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Sechzehntes Kapitel.
Das Wunder


Am Starenberger See, nicht weit von München, liegt am Fuße reizender Waldhöhen das Dörfchen Leoni, unstreitig einer der malerischsten und schönsten Aufenthaltsorte für die Sommer- und Herbstmonate. Früher war es einigermaßen langweilig, von der Residenz zu Wagen nach den Ufern des Sees zu fahren; heute aber, wo uns die dampfende Lokomotive über Thäler hinweg, durch Berge hindurch in einer Stunde dorthin führt, ist diese Tour zu einer kleinen und selbst angenehmen Spazierfahrt geworden. Wie prachtvoll ist der Anblick der klaren und grünen Wasserfläche mit ihren schönen Ufern, wenn wir aus den dunklen Wäldern der Mühlthalhöhen an den Rand des Thalbeckens hinabfahren. Wie liegt der herrliche See an einem schönen Tage so frisch, so einladend vor unfern Blicken da, wenn kein Windzug die glatte, grüne Fläche kräuselt, wenn die reizend geschwungenen Ufer mit ihren Dörfchen, ihren vielen Schlössern und Villen ein reiches Band um das Wasser schlingend, so klar und deutlich ausschauen; nur dort hinten weit ein wenig im bläulichen Dufte verschwimmend, wo jenseits des Vorlandes die ewigen Alpen so mächtig unsere Blicke anziehen.

Fühlen wir uns doch fast überwältigt von der Schönheit dieses Sees, können uns eines gewissen eigenthümlichen Gefühles nicht erwehren, das uns überschleicht, wenn wir im leichten Boote über die weite Wasserfläche schwimmen, – eines Gefühles, welches uns sagt: so schön das Rundgemälde ist, das sich hier vor uns aufgethan, so wird es doch noch viel angenehmer, noch viel traulicher und behaglicher sein, wenn wir da oder dort am Fenster eines der kleinen Häuser lehnen, hinausschauend auf das spiegelnde Wasser, oder wenn wir uns hinlagern könnten dort unter jenes Gebüsch, unter jene Bäume, um zwischen deren Stämmen das Wasser des Sees langsam und feierlich ans Ufer treiben zu sehen.

Geduld! Dort sehen wir schon das zierliche Königsschlößchen Berg; langsam schiebt sich jetzt hinter ihm die Waldhöhe hervor und an ihren Fuß geschmiegt, dicht an der Wasserfläche liegt Leoni, an sich ein unbedeutendes Dörfchen, aber umgeben von kleinen allerliebsten Villen, die sich mit der hellen Farbe ihrer Häuser zwischen dem tiefen Grün wie eine Guirlande am Ufer hinziehen. O es sind das hier kleine reizende Häuser, wie gemacht in der angenehmsten Gesellschaft, umgeben von frischem Grün am kühlenden See, ein paar Sommermonate zu verträumen. Wie hübsch sind die kleinen Gärten, die sich vor jeder dieser einzeln liegenden Wohnungen befinden, nur durch einen schmalen Weg vom See selber getrennt, in dem sich Badhäuschen befinden, wo jede der Villen ihren Ankergrund hat, einen Hafen von Pfahlwerk, in welchem der leichte Nachen auf der klaren, tiefgrünen Flut schaukelt. Und hinter den Wohnungen erhebt sich langsam ansteigend die Höhe. Da sieht man hübsche Parkanlagen, wo sich unter riesenhaften Bäumen Ruheplätze befinden, die wir tagtäglich nacheinander besuchen, denn sowie wir höher steigen, erweitert sich unser Horizont und immer größer, immer weiter, immer gewaltiger und schöner wird die Aussicht, die wir über den See genießen.

Hier in Leoni, und zwar in dem Hause dort am Landungsplatz – es hat eine hellgelbe Farbe mit grünen Läden und liegt so heimlich versteckt – wohnte jener junge Mann, den man vor kurzem, als er von einer schweren Krankheit kaum hergestellt war, hieher gebracht hatte, damit er hier in der wunderbaren Einsamkeit des Sees, in dieser herrlichen Natur seine völlige Genesung finde. Denn daß er noch sehr leidend war, das konnte jeder sehen, der ihn auch nur vorübergehend und flüchtig betrachtete. Sein Gesicht war bleich, eingefallen und sah noch hagerer aus durch den dichten Bart, der sein Kinn beschattete. Auch hatten die tiefliegenden Augen einen seltsamen scheuen und unheimlichen Ausdruck; es war gerade so, als hätte die Glut des Fiebers, die ihn darniedergeworfen, dort einen unheimlichen Glanz zurückgelassen. – Man bedauerte ihn herzlich, wenn er jeden Morgen vorüberschritt, etwas vornüber gebeugt, nie aufblickend, wobei er jedoch alles bemerkte, was ihm begegnete. Denn man sah das an der verbindlichen Art, mit der er seinen Hut zog und für einen halben Gruß, ja sogar für einen freundlichen Blick dankte. Der Kranke war einfach, aber sehr anständig gekleidet und erschien immer in Begleitung eines vielleicht vierzehnjährigen Knaben, der eine Zeichenmappe trug, sowie einen Malerstuhl.

