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Siebentes Kapitel.
Von Fakiren, Zauberkünstlern und Gauklern

Der Fakir in Legende und Wirklichkeit – Selbstquälereien der Fakire – Der dauernd emporgereckte Arm – Fanatiker, die sich unter die Räder werfen – Wie sich ein Jogin lebendig begraben läßt – Indische Gaukler – Der Korbtrick – Der Mangotrick – Selbsttäuschung der Zuschauer – Der angebliche Trick des Abhiradan – Schlangenbeschwörer und ihre Technik – Kampf zwischen Schlange und Mungo


Das Wort Fakir ist arabischer Herkunft und bedeutet »Armer« im Sinne unseres Begriffes »Armer Sünder«, also einen Menschen, der die Barmherzigkeit Gottes benötigt. In Europa versteht man unter Fakiren hauptsächlich jene indischen Fanatiker, die bei Vernachlässigung ihres Körpers diesen, um Gott wohlgefällig zu sein, schmerzhaften Peinigungen unterziehen, daneben auch seltsame Wundertaten und Zauberkünste verrichten. Der Inder gebraucht das Wort Fakir nicht, er hat für die Büßer andere Namen, wie Jogin, Samnyasi, Gosain usw., aber da wir in Deutschland nun einmal gewöhnt sind, solche Leute Fakire zu nennen, so mag der Ausdruck auch in diesem Kapitel beibehalten werden.

Das Fakirtum ist aus der uralten Joga-Lehre, einem Bestandteil der indischen Philosophie, hervorgegangen. Unter Joga versteht man das Bestreben, durch beschauliche Versenkung des Geistes Wunderkräfte aller Art und die Erlösung zu erringen. Acht übernatürliche Fähigkeiten sollten dem Jogin, dem Jünger der Joga-Lehre, zuteil werden: er sollte sich leicht oder schwer, klein oder groß machen können, alle Wünsche würden ihm in Erfüllung gehen, er sollte vollkommene Herrschaft über seinen Körper, sowie über den Naturlauf erreichen und schließlich die Gabe besitzen, überallhin zu gelangen. Es wurde den Jogin also, wie man sieht, nicht zu wenig verheißen. Um nun recht schnell in den Geruch der Heiligkeit zu kommen und der in Aussicht gestellten Gnaden teilhaftig zu werden, übertrieben die Jogin oder Fakire die vorgeschriebene Entsagung in maßloser Weise. Von einer wirklich geistigen Vertiefung konnte bei vielen von ihnen bald gar keine Rede mehr sein, ihr Verhalten zielte nur auf krasse äußerliche Wirkungen hin, die uns wie Karikaturen der Frömmigkeit anmuten. Mit struppigem Haar, das oft in langen, verfilzten Strähnen bis zum Boden herabhängt, völlig verwahrlost und nackt, oder nur mit einer Andeutung von Schurz bekleidet, den Körper ganz mit Asche beschmiert, die tiefliegenden Augen funkelnd vor Fanatismus, so zogen und ziehen diese gewerbsmäßigen Büßer als wahre Landplage durch Indien und unterziehen sich widerwärtigen, absolut zwecklosen und stumpfsinnigen Selbstkasteiungen. Da setzen die einen sich unbedeckten Hauptes beständig dem glühenden Sonnenbrand aus, andere bereiten sich ein Lager aus Scherben oder spitzen Nägeln, andere wieder lassen sich überhaupt nicht nieder, sondern stehen Tag und Nacht wie unbewegliche Säulen. Dieser rauft sich zur höheren Ehre Gottes Kopf- und Barthaare aus, jener magert, indem er sich auf ein Minimum von Nahrung beschränkt, zum lebendigen Skelett herab, ein dritter läßt sich an Haken, die man ihm ins Fleisch bohrt, in die Luft emporziehen. So wird die Frömmigkeit zur Fratze, zur abscheulichsten Verirrung, so erniedrigt und entwürdigt sich die menschliche Natur in dieser Sorte Fakire aufs tiefste. In Wahrheit sind die sogenannten Fakire zum größten Teil unsagbar schmutziges, arbeitsscheues Gesindel, das sich unter der Maske der Heiligkeit von der abergläubischen, dumpfen Masse füttern und bewundern läßt. Neben diesen Bettelfakiren gibt es nun auch würdigere Vertreter der Lehre des Büßertums und der Entsagung. Viele haben eine höhere philosophische Schulung hinter sich und ziehen als religiöse Lehrer und Berater umher. Neben den berufsmäßigen, von klein auf dazu erzogenen Fakiren findet man auch zahlreiche, wenn man sie so nennen darf, Amateur-Fakire. Es kommt nämlich gar nicht selten vor, daß ein wohlhabender Inder in vorgerückten Jahren plötzlich seine Besitztümer verteilt und sich, von allem entblößt, als Büßer von der Welt zurückzieht, für den Rest des Lebens nur der Betrachtung seines Nabels gewidmet. Andere Fakire wiederum, die Aristokraten ihrer Zunft, verschmähen die niedrigen Gaukeleien der umherziehenden Kollegen und geben, natürlich nicht umsonst, nur Wunderkünste höheren Grades zum besten.

Es ist wahrhaftig nicht leicht, ganz unbefangen und vorurteilsfrei an die Betrachtung des indischen Fakirtums heranzutreten. Was ist nicht schon alles darüber geschrieben und gefabelt worden! Hauptsächlich von Leuten, die Indien und die Fakire nicht aus eigener Anschauung kannten, sondern mehr oder minder gutgläubig alte Legenden übernahmen und immer von neuem längst widerlegte Märchen vorsetzten. Übertrieben diese nach der einen Seite, indem sie aus unzuverlässigen Quellen schöpften und dem Stoff nicht kritisch genug gegenüberstanden, so schossen andere wiederum ebenso fehl, indem sie mit allzu großer Skepsis alles Wunderbare und Unerklärliche der indischen Mystik einfach bestritten und die oft erstaunlichen Vorführungen der besseren Fakire durchweg als Humbug abtun wollten. Das eine ist so falsch, wie das andere. Wer lange in Indien gelebt hat, hat zuviel Seltsames erfahren, als daß er lediglich den platten Rationalismus gelten lassen kann, auch wenn er sonst wenig Neigung zum Wunderglauben hat. Man muß eben Unterscheidungen machen können. Es gibt Fakire, und das sind freilich die meisten, deren Vorführungen weiter nichts als mehr oder minder geschickte Gaukeleien sind, die jeder europäische Varieté-Zauberer ebenso gut oder besser produziert, und es gibt Fakire, für deren höchst überraschende Tricks man trotz allen Deutungsversuchen doch noch immer keine völlig befriedigende Erklärung hat.

Ohne mich in den Streit der Meinungen mischen oder mir gar ein entscheidendes Urteil anmaßen zu wollen, möchte ich im Nachstehenden einige meiner persönlichen Beobachtungen und Erlebnisse mitteilen, wobei ich es selbstverständlich ganz dem Leser überlasse, sich seine Ansicht darüber zu bilden. Ich gehe dabei vielleicht ein bißchen systemlos zu Werke, indem ich die Fälle bunt durcheinander in der Reihenfolge wiedergebe, wie sie mir gerade ins Gedächtnis kommen, aber auf Pedanterie erhebt dieses Buch ja ohnehin keinen Anspruch.

Zunächst ein paar Beispiele für die kaum glaublichen Selbstquälereien der Fakire, auf die ich vorhin schon angespielt habe. Sehr häufig habe ich Asketen auf Brettern sitzen sehen, die förmlich gespickt mit Nägeln waren, so daß sie wie Hecheln aussahen. Mit Gesäß und Fußsohlen, beides ungeschützt, auf den Nägeln hockend, verharren sie viele Stunden lang in dieser Stellung, manche erteilen dabei den Gläubigen auf Wunsch und gegen Bezahlung auch Ratschläge in schwierigen Angelegenheiten. Es läßt sich denken, von welcher Qualität die Ratschläge dieser unwissenden Bettelfakire sind, wahrscheinlich sind im Vergleich dazu die Prophezeiungen unserer Zigeunerweiber Worte tiefster Weisheit. Diese Leute richten viel Unheil an, indem sie dem betörten Volk häufig geradezu verbrecherische Winke geben, zum Beispiel bei Familienkonflikten die meuchlerische Beseitigung lästiger Verwandten nahelegen. Rätselhaft war mir immer, wie die Fakire auf den (allerdings abgestumpften) Nägeln sitzen können, ohne daß diese sich in die Haut einbohren. Ich kann es mir nur dadurch erklären, daß die Haut der betreffenden Körperstellen durch jahrelange Gewöhnung lederartig dick und gefühllos geworden ist. Es gibt aber auch Fakire, die sich auf einem mit Nägeln gespickten Brett buchstäblich umherrollen, so daß die Nagelspitzen überall in die Haut eindringen und heftige Blutungen hervorrufen. Ein scheußlicher Anblick! Doch das Geschäft scheint sich zu lohnen, denn je toller der Fakir es treibt und je stärker es blutet, desto reichlicher fließen die Spenden der ihn bewundernden Gläubigen in den Almosennapf, der zu den wichtigsten Requisiten des Büßers gehört.

Noch verblüffender war der Anblick eines Asketen, der seinen Kopf in die Erde eingegraben hatte. Der Fakir gräbt zu diesem Zweck zunächst ein hinlänglich tiefes Loch in den Erdboden, bedeckt den Kopf mit einem Tuch, steckt dann den Kopf in das Loch und streckt die mit einem Stab gestützten Beine in die Luft. Die Erde wird rings um das Loch aufgehäuft und fest angedrückt, so daß Kopf und Hals bis zu den Schultern vollkommen in der Erde stecken. In dieser verrückten Stellung können die Leute eine Stunde und länger verharren. Auf welche Weise sie dabei atmen, ist unbegreiflich. Der naheliegende Verdacht, daß sie ein Bambusröhrchen oder ein ähnliches Hilfsmittel in das Loch hineinschmuggeln und dem Munde Luft zuführen, findet bei näherer Untersuchung keine Bestätigung.

