Hans von Hammerstein
Die blaue Blume
Hans von Hammerstein

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Die liebe Frühlingssonne schien lachend in den dampfenden, schallenden Morgen, die Schwalben schossen zwitschernd hoch im Blauen, und je tiefer hinter ihm die heimatlichen Felder und Auen versanken, je neuer und prächtiger die funkelnde Welt vor ihm aufstieg, desto mehr löste sich die Bangigkeit, die anfangs noch sein Herz umklammert hatte, desto kühner und kräftiger griffen seine Schritte aus, desto heller und freudiger wanderten seine Blicke über die reichen Gefilde. Und schließlich ward er so fröhlich wie die Lerchen, die rings um ihn aufstiegen, und es überkam ihn mächtig die Lust, auch eins zu singen wie diese; und er sang: 13

»Der Frühling hat in diesen Tagen
Wohl über Strom und Feld und Wald
Sein blühend Reich weit aufgeschlagen,
Grün, weiß und blau sein Banner wallt.

Grün ist die Hoffnung, wie die Bäume,
Weiß: Jugend, die nichts Böses kennt,
Blau sind der Sehnsucht süße Träume
Und, wie der Himmel, ohne End'.

Mit Sehnsucht recht und frohem Hoffen
Grüß ich die Welt im Sonnenschein,
Mir ist, es stünd der Himmel offen,
Und ich ging gradenwegs hinein!« 14

Ein wacker Lied aber hilft zum Wandern schier wie ein paar Flügel. Und als der Abend kam, war Peter über ein Gebirg schon tief in fremdes Land gekommen. So wanderte er noch etliche Tage fort, und das Reisen gefiel ihm immer besser. Zu Nacht blieb er in Städten oder Dörfern, auch wohl unter freiem Himmel. Und da sein Reisepfennig noch vorhielt, gedachte er, dies freie, schöne Leben noch einige Zeit fortzuführen, um die Welt recht vom Grund aus kennen zu lernen.

Da geschah es eines schönen Tages, daß er an der Landstraße einen wohlgekleideten Junker sitzen fand. Der stützte grübelnd den Kopf in die Hände und sah verwirrt und betrübt aus. Peter blieb vor ihm stehen, und fragte 15 ihn, was ihm Übles widerfahren sei. Da sah jener ganz verstört auf und erwiderte: »Je nun – ich suche halt auch die blaue Blume.« – Peter aber meinte, er wolle Spaß machen und lachte. »Lacht nicht,« sprach der Junker verdrießlich, »das ist eine bitterernste Sache und hängt mein ganzes Lebensglück daran.« Da wurde Peter doch stutzig und meinte, der Mann wäre nicht recht bei Troste. »Und zu welchem Ende sucht Ihr die blaue Blume?« forschte Peter weiter. »Ihr kommt wohl aus der Fremde,« entgegnete der andere, »sonst würdet Ihr nicht so fragen.« »Gewiß,« versetzte Peter, »manche Tagereise hab ich hinter mir. Aber sagt mir doch, was Ihr mit der blauen Blume wollt.« »Ach, die Prinzessin will sie doch 16 haben.« »Welche Prinzessin?« »Nun, unseres Königs Tochter, die Prinzessin Florigunde. Ihr kennt sie nicht? – Ach, die ist schön! Prinzen, Grafen und Edelleute werben um ihre Hand, sie aber will nur den zum Gemahl, der ihr die blaue Blume bringt, und wenn er ein Schneidergesell wäre. – Drum such' ich sie und will sie finden.« – Da merkte der Peter, daß dem armen Junker nicht zu helfen wäre. Und er sagte ihm einige Worte des Trostes und ging weiter. – – –

