August Hagen
Norika
August Hagen

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Der Bildschnitzer Veit Stoß.

Während meines Aufenthaltes in Nürnberg mochte wohl kein Heiliger mit meiner Frömmigkeit so zufrieden sein, als der heil. Sebaldus. Neben seinem Grabe hatte ich mich angesiedelt und tagtäglich verrichtete ich an demselben meine Andacht und konnte mich, wenn ich das Ehrenmal betrachtete, ungewiß, ob es mehr ein solches für den Heiligen oder den wackern Peter Vischer wäre, nicht von ihm losreißen. Das Erzgebäude mit den Figuren und Figürchen, mit den Pfeilern und Bogen, mit den Giebeln und Türmchen bewunderte ich mehr und mehr, und welche Achtung ich auch für die Malerei gewonnen hatte, so meinte ich doch, eine christliche Bildnerei von der Art könnte wohl neben ihr sich behaupten.

Als ich eines Tages auf meiner Wallfahrt nach der Sebalduskirche begriffen war, fiel mir ein Greis auf, der gleichfalls dahin seine Schritte lenkte. Er war mit einem grauen dürftigen Rocke bekleidet, und an dem unsichern Gange, an der Art, wie er mit dem langen Stocke umhertappte, erkannte ich schon von fern, daß es ein Blinder sein mußte. Obgleich sein Auge geschlossen war, fehlte dem Gesichte nicht ein wohltätiger Ausdruck, und durch das graue, schlichte Haupthaar und den langen Bart schien er den Vorübergehenden Ehrfurcht einzuflößen, die alle vor ihm auswichen. Ich sah, daß der Mann mit mir zu den fleißigen Kirchengängern gehörte, denn ohne umherzusuchen, hatte er die Stufen des Eingangs erreicht, und ohne sich zu stoßen, trat er schnell in die Türe. Bedrängte beten zu sehen, wie diesen Armen, der der köstlichen Gabe des Augenlichts beraubt war, hatte von jeher für mich etwas Anziehendes, weil bei ihnen das Gebet aufrichtige Inbrunst ist und nicht angewöhnte Frömmigkeit. Ich fand um so mehr Beruf, heute die Hallen der Kirche zu besuchen, und sah den Greis geraden Wegs zum Hochaltare gehen. Eben setzte der Kirchner hier wieder alles zurecht, da das Amt gehalten war, und der Greis rief: Matthes, seid Ihr es? Gleich, gleich, Vater! erwiderte dieser und setzte den Tritt, dessen er sich zum Auslöschen der Lichte bedient hatte, vorn vor den Altar hin. Der Blinde stieg ohne Furcht die Stufen in die Höhe. Doch ich empfand Mitleid und sprang hinzu, um ihn zu unterstützen und vor jedem Fall zu bewahren. Allein auch ohne mein Zutun wäre es ihm gelungen, auf den Altar zu steigen. Auf diesem Altar, den nachmals ein Gemälde von Dürer schmückte, stand ein hohes Kruzifix aus Holz geschnitzt, in der Tat ein unvergleichliches Werk. Der nackte Heiland, der mit der Dornenkrone zum Himmel blickend in dem Aufruf: Vater vergib ihnen! seine Seele aushauchte, ward sonderlich wegen der Genauigkeit und Richtigkeit bewundert, mit der alle Sehnen und Adern ausgedrückt waren. Ein ergreifender Anblick war es, wie der Blinde den Kreuzesstamm umfaßte und mit den Fingern leise über die Füße des Gott-Versöhners hinfuhr, die übereinander mit dem Nagel angeheftet waren, Er richtete sich auf den Zehen empor, um die Knie des Bildes zu erreichen und mit zärtlicher Liebe anzutasten. Wen so das Elend drückt, dem ist wohl ein wenig Aberglaube zu verzeihen, dachte ich bei mir, wenn er denkt, daß das Blut Christi, der die Blinden sehend machte, auch bei Berührung des hölzernen Bildes über ihn