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Italienfahrt

(1860)

Glücklich und wohlbehalten von meiner längeren italienischen Reise zurückgekehrt, habe ich den Wunsch, euch, meinen lieben alten Freunden, wieder einmal ein Lebenszeichen zu geben und wenigstens von den Hauptzügen meines reichen, schönen Wanderlebens ein anschauliches Bild zu entwerfen, wenn auch nur in skizzenhafter Kürze. Da nun aber Zeitmangel und meine vielfach anderweitige Beschäftigung als liebender Bräutigam, guter Sohn, treuer Freund, schriftstellernder Naturforscher und sogar als wühlender Staatsbürger – mir verbietet, jedem einzelnen von euch zu schreiben, so suche ich ein Auskunftsmittel in diesem (jetzt nicht mehr ungewöhnlichem) Wege eines Zirkularbriefes und füge nur noch an jeden einzelnen die Bitte hinzu, das Abschicken an den nächstfolgenden nicht zu vergessen. Ich wünschte nur, ich könnte euch durch Demonstration meiner Skizzenbücher und der dicken, mitgebrachten Haufen von Zeichnungen, Aquarellen, Photographien und Lithographien das Viele ergänzen, was meine lahme Feder, besonders in so flüchtig gedrängter Skizze, zu wünschen übrig läßt. Bevor ich zum einzelnen übergehe, will ich im ganzen im voraus bemerken, daß die schöne Reise nach Italien, von der ich so sehr viel gehofft und erwartet hatte, so über alle Erwartung glücklich ausgefallen ist, daß meine kühnsten Hoffnungen noch bedeutend übertroffen sind. Aus dem bestimmten Jahre wurden volle 15 Monate, so reich an den schönsten Natur- und Kunstgenüssen, an den mannigfaltigsten Belehrungen und Erfahrungen, daß ich keine andere Zeit meines Lebens diesem überaus glücklichen Wanderjahr an die Seite stellen kann und daß ich aus dieser reichsten Quelle für mein ganzes übriges Leben Stoff genug zu Bildern, Gedanken und Unternehmungen aller Art schöpfen werde. Ich kann nur wünschen, daß jedem einzelnen von euch seinerzeit noch einmal ein ähnliches Glück zuteil werde, ebenso reich und befriedigend.

Ich verließ Berlin am 28. Januar 1859 und fuhr auf der Eisenbahn über Halle, wo ich mich bei Max Schultze und über Würzburg, wo ich mich bei Koelliker einige Tage aufhielt, um Instruktionen und Notizen für den wissenschaftlichen Teil der Reise zu sammeln, über Frankfurt, Heidelberg nach Basel und Luzern. Das Wetter war auf dieser ganzen Fahrt sehr traurig, dicker Regenhimmel, düstere, öde, nackte, schneefreie Winterlandschaft, recht passend zu der schweren, gedrückten Abschiedsstimmung, in der ich die Liebste, Verwandten und Freunde in Berlin verlassen hatte. Eine ganz scharfe Wetterscheide bildete der Hauensteiner Tunnel von Luzern. Beim Herausfahren aus demselben sah ich zu meiner größten Überraschung die ganze Landschaft vom Scheitel bis zur Sohle in ein zusammenhängendes, blinkendes Schneekleid gehüllt, von dem noch beim Hineinfahren in den Tunnel keine Spur sichtbar war.

Durch den blendenden Sonnenglanz in der hellen, schmuckleuchtenden Schneelandschaft schmolz denn auch die dicke, schwere Decke trüber Gedanken, die der Abschied vom Vaterlande und von der Liebsten und der Heimat über meinen Sinn gelegt hatte und die frische, freie, frohe Wanderlust trat in ihr altes, gutes Recht. Auch sollte ich nun gleich zum guten Anfang in vollen Zügen deren köstliche Freude genießen. Denn schon am zweiten Tage meiner Durchreise durch die Schweiz, am 2. Februar, war mir eine so eigentümliche und genußreiche Fahrt beschert, daß ich kaum etwas anderes dem an die Seite setzen kann. Das war nämlich der Übergang über den St. Gotthard, der durch einen in der Nacht vorher plötzlich erfolgten, kolossalen Schneefall eben so schwierig und gefahrvoll, als höchst interessant und genußreich wurde. Schon bei der Überfahrt über den herrlichen Vierwaldstätter See sah ich Gebirge und Tal bis an die Gestade des teilweis gefrorenen Sees hinab in eine zusammenhängende, weiße Schneedecke gehüllt, die nur durch die dichten Tannenwälder stellenweis ziemlich grün meliert erschien. Der Postschlitten, den wir in Flülen bestiegen, mußten wir schon in Amsteg mit kleinen, niedrigen, offenen Schlitten vertauschen, ganz wie die »Käsehitschen« genannten Schlitten unserer Kinder, so eng und klein, daß kaum zwei Personen ihre Beine darin unterbringen konnten, oben ganz offen, damit man sich beim etwaigen Verschütten durch eine Lawine leicht aus dem Schnee herausarbeiten könne. Vor jeden dieser Kinderschlittchen war ein Pferd (ohne Deichsel) gespannt, welches, ohne die Leitung eines Kutschers, dem Zuge der vorhergehenden frei folgte. Die ganze Karawane gewährte ein sehr malerisches Bild, doppelt interessant in der großartig öden und wilden, winterlichen Gebirgslandschaft, deren einförmig weiße Schneedecke, gleichmäßig über Berg und Tal fortgespannt, nur durch das wundervolle Blaugrün der gefrorenen Wasserfälle, der Schneelöcher und Eisspalten und hie und da durch einen nackt hervorragenden, senkrechten oder überhängenden, schwarzen Felsblock unterbrochen war. Voran gingen 4o–5o Schneegräber mit Schaufeln, dann folgte unser Zug von 14–16 einspännigen Schlitten, dahinter die Kondukteure, eine Anzahl Reservepferde und Arbeiter zur Hilfe an besonders schwierigen Stellen. Anfangs folgten wir noch der regulären Straße, die übrigens so vielfach von Lawinen verschüttet war, daß wir häufig aussteigen und uns den Durchweg erst beiseite schaufeln und zum Teil flach treten mußten. Später, als die Schneemassen dicker und gleichmäßiger wurden, wäre dies vergebliche Mühe gewesen, und wir machten nun auf Gutglück den Versuch, ohne festen Weg dem Laufe der zugefrorenen Reuß entgegen, empor zu dringen. Doch war dies so mühsam und nahm so viel Zeit in Anspruch, daß wir erst gegen Abend in Andermatt anlangten und hier zu übernachten gezwungen waren.

Am folgenden Morgen schien es, als sollten wir noch länger hier warten, denn in der Nacht waren neue, bedeutende Schneemassen gefallen. Doch meldete gegen Mittag der Telegraph, daß wir getrost die Weiterfahrt wagen sollten, da die Schneedecke so mächtig und zugleich so fest sei, daß wir gut, ohne uns an die verschüttete Straße zu kehren, die Höhe des Gotthardtpasses erreichen könnten. Das geschah denn auch bald nach Mittag. Doch hatten wir noch manche gefährliche Stelle zu passieren und manchem grauenhaften Schneeabgrund ins Auge zu sehen, ehe wir das Hospiz glücklich erreichten. Die Herunterfahrt ging nun außerordentlich rasch. Ohne Spur von Pferd sausten die kleinen Schlitten über die steilen, glatten Schnee- und Eisflächen hinab und wir hatten es lediglich dem außerordentlichen Geschick der Pferde und Kondukteure zu danken, daß wir endlich wohlbehalten im tiefen, sicheren Gelände anlangten. Die wundervollsten und eigentümlichsten Naturgenüsse, wie man sie sich nur in der ewigen Eiswelt des Polarmeers annähernd vorstellen mag, überraschten uns auch hier in mannigfacher Abwechslung.

In Bellinzona langten wir erst früh am Morgen des Februar an und fuhren gleich darauf mit dem Dampfschiff über den Lago maggiore weiter, dessen majestätische Alpenumgebung im weißen Winterkleide doppelt prächtig sich ausnahm. Am Nachmittag fuhr ich auf der Eisenbahn von Arona nach Genua weiter, woselbst ich mich, da ich es schon auf der Reise nach Nizza gründlich angesehen, nur einen Tag aufhielt, um so mehr, als die überall an die Gebäude geschriebenen Worte: Morte ai maledetti Tedeschi, a basso i furbi Austriachi! nicht geeignet waren, meinen langen, blonden Haaren, die überall den Italienern sofort ein lautes »Ecco, che Tedesco!« entlockten, für persönliche Sicherheit Bürgschaft zu leisten. Ich schiffte mich also möglichst bald auf einem elenden, kleinen, sardinischen Küstendampfer nach Livorno ein, von wo ich direkt nach Florenz weiterfuhr.

