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Das Leben, welches der Tannhäuser von Anfang an geführt, hatte ihn früher gelangweilt, als er es sich gedacht. Er wußte nicht, woher es eigentlich kam, daß ihm seine elegante Wohnung keine Freude mehr machte, daß es ihm für nichts galt, einen Wunsch, den er kaum geäußert, gleich schon erfüllt zu sehen. Lebhafter als je dachte er an seine frühere Wohnung zurück, – an die Veranda und das wunderbare Licht unter derselben mochte er nicht denken; das schnitt ihm jedesmal ins Herz, und er bemühte sich, eines solchen Gedankens los zu werden. Und doch überfielen sie ihn plötzlich, dergleichen Gedanken, und es dauerte alsdann eine Zeitlang, bis er sich ihrer vollständig erwehren konnte, und wenn er darauf zusammengesunken, finster in einer Sophaecke saß und sie nun leise näher tretend ihm die Hand sanft von der Stirne entfernte, ihn fragend, was ihm fehle, womit er seinen Geist beschäftige? so mochte und konnte er nicht die richtige Antwort geben, und wenn sie gar zu sehr in ihn drang, zeigte er trübe lächelnd durch das Fenster nach Süden auf die fernen blauen Berge und sagte: »Ich möchte wissen, was dahinter liegt.«
Es war aber nichts leichter als das zu erforschen. Hatte doch die Fürstin ihrem unruhigen Temperamente nach schon viel zu lange ohne Abwechslung an einem und demselben Orte gewohnt, drängte es sie doch auch wieder in die Welt hinaus. Wenn es also kein anderer Grund war, der zuweilen seine Stirn furchte und ihn finster blicken und träumen ließ, so konnten seine Wünsche mit Leichtigkeit erfüllt werden. – Oft hatte sie in ihrem Innern gezittert, wenn sie sein Auge umflort sah, seine zusammengepreßten Lippen bemerkte, wenn sie dachte, der Tannhäuser könne nach völliger Freiheit verlangen, ihm werde es zu schwül in ihrem Palaste, er sehne sich vielleicht nach frischem Grün und Waldeinsamkeit, nach Kräuterduft und Wellengeriesel – er sehne sich vielleicht anderswohin. Das hätte sie nicht ertragen können – jetzt noch nicht.
Da fuhren an einem schönen Morgen die Reisewagen vor, das Haus wurde geschlossen und blieb zurück unter der Obhut eines einzigen Dieners. Die Leute auf der Straße blickten der vierspännigen Equipage nach, die mit blasendem Postillon dahinrollte zu einer Eisenbahnstation wenige Stunden von der Stadt. Tannhäuser, der in der Ecke saß, mochte sich keinem Blick aussetzen und drückte sich tief in die Kissen. Auch als sie die Straßen hinter sich hatten, hielt er den Kopf noch träumend in die Hand gelegt.
Vergebens sagte ihm die Fürstin: »Da sind die kleinen Häuser, wo dein Atelier war. Wie erinnere ich mich noch des Tages, als ich zum erstenmal draußen war!«
»Auch mir ist es unvergeßlich,« sagte der Tannhäuser mit leiser Stimme, ohne aufzublicken.
»Ja, ja, es war ein eigenthümliches Zusammentreffen,« fuhr sie kopfschüttelnd fort, »ich ließ mich ohne Weiteres von Portinsky hinführen. Ich wollte Bilder sehen, vielleicht etwas kaufen.«
»Aber der Graf kam nicht ohne Nebengedanken,« sagte finster der junge Mann.
»Möglich, obgleich er es immer geläugnet. – Apropos, ich erhielt gestern Briefe von ihm.«
Der Tannhäuser fuhr rasch in die Höhe und schaute dann erwartungsvoll auf die Fürstin. »Und wo ist Portinsky?« fragte er rasch.
»In – in Florenz,« antwortete die Fürstin zögernd; »es geht ihm gut.«
»Und er sucht wohl immer noch?« sagte der Maler mit einem bittern Lächeln.