kommen und ihn heilen werde. Ich glaubte, er würde, wie man dies so oft von Leuten des niedern Volkes sieht, das Bild anbetend küssen, allein er bewegte die Lippe nicht und berührte nur gleichsam prüfend die wohlgebildeten Füße und Knie. Ich wandte mich fragend an den Kirchner, der mir erzählte, daß der Greis, seitdem er vor drei Jahren erblindet wäre, täglich die Kirche besuchte, um sich des Bildes zu freuen. Veit Stoß war der Greis, ehedem Nürnbergs berühmtester Bildschnitzer, und das Kruzifix war seine letzte Arbeit. Nachdem er viel Herrliches verfertigt, da erhielt er die Bestellung zu diesem Werk, dem er sich mit heiligem Eifer unterzog. Bei jedem Morgengebete flehete er zu Gott mit Tränen im Blick, ihm Kraft zu geben, damit dieses Werk der Heiligkeit des Gegenstandes entspräche, alsdann möchte kein anderes ihm gelingen. Das Christusbild gelang ihm und er erblindete. Da das Kruzifix sehr an Ansehen durch den Kerzendampf verloren, so hatte ich auf dasselbe meine Aufmerksamkeit weniger als billig gerichtet. Aber der Name Veit Stoß war mir darum nicht unbekannt, denn an das große Schnitzbild in der Lorenzkirche ward ich sogleich erinnert. Unterdessen war der Alte wohlbehalten vom Altar herabgestiegen und er faßte zu mir gleich ein großes Zutrauen, wie man die Blinden gemeinhin zutätig findet. Ihn erfreute es, daß ich teil an seinem Schicksale nahm, aber noch mehr, daß ich meine Bewunderung über sein Meisterstück aussprach. Ihr werdet es nicht glauben, begann er, aber ich nehme nicht meine Augen zurück um den Preis dieses Werkes, denn so etwas gelingt nur einmal. Die Erinnerung daran erleuchtet freundlich meine ewige Nacht. Nur im Anfange meines Unglücks, da ich meine Hände stark fühlte, meine Einbildungskraft furchtbar, meine Messer scharf, da ergriff mich bisweilen Mißmut und Verzweiflung. Mit den Messern, durch die ich mein Leben ehedem zu verewigen strebte, wollte ich es in manchen Augenblicken zerstören und mir die Kehle abschneiden. Wohl mir, daß ich ein treues Weib und ein teures Pflegekind besitze, die es nicht geschehen ließen, bis sich mein Unmut in Ruhe, meine Ruhe in Freudigkeit verkehrte. Ich gab ihm zu verstehen, daß mir Veit Stoß als Künstler und als Mensch gleich groß erschiene. Wenn mir das Kruzifix gefiele, so meinte er, würde ich auch andern Werken von ihm meine Anerkennung nicht versagen, und da er an meiner Aussprache erkannte, daß ich ein Fremder wäre, so fragte er mich, ob ich in der Lorenzkirche den englischen Gruß gesehen hätte. Ich bejahte es, bemerkte aber, daß ich sogleich nach der Lorenzkirche mich begeben wollte, um die Künstlichkeit der Arbeit von neuem zu bewundern, da die Schnitzwerke dadurch, daß ich ihren Schöpfer kennen gelernt, an Schönheit für mich gewönnen. So führe ich Euch dahin, sagte der gute Greis, so fern Ihr nicht an meinem Almosenmantel Anstand nehmt, denn ich wohne nicht gar weit von jener Kirche. Das nicht! erwiderte ich lächelnd, wohl aber nimmt es mich Wunder, daß Ihr Euch mir, dem Sehenden, zum Führer erbietet. Allein vorerst ist es nötig, daß wir uns zu unserm Gange stärken. Hier sehe ich einen Weinkeller, in dem wir uns Rats erholen wollen. Kommt, Vater, ich will Euch die Stufen herableiten. Da versicherte er mich, daß er noch niemals Wein getrunken, und lehnte meinen wohlmeinenden Vorschlag ab.

