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(1860)
Die meisten Fremden, welche nach Sizilien kommen, begnügen sich mit einem flüchtigen Besuche der interessantesten Küstenpunkte. Das Innere zu durchwandern entschließen sich aber nur sehr wenige, und es hat dies seinen natürlichen Grund in den vielen, außergewöhnlichen Unbequemlichkeiten und Hindernissen, die sich hier dem Reisen entgegenstellen. Die Eisenbahn ist hier noch eine unbekannte Größe, und von größeren, guten Poststraßen existierte bis vor kurzem nur eine einzige, die alte Straße, welche von Palermo quer durch das Innere, über Castro-Giovanni, Leonforte, Aderno nach Taormina und längs der Küste von da nach Messina führte.
Neuerlich sind zwar auch mehrere andere Orte durch Postrouten in Verbindung gesetzt worden; indes sind viele, und zwar manche der interessantesten Punkte doch noch durch keine fahrbare Straße mit den andern Verkehrspunkten verbunden, und so wird sich die althergebrachte Art, Sizilien zu durchreisen, wohl noch einige Zeit erhalten; besonders da einem andern großen Übelstande, dem Mangel an brauchbaren Wirtshäusern im Innern, noch nirgends abgeholfen ist. Die Gebäude, die durch den stolzen Titel »Locanda nobile« oder »Albergo Inglese« dem Fremden komfortable Aufnahme versprechen, unterscheiden sich in nichts von den andern Hütten der in Elend und Armut, Schmutz und Ungeziefer ganz verkommenen ländlichen Bevölkerung, und man kann sehr zufrieden sein, wenn man daselbst außer dem Obdach gegen das Wetter und außer einem unreinlichen Strohlager für schwere Piaster so viel Eier, so viel Makkaroni erhält, daß man den Hunger notdürftig stillen kann. Die elendesten Kneipen, welche wir im Apenninengebirge oder in der Campagna felice bei Neapel kennen gelernt hatten, erschienen uns immer noch relativ reich und bequem gegen diese sizilischen Hotels. Aus diesem Grunde richten die Reisenden, welche einen Giro durch die Insel machen wollen, sich gewöhnlich so ein, daß sie in Palermo Maultiere und einen berittenen Führer nehmen, welcher sie durch die ganze Insel begleitet und in einer Person Führer, Cicerone, Dolmetscher, Koch und Diener ist. Diese Führer sind so auf ihr Amt eingeübt, daß man sich um gar nichts zu bekümmern braucht und sich ihrer Leitung getrost überlassen kann. Dadurch gerät man aber andererseits in eine Abhängigkeit, welche nicht jedermanns Sache ist. Sowohl meinem Reisegefährten als mir würde dieselbe im höchsten Grade das Reisen verleidet haben, und wir beschlossen also, im Vertrauen auf unser gutes Glück und auf unsere Sprachkenntnis, von dieser gewöhnlichen Reisemethode abzuweichen und uns ohne Führer einen Weg durch das Innere zu suchen. Wir fuhren also zunächst auf der neuen Poststraße in gerader Linie von Palermo quer durch das Innere nach Süden, nach Girgenti. Die Landschaft, die wir hier durchschnitten, ist zum Teil, besonders in der Nähe von Palermo, gut angebaut; zum größeren Teil aber stimmt sie mit dem öden Gebirge überein, das wir nachher bei Santa Caterina wiederfanden, und das weiter unten geschildert ist.
Girgenti ist die bedeutendste Stadt an der Südküste Siziliens, mit 15 000 Einwohnern, freilich kaum ein Schatten des alten, durch seinen reichen Handel und glänzenden Luxus berühmten Akragas oder Agrigentum, dessen jetzt noch zum Teil erhaltene Mauern in einem Umkreise von fünf Miglien 800 000 Einwohner umschlossen. Wir hatten schon vorher nicht viel Glänzendes von Girgenti gehört und erwartet, und doch wurden unsere schwachen Erwartungen beim Eintritt in die Stadt noch mehr herabgestimmt: solcher Schmutz und Elend, solche Armut und Verkommenheit schauten aus den trüben Fenstern und schmalen Türen der niedrigen Häuser hervor. Dieser düstere und öde Anblick war uns neu, aber er kehrte nachher fast in jedem Städtchen in derselben Weise wieder, und nur die drei großen Städte an der Nord- und Ostküste, Palermo, Messina und Catania, die überhaupt, jede für sich, einen besonderen Charakter tragen, sind davon ausgenommen. Dieses Bild der Verkommenheit wird nur zum Teil durch wirkliches Elend erzeugt; zum großen Teil ist die einförmige, düstere Bauart aller Häuser daran schuld, die, in enge Gassen dicht zusammengedrängt, alle denselben schmutzig graubraunen Anstrich zeigen, dieselben steilen braunrötlichen Dächer, dieselben schmalen Fenster, deren Glasscheiben zum Teil durch geöltes Papier ersetzt sind, und enge Haustüren, zu denen zerfallene Treppen hinaufführen. Keine weiße Mauer, keine grüne Umfassung bringt einige Abwechselung hinein, die das Auge um so mehr entbehrt, wenn es durch die außerordentlich malerische Bauart der Wohnungen in Neapels reizenden Umgebungen verwöhnt ist: die freundlichen weißen Häuschen mit dem flachen Kuppeldach und den grünen Jalousien, den weinumrankten Säulen der luftigen Veranda und den üppigen Palmenschmuck des umschließenden Gärtchens. Vergeblich sahen wir uns in Girgenti nach einem so freundlichen Häuschen um, wie sie Capri und Ischia zur größten Zierde gereichen. Erst in der Hauptstraße, auf die wir nach langem Umhersteigen in den engen, winkeligen, steilen Gassen der Stadt gelangten, stießen wir auf einige besser aussehende Wohnungen, vor deren einer in großem Wappenschild der preußische Adler hing, mit der Unterschrift: Consulato regio Prussiano. Wir machten sogleich die Bekanntschaft des Herrn Konsuls, welcher uns mit der sehr formellen Höflichkeit empfing, mit der alle Sizilianer dem Forestiere begegnen, und mit Vergnügen die seltene Gelegenheit ergriff, sich in seinem offiziellen Charakter zu zeigen. Sehr bereitwillig instruierte er uns über die Sehenswürdigkeiten der Stadt und führte uns dann in das Casino Empedocleo, ein für Lektüre und gesellige Unterhaltung bestimmtes Museum, das die wohlhabenden Kaufleute und sonstigen Patrizier der Stadt gegründet und mit einer netten Bibliothek ausgerüstet haben. Außer den Schätzen der italienischen Literatur fanden wir darin zu unserer Überraschung auch mehrere französische naturwissenschaftliche Prachtwerke, wie Buffons Naturgeschichte, auch eine Übersetzung von Humboldts Kosmos. Die Girgentiner, die uns diese Sachen sehr zuvorkommend zeigten, machten auch im übrigen einen angenehmen Eindruck und verrieten durch ihre wißbegierigen Fragen mehr Bildung und Intelligenz als wir sonst unter ähnlichen Verhältnissen in Sizilien gefunden haben.
Die meiste Auskunft über die Verhältnisse von Girgenti erteilte uns der amerikanische Konsul, der Sohn eines Danziger Kaufmanns, welcher sich dort in wenigen Jahren ein bedeutendes Vermögen erworben hat. Nach seinen Angaben hat sich die Stadt in letzter Zeit wieder sehr gehoben und zwar allein durch ihren bedeutenden Schwefelhandel, welcher die anderen Handelszweige, den Export von Mandeln, Sumach usw. jetzt fast ganz in den Hintergrund gedrängt hat. Alle Schwefelminen im Südwesten der Insel führen ihre Produkte nach dem Hafen von Girgenti, und wir begegneten allenthalben im Innern dieses Teiles langen Zügen von Maultieren und Eseln – hier dem einzigen Transportmittel – deren Rücken mit großen Schwefelsäcken belastet war. Da der Konsum in den letzten fünf bis sechs Jahren, besonders infolge der Traubenkrankheit, gegen welche der Schwefel allenthalben in Italien massenweise angewendet wird – außerordentlich gestiegen, so ist der Preis innerhalb dieser Zeit im Verhältnis von 3 zu 10 in die Höhe gegangen. In Girgenti leben etwa ein Dutzend bedeutendere Kaufleute, die kurz nach dem ersten Erscheinen der Traubenkrankheit große Strecken schwefelhaltigen Bodens sich gekauft und dadurch binnen wenigen Jahren ansehnliche Reichtümer erworben haben. Die Kosten der Produktion sind so gering, daß die Mineneigentümer über 100 % reinen Gewinn haben. Girgenti exportiert allein jährlich für etwa eine halbe Million Dukati Schwefel. Die nächsten Schwefelminen liegen nahe im Rücken der Stadt, und wir besuchten am folgenden Tage eine der größten davon, die dem erwähnten Herrn selbst gehörte. Dieser Besuch war interessant durch die Aufschlüsse, die er uns über den höchst embryonalen Zustand des hiesigen Bergbaues und Maschinenwesens eröffnete. Man kann sich keine einfachere und primitivere Methode denken als die, deren sich die guten Sizilianer hier noch bedienen. Nicht die gewöhnlichsten unserer Maschinen, Instrumente und Hilfsmittel sind bekannt; Hacke und Spaten sind fast die einzigen Werkzeuge bei dieser Handarbeit, und auf gut Glück wird ohne allen festen Plan in das Gestein hineingearbeitet, wo nur irgend Schwefel sich findet. Ist der eine Gang, auf den man zufällig gestoßen ist, erschöpft, so bohrt man sich in der Nachbarschaft neue Löcher und führt die neuen Schächte und Stollen nach beliebigen Richtungen in den Berg hinein. Keiner der letzteren wird ausgemauert, sondern nur von Strecke zu Strecke bleiben einzelne Säulen als Stützen der Decke stehen. Die abgehauenen Stücke werden von anderen Arbeitern in Körben auf dem Kopfe hinausgetragen und auf Haufen geschüttet, die sogleich an Ort und Stelle ausgeschmolzen werden. Auch diese Operation geschieht auf die einfachste Weise. Die kegelförmig aufgetürmten Gesteinmassen werden mit einem, nur von einzelnen Schornsteinen durchbohrten Mantel von feuchter Erde umgeben, so vor Luftzutritt und Verbrennung geschützt und nun an dem freigelassenen unteren Ende angezündet. Der ausschmelzende Schwefel sickert unten ab und wird in Rinnen zu viereckigen Tafelformen geleitet, in denen er erstarrt. Wir wanderten durch einen der längsten Minengänge hindurch, der bald so eng war, daß wir uns nur mit Mühe hindurch zwängten, bald sich zu hohen Gewölben erweiterte, deren Decke mit schönen Cölestin- und Gipskristallen geschmückt war. Die Arbeiter, die wir überall antrafen, gingen wegen der drückenden Hitze, die in diesen oberflächlichen Stollen herrscht, völlig nackt und nahmen sich in ihrer dunkelbraunen Hautfarbe, die von einem dicken Überzuge feinen Schwefelstaubes hellgelb gesprenkelt war, sonderbar genug aus. Es waren gute, treuherzige Leute, welche die nie gesehenen Fremden voller Verwunderung anstarrten, neugierig ausfragten und zuletzt beim Abschiede mit aus Schwefel gegossenen Flöten, kleinen Tieren und anderen Spielereien beschenkten.
Der größere Teil der Bewohner von Girgenti ist gegenwärtig bei diesen Schwefelbergwerken beschäftigt und nur der kleinere Teil betreibt noch die Kultur der blühenden Gärten und reichen Fruchtfelder, welche sich am Fuße der Stadt bis gegen das Meer hin ausdehnen. Diese stehen zum großen Teil auf den Trümmern des alten Akragas, welches aus der halbkreisförmigen Ebene, die hier dem Meeresgestade entsteigt, terrassenförmig an den Hügeln hinan sich erhob. Beiderseits begrenzt war diese weite herrliche Bühne von den beiden Flüssen Akragas und Ipsa und im Norden und Osten geschlossen von einer zusammenhängenden Hügelkette, auf deren nordwestlichem Vorsprung, dem alten Kamikos, das neue Girgenti zusammengedrängt ist, während der lange scharfe Felsgrat, der sich im Osten herumzieht, mit einer Reihe prächtiger Ruinen gekrönt ist, die heutigen Tages noch in ihrer großartigen Anlage und schönen Ausführung an die glanzvolle Blüte der alten dorischen Pflanzstadt erinnern. Auf der lang gestreckten Firste dieses wellig gebogenen Bergrückens sind auch die gigantischen Reste der alten Stadtmauer fast noch im Zusammenhange sichtbar, welche teils aus dem lebendigen Fels selbst gehauen, teils aus aufgetürmten Riesenblöcken zusammengesetzt ist. In dieser einen Linie liegen vier der schönsten und größten Tempel, von denen zwei noch wohlerhalten sind. Ihre mächtigen Quaderblöcke und hohen Säulen, obwohl nur aus der porösen gelben Muschelbreccie der darunterliegenden Felsen gehauen, und durch keinen verkittenden Mörtel zusammengehalten, haben dennoch den vielen Erdbeben und Angriffen von zwei Jahrtausenden unerschüttert Widerstand geleistet. Von drei andern weiter unten liegenden Tempeln sind nur noch die Standorte durch wilde Trümmerhaufen bezeichnet. Der erhabenste von allen thront stolz auf dem Gipfel der höchsten Bergkuppe, der Tempel der Juno Lucina, ziemlich gut erhalten, an dessen einer Seite sogar noch Spuren der alten Purpurwandmalerei sichtbar sind.