»Ich glaube, daß du ihm Unrecht thust; er wird das lange vergessen haben.«
Tannhäuser blickte zum Wagenschlage hinaus, nicht rückwärts, wo er noch zwischen dem Grün hervorschimmernd die kleinen weißen Häuser hätte sehen können, sondern vor sich hin auf die Straße, auf der die vier Pferde lustig trabten. »Man vergißt das nicht,« murmelte er unhörbar, »nie, nie, nie!«
So rollte der Wagen dahin einige Stunden lang, dann wurde er auf die Eisenbahn gesetzt und schien sich selbst zu wundern, wie geschwind er nun auf einmal fort komme, ohne seine eigenen Räder gebrauchen zu müssen. Er nickte ordentlich vor Vergnügen hin und her und schien das alles lange nicht begreifen zu können. War er doch auch in früheren Zeiten wahrhaftig nicht langsam vom Platz gekommen; aber er erinnerte sich wohl, wenn er vor sich einen Kirchthurm sah, daß es immer eine ziemliche Zeit dauerte, ehe er diesen glücklich hinter sich gebracht hatte. Und nun – es ging wahrhaftig wie durch Zauberei. Jetzt schritten die entfernten Berge rascher vorüber, als früher die Kirchthürme an der Straße. Diese aber, sowie die Häuser und die Bäume und die Brücken und die Nebenwege, das flog und sauste alles nur so vorbei, daß man hätte glauben können, die ganze Welt werde von einem tollen Wirbelwind umhergedreht. – Sonderbar! Den Reisewagen schien es ordentlich wohl zu sein, als sie den andern Tag wieder auf ihren vier Rädern laufen konnten. Zuerst früh Morgens, als noch der Duft in den Thälern lag und sich erst an den höchsten Spitzen der Berge rechts und links von der Straße eine kleine sonnige Vergoldung zeigte, ging es eben fort oder doch nur sanft ansteigend. Nach ein paar Stunden aber ward es steiler und immer steiler, der Wagen schwankte leicht dahin, er hatte rechts eine hohe Felswand, links einen tiefen Abgrund, in dem man hie und da ein grünes, lustiges Bergwasser glitzern sah und es immerwährend rauschen hörte. Der Postillon ging neben dem Wagen her, er band eine neue Schnur an die Spitze seiner Peitsche und dann versuchte er dieselbe mit einem so lauten Klatschen, daß es in den Bergen wiederhallte. Hierauf brach er ein Blatt am Wege ab, steckte den Stiel desselben in den Mund und trieb dann seine Pferde auf's neue an.
Diese stiegen aufwärts, immer aufwärts; die Sonne senkte sich langsam an der steilen Felswand hinab, und wo die Schlucht sehr breit war, bestrahlte sie schon da und dort freundlich ein Stück des Weges. Um so größer war dann aber auch der Contrast, wenn der Wagen nun plötzlich in einen der kühlen, finsteren Felstunnels einfuhr, wo die Hufe der Pferde, das Knirschen der Räder so eigenthümlich hohl klang, wo man so deutlich die kalte Luft spürte, wo an den feuchten Wänden das Wasser herunter sickerte. Darauf freute man sich doppelt am wiedergewonnenen Sonnenschein. Und so ging es fort, Stunde um Stunde.
Der Tannhäuser war ausgestiegen und schritt hinter dem Wagen drein, anfänglich allein; die Fürstin liebte es nicht zu Fuß zu gehen, sie ruhte bequem in ihrer Wagenecke, entweder träumend oder in einem der vielen Bücher lesend, die sie bei sich hatte. Nicht lange war aber der junge Maler ganz allein; bald begleiteten ihn Gedanken, angenehme und traurige. Die letzteren waren vorherrschend; das Bild seines kleinen Freundes, des Thiermalers, war seit lange nicht so lebendig vor seine Seele getreten, wie am heutigen Morgen. Kam es ihm doch gerade vor, als seien Beide heut Morgen aus einem und demselben Wirthshause gegangen, gemeinschaftlich eine Reise machend, und als sei Wulf höchstens eine halbe Stunde voraus und er werde ihn da vorne bei einer Biegung des Weges schon wieder finden, oder dort auf einem seltsam gezackten Felsstück sitzend, wo er vor Vergnügen mit den Beinen zappele und einmal über das andere hinausschreie: »famos! famos! famos!« Und wenn ihn diese Phantasieen auch anfänglich etwas trübe stimmten, so gab er ihnen nicht nur gerne nach, sondern sie bemächtigten sich seiner Seele mit solcher Lebhaftigkeit, daß sie ihn fast der Gegenwart entrückten, ihn wenigstens so umwoben, daß er sich zuweilen eines zufriedenen Lächelns nicht erwehren konnte.