Regelmäßig an jedem Morgen, wenn es das Wetter nur einigermaßen erlaubte, sah man Beide die Waldhöhe hinan steigen, dort oben lagerte sich der junge Mann ins Grün, blickte auf den See hinaus, nach den fernen Alpen hin und träumte. So schien es denen, welche zufällig vorüber kamen und ihn dort oben bemerkten. Zuweilen legte er auch die Zeichenmappe aufgeschlagen auf seine Knie, zog einen Bleistift hervor und fing an, einige Striche zu machen. Doch schüttelte er nach den ersten Versuchen den Kopf und sagte: »Es geht noch nicht; ich sollte es gar nicht probiren. Weiß ich doch genau, daß ich in Geduld abwarten muß, bis das große Wunder geschieht. Nicht das mit dem Stocke,« fuhr er mit einer wegwerfenden Handbewegung fort, »das ist unmöglich; ich habe es dir schon oft gesagt. Der Stab, der einmal vertrocknet, kann nicht mehr Knospen und Blätter treiben, das merken wir ja an uns selber. Aber,« setzte er dann mit leiser Stimme hinzu, »meine Existenz können sie mir wiedergeben. Doch nehme ich sie nur an in feierlichem Aufzuge, vor allem Volke, eine förmliche und großartige Ehrenerklärung. – Schau auf den Weg hinab, ob du ihn noch nicht kommen siehst, den Reiter auf weißem Roß. Aber die Bügel müssen golden sein und Zaumzeug und Decke purpurfarben, reich mit Edelsteinen gestickt. – Geh, sag' ich dir, geh!«

Der kluge Knabe, an den dies Verlangen schon oft gestellt worden war, erhob sich willfährig, ging ein paar Schritte in den Wald hinein, von wo er den geschlungenen Weg übersehen konnte, der auf die Höhe führte, und blieb dort hinabblickend stehen.

»Du siehst noch nichts?« fragte der junge Mann.

»Nur ein paar Fußgänger.«

»Bah, es werden keine Fußgänger sein,« erwiderte der Andere verächtlich. »Wenn du nicht das Haar des weißen Rosses leuchten siehst, so komm nur zurück und schaue lieber auf den See hinaus. Ueberhaupt sagt mir eine innere Stimme, daß sie eher noch über die grünen Fluten zu mir kommen werden. Ich halte das, beim Himmel! für wahrscheinlicher. Und wenn ich es mir recht überlege, so erscheint auch ein solcher Aufzug großartiger, majestätischer, des vorhabenden Zweckes würdiger. Schau über den See, ich bitte dich darum.«

Darauf ging der geduldige Knabe etwas vorwärts, auf die Lichtung zu, von wo man die Wasserfläche besser übersehen konnte, hielt die Hand über die Augen und sprach nach einigen Minuten in munterem Tone: »Ich kann noch nicht bestimmt sagen, ob ich etwas sehe. Es liegt ein unendlicher Glanz auf dem Wasser.«

»Ah, es liegt Glanz auf dem Wasser, das gibt mir einige Hoffnung. Schau schärfer hin, ob du nicht die goldenen, vielruderigen Galeeren erblicken kannst. Sie führen bunte Wimpel am Mast, und rechts und links an den Wänden sitzen weißgekleidete Knaben harfenspielend. Auch sind Anker und Tauwerk von reinem Golde. Siehst du nichts dergleichen?«

»Leider nein,« gab ihm der Knabe zur Antwort; »es war das Licht der Sonne, welches jenen Glanz aufs Wasser warf.«

»Und du hörst auch nichts? Keine rauschende Musik, keinen feierlichen Gesang? – Strenge dein Gehör an.«

»Es nützt alles nichts,« erwiderte nach einer längeren Pause der Knabe kopfschüttelnd. »Es ist mit dem Sehen nicht viel, aber ich höre noch viel weniger etwas von dem, was ich hören sollte. – Doch halt! Da erblicke ich etwas.«

»In der That?« rief der Andere erwartungsvoll. »Du siehst etwas?«

»Aber doch nicht das Rechte. Es ist nur das Dampfboot, welches über den See fährt.«

»Pfui, das Dampfboot!« sagte der junge Mann mit einem Ausdruck tiefer Verachtung auf den Zügen. »Ich wollte ihnen nicht gerathen habens, mir mit dem Dampfboot eine Deputation zu schicken. – Komm nur zurück, der Tag ist noch nicht gekommen.«

Wenn auch der Begleiter des sonderbaren Kranken zu verschwiegen war, um etwas von diesen Unterredungen zu erzählen, so war doch das menschenscheue, überhaupt seltsame Benehmen des jungen Mannes zu auffallend, um nicht die Aufmerksamkeit der Bewohner Leoni's, sowie der anwesenden Fremden zu erregen und sie zu begreiflichen Nachforschungen zu veranlassen.

Wer der Kranke war, konnte man übrigens nicht erfahren, daß er aber aus gutem Stande sei, sah man wohl aus seinem Benehmen, und daß er reich sein mußte, zeigte die Art, wie er bei sich eingerichtet war. Das Haus, wo er wohnte, war durch einen Agenten in München für ihn und seine Dienerschaft gemiethet worden; letztere bestand aus zwei Bedienten, von denen einer mit Hülfe einer alten Magd, die man hier angenommen, das Hauswesen besorgte, während der Andere die Stelle eines Kammerdieners bei dem Kranken versah. Doch schien dieser den jungen Mann bei dessen Spaziergängen nur bis an die Gartenthür begleiten zu dürfen, hier wenigstens blieb der Diener mit einer tiefen Verbeugung jedesmal stehen, während der Andere nach einem leichten Gruße mit der Hand weiter ging. Im Stalle der Villa befand sich ein Pony zum Dienste des Kranken, den dieser aber nur ein paarmal benutzt hatte. Ihm machte es viel mehr Vergnügen, mit feinem kleinen Begleiter an den Abhängen des Waldgebirges umher zu steigen, wo dann häufig die oben beschriebene Scene aufgeführt wurde und von wo dann Nachmittags beide, die Hüte mit grünen Zweigen und Waldblumen bekränzt, nach Hause zurückkehrten.