Da war ich nun mit einemmal mitten im echten Italien drin, und zwar in seinem rechten und besten Kernland. Zwar fand ich damals manches an Florenz und den Florentinern auszusetzen und konnte mich in der neuen, fremden Welt nicht gleich heimisch fühlen; allein je weiter ich später nach Süditalien hinabkam, wo sukzessive mit jedem Schritt das Volk in demselben Grade moralisch und politisch verdorbener und fauler wird, als die Fülle und der Reichtum der südlichen Natur zunehmen – umsomehr empfand ich, daß ich doch in Florenz wenigstens den besten Teil der norditalienischen Bevölkerung (ausgenommen natürlich die Sardinier!) kennen gelernt hatte, was namentlich auch von den Gelehrten gilt, den Professoren der Universitäten zu Florenz und Pisa, die, ebenso wie die von Turin, allein unter allen italienischen Gelehrten imstande sind, einen Vergleich mit den deutschen, französischen und englischen auszuhalten. Weiter hinunter, in Rom und Neapel, liegt alles Bildungsmaterial, alle Gelehrsamkeit und Wissenschaft, als Monopol in den Händen der katholischen Pfaffen, welche sie natürlich nur dazu benutzen, eine möglichst verzerrte Karikatur daraus zu schneiden, mittelst deren sie das Volk, statt zu wahrer Bildung und Belehrung kommen zu lassen, zu ihren höchst verwerflichen, hierarchischen Privatzwecken zustutzen.

Die überaus reichen und herrlichen Kunstschätze in Florenz imponierten mir natürlich im höchsten Grade, um so mehr, als es die ersten großartigen Sammlungen der Art waren, die ich auf dieser italienischen Reise zu Gesicht bekam, vor allen die herrliche Gallerie der Uffizien mit ihren Massen prachtvoller, antiker Statuen und herrlicher, mittelalterlicher Gemälde ersten Ranges. Von letzteren ist auch eine kolossale Sammlung im Palazzo Pitti aufgespeichert, welche zwar reicher und auch wohl kunstgeschichtlich interessanter ist, mir jedoch nicht so gefiel, als die unvergleichliche Auswahl der ersten Meisterwerke in den Uffizien, wo besonders in der runden Tribuna die allerbesten Meisterwerke von Raffael, Tizian, da Vinci usw. usw. zusammengestellt sind, dazwischen eine Auswahl der schönsten Statuen, die Mediceische Venus usw. Auch in den Kirchen und Palästen von Florenz ist dem Kunstfreunde ein reiches Feld der Bewunderung geboten.

Einen ganz besonderen, außerordentlichen Genuß verschaffte mir in Florenz der Besuch der Gärten der Fürstin Anatol Demidoff zu St. Donato, deren Besichtigung mir durch die Güte des österreichischen Gesandten, Freiherrn von Huegel (des bekannten Kaschmirreisenden), erlaubt wurde. Nirgends in Europa kann man wohl so viel ästhetischen Geschmack und botanisches Interesse in der Anordnung und Ausschmückung der reichsten Treibhäuser mit einem üppigen Flor der interessantesten Tropenpflanzen vereinigt finden. Die wundervollen Treibhäuser von Borsig und Augustin bei Berlin, die neuves Serres in Paris, der Schönbrunner Garten in Wien, der Buterogarten zu Palermo zeichnen sich zwar in manchem einzelnen von dem Donatogarten aus, erreichen aber im ganzen bei weitem nicht den Effekt, den dieser wahre Paradiesgarten in seiner fast märchenhaften Pracht und Schönheit machte.

Ganz besonders gefiel mir auch in Florenz die Bauart der mittelalterlichen Paläste, der berühmte Rusticostyl, mit seinen wahrhaft zyklopischen Mauern, aus mächtigen, vorspringenden Quaderblöcken zusammengeformt, mit den zierlichen Bogenfenstern, den stattlichen, säulengetragenen Hofhallen und den zinnengekrönten, kannelierten Türmen.

Unter den Naturforschern fand ich bei den Universitätsprofessoren Pariatore (Botanik), Amici (Mikroskopie), Tacini (Anatomie) und Giovi (Physik) sehr freundliche und zuvorkommende Aufnahme. Die naturwissenschaftlichen Sammlungen der Universität sind außerordentlich reich und in vieler Beziehung sehr originell, besonders durch die weltberühmte, kolossale Sammlung der schönsten Wachspräparate. Das Herbarium und der botanische Garten sind sehr reich und in bester Ordnung. Von Prof. Amici kaufte ich mir eines seiner kleinen Immersionsmikroskope, die es möglich machen, mittelst des Eintauchens der Objektivlinse in Wasser die Vergrößerung bis zu 1600 zu treiben.

Auch die Lage von Florenz, in dem weiten, von vielgipfligen Gebirgsketten umschlossenen Arnotal, gefiel mir sehr wohl, obwohl die Jahreszeit noch zu sehr zurück war, um mich diese recht genießen zu lassen. Am 16. Februar fuhr ich nach zehntägigem, sehr genußreichem Aufenthalt von Florenz über Lucca, wo ich mich ein paar Stunden aufhielt, um die herrliche Lage der Stadt und ihren schönen Dom zu bewundern, nach Pisa. Hier blieb ich drei Tage, die besonders mit Besichtigung der schönen Universitätssammlungen und der kirchlichen Bauwerke hingingen. In ersteren wurde ich durch die Professoren Meneghini (Geologie) und Studiati (Zoologie) freundlichst umhergeführt und orientiert.

Die prachtvollen und sehr eigentümlichen, kirchlichen Bauwerke liegen alle vier auf dem Domplatz vereinigt, das runde Kuppelgebäude des Baptisteriums, der seltsame, schiefe Turm, zwischen beiden die mächtige Kathedrale und dahinter der berühmte, bilderreiche Campo Santo. Eines Nachmittags besuchte ich auch das großherzogliche Kamelgestüt in den Cascinen, das einzige Institut der Art in Europa. Gegenwärtig leben darin etwa 120 Kamele. Auf einem derselben machte ich einen mehr sonderbaren als angenehmen Spazierritt von zwei Stunden. Die meisten derselben werden zum Lasttragen, zum Transport von Bauholz und Viehfutter benutzt.

Von Pisa fuhr ich nach Livorno zurück, wo ich einen sehr hübschen Tag bei einem deutschen Kaufmann, Herrn Chun aus Frankfurt, verlebte. Dann in 20 Stunden mit einem französischen Dampfer nach Civita vecchia, von wo ich, da leider die Eisenbahn immer noch nicht fertig war, mit einem Vetturin nach Rom fahren mußte (in 15 Stunden), ein Spezialvergnügen, welches ich niemals wieder genießen möchte. Was soll ich euch nun von Rom erzählen? Ich denke, es ist am besten, es zu machen, wie in den Briefen an meine Eltern aus Rom, die fast allein mit den Interjektionen: »Nein, welche Pracht, welcher Reichtum, welche einzige Stadt! – Über alle Begriffe! Nicht zu schildern! Nicht wiederzugeben! usw. usw.« – angefüllt sind. In der Tat, wollte ich euch nur einigermaßen ein Bild von den unvergeßlichen, überreichen, unvergleichlichen fünf Wochen geben, die ich in dieser einzigen Weltstadt verlebte, wollte ich überhaupt nur in flüchtiger Aufzählung alle die unendlichen Kunstschätze hernennen, die mich hier tagtäglich aufs höchste entzückten, ich müßte doch, wollte ich mich wirklich auch nur auf das Beste beschränken, mindestens ein kleines Buch daraus machen. Da nun aber Raum und Zeit möglichste Konzentration gebieten, muß ich mich auf die Versicherung beschränken, daß ich nie in meinem Leben auf einmal so viel des wunderbar Großen, Schönen und Erhabenen in allen Gebieten der bildenden Kunst beisammen gesehen, nie so viel reiche und interessante neue Anschauungen und Ideen in mich aufgenommen, nie meine Ansichten von Geschichte, Kunst, Menschenleben so wesentlich modifiziert und geändert habe, als in diesen köstlichsten fünf Wochen in Rom. So viele Anschauungen und Vorstellungen, die ich als Knabe in der Schule, und auch später bei den verschiedensten, gelegentlichen Studien über Geschichte, besonders im Betreff meiner Lieblingsperiode, der Glanzepoche des hellenischen Altertums, halb unverstanden und roh in mich aufgenommen, gelangten hier erst zum völligen Verständnis und zu wahrer Würdigung. Was ich als totes Material lange Zeit unbewußt mit mir umhergetragen, gewann hier Leben und Gestalt, und die ganze herrliche Zeit des klassischen Altertums trat mir hier mit einemmal in überraschender Frische, Gewalt und Lebendigkeit entgegen. Und was können nicht in der Tat diese Trümmer alles erzählen, die die verschiedensten Perioden der buntesten Menschengeschichte haben vorüberziehen sehen. Rom ist natürlich vollgespeichert mit den reichsten Kunstschätzen, Bauwerken, Statuen, Bildern – aus allen Epochen seiner großen Geschichte, von der ältesten bis auf die neueste Zeit. Von diesen allen haben mich bei weitem am meisten diejenigen angezogen, die aus der Periode des größten Glanzes der römischen Weltherrschaft, aus der römischen Kaiserzeit stammen. Natürlich sind unter diesen wieder die ersten und besten Sachen die, welche sie aus Griechenland herüberbrachten, vor allem also die ungeheuren Mengen der allerherrlichsten Marmorbilder, die im Vatikan, dem Kapitol und vielen einzelnen Palästen und Villen sich vereinigt finden, voran der unvergleichliche Apoll von Belvedere, die kapitolinische Venus, Laokoon, der Barberinische Faun, der sterbende Fechter, und wie alle die unvergleichlichen Denkmäler der edelsten, griechischen Skulptur sonst heißen. In zweiter Linie interessierten mich am meisten die Bauwerke aus der Kaiserzeit, voran das Kolosseum, alle die herrlichen Ruinen auf dem Forum, in der Campagna, die Aquädukte, das Pantheon, die Ruinen der Kaiserpaläste, die Triumphbögen, Tempel und Säulen usw. Erst den dritten Rang gebe ich der zahllosen Masse der mittelalterlichen Kunstwerke, obwohl auch unter diesen der größere Teil in seiner Art auf den ersten Rang Anspruch macht. Indes ist für meine Person alle die reiche Heiligenmalerei von Raffael, Perugino, Filippo Lippi, Correggio usw., alle die wundervolle Madonnenpracht usw. bei weitem nicht so anziehend gewesen, als jene antike, heidnische Marmorbildnerei. Ebenso erging es mir auch mit den christlichen Bauwerken des Mittelalters. Die Peterskirche, der Vatikan, Lateran, Quirinal, alle die vielen, reichen und prächtigen Paläste, Villen und Kirchen des Mittelalters, alle die Kunstverschwendung der prachtliebenden Paläste, hat mich bei weitem nicht mit der Gewalt ergriffen und angezogen, als die Ruinen der alten griechischen und römischen Bauwerke.

