem Zubehör. Auch hier in der Klinik quält mich mehr als der Schmerz meiner Brandwunde der 128 Gedanke, was wohl aus meinem Koffer geworden ist, und ob sich nicht dieser oder jener Neidling ein Stück meiner Garderobe angeeignet hat. Vor allem ist da ein flotter Studentenanzug, Schnurrock, Zerevis, Korpsband und Bierzipfel, auf den ich so eifersüchtig bin, daß ich ihn meinem eigenen Vater nicht gönnte.
Die Toiletten meiner Schwestern waren natürlich noch großartiger. Sie trugen Krinolinen und Schleppröcke, setzten auf ihre weißen und schwarzen Lockenköpfe mit den entzückenden Hängeohren große Rosenhüte, brauchten den Sonnenschirm und den Fächer, und ließen sich Lady Pumsia und Marquise von Pompadour nennen.
Es waren auch andere Hunde angenommen worden, kleine Schleppenträger für die Damen, Hunde, die die Bedientenrollen zu geben hatten oder die Pferde machten, wenn die Hundeprinzessinnen vierspännig ausfuhren, mit Kutscher und Diener auf dem Bock. Aber die Hauptrollen, die richtigen Künstlerrollen, lagen immer in den Händen der Pudel.
Natürlich hatten wir nun die Dörfer verlassen und waren in die Städte gegangen. Ein Zelt wurde auf einem freien Platz aufgeschlagen und ein Umzug gehalten. Unsere kleinen Wagen mit unseren hübschesten Pudeldamen fuhren durch die Straßen, die ganze Schuljugend rannte begeistert hinterher, und am Abend hatten wir ein volles Haus. Unsere Leistungen wuchsen mit unserem Ehrgeiz. Zuweilen kam es vor, daß die Zuschauer uns Stückchen Zucker, Kuchen, ja sogar kranzförmig gebundene Würstchen aus die Bühne warfen.
129 Um diese Zeit engagierte mein Herr einen neuen Künstler. Es war eines Vormittages auf der Probe, als er ihn uns vorstellte, und vom ersten Augenblick an hatte ich einen Haß auf ihn. Es war ein Wachtelhund aus England mit langem, seidenglänzenden Haar. Nun, meine Herren Hunde, ich gebe zu, ich kann die Ausländer nicht leiden. Die hier Anwesenden sind natürlich ausgenommen, denn damit, daß sie deutschen Herren gehören, sind sie gewissermaßen deutsche Hunde geworden. Mylord aber war ein Engländer durch und durch. Er roch englisch, er bellte englisch, er benahm sich englisch. Er wollte sechs Wochen hier in der großen Stadt, in der wir zum erstenmal auftraten, Gastrollen geben und dann wieder nach England zurückkehren, wo er 130 in London fest engagiert war. Und er bekam sofort in unserem Programm die Hauptrolle, und sein Name wurde auf dem Zettel dick gedruckt.
Als ich das sah, kannte ich mich nicht vor Aufregung. Es war meine Nummer. Sonst stand da: ›Mohr, der Wunderpudel, in seinen unvergleichlichen Leistungen auf dem gespannten Seil‹. Denn seit mein Vater alt geworden, nahm ich seine Stelle ein. Dieses Mal aber, ich hörte es wohl, wie zwei Knaben es sich vorlasen, dieses Mal hieß es: ›Mylord, der englische Wachtelhund, springt durch brennende Reifen‹. Dann war ein Stern an seinem Namen und unten stand: Mylord aus London als Gast. Die beiden Knaben besprachen das ganz genau. Ich hatte an diesem Abend nichts zu tun, als die Duellszene mit meinem Vater auszuführen. Sie kam vor Mylords Glanznummer. Er stand schon hinter den Kulissen und wartete. Er trug ein Matrosenkostüm und eine weiße Matrosenmütze mit wehenden Bändern. Sein Anblick erregte mich so, daß ich zum erstenmal in meinem Leben vergaß, wie ein toter Hund liegen zu bleiben und auf den Karren zu warten, mit dem man mich holen sollte, sondern einfach nach dem tötlichen Schuß aufsprang und davonrannte.
Schallendes Gelächter folgte mir. Ich hatte mich blamiert, zum erstenmal in meinem Leben. Ich hatte meine Künstlerehre verloren! Vernichtet stand ich hinter den Kulissen. Das schlimmste aber war der Blick der Verachtung, den Mylord als Matrose mir zuwarf. Er betrat gleich nach mir die Bühne, sprang mit Kopfsprung durch Reifen, die mit Seidenpapier 131 gespannt waren, und zuletzt unter ungeheurem Beifall durch zwei brennende Pechkränze, ohne auch nur seinen schneeweißen Anzug schmutzig zu machen oder die Mütze zu verlieren. Er war der Held des Tages.