Von dieser Höhe umfaßt der Blick nach Westen eines der üppigsten und blühendsten Landschaftsbilder, die der Süden Siziliens bieten kann, voll wogender Kornfelder und fruchtschwerer Weingärten, die durch undurchdringliche Hecken stachliger Kaktus und Agaven voneinander getrennt werden. Noch nie hatten wir vorher alle die köstlichen Erzeugnisse des südlichen Himmels in so reicher Fülle und Pracht beisammen gesehen, und besonders als wir am Nachmittag mitten durch das Fruchtgelände hindurch nach dem eine Stunde von der Stadt entfernten Hafenort, Molo di Girgenti, wanderten, versetzte uns die immer reichere und vollere Vegetation in stets neues Erstaunen. Namentlich gilt dies von der Agave americana und dem Cactus Opuntia, die, obwohl beide ursprünglich nicht einheimisch und aus dem neuen Kontinent herübergebracht, dennoch zu den wesentlichsten Charakterpflanzen der Mittelmeerflora gehören. So mächtig lang und breit sind hier die hechtblau bereiften, stachlich gezähnten Blätter der Agave, so hoch und stolz ihre kandelaberartig verzweigten, baumhohen Blütenstengel, daß man ihre ungleich kümmerlichen Verwandten aus Neapels Umgebungen kaum darin wiedererkennt. Ebenso ist es mit der Opuntia; ihre vielverzweigten holzigen Stämme erheben sich zu stattlichen, umfangreichen Bäumen, deren dickfleischige, frischgrüne, mit dichten und langen Stachelbüscheln bewehrte Scheibenglieder mit rotgoldenen Früchten überladen sind. Diese letzteren sind unter der Benennung: indianische Feigen, fiche d'India, allgemein in Sizilien beliebt, und sie liefern hier nach vorsichtiger Entfernung der dicken Stachelschale ein ebenso saftig kühlendes und angenehm aromatisches Obst, als sie wenige Breitengrade nördlicher fade, geschmacklos und wässerig werden. Anmutig bunt erscheint das Fruchtgelände durch die dunkelgrünen Zitronen- und Orangengärten mit goldigroten Früchten, die wie kleine Inseln in dem Meere der wogenden goldenen Kornfelder zerstreut sind. Ebenso werden letztere durch lange schmale Landstreifen gekreuzt, die von einem niedrigen, mit feingefiederten hellgrünen Blättchen gezierten Strauche bedeckt sind, dem Gerbersumach, Rhus Coriaria L., der zum Gerben des feineren Leders verwandt und besonders nach Nordamerika vielfach ausgeführt wird. Überall sind dazwischen zahlreiche Mandelbäume zerstreut, die hier vorzüglich gedeihen und mehr Früchte tragen sollen als im übrigen Sizilien. Dazwischen drängen sich mächtige, weit verzweigte Feigenbäume, mit blauen und grünen Früchten überhäuft, und alte, umfangreiche Karuben oder Johannisbrotbäume, deren dichtes dunkelgrünes Blätterdach eine fast geschlossene gewölbte Laube bildet, die kaum dem kleinsten Sonnenstrahl in den inneren kühlschattigen Raum bis zu den in schönem Bogen abwärts geschwungenen Ästen Zutritt gestattet. Seltener erscheint dazwischen die edle Kastanie und der Granatbaum, und die an anderen Stellen so entwickelte Dattelpalme wird bei Girgenti fast ganz vermißt. Am meisten von allen zogen jedoch die uralten ungeheuren Ölbäume unsere Aufmerksamkeit auf sich, die wir nie zu solchem Umfang hatten anwachsen sehen, selbst nicht in den berühmten Olivenwäldern von Tivoli und im Sabinergebirge. Der Volksmund schreibt diesen Bäumen ein mehr als tausendjähriges Alter zu, was bei dem langsamen Wachstum des Ölbaums allerdings kaum wunderbar erscheint. Die bizarre Gestalt der hohlen, spiralig gewundenen Stämme, die unten spreizend auseinander gehen und auf vier bis sechs oft mehrere Fuß voneinander entfernten kleineren Stämmen wurzeln, wird daher abgeleitet, daß die Sarazenen beim Pflanzen der Ölbäume ein halbes Dutzend junger Stämmchen in einen einzigen zusammenwachsen und verschmelzen machten, indem sie dieselben mit den von Rinde entblößten Berührungsflächen zusammenbanden. Ebenso wie nach unten, geht der phantastische Stamm auch nach oben in eine Anzahl flach zusammengedrückter Stämmchen auseinander, die sich schwungvoll verzweigen und zwischen dem silbergrauen Laube Tausende von kleinen schwarzen Früchten verbergen.
Den schönsten Anblick gewährt das reiche Tal von Girgenti, wenn man auf der Höhe des Junotempels stehend über seine weite Rundung hinweg den Blick auf das unendliche Meer schweifen läßt, dessen tiefes Blau gar prächtig mit der intensiv feuergelben Farbe des Gesteins kontrastiert, oder wenn man weiter unten auf den Ruinen des Jupitertempels steht, des kolossalsten aller Tempel, die nach Diodors Angabe das Altertum aufzuweisen hatte. Freilich wurde er nicht ganz vollendet; denn gerade als das Dach aufgesetzt werden sollte, zerstörten die Karthager die Stadt; aber die kolossalen Trümmermassen, die noch heute die 360 Fuß langen und halb so breiten Substruktionen der Cella bedecken, die Bruchstücke der Säulen, in deren Kannelierung ein erwachsener Mann sich völlig verbergen kann, und die 27 Fuß hohe Statue eines Giganten, einer Figur des Giebelfeldes, das einen Gigantenkampf darstellte, zeugen noch heute von der unübertroffenen Großartigkeit der Anlage. Von diesem niederen Standpunkte aus genießt man, durch die Säulenintervalle des nahen Dioskurentempels hindurchschauend, einen besonders reizenden Blick auf die neue Stadt, die auf zwei Hügelkuppen und deren Zwischental stolz ausgestreckt liegt und in dieser Entfernung, wo ihre kleinen terrassenförmig übereinandergebauten Häuser zu großen, kompakten Massen verschmelzen, das kümmerliche Aussehen ihres Inneren nicht ahnen läßt.
Nachdem wir unsern Blick lange genug an diesem, mit aller Glut der südlichen Farben töne reich ausgestatteten Bilde geweidet, wendeten wir uns nach der entgegengesetzten Seite, nach Osten, und wurden hier nicht wenig durch eine Landschaft überrascht, die in jeder Hinsicht gerade das Gegenteil der eben geschilderten war, so daß wir hätten glauben können, mit einem Male in eine der nur wenige Breitengrade entfernten Wüsten Nordafrikas versetzt zu sein. Vollkommen nackt und öde fällt nach dieser Seite der Bergrücken, der die vier Tempel trägt, sehr steil in ein wildes, totes Felsental ab, in dessen sandiger, von Trümmern überschütteter Tiefe das langsam hinkriechende Akragasflüßchen einen Ausweg nach dem Meere sucht. Gegenüber steigt die Felswand ebenso schroff und steil, ebenso nackt und vegetationsleer empor und über ihr sind nach Osten hin lange vielgliedrige Bergketten ausgestreckt, – überall dasselbe nackte, rotgelbe Gestein, ohne Spuren einer Kultur nah und fern, eine tote Einöde, in der das Auge vergebens nach einem erquickenden Ruhepunkt sucht. Das einzige Grün, das sich, in der Nähe wenigstens, erspähen läßt, sind zahlreiche kleine Zwergpalmen, Chamaerops humilis, deren fächerförmig gefaltete und fingerig gespaltene starre Blättchen in Menge aus den Ritzen und Zwischenräumen der durcheinander geworfenen Felsblöcke hervorschauen. Schon in den Umgebungen Palermos hatten wir diesen interessanten Zwergbaum kennen gelernt, den einzigen in Europa einheimischen Vertreter der schönen Palmenfamilie. Aber dort fanden wir ihn stets ganz in dem lockeren Sandboden verborgen, so daß nur die Spitzen der Blätter frei vorragten: hier dagegen erhebt sich der kleine Baumstamm bis zu fünf Fuß über den Boden und trägt auf seiner Spitze die zierliche Krone der Blattfächer, welche vielfach von den Sizilianern benutzt werden. Die zusammengebundenen Blätter liefern gute Besen, und ihre zähen und langfaserigen Gefäßbündel einen vortrefflichen Bindfaden, aus dem zierliche Sessel geflochten werden. Das Mark der sprossenden jungen Krone wird von den Bauern mit ebenso viel Vorliebe gegessen, als die reifen Früchte von den Ziegen, und die lockeren Bastnetze zwischen der Basis der Blattstiele liefern ein treffliches Werg. Außer diesen Massen von Zwergpalmen bemerkten wir in dieser öden Trümmerwüste nur noch zwei bedeutendere Pflanzen, den mit langer weißer Blütenähre geschmückten blattlosen Schaft der Meerzwiebel (Scilla maritima), und die langen, kriechenden Ranken des dornigen wilden Kapernstrauchs (Capparis spinosa). Um so auffallender war uns bei dieser Pflanzenarmut die Unmasse von kleinen weißen Schnecken aus den Gattungen Helix und Bulimus, die die Meerzwiebeln und Kapern zum Teil dicht überzogen hatten; auch zahllose Eidechsen und Geckonen, denen die brennende Sonnenglut auf dem nackten Fels zu behagen schien, huschten dazwischen umher, und Scharen von Grillen und Zikaden erfüllten die Luft mit ihrem monotonen Gezirpe.
Solche grelle Kontraste zwischen zwei unmittelbar aneinander stoßenden Landstrichen, wie die oben geschilderten, finden sich in Sizilien häufig, und wir hatten auf unserer weiteren Reise durch das Innere noch mehrfach Gelegenheit, dieselbe Beobachtung zu wiederholen. Nur sind leider die nackten, vegetationslosen Gebirge bei weitem überwiegend, und die üppigen fruchtreichen Hesperidengärten erscheinen nur als isolierte Oasen in diesen Wüsten zerstreut. Das gilt besonders von den welligen Hügelstrecken im mittleren und südlichen Teil des Inneren, während an den von der feuchten Seeluft erfrischten Küsten, besonders an der Nord- und Ostküste, die fruchtbaren Landstriche einen zusammenhängenden, nur stellenweise unterbrochenen grünen Bord bilden. Aber auch hier stehen oft die schroffen Gegensätze unvermittelt nebeneinander, und während man mit dem einen Fuße noch in einem duftenden Orangengarten steht, tritt schon der andere in eine öde Steinwüste hinaus, die nichts als Dornen und Disteln trägt.
Wir hatten beabsichtigt, von Girgenti längs der Südküste über Alicata und Terranuova nach Modica und um die Südspitze herum nach Syrakus zu gehen. Indes scheiterte dieser Plan an der Unmöglichkeit, Maultiere zum Reiten zu erhalten, welche jetzt alle bei den Schwefelbergwerken verwendet waren. In ganz Girgenti waren nur drei Maultiere disponibel; der Besitzer derselben wollte sie aber durchaus nicht ohne die Lettica zum Transporte hergeben; das Reisen mittelst der Lettica ist hier im südlichen Teile der Insel noch vielfach üblich, und der grandezzavolle Gentiluomo läßt diese Art zu reisen eigentlich allein als anständig gelten. Die Lettica ist eine enge, vollkommen geschlossene Sänfte, in der zwei Personen einander gegenüber Platz haben; sie ist zwischen zwei sehr langen parallelen Stangen befestigt, zwischen deren vordem und hintern Enden zwei mit Schellen behangene Maultiere, wie in eine Gabeldeichsel, eingespannt werden. Der Führer reitet auf einem dritten Tiere nebenher und treibt die beiden andern dirigierend an; die Bewegung soll bei dem sicheren und festen Tritt der Maultiere sehr angenehm sein, um so unangenehmer aber der monotone Klang der ewig läutenden Schellen und der unbequeme Sitz und die drückende Hitze in dem enggeschlossenen Käfige. Natürlich geht auch der freie Umblick in die Gegend völlig verloren. Überdies ist das Vergnügen sehr kostbar, mindestens 10–15 Tlr. für den Tag, und so zogen wir es denn vor, einen Postcourier zu benutzen, der zufällig auf der neu eröffneten Straße nach dem in der Mitte der Insel gelegenen Caltanisetta fuhr.
Am Abend aus Girgenti abgefahren, erwachten wir am andern Morgen kurz vor Caltanisetta, in dem Moment, als eben die Sonne hinter einem langgestreckten Bergrücken im Osten emportauchte und die vielgipfligen, nackten, rotgelben Gebirgsketten im Westen mit einer so reinen und intensiven Purpurglut übergoß, daß wir nur das herrliche Phänomen des Alpenglühens damit einigermaßen vergleichen zu können glaubten. Die nächste Umgebung von Caltanisetta war ziemlich gut angebaut; namentlich fielen uns üppige Gemüse- und Melonengärten auf; aber weiterhin schien wieder der nackte Boden jeder vegetabilischen Decke zu ermangeln und nur die bunten, roten, gelben, violetten und schwarzen Schwefelschlacken, welche zu hohen Kegeln vor den Eingängen der zahlreichen Minen an den Flanken der Berge aufgetürmt lagen, brachten einige Abwechselung in die öde Landschaft. Was wir am meisten entbehrten, war der Anblick des Meeres, an dessen tiefblauen Spiegel und rauschendes Wogengetön wir jetzt seit einem halben Jahre so gewöhnt waren, daß uns jede dessen ermangelnde Gegend nur halben Reiz zu besitzen schien. Je näher wir Caltanisetta kamen, desto mehr bedeckte sich die Straße mit zahlreichen Bauern und Hirten, welche Vieh trieben, und wir erfuhren, daß uns der Zufall das Glück gönnte, gerade zu dem großen sizilianischen Zentralviehmarkt in Caltanisetta einzutreffen, der nur einmal jährlich stattfindet und zu welchem Käufer und Händler mit großen Viehtransporten aus allen Teilen der Insel zusammenkommen.