Zuweilen erhielt der Kranke Besuch von einem ältern Herrn, einem Arzte, wie die Leute sagten, der in Begleitung einer schönen und sehr eleganten Dame mit dem Dampfboote nach Leoni kam. Die Dame aber ging nie in das Haus, wo der Kranke wohnte, sondern sie erstieg die Höhe und blickte von oben in den Garten der kleinen Villa, wo dieser alsdann mit dem ältern Herrn hin und her schritt. Wenn sie zurückkehrte, hatte sie ihren Schleier niedergelassen, hielt auch wohl das Taschentuch an ihren Mund und wartete am Landungsplätze des Dampfbootes auf den Arzt, dem sie, sobald er erschien, hastig einige Schritte entgegen ging. – Das hatten die Leute oft genug gesehen und auch bemerkt, wie alsdann der alte Herr auf die Frage der Dame die Achseln zuckte, ja Einer, der ihnen zufällig begegnete, wollte gehört haben, wie jener sagte: »er hat für nichts Gedächtniß und Sinn als für das Wunder, von dem wir schon oft gehört, daß er es erwartet und das ihm, wie er sagt, seine Existenz wiedergeben soll.«

So verging der Sommer und trübe Tage wechselten ab mit klaren, Regenwolken mit blauem Himmel, und als der Herbst kam, färbten sich die Laubmassen am Ufer des Sees mit all der Pracht, die sie nur einmal zeigen, ehe ihnen des Winters rauhe Hand die bunten Gewänder abstreift, so daß sie alsdann trostlos dastehen, jammernd die nackten Arme gen Himmel streckend. Dazu kamen Tage in einer Klarheit und Frische, und wieder in der Ferne mit jenem wunderbaren Dufte, wie das alles nur der Herbst aufzuweisen hat. Da lugte am frühen Morgen die Sonne so freundlich blinzelnd über die Bergeshöhen, als wollte sie sagen: wartet nur, heute sollt ihr einmal einen schönen Tag haben! – worauf die nächtlichen Nebel, die sich schon stolz und hochmüthig emporrichten wollten, sich schnell und tief niederduckten, es nicht einmal mehr wagten, auch nur schüchtern an den Himmel emporzuschauen, sondern sich eilig in langen weißen Streifen verzogen um die Ecken der Berge in die tiefen Schluchten hinein oder langgestreckt niederfielen auf die grünen Wiesen, um dort, gute Miene zum bösen Spiele machend, gleich darauf als lächelnde Thautropfen zu erscheinen. Dann küßte die Sonne den blanken See, und dieser lachte und schmunzelte so gemüthlich und that so wohlwollend mit seiner Umgebung, daß weiter hinten Himmel und Wasser ordentlich in einander zu verschwimmen schienen.

An einem solchen Tage machten die Beiden, von denen wir vorhin gesprochen, abermals ihren Spaziergang auf die Waldhöhe hinauf. Obgleich es weder Sonntag noch Feiertag war, so erschienen doch die ihnen begegnenden Fremden und die Leute aus den Dörfchen sonntäglich und festlich geputzt. Ja noch mehr: an der Landungsbrücke, wo das Dampfboot gewöhnlich anlegte, sah man Flaggenstangen mit bunten Wimpeln, und das alte Geländer selbst lächelte freundlich unter frischen Guirlanden von Eichenlaub.

Der Kranke schien nichts von diesen Vorbereitungen zu sehen; er zog wie gewöhnlich seinen Hut ab, häufig und tief, doch schien es ihm vollkommen gleichgültig, wem er eine solche Artigkeit erzeigte. Er hielt den Blick auf den Boden gesenkt und ging, so lange er sich in der Nähe der Wohnungen befand, mit einer gewissen Eile, die sich erst verminderte, sowie er Dorf und Häuser hinter sich ließ und im Schatten des Waldes aufwärts stieg. Dann hob er auch den Kopf empor, dann schien er freier zu athmen, dann klärten sich seine finstern Züge sichtlich auf.

»Heute wollen wir wieder einmal den Versuch machen, eine ganz immense Zeichnung zu entwerfen. Ich fühle so ein Zucken in meiner rechten Hand, es ist mir grade zu Muth, wie einem Baum im Frühjahr, der ausschlagen will. Fühlst du nicht auch so was?«

»Dergleichen gerade nicht,« erwiderte sein Begleiter; doch setzte er mit einem pfiffigen Lächeln hinzu: »es ist mir ungefähr so wie jemand, der unverhofft zu einem Feiertag kommt.«

»Diese unverhofften Feiertage sind die besten,« meinte der Andere. »Wenn wir uns auf etwas zum Voraus freuen und wissen, daß es so kommen muß, so beschäftigt sich unsere Phantasie damit und baut es herrlich und groß aus, daß es uns dann meistens klein und unbedeutend vorkommt, wenn es nach langem Warten endlich erscheint. – Etwas Anderes ist es,« fuhr er nach einer Pause fort, »mit dem großen, übernatürlichen Wunder, das ich erwarte. Das kann man sich nicht herrlich genug vorstellen, und wenn du so glücklich sein wirst, es einmal in der Wirklichkeit zu sehen, da freue ich mich schon zum Voraus, wie du vor Entzücken außer dir gerathen wirst,«

Sie hatten sich unter einem Baum niedergelassen, während der Kranke so sprach und sahen den Leuten zu, die heute besonders zahlreich auf die Rottmannshöhe zogen. Von dort tönte es auch zuweilen wie einzelne Musikklänge herüber, und wenn der Kranke das hörte, so sagte er: »horch, wie der Wald so schön singt!« Da aber immer mehr Leute an ihnen vorüber zogen, plaudernd, lachend und singend, und viele sie neugierig betrachteten, so stand der junge Mann auf und ging zur linken Seite in den Wald hinein, stieg die Anhöhe hinan bis zu jenem Platz über Leoni, wo man das funkelnde Wasser so gut übersehen konnte.

