Hans Freiherrn von Hammerstein
Ritter, Tod und Teufel
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Die Landstraße

Tiefes Gewölk breit hingeschichtet. Bleiblaue Langhaufen plattstufig himmelab, westwärts von Abendahnung durchgilbt. Ein föhniger Frühmärztag, der Strichregen gesprüht hatte und zur Ruhe kam. Im alten Laub des Eichengestrüpps noch manchmal ein fliehendes Aufrasseln. Ein kahler Buchenwipfel, der mächtig den Weg überwölbte, ab und zu von lauharfendem Sausen durchzogen.

Aus dem Tal der fränkischen Saale aufgestiegen, gewann hier die Straße eine weite Sattelhöhe zwischen zwei Gipfeln. Rechts über Buchenwaldung steil aufgekegelt ein nackter Basaltkopf, der auf seinen schwarzgebündelten Säulenschüssen ein finsteres Bergschloß vor die Wolkenbänke hob. Links ein wenig weiter ab liegend auf milderer Kuppe eine zweite Burg. Beide so von den sichtigsten Stätten das Land beherrschend, starke Bauwerke mit gedrungenen Türmen, hockenden Raubvögeln gleich, die umherspähen.

Die Straße hielt sich dem Westen zu auf einer rauhen Höhe zwischen Buschwerk, Hutweiden mit Steintrümmern und Wacholderstauden, kümmerlichen Feldstreifen und düsteren Forchengehölzen. In Mulden und Rinnen allenthalben verschmolzene Schneereste. Fern im Abend die weiten Forstwellen des Spessart. Nordwärts, an der Basaltburg vorbei, ein großer Blick: Über den waldigen Höhen des Saaletales, von den Wolkenzügen scharf abgehoben, dunkelblau mit Schneeplatten auf den Häuptern, die Kuppen der hohen Rhön. Im Mittag aber unter dem Hügel der zweiten Burg offenes Tal gegen das Mainland hinunter, ein paar Dörfer in fruchtbarer Sohle wiegend. 6

Das Holpern eines Karrens kam die Straße herauf. Zwischen den Sträuchern, die an der lehmigen Wegböschung hingen, rückten Gestalten empor. Ein fetter, zerlumpter Kerl, ein zweirädriges Wägelchen vor sich herschiebend, und ein hagerer Landsknecht, graubärtig und einäugig, der, den Spieß geschultert, ein Pferd am Zügel führte.

Das Roß, ein schönes, starkes Tier mit gutem Sattelzeug und grüner Tuchdecke, schnob fremd und unruhig und hatte Scheu in den Augen. Mühsam zog es der Landsknecht hinter sich her, fluchend und beschwichtigend, wie es vor jedem Busch zur Seite drängte oder mit schreckhaft blasenden Nüstern den verkappten Kopf aufwarf und, am Zügel zerrend, sich wider die Führung stemmte.

Der Dicke blieb, auf der Höhe angelangt, stehen und ließ den Karren, dessen Ladung mit Hadern verhüllt war, niederkippen. Sein Blick fiel auf ein verwittertes Kreuzbild, das, der hohen Buche gegenüber, windgebeugt am Wege stand. Er zog den Filz und behielt ihn mit zaghafter Gebärde in der erhobenen Linken, während seine Rechte zur Stirn fuhr, wie um ein Kreuz zu schlagen. Aber sie wischte nur in die Schweißtropfen, die aus dem schwarzborstigen Kraushaar niederrollten. Sein gelbes Gesicht war schweinehaft in den Rüssel gezogen. Die wässerigen Schlitzaugen standen seicht unter der fliehenden Stirn. Jetzt war mehr Feigheit als List in ihnen, da er sie mit einem Ausdruck verstörter Gläubigkeit zu dem plumpen Marterchristus erhob, an dem der Schnitzer nicht mit Dornen, Wunden und zäher Blutfarbe gespart hatte. Der Landsknecht, seines Innehaltens gewahr, stieß ihn mit dem Speerschaft in den Hintern.

»Avanti! Hurrah, blöder Mehlspeisfresser!« schnob er ihn an. »Was trendelst du just da, wo man dich guggt wie 'ne Windmühl weit und breit.«

Mit dem Spieß nach der schwarzen Burg zeigend, setzte er hinzu: »Ruck an die Grünling. Der Bolent hat Schein. Wann 's uns spannen, seind hortig Jackler da.« (»Rück an die Sträucher. Das Schloß hat Augen. Wann sie uns sehen, sind hurtig Reiter da.«)

Mit einem Seufzer nahm der Feiste die Handhabe des 7 Karrens wieder auf und schob die Hadern zurecht, unter denen ein Bündel blutiger Leinwand zum Vorschein gekommen war.