Zahlreich sind die Fakire, die sich spitze Nadeln, Messer und dergleichen in die Wangen, die Hände, die Zunge stoßen, ohne daß Blut fließt und sie Zeichen des Schmerzes von sich geben. Solche Kunststücke sind ja auch schon auf unseren Varietébühnen gezeigt worden und können nur den Neuling verblüffen. Der Gaukler stößt sich nämlich das Messer immer wieder in dieselbe längst vernarbte, blutleer und empfindungslos gewordene Wundstelle, so daß die Sache weit gefährlicher aussieht, als sie in Wirklichkeit ist.

Zu den abenteuerlichsten »Glanzleistungen« der Büßer gehört das ununterbrochene Emporrecken eines oder mehrerer Glieder, hauptsächlich der Arme. Da kommt so ein Gosain des Weges daher, in üblicher Weise mit Asche beschmiert, Kopf und Barthaar hängt in zerzausten Strähnen herab, der Blick ist unheimlich starr ins Leere gerichtet. Aber was ist das? Wer es zum erstenmal sieht, glaubt seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Ein Arm des Mannes ragt kerzengerade empor, als wäre er an einer unsichtbaren Schiene befestigt. Selbstverständlich wäre es nun auch bei größter Willensstärke unmöglich, einen lebendigen Arm ununterbrochen so in die Höhe zu recken. Wir treten näher, und in Erwartung einer besonders reichen Spende verwehrt uns der Fakir die Lösung des Rätsels nicht. Der emporgereckte Arm ist nämlich längst kein lebendiges, von Blut durchströmtes, warmes Körperglied mehr, sondern ein abgestorbenes, starres, völlig ausgetrocknetes, armseliges Anhängsel mit zusammengeschrumpfter Haut, wie ein Mumienarm. Und noch Scheußlicheres sehen wir jetzt. Die Fingernägel der zusammengekrallten Hand hatten sich, als sie noch aus lebendigem Gewebe bestanden, nicht bloß in die Handfläche hineingebohrt, sondern sind durch sie hindurch gewachsen, so daß die gekrümmten, schmutzigen Krallen auf der anderen Seite der Hand zum Vorschein kommen!

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Fakir mit eingegrabenem Kopf (Text Seite 160)

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Indische Gaukler: Vorbereitungen zum Korbtrick (Text Seite 171)

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Uralte Baudenkmäler in Anuradhapura (Text Seite 85)

Angewidert wenden wir uns von dem verunstalteten Gliede ab und werfen dem jämmerlichen »Heiligen« ein paar Münzen in den Napf, die als selbstverständlicher Tribut ohne Dank eingesteckt werden. Wie hat er es nun eigentlich zustande gebracht, diese Mißbildung zu erzielen? Das war eine schwierige und schmerzhafte Prozedur. Sie begann vor langen Jahren damit, daß sich der Büßer an einem Stuhl anbinden ließ. Der Arm wurde dann in die Höhe gezogen, ganz straff gespannt und an einem Querbalken derartig befestigt, daß er sich nicht mehr bewegen konnte. Durch Unterbinden der Adern wurde dann der Blutumlauf allmählich gehemmt und schließlich ganz abgeschnürt. Monatelang verharrt der Narr, für dessen körperliche Bedürfnisse inzwischen sein Pfleger sorgt, in dieser qualvollen Stellung, denn das langsame Absterben des mißhandelten Gliedes hat Schmerzen zur Folge, die der »Heilige« aber, den das Volk während der Prozedur zum Gegenstand höchster Verehrung macht, mit fanatischer Selbstbeherrschung lautlos erträgt. Endlich, nach vielen Monaten, ist alles Blut aus dem Arm gewichen, die Muskeln, die keine Arbeit mehr zu leisten haben, erschlaffen, die Sehnen der Gelenke versteifen sich – der Arm wird leblos und starr, so daß er schließlich, auch nach Loslösung von dem Querbalken, in der emporgereckten Stellung verharrt. Der Fakir ist glücklich, er hat, wie er wähnt, ein gottgefälliges Opfer gebracht.

Es gibt aber auch Fanatiker, die sich nicht mit einem Arm begnügen, sondern alle beide absterben lassen. In ihrer Hilflosigkeit, mit zwei dauernd emporgereckten Mumienarmen, müssen sie dann für den Rest ihres Lebens gefüttert und gepflegt werden. Andere Fakire glauben auch solche Rekordleistungen noch übertreffen zu müssen. Sie sind ungemein erfinderisch im Austüfteln neuer sensationeller Selbstquälereien. Ich habe Büßer gesehen, die sich mit den Beinen an einer Schlinge an einem Baumast aufhingen und so wie ein abgestochenes Kalb, den Kopf nach unten, von früh bis abend den bewundernden Blicken der Gläubigen darboten. Unvergeßlich bleibt mir auch jener Asket, der das Gelübde getan hat, sich niemals zu setzen. Da nun aber selbst der willenskräftigste Mensch vor Müdigkeit schließlich umsinken würde, stützte er sich mit Armen und Oberkörper auf ein kleines, an einem Pfahl befestigtes Schwebebrett.

Manchen Fakiren scheinen Kasteiungen dieser und ähnlicher Art noch lange nicht ein völlig genügender Beweis ihrer Bußfertigkeit zu sein. Sie wollen sich durchaus die Glieder zermalmen lassen, wollen zu Krüppeln werden oder, wenn es sein muß, verbluten. Ehe die englische Regierung dagegen eingeschritten ist, haben sich in Puri und Serampore, den indischen Hauptorten für die Anbetung des Gottes Dschagannath, bei den Tempelfesten jährlich Dutzende von Fanatikern unter die Räder der Festwagen geworfen und von ihnen zermalmen lassen. Es gibt anscheinend keine Tollheit, deren diese verworrenen Geister im Zustand ekstatischer Aufgeregtheit nicht fähig wären. Und da der Inder, sonst so fügsam und leicht zu lenken, in diesem Zustand unkontrollierbar wird und sich auch zu Ausschreitungen nationaler Art aufgelegt fühlt, hat die englische Regierung den krassesten Auswüchsen des religiösen Fanatismus ein Ende bereitet.

In Ceylon spielt das Fakirtum bei weitem nicht die große Rolle wie auf dem indischen Festland. Der Singhalese hat bei seinem höheren Grad von Gesittung und Bildung keinen Hang zum religiösen Fanatismus und auch der Tamule hält sich im allgemeinen davon fern. Die früher üblichen » Schwingfeste« mit ihren bluttriefenden Vorführungen sind in Ceylon sehr selten geworden. Bei diesen ländlichen Festen ließen sich fanatische Verehrer der Dorfgottheiten eiserne Haken durch die Rückenhaut ziehen, und an den Haken in der Luft schwebend, wurden sie längere Zeit im Kreis herumgewirbelt. Heute bekommt man, wie gesagt, diese und ähnliche Schauspiele nur noch selten zu sehen.

Alle im Vorstehenden geschilderten Produktionen haben, so ungeheuerlich sie auch bisweilen sind, selbstverständlich nichts mit Wundertaten gemein. Es geht dabei mit vollkommen natürlichen Dingen zu und nur die abergläubische Beschränktheit des Volkes erblickt in den stupiden Selbstschindereien der Büßer und ihren oft damit verbundenen Tricks Offenbarungen einer übersinnlichen Macht. Es gibt aber, wie schon vorhin bemerkt, neben dem Heer der Bettelfakire auch eine kleinere Anzahl von Büßern und Wunderheiligen, die ernster zu nehmen sind und deren Vorführungen größere Aufmerksamkeit beanspruchen dürfen.

Die echten Jogin haben von klein auf eine religiöse Erziehung genossen. Schon im Alter von 3-4 Jahren werden sie in den Tempel gebracht, um von den Priestern für ihren späteren Beruf ausgebildet zu werden. Das körperliche Training der angehenden Jogin zielt darauf hin, daß sie sich durch Selbsthypnose in einen starrkrampfartigen Zustand, eine Art Scheintod versetzen können. Es kommen dabei wahrscheinlich nur solche Personen in Frage, die schon von Hause aus eine natürliche Veranlagung dafür besitzen, das heißt sehr suggestibel sind. Als klassisches Vorbild dient den Schülern der berühmte Jogin Haridas, der vor hundert Jahren in Lahor erstaunliche Leistungen vollbrachte. Die Vorbereitungen dazu bestanden in einer allmählichen, durch Jahre fortgesetzten Lösung des Zungenbändchens und Verlängerung der Zunge durch Einschnitte und andere Kunstgriffe. Der Fakir muß die Zunge 10-15 Zentimeter lang aus dem Munde herausstrecken können, dann hat sie die nötige Länge, um in eingezogenem Zustand den Schlund zu verstopfen und das Atmen zu verhindern. Wenn Haridas sich in Scheintod versetzen wollte, reinigte er zunächst seine Eingeweide durch eine geheim gehaltene Methode von allen Verdauungsstoffen und trank darauf nur reines Wasser, nahm auch ein Hanfpräparat mit Bilsenkraut und Stechapfel ein, das wohl zur Betäubung diente. Nachdem alle Körperöffnungen mit Wachsstöpseln verschlossen waren, wurde der in Leinen gehüllte Körper, der jetzt einem Leichnam ähnlich sah, in einen Sarg gelegt und der Sarg wurde in einem unterirdischen Raume aufgestellt. Hier brachte Haridas mehrere Tage oder Wochen, in einem Fall 40 Tage, im Grabe zu. Man hat sogar einmal über der Grabkammer Weizen gesät, um den Beweis der Unberührtheit des Bodens und des Sarges zu führen. Wenn die im voraus bestimmte Zeit des Scheintodes abgelaufen war, öffneten die Jünger Grab und Sarg und brachten ihren Meister zum Leben zurück, indem sie ihn mit warmem Wasser begossen, ihm einen heißen Weizenmehlteig auf den Scheitel legten, den Mund gewaltsam öffneten, die zurückgeschlagene Zunge hervorzogen und Augenlider und Zunge mit zerlassener Butter bestrichen. Dann begann das Herz wieder zu klopfen, die Atmung stellte sich ein und der lebendige Leichnam wurde allmählich wieder zum Menschen.