Der Genuß aller dieser Herrlichkeiten wurde mir doppelt angenehm durch die liebenswürdige, deutsche Gesellschaft, mit denen gemeinsam ich das alles durchwanderte und beschaute, zwei deutsche Ärzte, Dr. Diroff und Dr. Binz, von denen der erstere durch letzteren aus seiner langjährigen Praxis in Neapel abgelöst wurde, dazu drei liebenswürdige, kunstsinnige, deutsche Damen. Besonders wurde mir diese Gesellschaft während des Karnevals, den ich in seiner ganzen Dauer in Rom zubrachte, sehr angenehm, wie auch bei den verschiedenen Exkursionen in die Umgegend. Der Karneval hat im ganzen meine Erwartungen nicht erfüllt und muß ich mich in dieser Beziehung mit Goethe trösten. Dagegen hatte ich mir die Umgebung von Rom nicht so schön und mannigfaltig vorgestellt, besonders in nächster Nähe die reizenden Villen der Kardinäle und Principes, reiche, zum Teil sehr geschmackvolle Gartenanlagen, durch Statuen, Wasserwerke, Lusthäuser reizend geschmückt, viele auch durch Sammlungen schöner Gemälde und anderer Kunstsachen wertvoll. Auch die einsame, öde, weite Campagna hat mit ihren zahlreichen Trümmern altrömischer Bauwerke (Aquädukte, Tempelruinen usw.), mit ihrem Hintergrunde schöngeformter Gebirge, einen eigenen großen Reiz. Besonders schön ist das Albanergebirge, in dem ich mehrere, sehr genußreiche Tage zubrachte. Dagegen wurde meine Absicht, längere Zeit in dem noch malerischeren Sabinergebirge zu verweilen, durch anhaltendes, schlechtes Wetter, das am Ende meines römischen Aufenthalts eintrat, vereitelt. Nur Tivoli konnte ich noch glücklich mitnehmen.

Gar zu gerne hätte ich noch mehrere Monate in Rom verweilt, namentlich um mein Zeichentalent durch Kopieren von Bildern, Zeichnen von Statuen und Modellen und Skizzieren von Landschaften weiter auszubilden, wozu ich in der letzten Zeit dort durch befreundete Künstler vielfach angeregt wurde. Auch die vielen Bekanntschaften, die ich dort unter deutschen Künstlern gemacht, hätten mir ein längeres Verweilen in Rom ebenso genuß- als lehrreich gemacht, und hätte ich gewußt, daß die nächste Zeit in Neapel so wenig dankbar sein würde, so wäre ich sicherlich noch April und Mai in Rom geblieben. So aber ließ mir der Drang, endlich ans Meer und damit an das eigentliche Ziel meiner Reisepläne und Wünsche zu gelangen, keine Ruhe, und ich verließ daher Ende März Rom, um über Civita vecchia per Vapore nach Neapel zu gehen. Auch diese Seefahrt ging, wie alle andern, glücklich vonstatten.

Nun folgt die unangenehmste und undankbarste Zeit der ganzen Reise, nämlich die beiden ersten Monate April und Mai in Neapel. Ich wollte mich hier mit aller Kraft ausschließlich auf die vorgenommenen zoologischen, histologischen und vergleichend-anatomischen Arbeiten werfen, traf es aber hierin fürs erste so unglücklich als möglich. Erstens sind die Verhältnisse, um in Neapel dergleichen Studien zu treiben, für den Zoologen sehr ungünstig, besonders durch die höchst unangenehmen praktischen Hindernisse aller Art, die sich jeder derartigen Unternehmung in den Weg stellen und alles erschweren. Die unentbehrlichsten Hilfsmittel sind in Neapel nicht zu beschaffen und man kann in dieser Beziehung hier und in ganz Süditalien nicht mehr isoliert und verlassen sein, als in irgendwelchem unkultivierten Tropenlande. Beschwerden und Verdruß aller Art erschweren auch die einfachste Unternehmung ungemein, und besonders ist es der niederträchtige Charakter der neapolitanischen Bevölkerung, der alles doppelt unangenehm macht, und an den ich mich selbst nach vielmonatlichem Aufenthalte so wenig, als meine andern Landsleute, gewöhnen konnte. Daß die Italiener von deutscher Treue, Rechtschaffenheit, Ehrlichkeit, überhaupt nur den nächsten Rechten und Pflichten im Verkehr mit den andern Menschen, keine Idee haben, daß »ehrlich« und »dumm« bei ihnen dieselben Worte sind, und daß der für den Besten gilt, der mit der größten Schlauheit alle andern hinters Licht zu führen weiß, ist bekannt. Dieser unedle Charakterzug, der allen Verkehr und Handel mit den Eingeborenen im höchsten Grade unangenehm und beschwerlich macht, findet sich in allen Gegenden Italiens, von Venedig bis Girgenti und von Turin bis Neapel, in gleicher Weise wieder. Der Neapolitaner hat eine solche Masse anderer Schattenseiten der dunkelsten Art, eine solche Demoralisation in jeder Beziehung, einen solchen Mangel jeglichen Gefühls für das Gute und Rechte, daß man sich in der Tat a priori kein verwerflicheres, niederträchtigeres Volk vorstellen kann. Wie oft, wenn ich mit Landsleuten über diesen Gegenstand sprach, fragten wir uns: »Ja, haben denn die Neapolitaner nur gar keine guten Eigenschaften, gar keine Tugenden?« Wir konnten uns niemals nur eine einzige nennen; dagegen exzellieren sie in manchen Lastern, in Grausamkeit, Rachsucht, Hartherzigkeit, in Betrug und Dieberei, in den verwerflichsten und ekelhaftesten Ausschweifungen, in Übermut und Frechheit, die bei verschiedenem Auftreten in Feigheit und Kriecherei umschlagen – kurz, in den verschiedensten Seiten eines gänzlich unterwühlten und unmoralischen Lebens so außerordentlich, daß wir immer zu demselben Urteil zurückkehrten: es kann kein niederträchtigeres Volk geben! Ganz dementsprechend ist auch die neapolitanische Regierung, und beide, Volk und Regierung, korrumpieren sich gegenseitig nach Kräften. Kein Beamter ist ehrlich, kein Richter unbestechlich, kein Diener zuverlässig. Alles ist in diesem heillosen Staate so untergraben, daß er seinem Untergange notwendig entgegen gehen muß. Ich konnte in allen diesen Beziehungen sehr zahlreiche, spezielle Erfahrungen machen, besonders, da ich anfangs keine Deutschen dort kannte und gezwungen war, mit Neapolitanern aller Klassen viel zu verkehren.