»Polender herles, Polender schom,« näselte er, auf das Schloß im Süden weisend. »Grünling hat kein Blättel, guggen Jackler durch.« (»Schloß hier, Schloß dort. Strauch hat kein Laub, sehn Reiter durch.«)

»Verschlitzter Tinnef!« brummte der Landsknecht, der jetzt erst das andere Schloß gewahr wurde. »Wären wir im Sprauß verkabbert am Floßhart fieferach geholcht . . .« (»Verdammter Dreck! Wären wir im Wald versteckt am Fluß weitergegangen!«)

»Im Sprauß kein Bohle,« warf der Dicke ein. »Kann mit Roller nit rumpeln im Knackert.« (»Im Wald kein Weg. Kann mit Karren nit fahren im Holz.«)

Der Landsknecht verächtlich auf ihn und den Karren sehend:

»Pofidal nit so blöd, böhmische Wildsau. Der Roller könnt mir gegampst werden, lauter Schund und Tinnef drauf. Gugg, wie du mit schiebes reibst. Hab dir gesagt, du sollstn hint loßm« (»Schwatz nit so blöd. Der Karren könnt mir gestohlen werden, lauter Schund und Mist darauf. Schau, wie du mit fortkommst.«)

»So grims Klaffot, so tufts!« versetzte der Böhme, seine Ladung verteidigend. »Blecht der Chajm juhs Flormes für.« (»So schön's Gewand, so gutes! Zahlt der Jud zehn Gulden für.«)

Und mit einem schiefen Blick voll versteckten Hasses zum Soldaten hinüber: »Wann pan Lenninger gampsen will, Böhm soll baldovern und schiennägeln, Lenninger hat Cavall, Böhm kann schwenzen.« (»Wann der Herr Landsknecht stehlen will, Böhm soll kundschaften und arbeiten, Landsknecht hat Pferd, Böhm kann laufen.«)

»Kusch!« gab der Landsknecht zurück und machte einen Versuch, das Pferd zu besteigen. Aber wie er sich im Steigreif heben wollte, tat seine Hand einen plumpen Riß am Zügel. Der Sattel rutschte, der Gaul fuhr empört schnaubend in die Höh und stand steil auf den Hinterbeinen. Mit einem Fluch taumelte der Landsknecht an die Böschung. 8

»Hoho!« rief der Böhme, ließ den Karren fallen und fing das verschreckte Roß am Zaum.

»Pan Löschenkohl sein balmachom grandiger wie Zizka,« grinste er, das Tier auf den Hals klopfend. »Aber mit Cavall kann er nix malochnen.« (»Herr Löschenkohl sein Krieger großer wie Zizka, aber mit Roß kann er nix machen.«)

Wirklich beruhigte sich der Gaul und ließ sich willig weiterführen. Der Landsknecht klaubte den Spieß auf, der ihm entfallen war.

»Das glaub ich,« polterte er, »daß du mit einem Trappert malochnen kannst, du Hussitentrößling. Zwischen Rädern gschiebert, im Roller gworfen, an der Deichsel erwachsen. Gampsen und fegen, das hast du gelernt, nur keinen ehrlichen Spieß schwingen und im Feuer stehn. Und wann vorn machloike war, bist hinten bei den Goyes und Schicksen gehockt, hast ihnen paternollen und funkeln geholfen.« (»Das glaub ich, daß du mit einem Gaul umgehn kannst . . . Stehlen und rauben, das hast du gelernt . . . Und wenn vorn Schlacht war, bist hinten bei den Weibern und Mädeln gehockt, hast ihnen beten und braten geholfen.«)

»Gampsen, fegen, schuppen?« lachte der Böhme. »Lenninger bei pan Frundsberg grandige nur paternollen lernen?« (»Stehlen? Rauben? Dieben?«)

»Bos dich, du Gluntenfissel,« schalt der Löschenkohl, sich des Rosses wieder bemächtigend. »Roll zu, daß mer von dem Gipfel lamatte reiben.« (»Schweig, Hurensohn! Fahr zu, daß wir von der Höh runterkommen.«)

Hastig strebten sie, scheu umherspähend, auf der Straße fort, die eine Strecke weiter eine Gabelung nach Süden sandte. Ein Wegweiser zeigte da mit verwaschener Schrift hinab: »Auff Wirtzburg«. Die zwei andern Arme, die einmal gegen Osten und Westen gewiesen hatten, waren abgebrochen.