Ich lernte an dem Greise eine rührende Kindeseinfalt und Sittenunschuld kennen. Seit jeher hatte er ein einsam geräuschloses Leben geliebt, nur die Rücksicht, daß die Andachtsübungen ihn zu lange von den künstlerischen Arbeiten abgezogen hätten, hielt ihn zurück, sich in eine Klosterzelle einschließen zu lassen. Er hatte nie eine Gesellschaft besucht, selten einen Freund. Seine Freunde nannte er alle Künstler und den Wert der Freundschaft bestimmte er nach dem Wert ihrer Arbeiten. Eine Frau hatte er geheiratet, nur um der häuslichen Geschäfte überhoben sich ganz der Kunst widmen zu können. Ehemals war er wortkarg gewesen, jetzt plauderte er viel und arbeitete mit dem Munde, da es mit den Händen nicht ginge.

Der Greis erregte meine Teilnahme in immer höherm Grade und ich ließ es an Fragen nicht fehlen, die mit gefälliger Redseligkeit beantwortet wurden. Auf die Frage, von wem er die Kunst erlernt hätte, teilte er mir einen Abriß seines Lebens mit.

Mein Meister war ein Bildhauer in Krakau, zugleich mein Vater und mein Wohltäter. Eine gewisse Heiligkeit verhindert mich zu bezweifeln, daß er in der Kunst weniger ausgezeichnet war, als in der Wohltätigkeit. Einst kam er durch ein Gehölz bei Krakau, wo ein armer Hirtenknabe die Schafe werdete und mit Geschicklichkeit Flöten schnitt. Seine Aufmerksamkeit wurde auf ihn hingezogen. Er nahm mich mit sich und erzog mich wie seinen eignen Sohn. Mein Erhalter starb, noch ehe er die Hoffnungen erfüllt sah, die er von meinem Fleiß und meinen Anlagen hegte. Ich schnitzte fleißig Heiligenbilder, strich sie farbig an und erhöhte durch Goldverzierung ihren Reiz. Sie wurden weit und breit in den Kirchen von Polen und Ungarn aufgestellt. Mein Ruf war so groß, daß selbst der König von Portugal zwei Bilder bei mir bestellte, nämlich Adam und Eva. Als diese aus den Kisten, in die sie eingepackt waren, herausgehoben wurden, so hatte der König alle Künstler seiner Hauptstadt versammelt, die ein Urteil darüber abgeben sollten. Die Bilder waren lebensgroß und die Naturwahrheit in einem solchen Grade erreicht, daß die Künstler, durch die Überraschung gleichsam erschreckt, starr zu ihnen hinblickten und schwiegen. Da sagte der König lächelnd: Wer macht es dem Meister Veit Stoß nach, der das Holz in Menschen und die Menschen in Bildsäulen verwandelt? Güter hätte ich häufen können, aber ich kannte damals den Wert des Geldes noch nicht. Ich behielt so viel, als zu meiner einfachen Lebensweise gehörte, und schenkte das andere den Armen. Nicht Geld, aber Ruhm erstrebte ich zu erringen und entschloß mich daher, auf die Wanderschaft zu gehen. Bevor ich Krakau verließ, verteilte ich meine letzte Habe unter Notleidende und mit einem Rock, nicht besser als dieser, und mit diesem Stock trat ich voll Vertrauens meine Reise an. Überall fand ich Arbeit und kam, neunzehn Jahre sind es her, wohlbehalten in Nürnberg an. Meine Achtung für die hiesigen Künstler, mit Beschämung gestehe ich mein Unrecht, war sehr gemäßigt, wieviel ich auch schon im Auslande von ihnen vernommen. Sie sagten mir Rühmliches