Die Stadt selbst sowohl, die an und für sich betrachtet, sich kaum von anderen Städten des Inneren unterscheidet, als auch die recht hübschen Hügel und Täler in ihrer Umgebung waren angefüllt mit den zahlreichen bunten Herden und ihren Besitzern, die sich im Schatten kleiner Gebüsche gelagert hatten. Wir hofften, bei diesem Konflux vieler Bewohner aus allen Teilen Siziliens die verschiedenen Stämme in mannigfaltigen bunten Nationalkostümen zu sehen, fanden uns aber in dieser Erwartung sehr getäuscht. Sowohl unsere weiteren Wanderungen, als eingezogene Erkundigungen belehrten uns, daß eigentliche Nationalkostüme auf Sizilien gar nicht mehr existieren. Die Umgebungen Neapels, besonders die kampanischen Inseln, und noch weit mehr Rom und sein Gebirge lieferten uns in dieser Beziehung viel reichere Ausbeute. Bestimmteren Charakter zeigte das sizilische Vieh, unter welchem sich sowohl der Qualität als Quantität nach am meisten die Rinder auszeichneten, alle von derselben kleinen, rotbraunen sizilianischen Rasse, die in Unteritalien sonst fehlt. Sie fällt auf durch den feinen Bau ihrer schlanken Füße und das scharfgeschnittene Profil ihres feinen Kopfes, auf dem zwei unverhältnismäßig große, schön gewundene Hörner prangen, ein geheiligter Zierat, der in der Stube keines Sizilianers fehlt, und als unfehlbares Amulett gegen den mal' occhio, den bösen Blick, sowie gegen andern Geisterspuk, überall bei Vornehm und Gering in hohem Ansehn steht. Nächst den Rindern machten den besten Eindruck die Ziegen, stattliche, starkfüßige Tiere mit lang herabhängendem weißen Seidenhaar und ebenfalls außerordentlich langen und zierlich Spiral gewundenen Hörnern. Von einer viel kleineren und schwächeren Rasse waren die durchgängig schwarz gefärbten Schafe, die mit ihrem dichten krausen Wollhaar, dem schwarzen kleinen Kopf und den ebenfalls schwarzen sehr dünnen Beinchen viele Ähnlichkeit mit den Lüneburger Heidschnucken zeigten. Am schlechtesten und kümmerlichsten genährt und am wenigsten entwickelt erschienen die Maultiere und Esel, besonders aber die kleinen und mageren Pferde, woran freilich die ausnehmend schlechte Behandlung, der diese armen Tiere in ganz Italien ausgesetzt sind, und von der sich auch hier deutlich die Spuren zeigten, hauptsächlich schuld sein mag.
Kalte Grausamkeit und völliger Mangel alles Mitgefühls für die Tiere ist bekanntlich ein allgemeiner Charakterzug aller romanischen Nationen, und sie stehen in dieser Beziehung tief unter den slawischen Völkerschaften, bei denen sich die Haustiere, wie bei den Arabern, einer fast familiären Zärtlichkeit und sorgfältigen Behandlung erfreuen. Unter den Romanen gebührt aber vor allen andern den Italienern und besonders den Neapolitanern in dieser Beziehung der schlechteste Ruf. Zwar haben sie nicht die blutigen Stierkämpfe der Spanier; dafür aber quälen sie alltäglich ihre Pferde und Esel mit einer so empörenden Grausamkeit, daß die verhältnismäßig kurze Qual des wenigstens rasch zu Tode gemarterten Stiers dagegen als ein glückliches Los erscheint. Ich könnte viele einzelne Beispiele hierfür anführen, will aber hier nur eines hervorheben, das ich mehreremal selbst mit angesehen habe. Wenn im Toledo in Neapel eines der schwer beladenen Lasttiere, wie es dort stündlich geschieht, auf den glatten Quaderplatten ausgerutscht und gestürzt ist, so pflegt es sich wegen der aufgebürdeten übermäßigen Last nur mit großer Mühe wieder erheben zu können. Statt ihm nun dies durch Abnahme eines Teils der Last zu erleichtern, sucht der Neapolitanische Eseltreiber seinen Zweck einfacher durch quälende Schmerzen zu erreichen und sticht das arme Opfer mit einem spitzen Eisenstachel in wunde Stellen auf den hinteren Teil des Rückens und am Vorderbug, die zu diesem Zweck beständig offen erhalten werden. In einigen Fällen, wo diese Qual noch nicht heftig genug war, das arme Tier zum Aufspringen zu bewegen, nahm der Treiber sein Feuerzeug und zündete einen kleinen Reisigbündel an, den er dem Tiere unter die Flanke, auf die es gestürzt war, geschoben hatte. Dieses Mittel half denn auch in den verzweifeltsten Fällen. An solche barbarische Grausamkeiten ist man dort so gewöhnt, daß kein Mensch ein Wort darüber verliert und wenn es einem Fremden einfällt, den Neapolitaner darüber zur Rede zu setzen, so wird er verwundert angesehen, oder erhält höchstens zur Antwort: »Eh, non sono Christiani!« (Je nun, es sind ja keine Christen!)
Solche Roheiten, wie man sie in Neapel täglich sieht, sind uns in Sizilien nur selten begegnet, wie wir denn überhaupt die Sizilianer im ganzen gutmütiger, natürlicher und unverdorbener gefunden haben als die Neapolitaner. Daß der Charakter beider Nationen trotz vieles Gemeinsamen in Sprache und Sitte doch vielfach verschieden, ja entgegengesetzt sich äußert, ist bekannt, und man wird bei einem Vergleiche fast immer die Wagschale sich zugunsten der Sizilianer senken sehen. Ich kann in dieser Beziehung die Angaben anderer Reisenden von anderen Gesichtspunkten aus nur bestätigen. Ich gründe mein Urteil auf die Erfahrungen eines Jahres, dessen Sommerhälfte ich in Neapel, die Winterhälfte in Messina zubrachte. Der wissenschaftliche Zweck, den ich während dieses Aufenthalts verfolgte, das Studium niederer Seetiere, nötigte mich während dieser ganzen Zeit zum täglichen Verkehr mit dem niederen Volke, zunächst allerdings nur mit einer Klasse desselben, mit den Bootsleuten, die mich täglich bei meinen Exkursionen auf das Meer begleiteten, und mit den Fischern und Fischerjungen, die mir ihre Beute zubrachten. Indes hatte ich auch sonst vielfach Gelegenheit, in das Leben und Treiben verschiedener Volksklassen, besonders der niedersten, manchen Blick zu tun, wozu ja überhaupt der Fremde bei der extremen Öffentlichkeit, mit der das ganze private Leben im südlichen Italien zur Schau getragen wird, fortwährend mannichfache Gelegenheit findet. Außerdem war mir aber gerade der Verkehr mit den Fischern doppelt lehrreich, da diese Leute einmal mehr als andere Gewerb treibende einen bestimmten, festen Charakter angenommen haben und dann denselben immer mit derselben Offenheit und Präzision äußern. Um nun zunächst des Nutzens zu gedenken, den mir die dienstbaren Fischer in Neapel und in Messina gebracht haben, muß ich bekennen, daß die ersteren mir so gut wie nichts geholfen, mir aber dafür sehr viel Ärger und Mühe, Zeit und Geld gekostet haben, während die sizilianischen Fischer durch ihre Bemühungen den Erfolg meiner Arbeiten wesentlich gefördert haben. Die Tierchen, um die es sich handelte, waren pelagische Geschöpfe aus verschiedenen Klassen der Wirbellosen, alle aber ausgezeichnet durch ihr farbloses, durchsichtiges, kristallhelles Aussehen, welches ihre Erkennung und ihren Fang sehr erschwert. Zu diesen eigentümlichen Tieren gehören z. B. die Helmichthyden oder Wurmfischchen, kleine, nur ein paar Zoll lange Fischchen, so glashell und durchsichtig, daß man die Schrift eines Buches durch sie hindurch lesen kann. Aus der Klasse der Würmer zählten dahin die Alciope und Sagitta, aus dem Kreise der Mollusken die zahlreichen reizenden Formen der Flügel- und Kielschnecken, dann der ganze Schwärm der merkwürdigen Salpen; ferner zählen dazu die seltsamen Kolonien der Schwimmpolypen, die feinen Glocken- und Rippenquallen und viele andere sonderbare Geschöpfe aus allen Klassen der wirbellosen Tiere. Alle diese pelagischen Tierchen, wie verschieden sie auch sonst sind, stimmen in ihrer Farblosigkeit und glasartigen Durchsichtigkeit überein und erfordern daher ein sehr scharfes Auge zum Erkennen. Dazu wird ihr Fang noch dadurch erschwert, daß schon die leise Berührung des Netzes diese äußerst zarten Geschöpfchen verletzt oder tötet, und daß man, um sie ganz und lebendig zu erhalten, genötigt ist, sie in einem Becherglase zu schöpfen. Und diese alle brachten mir nun die Fischer jungen von Messina nicht nur täglich lebend und besterhalten zu, sondern sie kannten auch die einzelnen, zum Teil nur durch feine Unterschiede getrennten Spezies sehr genau und hatten für die meisten derselben besondere Namen. Hierdurch allein schon wird einerseits eine scharfe Beobachtungsgabe und ein feines Unterscheidungstalent, andrerseits eine gewisse Ausdauer und Arbeitslust, oder wenigstens eifriges industrielles Streben bewiesen. Von beiden war bei den neapolitanischen Fischern nichts zu finden und alle Bemühungen, sie zu diesem feinen Geschäfte durch Geduld abzurichten oder selbst durch Geld zu bewegen, waren vergebens. Das dolce far niente galt hier stets als höchstes Prinzip; hatten sie genug Geld sich erschwindelt, um wieder ein paar Tage ihr faules Leben fortzuführen, so konnte sie keine Versprechung, kein Geschenk bewegen, ihre untätigen Glieder zu rühren. Wie anders tätig waren da meine Messinesen, welche zu Dutzenden in rastlosem Eifer und unermüdlichem Wettstreite stets zum Verdienen und Arbeiten bereit waren. Ebenso sind die Bootsleute und Matrosen von Sizilien ungleich unternehmender, tätiger und geschickter, als die von Neapel, und dieser selbe Zug, Interesse und Eifer bei der Berufsarbeit, wenn auch hauptsächlich nur in der steten Rücksicht auf den Gewinn, ist in allen andern arbeitenden Klassen wiederzufinden, während in Neapel unter gleichen Verhältnissen überall mehr Schlaffheit, Indolenz und Müßiggang herrscht. Eine natürliche Folge davon ist, daß das Selbstgefühl und der Charakter beim Sizilianer viel mehr entwickelt ist als beim Neapolitaner. Der letztere ist nur so lange mutig, dreist und bis zur Unverschämtheit übermütig, so lange man ihm bescheiden und anspruchslos begegnet; diese Unverschämtheit schlägt aber in das Gegenteil um, sobald man ihm fest und entschieden entgegen tritt. Dann wird er kriechend und zieht sich eilig feig zurück, wie ihm denn überhaupt wirklicher Mut und männliche Entschlossenheit fehlen. Gegen eine wohlverdiente Züchtigung wagt er sich nie zu verteidigen und die Bastonata ist als ultima ratio bei ihm sehr wohl angewandt. Wollte man dagegen wagen, einen Sizilianer mit dem Stock zu schlagen, so würde man sich leicht der tätlichen Erwiderung, vielleicht auch dem sehr beliebten Messerstich in den Rücken aussetzen. Überhaupt verträgt er eine gewaltsame und herrische Behandlung viel weniger; aber er ist dafür auch selbst bescheidener und tritt mit weniger Arroganz auf. Schon aus diesem Grunde muß der Sizilianer den Neapolitaner verachten; aber er hat auch außerdem Grund genug, ihn von ganzem Herzen zu hassen. Wie lebendig dieses Gefühl schon von Jugend auf in den Gemütern genährt wird, beweist unter andern ein charakteristischer Zug, der mich in Messina oftmals ergötzte.