Die beiden Landfahrer zogen vorbei und hielten erst, als steil rechts ins waldige Tal hinunter ein schmaler Karrenweg abzweigte.

»Lamatte!« befahl der Landsknecht nach kurzem Besinnen. »Da scheft's in die Glebisklapper köng.« (»Hinunter! Da geht's in die Roßmühl hinab.«) 9

»Schom vom Gfahr scheft's tufter auf Bohle,« sagte der Böhme, auf ein Dörfchen durch einen Hügeleinschnitt vor ihnen zeigend, das mit steilen Giebeln über Baumwipfel sah. »Da lamatte rumpelt's schofel,« setzte er, den steinichten Abweg betrachtend, hinzu. (»Dort vom Dorf geht's besser auf Straße. Da runter fährt sich's schlecht.«)

»Laß rumpeln, wie's rumpelt,« trieb der Löschenkohl. »Da vorn is Glenz, spannen uns Ruache. Im Sprauß simmer verkabbert. Schom jackeln zween übern Grünhart.« (»Laß fahren, wie's fährt. Da vorn ist frei Feld, sehn uns Bauern. Im Wald sind wir verborgen. Dort reiten zwei übers Feld.«)

Er deutete ins Feld, wo zwei Reiter langsam gegen das Dorf zu ritten.

»Hortig, hortig!« zischte er dem Genossen zu, der sich scheute, mit dem schweren Karren in den Schluchtweg einzubiegen, und gab der Aufforderung mit dem Speerschaft stoßend Nachdruck. »Scheff dich auf'n Toches und tu schemmzopfen. Dahint lus ich barlen.« (»Rasch, Rasch. Setz dich auf 'n Hintern und tu widerhalten. Dahinten hör ich reden.«)

Wider Willen befolgte der Böhme sogleich diesen Rat, indem ihn der durchgehende Karren niederriß und über Kot und Steine sitzlings fortschleifte. An einem Baum erst, gegen den das Wägelchen krachend stieß, fing er sich wieder. Der Landsknecht lachte und zerrte den widerstrebenden Gaul hinterher. Bald waren sie in den Wipfelbüschen des Abgrundes verschwunden.

Noch einmal ging ein Windstoß über die Höhe, wirbelnd und sausend, ein hastiger Nachzügler.

Dann wurde es ganz still.

Die schwarze Burg starrte gegen die Wolkenbänke, deren Fugen, vom Abend herübergreifend, schwefelgelbes Licht durchbrach. Ein Krähenzug, eilig und stumm, ruderte hoch am Himmel hin.

Die Stimmen, die der Löschenkohl hinter sich bemerkt hatte, kamen den Berg herauf. Ein Ruf und ein Lachen. Ein lustiges Pfeifen dann und plötzlich dazwischen ein Griff in tönende Saiten. Der Klang schwirrte wie ein heller Vogel über die Gesträuche her. Und plötzlich stand ein schmaler 10 Sonnenstrahl im braunen Dürrlaub, floß, sich verbreitend, die graue Straße nieder und hob den schlankweißen Leib einer Birke leuchtend von der Düsternis des wolkigen Hintergrundes ab.

Abermals tauchten zwei Gestalten im Einschnitt der Wegböschung auf. Ein langer, dürrer Gesell, der ein aufgekremptes Hütlein mit einer Hahnenfeder, ein braunes Wams mit kurzem Schulterkragen und grüngeschlitzten Puffen und feuerrote, enganliegende Hosen trug, und ein junges Bürschlein im schwarzen Scholarenmäntelchen. Der Lange klimperte auf einer Laute und pfiff, der Junge machte ein verdrießliches Gesicht dazu und sank unter der großen Buche dem Kreuzbild gegenüber mit einem Seufzer nieder, nachdem er den Mantel übers feuchte Gras geworfen hatte.

Die Hände in die Taschen grabend, die Laute untern Arm geklemmt, blieb der andere vor ihm stehen und ließ sein bartloses, lederhäutiges Gesicht ein bewegliches Faltenspiel zwischen Lachen und Weinen vollführen.