Ein großer Vorteil war wenigstens der, daß ich schon in Florenz und Rom mich mit der italienischen Sprache, die, wenn man Lateinisch und Französisch versteht, sehr leicht und rasch zu erlernen ist, vollständig vertraut gemacht hatte. Auch sonst lernte ich mich in die sehr abweichende Lebensweise der Neapolitaner ziemlich leicht finden, ohne aber jemals irgendeine löbliche oder angenehme Seite daran herausfinden zu können. Auch half mir das nicht viel bei den Fischern, auf die ich zunächst, als Lieferanten meines zoologischen Materials, angewiesen war. Diese ließen mich fast immer im Stich. Noch schlimmer war es, daß das Wetter, d. h. die Jahreszeit, sich in dieser Beziehung so äußerst ungünstig erwies. Ich konnte in diesem Sommer die alte Erfahrung, daß der Sommeraufenthalt an den Mittelmeerküsten ebenso undankbar und dürftig für zoologische Studien ist, als der Winter lohnend und reich an Massen der merkwürdigsten Seetiere, vollkommen bestätigen. Mit Ausnahme des ersten Monats, April, erhielt ich den ganzen Sommer über nur sehr wenig Tiere und nur sehr wenig Brauchbares, während vom September an das Meer von den reichsten Schätzen wimmelte. Nichts habe ich auf der ganzen Reise mehr zu bedauern, als daß ich jene mit vergeblichen Bemühungen, mit unangenehmen und fruchtlosen Anstrengungen verlorenen ersten Monate in Neapel nicht besser auf andere Weise verwandte, entweder nach Rom zurückging oder die Umgegend mehr durchstreifte und mich aufs Landschaftern legte. Freilich war dazu noch im April und Mai das traurigste Regenwetter fast konstant, während in den sechs folgenden Monaten, Juni bis Oktober, kaum fünf bis sieben Regentage den strahlenden Sonnenglanz des ewig blauen Himmels unterbrachen. Erst gegen Mitte Juni fing der Aufenthalt in Neapel an, mir genußreich und angenehm zu werden, nun aber auch in so hohem Grade, daß die nun folgenden vier Monate zu den schönsten und in vieler Beziehung, namentlich hinsichtlich des reichen Naturgenusses, dankbarsten der ganzen Reise wurden.

Ich danke dies lediglich einem glücklichen Zufalle, der mich Anfang Juni mit einem Manne bekannt machte, der während der folgenden Zeit bis Mitte Oktober mein treuer, unzertrennlicher Reisegefährte blieb und der so viele seltene und schöne Eigenschaften in sich vereinte, daß ich nie einen lieberen Wandergefährten gefunden habe. Hermann Allmers heißt der prächtige, deutsche Kernmensch, den mir mein gutes Glück, um jene Zeit, wo ich eines solchen Freundes gerade am meisten bedurfte, zuführte und der mir während meiner viermonatlichen Wanderschaft in Unteritalien und Sizilien so ans Herz gewachsen ist, daß er jetzt in dem weiten Kreise meiner lieben Freunde die allererste Stelle einnimmt. Der eine oder andere von euch wird vielleicht schon seinen Namen als Verfasser des »Marschenbuches« (einer sehr gelungenen naturgeschichtlichen, geographischen und historischen Schilderung der ostfriesischen Marschen und ihrer Bewohner) rühmlichst haben nennen hören, vielleicht auch schon durch eine seiner Poesien kennen, die freilich bis jetzt noch wenig bekannt sind, viel weniger als sie verdienen. Außer dem dichterischen Genius, der ihn durch und durch erfüllt und durchdringt, ist dieser seltene Mensch auch in allen anderen Beziehungen von der Natur mit glänzenden Geistesgaben reich ausgestattet worden; vor allem hat er einen außerordentlich feinen und sehr ausgebildeten Kunstsinn, ein ebenso richtiges, als feines, kritisches Gefühl, dazu selbst sehr viel Zeichen- und Maltalent, so daß er tagtäglich auf der Reise sein Skizzenbuch mit vielen Bildern bereicherte, und zwar so reizenden, netten, wenn auch noch so einfachen Skizzen, wie ich nie eine zustande gebracht habe. Durch ihn wurde mein eigener Zeicheneifer erst wieder recht ins Leben gerufen und ihm verdanke ich es hauptsächlich, seiner ewig jungen und frischen Anregung, daß ich alles doppelt frisch und lebendig erfaßte und keine Ruhe hatte, bis nicht alle mir lieb gewordenen Landschaften im Skizzenbuch fixiert waren. Ja, zuletzt hatte er es so weit gebracht, daß ich am Schluß unserer gemeinsamen Wanderzeit, in Messina, nahe daran war, umzusatteln, die Naturforscherei ganz als Hauptstudium aufzugeben und Landschaftsmaler zu werden! Übrigens hat er auch in den verschiedenen Naturwissenschaften, namentlich Geologie und Botanik, sehr hübsche Kenntnisse, und für diese, wie für alle Seiten des Naturlebens, einen höchst empfänglichen Sinn und ein sehr geschärftes Auge, wenngleich im ganzen sein Kunstinteresse das Naturinteresse überwiegt, was bei mir schließlich nicht der Fall ist. In Betreff der übrigen Seiten menschlichen Wissens und Könnens ist A. ein wahres Faktotum, ein Polyhistor im besten Sinne des Worts, überall etwas zu Haus und mit nichts ganz unbekannt. Muß man so seine Verstandesanlagen und die verschiedenen Fächer seines Wissens sehr hoch schätzen, so bleiben diese doch noch weit zurück hinter den äußerst liebenswürdigen Eigenschaften seines reichen Gemüts, einer ewig sprudelnden, frischen und unerschöpflichen Quelle poetischer Anschauung, innigen Verständnisses, frischen Humors und jugendlichen Lebens.

Siehe Bildunterschrift

Der Gipfel des Epomea auf Ischia Mit Blick auf Procida, Cap Misen, Nisita, den Posilip und Vesuv

Nie habe ich einen Menschen kennen gelernt, und zwar in der ganzen Tiefe seines Wesens, der mehr meinem Bilde eines idealen Menschen entspricht, und dies mag entschuldigen, daß ich zur Charakteristik meines lieben Zeltgenossen und Busenfreundes fast eine ganze Seite – fast so wie für Rom – geopfert habe. Fast hätte ich aber vergessen, hinzuzufügen, daß das Äußere dieses Prachtmenschen mit seinem Inneren in seltsamer Weise kontrastiert: eine unbehilfliche, vierschrötige, derbe Gestalt, auf deren kurzem Hals ein großer Kopf sitzt, in der Mitte eine ungeheure, bogenförmig gekrümmte Nase, so groß, daß das übrige Gesicht mit dem sehr kleinen Mund ganz dagegen verschwindet. Nur die treuen, deutschen, blauen Augen schauen lustig daraus hervor. Bart und Haare ebenfalls deutschblond. Dazu hat er noch einen sehr fatalen Bildungsfehler, nämlich eine angeborene Spaltung des harten Gaumens, welche das Verstehen seiner feinen Sprache sehr erschwert. Sonderbarerweise verhindert ihn das aber nicht, mit demosthenischer Eloquenz ganz begeisternde Reden zu halten, und noch weniger, mit seiner schönen Tenorstimme die reizendsten, selbstgedichteten und selbstkomponierten Lieder zu singen. Hat man ihn nur erst ein paar Minuten sprechen hören, so ist man, trotz seines abstoßenden Äußeren, schon ganz für ihn eingenommen. Seine äußere Stellung anlangend, ist er, wie er selbst sagt, »ein freier, deutscher Bauer«. Er hat nämlich ein hübsches Bauerngut »Rechtenfleeth«, an der Wesermündung. Aus adligem Stamme konnte so ein Urmensch natürlich nicht hervorgehen, am wenigsten aus dem entarteten Gezücht unseres jämmerlichen, elenden, deutschen Adels.