Nicht lange aber, da sah er eine große, goldverzierte Karosse am Wege halten, und einige Leute liefen mit viel Geschrei über die Wiese und krochen an den Hängen umher. Und wie er staunend stehen blieb, kam 17 ein kleiner Kerl mit einer spitzigen Nase und Brillen darüber auf ihn zu und rief: »Wollt Ihr mithelfen die blaue Blume suchen? Der schöne junge Herr dort ist der Prinz Eustachius. Der braucht die blaue Blume. Wenn Ihr sie findet, sollt Ihr fürstlich belohnt werden, so daß Ihr Euer Lebtag keine Sorgen mehr ums liebe Brot haben braucht. Wollt Ihr?« »Ist's bei Euch auch von wegen der Prinzessin Florigunde?« fragte Peter. »Ja natürlich,« versetzte jener. »Ei, und da glaubt Ihr, wenn ich die blaue Blume fände, ich würde sie Euch um alles in der Welt verkaufen?« lachte Peter. »Ihr werdet doch nicht eine Prinzessin heiraten wollen?« warf jener geringschätzig ein. »Warum nicht?« versetzte Peter. »Sie nimmt doch den 18 zum Manne, der ihr die blaue Blume bringt, und wär's ein Schneidergesell.« »Ach, das sagt sie nur im Scherz,« meinte der andere, »sie wird doch nur einen Prinzen nehmen.« »Nun, wie sie's meint, ist mir einerlei, wenn's mir gerät, will ich sie auf die Probe stellen,« rief Peter und ging weiter.

Aber er wurde nun doch hinterdenklich und dachte, daß die Prinzessin wohl sehr schön sein müsse, wenn sie die Leute so verrückt mache. Denn das mit der blauen Blume, dachte er, wäre doch wohl nur eine List, mit der sie sich auf gute Art die vielen Freier vom Halse hielt, bis der Rechte käme. Und tief in Gedanken setzte Peter seinen Weg fort. Die Sonne neigte sich schon, da sah er vor sich auf der 19 Höhe ein großes, herrliches Schloß liegen, und aus dem Walde, der vor demselben aufragte, klang es herüber wie Flöten und Geigen und Festlärm.

Ein sonntäglich gekleideter Bauersmann ging vor ihm her, den holte Peter ein und fragte ihn, wem das schöne Schloß gehöre. »Das gehört unserm König«, antwortete dieser, »und heute gibt's ein großes Fest dort, denn es wird der Geburtstag der schönen Prinzessin gefeiert mit freiem Trunk und Tanz für alles Volk. Komm mit, wir wollen uns einmal etwas zugute tun.« »Gerne,« versetzte Peter und freute sich der Gelegenheit, die vielgerühmte Prinzessin kennen zu lernen. – – – 20

In dem Walde vor dem Königsschloß ging es lustig zu. Unter den Bäumen waren Bänke aufgeschlagen und Buden, da vergnügte sich viel Volk bei Speis' und Trank. Weiter dem Schlosse zu lag eine Wiese, dort drehten sich die tanzenden Paare, und der ganze Hof sah von einem Hügel aus unter einem prächtigen Purpur-Baldachine, der zwischen den Bäumen ausgespannt war, dem fröhlichen Treiben zu. Schon von weitem sah Peter den König sitzen, und neben ihm auf das Geländer, das mit bunten Wappendecken behangen war, lehnte sich ein überaus schönes Mädchen, das mit den Kavalieren, die sie von allen Seiten umdrängten, lustig plauderte und lachte. Das mußte wohl die Prinzessin sein, und um sie recht betrachten zu können, 21 drängte sich Peter durch die Tanzenden bis an des Hügels Rand, wo er knapp unter den klingenden Geigen und schmetternden Trompeten der Musikanten stehen blieb. Und wie sich nun die Prinzessin einmal herumwandte, und er ihr Gesicht recht deutlich erblicken konnte, da war es ihm just, als ginge ein heller Blitz vor seinen Augen hin, so schön war sie. Und alles ringsum vergessend, stieg er einige Schritte den Hügel hinauf, immerzu die schöne Prinzessin angaffend. Da wurde er plötzlich durch ein schallendes Gelächter aus seiner Verzückung geweckt. Die Kavaliere und Damen des Hofes waren durch die Erscheinung des verblüfften Wanderburschen, der mit großen Augen und offenem Munde auf sie zukam, 22 gar sehr belustigt, und als er nun bei ihrem Gelächter, wie aus dem Traume geschreckt, zusammenfuhr und sich verlegen so allein dicht vor den hohen Herrschaften erblickte, wollte ihr Gelächter erst recht kein Ende nehmen. Auch die Prinzessin lachte, und ihr Lachen klang wie ein Silberglöcklein durch all' die Stimmen, daß es Peter ganz eigen durchs Herz ging. Über diese unerwartete Lustigkeit hatten auch die Leute unten aufgehört zu tanzen und sahen erstaunt herauf, die Musik brach ab und es trat plötzlich eine tiefe Stille ein, die für Peter nur um so peinlicher war. Er aber ärgerte sich seiner lächerlichen Lage und der dummen Gesichter, die ihn rundum anglotzten, und schnell entschlossen sprang er zur Musik hin, 23 riß einem der Spieler die Zither aus der Hand, schlug ein paar volle Akkorde an und begann frisch zu singen: – – – 24

»Im tiefen, tiefen Walde,
Blüht eine blaue Blum',
Für die, wenn ich es hätte,
Gäb ich ein Fürstentum.

