Hans von Hammerstein
Die blaue Blume
Hans von Hammerstein

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Als Peter erwachte, blickte schon das Morgenrot über die dunklen Waldwipfel, in denen die Vögel fröhlich dem Tage entgegensangen. Er konnte sich erst gar nicht zurechtfinden. Er lag in einen weiten grauen Mantel gehüllt mitten auf der Waldwiese unter einem jungen Erlenbaum. Langsam erinnerte er sich an alles, was er in der vergangenen Nacht erlebt hatte, an seine Befreiung aus dem finstern Turm und an den Gesang und Tanz der lieblichen Elfen, von denen er indes nicht mehr wußte, ob sie ihm im Traume oder wirklich erschienen waren. Denn, nachdem sie 105 ihn mit ihren Zauberweisen eingesungen, hatte er noch so wunderschön fortgeträumt, er wäre auf einmal ein reicher, glänzender Königssohn geworden, – und nun war alles wieder nicht wahr. Er rieb sich die Augen, sprang auf und betrachtete erstaunt den Mantel und konnte sich durchaus nicht erinnern, wo er denselben her hatte. Als er aber nun die weiten Falten auseinanderschlug, entfuhr ihm ein lauter Ausruf des Erstaunens. Denn er war überaus prächtig gewandet, wie ein wahrhafter Königssohn. Statt des Magisters schäbigem Röcklein, das ihm überall zu kurz und zu eng gewesen, trug er ein blauseiden Wams, dessen kunstvolle Silberstickerei wie von Elfenhand geschaffen schien und leuchtete gleich hellem 106 Mondschein. Darüber an einer goldenen Kette hatte er ein blankes Weidmesser und ein silbernes Jagdhorn hängen. Und an der Hand staken ihm zwei gleiche goldene Ringe mit leuchtend blauen Edelsteinen, und in jeden der Steine war eine seltsame Blume geschnitten. Das Staunen wollte kein Ende nehmen; denn wie er nun die Kapuze des Mantels zurückschlagen wollte, merkte er, daß er am Haupte ein Krönlein trug, und wie er es herunternahm, war's ein Lorbeerkranz aus purem Gold. Am meisten bewunderte er das Horn, auf welchem eine ganze Landschaft mit Bäumen, Felsen, Quellen und Waldtieren eingegraben war. Und wie er es jetzt an den Mund setzte und zaghaft hineinstieß, erschrak er über den 107 hellen Klang, den es weithin durch den stillen Wald tat. Und plötzlich begann es rings unter den Bäumen zu rascheln, als kämen viele Hasen angelaufen. Es waren aber lauter kleine bärtige Männlein, kaum drei Spannen hoch, die kamen von allen Seiten auf ihn zugetrippelt, und einer stellte sich vor ihn hin, machte mit überkreuzten Armen eine Verneigung, die alle andern wiederholten, und fragte, was er begehre. »Habt ihr mich so prächtig gekleidet, während ich schlief?« fragte Peter. »Nein,« antwortete das Männlein, »das haben die Elfen auf Geheiß der Waldkönigin getan.« »Und wer und wo ist diese gütige Waldkönigin, daß ich mich bei ihr bedanken kann?« fragte Peter weiter. Da zuckte das Männlein mit 108 den Achseln und sprach: »Die ist schon wieder weit irgendwo auf der Jagd. Weiß nicht, wo Ihr sie finden mögt.« Indem kam's den Berg herab mit schweren, gewichtigen Schritten und mächtigem Rauschen, als führe der Wind durch die Wipfel. Und auf die Wiese heraus trat ein ehrwürdiger Greis von riesiger Gestalt, der hatte einen dunkelgrünen Mantel um die Schultern, und sein langer, schneeweißer Bart hing ihm bis übers Knie herab. In der Hand trug er einen langen Stab, der oben grüne Blättlein trieb. »Ich bin der Waldgeist Silvan,« sprach er mit tiefer, klangvoller Stimme. »Seit viel hundert Jahren wieder hört ich König Elmreichs Horn erschallen. Da dacht ich, ob wohl der herrliche Weidmann aus 109 seinem kühlen Waldgrabe auferstanden sei zu neuem fröhlichem Jagen.« »Wer war König Elmreich?« fragte Peter verwundert den Greis. »Ach,« erwiderte jener, »das war ein mächtiger Herrscher und kühner Jäger in diesen Ländern und der Waldkönigin Liebster. Sie schenkte ihm dieses Horn, das von Zwergenhand wunderbar verfertigt ist. – Der arme junge König! Eine Nixe, die eifersüchtig war, da er die Waldkönigin liebte, gab ihm, als er sie um einen frischen Trank bat, im Wasser den Saft einer Pflanze, davon man schläfrig wird. Und wie der König nun einem Wild in die Felsen nachstieg, fielen ihm plötzlich die Augen zu und er stürzte herunter und war tot. Da trauerten die Wälder sieben Jahre um ihn, und 110 die Buchen, die er vor allen Bäumen lieb gehabt, wurden gelb mitten im Sommer. Auf sein Grab aber pflanzte die Waldkönigin die blaue Blume, und ich hab es wohl vernommen, daß Ihr sie gestern fandet und wie man sie Euch raubte. Nun hat Euch die Königin, wie ich sehe, wohl zum Lohne dafür, daß Ihr Euch die Blume nicht mit schnödem Golde abkaufen ließet, König Elmreichs Horn gegeben. Und jetzt seid Ihr so gut ein König wie jener alte da drüben im Schlosse, und seid sein Erbe obendrein. Denn einer alten Sage nach wird der, der König Elmreichs Horn wiederfindet, über diese Lande und Wälder herrschen. Glück zu, junger Prinz! Und wenn Ihr einmal Euer Erbe angetreten habt, dann schont mir meine 111 Wälder, auf daß wir gute Freunde bleiben für alle Zeit.« Und ehe Peter ein Wort erwidern konnte, hatte sich der Greis schon gewandt und ging mit langen Schritten in den Wald zurück, wo er verschwand. »Folgt mir,« sprach jetzt das kleine Männlein wieder, »ich führe Euch auf einsamen Wegen, wo Euch niemand sieht, zum Kirchlein, wo Ihr Eure Hochzeit halten sollt.« Die übrigen Zwerge verliefen sich, wie sie gekommen waren, und der überglückliche Peter ging den Weg, den sein seltsamer kleiner Führer einschlug. – – – 112

 


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