Heinrich Hansjakob
Der Vogt auf Mühlstein
Heinrich Hansjakob

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4.

Die Bedenkzeit nahte ihrem Ende. Es wurde abermals Samstag. Der Vogt war kurz vor Mittag vom Felde heimgekommen. Er hatte Weizen gesät, und die Knechte und Buben (Söhne des Bauern) eggten die Saat noch vollends ein.

Daheim war niemand als die Mutter und das Maidle; beide in der Küche beschäftigt. Der Vater rief dieses in die Stube, trat vor es hin und sprach kurz und hart: »Hast du dich jetzt bald ausbesonnen? Die Galgenfrist ist um.«

»Vater«, antwortete das Maidle, »ich kann den Hermesbur nicht lieben. Seid barmherzig und zwingt mich nicht.«

»Was«, rief der Alte, »ist das für ein Geschwätz von Liebe? Liebe ist ein Pfifferling, von dem dumme, junge Leute reden beim Singen und beim Tanzen. Das Heiraten hat mit dieser Liebe nichts zu tun; man heiratet bei mir und auf jedem Hof, wo Ordnung ist, mit dem gesunden Menschenverstand; aber den hast du mit deinem Singen verloren!

»Liebe, die wächst nicht auf dem Mühlstein, aber Hanf wächst da, aus dem man Stricke macht, und mit einem Strick treibe ich dir noch deine Liebe aus dem Leib. Und jetzt geh mir aus den Augen. Ich frag' dich morgen früh noch einmal, und dann wirst du sehen, was geschieht, wenn du mir wieder kommst wie heute.«

Draußen in der Küche, wohin sie weinend zurückkehrte, fiel die Mutter, welche alles gehört hatte, noch über die Tochter her: »Du gibst so lange dem Vater nicht nach, bis es zu einem Unglück kommt.«

»Ja, Mutter«, jammerte die Magdalene, »es gibt ein Unglück, wenn mich der Vater auf den Hermeshof zwingt, – aber dann ist der Vater schuld und nicht ich.« –

51 Es war wieder eine böse Nacht vom Samstag auf den Sonntag fürs unglückliche Maidle. Schlaflos dachte es darüber nach, wie es dem Vater am Morgen Rede stehen wollte. Auf der einen Seite stand vor ihm der unerbittliche, harte Mann, von dem alles zu fürchten war, und neben ihm der protzige Ulrich vom Hermesberg – und auf der anderen Seite der brave, heißgeliebte Hans, der durch seine Entsagung bei der Unterredung im Stollengrund ihre Liebe zu ihm noch mehr entflammt hatte und wie ein verklärter Heiliger vor des Mädchens Seele aufleuchtete.

Die schlimmsten Ausbrüche des väterlichen Zornes zu vermeiden, Zeit zu gewinnen, die Heirat möglichst hinauszuschieben, auch um dem Hans zu zeigen, wie schwer es sie ankomme, seiner hochherzigen Entsagung zu folgen – das war das Resultat der nächtlichen Erwägungen Magdalenens.

Eine Frauenseele findet in schwierigen Verhältnissen von Natur aus viel leichter Rat in sich selber als ein Mann. Darum holen sich selbst sehr vernünftige Männer mit Recht vielfach Rat bei ihren Frauen. –

Ehe die »Völker« des Vogthofs am kommenden Morgen in die Kirche gingen, rief der Vater das Maidle in die Stubenkammer, wo die Schlafstätten der Eltern sich befanden. Auf dem Bette des Vaters lag ein Bund Stricke, eine unheimliche Erinnerung an die Drohung vom vergangenen Abend.

»Willst heut mit auf den Hermeshof«, herrschte der Vogt seine Tochter an, »oder soll ich dir deine Liebe mit diesen ›Seilstumpen‹ da austreiben?«

»Ihr sollt Euern Willen haben, Vater«, antwortete ernst und tränenlos und wie versteinert das Maidle, – »aber auf die Beschau kann ich heute noch nicht. Ich bin todmüde und elend. Also gebt mir acht Tage Zeit. Nach Simon und Juda (28. Oktober) wollen wir dann hinunter.

52 »Und dann, Vater, hätt' ich noch eine Bitte. Der Advent kommt bald, die Mutter und ich müssen noch manches richten. Verschiebt die Hochzeit bis nach der Adventszeit. Um Dreikönig soll dann Euer und des Hermesburen Wille erfüllt werden.«

Der Vogt sah heute erst, wie bleich und abgehärmt das sonst so blühende Mädchen geworden. Daß sein Wille siegen sollte, stimmte ihn milde. Er wollte eine stattliche Hochzeiterin dem Ulrich zuführen und ging deshalb auf ihre beiden Bitten ein. »Meinetwegen«, sprach er, »sollst du Frist haben; dem Hermesbur wird's auch gleich sein. Und die Mutter hat schon gesagt, sie habe noch zu wenig ›Tuch‹Leinwand., wenn's eine Hochzeit gäbe. Aber es war höchste Zeit, deinen harten Kopf zu brechen.