Bei der nächsten Vorstellung durfte ich gar nicht auftreten. Mein Herr schlug mich nicht und machte mir keine Vorwürfe. Er sagte nur: ›Mohr, du stehst heut nicht auf dem Zettel‹. Und das geschah dreimal nacheinander. Ich war toll vor Eifersucht. Täglich hörte ich das Beifallsklatschen der Kinder, wenn Mylord auftrat. Täglich mehrten sich die Leckerbissen, die man auf die Bühne warf, wenn er durch die Pechkränze gesprungen war.
Da merkte ich, daß Mylord sehr leckrig war. Er gierte ordentlich mit den guten Sachen, die er gegen die Kollegen verteidigte. Und vor allem fraß er gern Fett, das er natürlich nicht bekommen sollte, weil es uns Hunden nicht gut ist. Und in meiner rasenden Eifersucht baute ich darauf meinen Plan.
Als mein Herr am nächsten Tage wieder erklärte: ›Mohr, du stehst nicht auf dem Zettel!‹ lief ich in die Stadt. Es sollte eine große Nachmittagsvorstellung zu halben Preisen stattfinden. Ich wußte, wo ein Fleischermeister wohnte, der unsere Vorstellungen sehr liebte und immer in der vordersten Reihe saß. Geschickt öffnete ich die Ladentür und trat ein, mich sofort manierlich auf die Hinterbeine stellend und auf den Meister zutänzelnd. Er war entzückt.
›Das muß ich sagen, Mohrchen. Ich dachte schon, sie hätten dir die Ohren abgeschnitten zur Strafe. So'ne Dummheit, Mohrchen! Tot ist tot!‹
Ich tänzelte hin und her und äugte nach dem 132 Nierenfett, sprang darauf zu, nahm ein Stück in das Maul, dienerte und lief aus dem Laden heraus. Der Meister lachte hinter mir her.
Sorgfältig verbarg ich meinen Raub, leckte an dem Stück Fett herum, bis es kugelrund wurde und wartete.
Das Theater war brechend voll. Eine jede Nummer wurde mit wachsendem Beifall aufgenommen. Der englische Matrose stand schon wieder wartend hinter der Szene. Er beachtete mich nie mehr. Er sprach einige herablassende Worte mit den Hunden, die die Reifen hielten. Ich war Luft für ihn.
Jetzt trat er auf und begann seine ekelhaften Eitelkeiten. Zum Schluß griff der Direktor nach dem Pechkranz, zündete ihn an und hielt ihn Mylord entgegen. In diesem Augenblick ließ ich die Fettkugel auf die Bühne rollen, gerade nach der Mitte. Er machte schon den Anlauf, da sah er sie. Er zögerte, der Direktor winkte – ein Augenblick ungeheurer Spannung im Publikum. Mylord machte einen Satz, sprang aber zu kurz, da sein gieriger Blick nur an dem Köder hing, schleuderte dem Direktor den Pechkranz aus der Hand und stürzte sich auf den Fraß, den er sofort verschlang.
Ich sah es. Aber ich hatte nicht Zeit zu triumphieren, denn der brennende Kranz hatte einen Kulissenvorhang ergriffen. Und nun wußte ich, was ich getan, und wie groß meine Schuld sei, wenn endloses Unglück geschähe.
Meine Herren Hunde – es war nur ein Augenblick. Aber in ihm erkannte ich meine Prahlerei und Eitelkeit, sah ich ein, daß ich mein Leben 133 einzusetzen hätte. Ehe der Direktor das Unglück bemerkte, ehe der erste Schrei von den Lippen des Publikums drang, sprang ich an dem brennenden Vorhang in die Höhe, riß ihn herunter und warf mich auf ihn, um die Flammen zu ersticken. Die Haare unter meinem Bauche sengten ab, meine Pfote litt furchtbar, aber ich lag als Sieger auf dem schwelenden Stoff!
Erlassen Sie mir das Ende. Ich, der Schuldige, wurde gefeiert! Mir jubelte das Publikum zu! Der ich es doch an den Rand des Verderbens gebracht hatte. Mit eingekniffenem Schwanze wollte ich mich entfernen, aber meine Brandwunden schmerzten so, daß ich warten mußte, bis mein Herr mich auf die Arme nahm. Unter dem jubelnden Beifall wurde ich hinausgetragen. Dem dicken Fleischermeister, der wieder in der vordersten Reihe saß, liefen die hellen Tränen über das rote Gesicht.
Ich habe hier, während meine Wunde langsam heilt, über unsere Pflichten gegen unsere Nebenhunde nachgedacht. Ich glaube, ich werde von nun an meinen Ehrgeiz besiegen. Zwar ist Mylord schon nach England zurückgekehrt und man bereitet für mich ein Benefiz vor, wie mir mein Herr sagte. Aber ich habe gelernt, daß die schönste Zierde des Künstlers die Bescheidenheit ist.« –
Reicher Beifall belohnte die Rede des Pudels. Es erhob sich noch eine Debatte, in der jeder zur Sache sprach, und spät erst, zu spät für Patienten, kamen wir in jener Nacht zur Ruhe. 134