»Da haben wir's,« rief er spöttisch. »Da ist das Quentlein Fürwitz hin wie Märzenschnee an der Sonne. Ja, Schulschwänzen und den lieben Eltern ausreißen, das läßt sich hören, und im ersten Wirtshaus schmeckt's noch wunderbar nach Abenteuer. Aber ein halb Schock Meilen in den Beinen und ein knurrend Loch im Magen, da heißt's: O Vater, Mutter, wär ich daheim, hätt meine Tracht Prügel weg und säß hinterm Ofen bei einem Näpflein Hirsebrei! Ich wollt auch immer wieder brav in die Schule gehen, versus memoriales ochsen und amo konjugieren statt probieren.«

Dem Burschen waren die Tränen näher als der Witz. Das Kinn in die Fäuste gestemmt, blickte er jammervoll auf seine beschmutzten Schuhe.

»Item,« setzte der andere fort, »es ist hier ein Ort, wo schon mancher vor uns gerastet hat. So wollen wir desgleichen tun.«

Damit warf er sich neben den Schüler auf dessen Mantel und streckte die dünnen, roten Beine mit den umgeschlagenen Schnabelschuhen steil in die Luft.

»Von Rechts und Ordnungs wegen müßt hinterm nächsten 11 Meilenstein eine Schenke kommen,« begann er wieder, indem er die Beine einzog, die Laute auf die Schuhsohlen legte und so mit dem Instrument allerhand Gleichgewichtskünste zu treiben anhub, die eine ungemeine Fertigkeit in diesem Fach bewiesen. Schließlich ließ er die Laute mit einem Tritt in die Höhe schnellen, daß sie einen dumpfen, stöhnenden Ton gab, und fing sie mit der Hand wieder auf.

»Gaukler,« sprach der Scholar. »Ihr seid doch ein Gaukler.«

Der Dürre richtete sich auf. Mit seinen hellblauen Augen, die kreisrund unter einer fast brauenlosen Kinderstirn saßen, blickte er den Burschen unschuldsvoll an. So treuherzig, beinahe täppisch war dieser Ausdruck, daß man ihm freudig hätte glauben mögen, wäre nicht irgendwo im wirren Gefält der Gaunermiene versteckt ein lachender Teufel gesessen.

»Gaukler?« versetzte er. »Wie man's nimmt. Ich find auch nichts Unehrliches dabei, solang man die Kunst mit Armen und Beinen betreibt.«

»Beileib! So hatt ich's auch nicht gemeint,« warf der Junge ein wenig erschrocken ein. »Ihr sollt's nicht für übel nehmen.«

»Für übel nehm ich nichts auf der Welt. Alles für Spaß. Aber du hast ganz recht gesehen. Ich versteh mich auf Seil und Bälle. Was versteh ich nicht!« setzte er mit einem Seufzer hinzu.

»Es ist gewiß nützlich, in vielerlei Handwerk einen Meister zu stellen,« meinte der Scholar. »Und wie Ihr alles leichthin nehmt und beim siebenundzwanzigsten Meilenstein ohne ein Wirtshaus noch immer ein Lied auf den Lippen und überflüssig Schmalz in den Gelenken habt, das macht meinen Neid schon längst rege. Item, da wir just so schön rasten und die Straße uns schon eine gute Strecke zu Genossen macht, solltet Ihr nur erzählen, woher Ihr kommt. Ich meine, so im Leben kommt. Hab ich Euch doch schon alles von mir freimütig berichtet. Und weiß noch nit einmal, wie Ihr heißt.«

»O, der Schulbegier!« lachte der andere. »Kleiner, da heischest du mehr zu wissen, als ich selber weiß. Schon mein Name ist gänzlich ungewiß.« 12

»Seid Ihr etwan kein Christ und gar nit getauft?«

»Vom lieben Gott mit Regen oft genug, vom Pfarrer? Das steht dahin. Die ersten Leut, deren ich gedenk, riefen mich verschiedenermaßen, wie man wohl einen jungen Hund ruft, der zugelaufen. Sepp, Kunz, Schlingel, Äffchen, Schmudel und so. Doch muß ich was Hänsisches an mir haben. Denn Hans ist mir geblieben, und ich war auch einverstanden damit. Fand es kurz und gut und auch sonst nit uneben. Und weil ich pfiff, eh ich redete, und lieber pfiff als redete, ward ich der Pfeifer genannt. Da habt Ihr's. So bin ich in der Welt bekannt, so hochberühmt auf allen Straßen zwischen Frankfurt und Nürnberg oder gar Wien und Prag, und hab mir einen Namen gemacht, der Klang hat vor allem Volk, dem es mehr auf Lust ankommt, denn auf Ehr und Würden.«