Ja, es war ein lang genährter Traum seiner Jugend, so träumte er, der nun in Erfüllung ging. Da stieg er mit seinem Freunde rüstig aufwärts und ihre Seelen jubelten im Entzücken über die allgewaltige wunderbar schöne Natur. Und nicht nur jauchzten ihre Herzen beim Erblicken der riesenhaften Formationen um sie her, nein, auch bei den tausenderlei kleinen Genrebildern, die sich ihrem Auge darboten. Ein Stein, der eigenthümlich mit frischem Moos bewachsen war, eine Blume, die von oben herabnickte und freundlich zu grüßen schien, das dunkle Grün der Tannenwälder, die mit ihren fast schwarzen Spitzen so scharf in den tiefblauen Himmel hineinragten, – ein Raubvogel, der eine Zeit lang wie unbeweglich mit ausgebreiteten Flügeln über der Schlucht schwebte, – die goldenen Sonnenstreifen, die dort so ruhig die steilen Felsen bedeckten, ernst und still, so lange sie auf der Felswand hafteten, beweglich spielend, wenn sie tiefer das Laubdach vergoldeten, unten wie geschwätzig murmelnd, wenn sie mit dem grünen klaren Wasser vermischt dies zu einer Smaragdmasse verwandelten. – Aufwärts! aufwärts! – Dem würzigen Tannengeruche entgegen, dorthin, wo man so hallend den Schlag der Holzaxt vernahm, und dann immer höher hinauf bis zu den Bergen mit den weißen Schneestreifen.
Auch Gespräche hielt der Tannhäuser mit seinem abwesenden Freunde. Viel sagten sie einander über ihre Erwartungen, das Endziel ihrer Reise betreffend – Rom. Sie konnten ordentlich schwärmen, wenn sie am Abend müde angekommen, den andern Morgen ihre Wanderungen durch die heilige Stadt beginnen wollten, zuerst nach der Peterskirche, vorher aber noch, und zwar vor allen Dingen, den Meister Pisani aufsuchen; dann in den Vatikan, aber mit Franceska. Ja mit ihr, mit ihr! –
Unter diesen Gedanken war der Tannhäuser mit raschen Schritten dem Reisewagen vorausgekommen und sah an der nächsten Biegung des Weges den Fourgon der Fürstin. Auch diesen hatte er bald überholt und bemerkte dann eine Strecke davon Elise auf einem Stein am Wege sitzend, augenscheinlich versunken im Anschauen der prachtvollen Natur. Sie hatte ihren leichten Strohhut am Arme hängen, ihr schwarzes Haar einfach um den Kopf gewunden und die weiße Stirne darunter war etwas geröthet, sowie auch ihre Wangen vom längeren Gehen und von der Erregung, welche diese kolossale Natur, die sie zum erstenmal sah, auf ihr empfängliches Gemüth hervorbrachte. Dazu blitzten ihre Augen heiter und vergnügt, und der Ausdruck der Ueberraschung in denselben war hier so vollkommen gerechtfertigt, daß er den Beschauer noch angenehmer berührte als sonst wohl.
»Nicht wahr, das ist prachtvoll?« sagte der junge Maler, indem er einen Augenblick bei dem Mädchen stehen blieb.
»O so schön, so schön,« gab sie mit Wärme zur Antwort, wobei sie unwillkürlich ihre Hände faltete und mit einem vollen Blicke gen Himmel sah.
Hatte er gesagt, sie solle mitgehen, oder hatte er es nur gedacht und sie vielleicht diese Gedanken in einem Blicke verstanden? – Genug, sie erhob sich und schritt an seiner Seite weiter.