Hier setzte er sich auf einen Stein nieder, lehnte sich mit dem Rücken an einen Baumstamm und sah mit freudigen Blicken auf das wunderbare Panorama, welches sich vor ihm ausbreitete. Da erschien die glatte Fläche des Sees ohne Uebertreibung wie ein klarer grüner Spiegel. Und das war er auch für seine Ufer, denn die beschauten sich in ihm und sahen sich so deutlich wieder, daß jeder Fels am Rande, jeder Baum, jeder Strauch, jedes Häuschen sich wieder erkennen mußte. Ueber die Erde spannte sich der Himmel so tiefblau, so feierlich und still, grade so, als erwarte er etwas ganz Absonderliches, das sich hier unten auf der Erde begeben müsse. Und diese feierliche Stille des Himmels theilte sich Land und Wasser im Allgemeinen mit, und auch wieder jedem Einzelnen: den Ufern, den Bäumen, den Häusern und den darüber emporragenden Bergen. Alles stand da in dem milden klaren Sonnenschein, so gespannt, so erwartungsvoll. Und drüben jenseits des Vorlandes schienen sich die ewigen Alpen ordentlich in die Höhe zu strecken, um besser sehen zu können, und waren so im duftigen Glanz des Morgens von der Spitze bis zum Fuße ohne Nebel, ohne Wolke in langer, mächtiger Reihe scharf umgrenzt dem Auge sichtbar. Nur um das Haupt der Königin der baierischen Alpen, um die Zugspitze, schwebte es wie ein leichter Duft, ein feiner, wallender Schleier, den sie wie zum Gruße flattern ließ.

»Wenn heute der Mann auf dem Schimmel kommen wollte,« sagte der Kranke, nachdem er lange, lange in die wunderbare Gegend geblickt, »so würde es ihm unangenehm sein, da unten auf dem Wege so viele neugierige Menschen zu sehen, und wenn ich mir die Sache recht überlege, so halte ich es auch für viel passender, daß sie an mich kommen mit großem Gefolge über das Wasser des Sees. Es würde sich passender machen, auch angemessener des wichtigen Augenblicks. Tritt deßhalb ganz hinaus an den Rand und sage mir, was du siehst.«

Der Knabe that gehorsam, wie ihm befohlen war, und schlenderte, vielleicht zum hundertstenmale, bis an den Abhang der Waldeshöhe, wo er sich ins Gras niederließ, um behaglicher von Zeit zu Zeit melden zu können, wie er schon oft gethan, daß er nichts sehe. Er blickte auch kaum auf den See hinaus, sondern streckte sich lang dahin, stützte den Kopf auf den Arm und schaute verkehrt auf die Landschaft hinaus, derselben so neue und fremde Formen abgewinnend. – Auf einmal aber fuhr, er empor. Was sah er dort hinten bei Starenberg? Das war nicht nur das Leuchten der Sonne auf dem Wasser, da blitzte und strahlte es durcheinander wie ganze Haufen von Gold und Edelsteinen. Da flatterten Fahnen in bunten Farben, da war es, als schwimmen Schiffe auf dem Wasser in so eigenthümlichen phantastischen Formen, wie er sie nie gesehen. – Kaum traute er seinem Blicke, er hatte sich überrascht aufgerichtet, er legte die Hand über die Augen, um schärfer zu sehen, – ja er irrte nicht, es war keine Täuschung gewesen; was er vorhin gesehen, verwandelte sich nicht, floß nicht auseinander, ja es wurde deutlicher und immer deutlicher.

Der junge Mann, der unter dem Baume saß, rief ihm jetzt zu: »Schau über den See hin und sage mir, ob du noch nichts siehst. Es muß ein unendlicher Glanz auf dem Wasser liegen.«

»Bei Gott, Herr,« sprach der Knabe eilig zurück, »ein unendlicher Glanz und fast noch mehr. Ist es mir doch wirklich, als sähe ich das, von dem wir so oft gesprochen.«

Der Kranke hatte seine Hände übereinander gelegt und blickte mild lächelnd gen Himmel. »Endlich also?« sagte er leise. Dann nickte er mit dem Kopfe und sprach laut: »Siehst du vielleicht die goldene, vielruderige Galeere? Sie hat bunte Wimpel am Mast, rechts und links an den Wänden sitzen weiß gekleidete Knaben Harfen spielend, Anker und Laubwerk sind von reinem Golde. – Siehst du das?«

»So wahr mir Gott helfe,« gab der Knabe in höchster Ueberraschung zur Antwort, »ich sehe die goldenen Schiffe. Und nicht eins, sondern zwei, drei, vier, noch mehrere, und kleine Nachen schwimmen rings umher, ebenfalls verziert mit bunten und goldenen Fahnen. – Was soll das bedeuten, Herr?« setzte er fast bestürzt hinzu.

»Die Bedeutung habe ich dir schon oft klar gemacht,« entgegnete der Andere mit freudestrahlendem Antlitz, indem er sich rasch erhob und dann eilig herankommend mit zitternder Stimme sprach: »Aber so schnell hätte ich das Wunder doch nicht erwartet.«

»Es ist wahrhaftig wie ein Wunder,« meinte hinblickend der Knabe. »So was habe ich noch nie gesehen.«

»Du nicht und viele Menschen nicht, es auch viele nach dir werden nicht wieder sehen.« So murmelte der junge Mann entzückt, da er am Abhange stand und hinausblickte auf den See, und die gefalteten Hände hoch emporhob an seine Brust. »Das ist auch keine Kleinigkeit, mein Knabe,« fuhr er nach längerem Stillschweigen fort; »das sind keine gewöhnlichen Menschen, die da unten, die sind von Gott besonders begabt, – es sind Künstler. Und sie kommen mir zu sagen, daß ich wieder einer der Ihrigen sein solle. Hörst du die Klänge ihrer frohen Lieder? Hörst du ihre rauschende Musik? Siehst du, wie das alles in Gold und Farben strahlt? – Hole mir mein Buch,« setzte er hastig hinzu, »dort unter dem Baume liegt's. Ich fühle, wie schon bei dem Anblick der Geist wieder über mich kommt. Dies gewaltige und doch wieder so reizende Bild da unten – er streckte beide Hände darüber aus – muß festgehalten werden für ewige Zeiten! So, wie ich, wird das kein sterbliches Auge wiederschauen. – Hole mein Buch.«

Während der Knabe zurücksprang, um es zu bringen, ließ sich der junge Mann auf einen Stein nieder und nahm alsdann das Heft aus den Händen seines Begleiters, ohne dabei ein Auge von dem See zu verwenden. Es konnte aber auch in der That nicht leicht etwas Herrlicheres geben als das Bild, welches sich drunten auf der blaugrünen Seefläche zeigte, und welches um so schöner und glänzender wurde, je deutlicher es sich durch Näherkommen entwickelte. Gab es ein Wunder, so war dieses eins, denn Fahrzeuge von solcher Gestalt und solcher Pracht konnten sich wohl die ältesten Leute nicht erinnern, hier auf dem Wasser gesehen zu haben. Es mochten wohl zwanzig verschiedene Fahrzeuge sein, alle von kräftigen Schiffern gerudert, eines von dem andern in gewissen Entfernungen daher kommend und so eine große Fläche bedeckend. Aber wenn man auch noch so scharf hinblickte, so bemerkte man nichts, was an die Form gewöhnlicher Schiffe erinnert: was da unten schwamm, waren bunte Bilder in Gold und Silber eingehüllt, so reich und schön gestaltet, wie sie Phantasie und Poesie nur ersinnen konnten.