Jener Haridas also ist das erhabene Vorbild des angehenden Fakirs. Die Ausbildung beginnt, wie gesagt, sehr früh. Schon im zarten Alter von fünf Jahren muß der kleine Fakirlehrling eine halbe Stunde lang auf dem Boden sitzen können, ohne irgendeinen Muskel zu rühren. Die Frist wird nach und nach verlängert, so daß der Eleve nach einiger Zeit imstande ist, stundenlang regungslos zu sitzen, zu stehen und zu liegen. Mit zwölf Jahren hat der Knabe es soweit gebracht, daß er 24 Stunden lang liegen kann, ohne die geringste Bewegung merken zu lassen. Dann beginnt das Verlängern der Zunge in der vorhin geschilderten Art und zugleich das Üben der Gedankenkonzentration auf eine bestimmte Idee, sowie das Einschläfern der Glieder. Zu diesem Zweck, zum Einschläfern, wiederholt der auf Kissen liegende, von gewissen betäubend duftenden Kräutern umgebene Schüler mit leise singender Stimme fortwährend, oft eine Stunde oder länger, die sinnlosen sieben Worte, »Hohm, lohm, dohm, kohm, ohm, wohm, sahlohm« in und außer der Reihenfolge, bis er seinen physischen Körper in Schlaf versetzt hat, während sein Geist angeblich wach und klar bleibt.

Hat er die Fähigkeit erreicht und kann er bereits zwei Tage regungslos liegen, sowie nach Belieben schlafen oder wachen, dann ist der Eleve für das Üben der eigentlichen Selbsthypnose reif. Er setzt sich mit untergeschlagenen Beinen, in der Art der Buddhastatuen, auf den Boden und starrt mit leicht gesenktem Haupt so lange unverwandt auf den Nabel, bis er in hypnotischen Zustand versinkt.

Ich hatte einmal als Gast eines indischen Fürsten in Madipore Gelegenheit, das Lebendig-Begraben eines echten Jogin zu sehen, der dieselben Fähigkeiten wie der berühmte Haridas besaß. Es war ein Mann von etwa 40 Jahren von starkknochiger Figur und harten Gesichtszügen, ganz und gar das Bild eines religiösen Fanatikers. Wir, das heißt die europäischen Gäste des Fürsten und einige prominente Inder aus der Stadt, begaben uns in den Park hinter dem Schloß, wo schon eine Grube ausgehoben war, die den Fakir aufnehmen sollte. Wir untersuchten das Grab in eingehendster Weise und überzeugten uns, daß alles seine Richtigkeit hatte und nicht die geringsten Vorrichtungen zur heimlichen Luftzufuhr und Ernährung ins Grab eingeschmuggelt waren. Nachdem wir diese Feststellungen gemacht hatten, setzte sich der Fakir in feierlich zeremoniöser Weise aus den Erdboden, formte aus rötlichem Wachs kleine Kügelchen, mit denen er die Ohren und Nasenlöcher verklebte, und zeigte seine enorm verlängerte Zunge, die er darauf so tief wie möglich in den Schlund gleiten ließ. Dann verbeugte er sich ehrfurchtsvoll vor dem Fürsten und seinen Gästen, setzte sich wiederum mit untergeschlagenen Beinen auf die Erde und starrte unverwandt so lange auf seinen Bauch, bis er ersichtlich in autohypnotischen Zustand verfiel. Einer der Gäste, ein englischer Arzt, untersuchte den Mann und stellte fest, daß er sich in einer Art Starrkrampf befand. Der Gehilfe des Fakirs bedeckte ihn jetzt mit einem weißleinenen Sack, der Arzt band den Sack zu und versiegelte die Schnur mit seinem Siegelring. Darauf legte man den Bewegungslosen in eine längliche flache Holzkiste, die gerade nur so groß war, daß sie den Körper aufnehmen konnte, und die Kiste wurde ins Grab versenkt. Die Dienerschaft schaufelte die Grube zu. Schließlich wurde ein Steinblock auf das Grab gewälzt und mit Mörtel derartig fest mit dem Boden der nächsten Umgebung verbunden, daß es unmöglich war, ihn ohne Anwendung äußerster Gewalt und ohne Hinterlassung von Spuren hochzuheben. Zum Überfluß drückten der Fürst und sämtliche Gäste auch noch ihre Siegelringe im Mörtel ab. Es wurde dann ausgemacht, daß wir nach vierzehn Tagen wiederum hier zusammentreffen wollten, um Zeugen der Auferstehung des Begrabenen zu sein.

So war es denn auch der Fall. Als wir uns zwei Wochen später abermals im Garten des Fürsten versammelten, sahen wir in größter Spannung den kommenden Dingen entgegen. Die Meinungen waren geteilt, einige Herren glaubten fest an die Auferstehung des Fakirs, andere erwarteten ebenso bestimmt, eine ausgescharrte Leiche zu Gesicht zu bekommen. Ich muß gestehen, daß uns Europäern ein bißchen unheimlich zumute war. Wir prüften nun zunächst mit aller Sorgfalt die Grabstelle. Der große Stein lag unverändert da, in dem Mörtel am Fuße des Steins waren unsere Siegelabdrücke unverletzt und deutlich erkennbar vorhanden, und in der ganzen Umgebung deutete nicht das geringste auf irgendeinen gewaltsamen Eingriff, irgendeine Veränderung hin. Es befand sich alles in bester Ordnung. Nun brach die Dienerschaft den Grabstein aus seiner Mörtelfassung heraus, wälzte ihn fort und begann das Grab auszuschaufeln, während der Gehilfe des Fakirs auf einem kleinen Herde Reis kochte, um dem Auferstandenen sogleich Nahrung bieten zu können. Die freigelegte Kiste wurde von den Dienern, die dabei vor Erregung am ganzen Leibe zitterten, hochgehoben und auf den Boden gestellt. Unter fast atemlosem Schweigen öffneten wir in ungeheurer Spannung den Deckel. Wir hoben den bewegungslos ruhenden Körper heraus. Die Feuchtigkeit der Erde hatte das Holz der Kiste durchdrungen und den Sack so naß und mürbe gemacht, daß beim bloßen Zugreifen ganze Fetzen der Leinwand an den Händen hängen blieben. Der Gehilfe wickelte den Fakir, oder was von ihm noch übrig war, aus der Hülle heraus – und vor uns auf dem Boden lag ein anscheinend lebloser, von der Erdfeuchtigkeit benetzter Körper mit geschlossenen, tief eingesunkenen Augen und blutlosem fahlem Gesicht. Es schien beinahe, als ob die Skeptiker, die einen Leichnam zu finden erwartet hatten, Recht behalten sollten.

Der Gehilfe begann jetzt die Wiederbelebungsversuche damit, daß er seinem Herrn eine Anzahl heißer Weizenpfannkuchen auf den Nacken legte und ihm die Wachsstöpsel aus Ohr und Nase entfernte. Dann machte er sich mit Hilfe anderer Diener daran, die knochigen, fast fleischlosen Glieder des Fakirs zu reiben und zu massieren. Er öffnete den Mund des noch immer anscheinend Leblosen, zog die Zunge aus dem Schlund hervor, goß etwas geschmolzenes Fett in den Mund und frottierte den Kopf mit gewärmten Tüchern. Und siehe da! Endlich, nach ungefähr einer halben Stunde, als wir die Hoffnung auf Wiederbelebung des Wundermannes schon glaubten aufgeben zu müssen, zeigten sich die ersten Regungen des zurückkehrenden Bewußtseins. Bald darauf schlug der Fakir die Augen auf und seine Lippen bewegten sich. Von diesem Moment an machte die Wiederbelebung überraschend schnelle Fortschritte, so daß er sich schon nach ein paar Minuten erheben konnte, um sich alsbald mit dem frisch bereiteten Reis und einem Krug Wasser zu stärken.

Da hatte ich also einmal »Begräbnis und Auferstehung eines Lebendigen« persönlich vor Augen gehabt. Nach meiner festen Überzeugung, die von allen anderen europäischen Beobachtern des verblüffenden Schauspiels geteilt wurde, konnte in diesem Fall von einer Irreführung, oder deutlicher gesagt, einem Betrug nicht die Rede sein. Der Fall bestätigt ja auch nur zahlreiche andere Erfahrungen derselben Art. Ich enthalte mich als Laie aller Deutungsversuche. Mögen die Männer vom Fach es erklären. Daß der Mensch sehr lange Zeit ohne Nahrung auskommen kann, das ist eine bekannte Tatsache und nicht das eigentliche Wunderbare daran. Aber wie ist es möglich, vierzehn Tage lang ohne Luftzufuhr, ohne Atmung am Leben zu bleiben?

Man ist in Europa gegenüber diesen Vorführungen mit Recht etwas mißtrauisch geworden, weil man den sogenannten Fakiren (es waren niemals echte), die sich bei uns für Geld sehen ließen, allerlei Schwindeleien nachweisen konnte. Aber man muß schon einen Unterschied zwischen solchen Gauklern, die sich mitunter überraschender Tricks bedienen, und den echten Jogin machen, denen es auch niemals einfallen würde, sich auf einer europäischen Varietébühne zu produzieren.

