Agnes Harder
Schlumski
Agnes Harder

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Onkel Lungrich

Zum Begräbnis kam ein Onkel der Frau. Der wohnte in der großen Stadt. Er sah sich das Häuschen an, die Ziege und das Schwein, und auch mich. Ich war nun so stark wie ein Riese. Im »weißen Roß« hatten wir neulich einen allgemeinen Wettkampf um einen Röhrenknochen mit Mark gehabt, da hatte ich alle besiegt. Der Blick von dem Manne gefiel mir nicht, und ich knurrte. Da machte er ein böses Gesicht. Und dann rechnete er und zählte und beklopfte jeden Gegenstand und ging um das Haus herum und besah es von allen Seiten. Niemand achtete auf ihn. Sie saßen alle in Kummer und Tränen. Aber eines Abends sagte er zu der Frau, die nun eine Witwe war: »Was willst du nun tun?«

»Ich weiß nicht. Gott wird helfen.«

»Da warte lieber nicht drauf. Aber wenn du zu mir ziehen willst nach der Großstadt, dann bin ich es zufrieden. Meine Frau ist auch tot, und ich könnte eine Hausfrau brauchen, und mein Junge, der Ede, auch. Aber alles was dir gehört, mußt du verkaufen und das Geld mir geben. Ich will es dir anlegen und mein Geschäft vergrößern, wenn ich nun so viel hungrige Mäuler mehr füttern muß.«

Ich stand von meiner Decke am kalten Herd auf, 58 streckte mich und knurrte fürchterlich. Denn ich war ja nun klug geworden und wußte, der Onkel sei ein schlechter Mensch. Das riechen wir Hunde gleich, und wir können uns auf unsere Nase verlassen. Wie die Menschen sind, ob gut, ob böse, das wissen wir. Aber sprechen können wir leider nicht, und die Frau verstand nicht, daß ich ihr sagen wollte: »Geh nicht mit ihm. Er will dir das deine nehmen und deine Kinder und dich zu seinen Dienern machen.«

Sie sagte nur: »Ja, was fehlt dir denn Schlumski? Du warst doch sonst nicht böse.«

Der Mann aber sagte giftig: »Der Köter verdient einen Strick um den Hals mit einem Stein dran, und ins Wasser mit ihm. Aber er ist sehr stark. Er hat bis jetzt ein faules Leben geführt. Das wollen wir ihm austreiben.«

Da bellte ich noch stärker. Sie wußten wohl, daß es nicht wahr war, und Fried stellte sich neben mich.

»Nein, Onkel, das ist nicht wahr. Schlumski ist sehr brav. Vater hat ihn immer gelobt.«

»Wohnen da auch noch Leute? Seht einer an! Na, du solltest mein Junge sein! Nett verzogen seid ihr hier alle.«

Die Frau fing an zu weinen, und an diesem Abend wurde nicht mehr davon gesprochen. Ich wußte aber gleich, daß der Onkel sein Stück durchsetzen würde. Und richtig, in der nächsten Woche wurde alles verkauft, das Häuschen und die Gerätschaften, und die Saatkartoffeln, und das Schwein und die Ziege. Als die Leute mit der fortgingen, 59 brachten die Kinder sie noch ein Stück, und Peterchen hing sich an sie und schrie vor Kummer. Da nahm ihn die Großsche mit zurück, und als sie mit ihm an mir vorbeiging, blieb sie stehen und sagte: »Es gibt ein Unglück, Schlumski, du wirst es sehen. Denn wo sollen die Kinder nun ihre roten Backen hernehmen, wenn sie keine Ziegenmilch mehr bekommen?«

Ich machte aber so, als hörte ich nicht. Denn der Mann war in der Nähe, und ich wollte nicht, daß er sah, wie die Großsche mit mir sprach. Er konnte die Großsche nämlich nicht leiden und hatte gesagt, sie solle im Dorf im Armenhaus bleiben. Aber dann wäre die Frau nicht mit ihm mitgegangen. Er sah die Großsche aber böse an, wenn sie nur den Löffel zum Munde führte.