»Und Eure Eltern?«

»Hm. Mein Vater selig hat meinen glorreichen Austritt ans Licht nit abgewartet. Er ist früher auf und davon.«

»Gestorben so früh?«

»Das will ich nicht behaupten.«

»Weil Ihr selig sagtet.«

»So preis ich ihn, weil er's verstanden hat, sich um einen so teuren Sohn zu drücken.«

»Und Eure Mutter?«

»Starb vor der Geburt.«

Der Schüler sah ihn mit grenzenloser Verblüffung an.

»Nämlich meines jüngeren Bruders,« fuhr der Lange ernsthaft fort. »Oder was sonst hätt draus werden mögen. Das heißt: Stiefbruder, dieweil der Vater natürlich wieder ein anderer gewest.«

»Geschwister also habt Ihr.«

»Vermutlich etliche. Jedennoch kenn ich keins von ihnen. Die mehreren mögen auch verhindert worden sein, das Licht der Welt zu schauen.«

»Dies alles ist mir rätselvoll.«

»Schlicht und klar wie Brunnenwasser, wenn du bedenkst, daß meine Mutter eine Hur gewesen.«

»Entsetzlich!« 13

»Warum? Von allen Weibern die einzig ehrlichen. Sie machen ein tapferes Gewerb aus ihrer Not, während die anderen ihre Wollust aus Feigheit in Tugend verkehren. Drum halten sich die Huren auch zu den Soldaten. Übrigens war meine Mutter gewiß aus trefflichem Haus, ein Fräulein, eine Prinzessin gar.«

»Ei, das meint Ihr?«

»Und mein Vater ein Graf, wenn nit der Kaiser selbsten.«

Der Schüler wußte sich nicht mehr zu fassen.

»Wär ich sonst so hübsch und fein?« fuhr der Pfeifer lebhaft belehrend fort. »Ich sag dir, ich kann einen Fürsten oder Bischof agieren, daß ich's selbst glaub, und manchmal fühl ich was in mir, das hoch hinaus will. Möglich, daß das auf dem Galgen endet statt auf einem Thron. Schicksal. Wie die Sterne eingestellt sind, so zwingt's einen.«

Der Knabe rückte unwillkürlich ein wenig ab.

Der Pfeifer lachte. »Nun graut dir wohl ein wenig vor mir,« sprach er und zog ihn, den Arm vertraulich um seine Schulter legend, an sich. »Nun möchtest du gleich auf und heim zur Mutter. Aber siehst du, was bleibt dir übrig jetzt? Bei mir ist's doch noch am besten vielleicht. Läufst du da hinunter, so kommst du dem schwarzen Thomas von Absberg ins Geheg. Der sieht dir's an der Nasenspitze an, daß du ein Nürnberger bist. Ist derer von Nürnberg abgesagter Feind, haut dir die Hand ab, steckt sie dir ins Lätzlein und schickt dich zum hohen Rat mit einem schönen Gruß. Und rennst du da hinaus, fängt dich ein anderer fränkischer Schnapphahn, der Thüngen oder der Rosenberg oder der Ebersteiner, zieht dich in Stock und schatzt dich auf tausend Gulden, bis dir das Blut aus den Nägeln springt, weil du aussiehst, als hätt'st du Sippschaft, die zahlen kann.«

»Das meint Ihr wohl nur zum Spott,« bebte der Junge. »Was könnten die von mir armem Teufel wollen? Ist ja auch alles nur Spott und Schelmerei, was Ihr da erzählt habt. Schaut so brav aus wie eines Küsters Sohn.«

»Freilich, freilich,« rief der andere lustig. »Alles erlogen. Meine Mutter ist ganz einfach die Landstraße und mein Vater – der Wald – nein, der Jahrmarkt.« 14