Ich lernte Hermann Allmers zuerst auf einer Exkursion kennen, die ich von Neapel aus nach Ischia Mitte Juni mit ihm unternahm. Unvergeßlich wird mir jene herrlichste Nacht bleiben, in der wir in einer kleinen Fischerbarke nebeneinander ausgestreckt jene prächtige Fahrt unternahmen, bei einer Beleuchtung verschiedenster Art, wie man sie nur in Neapel ähnlich haben kann. Über uns der klarste Sternenhimmel, von dem die Sternenlichter aus tiefstem Blau durch die ätherklare Luft wie feurige Pfeile herabschossen – am Strande die unendliche Reihe blinkender Laternen, die sich an dem ganzen weiten Hellrund des Golfes von Neapel, vom Posilip durch die Villa reale, Ischiaja, längs der Santa Lucia und des ganzen weiten Hafens, bis Resina und Portici und weiterhin bis Torre del Annunziata, wie die zusammenhängende Lichterreihe einer einzigen ungeheuren Straße herumziehen, dazu das Meer kleiner Lichterchen, die sich durch die Stadt an den Hügeln hinauf bis zum Castel Elmo und St. Martino heraufwinden, dann entgegen auf dem Wasser die roten Pechfackeln der Fischer, die die Calamare harpunieren und dazwischen die bunten Laternen der englischen und französischen Kriegsdampfer, die die neapolitanische Hauptstadt beständig bewachen. Als ganz besonderes Extrafeuerwerk kommt nun zu all der Illumination noch die kolossale Schlange von rotglühender, immer weiter herabwallender Lava, welche an dem mittleren Dritteil des mächtigen Vesuvkegels in vielen Windungen herabkriecht, dahinter ging später noch die glühende Vollmondscheibe auf, welche uns das wunderherrliche Schauspiel noch mit größerer Deutlichkeit betrachten ließ. Endlich fing auch noch die See prächtig zu leuchten an: lange Streifen grünlich glimmenden Feuers krönten den Kamm der Woge, die der Schiffskiel durchschnitten hatte, und jeder Ruderschlag brachte einen strahlenden Lichtstern im Wasser heran, so daß also alle vier Elemente wetteiferten, uns durch ihr verschiedenes Licht zu entzücken, Wasser und Erde, Luft und Feuer!

Unvergeßlich werden mir auch die höchst genußreichen acht Tage auf der Insel Ischia selbst bleiben, wo eine Fülle ungeahnter, herrlicher Naturgenüsse sich uns erschloß und wo sich in dem gemeinsamen, doppelten Genießen die Bande unserer Freundschaft knüpften. Ischia und Capri bleiben für mich die reizendsten, reichsten und originellsten Erdenwinkel, die ich auf der ganzen Reise gesehen, und wenn irgendwo (außer den deutschen Gebirgen), möchte ich auf einer dieser beiden seligen Inseln die Worte anschreiben: »Ille terrarum mihi praeter omnes angelus ridet!«

Capri hatte ich schon vorher, auf einer kleinen Exkursion vom 1. bis 3. Mai, kennen gelernt und brachte später einen ganzen seligen Monat darauf zu, nämlich den August. Capri ist viel kleiner und hat daher den Vorzug, sich viel mehr als ein zusammenhängendes Ganzes studieren zu lassen: man lernt alles Einzelne genauer kennen und in Zusammenhang bringen. Auch ist es noch schöner, origineller und wilder. Ischia dagegen ist reicher und mannigfaltiger, hat eine viel größere Fülle reicher, südlicher Vegetation, schöne, höchst eigentümliche Städte und Bewohner, die zum Teil ihre halb griechische, halb maurische Abstammung in Sprache, Sitte und Tracht noch deutlich erkennen lassen. Die hohen, vulkanischen Gebirge Ischias sind teils mit üppigen Fruchtfeldern und Weingärten, teils mit dichten, schönen Wäldern bedeckt, und nirgends in Italien habe ich so, wie hier, in der ganzen reichen Fülle der südlichen Vegetation geschwelgt und mich ihrer eigentümlichen Pracht erfreut. Namentlich sind es die tiefen, senkrecht in den Lavaleib des Epomeo hineingehenden Klüfte, welche mir in dieser Beziehung die reichste Ausbeute lieferten. Das verwitterte, vulkanische Gestein, das ohnehin schon eine außerordentliche Fruchtbarkeit erzeugt, wird durch die heißen Quellen, die dem Innern des Berges entströmen, noch fruchtbarer und fetter gemacht, und der den ersteren beständig entsteigende Wasserdampf, der nur langsam aus der eng geschlossenen Kluft entweicht, macht aus dieser ein förmliches Treibhaus mit tropischem Klima. Vor allem sind es die Farnkräuter, an denen dieser subtropische Einfluß bemerkbar ist. Überall, von den Rändern und Spalten der Kluft, hängen prachtvolle, mannslange Wedel Woodwardsia radicans herab, dazwischen die seltene Pteris longifolia. Auch das überaus zierliche Venushaar (Adiantum capillus Veneris), das reizendste aller Farnkräuter, das die Felsen und Grotten Italiens überall aufs zierlichste bekleidet, habe ich nirgends in solcher Fülle und Größe wie hier entwickelt gefunden. Dazwischen hängen prächtige, blaue Glockenblumen, weißblühender Kapernstrauch und rotblütige Brombeeren vom triefenden Felsen herab und würzige Labiaten erfüllen die Luft mit aromatischem Duft. Die nackten, sonnverbrannten Tuffseiten des höheren Epomeogürtels sind mit einer Zone schönblühender, immergrüner Halbsträucher, meist Erikazeen, bedeckt, und alle Schluchten und Hügel bergen eine Fülle seltener und merkwürdiger Pflanzen, von denen eine große Artenzahl diesem merkwürdigen Eiland ausschließlich eigen ist.

Zu den besonderen Naturmerkwürdigkeiten Ischias gehören, nächst jenen halbunterirdischen Schluchten, die große Anzahl heißer Quellen, die überall dem Boden entsprudeln, einige selbst am Meeresstrand und sogar unter der Oberfläche, so daß nur die zurückweichende Woge momentan das Loch im Sande entblößt, aus dem das kochende Wasser hervorsprudelt. Die Landschaft bietet auf allen Seiten der Insel, die wir in diesen acht Tagen nach allen Dimensionen durchstreiften, eine Fülle überraschender, charaktervoller Bilder, so daß wir hier zum erstenmal unsere Skizzenbücher tüchtig füllten. Auch einen hübschen Stoß schöner Pflanzen brachte ich in der Reisepresse von Ischia zurück; schon die vorhergehenden, für die zoologischen Studien so ungünstigen Wochen in Neapel hatte ich zu fleißigem Pflanzensammeln benutzt, und auch nachher auf der Penisola wurde noch eine hübsche Anzahl gesammelt, so daß ich die Frühlingsflora von Neapels Umgebung in ihren besten Repräsentanten besitze.

Den Rückweg von Ischia nahmen wir über Procida und Kap Misen, wo wir namentlich in den Ruinen von Bajae noch einen überaus angenehmen Tag verlebten. In Neapel angekommen, wurde ich sehr unangenehm durch die Nachricht der preußischen Mobilmachung überrascht, welche mich die folgenden drei Wochen in beständiger Spannung erhielt, da ich immer fürchtete, zurückberufen zu werden. Indes ließ sich glücklicherweise durch die Bemühungen meines Vaters die Einberufungsorder so hinausschieben, daß der Friede von Villa franca bereits geschlossen war, ehe sie in meine Hände kommen konnte. Wir benutzten diese drei Wochen, die übrigens zum Teil unerträglich heiß waren (in der ersten Hälfte Juli oft im Schatten bis zu 37° R., in der Sonne 40° und mehr, in den Nächten kaum eine geringe Abkühlung bemerkbar), teils zu Exkursionen in Neapels reizende, nähere Umgebungen, teils zum systematischen Studium des Museo Borbonico, in welchem die außerordentlich reichen Kunstschätze und Sammlungen von Altertümern aufgestellt sind, die man besonders den Ausgrabungen von Pompeji zu danken hat. Aufstellung und Anordnung dieser unbezahlbaren Schätze sind so lumpig und elend, daß die gemeinste Trödelbude sich dessen schämen würde. Indes hindert das nicht, daß man nicht doch die wundervollen, hier verborgenen Schönheiten, zum Teil einzig in ihrer Art, herausfindet, und je mehr man sich darin übt, desto größere Freude macht diese Mühe.

Was uns am allermeisten entzückte, waren die in Pompeji ausgegrabenen Wandgemälde, die alle unsere Erwartungen bei weitem übertrafen. Nicht entfernt hatte ich eine Ahnung davon gehabt, daß auch in diesem Punkte die Alten für alle Zeiten unübertreffliche Meister gewesen waren. Diese Briseis, die von Achilles weggeführt wird, dieser Apollo, vom Centaur unterrichtet, diese Medea, Mord und Mordarten sinnend, dieser Odysseus und Ajax – das alles sind Darstellungen, über welchen ich unsere ganze neuere Kunst, ja, alle die besten Malereien des Mittelalters, die gepriesenen Madonnen Raffaels usw. vergaß und hintenansetzte. Zwar ist der Glanz ihrer Farben verblichen, und die Zeichnung oft bis zum Unkenntlichen beschädigt, aber auch von der schlechtest erhaltenen leuchtet noch der unübertroffen hohe und große Geist des klassischen griechischen Altertums hervor. Solche Augen, wie diese Briseis, hat keine Raffaelsche Madonna! Und wenn man nun bedenkt, daß dies relativ unbedeutende Erzeugnisse einer kleinen Provinzialstadt wie Pompeji waren, was müssen da erst in Rom selbst für köstliche Schätze auch aus der Malerei aufgespeichert gewesen sein.