Alle andern Schiffe an Größe und Pracht der Ausstattung überragend schaute mitten aus ihnen der Bucentaur der Flotille hervor, ein ziemlich treues Nachbild des berühmten venetianischen Musters, welches der Doge betrat, wenn er sich dem Meere vermählte. Hier wie dort Gold auf allen Seiten, welches die Sonnenstrahlen ins Unendliche reflektirten; Purpurschmuck und vergoldete Schnitzereien deckten seine Wände, bunte Decken und langgefranste Teppiche, von den Seiten und im Hintertheile herabhängend, schleppten stolz im Wasser nach. Fahnen und Wimpel aller Art flatterten vom Mast und wehten vom goldenen Baldachin, der über dem Schiffe ausgespannt war. Und in welch' reicher Gestaltung umgaben die andern Fahrzeuge in ehrfurchtsvoller Entfernung dies Hauptschiff der königlichen Künstler! Wie war auch von ihnen von der früheren Form nichts mehr zu entdecken, alles in blühenden und bunten Schmuck verwandelt! Guirlanden schlangen sich als Takelage um die in Blumenstäbe verwandelten Maste; von deren Spitze flatterten lange, herabwallende Bänder; am Steuer wehten die Fahnen fast aller Länder; über den kleinen Flaggen wiegten sich oben stolz die Banner der Künstler und Sängerzünfte. Dort war ein Blumenschloß auf das Wasser gezaubert; zierliches Holzgeflechte bildete seine Mauern, hundertfarbige Blüthen schlangen sich durch die Gitter; hier stand ein Weihnachtsbaum in einem Schiffe, der Mast war eine schlanke hohe Tanne, Blumenkränze schwebten, unten immer zierlicher sich gestaltend, von ihm nieder; da schwankte auf einem andern Maste ein riesiger Blumenkorb, dort hatte wieder ein anderer Kahn sich ein Dach von lauter Flaggen und Fahnen zusammengesetzt.

So kam die Flotille in einem weiten Bogen daher, glänzend in ihren Formen, in ihrem Schmuck von Gold und Farben, strahlend im hellsten Sonnenlichte und belebt durch die malerisch gruppirten Gestalten, welche ihren Raum erfüllten und worunter besonders hervorleuchteten die hellen Gewänder der Frauen und Mädchen. Aber nicht bloß das Auge konnte sich ergötzen an diesen herrlichen Gebilden, sondern auch das Ohr lauschte entzückt den Klängen heiterer Lieder, die von Instrumenten und menschlichen Stimmen ausgeführt so klar und deutlich über das Wasser herüberflogen. Wie schienen aber auch die Ufer aufzuhorchen! Wie standen sie mit Grün und Fahnen festlich geschmückt da, die reizenden Uferlandschaften; wie hatten sie sich in bunte Farben gehüllt, all' die Villen und Dörfer rings umher, wie oft und lustig sandten sie krachende Böllerschüsse zu den geschmückten Schiffen hinüber!

Alles, was das Auge erfassen konnte, warf der junge Mann mit einer eigenthümlichen Hast auf das Papier nieder, und sein Begleiter, der ihm nach einiger Zeit über die Schultern schaute, fuhr fast zurück, als er ein getreues Bild des Wunders da unten jetzt hier mit kühnen und scharfen Strichen auf dem Papier erblickte. Das war erst das rechte Wunder, denn der Knabe erinnerte sich wohl, wie oft der Kranke den Bleistift auf das Papier gesetzt, wie oft er träumend Stunden lang gesessen, um alsdann tiefer aufseufzend seine fieberhaft erglühende Stirn mit seiner linken Hand zu bedecken, wenn es ihm nicht gelang, das was seinen Geist bewegte, in künstlerischen Strichen auf dem Papiere festzuhalten. Und es war ihm das ja nie gelungen. Er hatte dann trübe lächelnd zuletzt sein Haupt geschüttelt und gesagt: »Es geht noch nicht; ich muß auf das Wunder warten.« – Und wie herrlich hatte sich das nun auf einmal gezeigt! Da drunten auf dem See in fabelhafter Gestaltung, hier oben an dem herrlichen Werk des jungen Mannes, das sich mit jedem Striche schöner und deutlicher dem Auge darstellte.

Da hielt der Maler einen Augenblick in seiner Arbeit ein, horchte und machte seinem Begleiter ein Zeichen mit der Hand, er solle sich hüten, die tiefe, feierliche Stille, welche nun mit einemmale rings umher herrschte, auch nur durch den geringsten Laut zu unterbrechen. Drunten auf den Fahrzeugen schwieg die Musik, man hörte nicht mehr das Rauschen der Ruder, denn diese waren mit einemmale eingezogen worden und alle Schiffe lagen still, alles in denselben war schweigend und erwartungsvoll. – »Das ist der Tag des Herrn!« stimmte der Sängerchor an. Und in richtiger Stimmung schienen die Wellen zuzulauschen, schien der Himmel andächtig herabzublicken, standen rings in der Weite die geschmückten Häuser und Villen wie fromme Zuhörer in der ungeheuren Kirche, die rings umher aufgebaut war. –

»Das ist der Tag des Herrn.
Der Himmel nah und fern,
Er ist so klar und feierlich,
So ganz, als wollt' er öffnen sich.
Das ist der Tag des Herrn.«