Wer sich zur Mystik und zum Okkultismus hingezogen fühlt, der wird, wie die Eingeborenen Indiens, leicht geneigt sein, den Fakiren übernatürliche Fähigkeiten zuzuschreiben. Im Grund hat aber gerade das »Lebendig-Begraben« nichts mit Übersinnlichem zu tun, es läßt sich zwanglos durch körperliche Eigenschaften und ein mit zäher Energie durchgeführtes Training erklären. Übrigens steht der einigermaßen gebildete Hindu dieser Art von »gottgefälligem Werk«, das doch keinen anderen Zweck als den eines sensationellen Schauspiels hat, ablehnend gegenüber, ohne sich freilich zu einer entschiedenen Verurteilung des Treibens aufraffen zu können. Erstens fehlt es ihm an Mut, sozialen Unsitten öffentlich entgegenzutreten, dann aber sind auch die (verhältnismäßig) aufgeklärtesten Inder immer noch abergläubisch genug und fürchten den Fluch der Bettelfakire. Können sich doch selbst diese »Freidenker« – wenn man sie so nennen darf – nicht von ihren Amuletten und sonstigen Zauberschutzmitteln trennen und sind sie doch vollgepfropft mit Vorurteilen seltsamster Art. Daß ein vernünftig denkender Europäer den ganzen komplizierten Hokuspokus sehr skeptisch beurteilt und besonders seinen religiösen Wert rundweg verneinen muß, ist selbstverständlich. Mit Recht sagt Graf Hermann Keyserling in seinem »Reisetagebuch eines Philosophen«: »Unter den Jogin trainiert sich ein allzu großer Teil nicht aufwärts zu Gott, sondern abwärts zum Tier zurück, denn wenn einer Macht über sonst dem Willen nicht unterworfene Muskeln gewinnt, z. B. den Herzschlag bewußt regulieren lernt, so bedeutet das, daß er in den Zustand des Wurmes zurückgerät, insgleichen, wenn einer sich auf Wochen, ohne Schaden zu nehmen, begraben lassen kann, daß er vermag, was des Winterschlafs fähige Tiere noch besser leisten. Diese Jogin sind sämtlich stupid und gelten auch dafür, die ganze Energie, über die ihr Intellekt allenfalls verfügen könnte, ist bei ihrem Körper gebannt.«

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Irrtümlicherweise werden auch jene indischen Gaukler und Zauberkünstler, die mit den vorhin behandelten religiösen Büßern und Asketen gar nichts gemein haben, vom Europäer meistens Fakire genannt. Wenn es im allgemeinen auch nur arme, herumziehende Gaukler sind, die mit möglichst geringfügigem Apparat arbeiten und sich ihr Publikum auf den Straßen und öffentlichen Plätzen heranbetteln, so lieben sie es doch und verstehen sich gut darauf, sich mit dem Schleier eines undurchdringlichen Geheimnisses zu umgeben. Ihre Kunststücke sind freilich oft verblüffender Art, aber auch bei ihnen bestätigt es sich, daß »Geschwindigkeit keine Hexerei« ist. Gut entwickelte Beobachtungsgabe und die Kenntnis gewisser physikalischer Gesetze befähigen sie zu Tricks, die auf den ersten Blick unerklärlich und übernatürlich zu sein scheinen. Dazu kommt noch, daß manche von diesen Gauklern eine hypnotisierende Gewalt besitzen und es fertig bringen, ohne körperliche Berührung, nur durch die zwingende Überredungskraft ihrer Blicke und Worte selbst eine größere Zuschauermenge in den Glauben zu versetzen, daß sie Dinge sieht, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden sind.

Gleich den Fakiren sind die indischen Gaukler meistens hagere, ausgehungerte Gestalten, die schon durch ihre äußere Erscheinung auf den Zuschauer zu wirken versuchen. Ihr ganzes Auftreten bekundet Weltverachtung. Finsteren Blickes mustern sie ihr Publikum, bei der abergläubischen Menge trachten sie den Eindruck hervorzurufen, daß sie mit dunklen Gewalten der unsichtbaren Welt in Verbindung stehen, daß sie mit übernatürlichen Gaben ausgestattet sind. Ihr Handwerkszeug ist sehr dürftiger Art und besteht zumeist nur aus einem Schnappsack oder einem runden Korb nebst ein paar Geräten. Mit diesen wenigen Dingen, die sie auf den mageren Schultern tragen, führen sie, von Ort zu Ort wandernd, ihre Kunststücke aus. Gewöhnlich sind sie von einem Kinde begleitet, einem Knaben oder einem Mädchen, das als Assistent und Versuchsobjekt dient; mitunter reist der Gaukler auch » en famille«, und während er seine Kunststücke zeigt, »arbeiten« die anderen Familienmitglieder als Musiker, Akrobaten oder dergleichen, genau wie es bei unseren deutschen Jahrmarktsgauklerfamilien der Fall ist. Auf reichen irdischen Lohn hat selbst der geschickteste indische Gaukler nicht zu rechnen. Der dürftigste europäische Varietézauberer verdient an einem Abend mehr, als eine indische Gauklerfamilie in einem ganzen Jahr. Denn das ihn bewundernde Publikum hat die Schwäche, sich prompt zu »drücken«, wenn der Sammelteller herumgeht, und nur spärlich klappern die Kupfermünzen in den Napf des armen finsteren Mannes. Dafür ist der indische Zuschauer nicht sehr anspruchsvoll. Eine derartige Gier nach immer neuen, nervenaufpeitschenden Sensationen, wie sie für das durch Varieté und Kino verwöhnte europäische Publikum bezeichnend ist, kennt man in Indien nicht. Es sind im wesentlichen immer wieder dieselben, schon seit Jahrhunderten gezeigten Tricks, die hier der Gaukler zum besten gibt, und nur kleine Variationen, sowie der höhere oder geringere Grad von Geschicklichkeit unterscheiden sie voneinander.

Ich übergehe hier die gewöhnlichen Vorführungen der Akrobaten und Gaukler, von denen übrigens auch Bären, Ziegen und Affen als vierfüßige Kollegen mit herangezogen werden, und behandle nur einige der seltsameren Zauberstückchen. Eines der hübschesten ist der Korbtrick. Dazu gehören der Gaukler, ein junges Mädchen, ein runder niedriger Deckelkorb, ein Fischnetz und ein paar Stricke. Der Gaukler zeigt zunächst den leeren Korb, das Netz und die Stricke und läßt das Publikum sich davon überzeugen, daß alles in Ordnung ist und keine versteckten Hilfsmittel angebracht sind. Er fesselt nun das Mädchen, das sich hinkauert und förmlich zu einer Kugel ballt, in einer Weise, daß es sich nicht mehr rühren kann, steckt das völlig hilflose Wesen in das Netz und bindet dieses über dem Kopf fest zusammen. Dann wird das Mädchen in den Korb gesteckt, der gerade so groß ist, daß der Körper mühsam hineingezwängt werden kann, und der Korb wird mit dem Deckel verschlossen. Jetzt nimmt der Gaukler einen spitzen Degen und stößt ihn, während er unaufhörlich spricht, hier und dort bis zum Griff in den Korb hinein. Das Publikum ist in höchster Spannung, glaubt es doch, jeden Augenblick müßte das Blut des armen Mädchens aus dem Korbe hervorströmen. Nun bedeckt der Mann den Korb mit einem Tuch, murmelt Beschwörungsformeln, klopft mit seinem Zauberstab an das Geflecht und klatscht zum Schluß in die Hände. Und siehe da, plötzlich zieht er das Tuch fort, der Deckel hebt sich und aus dem Korbe steigt, aller Fesseln ledig und völlig unversehrt, das junge Mädchen heraus! Ich habe den Trick öfter gesehen und muß sagen, daß er mich jedesmal aufs höchste ergötzt hat. Die Geschicklichkeit, mit der sich das Mädchen in dem engen Behälter ihrer Fesseln zu entledigen versteht, ist ebenso überraschend wie der Kniff des Gauklers, der das Durchbohren des Korbes tatsächlich ausführt, nur weiß das Mädchen im Korbe genau Bescheid, es packt die biegsame Klinge und führt sie über sich oder unter sich vorbei!

Es gibt zwei indische Gauklerstücke, die es in der einschlägigen Literatur bereits zur Berühmtheit gebracht haben und die als klassische Beispiele »übersinnlicher« Zauberphänomene von den Okkultisten aller Länder für ihre Zwecke weidlich ausgenutzt worden sind: nämlich der sogenannte Mangotrick und der Trick mit dem in die Luft geworfenen, starr in der Luft verharrenden Seil. Diese beiden Glanzkunststücke, zu deren Verherrlichung schon Ströme von Druckerschwärze fließen mußten und die auch in den vielen populären Indienbüchern eine gewichtige Rolle spielen, können in der Tat Anspruch auf Klassizität erheben. Nämlich insofern, als es geradezu Schulbeispiele für zwei interessante Erscheinungen sind: für die Suggestibilität oder sagen wir deutsch Beeinflußbarkeit einer größeren Zuschauermenge und für die daraus sich ergebende Fehlerhaftigkeit der Beobachtung.

Betrachten wir einmal den Mangotrick. Der Mango ist einer der häufigsten und stattlichsten Bäume Indiens, der sehr wohlschmeckende, aprikosenähnliche Früchte trägt. Der Baum wächst ziemlich schnell, immerhin vergehen aber doch einige Jahre, bis das gepflanzte junge Reis sich bis zum Früchtespender entwickelt. Der Gaukler mit dem Mangotrick erkühnt sich nun, der Natur ein Schnippchen zu schlagen, das Tempo der Entwicklung in unerhörter Weise zu beschleunigen und »binnen fünf Bierminuten«, wie es in der deutschen Studentensprache heißt, aus einem frisch eingepflanzten Mangokern ein fröhlich grünendes Bäumchen mit saftigen Früchten zu machen. Das ist keine alltägliche Leistung und eigentlich lohnt es sich schon, nach Indien zu reisen, lediglich um sich mit eigenen Augen von einer so erstaunlichen Überlistung der Natur zu überzeugen.