Unter den vielen abenteuerlichen, durchsichtigen pelagischen Tieren, die mir meine Fischerknaben täglich brachten, fand sich sehr häufig ein seltsamer, glasheller Krebs aus der Ordnung der Amphipoden oder Flohkrebse. Dieses Tierchen, höchstens einen Zoll lang, welches der Gattung Phronima angehört, hat nur einen dünnen schmächtigen Leib, aber einen ungeheueren Kopf mit zwei kolossalen Augen und mächtigen Freßwerkzeugen. An dem schmal zusammengedrückten Bruststück sind sieben Fußpaare befestigt und das fünfte derselben ist unverhältnismäßig entwickelt und trägt je eine kolossale, zweifingrige, schneidende Schere, die wie eine Messerklinge eingeschlagen werden kann. Diese furchtbaren Waffen gebraucht nun der Raubkrebs, um sich in den kleinen, durchsichtigen, tonnenförmigen Gehäusen gewisser Manteltierchen (Salpa) und gallertigen Melonenquellen (Beroe) festzusetzen. Er frißt den unglücklichen Inhaber derselben langsam auf und benutzt dann dessen Tönnchen zeitlebens als eigene Wohnung. Diese grausamen Schmarotzer nun sind bei allen Fischern in Messina unter dem Namen Napolitano bekannt und selten brachte mir ein kleiner Fischerjunge eines dieser Raubtiere, ohne eine malitiöse Bemerkung gegen den Neapolitaner hinzuzufügen. »Seht, Herr, diesen verdammten Neapolitaner, er frißt die arme, sizilianische Bestie auf und plündert ihr Haus. Aber nun kommt die Rache! Geh zum Teufel, verfluchte Bestie!«
Zum Teil erklären sich diese Dissonanzen des Nationalcharakters schon aus der verschiedenen Geschichte beider Länder. Die glorreichen Zeiten der Blüte, sowohl im grauen Altertum, wo unter griechischem Einfluß Syrakus, die Nebenbuhlerin Athens, eine Zeitlang die erste Stadt der Welt war, als später im Mittelalter, wo Sizilien ein unabhängiges glückliches Königreich bildete, haben fruchtbar auch noch auf spätere Zeit nachgewirkt. Die Sarazenen, die zwei Jahrhunderte hindurch die Insel beherrschten, um dann von den stärkeren Normannen verdrängt zu werden, die glückliche Regierung der Normannenkönige und der ihnen folgenden Hohenstaufen, vor allen unseres großen Kaisers Friedrich II, der mit seiner Gemahlin Konstantia von Arragonien und mehreren andern normannischen und hohenstaufischen Königen im Dome von Palermo begraben liegt – sie alle haben sich in den prachtvollen Domen und Palästen, die noch heute der Hauptstadt der Insel zur größten Zierde gereichen, unvergängliche Denkmale gestiftet und in vielen trefflichen Einrichtungen lebt noch heute ihr Name unvergessen fort. Vielleicht ist durch alle diese verschiedenartigen Okkupationen die gegenwärtige Bevölkerung Siziliens gemischter und aus verschiedeneren Elementen zusammengesetzt, als irgendeine andere in Italien. Aber sie ist in dieser Mischung nicht untergegangen, sondern hat neue Keime daraus empfangen und den eingepflanzten Charakter in gewissen Richtungen, ja zum Teil sogar noch in der Körperbildung treu bewahrt. So erinnert die dunkele Bevölkerung der Südküste, mit ihren schwarzen Augen, dem gelbbraunen Teint und den dicken roten Lippen an den sarazenischen Ursprung; unter den Syrakusanern und Catanesen herrschen schöne griechische Profile mit kurzen Stirnen, langen geraden Nasen und kleinem Munde; unter der Bevölkerung der Nordküste, besonders in den Umgebungen von Palermo, glaubten wir nicht selten in den helleren Augen und lichtbraunen Haaren den germanischen Typus wieder zu erkennen. Und ebenso, ja noch viel deutlicher lassen sich diese Einflüsse, sowohl der griechische, als der normannisch-deutsche und sarazenische, in der Sprache nachweisen, in der viele bezeichnende Ausdrücke jenen drei Sprachen entnommen sind. Diese vielfältige Mischung macht den sizilianischen Dialekt, der schon an und für sich in den gleichen Vokabeln durch Umlautung der Vokale und Abschleifung der harten Konsonanten sehr vom italienischen abweicht, schwer verständlich, und der Forestiere kann sich in der schönen, normalen Umgangssprache von Florenz und Rom frei bewegen, ja er kann sogar an die Barbarismen des neapolitanischen Dialekts gewöhnt sein, ohne doch von einer sizilianischen Unterhaltung, besonders auf dem Lande, nur ein Wort zu verstehen.
Von Caltanisetta aus machten wir eine Exkursion nach dem drei Stunden entfernten Santa Caterina, einem elenden, kleinen Gebirgsstädtchen, welches, nur wenige Stunden östlich von Castro-Giovanni, dem berühmten, alten Enna, fast genau im Mittelpunkte Siziliens liegt. Diese ganze Gegend kann als schlagendes Beispiel für die traurigen Veränderungen gelten, durch welche die im Altertum fruchtbarste Insel jetzt zu einer der ödesten geworden ist. Wir bestiegen von Santa Caterina aus einen der Berggipfel, von wo wir eine weite, umfassende Aussicht über einen großen Teil der Insel genossen. Schwerlich kann man sich nach unseren Begriffen von deutscher Gebirgslandschaft eine Vorstellung von der Bergwüste machen, in die wir hier versetzt waren. So weit das Auge reichte, nach allen Richtungen dasselbe Bild, nichts als mannichfach sich kreuzende und reihenweise hintereinander aufsteigende vielgipflige Gebirgszüge, meist sehr langgezogene zum Teil schnurgerade Konturen, die allmählich auf der einen Seite ansteigen und auf der andern in ein bis zwei schwungvollen Berglinien abfallen. Nirgends, weder nah noch fern, unterbrach ein Baum, eine Wohnung, ein Dorf die trostlose Einförmigkeit und man konnte sich vorstellen, plötzlich in eine, eben erst aus einer gewaltsamen Erdrevolution neu hervorgegangene, animalischen und vegetabilischen Lebens noch entbehrende Schöpfung versetzt zu sein. Über alles erhaben erschien uns hier zum erstenmal, weithin im Osten ausgestreckt, der riesige Ätna, eine gewaltige flach kegelförmige blaue Masse, die mit ihrem breiten Fuß ganze Reihen niederer Berge bedeckte und von deren Gipfel ein feiner zarter Dampfstreifen wie ein Schleier über die Insel weithin zog. Die allgemeine Farbe der Gebirge war ein lebhaftes Rotgelb, welches sich weiterhin zu einem zarten Purpur und in der duftigen Ferne zu einem schönen Violett abstufte.
Im Vordergrunde war dieses nackte Kalkgestein, welches im Glanze der untergehenden Sonne eine flammende Feuerfarbe annahm, durch zahlreiche kleine weiße Gipshügel unterbrochen, deren rundlich gewölbte Kuppen scharf und nackt daraus hervortraten. Die einzige Vegetation, welche zwischen dem kahlen Gestein sich entdecken ließ, bestand außer wenigem verdorrten Gras aus den weißen und gelben Blüten einiger blattlosen Amaryllideen und Liliazeen. Nirgends in der dürren Wüste eine Spur von Wasser! Und das war dieselbe Gegend, die nach Diodors Beschreibung der Paradiesgarten von Sizilien war, wo die Hunde über dem Dufte der zahllosen üppigen Kräuter die Spur des Wildes verloren, und wo zahlreiche Quellen die blumigen Gefilde stets frisch erhielten!
Diese traurige Umgestaltung ist zwar das Resultat verschiedener, zusammenwirkender Ursachen, doch vor allem auf Schuld der rücksichtslosen Ausrottung der Wälder zu schreiben. Sizilien ist jetzt so weit abgeholzt und entblößt, daß eigentlich nur noch ein einziger größerer Forst existiert, der Bosco di Caronia, der sich im Nordosten vom Fuß des Ätna gegen die Nordküste hinzieht. Die früher dicht bewaldeten Montagne Madonie sind jetzt fast baumleer und nur hier und da existieren noch kleine, kaum nennenswerte Gehölze. Dadurch ist es gekommen, daß Holz jetzt ein kostbarer Handelsartikel ist. Als Brennmaterial benutzen die Sizilianer importierte Steinkohlen und Holzkohlen aus dem Kirchenstaat, die ärmeren Leute das dornige Gestrüpp und Halbgesträuch der Eriken, Genisten und Zytisusarten, die sie von den entwaldeten Bergen zusammenholen. Fast aller Holzbedarf wird aus Nordamerika entnommen. Die zahlreichen nordamerikanischen Schiffe, die jeden Winter Tausende von Apfelsinenkisten aus Messina holen, bringen dafür in Bretter geschnittenes Holz herüber. Daß der Preis aller Holzarbeiten infolge dessen sehr hoch ist, versteht sich von selbst. Wie schädlich jene rücksichtslose Ausrottung der Wälder wirkt und wie die früher fruchtbarsten Landstriche dadurch plötzlich in eine tote Wüste verwandelt werden, ist durch die traurigen Beispiele von Kleinasien, Griechenland, Spanien bekannt genug. Mit den Bäumen verschwinden die auf ihnen wohnenden Moose, welche durch ihre hygroskopischen Eigenschaften bekanntlich in der Ökonomie der Natur von unschätzbarem Werte sind. Mehr noch als von dem regenreicheren Norden, gilt dies von dem sonnigen Süden, wo die Moose allein imstande sind, die mit den heftigen Platzregen herabgestürzten Wassermassen in den zarten Behältern ihres zierlichen Blattzellennetzes zurückzuhalten, wo sie nicht ungenutzt in den Spalten und Rinnen des trocknen Erdreichs abströmen, sondern aufbewahrt und allmählich in ökonomischer Sparsamkeit an die Bäume, die sie ernähren, und die Quellen, durch die sie die Felder speisen sollen, verteilt werden. So unscheinbar diese Wasserregulatoren sind, von so unberechenbarer Wichtigkeit sind sie für den ganzen Kulturzustand der Gegend und von ihrer Existenz hängt geradezu die des letzteren ab. Die traurige Wahrheit dieser Erfahrung hat sich an Siziliens vordem blühenden Gefilden wieder in schlagender Weise bestätigt. Schritt für Schritt verödeten die Landschaften, deren ernährende Flüsse infolge der Wälderausrottung versiegten. Das Wasser stürzt mit den reichen Winterregen jetzt noch ebenso wie ehedem vom sizilischen Himmel herab; aber es wird nicht mehr durch die Moose zurückgehalten, und nicht mehr beschatten und erhalten die Bäume die Quellen der Gebirge.
Nirgends fallen diese traurigen Folgen der Wälderausrottung schlagender in die Augen, als bei den sogenannten »Fiumaren«, welche den steilen Küstenabfall des sizilischen Hochlandes in großer Anzahl durchsetzen. Fiumare bedeutet eigentlich »ausgetretener Fluß«; hier indes bezeichnet man damit allgemein die charakteristischen, kiesigen Flußbetten, welche den größten Teil des Jahres über trocken liegen, im Winter und Frühjahr aber nach den heftigen Regengüssen, die im Gebirge fallen, und während der Schneeschmelze, sich plötzlich mit Wasser füllen. Das ganze langgestreckte Küstengebirge, welches sich vom Ätna längs des Ostrandes bis zum Vorgebirge Pelorum an der Nordostecke hinzieht, ist an seinem sehr steilen östlichen Abfalle von einer großen Anzahl solcher enger, rinnenförmiger Quertäler gefurcht, und diese erweitern sich, in den flachen und schmalen Küstensaum vortretend, plötzlich zu einer breiten und flachen Rinne, welche in ihrem kurzen Laufe bis zum Meere an Breite noch zunimmt. Der kleine dünne Wasserfaden, welcher auch in der größten dieser Fiumaren während der trockenen Jahreszeit nur mühsam in vielfach geschlängelten Windungen sich seinen Weg durch das lockere Kiesgeröll zum Meere sucht, läßt nicht ahnen, welche ungeheuren Wassermassen nach einem heftigen Regengusse, wie er häufig mit tropischer Rapidität und Intensität in das Gebirge niederstürzt, plötzlich das leere Bett erfüllen, Felsen und Erdstücke mit sich fortreißend und Verderben und Verwüstung in das gartengleiche Küstengelände bringend.
Durch den steilen Abfall des obersten Gebirges erhalten die in das enge Bett eingezwängten Sturzbäche eine außerordentliche Gewalt und schonen bei ihrer gewaltsamen Befreiung nichts, was sich ihrem wütenden Laufe entgegenstellt. Was für Kiesmassen jedesmal durch diese periodischen Sturzbäche aus den oberen Teilen des Gebirges losgerissen und in die unteren herabgeschwemmt werden, beweist schlagend das Beispiel der wenig bekannten, aber sehr merkwürdigen Abbadiazza bei Messina. Es ist dies die wohlerhaltene Ruine einer alten normannischen Kirche, auch Santa Maria della Scala genannt, welche kaum zwei Stunden von der Stadt entfernt mitten in einer Fiumare unmittelbar am Fuße des Antennamaregebirges liegt. Brombeeren und Efeu, Waldrebe und Geisblatt ranken üppig durch die Fensterbogen hinein und zieren die schöne sarazenisch-normannische Architektur mit einem Kranze des frischesten Grüns. Aber die alten Treppen und Türschwellen sind unter dem versandeten Boden begraben, und im Innern, wie rings im Umfange sind die herabgeschwemmten Kiesmassen bis zu solcher Höhe aufgetürmt, daß man, durch das Bogenfenster des Westendes von hinten eintretend, au niveau mit den Kapitalen der Säulen steht. Diese Kirche ist frühestens im elften Jahrhundert erbaut, und wenn so in dem verhältnismäßig kurzen Zeitraum von 800 Jahren solche Geröllmassen herabgeschwemmt werden konnten, so kann man ermessen, welch außerordentliche Mengen Felsgerölls in allen diesen Fiumaren zusammen in immer zunehmender Progression herabgespült, und welche Strecken fruchtbarsten Gartenlandes dadurch zerstört und in nacktes Wüstenland verwandelt werden. Die Zahl dieser Fiumaren ist zwischen Catania und Messina so beträchtlich, daß man fast alle paar Tausend Schritte eine passiert. Der Schaden, den die Fiumaren anrichten, beschränkt sich nicht auf den Verlust des fruchtbaren Landes, welches der Wildbach beim heftigen Herabströmen mit fortreißt, und dadurch sein unfruchtbares, totes Bett immer mehr erweitert; auch zu kleinen Überschwemmungen gibt er häufig Anlaß, verwüstet die mühvoll angelegten Gärten und läßt Steingeröll und Felstrümmer in denselben zurück. Und mit wie wenig Mitteln ließen sich diese verderblichen Wirkungen in segensreiche verkehren. Durch die Anlage einfacher Mauern, Wehren und Schleusen ließe sich der wilde Strom dämmen, seine Gewalt vernichten und zugleich das kostbare Wasser sparen, das, ökonomisch verteilt, den Ertrag des fruchtbaren Landes noch um vieles steigern könnte, während es so ungenutzt in das Meer stürzt und die durchströmten Berge und Felder ebenso trocken und öde zurückläßt als vorher. Dies Verhältnis ist so einleuchtend und das Bedürfnis so naheliegend, daß die Frage schon vielfältig in Anregung gebracht ist. Allein dem einzelnen Bauer fehlen die Mittel zu derartigen Bauten, und dem Leidensgenossen zur Abwehr gegen das gemeinsame Übel die Hand zu reichen, kann er sich nur schwer entschließen. Auch pflegt sich die allgemeine Indolenz des Italieners in solchen Fällen stets mit dem unschätzbaren Worte Pazienza! zu trösten.