»Das dünkt mich fast nit besser. Da glaub ich lieber an die Prinzessin.«

»Ich auch. Und stimmt gewiß. Und schön muß sie gewesen sein! Jung wie ein Morgenhauch, fein wie ein Saitenklang, und still und sinnend und ein wenig traurig, wie's Abendrot. Und mein Vater ist auf wildem Roß vorübergesaust, hat sie geküßt und wieder hingestellt. Und da ward ich: ein lustiger Klang, der über die Wipfel fliegt, ein trauriger Klang, der in den Winden wiegt, ein Scherz, der die Mädchen lachen macht, ein Seufzer in der Mondscheinnacht, ein Geigenstrich, der in die Beine springt, ein tiefer Schimmer, der im Weine blinkt – und fällt die Welt, stirbt alles um mich her, ich bin ewig, ich verderbe nimmermehr.«

»Ei, Verse könnt Ihr auch? Und Latein. Ich hab's wohl gemerkt. Ihr seid auf Schulen gewesen.«

»Das will ich meinen. Und kein Pfaff und Magister hat's fertig gebracht, daß ich ein Schreiber worden. Zu allem fähig, und zu nichts gut. Mit dem Zeugnis haben sie mich auf die Straße gesetzt, und die ist dann meine hohe Schul geworden. Aber wenn du willst, ich schneid dir auch eine Kappen, wie sie's feiner zu Augsburg, und näh dir einen Bundschuh, wie sie's glatter zu Nürnberg nit treffen. Und ich klemm dir ein Roß zwischen die Beine, daß es auf hispanisch tanzt, und so dich die Gottesfurcht ankömmt, les ich dir die Meß und halt dir eine Predigt, daß du heulst vor Reu und Leid und ungesäumt auf Sankt Jagel wallfährst zur Buße deiner Sünden. Itzt aber wollen wir wallfahren nach einer Kanne Dünnbier. Mir ist so heimisch in der Gegend. Da unten wo beim Wasser muß eine Kretschma sein.«

»Das zieht uns aber vom Weg ab.«

»Junge, das laß dir gesagt sein: die Abwege sind allemal die besten Wege. Und was die Sterne mit uns vorhaben, dazu führen sie uns die krummen Straßen, so sehr wir auch gradhinaus wollen. Mir träumte heut, ich säh mich als einen Kriegsmann zu Pferd und mit dem Bratspieß in der Pfote auf Pfeffersäck lauernd.«

»Und mir, es käm ein greulicher Lindwurm auf mich mit lauter eisernen Zähnen und einem Gerassel, als wär er ganz 15 aus erzenen Schuppen. Da wollt ich laufen und stak in lauter zähem Dreck, da sperrt er's Maul nach mir und, hu! – ich erwachte.«

»Das stimmt. Ein Schnapphahn wird uns fangen. Ist hier herum recht das Revier der Herren, die sich auf freien Straßen nähren.«

»Bei Gott! Und das sagt Ihr so, als ging's auf die Kirmeß.«

»Sollt mir auch eine sein. An mir ist nichts zu schatzen. Wer mich stiehlt, der betrübt damit keine Reichsstadt und kein Lausenest im ganzen deutschen Land. Und der Kaiser kennt mich nit, sonst freilich tät er sich flugs ins Mittel schlagen.«

»Aber ich.«

»Dir gewähr ich freies Geleit. Und das sag ich dir: bei den Gesellen gilt das mehr als das des Bischofs von Würzburg.«

Der Pfeifer sprang auf, schob die Wandertasche in den Rücken, nahm die Laute unter den Arm und begann auszuschreiten.

»Munter, munter! Jürgen Tixel, oder wie du heißest,« rief er dem säumenden Schüler zu.

»Dietz, Georgius Dietz, studiosus literarum,« berichtigte der andere, sich mit einem Seufzer erhebend und seinen Mantel aufraffend. Ein wenig hinkend folgte er dem weiten, schwingenden Tritt des Genossen.

Der kehrte sich nach ein paar Schritten wider einen Baum und begann Wasser abzulassen.

Jürgen Dietz schritt derweil mit hängender Nase fürbaß dem Wegweiser zu. Plötzlich tat er einen gellenden Schrei und hüpfte wie ein überkommenes Wild die Straßenlehne hinauf.

Neben dem Wegzeiger hatte es mit einem Satz einen Reiter aus den Büschen gehoben. Großmächtig stand er da auf einem stämmigen Apfelschimmel, eine Sturmhaube mit breitem Rand über der roten Kappe, einen Brustharnisch über dem geflickten Wams, mit langen, bespornten Beinen hoch in die Bügel gestellt, und schlug dem armen Scholaren eine Armbrust mit eingelegtem Pfeil vor. 16

Der Pfeifer kam in eiligem Schritt heran, blieb stehn und schlug sich auf den Schenkel.