Aber sehen wir zu, wie der Gaukler es macht. Von dem üblichen Knaben oder Mädchen assistiert, vielleicht auch mit etwas Musikbegleitung tritt der Mann vor die erwartungsvoll harrende Zuschauermenge und breitet auf dem Boden sein Handwerkszeug aus. Dazu gehört vor allem der niemals fehlende Zaubersack, der die zu den Vorführungen benötigten wenigen Dinge birgt. Im Gegensatz zu den Schlangenbeschwörern und anderen Kollegen der Gauklerzunft ist der Mann mit dem Mangotrick nicht auf den Mund gefallen, sondern redet vom ersten bis zum letzten Augenblick in einer seltsam eindringlichen und zugleich einschläfernden Weise. Dieses unaufhörliche monotone Sprechen hat seine tiefe Bedeutung, denn in Verbindung mit den starr die Zuschauer fixierenden Augen und der ganzen sonderbaren Erscheinung des Gauklers übt es eine faszinierende oder besser gesagt hypnotisierende Wirkung aus, eine Wirkung, der sich selbst jene Europäer, die die Sprache des Mannes nicht verstehen und denen der Sinn seiner Worte verborgen bleibt, selten entziehen können. So sorgt er, noch mit den Vorbereitungen für seinen Trick beschäftigt, bei den Zuschauern für eine geeignete seelische Disposition. Er schlägt ein kleines von drei Stäben gestütztes Miniaturzelt auf, dessen hintere, ihm selbst zugewandte Seite offen bleibt. Neben das Zelt stellt er eine Schale mit frischer Erde. Er begießt die Erde sorgsam und pflanzt dann einen Mangokern hinein. Jetzt stellt er die Schale in das Zelt und entzieht sie so den Blicken. Einige Minuten lang wandert er nun mit beschwörenden Gesten und immerfort redend um das Zelt herum, endlich hebt er die Zeltdecke auf – und siehe da, man erblickt in der Schale ein etwa zehn Zentimeter hohes Mangopflänzchen, das mit seinen grünen Blättern eben hervorgesprossen zu sein scheint. Der Zauberer läßt die Schale wieder unter dem Zelt verschwinden, macht allerlei Hokuspokus, und wenn er dann nach ein paar Minuten die Schale von neuem hervorholt, ist die Mangopflanze bis zur Höhe von einem halben Meter gewachsen. Schließlich entsteht unter denselben geheimnisvollen Umständen im Verlauf von etwa einer Viertelstunde ein meterhohes Bäumchen mit frischen, saftigen Früchten!

Eine wirklich zauberhafte, unerklärliche Leistung, nicht wahr? Etwas, das alle Gesetze der natürlichen Entwicklung über den Haufen wirft, indem sie diese, die für gewöhnlich auf ziemlich bedächtigem Etappenwege vor sich zu gehen pflegt, zum Blitztempo beschleunigt. Steht einem beim Anblick eines so verblüffenden Phänomens nicht einfach, wie man zu sagen pflegt, der Verstand still? ...

Vielen Beobachtern scheint er in der Tat stillgestanden zu sein. Ich habe Europäer kennen gelernt, Männer und Frauen von guter Urteilskraft, die einen heiligen Eid auf die Verläßlichkeit der wunderbaren Erscheinungen beim Mangotrick abzulegen bereit waren. Manche behaupteten sogar steif und fest, daß der Zauberer die Schale mit der Pflanze nicht verhüllt hätte, sondern daß die Entwicklung des Mangokernes zum früchtespendenden Bäumchen in aller Öffentlichkeit und in jeder Phase deutlich sichtbar vor sich gegangen wäre, man hätte das Wachsen der Pflanze gewissermaßen von Zoll zu Zoll verfolgen können ... Und wenn ich mir in solchen Fällen einige leise Zweifel, ein paar schüchterne Einwendungen erlaubte – na, dann konnte ich etwas Schönes zu hören bekommen. Die glimpflichsten Abfertigungen lauteten ungefähr: sie, die Beobachter, hätten doch auch Augen im Kopf und ließen sich nicht so leicht etwas vormachen; sie hätten eben das Wachsen des Mangobaumes gesehen, das wäre nun einmal Tatsache, an der sich nicht rütteln ließe. Und wenn man ein friedlicher Mensch ist, so zieht man es unter solchen Umständen vor, das Thema fallen zu lassen und dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Über religiöse und politische Dinge soll man in Gesellschaft nicht sprechen, über okkultistische aber anscheinend auch nicht, es gibt sonst zu leicht Verstimmungen.

Ich bin wahrhaftig der letzte, der die Existenz übernatürlicher, der menschlichen Erkenntnis verschlossener Mächte und Wirkungen leugnen wollte. Unser Wissen ist im Vergleich zu den im Weltall verborgenen, unermeßlichen Möglichkeiten so eng begrenzt, daß es geradezu lächerlich dünkelhaft wäre, wenn wir uns einbilden wollten, daß die Werkstatt der Natur keine Geheimnisse mehr für uns hätte. Aber wenn man von der Unzulänglichkeit unserer Sinne und unserer Erkenntnis auch noch so tief durchdrungen ist, so bedeutet das noch lange nicht, daß man jedes verblüffende Zauberkunststückchen kritiklos als übersinnliches Phänomen hinnehmen soll. Der Mangotrick ist, wenn er gut vorgeführt wird, wirklich nichts weiter als eine sehr hübsche unterhaltende Illusion. Denn vorläufig besitzt noch kein sterblicher Mensch die Macht und die Fähigkeiten, den natürlichen Gang der organischen Entwicklung durch geistige Konzentration in so stürmischer Weise zu beeinflussen. Das muß festgestellt werden, so leid es mir auch täte, wenn ich damit den unerschütterlichen Mangotrickenthusiasten eine Kränkung zufügen sollte.

Wir hätten ja in der Photographie, besonders der kinematographischen Aufnahme sehr brauchbare Hilfsmittel zur Hand, um die Vorgänge beim Mangotrick und bei ähnlichen Zaubereien in exakt zuverlässiger Weise festzuhalten und zu kontrollieren. Aber es ist merkwürdig – und das sollte die Schwärmer stutzig machen – daß die indischen Zauberkünstler immer sehr ungehalten werden, wenn sie bei den Zuschauern eine Kamera sehen. Sie verschanzen sich dann gewöhnlich hinter ihre unüberwindliche Abneigung gegen Photographie, packen ihr Handwerkszeug zusammen und ziehen beleidigt ab. Sie haben in der Tat allen Grund, die Linse des photographischen Objektivs, die sich nicht beeinflussen läßt, zu scheuen. Wie verfährt nun der Gaukler bei der Vorführung seines Kunststücks? Ganz und gar nach dem alten bewährten Erfahrungssatz, daß Geschwindigkeit zwar keine Hexerei ist, aber doch beinahe so aussehen kann. Was er tut, ist im Grunde furchtbar simpel. In seinem Schnappsack hat er als Requisiten einen Mangokern, ein zartes, junges Reis, ein paar andere Mangopflanzen von verschiedener Größe und schließlich ein kleines Bäumchen mit Früchten. Seine Kunst besteht darin, diese Gewächse in der richtigen, dem anscheinenden Wachstum der Pflanze entsprechenden Reihenfolge so in die mit Erde gefüllte Schale hineinzupraktizieren, daß es der Zuschauer nicht merkt. Wenn er die Schale wieder in dem verhüllenden Zelt verbirgt, ersetzt seine Hand rasch die darin steckende Pflanze durch eine andere, größere, die er in sehr geschickter Weise, ohne daß man es sieht, aus dem neben dem Zelt liegenden Sack hervorzieht. Er versteht es ganz ausgezeichnet, die Aufmerksamkeit seiner Zuschauer durch fortwährendes Reden abzulenken und die Urteilskraft durch seine suggestiven Fähigkeiten einzuschläfern. So kommt es, daß die Zuschauer schließlich die Vorgänge gesehen zu haben glauben, die sich in Wirklichkeit gar nicht oder wesentlich anders abgespielt haben. Niemals wird der Zauberer eine genaue Untersuchung seines Gepäcks oder seiner Person gestatten, denn man würde dann die in Vorbereitung gehaltenen Mangopflanzen und Bäumchen finden.