Von Santa Caterina nach Caltanisetta zurückgekehrt, beschlossen wir, unsern Weg nach Syrakus durch die Mitte des südöstlichen Zipfels der Insel zu nehmen. Wir mieteten also einen Führer und zwei Maultiere, welche uns zunächst in fast ununterbrochenem, vierzehnstündigem Marsche nach Caltagirone brachten. Die Sizilianer reisen im Sommer durch das Innere nur des Nachts, um nicht der unerträglichen Hitze der Mittagssonne ausgesetzt zu sein, gegen die man vergeblich nach schützendem Schatten sucht. So brachen auch wir denn am 1. Oktober um Mitternacht von Caltanisetta auf. In der Nacht begegneten wir mehreren Reitern, die alle lautlos an uns vorüberzogen und unser: felicissima notte! nicht erwiderten. Am Tage dagegen war die Straße völlig leer und wir begegneten keiner einzigen Seele. Mit Ausnahme des letzten, durch indische Feigenkultur und Agavehügel ausgezeichneten Stückes vor Caltagirone, das wir um zwei Uhr mittags erreichten, bot die ganze durchschnittene Strecke nichts besonderes: ein einförmig welliges Hügelland, mit bald tieferen, bald flacheren, aber nirgends schroffen und wilden Tälern, fast überall mit Stoppelfeldern bedeckt, ohne irgendwelche Abwechselung und ohne Baumwuchs. Was uns bei diesem fleißigen Ackerbau sehr auffiel, war der völlige Mangel aller Dörfer. Während des ganzen vierzehnstündigen Rittes kamen wir nur durch eine einzige Ortschaft, und diese kurz vor Caltagirone. Auch einzelne Bauernhütten waren nirgends zu erblicken. In dieser Eigentümlichkeit bleiben sich aber alle Gegenden im Innern Siziliens, seien sie wüste Berge oder fleißig bebaute Hügel, völlig gleich. Eigentliche Dörfer in unserem Sinne existieren fast nirgends. Die ganze, Ackerbau und Viehzucht treibende Bevölkerung ist in kleine Städte zusammengedrängt, und diese liegen stets auf den Gipfeln der Berge. Als Grund dafür wurde mir teils die ungesunde Luft der Täler, in denen böse Fieber herrschen sollen, angegeben, teils behauptete man (und dies scheint mir wahrscheinlicher), diese Gewohnheit habe sich noch aus der Zeit des Mittelalters her erhalten, wo die Einwohner in beständiger Furcht vor räuberischen Einfällen der Sarazenen Schutz im Zusammenwohnen in befestigten, hochgelegenen Plätzen suchten. Während der kurzen Zeit, wo die Bauern den Acker bestellen, gehen sie, notdürftig verproviantiert, am Montag auf ihre meilenweit entlegenen Äcker, arbeiten dort fünf Tage und kehren am Sonnabend in die Stadt zurück. Trotzdem die Städte aber frei auf Bergspitzen liegen, sind sie doch meist so isoliert oder durch vorliegende Kuppen verdeckt, daß man viele Meilen durchreiten kann, ohne eine einzige anzutreffen.
In Caltagirone trafen wir wieder auf eine so eigentümliche Erscheinung, daß es wohl der Mühe verlohnt, einen Blick darauf zu werfen. Es ist die bedeutendste Stadt des Innern, mit 28000 Einwohnern, liegt aber so völlig von allem Verkehr isoliert und abgeschnitten, daß es durch keine einzige gute Fahrstraße mit einem Küstenort verbunden ist. Zwar gehen von den Toren der Stadt einige gute Chausseen aus. Diese verlieren sich aber, wie bei vielen andern sizilischen Städten, bald in rauhe steinige Saumpfade, die nur für Maultiere zugänglich sind. Wie selten hier der Zufall einen Fremden herführen mag, ergibt sich aus der merkwürdigen Neugierde, mit der wir überall verfolgt wurden, und die bei weitem alles vorher dagewesene übertraf. Schon bei unserem Einzüge versammelte sich ein dichter Schwärm von Gaffern und in den beiden Tagen unsers Aufenthalts waren wir, wo wir auch gehen und stehen mochten, überall von einem zahlreichen Gefolge Neugieriger umgeben, die zwar höchst zudringlich, aber zugleich treuherzig und oft sehr komisch naiv über alles Mögliche und Nichtmögliche ausfragten. Aus den Prussiani, als welche uns der Paß dokumentierte, wurden Persiani oder Russiani gemacht, und diese, auf gleichlautenden Klang basierte Verwechslung kehrte in verschiedenen Orten in derselben Weise und so oft wieder, daß ich die häufig ausgesprochene Behauptung: Prussia und Russia ist einerlei, und dies Land ist nichts weiter als eine Provinz von Persia, – für ein stereotypes Dogma in der politischen Geographie der Sizilianer halten muß. Mit Ausnahme ihrer zudringlichen Neugier machten die Caltagironesen übrigens durch ihr Wohlwollen und ihre zuvorkommende Freundlichkeit einen guten Eindruck, und wir fanden sie, wie alle Sizilianer in den abgelegenen Orten, in den meisten Beziehungen besser und kernhafter, als die Bewohner von Unter- und Mittelitalien. Caltagirone ist auch durch einen spezifischen Erwerbszweig ausgezeichnet, nämlich die Fabrikation von Terrakotten, die ganz nach den antiken Mustern der in Pompeji so massenhaft gefundenen, gebrannten Tonfiguren geformt erscheinen, und auch nach eben solcher Methode mittelst hölzerner Messer modelliert werden. Diese Figuren bilden in ganz Italien einen sehr beliebten Handelsartikel und werden hauptsächlich hier und in Catania gefertigt.
Von Caltagirone ritten wir in 16 Stunden nach Palazzuolo, um von dort nach Syrakus zu gehen. Diese Strecke führte uns durch einen der rauhesten Teile der Insel, über das hohe Joch des Monte Lauro, der uns durch einen fast subalpinen Charakter überraschte. Die vorwiegende Bodenart bildet der gelbe Kalkstein von Syrakus. Dazwischen sind aber große Strecken, besonders von Vizzini bis Bucheri und von dort bis Buscemi, von Basalt und Basalttuff eingenommen. Auf letzterem entwickelt sich, von frischen kleinen Bergbächen ernährt, eine kräftige Gebirgsflora, und manches erinnerte uns lebhaft an einige Orte in den bayrischen Voralpen. Besonders schön liegt Vizzini auf hohem steilen Fels über einer finsteren tiefen Schlucht, die von einem wilden Bergbach bewässert wird. Ringsum steigen steile Berge auf, die bis zu den Kuppen dicht mit indianischen Feigen bedeckt sind. Auch hier muß allenthalben früher eine weit blühendere Kultur geherrscht und eine zahlreiche, tätige Bevölkerung gewohnt haben. Von Palazzuolo, wo bedeutende griechische und römische Altertümer in großer Menge gefunden sind, ist dies bekannt. Aber auch auf dem ganzen einsamen Wege von Vizzini nach Palazzuolo, wo wir meilenweit kein Dorf erblickten, stießen wir an mehreren Orten auf von Efeu überwucherte Ruinen mittelalterlicher Gebäude, zum Teil, wie es schien, selbst Spuren stattlicher Paläste. Auf weiten Strecken hin führten durch das öde, rauhe, entvölkerte Gebirge breite Wege, die früher sorgfältig gepflastert gewesen waren. Jetzt waren sie gänzlich demoliert und die meist herausgerissenen Quadern dienten nur dazu, den Weg möglichst ungangbar zu machen. Palazzuolo selbst ist ein sehr elendes Nest, und hier sowohl wie in Syrakus, welches wir am andern Tage erreichten, fanden wir neue Gelegenheit, uns aus den großartigen Baudenkmälern früherer Jahrhunderte ein Bild von dem glänzenden Zustande zu machen, auf den griechische und römische Bildung einst die Insel erhoben hatten und an dessen Stelle in der tief gesunkenen Gegenwart allenthalben nur Verfall, Verödung und Verstörung sichtbar ist.
Den Beschluß unserer Reise durch das Innere Siziliens machte die Besteigung des Ätna, welche wir von Catania aus am 11. Oktober unternahmen. Catania steht, wie Palermo und Messina, durch seinen ganzen Habitus außerhalb der einförmigen, öden Reihe der übrigen sizilischen Städte; aber während es jenen beiden Hauptstädten an Umfang und Bedeutung nachsteht, übertrifft es sie bei weitem durch das freundliche und reinliche Aussehen seiner breiten Straßen, die mit Reihen stattlicher, schmucker Häuser gesäumt sind. Und ebenso scheint auch die Umgebung von Catania der der beiden andern Städte an glänzender Blütenfülle und üppiger Fruchtbarkeit den Rang streitig zu machen. Die Stadt selbst steht, mit ihrer nächsten Umgebung, auf den Lavaströmen, die vom Ätna herabgeflossen, beim Eintritt in das Meer erstarrt sind. Der Humus, der sich auf den obersten Schichten der alten verwitterten Lavadecke des Ätnafußes bildet, scheint an Produktivität sowohl die tertiäre Muschelbreccie von Palermo und Girgenti, als den Gneiß- und Glimmerschiefer von Messina zu übertreffen. Es ist, als ob der kohlschwarze Lavaboden mit verdoppelter Kraft alle Sonnenstrahlen aufsaugte und in sich konzentrierte, um daraus die wunderbare Würze und das süße Feuer zu schaffen, dem der berühmte Ätnawein im Benediktinerkonvent zu Catania seinen bewährten Ruf verdankt. Selbst noch in Nicolosi, das doch schon über 2000 Fuß hoch am Südabhang des Ätna liegt, gedeiht der Wein so ausgezeichnet, daß ich aus dem dortigen Garten des Don Giuseppe Gemmellaro eine Traube in Weingeist mitgebracht habe, deren Beeren unseren gewöhnlichen blauen Pflaumen an Größe gleich kommen.
Die Weingärten prangen hier überall am Fuße des Ätna in einer Üppigkeit, die selbst nach allem Vorhergesehenen uns immer noch überraschte. Gar prächtig heben sich die frischgrünen großen Blattlappen auf der dunkeln, von keinem Moose bedeckten Folie des kohlschwarzen Lavabodens ab, und überall sind die anderen köstlichen Fruchtbäume des Südens, Granate und Feige, Johannisbrot und Mandelbaum, Orange und Olive, in so malerischer Unordnung zwischen den Weinstöcken zerstreut, daß man nicht müde wird, in diesem Paradiesgarten zu lustwandeln. Was uns jedoch am meisten in Erstaunen versetzte, waren die herrlichen Gruppen von Paradiesfeigen oder Bananen (Musa), welche am südlichen und östlichen Fuße des Ätna, besonders zwischen Catania und Giarra einzelne in den Vignen zerstreute Bauernhütten umgeben. Mit dem breiten Schirm ihrer zartgewebten, seidenglänzenden, bis fünf Fuß langen Blätter, die fiederig bis zur Mittelrippe vom Windeshauch zerschlissen sind, bilden sie das angenehmste Schattendach, und aus der Mitte des kurzen saftreichen Stengels ragt der Blütenschaft hervor, dessen zart rosig und violett gefärbte Blüten mit dem dunkelgelben Staubkolben zu dem ewig frischen Grün der Blätter den angenehmsten Kontrast bilden. Allerdings bringt die Banane hier keine Frucht zur Reife. Aber es ist schon überraschend genug, dieses Tropengewächs, welches nächst der Palme vielleicht die edelste Gestalt des Pflanzenreichs ist und welches dem Tropenbewohner die Stelle des Getreides ersetzt, hier in einer Frische und Fülle im Freien gedeihen zu sehen, die nicht ahnen läßt, daß ihr eigentliches Vaterland erst 15 Breitengrade südlicher beginnt.
In der Gesellschaft der Banane ist auch die Dattelpalme (Phoenix dactylifera) hier besonders zahlreich ausgestreut und besonders schön entwickelt. Längs der ganzen Küste am Ostfuße des Ätna zwischen Catania und Messina, einem der reizendsten Küstenstriche des Mittelmeeres, wird die Aufmerksamkeit des Reisenden durch immer neue schöne Gruppen dieses edelsten Baumes gefesselt. Die schönsten Exemplare sahen wir in Taormina, wo die Ruinen der meisten alten Sarazenenpaläste von ein paar schuppig getäfelten Palmenstämmen überragt werden, mit deren zartgefiederter, kühngeschwungener Blätterkrone der Sirokko sein wildes Spiel treibt. Aber auch in Catania selbst sahen wir ausgezeichnet malerische Stämme, und als wir die beiden langen Prachtstraßen durchwanderten, welche, ebenso wie der Cassaro und die Macquedastraße in Palermo, die Stadt im Kreuz durchschneiden, erstaunten wir über die Mannigfaltigkeit der reizenden Bilder, welche der Durchblick durch die säulengetragenen Hallen der offenen Höfe in die Gärten bietet, und welche fast immer durch zwei Palmen ihren Abschluß erhalten. Dieselbe außerordentliche Üppigkeit der südlichen Vegetation steigt noch einige tausend Fuß am Ätna empor, und immer aufs neue wird man durch weitere glänzende Beispiele derselben überrascht. So begegnet man gleich oberhalb Catania den malerischen Resten einer altrömischen Wasserleitung, welche in einem undurchdringlichen Mantel der üppigsten Schling- und Rankengewächse, Efeu und Gundelrebe, Brombeer- und Kapernstrauch, förmlich versteckt sind. Weiterhin kommt man durch mehrere Dörfer, Gravina, Mascolucia und Massannunziata, welche von einem dichten Kranze grüner fruchtschwerer Obstgärten völlig eingeschlossen sind. Auch die vielen Kornfelder und Kaktuspflanzungen dazwischen, welche die Straße beiderseits ununterbrochen säumen, zeichnen sich ebenso vorteilhaft aus, und kaum haben wir die Agave, welche die einzelnen Grundstücke in Heckenform abgrenzt, wieder zu solchem Umfang heranwachsen sehen.