Nächst den Wandgemälden beschäftigte uns am meisten die Statuengalerie, die größte und bedeutendste nächst der im Vatikan. Sehr interessant sind auch alle die andern, massenhaften Sammlungen aller in Pompeji ausgegrabenen Gegenstände, durch die man ein sehr anschauliches und lebendiges Bild von dem ganzen öffentlichen und privaten Leben der Alten erhält; große Säle mit Waffen, Rüstungen, allerlei Haus- und Tempelgeräte, meist aus Bronze, eine große Anzahl edler Kameen und Broschen, Bronzestatuen, Vasen, sogar noch eine ganze Partie halbversteinerter Eßwaren usw. Ein anderer Saal enthält eine Sammlung von Modellen aller bedeutenden, antiken Bauwerke, und ein dritter eine große, aber nicht bedeutende Gemäldesammlung.

Die Exkursionen, die wir Anfang Juli in Neapels Umgebungen machten, waren äußerst lohnend. Camaldoli, der sogenannte »schönste Punkt der bewohnten Erde«! Unvergleichlicher Blick auf die Stadt mit ihren Kastellen und Häfen, auf den Vesuv und die Penisola, auf die prächtigen beiden Nachbargolfe von Neapel und Bajae, durch die langgestreckte, garten- und villenbedeckte Hügelkette des Posilipo geschieden. Nach Puzuoli mit seinem Serapistempel und seinem Amphitheater, Bajae und Cumae mit ihren altrömischen Ruinen, nach dem merkwürdigen, ausgebrannten Krater der Solfatara usw. führten uns andere Exkursionen, alle reich an Ausbeute für Skizzenbuch und Pflanzenpresse.

Die zweite Hälfte des Juli benutzten wir zu einer größeren, 14tägigen Exkursion nach der Penisola, der langgestreckten Halbinsel, welche den Golf von Neapel von Süden umfaßt und welche die herrlichen Orangegärten von Sorrent, Castellamare trägt. Wir begannen mit dem Vesuv, den wir in der Nacht vom 18. zum 19. Juli erstiegen. Ich war schon vorher zweimal oben gewesen und beidemal hatte mich die entzückende Aussicht vom Gipfel, die merkwürdige Natur, die Vegetation und geographische Formation des seltsamen Lavaberges so gereizt, besonders aber das wunderbare Schauspiel des fließenden, rotglühenden Lavastromes so entzückt, daß ich den Beschluß gefaßt hatte, um all das recht gründlich zu genießen, einmal eine Nacht auf dem Gipfel des Berges zuzubringen. Der Plan war sehr hübsch angelegt, wurde aber infolge verschiedener unglücklicher Zufälle so umgestaltet, daß die ganze Expedition nicht nur gänzlich mißglückte, sondern uns auch beinahe das Leben gekostet hätte. Es war dies das einzigemal auf der ganzen Reise, daß ich wirklich in ernster, und zwar augenblicklich drohender Lebensgefahr schwebte. Verschiedener anderer, kleiner Mißgeschicke nicht zu gedenken, war der schlimmste Umstand der, daß mein lieber Gefährte unterwegs erkrankte, so daß wir bei Sonnenuntergang, als wir eigentlich schon auf dem Gipfel sein sollten, erst am Fuße des Aschenkegels, über der zweiten (mittleren) Zone uns befanden. Dies oberste Dritteil des Berges bietet der Ersteigung außerordentliche Schwierigkeiten, die man indes nur durch eigene Anschauung vollkommen würdigen lernen kann. Die dichte Lavawand des Vesuvs ist nämlich rings um diesen obersten, sehr steilen Kegel, mit einer mächtigen Aschenschicht bedeckt, in welcher eine Menge größerer und kleinerer Lavablöcke locker zerstreut liegen. Die Asche ist so fein, locker und trocken, daß man bei je drei Schritten aufwärts mindestens zwei wieder herunterrutscht und die Ersteigung der sehr kurzen letzten Strecke, sehr mühsam und gefährlich, erfordert daher selbst an der gewöhnlich benutzten, bequemsten Stellung, mindestens immer eine halbe Stunde. Um nun der hervorbrechenden Nacht zuvor zu kommen, ging ich nicht bis zu letzterer hin, sondern zog es vor, an einer zwar sehr steilen, aber mit fester Lava belegten Stelle empor zu klettern, die ich auf der zweiten Besteigung hatte kennen gelernt. Anfangs ging es noch ganz gut; aber bei der einbrechenden, absoluten Dunkelheit hatte ich die ohnehin schon schwer zu erkennende Spur in dem schwarzen, einförmigen Gestein bald ganz verloren, und nun befanden wir uns in einer Lage, deren Schrecken sich bald so steigerten, daß sie selbst die Empfindungen noch übertrafen, die mich einst, als mich mein Führer auf dem Ötztaler Hochjochferner aus einer Gletscherspalte geholt hatte, überwältigten. Allein, ohne Führer, in der höchst unwirtlichen Lavawüste, deren Felsen hier so steil abstürzten, daß wir weder gehen, noch stehen, noch liegen konnten, sondern, halb kriechend auf allen vieren uns aufwärts arbeiten mußten, ohne Spur eines Weges, zwischen lockerem Felsgeröll mit so scharfen und harten Kanten, daß wir uns die Hände blutig ritzten, dazu der Boden so unzuverlässig und weich, daß wir nirgends recht festen Fuß fassen konnten. – Ich rutschte ein paarmal eine Strecke von 30–40 Fuß herab, wobei ich mich an Hand und Fuß arg verletzte und einen Teil des Gepäcks einbüßte – dazu durch die ewigen fruchtlosen Anstrengungen bis zu Tode ermattet – es war in der Tat ein über alle Vorstellung schrecklicher Zustand. Diese verzweifelte Lage wurde doppelt schrecklich durch die Sorge um meinen Gefährten, den ich bei der vollkommenen Dunkelheit bald ganz verloren hatte. Ich rief ihm von Zeit zu Zeit zu, daß er mir nachkommen möchte, da es mir rein unmöglich war, zu ihm zurückzukehren, da jeder Schritt rückwärts mit offenbarer Lebensgefahr verbunden war. Ich mußte ihn also seinem Schicksal überlassen und mir allein, so gut ich konnte, fortzuhelfen suchen. Das Klettern wurde mir bald außerordentlich schwer, da die übermäßigen Anstrengungen und die Last des doppelten, schweren Gepäckes (ich trug auch das meines Freundes) mir das Emporarbeiten sehr erschwerten. Aber nicht einmal ausruhen konnte ich etwas, da nirgends ein sicherer Ort zum Sitzen war und die herabrollenden Lavablöcke mich immer wieder emporschreckten. Endlich, endlich nach 10 Uhr nachts, gelangte ich nach unsäglichen Beschwerden doch noch glücklich auf dem Rande des Kraters an, war jedoch so über die Maßen ermattet und angestrengt, daß ich bewußtlos niederfiel und erst nach einiger Zeit mich wieder erholte. Ich schleppte mich nun mühsam noch bis zu einem natürlichen Ofen, einer der vielen Fumarolen, einer Lavahöhle, aus deren Spalten heiße Dämpfe hervorströmten. Hier war ich vor dem kalten Wind und den dichten Dämpfen der beiden Krateröffnungen ziemlich geschützt und verbrachte hier den Rest der Nacht, teils in unruhigem Schlaf, teils abwechselnd auf einen der nahen Kegel steigend und den Namen meines Freundes rufend. Endlich um zwei Uhr morgens erschien der sehnlichst Vermißte. Er hatte mehr Glück gehabt als ich und einen sicheren Lavafelsen gefunden, auf welchem hockend er gewartet hatte, bis um 11 Uhr der Mond aufgegangen war. Bei dessen hellem Lichte hatte er bald einen festen, dichten Lavastrom gefunden, auf dem er nun verhältnismäßig leicht sich bis zum Gipfel emporgearbeitet hatte. Übrigens war auch er so furchtbar mitgenommen, daß wir unsern Plan, den ganzen folgenden Tag, mit Sammeln von Naturalien und Skizzieren beschäftigt, auf dem Gipfel zu bleiben, aufgaben, und bald nach Sonnenaufgang (der übrigens prächtig war) mühselig wieder herabkrochen, nachdem wir den Rest unseres Proviants und die Trümmer des Gepäcks den Zyklopen in den Kraterschlund hinabgeworfen hatten. Übrigens trat keine der gefürchteten Folgen der allzugroßen Strapazen ein und so konnten wir nach einem Rasttag in Neapel unsere Reise nach der Penisola weiter fortsetzen.

Wir begannen mit Pompeji, in dessen wunderbaren Straßen und Gassen, Tempeln und Theatern, Palästen und Foren wir ein paar höchst glückliche und genußreiche Tage verlebten. Das ganze seltsame Wesen, an dem wir bald zwei Jahrtausende spurlos vorübergegangen sind, ist so eigentümlich, daß man nur durch eigene Anschauung sich ein Bild von diesem historischen Märchen verschaffen kann.