über meine Schnitzbilder, allein ich fühlte mich dadurch eben so wenig geehrt, als durch manchen Tadel gekränkt. Hart mußte ich meinen Dünkel büßen, als ich im Rathause einst die vier Apostel Dürers erblickte, wahrhaft göttliche Gemälde. Niederwerfen hätte ich mich vor ihnen mögen, mir an die Brust schlagen: Gott sei mir Sünder gnädig! Alles, was ich gearbeitet, erschien mir als eitel und fratzenhaft. Mehr als zehnmal hatte ich die Gestalten von Paul und Petrus geschnitzt, diesen mit den Schlüsseln, jenen mit dem Schwert, aber erst in Dürers lebensvollen Bildern sah ich ihr ganzes Wesen ausgesprochen. Ja, so war der Schoßjünger, so war der fürchterliche Saulus. Meine Demut stieg immer höher, da mir sich jetzt auch in den andern Gemälden Dürers, die ich lange hochmütig übersehen, unerreichbare Schönheiten aufdrangen, da ich in Kraffts und Vischers Werken eine rührende Naturwahrheit erkannte und an meinen Schnitzwerken Schnitzer aller Art und weder Anmut, noch Erhabenheit, Die Figur, an der ich eben arbeitete, es war ein heil. Lorenz, warf ich höhnisch in den Ofen, wohin er gehörte, und erwärmte mich an seinem Märtertode in den Flammen, wenn auch nicht auf dem Feuerrost. Meine Werkzeuge ließ ich jetzt rosten und ergriff Pinsel und Grabstichel, denn Dürer sollte mit mir seinen Ruhm teilen. Ohne Anweisung, nicht abgeschreckt durch tausend mißglückte Versuche, gelang meinem Eifer das Schwierigste. Dürer selbst, dessen Freundschaft ich nun suchte, konnte meinen Arbeiten Bewunderung nicht vorenthalten, wie oft er auch dazu den Kopf schüttelte, daß ich der Bildnerei zu entsagen gedachte. Da erschöpfte sich die Stadt in Lobeserhebungen über Kraffts Sakramentshäuslein, bald daraus über Vischers Sebaldusgrab und ich mußte mit die Werke laut preisen und weinte still heiße Tränen. Herr Hans Tucher, ein frommer Mann, der Vater unseres Bürgermeisters, bestellte bei mir um diese Zeit ein Schnitzbild, das in der Lorenzkirche würdig neben Kraffts Kunstdenkmal prangen sollte. Albrecht Dürer hatte es so eingeleitet. Da erleuchtete mich nach einem Gebet die Gnadenmutter und ich schärfte meine Messer und schnitzte Tag und Nacht den himmlischen Gruß groß und erhaben. Ja, ich feierte, wie der Phönix, meine Wiedergeburt, Weit erscholl der Ruf und über Adam Krafft und Peter Vischer vergaß man nicht Veit Stoß. Der Glanz meines letzten Werkes, des Gottessohnes, war zu groß, so daß meiner Augen Licht verlosch. Ich klage nicht. Nach vieler Tage Freude kann man wohl eine Schmerzensnacht ertragen, denn die Zeit meiner Blindheit ist nur eine Nacht.

Aber wovon lebt Ihr, beneidenswerter Alter, daß Ihr so froh leben könnt?

Ich brauche wenig, erwiderte jener, und damals, da ich mit unermüdlichem Eifer noch schaffte und über der Arbeit oft das Essen vergaß, habe ich mich daran gewöhnt, manchmal zu hungern. Meinen Unterhalt verdanke ich jetzt einer Pflegetochter, für die ein reicher Herr ein gutes Kostgeld zahlt. Meine Wohnung kostet mich nichts, da ich im Spital wohne. So bin ich ohne Sorgen und kann wohl hundert Jahre alt werden.