Zwischen diesen beiden jungen Leuten bestand ein eigenes, unausgesprochenes, niemals berührtes und so begreifliches Verständniß. In der ersten Zeit hatte Elise den jungen Maler, so oft sie ihm anderswo als in dem Atelier begegnete, mit einer ängstlichen Scheu vermieden, ihn nie angeblickt, seine Fragen kaum soviel beantwortet, als es gerade die Höflichkeit verlangte. Als er sich aber immer so völlig gleich gegen sie benahm, so ruhig, so taktvoll und verständig, da faßte sie Vertrauen zu ihm, und dies Vertrauen steigerte sich nach und nach zu einem freundschaftlichen Gefühl, ihrerseits auch noch vielleicht zu etwas mehr. So wenigstens hätte man wohl die Blicke verstehen können, die sie zuweilen aus ihrem dunklen Auge auf ihm ruhen ließ, wenn er auf sein Bild niedersah. Er hatte freilich nie einen solchen seltsamen vielsagenden Blick erhascht, wäre auch vor Scham vergangen, wenn er sie ein einzigesmal ertappt hätte; er kannte nur den Ausdruck der Heiterkeit und jener so liebenswürdigen Ueberraschung, mit der sie die ganze Welt zu betrachten schien, mit der ihr alles, selbst das schon oft Dagewesene, immer wieder neu und interessant vorkam. Dieser Ausdruck aber kam hervor aus ihrer heitern, fröhlichen Seele; sie war von einer armen, aber anständigen Familie, ihre Eltern beide todt, und ihr Vormund hatte sie um so lieber im Hause der Fürstin untergebracht, da diese versprochen, auf alle Fälle für ihre Zukunft zu sorgen.
Jetzt schritten die beiden jungen Leute mit einander dahin; sie hatte einen Strauß Feldblumen in der Hand, und da sie ihm unbefangen davon anbot, so nahm er einige Blüthen, die er auf seinen Hut steckte. Das Mädchen sprach mit leuchtenden Blicken von all dem Schönen, was sie heute Morgen gesehen, und zeigte dabei ihr warmes Gefühl, so treffende Vergleiche, ein so richtiges Urtheil, daß ihr der Maler mit großem Interesse zuhörte. Hatte sie doch so manches beobachtet, was ihm entgangen; erzählte sie ihm doch von förmlichen Bildern, welche sie sich vorgestellt, ja verschönerte diese Ansichten mit ihrer lebhaften Phantasie. Der Tannhäuser träumte mehr als je, daß dort um die Ecke jenes Felsens, hinter welchem sich der Weg seinen Blicken verbarg, Wulf sitzen müsse, neben ihm Vater Pisani – sie konnten ja ganz gut die Reise gemeinschaftlich mit einander machen – und während die Beiden vorausgegangen waren, kam er mit – Franceska langsamer nach.
Aus all' diesen Träumereien weckte ihn das Klirren und Rasseln des Reisewagens der Fürstin, der jetzt, da der Weg ebener ging, schneller fuhr und bald dicht hinter ihm war. Sie blickte heraus und ersuchte ihn lächelnd einzusteigen. Elise eilte mit flüchtigen Schritten nach dem Fourgon, von woher ihr der alte Kammerdiener winkte.
»Jetzt wirst du müde sein, Richard?« sagte die Fürstin, als der junge Maler an ihrer Seite Platz genommen.
»Es war schön draußen,« gab er zur Antwort; »das Gehen durch diese herrlichen Berge hat etwas Erfrischendes, und auf mein Alleinsein eine Abwechslung zu haben, plauderte ich mit Elisen. Sie hat so gesunde und richtige Ansichten.«
»Es ist das überhaupt ein liebes und gutes Mädchen,« versetzte die Fürstin. »Wenn sie sich einmal verheirathet, wird sie ihren Mann glücklich machen. – Findest du nicht,« sagte sie nach einer Pause, »daß sie im Wuchs mit mir einige Aehnlichkeit hat?«
»O ja, nur ist sie schlanker.«
»Mädchenhafter; aber trotzdem sind die Formen ihres Körpers wie die meinigen. Ich machte mir neulich einmal den Spaß, sie aus- und anzuziehen, das heißt anzuziehen mit Kleidern von mir; ich versichere dich, es war eigenthümlich, wie genau ihr alles paßte. – Darnach werde ich dir eitel vorkommen, wenn ich finde, daß sie sehr schön gewachsen ist.«
»Untadelhaft,« erwiderte der junge Maler, während er an sein Bild dachte.