Aber, wie so oft in Sizilien, stehen auch hier die schroffsten Gegensätze unmittelbar nebeneinander, und nachdem wir über drei Stunden in diesem reizenden Gartengelände allmählich bergan gestiegen waren, traten wir plötzlich aus dem grünen, duft- und blütenreichen Dickicht auf eine weite, nur wenig ansteigende, offene Fläche hinaus, die uns durch ein vollkommen entgegengesetztes Bild überraschte. Da lag auf einmal in seiner ganzen, ungeheuren Breite der riesige Vulkan vor uns ausgestreckt, welcher bisher hinter niedrigen Vorbergen sich versteckt hatte, rings umlagert von einer ganzen Schar von Söhnen und Enkeln, welche nackt und öde aus dem toten Boden emporstarren. An vierzig beträgt die Zahl der größeren Krater und Doppelkegel, welche den vielen im Laufe der Zeit erfolgten Eruptionen ihren Ursprung verdanken, und zahllos ist die Menge der kleinen Auswurfshügel, welche allenthalben dazwischen zerstreut sind. Erst hier verschafft man sich eine Idee von der ungeheuren Masse dieses Gebirgshaufens, gegen den der Vesuv als einzelner Vulkan verschwindend zurücktritt. Seltsam fremdartig erscheint dem ungewohnten Auge die gleichmäßige, vollkommen reguläre und geometrisch scharf zugeschnittene Kegelform aller dieser Krater, seltsamer noch ihre Farbe, welche nur zum Teil in das allgemeine Trauerkleid der kohlschwarzen Lava paßt, zum Teil aber durch eingestreute lebhaft braune, rote, gelbe und weiße Tinten in grellem Kontrast zum ersteren steht. Der stattlichste von allen erhob sich zu unserer Linken, der prächtig dunkelrote Krater der Monti rossi, welcher der Eruption von 1669 seine Entstehung verdankt und dessen Zwillingsspitzen mit einem lockern, roten Sande bedeckt sind, in welchem man Tausende der schönsten Pyroxenkristalle findet. An den östlichen Fuß der Monte rossi lehnt sich das freundliche Nicolosi an, das höchste Dorf auf dem Ätna. Mit Ausnahme der wenigen Pinien, Zypressen, Lorbeeren, sowie einiger Obstbäume in seiner nächsten Umgebung, findet man in der ganzen weiten vulkanischen Gebirgswüste nur hier und da einen kleinen grünen Punkt. Meist ist der Boden völlig nackt und nur zum kleineren Teil mit etwas Wein und Korn bebaut.
Nur eine sonderbare Vegetationsform verdient hier besondere Erwähnung. In einiger Entfernung erblickten wir zwischen den einzelnen, durch Lavamauern quadratförmig abgeteilten Grundstücken, niedrige seltsame Bäume in dichten Gruppen und Reihen, welche wir mit nichts anderem als den traurigen blattlosen Grasbäumen, den schattenlosen Kasuarinen und Eukalypten Neuhollands vergleichen zu können glaubten. Ein schlanker, etwa 20 Fuß hoher Stamm mit graugelber, glatter Rinde, bis ½ Fuß dick, löst sich plötzlich in einen struppigen Kopf von dünnen graugrünen Ästen auf, welche nur sehr spärlich mit kleinen linealen Blättern bedeckt sind und weit nach allen Seiten hin sparig abstehen. Weiterhin fanden wir noch einige Exemplare, welche an den Enden der rutenformigen Äste schöne gelbe Blütentrauben trugen, und nun überzeugten wir uns zu unserer großen Verwunderung, daß wir es mit nichts weiter als einem kolossal entwickelten Ginsterstrauch, der Genista Etnensis DG. zu tun hatten, welcher von den Ätnabewohnern auch richtig »Ginestra« genannt, und, wie unser kleiner Heideginster, zur Besenfabrikation verwendet wird.
Es war Mittag, als wir in Nicolosi anlangten, und da die dichten Wolkenhaufen, welche am Morgen das Ätnahaupt verhüllt und uns Besorgnis eingeflößt hatten, jetzt sich zum größten Teil zerstreut hatten, beschlossen wir, noch heute die Besteigung des Gipfels auszuführen. Ehe jedoch Führer und Maultiere bereit waren und wir unsern aus Catania mitgebrachten Proviant gehörig vervollständigt hatten, vergingen noch mehrere Stunden und diese verbrachten wir in lehrreichem Gespräch bei dem Doktor Giuseppe Gemmellaro, dem Arzte der Ortschaft, welcher bei allen Ätnareisenden durch die freundliche Unterstützung, die er ihnen mit Rat und Tat gewährt, im besten Andenken steht. Dieser sogenannte »Wächter des Ätna« ist der jüngere Bruder des jetzt verstorbenen Don Mario Gemmellaro, welcher sich um die Kenntnis und Erforschung des Vulkans vielfache Verdienste erworben und seine Erfahrung in einem trefflichen Buche »Guida all' Etna« niedergelegt hat. Beide Brüder haben die Mineralien des Berges sehr vollständig gesammelt, und einen kleinen Teil dieser wichtigen und interessanten Sammlung konnten wir dort in Gemmellaros Hause sehen. Er hat auch eine Sammlung aller auf den Vulkan bezüglichen Schriften angelegt, unter denen vor allen das ausgezeichnete Prachtwerk unseres berühmten Landsmannes glänzt, des Göttinger Professors Sartorius von Waltershausen. Nicht weniger als fünf Jahre brachte dieser treffliche Geologe auf dem Ätna zu (davon allein zwei Monate in der Casa Inglese), um seine prächtigen Karten und Zeichnungen zu entwerfen.
Endlich um vier Uhr nachmittags ritt unser Führer Antonio mit den marschfertigen Maultieren vor, und nachdem wir den Proviant und das Gepäck, sowie etwas Öl, Kohlen und Wasser auf die drei Tiere verteilt und uns durch einen letzten Schluck edelsten Feuerweins gestärkt, ritten wir voll Hoffnung und froher Erwartung dem Ziele unserer lang gehegten Wünsche entgegen. Nicolosi liegt bereits 2100 Fuß hoch, also an der oberen Grenze der regione piemontese oder coltivata, der untersten der drei Zonen, in welche von alters her sehr naturgemäß der Mantel des Ätna eingeteilt wird. Noch über eine Stunde ritten wir in diesem untersten, bebauten Gürtel fort, da die flachhügelige Ebene, in welcher Nicolosi liegt, kaum merkbar gegen den Kegel ansteigt. Erst wo diese allmähliche Erhebung plötzlich in eine ziemlich steile Steigung übergeht, beginnt scharf abgeschnitten die zweite oder mittlere Vegetationszone, die regione boscosa oder nemorosa, welche von 2000 bis 6000 Fuß reicht. Dieselbe besteht einzig und allein aus bald dichterem, bald dünnerem Laubwald, nur hier und da mit ein wenig Nadelholz gemischt, welcher sich nach Norden und Nordwesten in die Ebene hinabzieht und hier in den Bosco di Caronia fortsetzt, den einzigen größeren Forst, den die Insel jetzt noch besitzt. Dichtes Unterholz haben wir nirgends in diesem Walde bemerkt, und der Boden besteht teils aus demselben nackten, schwarzen, lockern Lavasande, der auch in den beiden andern Regionen vorherrscht, teils ist er dicht mit hohen Büschen unseres Adlerfarnkrautes (Pteris aquilina) bedeckt. Dieser breite Waldgürtel zerfällt wieder in zwei Unterabteilungen: die untere Waldzone, von 2000 bis 3500 Fuß, besteht vorwiegend aus Eichen und Kastanien, die obere, von 3500 bis 6000 Fuß, aus Buchen und Birken. Dazwischen finden sich auch einzelne verkümmerte Kiefern. Der am massenhaftesten vorhandene Baum ist die Eiche, und zwar sind es ausschließlich Arten von sommergrünen Eichen, welche den Waldgürtel bilden. Die in der regione piemontese stark vertretenen immergrünen Eichen reichen nur ausnahmsweise in den letzteren hinein. In der oberen Waldregion ist unsere Rotbuche (Fagus silvativa) am stärksten vertreten, und die Birke (sowohl unsere gewöhnliche Betula alba, als eine dem Ätna eigentümliche Art B. Etnensis) sind weniger zahlreich eingestreut. An der obersten Höhengrenze gehen diese Bäume in ihre alpinen Zwergformen über und werden zu niedrigen, knorrigen, kriechenden Sträuchern. Besonders läßt sich an der Buche sehr hübsch die allmähliche Verkümmerung der Blattorgane zugunsten des stärker entwickelten Stammes verfolgen. In den obersten Regionen wird diese, stufenweis mit dem Ansteigen in die Höhe zunehmende zentripetale Entwicklung so auffallend, daß die Buche ihren spezifischen Charakter dabei ganz einbüßt. Fast pyramidenförmig erhebt sich auf einer breiten Unterlage von starken, knorrigen, weit zwischen den Lavablöcken verzweigten Wurzeln, die nur mit Mühe in dem lockern vulkanischen Geröll sich festhalten können, ein dicker und kurzer, knotiger und untersetzter Stamm, welcher sich nach oben rasch verjüngt und es eigentlich nicht zur Bildung einer Krone mehr bringt. Denn die von der knorrigen Achse rings abgehenden starken und kurzen Äste schmiegen sich, ohne sich auszubreiten, eng an letzteren an und verraten durch ihr dürftiges Blätterkleid hinreichend die Unbilden des rauhen Klimas, mit dem sie hier den größten Teil des Jahres zu kämpfen haben. Mühsam windet sich in zahlreichen Schlangenwindungen der schmale, jähe Saumpfad zwischen dem vorstehenden Geäst dieser Stämme und Wurzeln hindurch, oft hohlwegartig vertieft und eingeklemmt. Die Steigung wird gleich beim Beginn der Waldzone sehr bedeutend und das ununterbrochene Hinanklimmen auf diesem steilen, vielverschlungenen Pfade fällt um so beschwerlicher, als der lockere, stark mit feiner vulkanischer Asche gemengte Sand dem klimmenden Fuße nirgends einen festen Stützpunkt bietet und ihn oft trügerisch weiter zurückgleiten läßt, als der Schritt vorher ihn hinauf gefördert hatte. Doch wurde uns wenigstens das Auffinden des Weges sehr erleichtert durch das helle Licht des Vollmondes, welcher kurz nach Sonnenuntergang, eben bevor wir den Baumgürtel erreichten, als dunkel blutrote Scheibe zwischen den zerrissenen Schichtwolken im Osten emporgestiegen war, und nun, je höher er stieg, desto voller und klarer vom schwarzblauen Himmelsgewölbe herabstrahlte und das dünne Blätterdach des Waldes leuchtend durchbrach. Die Begleitung des Vollmondes ist für die Ätnareisenden ein unschätzbarer Vorteil, besonders in den acht Wintermonaten, vom November bis Juni, wo man, da die Schutzhäuser verschneit sind, weder in der Casa della neve, noch in der Casa Inglese übernachten kann. Man ist dann gezwungen, um bei Tagesanbruch auf dem Gipfel zu sein, ohne Unterbrechung von Nicolosi an in der Nacht in einem Zuge acht Stunden bergauf zu reiten, oder vielmehr, da der Schnee im Winter tief bis in die Baumregion hinabreicht und die Maultiere nicht darin fortkommen, zu Fuß zu steigen. Wenn dann nicht zufällig das volle Mondlicht den Weg zeigt, ist man gezwungen, besondere Führer mit Fackeln oder Laternen zu nehmen, bei deren unsicherem Lichte jedoch der schwierige Pfad doppelte Mühe veranlaßt. Es mochte etwa sechs Uhr sein, als wir die höchste menschliche Wohnung auf dem Ätna, die Casa del bosco Rinazzi in 3100 Fuß Höhe passierten, und um neun Uhr hatten wir die obere Grenze der Regione nemorosa erreicht, wo wir uns am Fuße der letzten Bäume, mit deren bizarren Stämmen der Vollmond sein phantastisches Schattenspiel trieb, lagerten, und uns und die drei Saumtiere durch einen Abendimbiß zur weitern Bergfahrt stärkten, deren Beschwerden von hier an erst fühlbarer wurden. Für die bedauernswerten Maultiere war dies für heute und morgen der letzte Bissen, da sie von hier an während des ganzen weitern Rittes, bis Nicolosi herab, weder einen Tropfen Wasser, noch einen Gran Korn erhielten, und der hartherzige Lavaboden ihnen nicht einmal eine Distel zur Stillung des Hungers hervorwachsen ließ. Und dabei sollten uns die armen Tiere noch über 3000 Fuß den allermühsamsten Lavapfad hinauf schleppen!