Unter solchen Gesprächen waren wir zur Lorenzkirche gekommen und ich konnte nicht genug bewundern, wie gut sich der Blinde überall zu finden wußte. Wir gingen an dem Sakramentshäuslein vorüber, wodurch sich Imhoff ein ewiges Denkmal setzte, und blieben in der Mitte eine Zeitlang stehen, über der an der Decke das herrliche Schnitzbild hing, und schritten dann hin und her, um das Meisterstück recht genau zu betrachten. Das Ganze war wohl zehn Fuß hoch. Unter einer Krone sitzt der ewige Vater mit Krone und Zepter in göttlicher Majestät und seine Strahlen senkten sich nieder auf die betende Jungfrau, die die Botschaft des Engels mit Freude und Schrecken erfüllt. Ein Kranz umschlingt die Figuren in liebender Vereinigung, der allein eine Strahlenkrone für des Künstlers Haupt genannt werden könnte. Keine durchbrochene Goldarbeit kann zierlicher und kunstreicher sein. Undeutlich war mir die Schlange, die ich unten am Kranze sich winden sah, mit dem Apfel im Rachen, und da ich nach der Bedeutung fragte, so ließ sich Veit also vernehmen.

Von jeher hatten die Lieder von den Meistern der Singekunst für mich eine bezaubernde Kraft. Wenn ich umsonst dieses oder jenes Wunder mir vorzustellen suchte um es im Bilde wieder vorzustellen, so schlug ich mein Liederbuch auf, das ich mir mühsam an Feierabenden zusammen geschrieben hatte, und ich fand Rat. In den geistlichen Lobgesängen lesen wir Gleichnisse des tiefsten Sinnes, durch die das Widersprechende in Einklang verhallt und die unsre Zweifel beschwichtigen, wie unruhige Kinder durch Lieder in Schlummer gewiegt werden. Da heißt es, die Dreieinigkeit sei der Harfe zu vergleichen, bei der Holz, Saite und Finger einen Ton gibt, oder der Muskatennuß, bei der Schale, Faser und Kern gleich köstlich ist. Christus wird das seltene Einhorn genannt, das durch keine Mühe gefangen werden kann, das aber freiwillig einer reinen Jungfrau naht und auf ihrem Schoße entschläft. Durch den Ruf am Kreuze machte der Erlöser uns lebendig, wie der Leu die Jungen lebendig schreit. Die Jungfräulichkeit Mariens wird unter dem Glase gedacht, durch das die Sonne scheint, ohne es zu trüben, ihre Empfängnis unter dem Feuer, in welchem sich der Herr zu Moses herniederließ, ohne den Busch zu versehren. Viele solche schöne Bilder erfanden die wackern Sänger, namentlich Conrad von Würzburg. Durch das Ave, sagte er, ward Eva besiegt. Wie durch Ungehorsam im alten Bunde Eva die Welt verdarb, so hat umgekehrt das Ave im neuen Bunde den Fluch gelöst. Drum seht Ihr, werter Herr, an meinem Werke unter den Füßen Mariens besiegt sich die Schlange winden, da das: Gegrüßt seist du, fromme Magd! ertönt.

Ich wußte nicht, ob ich die Erfindung oder die Ausführung mehr an dem Kunstwerke rühmen sollte, und dem Alten schien mein Beifall nicht gleichgültig zu sein. Er bat mich, ihn nach Hause zu begleiten, um dort noch ein anderes mühsames Schnitzwerk zu betrachten. Ich ging darauf ein. Jetzt sah ich, daß es mit seinem Vorgeben, neben der Lorenzkirche zu wohnen, nicht Ernst gewesen, denn wir kehrten zu der Holzbrücke zurück, über die wir gekommen waren. Da seht Ihr, rief er, das Spital zum heil. Geist. Das Gebäude war wegen seiner Bauart und seiner freundlichen Umgebung mir schon früher aufgefallen. Dasselbe ruhte nämlich auf zwei hohen Schwibbogen, die einen Arm der Pegnitz bis zur großen Insel überspannten, und seinen Vordergiebel umgrünten die Bäume eines freundlichen Gartens.