»Potz Zagel!« rief er, »das muß der rechte Kreuzweg sein, auf dem der Teufel die Hänse mit den Nasen zusammenstößt! Der Hans Schau! Da hätt ich ehender den Abt von Fuld erhofft.«

»Potz Knull!« lachte der Reiter, die Armbrust aufschlagend. »Der lang Hans! Da hätt ich denn einer Sau fürgepaßt und eine räudige Katz erwischt. Zierst du noch kein Hochgericht, du uralter Rabenbraten?«

»Dasselbe nimmt mich an dir wunder, du abgejagtes Hurenfleisch! Stinkst du noch auf keinem Rad? Welchem Buschklepper machst du hier einen Meilenstein?«

Der Pfeifer war an das Pferd herangetreten und schüttelte dem Reiter fröhlich die hingestreckte Rechte.

»Was hast du da für einen Grasaffen mit?« fragte der Knecht leise, auf Jürgen deutend.

»Nichts Pfandbares,« versetzte der Lange. »Ein Hascher von entsprungenem Pfaffenschüler, den Gott meinem Fittich anvertraut hat.«

»Da ist die arme Seel wohl schon dem Satan abgetreten,« grinste Hans Schau. »Komm herzu, fürcht dich nit!« rief er Jürgen zu. »Deines neuen Meisters halber tust du mir leid, aber diesmal kannst du von Glück reden, denn sein Lehrbrief gibt dir Durchlaß dahier, den du sonst nit so leicht gefunden hätt'st.«

»Siehst du,« brüstete sich der Pfeifer. »Da zeigt sich schon mein Ansehen!«

Der Schüler näherte sich zweifelnd.

»Wem dienst du annitzt?« fragte der Pfeifer den Schau.

»Mangolten von Eberstein,« war die Antwort.

»Hui, da klopfst du wohl alle Straßen zwischen Nürnberg und Frankfurt ab?«

»Wohl, wohl, aber nit, wie du meinst, um Krämer zu schinden.«

»Was dann? Etwan sammelst du den Peterspfennig für seine päpstliche Heiligkeit ein?« 17

»Das wär ein Geschäft für dich, du hättest die Fratze dazu. Nein. Auf Gesindel wie dich ist's abgesehn. Die Straßen kehren von solchem Pack, das ist meines Herrn wohlachtbares Ziel. Er hat keine Händel zurzeit.«

»Potz blau! Der Wolf tut Schaf hüten und fletscht die Füchs an. Da muß der Mangold zum Verrecken lange Zeit gehabt haben, daß ihn eine solche Lust zur Ehrbarkeit angefallen.«

Der Reiter zuckte die Achseln.

»Was scheren mich seine Mucken. Er zahlt gut, und man lebt eines Reiters wert auf dem Brandenstein. Item – mich dünkt, es wird bald wieder Feuer haben mit irgendeiner Stadt. Er zündelt schon herum und schimpft gottsmörderlich auf das prasserische Bürgerpack. Weißt, bei ihm geht's immer wie in der Predigt: Bibelvers voran und Moral hintennach. Er will's von Rechts, Reichs und Herrgotts wegen tun, wenn er wem ins Geschirr faßt. Sind Euch nit zwei Kerls mit einem Karren und einem Roß in die Quer geraten?«

»Könnt stimmen. Mir war's vorhin so, als hätt ich vor uns Rollen und Wiehern gehört. Und da oben, wie wir noch im Grund gingen, stieg einmal ein Pferd auf, ein Braun, deins war's nit.«

»Bin ihnen schon eine Weil auf der Spur. Drüben bei Hammelburg ist vorige Nacht ein Kaufmann abgestochen worden, nackt ausgeschält, in Busch geworfen. Das könnten die zwei Galgenklöppel gemacht haben. Bauern haben sie stromen gesehn, und mir sind sie ehegestern in einer Schenke aufgestoßen.«

»Ist dir halt leid, daß sie dir mit dem feisten Schnapp vorgerieben haben (mit dem Raub zuvorgekommen).«

»Ich bin kein Schnapphahn, du schofler Klingenfetzer (schlechter Leiermann), derweil nit. Hab dir schon gesagt, ich tu Straßen putzen.«

»Straßenfegen (Straßenrauben)? Das hast du doch immer schon getan,« lachte der Pfeifer drein.