Ja, er war ein böser Mann, der Onkel Lungrich. Die dreihundert Mark, die die Frau für alles bekommen, steckte er ein und gab ihr nicht einmal einen Schuldschein.

Als alles verkauft war, und alle Wände kahl aussahen, wurden die dicken Federbetten in Säcke gepackt und auf den Wagen geladen und Lungrich spannte mich vor. Was sie an Habseligkeiten noch hatten, kam dazu, und obenauf der kleine Peter. Es war eine Fuhre, wie ich sie noch nie gezogen hatte, aber ich dachte: »Nur nichts merken lassen!« Da sah der Onkel, daß Fried und Minchen zusammen einen schweren Korb trugen und befahl ihnen, den auch noch auf meinen Wagen zu setzen.

»Nein«, sagten beide, »der arme Schlumski.«

Da lief ich munter vor, um ihnen zu zeigen, daß 60 ich mir gar nichts daraus machte. Denn sie waren ja schon so traurig, daß sie aus der Schule und von ihrem Lehrer fortmußten. Aber sie gaben den Korb nicht ab. Und als ich an die Stelle kam, wo man den Hof sieht, ging ich wieder ganz langsam. Ja, das ist nun auch zum letzten Male, dachte ich. Aber da schoß der Schäferkaro plötzlich auf mich zu, bellte und lief neben mir her. Der Onkel wollte ihn mit der Peitsche vertreiben, aber der Karo fuhr ihm so an die Beine, daß er sich nicht mehr herantraute.

»Das ist ein schlimmer neuer Herr, Schlumski. Wir haben auf dem Hof alles erfahren und gestern große Versammlung gehabt, deinetwegen. Alle lassen dir Glück wünschen, aber paß auf, nun kommt eine schlimme Zeit.«

»Weiß ich, Karo. Habe ich gleich gerochen. Aber mein Herr ist der Lungrich nicht, denn niemand hat mich gefragt, ob ich ihm Treue halten will. Eher liefe ich auch davon. Nein, ich gehöre der Frau, und der Großsche, und den Kindern. Und bei denen will ich aushalten so lange ich kann.«

Karo bellte zufrieden. Dann sagte er noch: »Wir sind nun gleich an der Grenze, Schlumski. Da muß ich zurück. Der Schäfer hält mit der Herde am Kreuzweg. Ich wollte dir nur noch sagen, wenn du krank wirst in der großen Stadt, sieh wo du Fett herbekommst, Öl am besten, Schlumski. Sorge für deine Verdauung und laß dich nicht von den Flöhen auffressen.«

Damit trabte er zurück, und wir wendeten beide mehrmals den Kopf und bellten uns nach. –

Auf dem Bahnhof wurde ich ausgespannt und 62 einem Schaffner übergeben. In dem Zug kam ich in den Hundeabteil. Betäubendes Gebell empfing mich, als ich eintrat und höflich grüßte, wie es sich für einen wohlerzogenen Hund schickt. Es war nämlich ziemlich besetzt und Platzmangel, ja das Gefäß mit Wasser war verschüttet worden und der Boden unsauber geworden. Auf der nächsten Haltestelle wurde das freilich in Ordnung gebracht; aber der Aufenthalt war doch recht ungemütlich. Erst als einige Jagdhunde ausstiegen und von ihren Herren abgeholt wurden, konnte man sich in Ruhe umsehen.

Als ich den Boden der Großstadt betrat, kam ich mir wie ein alter Weiser vor. Ruhig sah ich mir die hellen Läden und die unzähligen Laternen an.

»Draußen am Himmel, standen doch noch hundertmal mehr Sterne«, dachte ich. Aber als ich nach dem Himmel suchte, fand ich ihn nicht. Die Häuser waren bis zu ihm in die Höhe gebaut. Nur einen ganz schmalen Streifen konnte ich sehen, der schien ganz dunkel. 63


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