Der Knabe oben am Rande der Waldeshöhe war auf die Knie niedergesunken, mitfühlend, was die da unten beteten, und der Kranke hatte den Bleistift fallen lassen, hatte sein Haupt tief herabgesenkt und in beiden Händen verborgen, lange, lange – lange nachdem der Gesang drunten aufgehört hatte und die Schiffe sich wieder in Bewegung gesetzt. Es war ihm so wohl, so selig, auf einmal wieder so glücklich zu Muth. Er glaubte, es sei eine Kette gesprungen, die seinen Nacken belastet, seine Brust zusammengeschnürt; aus seinen Augen tropften Thränen herab unaufhaltsam, und er machte auch keinen Versuch, sie aufzuhalten, denn es erregte ihn ein unendlich wohlthuendes Gefühl, nach langer Zeit wieder einmal weinen zu können, Thränen der Freude, Thränen des Glücks. Wie schwand mit jedem der rollenden Tropfen ein finsterer Schatten aus seinem Herzen, wie war es, als öffnete sich ordentlich sein Inneres, als gewännen jetzt erst seine Sinne wieder Kraft und Leben, um in sich aufzunehmen das reiche, blendende Bild der gewaltigen Natur rings umher. Wie glänzten seine Augen nach den rinnenden Thränen, wie freudig zuckte sein Mund; ja es war, als könne es die Ungeduld, die ihn beseelte, nicht länger sitzend aushalten, denn er sprang rasch in die Höhe, schwang seinen Hut hoch über dem Kopfe und jubelte laut und fröhlich zum See und zu den geschmückten Schiffen hinab.

»Und was ist denn das alles, Herr?« fragte der Knabe, der besorgt dem so außergewöhnlichen Thun des sonst so stillen Mannes zuschaute. »Ist es denn wirklich ein Wunder?«

Worauf ihm dieser mit Begeisterung erwiederte: »Ja, es ist allerdings ein Wunder, was sich da unten begeben, ein vielversprechendes Wunder. Die deutschen Künstler aus allen Theilen des großen schönen Vaterlandes haben einen gewaltigen Schritt vorwärts gethan zur Einigung, indem sie gefunden und deutlich gezeigt, daß es wohl viele große und kleine Akademien und Malerschulen gibt, aber nur Eine deutsche Schule, nur eine deutsche Kunst, hoch und herrlich, wie alles, was im schönen Heimatlande durch festes Zusammenhalten glänzend hervortritt.«

Er fuhr mit der Hand über die Augen und auf seinem bleichen Gesicht zeigte sich ein müdes Lächeln. »Es hat mich das angegriffen,« sagte er; »ich will mich wieder dahinstrecken ins grüne Gras, träumend an den Himmel emporblicken und ausruhen.«

»Wollen wir nicht lieber nach Hause gehen?« fragte mit besorgter Stimme der Knabe, denn die ungewöhnliche Aufregung des Kranken erschien ihm bedenklich.

»Nach Hause?« versetzte dieser jedoch mit finsterer Miene, wobei er heftig mit dem Kopf schüttelte. »Wo ist mein Haus? Doch nicht da unten, wo ich lange Zeit in dumpfigen Zimmern gelebt und immerfort denselben beängstigenden Traum geträumt? – Nein, nein!« fuhr er hastiger fort, »weißt du, wo mein Haus ist und wohin es mich so gewaltig zieht? – Blicke dorthin. Siehst du die Zugvögel nach Süden eilen? Die zeigen mir den Weg, ihnen will ich nach, um dem kalten, frostigen Winter zu entgehen, der mich so lange, so hartnäckig zurückhielt, und um – sie wiederzufinden, – das sprach er mit leiser Stimme – in einem ewigen, unwandelbaren Frühling. – Nicht in ihre Arme will ich eilen,« murmelte er; »o nein, nein! auf der Schwelle ihrer Wohnung niederknien werde ich und sie anflehen, daß eine Bitte ihrer reinen Seele mir Vergebung verschaffe hier und dort. Aber jetzt laß mich ruhen, laß mich schlafen und wecke mich nicht eher, als bis sich die Waldeshöhe drüben belebt durch Musik und Gesang.«

Unterdessen hatten sich die goldenen Schiffe unter den feierlichen Klängen des Walhallaliedes dem Ufer genähert, legten sich an die Landungsbrücken, und die lustige Künstlerschaar, die heiteren Gäste, schöne Frauen und Mädchen, alles durcheinander, hoch überflattert von den bunten Fahnen und Wimpeln, die vorangetragen wurden, in der prächtigsten Farbenmischung, betraten das Land und bewegten sich von da in einem langen, feierlichen Zuge zur Waldeshöhe hinauf. Lange noch sah man sie vom Ufer aus durch den grünen Wald hinaufziehen, lange noch bemerkte man die leuchtenden und flatternden Fahnen, die hellen Gewänder, lange noch hörte man die Klänge der Musik, lustiges Plaudern und Lachen.

Und wie war droben alles zu ihrem Empfange eingerichtet! Wie schimmerte dort zwischen dem Baumdickicht hervor das weißliche Holz der Buden, der langen Tische und Bänke, die auf dem Moosteppiche aufgeschlagen waren; wie flatterten auch hier von den Bäumen, sowie von aufgerichteten hohen Stangen Fahnen aller Farben; wie sinnreich war auf einer Lichtung die mit Riesenstämmen umgeben war, der Tanzplatz errichtet, wo sich die Jugend in lustigem Reigen drehen sollte. Er war eingefaßt mit aufgesteckten Tafeln, auf denen sinnige Sprüche standen, sowie mit den verschiedenen Künstlerwappen, welche bald hier, bald da an den Bäumen angebracht waren und mit ihren brillanten Farben so hell und angenehm von dem grünlichen Grau der alten Stämme abstachen.