Der Schau erbost: »Wart nur, bis du auf 'm Brandenstein im Turm steckst mit deinem Kamesierer (fahrender Schüler, [Bettlerorden]) da, dann wird dir das Foppen schon vergehn. 18 Den Kaufmann hätt ich fahren lassen, aber daß seinen Gaul – soll ein gar schöner sein – ein gartender Lenninger prackt, das ist mir ei freilich leid. Nun dacht ich, sie wären im Holz an der Saal hinunter, sind aber nit. Da bin ich herauf auf Aschenroth, das Dörfel dort, sind aber nit durch, wann die Bauern nit lugen. Da hab ich meine zween Kameraden auf die Höh geschickt, daß sie ausspähn, und bin hui gen Höllrich hinunter, ob sie etwan zum Main hinzögen. Will sie aber auch dort keiner gesehn haben. Wie ich wieder herauf komm, seh ich so zwei Landschaden unter der Buchen hocken, dacht mir, das sind sie, paß ihnen da im Busch für und hab freilich einen Lumpen im Netz, aber den rechten nit.«

Er hob sich im Sattel und tat umgewendet einen scharfen Pfiff. Etliche hundert Gänge gegen Westen hin, wo die Straße durch den Einschnitt in bebüschten Hügeln auf das Dorf zu ging, kam nach einer Weile von rechts und links je ein Reiter aus dem Gehölz herunter. Der Schau winkte ihnen, stehn zu bleiben.

»Wo wollt ihr hin?« fragte er den Pfeifer.

»Hinunter da. Ich staub aus der Gurgel. Es muß da am Fluß wo ein Schöcherbett (Wirtshaus) sein, das mir in gutem Andenken steht.«

»Stimmt. Die Roßmühl. Da find ich meine Landstörzer auch, wann sie nit noch wo im Holz stecken. Der Wirt ist ein Aasgeier und allen Diebszeugs Hehler und Quartiergeber, nit zuletzt dem Thomas von Absberg sein Rentamtmann.«

»Ein gescheiter Kober (Wirt, der ein Hehler ist), wie die Gleicher (Genosse aus der Gaunerzunft) sagen,« meinte der Pfeifer.

Der Schau: »So ist's, und darum zieht's dich wohl hin, du jenischer Kund (einer, der der jenischen [Gauner] Sprache kundig ist).«

Der Pfeifer drauf: »Na, bist du etwan ein wittscher Kaffer (einer der ihrer unkundig ist)?«

Sie hatten sich inzwischen in Bewegung gesetzt.

»Ich dächt, du wärst zu Nürnberg ein Glidenfetzer worden,« fuhr der Schau fort.

Der Pfeifer: »Ei, damit etwan dein Bremsgängel in solchem 19 Wirtshaus freundschaftshalber zum Stecken zehren (umsonst zehren) kunnt? Du bist immer aufs Wohlfeile aus gewesen.«

Der Schau: »So auch jetzt. Mein Junker hat mich geschickt, Rosse kaufen.«

Der Pfeifer: »Ei, darum steht dir der Sinn nach dem Trappert, den der Kaufmann mit seinem Leben hat lassen müssen.«

Der Schau: »I freilich. So spar ich die teuern Gulden.«

Der Pfeifer: »Für deinen eigenen Rippart (Säckel), du guter und getreuer Knecht.«

Der Schau: »Wann ich den Gaul heimbring, ich rechn ihn preiswert. Was er mich kost, und wär's eine Maulschell, wen geht's was an?«

Sie kamen zur Stelle, wo der steile Weg ins Tal abzweigte.

»Beim Loe Ganhart (Teufel)!« sprach der Schau, sich überbeugend. »Da geht wahrhaftig die frische Spur hinab. Ein Karren und gute Hufe. Itzt Fürsicht, daß sie nit wieder auswischen. In Weikersgrüben gehn abermals drei Weg auseinander. Geht ihr da hinunter, spannt und lust umher. Ich schick die zwei andern dort herum und komm auch da langsam nach. Geht die Spur wo abseits, so bleib stehen und wart mir. Sonst treffen wir uns in der Roßmühl.«

Der Pfeifer: »Gut. Und blechst einen gefünkelten Joham (Branntwein) für's frohe Wiedersehen.«

»Auf Gegenstoß. Doppelt hält besser.«

Der Schau trabte die Straße entlang. Die zwei Fahrenden bogen talab. 20

 


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