Denn, wer die Blume findet,
Gar große Macht erhält,
Er herrscht als wie ein König,
Fort über alle Welt.

Versteht der Bäche Plaudern,
Der Vöglein hellen Sang,
Und was die Wälder rauschen,
So schön den Berg entlang.

Und was am Himmel droben
Sich sagen Mond und Stern',
Und was die Wolken wissen
Von schönen Landen fern.

Die stillen Berg' durchschaut er,
Als wären sie Kristall, 25
Sieht drinn' mit Gold hantieren
Die kleinen Zwerge all'.

Sieht aus der Flut auftauchen
Nixen im Mondesglanz,
Im Erlengrunde schweben
Der Elfen lustigen Tanz.

Und wo er immer wandert,
Im Wald und über die Heid',
Ihm ist doch nimmer bange
In seiner Einsamkeit.

Und wer die Blume will finden,
Muß haben ein lustig Blut,
Und Augen wie ein Sperber
Und frischen Wandermut.

Und bin ich auch nur ein armes
Landfahrendes Schülerlein,
Die Blume muß mir werden! –
Gilt's, Königstöchterlein?« 26

»Hat's gut gemacht, hat's gut gemacht,
drum wird er nicht mehr ausgelacht,«

rief der König und klatschte in die Hände. Und der ganze Hofstaat fiel mit Applaus ein. Auch die Prinzessin klatschte fröhlich mit, und als sich der Beifallssturm gelegt hatte, erhob sie sich und sprach: – – –

»Dein Liedlein, lustiger Scholar,
Gefällt mir gut, ist schön und wahr.
Wohlan es gilt! – Als Unterpfand
Reich ich zum Tanze dir die Hand!«

Und auf ihren Wink hub die Musik ein Menuett zu spielen an, und der glückliche Peter tanzte mit der schönen Prinzessin ganz allein auf dem Wiesenplan, daß das Volk, welches ehrfürchtig zur Seite gewichen war, verwundert zuschaute. Und der Hof klatschte nochmals Beifall, denn Peter wußte sich 27 gar zierlich im Takte zu bewegen und tanzte recht mit voller Seele, und das Paar gewährte einen lieblichen Anblick.

Indem aber ging auf der Hoftribüne ein gewaltiger Rummel los. Prinz Eustachius war von seiner – wie immer – erfolglosen Blumensuche zurückgekehrt und, da aller Blicke auf die Tanzenden gerichtet waren, unerwartet von hinten unter die Hofgesellschaft getreten. Auf einmal fing er laut zu fluchen an und drängte sich schimpfend, mit rücksichtslosen Ellenbogen Damen und Herren wegstoßend, zum König; denn er glaubte nicht anders, als der tanzende Wanderbursch hätte fürwahr die blaue Blume gefunden und ihm die schöne Prinzessin vor der Nase weggeschnappt. 28 Und hinter ihm kam jenes kleine Männlein mit der spitzigen Nase und den Brillen, das vorhin auf der Straße Petern angesprochen hatte – das war nämlich des Prinzen Leibmedikus und Sekretarius, nannte sich stets Magister Martinus perdoctissimus und tat nicht wenig gelehrt und wichtig, so daß ihn niemand leiden konnte; und der rief in einem fort: »Skandal, Skandal! Diese impossible Mesalliance muß verhindert werden!« Der König aber, als er ihren Irrtum bemerkte, lachte unbändig und beruhigte dann den Prinzen, dem vor Erregung der kalte Schweiß auf der Stirne stand, indem er ihm den ganzen Hergang der Sache erklärte. Inzwischen hatten die Prinzessin und Peter ihr Tänzchen geendigt und Peter reichte der lieblich-erhitzten 29 jungen Dame feierlich die Fingerspitzen und führte sie zum Thronsessel zurück, wo er vor ihr eine tiefe, galante Verbeugung machte, so schön wie ein gelernter Hofmann. »Ein prächtiger Junge!« sagte die Prinzessin zum Prinzen Eustachius gewendet. Der aber warf nur beleidigt und verachtend die Lippen auf und sah über Peter weg ins Blaue. – – –