Wir betraten nun den dritten und höchsten Gürtel des Ätna, die nackte oder Schneezone ( regione scoperta oder nevosa), welche die ganze obere Hälfte des Berges, von 6000 bis über 10 000 Fuß, einnimmt. Es ist das ödeste, wildeste, toteste Gebirge, das man sich vorstellen kann. Von Baumwuchs, geschweige denn von menschlicher Kultur ist keine Spur mehr sichtbar und alles tierische Leben ist völlig verschwunden. Kein Zirpen einer Grille, kein Rascheln einer fliehenden Eidechse, kein Schrei eines Raubvogels, welche sonst auch die ödesten und vegetationslosesten sizilischen Landschaften beleben, unterbricht hier die lautlose Grabesstille der erstarrten und erstorbenen Natur. Nackt und schwarz starren überall die zackigen, wild durcheinander geworfenen Lavablöcke aus dem toten Boden empor, teilweis oder ganz verhüllt durch dünnere oder dickere Schichten trockener, feiner vulkanischer Asche, welche auch alle Zwischenräume ausfüllt und wie der bewegliche Flugsand bei jedem Wehen des Windes täglich Ort und Lagerung wechselt. Keine zusammenhängende Rasendecke vermag sich auf diesem beweglichen Boden zu bilden und ihm dauernd Leben zu verleihen; denn nirgends rieselt eine Quelle oder ein Bach, der allein in dieser Lavawüste grünende Oasen hervorzurufen imstande wäre. Und wenn auch einmal hie und da eine kleine grüne Insel sich bildete, so würde schon die nächste Eruption, bei der sich wieder die ganze Oberfläche erneuert, sie unter der unfruchtbaren, toten Asche begraben. Diesen beiden Momenten, der steten Umgestaltung der Bodenoberfläche und dem Mangel der bewässernden Quellen, ist es zuzuschreiben, daß sich auf diesen weit ausgedehnten Hochbezirksflächen keine Alpenvegetation zeigt, deren Entwickelung sonst das alpine Klima hinreichend begünstigen würde. So fehlt den Pflanzen, die in dieser obersten, während des größten Teils des Jahres von Schnee bedeckten Ätnazone leben, der alpine Charakter ganz, und die äußerst dürftige Vegetation, welche in den Spalten und Klüften dieses toten Gebirges, in der lockeren Asche und zwischen den harten Lavablöcken ihr kümmerliches Dasein fristet, trägt einen so eigentümlichen Habitus, daß es der Mühe verlohnt, noch einen flüchtigen Blick darauf zu werfen. In dieser ganzen 4000 Fuß breiten Schneezone des Ätna finden sich kaum 40 Phanerogamen und über 7000 Fuß hinaus nur noch 10 Arten, unter denen unser Wacholder- und Berberitzenstrauch (Juniperus communis und Berberis vulgaris) besonders zu bemerken sind; außer den fünf sogleich zu nennenden noch Viola gracilis, Saponaria depressa, Rumex scutatus. In 7500 Fuß läßt sich wieder eine horizontale Grenzlinie um den Berg legen, welche die regione scoperta in einen oberen und unteren Abschnitt teilt. Denn über dieser Grenze finden sich, die letzten 2000 Fuß, nur noch fünf Phanerogamen: 1. Senecio Etnensis (Jan.); 2. Anthemis Etnensis (Schouw); 3. Robertsia taraxacoides (DG.); 4. Tanacetum vulgare (L.); 5. Astragalus Siculus (Biv.). Von diesen fünf Pflanzen fällt es sogleich auf, daß nicht weniger als vier zu den Kompositen gehören, einer Familie, die sonst in den Alpen, wenn auch gut vertreten, doch nicht vorwiegend entwickelt ist. Die vierte derselben ist eine bei uns in Deutschland an allen Wegen gemeine Art (übrigens, nach dem Habitus zu urteilen, doch mindestens eine eigentümliche Varietät); die drei ersten sind dem Ätna eigentümliche Pflanzen, welche sonst nirgends vorkommen. Die am meisten auffallende und charakteristische Pflanze ist die fünfte, der Astragalus siculus, welcher mächtige, halbkugelige Rasen bis zu vier Fuß Durchmesser bildet, von denen aber nur die Oberfläche sichtbar ist, da alle Zwischenräume zwischen den dichtstehenden, holzigen Ästen des starken Halbstrauchs von herabgewehter Asche und Sand ausgefüllt sind. So ragen nur die äußeren, mit langen Stacheln bewaffneten und mit kleinen fleischfarbenen Blüten gezierten Spitzen der dichtbeblätterten Äste aus den Aschenhaufen hervor. Von den zehn Pflanzen, welche über 10000 Fuß gehen, trägt kaum eine einen eigentlich alpinen Habitus, am ehesten noch die Saponaria, nächstdem die Anthemis. Dagegen sieht der Senecio, den wir unter allen am höchsten hinauf fanden, nämlich noch 500 Fuß über die Casa inglese hinauf, auf der halben Höhe des Aschenkegels, also 9500 Fuß hoch, gar nicht wie eine Alpenpflanze aus, sondern trägt an seinem ziemlich hohen, mehrblütigen Stengel zahlreiche, dichtstehende, breite und entwickelte Blätter, was bei keiner echten Alpenpflanze der Fall zu sein pflegt. Ganz dieselbe Erscheinung findet sich unter ganz gleichen Verhältnissen auch auf dem Pik von Teneriffa. Auch hier ist die nackte Lava des Vulkans in einem Höhengürtel von 5900 bis 10400 Fuß von Alpenpflanzen entblößt und dagegen mit einer Ginsterart, Spartium nubigenum, bedeckt. Der Ginster des Ätna dagegen gehört, wie wir unten gesehen, der Grenze zwischen den beiden unteren Regionen an. Übrigens tragen die wenigen Pflanzen der regione nevosa kaum dazu bei, den öden und wilden Charakter dieser Hochgebirgswüste etwas zu mildern. Im Gegenteil lassen die schwachen, nur hier und da zerstreuten Spuren von Grün um so lebhafter den Mangel der belebenden Vegetationsdecke auf dem weit überwiegenden Gebiete der nackten schwarzen Lava empfinden.
Kaum kann man sich eine melancholischere Landschaft denken, als diese meilenweit in gleicher Einförmigkeit und Öde sich erstreckenden Lavafelder, deren zerklüftete Fläche nur hier und da durch ein kleines Schneefeld unterbrochen wird. Aber der blendende Schimmer der letztern dient nur dazu, um das düstere Schwarz des Trauerkleides noch greller hervortreten zu lassen, und das kalte weiße Licht der blassen Mondscheibe, das beim Heraufsteigen uns leuchtete, ließ dies leichenhafte Bild doppelt melancholisch erscheinen. Lautlos und schweigend zogen wir hintereinander unsern einsamen Pfad, und nur der Führer, welcher eine Strecke vorausritt, ließ von Zeit zu Zeit mit halbunterdrückter Stimme eines jener klagenden, sizilianischen Ritornelle ertönen, deren durch mehrere halbe und ganze Töne herabgeschleifte und dann unendlich lang ausgehaltene, langsam absterbende Schlußtöne ein trauriges Gefühl unbefriedigter Sehnsucht im Ohr hinterlassen. Bald verstummte indes auch dieser letzte Ton, da die immer zunehmende Kälte durch einen eisigen Wind, der vom Gipfel herab mit schneidender Intensität zu wehen anfing, in sehr unangenehmer Weise verstärkt wurde. Wir hatten zwar schon vorher alle überhaupt auf der Reise mitgenommene Kleidungsstücke übereinander angezogen und wickelten uns nun noch fester in unsere Plaids; indes selbst dieses trefflichste Garderobestück aller Bergreisenden vermochte nicht, dem immer erneuerten Angriffe des eisigen Ätnahauches Widerstand zu leisten. Um uns daher wenigstens zeitweis zu erwärmen und die erstarrten Glieder wieder biegsam zu machen, gingen wir abwechselnd zu Fuß. Wir hofften dadurch zugleich unsere Maultiere etwas zu erleichtern, welche, seitdem es in der lockern Asche so steil emporging, nur sehr mühsam sich emporarbeiteten und laut stöhnten. Indes hatte diese Erleichterung die traurige Folge, daß sie sich sofort auf den Boden warfen und mit allem Gepäck umherwälzten, wodurch ein Teil des Proviants verloren ging. Der Weg wurde nun in der Tat sehr beschwerlich und wir arbeiteten uns nur mit großer Mühe keuchend empor. Immer lockerer wurde die Asche, in welche der Fuß bei jedem Schritt tief einsank und zurückglitt, immer jäher die Steigung des steilen, in beständigem Zickzack sich hinaufwindenden Pfades. Erst oberhalb eines großen Schneefeldes, welches eine tiefe Schlucht ausfüllte und aus welchem wir uns, da wir nun kein Wasser mehr hatten, reichlich verproviantierten, wurde der Weg wieder weniger steil und mühevoll. Ziemlich eben und glatt war die letzte, nur noch wenig ansteigende Strecke, etwa eine Stunde unterhalb der Casa Inglese. Doch pfiff hier der Wind mit so schneidender Schärfe über die glatte Fläche, daß wir uns nur durch angestrengtes Laufen geschmeidig erhalten konnten und herzlich froh waren, als wir endlich in 9000 Fuß Höhe unser Asyl, die Casa Inglese, erreicht hatten. Diese allen Ätnareisenden äußerst wichtige Schutzhütte liegt an einer ziemlich geschützten Stelle unmittelbar am südlichen Fuße des Aschenkegels und ist auf Anregung und mit Unterstützung zweier englischer Offiziere von Gemmellaro im Jahre 1804 erbaut. Seitdem hat sie alljährlich durch die Unbilden der Witterung, durch den Druck der Schneemassen, durch Ausbrüche und Erdbeben so gelitten, daß sie häufig repariert und einigemal fast neu erbaut werden mußte, was natürlich in solcher Höhe viel Mühe und Kosten erfordert. Um so dankbarer muß man Gemmellaro sein, daß er sie dennoch immer wieder ausbessern und einrichten ließ, da ohne sie ein Übernachten so nah dem Gipfel ganz unmöglich wäre. Die mittlere Temperatur beträgt hier in den zwei wärmsten Monaten, Juli und August, nur 5° R., während sie zu derselben Zeit in Catania 21½° beträgt. Im Juli erst schmilzt der Schnee hinweg und im September bleibt schon wieder neuer liegen. Daß wir ausnahmsweise selbst Mitte Oktober noch keinen Schnee auf der Casa Inglese fanden, ist nur auf Rechnung des außerordentlich heißen und trockenen letzten Sommers zu schieben. In fünf Monaten, vom Juni bis Oktober, hatten wir nur etwa sechs bis acht Regentage gehabt und das Thermometer zeigte in Neapel im Juli mehrere Tage 36° R. im Schatten.
Ein Teil der Schutzhütte war durch das Erdbeben von 1857 eingestürzt, so daß die Maultiere jetzt keinen Stall mehr haben, und wenn sie draußen bleiben, häufig umkommen. Wir fragten den Führer, was aus unseren Tieren, die mit Schweiß bedeckt, vor Frost und Ermüdung zitternd, in der eisigen Nachtluft vor uns standen, werden sollte, und er antwortete kaltblütig: »Je nun, sie bleiben draußen und sterben, es sind ja nicht meine Tiere!« Doch setzten wir es mit halber Gewalt durch, daß er sie mit uns hineinnahm, wo wir ihnen die eine der drei Abteilungen des Hauses überließen. In einer andern suchten wir uns selbst, so gut es gehen wollte, einzurichten. Die Casa Inglese ist eine niedere steinerne Hütte, mit dicken, ziemlich wetterdichten Wänden nach Art der Tauernhäuser in den deutschen Alpen. Wie diese letztern entbehrt auch sie jeglichen Komforts; doch gewährt sie hinreichenden Schutz vor Regen und Sturm, Nässe und Kälte; und wir waren sehr froh, außerdem eine große hölzerne Pritsche mit einem halbzerstörten Strohsack vorzufinden, auf dem wir unsere ermatteten Glieder ausstrecken konnten. Bald hatte der Führer aus den mitgebrachten Kohlen ein lustiges Feuer auf dem Boden angezündet, an dem wir die starren Gelenke auftauten und den gesammelten Schnee schmolzen, aus welchem mit Hilfe von Kaffee und Rum ein sehr belebendes Getränk bereitet wurde. Dann legten wir uns nieder, um neue Kräfte zu sammeln; doch kam kein Schlaf in unsere Augen, da wir viel zu sehr von den Dingen, die da kommen sollten, erfüllt waren, und besonders den Sonnenaufgang zu versäumen fürchteten. Endlich um fünf Uhr morgens brachen wir, die Maultiere zurücklassend, wieder auf, um den Aschenkegel zu erklettern, dessen höchste Spitze noch gegen 1000 Fuß über der Casa Inglese erhaben ist. Derselbe ist zwar höher als der des Vesuv, aber weniger steil und leichter zu ersteigen, da die feuchtere Asche dem Fuße festere Anhaltspunkte bietet. So hatten wir denn mit Hilfe unserer langen Ätnastöcke schon in drei Viertelstunden den südlichen Rand des Kraters erreicht, wo wir uns in der Nähe wärmender Fumarolen in die heiße Asche hinsetzten und erwartungsvoll nach Osten blickten.