Und welch lustiges Leben zog wie ein frischer Luftzug über die unvergleichliche Rottmannshöhe. Wie wurde geplaudert und gelacht, gejubelt und gesungen, getanzt und gesprungen! Wie freudig erklang das Klappern der zinnernen Krugdeckel nach einem Toast, der hie und da ausgebracht wurde; wie hörte man ein fröhliches Lied aus dem Dickicht erschallen, um plötzlich wieder überstimmt zu werden durch einen vollen Chorus, oder zerrissen durch die plötzlich einsetzende Tanzmusik. Da fanden sich Bekannte zu Bekannten, die vielleicht zusammen nach München gekommen, sich dann in dem Strudel des gewaltigen Lebens verloren und heute erst wieder sahen; da traf man auf Freunde, die man hundert Meilen entfernt glaubte, und tauschte einen herzlichen Händedruck, ein lustiges: »Grüß Gott!« mit Genossen früherer Zeiten, die man Jahre lang nicht gesehen und die uns nach diesem Zusammenstoß, auch jetzt wieder auf ihrer eigenthümlichen Bahn auf Jahre verschwinden werden.

Sei es drum, diese Versammlungen deutscher Künstler werden sich wiederholen und uns wieder mit diesem und jenem, in dessen Nähe wir sonst nicht kommen würden, zusammenführen. Haben wir doch hier unter dem schattigen Laubdach sitzend, aus Einem Kruge zusammengetrunken, haben uns von vergangenen Tagen erzählt, nach diesem und jenem gefragt, vielleicht auch nach dieser und jener, haben uns gefreut, wenn wir erfuhren, daß es denen, an welchen unser Herz immer noch ein bischen hängt, wohl und glücklich geht, oder haben nachdenklich die Achseln gezuckt, bei einem: gestorben und verdorben. – Fahre hin!– Und auch du für heute. Dort sehe ich andere lustige Gesichter, die mich schon von weitem mit hoch erhobenen Händen freundlich grüßten. – Auch du hier? – Versteht sich, wie du siehst. – Und dieser und jener? – Auch; den findest du dort vorn an der Rednerbühne. – Ein Arm schiebt sich in den unsrigen und wir ziehen nach dem schönsten Platz der Rottmannshöhe, wo am Abhange, am Rande der dichten Baumkronen, da wo auch des großen Landschafters Denkmal steht, die Rednerbühne errichtet ist. Eine Rednerbühne darf natürlicher Weise nicht fehlen bei einer Versammlung deutscher Künstler. Hier hatte sie sich einen wunderbaren Platz ausgesucht. Im Rücken geschützt durch den dichten Wald, vor sich tief hinab einen grünen Vordergrund, der sich in Wiesen und Feldern verlief bis zu dem grünlich schimmernden herrlichen See, hinter welchem sich die Alpen wieder hoch und stolz erhoben, in immer neuer ergreifender und überwältigender Pracht und Herrlichkeit. Es war das ein Platz, von dem aus man hätte der weiten Landschaft predigen können, die sich in so malerischer Schönheit wie aufmerksam und aufhorchend umher gruppirte.

Wenn es zwischen den dichten Bäumen an den langen Tafeln, auf dem Tanzplatze lustig herging und sich dort überall ein frisches Treiben kundgab, so war der Abhang vor und neben der Rednerbühne nicht weniger malerisch belebt. Dort lagerten Männer, Frauen und Mädchen in größern und kleinern Gruppen und Gesellschaften, hier wurde ebenfalls geplaudert und gelacht, hier erklangen wie im schattigen Dunkel des Waldes Lieder und Toaste; hier hatten sich Bekannte und Freunde zusammengethan, und jeder Kreis, mochte er auch aus den verschiedenartigsten Elementen bestehen, war heute wie eine einzige Familie und hieß jeden willkommen, der sich mit offener Stirn und fröhlichem Gesichte näherte.

Da lagerte eine Gruppe süddeutscher Künstler, einige Schwaben, ein paar Schweizer, und die letzteren, die doch sonst neben der Schönheit ihres Vaterlandes nicht gern etwas Anderes der Art aufkommen lassen wollen, gestanden uns zu wiederholten Malen mit leuchtenden Blicken, daß sie ergriffen seien von der Schönheit des Starenberger Sees, besonders am heutigen Tage. – Ja, der heutige Tag zeigte auch alles in der wunderbarsten Vergoldung, war doch Sonne genug da und heitere Laune überflüssig, wurde doch jeder herzlich empfangen, auch ohne daß ihn jemand vorstellte und einführte, nur wenn er selbst Lust hatte, sich den heiteren Kreisen zu nähern. War doch einer der Schwaben mit dem fremden Maler, den keiner kannte, Arm in Arm daher gekommen und hatte lächelnd erzählt, wie er ihn allein auf einem Baumstamme sitzend gefunden weit jenseits des Tanzplatzes und der Wirthschaftsbuden, und wie er, der lustige Schwabe nämlich, jenem mit vollem Recht bemerkte, er begreife nicht, wie man sich an einem solchen Tage in sich selbst zurückziehen könne. Nun brachte er ihn mit, und die Genossen empfingen ihn freundlich.

»Das ist mein Bekannter, der Tannhäuser,« stellte ihn der Schwabe vor; »ich muß ihn früher irgendwo einmal gesehen haben, wo? weiß ich nimmer recht; das thut aber auch gar nichts zur Sache. Er wohnt drunten in Leoni und hat heute schon für uns alle gearbeitet. Ich sage euch: eine wunderbare Ansicht vom See mit den Schiffen. Laß sehen, Tannhäuser.«

Und darauf gab der Tannhäuser nicht ungern, wohl aber ängstlich, sein Zeichenheft her. Als die Andern die Ansicht vom See sahen, die er gezeichnet mit der duftigen Fernsicht und dem bunten Gewimmel der Schiffe auf dem Wasser, da nickte der Erste, der hineingeblickt, schweigend mit dem Kopfe und nahm darauf sein Maßkrügel, um dem Kunstgenossen zuzutrinken.