Von dort gingen wir nach Nocera und von da über den hohen Gebirgsrücken des Mont Angelo, auf dem wir eine sehr interessante, reiche Flora fanden, nach der Südküste der Penisola hinüber, nach dem wundervollen Amalfi, das in seinen köstlichen Schluchten und Tälern alle Reize vereinigt, welche eine üppige, südliche Vegetation und eine nordische, wasserreiche Gebirgsnatur sonst nur getrennt dem Wanderer bieten. Dazu kommt nun noch der malerische Reiz der merkwürdigen, maurischen und normannischen Ruinen, mit denen viele Berge gekrönt sind, und als Hintergrund der herrlichen Landschaft der köstliche Golf von Salerno mit seinen weiten, schönen Buchten und dem tiefblauen, in südlichem Sonnenglanz schimmernden Meer. Auch diese Amalfitage waren so reich an Ausbeute für unser Skizzenbuch und unsere Pflanzenpresse, daß ich sie fast der Ischia-Woche an die Seite stellen möchte.

Von Amalfi gingen wir über Scaricatoja wieder nach der Nordküste der köstlichen Penisola hinüber, nach dem berühmten Sorrent, das indes trotz seiner unvergleichlichen Orangengärten doch nicht unseren Erwartungen entsprach. Nach mehreren Streiftagen in dessen Umgebungen, die mit einer Exkursion nach Castallamare schlossen, kehrten wir am letzten Juli nach Neapel zurück, wo wir ganz unerwartet noch einen besonderen Genuß hatten, nämlich die herrliche, englische, große Flotte zu sehen, welche von hier nach Malta ging, außer sechs andern prächtigen Linienschiffen noch der »Marlborough«, das kolossale Admiralsschiff und das größte Linienschiff, das gegenwärtig überhaupt existiert, ein wahres Ungeheuer.

Den ganzen Monat August verlebte ich auf der Insel Capri und wenn ich von irgendeinem Teile dieser Reise sagen kann, daß er mich in jeder Beziehung im höchstmöglichsten Grade befriedigt und über alle Erwartung hinaus beglückt hat, so ist es vor allem dieser herrlichste Sommermonat auf Capri, der, je länger je mehr ich an diese glücklichste Zeit zurückdenke, mir immer mehr wie ein goldenes Paradiesmärchen oder wie ein glücklicher, reicher Traum erscheint. Bin ich öfter zweifelhaft, welchem meiner Aufenthaltsorte in Italien ich vor allen andern den unbedingten Vorzug geben soll, so gewinnt schließlich doch immer Capri über alle die Oberhand ...

Ich ging eigentlich nach Capri, um die Seetiere seiner Meerenge kennen zu lernen; indes glücklicherweise hatten es diese schlauen Bestien für ratsam gefunden, schon vor meiner Ankunft das Weite – vielleicht das weite, offene Meer, vielleicht die kühlere Tiefe – zu suchen; die Jahreszeit war durchaus ungünstig, und ich fing bei wiederholten Versuchen fast gar nichts. Doch tröstete ich mich darüber sehr bald, nachdem ich mich durch einige Exkursionen überzeugt, welch großen Reichtum höchst merkwürdiger und schöner Naturwunder, darunter vor allem die weltberühmte »blaue Grotte«, die wilde, großartige Felseninsel besitze, und Tag für Tag wanderte ich nun frisch und frei in diese herrliche Natur hinaus, um mir alle ihre Einzelheiten mit Bleistift und Pinsel treu zu bewahren. So kam es denn, daß ich von diesem kleinen Eiland allein ein paar Skizzenbücher mitgebracht habe. Auch an zufälligem Glück fehlte es inmitten dieses köstlichen Phantasielebens nicht, und dahin rechne ich besonders die angenehme Gesellschaft, die sich tagtäglich bei unserm lieben, guten Wirt zusammenfand, nämlich außer Allmers, zwei livländische und zwei, von den Azoren gebürtige, portugiesische Maler, die in hohem Grade die liebenswürdigen, geselligen Eigenschaften besaßen, die heitere, frische Lebensanschauung, das warme, poetische Gemüt, das unbefangene, vertrauliche Entgegenkommen, durch das sich, wie ich auf der italienischen Reise vielfach zu erproben Gelegenheit hatte, die Künstler von den andern Leuten, und namentlich von den Gelehrten, auszeichnen. Auch sonst vereinigte sich alles, um den Capri-Monat in jeder Beziehung so reizend als möglich zu machen, und nie schied ich so ungern von einer schönen Stelle Italiens, als von dieser Klippe.

Anfang September gingen wir nach Neapel zurück, wo wir am 8. September noch das große Piedigrottenfest mitansahen. Am folgenden Tage schifften wir uns auf dem neapolitanischen Dampfer »Etna« nach Sizilien ein.

Die Überfahrt nach Messina, die 20 Stunden dauerte, war sehr angenehm. Am Morgen des 10. fuhren wir an dem Vulkan Stromboli vorbei, dessen periodische Feuerausbrüche wir vom Schiff aus sehr gut beobachten konnten. Wir hatten die Absicht, von Messina aus längs der Nordküste der Insel nach Palermo zu gehen, mußten jedoch direkt nach Palermo, wo wir wieder elf sehr schöne, erinnerungsreiche Tage verlebten. Die Lage der Stadt in der »Goldmuschel« (Concha d'oro), am weiten blauen Busenrund, das auf der einen Seite von dem kühn geschwungenen Capo Zaffarano, auf der andern Seite von dem seiner schönen Form wegen berühmten Monte Pallegrino, umschlossen wird, ist außerordentlich schön; und die ganze Gegend bietet eine Fülle schöner und charakteristischer Landschaftsbilder, an denen wir zum erstenmal die sizilische Farbenglut und Vegetationsfülle bewundern lernten. In letzterer Beziehung ist vor allem der große Tropengarten der Fürstin Butera zu erwähnen, der einzige Ort in Europa, wo alle Erzeugnisse der Tropenwelt, Palmen, Lianen, Orchideen, baumartige Lilien, Gräser und Farnkräuter, Bananen, Kaktus usw. usw. aufs üppigste im Freien, ohne Häuser auch im Winter, kultiviert werden und zwar in einer Fülle und Pracht, die man sich in den Tropen selbst nicht üppiger vorstellen kann. Vor allem imponierten mir die 80 Fuß hohen Bambusstämme, Gräser mit Stengelgliedern von ½ Fuß Dicke, ferner prächtige blütenreiche Bananen.

Ein besonderes Interesse haben die Berge, die Palermo rings einschließen, durch ihren großen Reichtum an Petrefakten, besonders den M. Grifone mit großen Höhlen voll Knochenbreccie. Manche Berge scheinen fast nur aus Muscheln und Schnecken, besonders dem großen, schönen Pecten Jacobaeus usw. gebildet zu sein.

Die Kunstschätze Palermos sind eigentümlicher Art, nämlich fast nur Bauwerke, die während der Herrschaft der Sarazenen, Normannen und Hohenstaufen auf der Insel aufgeführt wurden, vor allem der von Friedrich II. erbaute, prachtvolle Dom von Monreale, das schönste Denkmal sarazenisch und normannischer Architektur, ferner der Palast König Roger II., die Kirche Martorana und vieles andere; voll reicher, üppiger Phantasie mit bunter Farbenpracht, namentlich köstlicher Mosaikarbeit.

In Nicolosi hielten wir uns noch einen Tag auf, um den interessanten Doppelkegel des Monterosso-Kraters zu besteigen und kehrten dann nach Catanea zurück, von wo wir längs der Meeresküste nach Taormina fuhren, eine wunderschöne und höchst fruchtbare Küstenlandschaft, die wohl mit Recht für die schönste und reichste Siziliens gilt. In Taormina verlebten wir noch einen letzten, herrlichen Tag, teils mit Zeichnen der prächtigen, maurischen Palastruinen, teils mit Anschauen der unvergleichlichen Aussicht aus den Ruinen des alten Theaters auf den hier in seiner schönsten Gestalt vorliegenden Ätna, beschäftigt. Dann fuhren wir nach Messina, wo wir am 16. Oktober abends glücklich anlangten und wo ich am folgenden Tage nach viermonatlicher, höchst genußreicher und glücklicher, gemeinsamer Wanderschaft mich von meinem lieben Reisegefährten Hermann Allmers, trennte, der über Rom direkt nach Haus zurückreisen wollte.