Das Felsthal hatte sich erweitert, die Sonne schien kräftig auf den Weg und ihre Strahlen, heute Morgen warm, wurden jetzt heiß und drückend.
»Das geht jetzt noch ein paar Stunden so aufwärts bis Splügen,« sagte die Fürstin, »aber den schönsten Theil des Weges haben wir hinter uns; wir wollen die Wagenfenster herunterlassen und die Vorhänge herabziehen, wenn es dir angenehm ist. Vielleicht willst du ein wenig schlafen.«
Tannhäuser schüttelte lächelnd mit dem Kopfe; er wollte nicht schlafen, nur ausruhen, und dabei etwas lebhafter, wärmer fortträumen. – Und das that er auch, aber er preßte dabei seine Lippen zuweilen fest auf einander, denn es gab erregte Augenblicke, wo er fürchten mußte, ihm entschlüpfe unwillkürlich stammelnd der Name Franceska oder der Name Elise.
Wie man so vieles erreicht, wenn man unaufhaltsam, beharrlich fortstrebt, so hielten die Wagen auch endlich vor dem Posthause in Splügen, wo neue Pferde vorgespannt wurden und die alten sich schüttelnd und mit gesenkten Köpfen entfernten. Dann ging es eine kurze Strecke abwärts und hierauf im Zickzack auf die Höhe, bei Nadelholz vorbei, dessen Stämme, je höher man stieg, immer niedriger wurden, sich auch immer vereinzelter zeigten und endlich ganz aufhörten. Dafür sah man wilde, oft malerisch geformte Felsmassen, leicht verziert mit Schneestreifen, die in ihrer frischen Weiße um so mehr hervortraten, da sich Gestein und Erde hier oben so dunkelfarbig zeigte.
Wie es manchem geht, so hatte auch der Tannhäuser geglaubt, er müsse von der Höhe der Alpen auf einmal hinabschauen in die schönen Gefilde Italiens, er müsse da vor sich die weite lombardische Ebene sehen, in ihr den Po als silberglänzenden Faden, das Ganze in Duft verschwimmend, dem man es schon von weitem ansah, daß er mit Orangendüften geschwängert sei. Es ist indessen andern ehrlichen Leuten hierin auch nicht besser gegangen als dem jungen Maler, und wenn sie oben ankamen, wo die Pferde vor dem Wagen nach manchen Stunden wieder anfingen, lustig abwärts zu traben, so haben sie sich auch wohl neugierig in ihrem Wagen emporgerichtet, um nichts zu sehen als ein hübsches Stück Chaos: wilde Felsmassen, schneebedeckte Bergzacken, rechts und links emporstrebend, sausender, kalter Wind, und rings umher eine unbeschreibliche melancholische Einsamkeit. Nach und nach wird es freilich besser, aber sehr nach und nach; da ist kein schroffer Uebergang, da folgt alles ganz natürlich auf einander. Die Nadelhölzer lassen sich ablösen von einzelnen Buchen und Eichen, ihnen folgen Kastanien, und da mittlerweile die Häuser, deren Dächer wir oben mit dicken Felssteinen beschwert fanden, freundlicher, heiterer erscheinen – sie sind nicht mehr dunkelbraun, sondern mit weißer Farbe angestrichen – so finden wir es auch jetzt begreiflich, daß sich Rebengewinde einstellen, die kunstlos gearbeitete Veranden überspinnen und an Mauer und Baum emporranken.
Es dämmerte schon, als man Chiavenna erreichte, und die Lichter, welche unter den verschiedenen Veranda's hervorleuchteten und um welche vergnügt plaudernde und lachende Menschen saßen, thaten dem Tannhäuser weh. Er schloß die Augen und lehnte sich in die Ecke des Wagens zurück. Auch er empfand, durch die engen Straßen fahrend, den eigenthümlichen Geruch des italienischen Lebens, von dem mir früher schon sprachen, aber er war ihm unangenehm; er fand durchaus keine angenehme Erinnerung, mit der er ihn in Verbindung bringen konnte, er widerte ihn an, denn als er ihn zum erstenmal empfunden, fühlte sich der Tannhäuser schmerzlich berührt, und zwar durch die Lichter, welche an allen Orten so neckend zwischen dem Rebenlaub hervorblickten.