Dieser saß zuerst da still in sich versunken, wie von einem tiefen Traume befangen. Er schaute mit so eigenthümlichen Blicken auf die lachenden und plaudernden Gruppen der schönen Frauen rings umher, er fand es so seltsam und doch wieder so hübsch, daß alle, auch die, welche einander völlig fremd waren, ein allgemeines Band der Freude umschloß, daß man einem Unbekannten, dessen strahlende Blicke den unsrigen begegneten, freundlich zuwinkte, daß man sich erlaubte, einem frischen, reizenden Mädchen, die dort saß, das volle Haar mit grünen Blättern bekränzt, grüßend zuzunicken, und daß ein solcher Gruß bestens erwidert wurde. Das ganze Leben und Treiben rings um ihn her kam ihm so neu und doch wieder so bekannt vor; es klang in ihm wieder wie eine liebe, bekannte, längst vergessene Melodie, die wir uns aus einzelnen Klängen wieder zusammensetzen und die dann endlich wieder so wohlthuend unser Inneres durchrauscht. Dabei wagte er es nicht, an die vergangene Zeit zurückzudenken; die lag hinter ihm wie ein wüster, unerquicklicher Traum. Er ruhte wirklich am Abhange eines Berges mit wunderbarer Aussicht und blickte träumend auf Thal, Wasser und Berg, die jetzt so unaussprechlich schön vom goldenen Strahl der sinkenden Sonne beglänzt wurden, und wagte dabei nicht rückwärts zu schauen in dichte, dunstige Wolkenmassen, die eine Vergangenheit umschleierten, die hinter ihm trüb zusammengeballt von zuckenden Blitzen zerrissen sich gespenstig drohend aufbäumten und ihn mit dumpfem Grollen und Murren vorwärts zu treiben schienen, nach Süden hin, wo sein Himmel noch klar und rein war.

Aber die Wolkenmassen, die er in seiner Phantasie sah, zogen auch in Wirklichkeit hinter den Waldeshöhen auf und standen am späten Nachmittage dieses unvergeßlich schönen Tages als Gewitter hinter dem Peißenberg, so dem Feste ein frühzeitigeres Ende machend, als vielleicht sonst der Fall gewesen wäre.

Die Schweizer, bei denen sich Tannhäuser niedergelassen, und die den stillen, bescheidenen Kunstgenossen bald lieb gewonnen, wollten nicht mit der Künstlerschaar nach München zurückkehren; sie hatten unter sich eine Fußtour verabredet, von der sie sich viel Schönes versprachen. Der Tannhäuser gab seinen Wunsch zu erkennen, sich ihnen anschließen zu dürfen, und als sie ihm durch einen herzlichen Handschlag kund gaben, daß sie seine Begleitung bis zum Fuße der großen Alpen, welche Italien von der Schweiz scheiden, und wo sie daheim waren, gern annahmen, da zuckte es freudig durch sein Inneres.

Darauf zogen die munteren Schaaren, die droben getagt in Scherz und Ernst auf der Rottmannshöhe, mit Sang und Klang wieder hinab nach dem Ufer des Sees; bald hatten sich die Schiffe wieder gefüllt und mit einbrechender Dunkelheit schwamm die bunte Flotte wieder auf den jetzt tiefblauen Wellen. Der Himmel hatte sich dort drüben immer finsterer bezogen und so das Tageslicht früher und gewaltsam verdrängt. Aber anderes Licht, anderer Glanz war nun an dessen Stelle getreten. Zwischen den Blumen und Blüthen des Takelwerks erglühten an den Schiffen buntfarbige Lampen, Ballons entzündeten sich, Fackeln loderten auf; auf den Uferhöhen leuchteten Feuer, einzelne Landhäuser strahlten in bengalischem Lichte und am Himmel stritten das tiefdunkel verglühende Abendroth, das Wetterleuchten des immer näher ziehenden Gewitters und der die Wolken durchbrechende volle Schein des Mondes um die Herrschaft des Lichtes in der einbrechenden Nacht. Wieder zogen die Klänge der Musik, die Lieder der Sänger über das Wasser hin; aber nicht mehr so ruhig, wie am Morgen trugen die Wellen die Schiffe; in immer lebendigerem Tanze schaukelten sie auf dem Wasser. Der See fühlte schon den Kampf der Nacht. – Ueber den See schwamm ein kleines Boot unter kräftigem Ruderschlage. Es saßen vier Künstler darin, die in Leoni von Freunden und Bekannten Abschied genommen; drei von ihnen blickten rückwärts auf den immer dunkler werdenden See und auf das prachtvolle Schauspiel der dorthin ziehenden Künstlerflotte. Wie vielfarbige Sterne nahmen sich die bunten feurigen Ballons an dem Mast- und Takelwerk aus; und dazwischen erschienen die Pechpfannech anderer Schiffe wie dunkelglühende Meteore. Wunderbarschön war bei diesen der grelle Widerschein auf dem Wasser, und überraschend die Wirkung, wenn aus den Pechkränzen beim Schwanken der Schiffe lodernde Feuerklumpen in das aufspritzende Wasser fielen. Gedämpft, aber doch noch deutlich trug der Wind die Klänge der rauschenden Musik herüber, und die drei Künstler sangen die Worte dazu.

Der vierte der jungen Leute saß an der Spitze des Bootes und blickte an den Himmel hinauf, der vor ihnen noch lichte Stellen zeigte, welche aber die heranziehenden Wolkenmassen schon mit ihren Nebelarmen zu umziehen drohten. Es war dort ein Hin- und Herwogen, ein bald Klarer-, bald Dunklerwerden, ein Aufblitzen einzelner Sterne, die sich auf diese Art bald zeigten, bald wieder verschwanden. Nur einer dieser leuchtenden Himmelskörper blieb in hellerem, bläulichem Glanze, in ungetrübter Klarheit noch eine Zeit lang dort hinten über dem Horizonte stehen, und ihn kannte der Tannhäuser nur zu gut und verhüllte schmerzlich berührt sein Haupt, um diesen Stern nicht mehr zu sehen, – die hellleuchtende Venus.


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