Von dem Winter in Messina, wo ich fast sechs Monate ausschließlich meinen zoologischen Studien lebte, will ich euch mit einer speziellen Beschreibung, die euch doch nicht interessieren würde, verschonen, und auch nur das Resultat des Ganzen mitteilen, daß ich auch hier vom Glück ausnehmend begünstigt wurde. Während ich in Neapel nur mit Mangel an Material zu kämpfen hatte, war es hier der Überfluß des schönsten Stoffes, der mich anfangs nicht zum ordentlichen Arbeiten kommen ließ. Die Meerenge von Messina genießt den größten Ruf bei den Zoologen als der an niederen Seetieren reichste Ort des Mittelmeeres, und ich kann dies Lob nach eigener, sechsmonatlicher Erfahrung nur vollkommen bestätigen. Der Charakter dieser wirbellosen Fauna ist ein sehr eigentümlicher, fast ausschließlich pelagischer. Die Siphonophoren, Heteropoden, Pteropoden, Ctenophoren und anderen Abteilungen des Tierreichs, die sonst nur durch wenige, seltene Arten vertreten sind, finden sich hier in großer Mannigfaltigkeit und überraschender Masse. Das meiste sind überaus schöne und zierliche Tierformen, fast alle kristallhell und ganz durchsichtig, viele in den schönsten und reinsten Farben prangend, eine reiche Welt der wunderbarsten Gestalten.

Ich hatte mir unter der Masse des überwältigenden, schönen Stoffes bald ein kleines Gebiet herausgesucht, welches mir besondere Ausbeute versprach und diese Versprechung über Erwartung erfüllt hat. Das sind die Radiolarien oder radiären Rhizopoden, eine neue, sehr schöne und interessante Tierklasse, über die seit Ehrenberg (der sie zuerst entdeckte, aber nur fossile Panzer beschrieb) erst ein Werk erschienen ist, von Joh. Müller: »Über die Thalassicollen, Polycystinen und Acanthometren des Mittelmeeres«, in welchem er 50 lebende Arten beschreibt. Ich fand nicht nur die meisten derselben wieder, sondern dazu noch 101 neue Arten, und zwar die allerzierlichsten Formen, welche eine kühne, architektonische Phantasie sich nur schaffen kann. Der weiche Körper ist bei allen dieser Tierchen sehr einförmig und wenig differenziert, eine Schleimkugel, von der zahlreiche, äußerst feine, verästelte und zusammenfließende Fäden nach allen Richtungen strahlenförmig ausgehen. Aber die meisten derselben besitzen einen Panzer oder ein Gehäuse (viele auch ein inneres Skelett) aus Kieselerde, und dieses hat die allermerkwürdigsten und seltsamsten Formen, wie von einem Helm, Kranz, Schild, Krone, Igel, Stern, Blumenkorb, Nuß, Glocke, Kegel usw. usw. Die meisten Kieselpanzer sind auf das zierlichste gitterförmig durchbrochen. Der Formenreichtum, den die Natur in diesen kleinsten Organismen, von denen die meisten dem bloßen Auge unsichtbar und nur einige wenige bis zu ¼ Zoll groß sind, entwickelt hat, ist wahrhaft überraschend. Das Material floß mir so reichlich zu, daß ich vollauf zu tun hatte, nur immer die neuentdeckten Formen in Zeichnungen festzuhalten; alle habe ich sie selbst mit einem feinen Gazenetze, nach der von Joh. Müller erfundenen Methode der pelagischen Fischerei, gefangen, und die ganze Arbeit, von diesem Fange an bis zur Vollendung der mikroskopischen Abbildung, war die reizendste, interessanteste und feinste, die man sich denken kann, so daß mir dieser köstliche Radiolarienwinter ewig unvergeßlich bleiben wird. Wenn ihr Näheres über meine lieben Bestien wissen wollt, seht das oben zitierte Werk von Joh. Müller nach, oder besser noch, beglückt meinen Verleger durch Abnahme eines Exemplares von meinem großen Radiolarienbuche, das, von 25–30 Kupfertafeln begleitet, im nächsten Jahre hoffentlich erscheinen wird! Vergeßt ja nicht, diese Torheit zu begehen!

Auch sonst verging mir der Winter in Messina sehr angenehm. Bis Weihnachten setzte ich meine Seebäder täglich fort, deren ich im vorigen Jahre (von Ende März in Neapel an) nicht weniger als 250 genommen habe; bei meiner Leidenschaft fürs Schwimmen ein Hauptvergnügen der Reise. In Messina ist ein gutes, deutsches Hotel, in welchem ich in der sehr liebenswürdigen Gesellschaft des; dortigen, deutschen Arztes, des jungen Dr. Eduard v. Bartels aus Altona, sehr angenehm lebte. Auch ist dort eine Kolonie deutscher Kaufleute, von denen ich freundlichst aufgenommen wurde, und bei denen ich viele schöne Abende zubrachte.

Mitte März packte ich meine Sachen und Sammlungen zusammen und schickte nicht weniger als 12 Kisten ab, welche vor einigen Tagen glücklich angekommen sind. Fünf Kisten davon sind für mich selbst bestimmt, zwei für das vergleichende anatomische Museum in Bonn (Schultze), eine für das zoologische Museum in Jena (Gegenbaur), eine für das Berliner zoologische Museum (Peters) und drei an meinen Freund Allmers. Am Palmsonntag, den 1. April, verließ ich das liebe, herrliche Messina mit dankerfülltem Herzen. Das Schiff, das mich in 60 Stunden direkt nach Marseille führte, war das größte der kaiserlich französischen Messageriedampfer, der »Euphrat«, ein prachtvolles Schiff, das den sehr heftigen Sturm, der am ganzen ersten Tage unserer Fahrt wütete, vollkommen gut aushielt. Am zweiten Tage war schönes Wetter. Früh passierten wir die schöne Bonifaziusstraße zwischen den Inseln Sardinien und Korsika hindurch. Am 4. April früh fünf Uhr gingen wir in Marseille vor Anker, von wo ich nach eintägigem Aufenthalt nach Paris direkt weiterfuhr.

Ein dreiwöchentlicher, höchst lohnender Aufenthalt in Paris bildet den Schluß meiner schönen Reise. Euch diesmal ausführlicher darüber zu schreiben, ist der Raum zu knapp zugemessen. Nur das will ich bemerken, daß mir Paris, trotz alles vorher Gesehenen, trotz Roms und aller andern italienischen Größen ersten Ranges, doch einen sehr großartigen, höchst imponierenden Eindruck gemacht hat. Auch von der französischen Nation, die ich vorher nur von ihrer schlechten Seite durch ihr faules Renommee kannte, habe ich eine viel bessere Vorstellung gewonnen und viele Seiten davon herausgefunden, welche wir Deutschen uns nur zum Muster nehmen können. Vor allem der höchst großartige, einmütige, nationale Sinn, der sich in der gewaltigen, kraftvollen Zentralisation in imponierender Weise offenbart. Dann die große, höchst lobenswerte Liberalität, mit der dort alle Bildungsanstalten dem ganzen Publikum, vom Höchsten bis zum Geringsten, leicht und bequem zugänglich gemacht sind. Alle die vielen und großen Sammlungen der verschiedenen Kunst- und Naturgegenstände sind jedermann ohne Unterschied zur Disposition gestellt. Alle Universitätsvorlesungen sind ganz öffentlich und unentgeltlich, und ich sah in einer Vorlesung von Quatrefages über Anthropologie und in einer andern von Fremy über Chemie ein Auditorium von einigen hundert Menschen, ganz gemischt aus Studenten, Handwerkern, Soldaten, Blusenmännern und vielen Damen, welches der ganzen Vorlesung mit Aufmerksamkeit folgte. Überhaupt fällt die völlige, bürgerliche Gleichstellung in der Gesellschaft gegenüber dem bei uns herrschenden Kastengeiste außerordentlich angenehm auf und von preußischen Junkers und Berliner Jeheimräten ist nichts wahrzunehmen. Daß mich die prächtigen und großartigen Sammlungen und Museen und alle die vielen, öffentlichen Merkwürdigkeiten von Paris in hohem Grade interessierten, brauche ich wohl nicht erst anzuführen.

Am 25. April fuhr ich von Paris nach Köln und Bonn, wo ich zwei Tage bei meinen Verwandten blieb und meine alten Freunde M. Schultze, Lachmann, Lavalette besuchte. Am 28. April abends fuhr ich von Bonn nach Berlin, wo ich am Morgen des 29. um acht Uhr wohlbehalten anlangte und nach 456tägiger Abwesenheit alle meine Lieben gesund wiederfand.

Vorläufig bleibe ich nun noch ein Jahr hier, um mein Radiolarienwerk auszuarbeiten, und um über meine Sammlungen zu disponieren. Dann werde ich mich wahrscheinlich zu Ostern 1861 auf einer kleineren Universität für Zoologie habilitieren und ruhig abwarten (resp. unruhig!) bis einmal eine Professur mich in ihren sichern Schoß aufnehmen wird. Dann liebes Philistertum!! Nun Addio, liebe, alte Freunde, lebt mir allesamt recht wohl und erfreut bald einmal durch eine Antwort euren treuen, alten Gefährten

Ernst Haeckel.


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