Der Mangotrick ist, wie gesagt, geradezu ein Schulbeispiel dafür, wie ein gewandter Gaukler die seelische Beeinflußbarkeit seiner Zuschauer auszunützen versteht. Aber wie überraschend der Mangotrick auch wirkt, ist er doch ein Kinderspiel gegen den noch berühmteren Trick des Abhiradana, des in der Luft frei schwebenden Seiles. Wirklich eine tolle Geschichte! In seinem Buche »Indien und ich« beschreibt Hans Heinz Ewers diesen Trick folgendermaßen: »Der Zauberer wirft ein Seil in die Luft und läßt dann einen Knaben daran hinaufklettern: wo das scheinbar freihängende Tau oben aufhört, da verschwindet auch der Knabe. Dann steckt der Gaukler ein langes Messer quer in den Mund, macht ein furchtbar böses Gesicht, faßt das Seil und klettert auch hinauf. Er verschwindet oben, wo auch der Knabe verschwand; das Seil baumelt eine zeitlang allein frei in der Luft. Plötzlich hört man oben in der Luft jämmerliches Geschrei des Knaben und dazwischen das Wutgeschnaube des alten Gauklers – aber man sieht nichts. Dann fällt ein blutendes Bein herunter, ihm folgt ein Arm, darauf der verzerrte und verstümmelte Kopf des Knaben. Noch ein Bein fällt herunter und noch ein Arm; endlich plumpste der Leib herab. Schon zufrieden mit seiner Tat klettert dann der bärtige Zauberer am Seile zur Erde herab. Zuerst reinigt er sorgfältig das blutige Messer, dann sammelt er die verschiedenen Menschenteile zusammen und steckt alles durcheinander in einen großen Korb. Er nimmt nun einen mächtigen Steinmörser und zerstampft den Inhalt des Korbes zu einem dicken Brei. Endlich stülpt er den Deckel auf und präsentiert den Korb freudestrahlend dem Publikum. Einer öffnet – und vergnügt hüpft der Knabe heraus.«

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Indische Bettelfakire

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Indische Gauklertruppe

Ewers behauptet nicht etwa, dieses fabelhafte Schauerdrama selber gesehen zu haben. Es wäre ihm auch schwer gefallen, denn eine Vorführung dieser oder ähnlicher Art gab und gibt es überhaupt nicht! Der »berühmte« Abhiradana-Trick spukt nur in jenen zahlreichen Büchern oder deutlicher gesagt Machwerken, die sich unter wichtigtuerischer Maske mit den »Geheimlehren Indiens« befassen, außerdem in den amüsanten Aufschneidereien, mit denen man sich an Bord der Schiffe auf weiter Fahrt die Zeit vertreibt. Man kann unmöglich von Suez nach Singapore reisen, ohne sich einmal im Rauchsalon zwischen dem dritten und vierten Whisky die Sache mit dem Abhiradana-Trick und ähnliche Schauerchosen anhören zu müssen, und ich vermute, daß in diesem Milieu, unter der Einwirkung von Hitze und Stumpfsinn, überhaupt die meisten »garantiert echten« indischen Fakirtricks ausgeheckt worden sind ...

Von welchem hohen Alter die Künste der Fakire sind und welches Interesse sie schon vor vielen Jahrhunderten erregt haben, geht daraus hervor, daß der bereits erwähnte Araber Ibn Batuta, der als einer der größten Reisenden seiner Zeit vor achthundert Jahren Indien und China besuchte, in seinem Reisewerk die Fakire erwähnt und von seinen Erlebnissen mit den heiligen Männern erzählt. Ibn Batuta, 1302 zu Tanger in Marokko geboren, hatte erst Rechtswissenschaft studiert und unternahm dann aus Wissensdrang und Abenteuerlust, die freilich auch mit Gewinnsucht gepaart war, ausgedehnte Reisen, die ihn zunächst nach Mekka, Syrien, Persien, Mesopotamien führten, dann aber während einer Zeit von fast 25 Jahren weiter nach Zentralasien, Vorderindien, China, Java, Sumatra, Ceylon, schließlich noch ins Innere Afrikas bis Timbuktu. Es sei hier auszugsweise wiedergegeben, was Ibn Batuta in seiner treuherzigen Weise von den Fakiren oder Jogin erzählt. Nach der deutschen Ausgabe von Ibn Batutas Reisewerk: » Die Reise des Arabers Ibn Batuta durch Indien und China«, bearbeitet von Dr. Hans v. Mžik. Hamburg, Gutenberg-Verlag, 1911.

»Es sind das Leute – so schreibt Ibn Batuta – von denen man wunderbare Dinge zu sehen bekommt, zum Beispiel: der eine von ihnen verweilt Monate, ohne zu essen oder zu trinken; für viele gräbt man Gruben unter der Erde. Man deckt die Grube über dem Jogi zu und läßt ihm nur eine Öffnung, durch die die Luft gelangen kann, darin bleibt er nun durch Monate. (Von einem völlig luftdichten Verschluß des lebendig begrabenen Jogi weiß Ibn Batuta also nichts). Ich habe sogar gehört, daß der eine oder der andere so ein Jahr ausgehalten habe. In der Stadt Manjarur (Mengalore an der Malabarküste) sah ich einen Muslim, der bei ihnen Unterricht genommen hatte. Man hatte für ihn eine trommelartige Säule errichtet, auf der er, ohne zu essen oder zu trinken, die Zeit von 25 Tagen stand. Ich verließ ihn in diesem Zustand und weiß nicht, wie lange er nach meiner Abreise noch so gestanden hat. Das Volk erzählt, daß die Jogin Pillen zusammensetzen, von denen sie eine auf eine bestimmte Anzahl von Tagen oder Monaten zu sich nehmen und nun während dieser Zeit weder Speise noch Trank benötigen. Sie geben Auskunft über verborgene Dinge. Der Sultan ehrt sie und nimmt sie in seine Gesellschaft auf. Manche von ihnen beschränken sich bei ihren Speisen auf das Gemüse allein. Soweit man in ihre Verhältnisse Einblick hat, üben sie sich in der Askese und bedürfen weder der Welt noch ihres Glanzes.

Es gibt Jogin unter ihnen, die einen Menschen nur anzusehen brauchen – und dieser fällt vor dem Blicke tot zu Boden. Die Leute sagen, daß, wenn jemand durch einen Blick getötet worden ist und man dem Toten nun die Brust öffnet, man kein Herz darin vorfindet. Sie sagen: Sein Herz ist gefressen worden. Auch Weiber vermögen das. Die Frau, die das kann, wird Kaftar (Hyäne) genannt.

Eines Tages, als ich noch bei dem Sultan von Delhi in der Residenz war, ließ dieser mich rufen. Ich begab mich zu ihm, er befand sich in einem Privatgemache und bei ihm befanden sich einige seiner Vertrauten und zwei dieser Jogin. Diese hüllen sich in Mäntel ein und bedecken auch den Kopf, da sie ihn mit Asche (?) enthaaren. Der Sultan hieß mich niedersetzen, was ich tat, und sprach zu den beiden Jogin: »Dieser Fremdling ist aus einem weit entfernten Lande; zeigt ihm also etwas, was er noch nicht gesehen hat.« Einer von den Jogin ließ sich darauf mit gekreuzten Beinen nieder, dann erhob er sich von der Erde, bis er in der Luft über uns, immer mit gekreuzten Beinen, sitzen blieb. Ich verwunderte mich darüber, Schreck erfaßte mich, und ich fiel ohnmächtig zur Erde nieder. Der Sultan befahl, daß man mir eine Medizin zu trinken gebe, die bereit stand. Da kam ich wieder zu mir und setzte mich nieder, während jener immer noch in seiner schwebenden Stellung verharrte. Nun nahm sein Genosse einen Pantoffel aus einem Sack, den er bei sich trug, und schlug damit auf den Boden, als ob er erzürnt wäre. Der Pantoffel stieg empor, bis er über dem Nacken des in der Luft Kauernden schwebte, und begann auf dessen Hals loszuschlagen. Der Jogin kam nun nach und nach herunter, bis er schließlich wieder am Boden neben uns saß. Der Sultan sprach zu mir: »Der mit gekreuzten Beinen Sitzende ist ein Schüler dessen, dem der Pantoffel gehört«, und fügte dann hinzu: »Wenn ich nicht um deinen Verstand fürchtete, würde ich ihnen auftragen, noch Wunderbareres vorzubringen als das, was du gesehen hast.« Ich verabschiedete mich von ihm, aber heftiges Herzklopfen befiel mich und mir wurde schlecht, so daß er mir einen Trank geben ließ, der das Unwohlsein vertrieb.«

Soweit der Bericht des Ibn Batuta. Er wurde, wie schon bemerkt, vor bald 600 Jahren niedergeschrieben und ist ein interessantes Zeugnis dafür, welche Wirkung die Fakire mit ihren wunderbaren Produktionen schon damals zu erzielen wußten. Der reisende Araber war ein hochgebildeter Mann und, wie seine Werke zeigen, ein scharfer Beobachter. Man darf aber nicht unbeachtet lassen, daß die damaligen Reiseschriftsteller, fast ausschließlich Orientalen, bei aller sonstigen Wahrheitsliebe gar kein Bedenken trugen, ihre Berichte mit dazwischengeschobenen Erzählungen auszuschmücken, die keinen anderen Zweck hatten als den, dem Unterhaltungsbedürfnis der Zuhörer und Leser entgegenzukommen und ihrem Wunderglauben Nahrung zu spenden. Alle Reiseberichte der damaligen Zeit wimmeln von derartigen, übrigens wirklich sehr unterhaltsamen Anekdoten. Das klassische Beispiel solchen Gemischs von Wahrheit und Dichtung sind die Erzählungen Sindbads des Seefahrers, die aus dem neunten Jahrhundert stammen und als ältestes literarisches Denkmal der Handelsreisen der Araber ebenso unvergänglichen Wert haben wie als köstliche, ewig junge Erzeugnisse der blühenden orientalischen Märchenkunst. Es mag nun dahingestellt bleiben, ob der würdige Herr Ibn Batuta das Erlebnis mit dem in der Luft sitzenden Fakir tatsächlich gehabt hat, oder ob es sich dabei um eine Erfindung seiner Phantasie handelt, lediglich zur Ausschmückung seines Reiseberichtes bestimmt.