Dieser erste Gedanke, den er in Italien erhalten, verwischte sich auch nicht mehr; er fühlte sich unbehaglich, er sah alles wie im Traume; er staunte wohl beim Anblick der üppigen Gegend, der schönen Ansichten des herrlichen Comersees, beim Durchfahren der reichen Städte mit ihren zahlreichen Kirchen und prachtvollen Gebäuden. Aber es heimelte ihn alles das nicht an; er betrachtete das Sehen all' des Schönen, was sich ihm darbot, wie eine lästige Arbeit, ihm war nur wohl, wenn er allein in seinem Zimmer saß, und er fühlte sich nur recht behaglich, wenn dieses Zimmer keine Aussicht hatte, wenn gegenüberliegende hohe Mauern seine Gedanken recht zusammenhielten.
Ein an sich nicht gerade bedeutender Vorfall in Mailand entleidete ihm die Hauptstadt der Lombardei und gab ihm zu denken. Er war mit der Fürstin im Dome gewesen; er führte sie am Arm und wollte gerade die Kathedrale verlassen, als sie unter der Ausgangsthür mit zwei Herren zusammentrafen, die beim Anblick der Fürstin einen Ausruf freudiger Ueberraschung hören ließen, stehen blieben und sie auf russisch anredeten. Der junge Mann ließ den Arm der Dame los und trat diskret einen Schritt zurück. Es mußten genaue Bekannte von ihr sein, welche sie hier so unvermuthet getroffen; denn nach den ersten Begrüßungen entspann sich augenblicklich ein sehr animirtes Gespräch, welches freilich nicht viele Minuten dauerte, aber damit endete, daß der ältere Herr der Fürstin die Hand reichte, der jüngere aber sich tief verneigte. Darauf hatte die Dame den Kopf etwas nach ihrem Begleiter zurückgewandt und eine Frage an die Herren gestellt, worauf der Jüngere etwas lächelnd erwiderte, der Aeltere aber mit einem eigenthümlichen Gesichtsausdruck den Kopf schüttelte.
Das sah der Tannhäuser deutlich mit seinem scharfen Auge, um so mehr als er im Dunkeln stand und nach dem Lichte hinblickte, in dem sich die Drei befanden. Offen und ehrlich, wie sein Gemüth war, hatte er früher keinen Argwohn gekannt, jetzt hatte er ihn kennen gelernt; jetzt stellte er sich Mienen und Blicke zusammen und las daraus. Die Fürstin hatte ihren Reisebegleiter den beiden Herren vorstellen wollen, sie hatten für die Ehre gedankt. – Er knirschte mit den Zähnen. Jetzt traten die Fremden in das Kirchenschiff, sie mußten dicht an ihm vorüber. Das thaten sie auch, aber sie blickten wie absichtlich nach den Glasmalereien und nach der Decke empor. Er, der die Dame geführt, mit welcher die Beiden vorhin so freundlich gesprochen, er schien gar nicht zu existiren.
Wie erwünscht war es ihm, daß die Fürstin vor dem Dom in ihren Wagen stieg, um einen Besuch zu machen, daß er sich verabschieden konnte, um Stunden lang durch die Straßen zu irren, in finstere Gedanken versunken, unglücklich, beladen mit Leid und Reue! In seinem Dahinbrüten zeigte sich am finster bezogenen Himmel seines Lebens nur eine einzige lichte Stelle, und das war der Gedanke, seine Freiheit wieder zu erringen. – Morgen, übermorgen, tönte es wieder in ihm lebhafter als je. Und er malte es sich aus, wie es so schön sei, wenn er an einem Morgen allein in die Welt hinaus gehen würde, nichts bei sich tragend als ein Heft weißes Papier, aber in Kopf und Herz die schaffende Kraft, um auf jenem weißen Papier kostbare, gesuchte Zeichnungen zu machen. Aber dieser Gedanke, sein so oft wiederholtes: Wenn ich will! war die Klippe, an der seine guten Vorsätze zerschellten; er fühlte sich wie ein Gefangener, in dessen Kraft es liegt, spielend die Riegel seines Gefängnisses zu öffnen, und der im Träumen von der goldenen Freiheit die Zeit vorbeigehen läßt, wo er frei werden kann.