Noch wogte dichter nächtlicher Nebel um uns und gedrängte Wolkenhaufen zu unsern Füßen hinderten jeden Durchblick in die Tiefe. Doch versprach der klare tiefblaue Himmel über uns, an dem die Sterne schon erblaßten, einen klaren Tag. Bald wurde es lichter und lichter, und einzelne hochziehende Gruppen des Wolkenheeres begannen in zarten roten Tönen zu schimmern. Die Röte nahm zu und plötzlich standen ganze Reihen mächtiger Wolkenhaufen im Osten in der tiefsten Purpurglut, mit Gold gesäumt, uns gegenüber. Aber mit dem erwarteten Schauspiel am Osthimmel sah es schlimm aus. Noch war keine Spur der Sonne zu sehen und eine ungeheure schwarzblaue Schichtwolke schien uns ihren Aufgang verbergen zu wollen. Da plötzlich sprang unerwartet aus diesem schwarzen Lager ein roter Goldfunke leuchtend hervor, welcher rasch wachsend sich zu einem flachen Feuerstreifen, einer konvexen Linse, einer breiten Ellipse, endlich zu einem strahlenden Feuerball gestaltete, welcher schnell sich völlig abrundend und zugleich erblassend am dunkeln Himmel emporstieg. Und nun erst, als plötzlich das strahlende Licht sich durch alle die weiten Räume ergoß, wurden wir mit einem Male staunend gewahr, daß wir in der Tat die Sonne aus dem Meere selbst hatten aufsteigen sehen, und daß, was wir vorher für eine verhüllende Wolkenschicht gehalten, nichts anderes als der ungeheuer hohe Meereshorizont selbst war, den wir in viel größerer Tiefe gesucht hatten. Kaum konnten wir uns an diesen Gedanken gewöhnen, und je mehr jetzt der erwärmende Hauch der jungen Sonne die Nebel ringsum zerriß und verflüchtigte, je mehr überall die Umrisse des wunderbarsten Panoramas klar und deutlich aus den sich sondernden Wolken hervortraten, um so mehr mußten wir vor allem diese erstaunliche azurne Ringmauer bewundern, welche wie eine einzige zusammenhängende, 10000 Fuß hohe, vertikale Wand von gleichmäßig dunkelblauer Farbe ringsum steil emporstieg und sich scharf und glatt vom helleren Himmel absetzte. Es bedurfte einer förmlichen Überlegung, um sich den seltsamen Anblick dieser starren, ganz homogenen Vertikalmauer in die Vorstellung des horizontalen, beweglichen, ewig wechselnden Meeresspiegels zu übersetzen.
Nachdem das erste Erstaunen über diese erhabene Erscheinung vorüber war, eilten wir schnell vom südöstlichen Ende des Kraters nach Westen hinüber, wo uns ein neues, nicht minder seltsames Schauspiel erwartete: da steigt hoch über Land und Meer ein ungeheures, dunkles Dreieck auf, dessen Grundlinie mit der Ätnabasis zusammenfällt, während die Spitze sich hoch über den westlichen Horizont in die Lüfte erhebt. Die glatten Seiten dieses gleichschenkeligen Dreiecks sind so scharf zugeschnitten, seine Farben so dunkelgrau, daß es aussieht, als ob man diesen Teil der Insel und des Meeres durch ein dreieckiges geschwärztes Glas betrachte. Es ist der Schatten des Ätna selbst, welcher, so lange die Sonne noch so tief steht, das in seinem Schattenraum gelegene Stück Siziliens und über die Küste hinaus Meer und Himmel wie mit einem düstern Schleier überzieht. Rasch, wie die Sonne stieg, sank auch dieses Riesenbild in sich zusammen, und nun erst gewannen wir Zeit, das zu unsern Füßen ausgebreitete Bild, von dem die verhüllende Wolkendecke plötzlich wie ein Vorhang weggezogen war, zu überschauen und vor allem einen Blick auf die bisher ebenfalls verdeckt gewesene nächste Umgebung zu werfen.
Wir standen jetzt auf dem scharfen Westrande des Kraters und konnten von hier dessen mächtigen Umfang gut überschauen. Kaum in einer halben Stunde würden wir ihn umschritten haben, während wir die beiden Trichteröffnungen des Vesuv in wenigen Minuten umkreist hatten. Furchtbar steil und zerrissen stürzen ringsum die mit weißen sublimierten Salzen und gelben Schlacken bedeckten Lavawände in die jähe Tiefe hinab, wo sie plötzlich scharf abgeschnitten an dem innern Kratermund enden. Ununterbrochen steigt eine dichte dunkle Dampfwolke aus demselben hervor und von Zeit zu Zeit verkünden dumpfe Detonationen, daß es nur des Anstoßes bedarf, um die hier schlummernden Riesenkräfte zur verheerendsten Tätigkeit zu wecken. Früher konnte man ziemlich bequem und gefahrlos an der innern Wand des Trichters zum Munde hinabklettern; allein seitdem das Erdbeben von 1867 das Terrain völlig verändert hat, ist es nicht mehr möglich, an den beinahe senkrecht abstürzenden Wänden des neugebildeten, fast zylindrischen Kraters hinabzusteigen. Durch jene Katastrophe wurde der alte Auswurfskegel zum größten Teil zerstört und die Form des Gipfels völlig verändert. Jetzt ist vom ersteren nur noch ein einziger isolierter, mächtiger Lavafels übrig, welcher am Ostrande der sonst ziemlich gleichmäßig abgeschnittenen kreisförmigen Krateröffnung steil und kühn in die höchsten Lüfte hineinragt. Sobald wir uns überzeugt hatten, daß diese Klippe erst die höchste Spitze sei und daß wir erst von da aus den vollen Genuß des unvergleichlichen Panoramas haben würden, war unser Entschluß gefaßt, ihn zu erklimmen, obgleich der Führer uns hoch und teuer versicherte, daß dies ganz unmöglich sei, und daß seit seiner Entstehung vor zwei Jahren noch keine Menschenseele auf diesen höchsten Punkt einen Fuß gesetzt habe. Zum Glück ließen wir uns dadurch nicht abschrecken, obwohl er sich selbst weigerte, uns zu folgen. Die Mühe war nach allem Vorhergegangenen verhältnismäßig gering, und die Belohnung dafür glänzend. Zunächst war schon die Rundwanderung um den ganzen Rand des Kraters höchst interessant. Erst von dem sehr steil abgeschnittenen und niedrigen Nordrande aus gewannen wir den vollen Einblick in die furchtbar großartige und wilde Natur dieses entsetzlichen Höllenschlundes, dessen zerrissene Blöcke und nackte Zacken wie die Lanzen und Spieße eines infernalischen Arsenals durcheinander starrten. Die lebhafteste Phantasie kann sich den Eingang in den Orkus nicht erhabener und grauenerregender zugleich vorstellen. Über alle Beschreibung erhaben aber war der überraschende Anblick des Panoramas von der Höhe des Gipfels, welchen wir nach letzter kurzer Anstrengung um sieben Uhr morgens am 12. Oktober glücklich erreichten. Kaum wußten wir, wo zuerst den erstaunten Blick hinwenden, auf die weite, schwarzblaue Fläche des unermeßlichen Meeres, oder auf die dreieckige bunte Insel zu unsern Füßen, oder auf den Berg selbst in seiner merkwürdigen Plastik. Erst von hier aus, wo wir jeden Augenblick frei und unbegrenzt in alle verschiedenen Himmelsgegenden wechselnd hinausschauen konnten, war es möglich, uns ein Gesamtbild des riesigen Vulkanes selbst in aller seiner Größe und Vielgestaltigkeit zu entwerfen. Glatt und steil senken sich ringsum vom kreisförmigen Krater aus die nackten Flanken des schwarzen Aschenkegels in die gleichfarbigen Abhänge der regione scoperta hinab, deren weit ausgedehnte vegetationsleere Flächen die zahlreiche Schar der kleineren und größeren, zum Teil lebhaft und grell gefärbten, braunroten und gelben Krater und Doppelkegel tragen. Scharf abgeschnitten liegt rings unter diesem Konglomerat vulkanischer Berge der frische grüne Kranz des Waldgürtels, welcher sich nach Norden in den Bosco di Caronia. nach Süden und Westen in die fruchtbare grüne Zone der regione piemontese fortsetzt. Aber in dieser strebt das Auge vergebens die wohlbekannten Gegenstände zu sondern. Haus und Dorf, Baum und Fels, Acker und Weinberg verschmelzen zu einer einzigen, bunten, formlosen Masse, und selbst die größeren Orte, die an den runden Buchten der Ostseite liegen, Catania, Agosta, Syrakus, sind in zu weite Ferne gerückt, um deutlich unterschieden zu werden. Nur die gröberen Formen der Höhenzüge und Täler, scharf von der Sonne beleuchtet, treten sehr deutlich allenthalben hervor und so erscheint die ganze Insel mit ihrem überall zerschnittenen und gefurchten Plateau wie eine kleine sauber gearbeitete bunte Reliefkarte. Ihre Hauptfarben, braun und grün, sind durch zahlreiche zarte Nuancen von Rot, Violett und Blau verbunden. Bald aber kam Leben und Bewegung in dies starre geographische Bild. Die erwärmenden Strahlen der steigenden Sonne lösten und hoben die dichten Nebel, welche als schmale, weiße Streifen den Lauf der Talsohlen deutlich bezeichnet hatten. Sie ballten sich zu rundlichen Wolkenhaufen zusammen, welche höher und höher stiegen und sich mit ihren Geschwistern aus den benachbarten Tälern vereinigten. So stießen sie zu dichtgedrängten Heerhaufen zusammen, welche in geschlossener Kette den Riesenvulkan umlagerten. Sobald sich aber einzelne kühne Plänkler höher hinaufwagten und den Gipfel erklimmen wollten, warf sie der eisige Sturmwind, der uns das Atmen erschwerte, mit unwiderstehlicher Gewalt 10000 Fuß tief an die Küste hinab, wo sie an den Rippen der Bergrücken zerschellten und in kleine Flocken sich auflösten, die wieder in die Täler niedersanken. Lange ergötzten wir uns an diesem wechselnden Schauspiel; dann schweifte aber der Blick wieder mit immer neuem Vergnügen in die Ferne und suchte die fernsten sichtbaren Landstückchen in dem Rahmen des ungeheuren Horizontes festzuhalten. Drei Meere umfaßt hier das Auge an den drei Seiten der Trinacria, nördlich das tyrrhenische, südwestlich das afrikanische, östlich das jonische; es sind die Verkehrsstraßen, auf denen einst der im Zentrum des Mittelmeeres liegenden Insel von drei verschiedenen Völkerstämmen Wohlstand und Kultur zugeführt wurde aus drei Erdteilen: von den Griechen aus Kleinasien, von den Sarazenen aus Nordafrika, von den Normannen aus dem nördlichen Europa. Wie Vorposten lagern vor den drei Eckpfeilern des zierlich ausgezackten Küstenrandes die drei Inselgruppen: im Süden über dem Cap Passaro die beiden Schwestereilande Malta und Gozzo, im Westen vor dem lilybäischen Vorgebirge die kleinen Ägaden, im Norden, am nächsten und schönsten, vom Cap Peloro nach Nordwesten ziehend, die Reihe der liparischen Vulkankegel, vor allen der tätige Stromboli, dessen fast rhythmisch wiederkehrendes Feuerspeien uns bei der nächtlichen Überfahrt von Neapel her so ergötzt hatte.
Im äußersten Südwesten lag auf dem Meereshorizont ein dünner blauer Wolkenstreif, den der Führer für die afrikanische Küste erklärte. Doch zweifle ich, daß der Gesichtskreis des Ätna sich so weit erstreckt. Um so deutlicher und schöner erschien die nahe Meerenge von Messina, durch den Halbstiefel Kalabriens mit dem Südkap Spartivento von dem Golfe von Tarent geschieden, dessen Rundung sich weithin verfolgen ließ. Doch vor allen zogen im Westen die vielgipfligen Bergketten der Apenninen die Augen auf sich, welche in blauer Ferne den sonst rings geschlossenen Meereskreis durchbrachen und ohne deutliche Grenze in den dunkelblauen Himmel überzugehen schienen, dessen halbkugeliges Gewölbe sich mächtig und erhaben über diesem ganzen prachtvollen Gemälde ausspannte. Lange konnten wir uns nicht trennen von diesem in seiner Art wohl einzigen Panorama, dessen Züge gewiß jedem, dem das Glück es zu schauen vergönnte, unauslöschlich in der Erinnerung bleiben werden. Endlich nötigte uns die zunehmende Steifigkeit unserer vor Frost halb erstarrten Glieder, an den Rückweg zu denken, und in weniger als einer Viertelstunde hatten wir, in langen Sätzen in dem lockern Sande des Aschenkegels hinabspringend, die Casa Inglese wieder erreicht. Auf dem weiteren Rückwege machten wir einen kleinen Abstecher nach Osten, um das nahe berühmte Val del bove zu besuchen. Über weite, schwarze Lavafelder, die mit den weißgebleichten Knochen der zahlreichen hier umgekommenen Maultiere wie übersäet waren, gelangten wir an den oberen Rand jenes furchtbaren Schlundes, welcher der Eruption von 1669 seinen Ursprung verdankt. Ein großer Teil des östlichen Abhanges des Ätnagebirges wurde damals von tief hervorbrechenden, gewaltigen Lavaströmen unterminiert und stürzte plötzlich in sich selbst zusammen. So entstand dieser furchtbare Erdspalt, welcher, mit allem Greuel vulkanischer Verwüstung reich ausgestattet, in das Innere der Hephästischen Schmiedewerkstätte selbst hineinzuführen scheint. Vergebens sucht das Auge in diesem Chaos wild übereinander gestürzter Gebirgsmassen und Lavaströme nach einem einzigen Ruhepunkt. Das ganze ungeheure Leichenfeld, in das man hier senkrecht mehrere tausend Fuß hinabschaut, erscheint von zwei langen, fast parallel nach Ost hinablaufenden Gebirgswänden eingesargt. Schwarze und braune Lavaströme erfüllen die dunkle Tiefe, nur hier und da durch grell abstechende rote, gelbe und weiße Auswurfsmassen unterbrochen. Am meisten zeichnen sich darunter die beiden neuen, sehr regelmäßigen Auswurfskegel von 1852 aus.
Der weitere Rückweg bot nichts Bemerkenswertes, und wohlbehalten langten wir nachmittags um drei Uhr in Nicolosi wieder an, wo wir, von Don Giuseppe freundlich empfangen und für alle Entbehrungen entschädigt, in behaglicher Ruhe uns dem Nachgenusse aller der reichen Bilder überließen, mit denen diese überaus glückliche und lohnende Bergfahrt uns beschenkt hatte.