Es mag hier auch noch von jener » geheimen Kraft« die Rede sein, die im indischen Mystizismus eine bedeutende Rolle spielt. Diese angeblich vorhandene geheime Kraft, ein besonderes Gnadengeschenk der Götter, befähigt den Fakir, der sie besitzt, zu übernatürlichen Leistungen, verhilft ihm zu Einfluß auf leblose Gegenstände so gut wie auf Menschen und Tiere. Ein Schauspiel, das immer viele Zuschauer anlockt und sie mit ehrfurchtvollem Staunen erfüllt, ist ein öffentlicher Wettstreit zwischen zwei »Heiligen« von anerkannter geheimer Kraft. Es kommt dabei gewöhnlich darauf an, irgendeinen auf der Erde liegenden Gegenstand, zum Beispiel einen Strohhalm, der angeblich durch einen Zauber fest an den Boden gebunden ist und nicht aufgehoben werden kann, an sich zu nehmen. Ich hatte einmal Gelegenheit, ein derartiges absurdes Schauspiel mitanzusehen. Die Konkurrenten, zwei Gosain mit der sattsam bekannten Verwahrlosung ihres Körpers, starrend von Asche und Schmutz, mit wirr herabhängendem, verfilztem Haar und stieren Augen, stellten sich einander gegenüber auf, in gleicher Entfernung von einem am Boden liegenden Halm, und jeder behauptete die Macht zu haben, den andern von der Berührung des Halmes abzuhalten. Während nun einer den andern krampfhaft mit den Augen fixierte, murmelten ihre Lippen in endloser Litanei Gebete. Das ging so etwa zehn Minuten lang, schließlich begannen ihre Körper zu zucken, der Schweiß brach aus ihren Poren, Schaum trat ihnen vor den Mund – endlich fiel einer von ihnen bewußtlos zu Boden, und diesen Augenblick benutzte der Gegner, um den »verzauberten« Halm aufzuheben und an sich zu nehmen. Wie mir einer der anwesenden Gläubigen sagte, wären die Gosain nach einem derartigen Wettkampf mehrere Tage krank vor Aufregung. Ich hatte dagegen den Eindruck, daß es sich nicht um einen Zustand echter Ekstase, sondern um eine abgekartete, abgeschmackte Komödie handelte und daß die üblen Burschen sich zu diesem Zweck zu einem Genossenschaftsverhältnis zusammengetan hatten.

Eine sehr merkwürdige und für das religiöse Leben Indiens charakteristische Erscheinung sind auch jene Amateur-Fakire oder Büßer, von denen bereits vorher kurz die Rede war, d. h. wohlhabende oder sogar sehr reiche Inder, die in ihrem Alter auf alle Besitztümer und alle Freuden der Welt Verzicht leisten, um sich für den Rest ihres Lebens in freiwilliger Armut lediglich der frommen Einkehr, der Entsagung und Andacht zu widmen. Weltflüchtige ähnlicher Art gibt es ja freilich auch im Christentum; auch bei uns kommt es nicht selten vor, daß Personen aus religiösen Erwägungen oder aus einem sie innerlich tief erschütternden Anlaß auf alles, was ihnen die Welt bisher zu bieten hatte, auf irdische Güter, soziale Stellung, Vergnügungen, auf Rang und Titel verzichten und sich bis zum Ablauf ihrer Tage in den stillen Frieden der Klosterzelle zurückziehen. Aber es ist doch ein Unterschied zwischen diesen christlichen Weltflüchtlingen und den buddhistischen. Denn während der erstere auch im Kloster im geistigen Zusammenhang mit der Kultur bleibt, ja gerade im Kloster oft genug eine hochentwickelte Kultur findet, stößt der buddhistische Büßer alles Geistige, soweit es jenseits der rein religiösen Dinge liegt, von sich, weil er es als unwesentlich betrachtet und verachtet, wie er desgleichen alles verschmäht, was dem Wohle des Körperlichen dient, und in Befolgung der strengsten Askese gerade nur soviel Speise und Trank zu sich nimmt, wie zur Aufrechterhaltung des animalischen Lebens durchaus notwendig ist.

Sonderbare Schwärmer solcher Art gibt es, wie gesagt, viele, und einer der seltsamsten von ihnen war – ich weiß nicht, ob er heute noch lebt – der »Heiligste der Heiligen«, der Büßer Swami Saraswati in Benares. Früher ein reich begüterter Mann, warf er in vorgerücktem Alter eines Tages alles von sich, was nach unserer Ansicht das Leben schön und lebenswert macht, verteilte sein Vermögen unter die Kinder und an fromme Stiftungen und zog sich ins Büßertum zurück. Ein Glaubensgenosse, der gleich ihm der religiösen Sekte der Jaina angehörte, ließ ihm auf seinem Grundstück einen eigenen kleinen Tempel erbauen, der zugleich als sein notdürftiges Obdach bei Nacht diente. In einer Nische der Außenwand des Tempels wurde ein in Stein gehauenes Bild des Gottes Jina, des Schutzpatrons der Sekte, angebracht, und unmittelbar unter diesem Steinbild ließ sich nun Swami Saraswati in genau derselben Stellung wie der Gott, mit gekreuzten Beinen und über den Beinen gekreuzten Händen, auf dem Sockel des Tempels nieder. So unbeweglich sitzend, mit kahlgeschorenem Haupt, die verglasten Augen geradeaus ins Unbestimmte gerichtet, den dürren braunen Körper unverhüllt der Sonnenglut preisgegeben, saß (und sitzt vielleicht noch) der arme reiche Mann tagaus tagein bis zu seinem letzten Stündlein auf dem Stein, innerlich sehr befriedigt darüber, daß er schon bei Lebzeiten dem Gott über ihm zum Verwechseln ähnlich sieht. Einige Bevorzugte unter seinen Verehrern dürfen ihm dabei von Zeit zu Zeit Gesellschaft leisten, mit ihnen führt er dann auch religiöse Gespräche und sie reichen ihm bisweilen einige Nahrungsmittel, auf die selbst ein Heiliger nicht völlig Verzicht leisten kann. Vor dem Sockel des Tempels aber drängen sich in hockender Stellung die Andächtigen, voll von Bewunderung eines derartigen Beweises tiefster Religiosität ...

Uns fehlt das Verständnis dafür und wir ersehen auch daraus wieder, wie aus zahllosen anderen Erscheinungen des religiösen und sozialen Lebens in Indien, welche unüberbrückbare Kluft zwischen unseren Anschauungen und denen des indischen Geisteslebens gähnt.

»Dieses Büßertum – so schreibt ein gelehrter deutscher Jesuit, Joseph Dahlmann, in seinem ausgezeichneten Werk »Indische Fahrten« – ist ein Element, das man in dem strahlenden Reichtum eines tropischen Landes am wenigsten suchen möchte. Hier, wo die Natur auf der einen Seite die höchste Fülle und Fruchtbarkeit entfaltet, wo sich auf der andern Seite fürstlicher Glanz in einem Luxus darbietet, wie kaum an einem anderen Punkte der Welt, scheint kein Raum zu sein für ein Leben, das alles abwirft, was die Sinne anzieht, um desto grauenhafter im eigenen Fleisch zu wüten. Und doch tritt uns gerade hier ein Büßertum entgegen, das im Hange zur Selbstpeinigung das Unglaublichste leistet. Wir gewahren eine Gruppe von Menschen, die alles in den Staub tritt, was der Ehre wert ist, um dem höchsten Genuß die schärfste Selbstpeinigung entgegenzusehen. Die Selbstpeinigung überschreitet so sehr jedes Maß, daß man nicht mit Unrecht von einer Wollust der Selbstpeinigung gesprochen hat. Der Gosain scheint sich tierisch wohl in der Selbsttortur zu fühlen ... die vollkommenste Gleichmütigkeit soll eintreten gegen Gutes und Böses, gegen Angenehmes und Unangenehmes, Hitze und Kälte, Gesundheit und Krankheit, Lob und Tadel, Besitz und Verlust, Freund und Feind, Leben und Sterben, überhaupt gegen alles, was des Menschen Begierde oder Abneigung wecken kann. Die Gegensätze von Laster und Tugend, von Unrecht und Recht müssen ebenso vollständig schwinden wie die Gegensätze von Haß und Liebe, von Trauer und Freude, von Bangen und Hoffen. Das Ideal des Büßers beruht auf einer Gesinnung, die Gold und Perlen und einen Klumpen gemeiner Erde mit gleichem Auge betrachtet. »Ein Edelstein, ein Klumpen Gold, ein Erdkloß sind ihm gleichwertig«, dieser Satz gehört zu den beliebtesten Ausdrucksweisen, um das brahmanische Ideal der Weltverachtung zu schildern. Nichts ist heiliger in den Augen des Inders als der Brahmane, nichts verabscheuungswürdiger als der Hund, und doch blickt der Büßer mit gleicher Wertschätzung auf beide herab. Auf eine Vernichtung des Individuums ist die Buße hingerichtet. Die Regungslosigkeit des Steines und die Empfindungslosigkeit eines Holzklotzes wird das entscheidende Merkmal dieses Büßerideals.«

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Den breitesten Raum nehmen bei allen indischen Gaukeleien doch die Künste der Schlangenbeschwörer ein. Überall, wo etwas »los« ist, stößt man auf die Gaukler mit ihren Reptilen. Man muß sich immer von neuem darüber wundern, welches glühende Interesse das indische Volk diesen Vorführungen entgegenbringt, obwohl sie ihm doch nur Altbekanntes zu bieten haben.

Uns Europäern ist die Schlange im allgemeinen ein so häßliches, unsympathisches Tier, daß wir dem Kultus, den viele Völker mit ihnen treiben, verständnislos gegenüberstehen. Dennoch ist der Schlangenkultus uralt und über die ganze Erde verbreitet. Den einen galt und gilt sie als der gefürchtete Dämon, den man nur aus Angst wie eine Gottheit verehrt; den anderen wiederum im Gegenteil als Symbol der Weisheit und der wohltätigen Kräfte – man denke nur an die Schlange des Äskulaps. Schon die Bibel berichtet von ägyptischen Schlangenbeschwörern. Nicht bloß in Indien, auch bei den afrikanischen Negern und den Indianern Amerikas finden wir einen eifrigen Schlangenkultus und die paradoxe Erscheinung, daß man Giftschlangen, anstatt sie nach Möglichkeit auszurotten, schont und pflegt, sie sogar häufig zum Gegenstand der Anbetung macht.