Heute aber war der Tannhäuser mehr als je entschlossen, sein Leben zu ändern. Immer und immer wieder klang es ihm:
»Wir haben zu viel gescherzt und gelacht,
Ich sehne mich nach Thränen;
Und statt mit Rosen möcht' ich mein Haupt
Mit spitzigen Dornen krönen!«
Als er in seinen Gasthof zurückkehrte, war die Fürstin noch nicht da. Es war ein heißer Tag, er fühlte sich aufgeregt und ermattet. Die Läden der Fenster waren zugezogen, er ging durch die halbdunkeln Zimmer des Appartements, welches sie bewohnten, und ehe er in seinen Salon kam, durchschritt er ein Garderobezimmer, wo er in einem Fauteuil Elise schlafend fand. Er wollte leise vorübergehen, aber die Lage des jungen Mädchens erschien ihm so reizend, daß er unwillkürlich stehen bleiben mußte. Die schönen Formen ihres Körpers waren nur so viel verhüllt, um doch sichtbar zu bleiben, und gerade in dieser halben Verhüllung so unendlich graziös zu erscheinen. Sie hatte ihren Kopf rückwärts gebeugt, den rechten Arm darunter gelegt; ihr Gesicht, von dem jetzt begreiflicher Weise der Zug der Ueberraschung gewichen war, sah aufwärts, und zwischen ihren leicht geöffneten feinen Lippen sah man ordentlich jeden ihrer Athemzüge aus- und einziehen. Er stand, sie still betrachtend, vor ihr, er dachte an die guten, lieben und freundlichen Worte, welche sie schon mit ihm gewechselt, er wünschte, daß sie erwacht wäre, er hätte ihr sein Innerstes geöffnet, es wäre ihm so wohl gewesen, in diesem Augenblicke einem fühlenden Wesen klagen zu können, tröstliche gute Worte zu hören, die aus einem Herzen kamen, von dem er wußte, daß dieses es gut mit ihm meine.
Er kniete geräuschlos vor ihr nieder, er drückte seine Lippen auf eine ihrer Hände, welche in ihrem Schooße lag; sie erwachte nicht, aber ihre Finger zuckten leicht und sie that einen tiefen Athemzug. Er hob sich an ihr empor, ohne sie heftig zu berühren; sein Gesicht näherte sich dem ihrigen, er küßte leicht ihre geschlossenen Augenlider, er ließ seine Lippen ein paar Sekunden lang auf den ihrigen ruhen. Welch eigenthümlichen süßen, fast berauschenden Parfum hatte sie heute, ein Odeur, den er am deutlichsten spürte, wenn er mit seinem Munde nur ganz leicht den ihrigen berührte. Er hatte ihn schon wo empfunden, diesen feinen wollüstigen Geruch, aber er wußte nicht wo; doch betäubte er seine Sinne und regte sein Blut wild und gewaltig auf.
Er hob sich halb empor, er schaute auf die Schlafende nieder, er erblickte sie anders als gewöhnlich; ihm gaukelten all' die Bilder vor, die er nach ihr gemalt; er sah sie ganz so, wie er sie oft gesehen, – unverhüllt; sein Haupt sank auf ihr Gesicht nieder, seine Lippen saugten sich an den ihrigen fest. Da zuckte sie gewaltig zusammen, sie dehnte sich leicht, während sie ihn mit der einen Hand von sich abwehrte. Ihre Augen aber blieben geschlossen, nur einmal öffnete sie dieselben leicht, und da sah er einen fast unheimlichen Blitz aus ihren Augen leuchten; auch sprach sie ein paar Worte, aber unzusammenhängend, im Schlafe. »Laß mich,« sagte sie, »laß mich – erwachen. Aber ich kann nicht – nein, nein ich kann nicht. – O–o–o–h!«
Der Maler schreckte plötzlich empor, er hatte den Ton einer Klingel aus den innern Zimmern der Fürstin vernommen. Dieser Ton riß ihn gewaltsam aus seinem süßen Taumel, er schreckte ihn zur Unzeit empor, aber er war ihm dankbar dafür. Hastig erhob sich der Tannhäuser und blickte das junge Mädchen einen Augenblick kopfschüttelnd an, erstaunt, sie so ruhig und fest fortschlafen zu sehen. Ihr Haupt war noch etwas mehr zurückgesunken, sie hatte die Lippen wieder ein wenig geöffnet und ein freundliches Lächeln spielte um dieselben. Ihr Athem ging wohl tief, aber regelmäßig.