Der König indes hatte einen Humpen mit Champagnerwein füllen lassen und reichte denselben nun höchsteigenhändig Peter mit den Worten: »Er hat unser Herz erobert, junger Springinsfeld. Und weil Er uns gefällt, mög' Er so lange hier bleiben, als es Ihm behagt. Ich brauche just einen, der ein findiger Kerl ist und auch die Feder flink zu 30 führen weiß, weil mir mein alter Schreiber schon zu gebrechlich und langsam wird. Den Posten mag Er haben. Und es soll Ihm wohlergehen bei uns, wenn Er sich brav aufführt.« »Eingeschlagen, Sire,« entgegnete Peter, »just das zu suchen bin ich ausgezogen. Ich hoff', meine Handschrift soll Euch konvenieren und auch mein sonstiger Habitus. Nur zuviel in der Schreibstub' möcht' ich nicht hocken brauchen, denn obzwar ich die Stubenkünste zu meinem Lebenszwecke erkoren, bin ich doch alleweil ein lustiger Vogel geblieben, dem selbst ein goldener Käfig zu enge wäre, kenn mich auch in artibus equestribus, als Jagen, Reiten und Fechten, ditto in der feinhöfischen sowie ländlich-idyllischen ars amatoria nicht übel aus, derohalben es mir 31 höchlichst erwünscht und agreable wäre, wenn mich Ew. Majestät mehr in höchstdero auswärtigem Dienste verwenden wollten, allwo ich Ew. Hoheiten mit flinken Beinen, guten Augen und Einfällen gute Dienste zu leisten hoffe.« »Soll geschehen,« sprach der König freundlich, »laß Er sich inzwischen von unserem Haushofmeister ein Unterkommen und bessere Gewandung zuweisen.« Damit winkte er ihm noch einmal gnädig und gab durch sein Erheben das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch. Auch die Prinzessin schenkte ihm noch ein huldvolles Kopfnicken und Lächeln im Fortgehen.

Der Magister Martinus aber hatte die ganze Zeit den Peter naserümpfend von oben bis unten gemustert und 32 betrachtete ihn mißtrauisch als einen, der ihm unbefugt ins Handwerk pfusche, da er alle Wissenschaft und Gelehrtheit für sich allein in Pacht genommen zu haben glaubte. Jetzt machte er sich gleich an Peter heran und umkreiste ihn knurrend, wie ein Hund, der Händel sucht, und ließ dabei allerlei unfreundliche lateinische Bemerkungen fallen. Indem flog ihm eine Gelse in den Rachen, und er begann plötzlich heftig zu husten. »Seht,« rief ihm Peter zu, »da ist Euch ein Brocken Eurer Gelahrtheit im Halse stecken geblieben. Das kommt davon, wenn man Latein als Umgangssprache nicht gut genug beherrscht.« Der König, der das eben noch hörte, drehte sich geschwind um und fragte: »Nun, Magisterlein, was 33 habt Ihr denn da an meinem neuen Hofpoeten auszusetzen, daß Ihr ihn allbereits angerempelt habt?« – »Odi profanum vulgus et arceo, wie unser großer Virgil sagt,« entgegnete darauf der Magister stolz sich in die Brust werfend, und wollte weggehen. »Ihr irrt Euch,« rief ihm Peter nach, »das sagt Horaz. Aber – – –

quanto doctior magister
Tanto maior asinus
ist er!

Wißt Ihr, wo dies Zitat zu finden ist? – Nicht! – Nun, auf Eurer langen Nase steht's geschrieben, so deutlich, daß es jeder Bauer verstehen kann, der auch sein Leben kein lateinisches Wort gelernt hat.« – Da erhoben alle Umstehenden von neuem ein gewaltiges Gelächter; der arme Magister 34 zischte und wollte mit seinem Spazierstöckchen auf Peter los, der aber war mit ein paar Sprüngen behend in der Menge verschwunden. – – – 35

 


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