»Von heute an kannst du wieder an meinem Tisch essen; aber in die Kirche gehst du, wie seither, nach Zell. Wenn du einmal in Lindach bist, mußt doch auch dahin.«

Schweigend ging die Magdalene von dannen und wieder allein die östliche Talseite hinab gen Zell, aber nicht, und fortan nie, an der Gnadenkapelle vorüber, ohne ihr erstes Gebet vor dem Muttergottesbilde zu erneuern. –

Es war ein rauher, kalter Oktobersonntag, der letzte des Monats. Die Fluren waren fahl und kahl, die Buchenblätter gelb und am Abfallen. Die Hirten fuhren seit Galli-Tag nicht mehr auf; ihre Lieder und »Juchzer« waren verstummt.

Vom Mühlstein trat gleich nach Mittag die Magdalene mit dem Vater den Weg an über den »Buchbühl« gen Lindach. Der Gang kam ihr vor wie der Todesgang eines unschuldig Verurteilten. Stumm und schweigend, wie ein Lämmlein hinter seinem Mörder, ging die Arme hinter dem Vater her.

53 Zu ihrem Unglück nahm weder der Vogt noch der Hermesbur großen Anstoß an ihrer Opfermiene, ihrem kalten, stillen Wesen. Beide glaubten, das werde sich von selbst geben, wenn sie einmal Bäuerin sei und keine andere Wahl mehr habe.

Stolz zeigte ihr und dem Vater der dicke Ulrich seines Hofes Schätze, seinen vollen Speicher, seine gefüllten Scheunen, seine Ställe, in denen gedrängt stattliche Rinder standen. Auch den Umfang des Hofes beschrieb er der Zukünftigen, von der Sägemühle unten im Tale bis hinauf auf die Höhe von Mühlstein.

Das Maidle nickte stumm und still zu allem, was ihm gezeigt wurde. Im Vogt aber kochte der Zorn, daß es dem Ulrich gar keinen Beifall zollte.

Verstohlen blickte die unglückliche Braut von dem Hügel, auf dem sie standen, das Tal hinauf. Dort lag Nordrach und des Öler-Joken Hütte. Diese wäre ihr mit dem Hans lieber gewesen als tausend Höfe vom Range des Hermeshofs.

Sie war von Herzen froh, als es nach reicher Bewirtung wieder den Wald hinaufging. Der Vater räsonierte zwar über ihre Teilnahmlosigkeit und meinte, sie habe den Nordracher Singteufel immer noch im Kopf, aber er hoffe auf ernstliche Besserung, wenn sie einmal Bäuerin wäre.

Schweigend nahm die Dulderin auch dieses hin. –

Auf dem Mühlstein wurde von jetzt ab eifrig vorbereitet für die Aussteuer. Der Hechler kam vom »Hambe« herauf und strählte in den silberblanken Stahlzähnen seiner Hechel das »Werg« glatt, und nun ging's ans Spinnen.

Dichte Nebel lagen in den Tälern drunten, und auf den Höhen pfiff kalter Herbstwind durch die entlaubten Buchen.

Die Mägde konnten draußen nichts mehr arbeiten, und die Knechte und Buben waren im Wald am Holzmachen. So 54 wurde denn von den »Wibervölkern« den ganzen Tag über gesponnen in der warmen Stube. Es war das ehedem eine Lieblingsarbeit der Magdalene gewesen. Da hatte sie zwischen die Erzählungen der Mutter und der alten Marianne hinein ihre Lieder gesungen. Jetzt war sie stumm und still, benetzte den Faden mehr mit ihren Tränen, die sie aus den Augen wischte, als aus dem kupfernen Schüssele unter der »Kunkel«.

Sie wünschte in ihrem stillen Weh manchmal, es möchte doch das Tuch, das sie hier spinnen mußte, ihr Leichentuch werden.

Der Vogt war nach Martini in Gengenbach gewesen und hatte mit dem Oberschaffner den Zehnten auf der Vogtei verrechnet, den die Klosterknechte kurz zuvor abgeführt hatten.

Der Prälat lud ihn, wie üblich, zur Tafel ein und erkundigte sich nach den Verhältnissen seiner Bauern in Lindach und in den Schottenhöfen und fragte besonders auch, wie es auf des Vogts Hof gehe.

Da er hierbei erfuhr, das Maidle käme auf den Hermeshof, gratulierte er und freute sich, daß des Vogts Tochter in der Klosterherrschaft bleibe und auf einen so schönen Hof komme.

Der Alte verschwieg den Widerstand seiner Tochter, wohl ahnend, daß der Prälat auf des Maidles Seite getreten wäre.

Der Kammerdiener mußte bei der Verabschiedung des Vogts ein silbernes »Nister«Rosenkranz. holen, das der Prälat dem Mühlsteiner übergab für die Tochter, damit sie es am Hochzeitstag zum erstenmal um die Hand lege.

55 Als der Vater am Abend heimgeritten kam, warf er der spinnenden Magdalene das glänzende Geschenk in den Schoß mit den Worten: »Das ist vom Prälaten für die Hochzeit. Es ist schade, daß eine so einfältige Person, die ihr Glück nicht einsieht, ein so schönes Nister bekommt.«

Das Maidle spann still fort und netzte, als der Vater in die Stubenkammer gegangen war, den Faden aufs neue mit Tränenwasser. 56

 


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