Abermals vernahm man den Ton der Klingel, und der Maler eilte dahin, nicht ohne an der Thür noch einmal stehen zu bleiben und einen innigen Blick auf Elise zu werfen, deren sanftes Lächeln ihn mit Zaubergewalt festzuhalten schien. Er eilte gleich darauf durch die Appartements dahin. War die Fürstin zurückgekommen? Der Ton der Glocke drang aus ihrem Zimmer. Doch nein, sie war nicht dort; sie mußte neben ihrem Schlafzimmer in dem kleinen Badekabinet sein; die Portieren an der Thüre dorthin waren zusammengezogen.
Tief athmend blieb er in der Mitte des Gemaches stehen; auch hier noch wollte er zurücktreten, leise zurückgehen. Doch empfand er hier auf einmal diesen eigentümlichen Parfum wieder, den er vorhin bei Elisen bemerkte, jenen Duft, der ihn so gewaltsam aufgeregt. Er legte die Hand an seine Stirne, tausend Ideen durchkreuzten sein Gehirn, aber er war nicht im Stande, sich etwas klar und ruhig darzustellen; alles, was er dachte, diente nur dazu, ihn noch mehr zu verwirren und aufzuregen. Und es war hier in den Zimmern so ruhig, so dunkel, so seltsam still.
Fast fürchtete er sich vor dieser Stille, ja er war ordentlich froh, als er im nächsten Augenblicke die klangvolle sanfte Stimme der Fürstin vernahm, welche ein paar Töne sang und damit wie schmeichelnd rufend den Namen »Elise« verband. Er trat ein paar Schritte näher, fast wankend, eigenthümlich befangen. Der Ton der Klingel der wieder erschallte, ließ ihn abermals weiter gehen; er konnte mit der Hand die Portieren berühren, und er mußte das wohl gethan haben, denn sie bewegten sich, sie ließen ihn einen Augenblick durchsehen, und diese Bewegung machte auch wohl die Fürstin glauben, als sei das junge Mädchen auf ihren Ruf erschienen.
»Elise!« hörte er die schöne Frau sagen; »du schliefst so fest, was bei der Hitze draußen kein Wunder ist, so daß ich dich nicht wecken mochte und allein badete. Jetzt aber, wo ich nur ausruhen möchte, will auch mich der Schlaf überfallen, wenn du mir nicht irgend etwas erzählst. – Komm herein. Was suchst du noch? Mein persischer Mantel ist schon hier; ich habe ihn über mich gedeckt. Komm nur – o komm nur.«
Sein Nähertreten allein mußte die Portiere bewegt haben, er hatte noch keine Hand daran gelegt und doch wallten sie ein wenig von einander und ließen seinen Blick in das zierliche Kabinet dringen. Da ruhte das jugendliche schöne Weib, wie sie so gern zu thun pflegte, auf ihrem Divan, den Kopf ganz rückwärts gebeugt, die Arme hoch erhoben, so daß zwischen ihren Fingern ein kleines goldenes Kettchen hing, woran ein Medaillon befestigt war, das sie nun gerade vor ihren Augen hatte.
Der Tannhäuser wußte wohl, wessen das Bild in diesem Medaillon war. Sie aber lächelte es an und ließ es zuweilen so tief hinab sinken, daß es auf ihren frischen rothen Lippen ruhte, und wenn sie es alsdann wieder erhob, flüsterte sie wie vorhin: »komm nur – o komm nur!«
Sie lacht so gesund, so glücklich, so toll,
Und mit so weißen Zähnen;
Wenn ich an dieses Lachen denk',
So weine ich plötzliche Thränen.
Ich liebe sie mit Allgewalt,
Nichts kann die Liebe hemmen!
Das ist wie ein wilder Wasserfall,
Du kannst seine Fluten nicht dämmen!
Er springt von Klippe zu Klippe herab
Mit lautem Tosen und Schäumen,
Und bräch' er tausendmal den Hals,
Er wird im Laufe nicht säumen.