In Indien gibt es eine bestimmte Kaste, die sich ausschließlich mit dem Fang giftiger Schlangen befaßt und nebenbei die Rolle des Giftdoktors bei der Behandlung gebissener Personen spielt. Ich habe auf meinen Reisen oft Gelegenheit gehabt, diese Leute zu beobachten, und die Erfahrung gemacht, daß sie stets mit Erfolg auf die Kobrajagd gehen. Selbst wenn sich die Brillenschlange in einem Ameisenbau oder einem anderen Versteck den Blicken entzieht, weiß der Schlangenjäger sie bald aufzuspüren, indem er sich flach auf den Boden legt und sich von seinem vorzüglich ausgebildeten Geruchssinn leiten läßt. Wie der Dachshund den Dachsbau zerwühlt und bloßlegt, so buddelt der Schlangenjäger schnell und sicher die Schlange aus, packt sie mit geübtem Griff hinten am Nacken und befördert sie trotz wütendem Sträuben in das mitgeführte Tongefäß. Einer der von mir beschäftigten Schlangenjäger konnte mir an einem einzigen Tage 20-30 schöne Exemplare der Kobra verschaffen. Über die Eigenschaft dieser Leute als Giftdoktoren denke ich aber ziemlich skeptisch. Nach meinen Erfahrungen ist es mit ihrer geheimgehaltenen Heilkunst nicht weit her. Manchmal, das heißt, wenn er sofort nach dem Unfall zur Hand ist, kann der Schlangendoktor die bösen Folgen des Bisses abwenden – aber das kann jeder einigermaßen erfahrene Laie auch, der sich auf das Abschnüren des gebissenen Gliedes und das Ausbrennen der Wunde versteht. Manchmal hilft sich auch die Natur von selbst und manchmal ist alle Kunst des Giftdoktors vergeblich, der Gebissene stirbt.

Die Schlangenbeschwörer, die sich in Indien für eine kleine Spende produzieren, arbeiten hauptsächlich mit der Brillenschlange. Die ganze »Beschwörung« liegt in der Musik, welche sie machen. Das Hauptinstrument ist eine in der Mitte weit ausgebuchtete Flöte, deren Töne denen eines schottischen Dudelsacks ähneln, dazu kommt noch eine ganz primitive Geige und eine Trommel. Jede Kobra des Schlangenbeschwörers befindet sich in einem kleinen runden Korb. Sobald die Musik beginnt, reckt sich die Kobra aus ihrem Korb empor, bläht den Halsschild mit der brillenähnlichen Zeichnung auf und wiegt den Körper tänzelnd hin und her. Scheinbar erfolgen die Bewegungen nach dem Takt der Musik. Ich möchte aber stark bezweifeln, daß die Schlangen musikalisch veranlagt sind und sich durch die Macht der Töne hinreißen lassen. In Wirklichkeit verhält sich die Sache so, daß die Schlange durch das Hin- und Herbewegen der Pfeife sowohl wie auch durch die eintönige Musik in eine Art Hypnose versetzt wird. Jedenfalls verfolgt sie mit ihren funkelnden Augen genau die Bewegungen des Instruments, und sowie der Beschwörer dieses absetzt und die Musik verstummt, scheint sie aus ihrem hypnotischen Zustand jäh zu erwachen, und es sieht dann so aus, als ob sie sich auf den Mann stürzen wollte. Manchmal sind die Schlangen durch Ausbrechen der Giftzähne unschädlich gemacht, meistens hat man sie aber gelassen, um die Anziehungskraft der Vorstellung zu erhöhen und bessere Einnahmen zu erzielen. Besondere Vorsicht erfordert am Schluß der Aufführung das Wiedereinfangen der Schlange. Gewöhnlich legt einer der Beschwörer sein Instrument fort und trifft die nötigen Vorbereitungen, während seine Kollegen noch weiterspielen. Er nimmt einen mit einem dicken Blatt überdeckten Teller in die linke Hand und setzt sich direkt vor die Kobra hin. Sobald die Musik aufhört, streckt er den Teller vor, in den die Schlange beißt, und packt sie mit der anderen Hand dicht hinter dem Kopf, so daß sie sich nicht mehr umdrehen kann, dann steckt er sie in den Korb.

Meiner Ansicht nach ist das alles aber nur eine auf Effekt berechnete Komödie. Selbst das einfältigste oder wildeste Tier lernt seinen Pfleger und Fütterer kennen und tritt in ein gewisses Freundschaftsverhältnis zu ihm. Nun sind die Schlangen aber keineswegs dumm, wenn sie auch nicht gerade besonders klug sind. Es fällt ihnen gar nicht ein, ihren Herrn und Meister zu beißen, und dieser tut nur aus leicht erklärlichen Gründen so, als ob die Sache Gott weiß wie gefährlich wäre.

Die Brillenschlange hat einen erbitterten Feind, das ist der Mungo, die ostindische Abart des Ichneumons, ein 50 cm langes Tier mit fast ebenso langem Schwanz. Da der Mungo scharf hinter Nagetieren, Reptilen und Ungeziefer her ist, wird er gern in den Häusern als Vertilger von Ratten, Mäusen, Schlangen, Skorpionen usw. gehalten. Eine wahre Wut aber hat das gefräßige Tier auf die Kobra; wo es nur eine zu sehen bekommt, greift es sie an. Es kann sich das übrigens ohne allzu großes Risiko erlauben, da der Mungo zu den wenigen Tieren gehört, denen das Schlangengift nichts anzuhaben vermag; er hat also nur die Bißwunde zu fürchten, aber nicht das Gift. Diese grimmige Feindschaft zwischen Kobra und Mungo wird von den Gauklern zur Veranstaltung von Schlangenkämpfen ausgenützt. Der Gaukler führt in einem Korbe den Mungo mit sich und in anderen Körben verschiedene Giftschlangen. Sobald der aus seinem Behälter hervorgeholte Mungo eine Schlange erblickt, stürzt er mit großer Kourage auf sie los, selbst wenn sie mehrere Meter lang sein sollte, und verbeißt sich in sie. Der Kampf zwischen den beiden so ungleichartigen Geschöpfen ist ein zwar brutales, aber doch packendes Schauspiel. Mit kleinen Schlangen wird der Mungo in wenigen Minuten fertig, aber bei einer großen Brillenschlange geht er doch mit einer gewissen Behutsamkeit vor. Immerhin erledigt er auch die Kobra fast in jedem Fall. Obwohl die Kobra dem Inder heilig ist und er ihr nicht zu Leibe geht, hat er doch gegen den Kampf des Mungo mit der Schlange und ihre Tötung durch den Mungo nichts einzuwenden, sieht sich im Gegenteil das Schauspiel immer mit lebhaftem Interesse an.

Übrigens kann eine Giftschlange weder sich selbst noch eine andere Schlange derselben Art durch ihr Gift töten, auch gegen andere Arten derselben Gattung ist das Gift meistens unwirksam, es tötet aber Giftschlangen anderer Gruppen sowie nichtgiftige Schlangen. Das Blut eines von einer Giftschlange gebissenen Tieres wirkt giftig bei Einspritzung in das Blut anderer Tiere. Durch fortgesetzten Genuß oder Impfung von Schlangengift kann Giftfestigkeit erworben werden.

Für die abergläubische Scheu, die der Inder vor Schlangenbeschwörern und ähnlichen Hexenmeistern hat, ist es bezeichnend, daß er ihnen Talente zuschreibt, die über ihr eigentliches Produktionsfach weit hinausgehen. So zum Beispiel die Gabe, bewegliche Gegenstände, ohne sie zu berühren, durch bloße Willenskraft von der Stelle zu rücken. Also eine geheimnisvolle Fernwirkung, wie sie angeblich auch von manchem unserer spiritistischen Medien ausgeübt werden kann (wofür es aber meines Wissens noch immer an schlüssigen Beweisen fehlt). Noch seltsamer klingt es, daß diese Zauberer auch die Gabe besitzen sollen, in prophetischer Voraussicht kommenden Unheils davor zu warnen. Ich habe einmal in dieser Hinsicht in meinem eigenen Haushalt einen Vorfall erlebt, der einen meiner Diener betraf. Dieser hatte um Urlaub gebeten, um seine in einem entfernten Ort lebenden Verwandten zu besuchen. Am Tage der geplanten Abreise kam er nun morgens in großer Erregung zu mir und erzählte mit zitternder Stimme: ein ihm unbekannter Mann, seinem Aussehen nach ein »Heiliger«, hätte ihn soeben im Vorübergehen über den Gartenzaun hinweg mit sonderbaren Augen angeblickt, ihm warnend zugerufen: » Reise heute nicht!« und wäre dann sofort verschwunden. Er war nun unschlüssig, was er tun sollte. Einerseits hätte er schon alle Vorbereitungen zur Reise getroffen, andererseits dürfte er die Warnung des Zauberers doch nicht in den Wind schlagen.

Ich vermutete entweder eine Sinnestäuschung oder einen unter den Boys der Nachbarschaft ausgeheckten Schabernack, stimmte aber in Anbetracht der großen Unruhe des Burschen seinem Entschluß bei, die Reise um einen Tag zu verschieben.

Nachmittags erfuhren wir, daß der Zug, mit dem mein Diener ursprünglich reisen wollte, entgleist war, und zahlreiche Passagiere schwere Verletzungen erlitten hatten ...

Wie sollte man sich nun diese Geschichte mit der geheimnisvollen Warnung des Fremden erklären? War es eine Selbsttäuschung in Verbindung mit einem Zufall? Gibt es überhaupt »Zufälle«? Was war es sonst? ... Aber wenn wir schon anfangen, Fragezeichen zu machen, kommen wir damit nicht so bald zum Schluß!

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