Wir hatten bald Veits Herberge erreicht und über zwei unbequeme Treppen kamen wir nach seinem Stübchen. Der Blinde unterstützte mich mit liebender Sorgfalt, um mich vor jedem Fehltritt zu schützen. Ich sah, daß jemand die Stubentüre ein wenig öffnete und dann schnell entschlüpfte. Auch ihm war es nicht entgangen und er murmelte: Was mag dem Mädchen sein? Sonst pflegt sie mir doch immer entgegen zu hüpfen.

Ein viereckiges Schnitzbild, das ich an eine Wand befestigt sah, war kein kleiner Schatz des ärmlichen Stübchens. Ich ahnte nicht, daß die Kammer noch einen größeren Schatz verbarg. Das Schnitzbild stellte die Krönung Mariens dar. Wie die Jungfrau so demutsvoll mit gefalteten Händen kniete, der Gott der Vater und Gott der Sohn mit dem Zeichen irdischer Majestät eine Krone aufsetzten! Wer sie sah, der mußte anbeten, wie die Engel, die über ihr gebildet waren. Wie hoch wäre der Preis für dieses Werk? fragte ich als ein geborener Handelsmann. Allein er erwiderte mir, daß er sich von dieser Arbeit nicht trennen könnte, die seine Freude wäre, wie dem blinden Musikanten seine Geige, und deren Berührung ihn wie Harfenton erbaute. Liebes Kind! rief der Alte, so komme doch. Du hörst ja, ich habe Besuch, und setze dem Herrn einen Schemel zurecht.

Verschämt trat da zögernden Schrittes im schlechten Hauskleide das holde Mädchen ein mit den blonden Locken und den Engelmienen, die Rosenthalerin und mit ihr meine höchste Lust. Sie setzte dienstfertig einen Strohstuhl neben den weißgescheuerten Lindentisch. Das ist der Herr, lieber Vater, flüsterte sie dem Alten zu, der Euch den Dukaten am Sebaldusfest verehrte. Gerührt dankte mir Meister Veit und meine Zunge war jetzt gelöst und ohne Hehl entdeckte ich ihm, was so lange schon mein Herz erfüllte. Maria entwich, vielleicht, daß sie sich nur verbarg, um die Röte ihres Gesichtes zu verbergen, die die Scharlachfarbe ihres Kleides am Sebaldustag beschämte. Der Alte war bewegt, da ich ihn mit meiner Person und meinem Glücksstande bekannt machte, so wie mit der Redlichkeit meiner Gesinnung. Weiß Freund Dürer darum? fragte er mich, durch ihn erhielt ich das Mädchen, das, so alt es ist, sechzehn Jahre bei mir lebt. Ein gutes frommes Kind. Schwer würde die Trennung sein, wenn nicht ihr Glück das meinige wäre. O daß ich ihre Liebe vergelten könnte! Ja – dieses Schnitzbild, wenn Ihr wirklich das Mädchen nehmt, müßt Ihr mitnehmen. Das sei mein Brautgeschenk. Er trocknete sich die Tränen vom verloschenen Auge – aber es waren Freudentränen. Ruft, bitte ich, Marien her, lag ich darauf dem Greise mit Inbrunst an, daß sie mir erkläre, ob ihr Gefühl meinem Gefühle entspreche. Dieser Tag sei der schönste meines Lebens! Sogleich bat sie Veit hereinzukommen, aber sie, anstatt zu erscheinen, eilte aus der Kammer die Treppe hinab und entrann. Zum erstenmal, sagte da mit strenger Miene der Alte, ist sie ungehorsam. Ich aber zürnte nicht dem Mädchen, denn ich war ihm zu gut.


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