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Läßt in Träumen ahnen, daß einer Geschichte, welche der Verfasser in einem früheren Kapitel erzählt, vielleicht etwas Wahres zu Grunde liege, und zeigt die Einrichtung eines ländlichen Theaters.
»In meinen Träumen von heute Nacht,« nahm Eugen das Wort, »fand ich frühere Erfahrungen bestätigt, daß man nämlich gewöhnlich darüber träumt, womit man sich den Abend vorher lebhaft beschäftigt.«
»Aha!« sagte lachend der lustige Rath, »dann kenne ich schon deinen Traum!«
»Dieses Mal hast du falsch gerathen. Ich dachte nämlich während des Einschlafens an den Namen des Wirthshauses, in welchem wir uns befinden.«
»An die wilde Rose!« rief Herr Trommler.
»Natürlich!« lachte Herr Sidel, »an eine wilde Rose; das meinte ich ja vorhin auch.«
»Schweig, Spötter!« sagte Eugen, »zu dir rede ich gar nicht mehr; du bist unfähig zu irgend einer poetischen Auffassung.«
»Nun, die Auffassung war doch nicht unpoetisch!«
»Ich dachte also an den Namen des Wirthshauses,« fuhr Eugen fort, »und dieser Name zur wilden Rose klang mir merkwürdig bekannt. Ich besann mich hin und her; ich dachte an meine Reisen, an all' die Gasthöfe, wo ich schon gewesen, und erinnerte mich so vieler Namen derselben, wie nur immer möglich. Umsonst! Ich konnte mich nicht erinnern, jemals in einem Wirthshause desselben Namens gewesen zu sein. Und doch klang die wilde Rose unter meinen lebhaften Gedanken immerfort hindurch, wie ein bekannter, angenehmer Ton; und darüber schlief ich ein.«
Herr Sidel war bei diesen Worten sichtlich in tiefes Nachdenken versunken; er stützte den Kopf auf die Hand, sah einen Augenblick vor sich nieder, dann aber hörte er aufmerksam zu, was Eugen weiter sagte.
»Darauf träumte mir denn,« fuhr dieser fort, »nach allerlei wirrem, unklarem Zeug von einem Abende, den ich mit dir« – bei diesen Worten wandte er sich an den lustigen Rath – »in einer Gesellschaft verbracht, wo du mich – es ist noch gar nicht lange her – hingeführt.«
»Ah, von der Leimsudia,« rief hier Herr Sidel; »jetzt dämmert mir auch ein Gedanke auf.«
»Ganz richtig, von der Leimsudia,« sagte Eugen. »Aber wie ich im Traume so in die Gesellschaft hinein kam, verlor sich mein Gedanke an den Namen dieses Wirthshauses wieder; ich sah allerlei tolle und wilde Geschichten, dich unter Anderem als das Ideal eines Leimsieders, und erst nach und nach klärten sich meine Träume wieder ab. Da erschien mir Doktor Wellen, unser Arzt, und indem er mir einen Strauß wilder Rosen überreichte, erwachte ich.«
»Seltsam, sehr seltsam!« sagte Herr Sidel. »Jetzt fällt mir auf einmal die ganze Geschichte ein, und du wirst dich ebenso gewiß daran erinnern.«
»Freilich thue ich das,« entgegnete Eugen.
»Doktor Wellen erzählte uns von einem Freiwilligen, den er im italienischen Feldzuge getroffen, und der in der Schlacht von Novara geblieben. Nicht wahr? Dieser hatte ihm eine Begebenheit aus seinem Leben vertraut, deren Schauplatz nahe einem Wirthshause zur wilden Rose war. – Ist's nicht so?«
»Ganz recht!« sagte Eugen; »ich erinnere mich jetzt genau.«
»Und der Doktor Wellen beschrieb die Gegend so außerordentlich umständlich,« versetzte Herr Sidel; »und diese Beschreibung paßt merkwürdig hieher. Ich habe doch nicht gewußt, weßhalb mir das Thal und das Schloß da drüben so gar nicht fremd vorkamen.«
»Mir ging es gerade so,« entgegnete Eugen. »Als wir gestern Abend den Berg hernieder stiegen und nun so plötzlich die unregelmäßigen Gebäude dort oben mit ihren Zinnen und Mauern vor meinem Blicke erschienen, da war es mir, als kenne ich das alles schon, als sei ich hier schon oft gewesen – und gern da gewesen. Das ist in der That sonderbar; es war mir gar nicht so, als käme ich in eine fremde Gegend; nein, es heimelte mich an, als wäre ich hier zu Hause.«
»Das kann ich von mir gerade nicht sagen,« meinte Herr Sidel, »Aber sollte es möglich sein, daß jene Geschichte des Doktors Wellen mit dem Schlosse und dem Thale zusammenhängt, daß hier wirklich der Schauplatz dieser Begebenheit wäre? In dem Falle hielte ich es für höchst seltsam, daß wir gerade hieher gekommen. Siehst du, Eugen, der Zufall!«
»Und ein glücklicher Zufall,« sagte Herr Trommler, indem er die ihm freundlich angebotene zweite Cigarre annahm. »Wie glücklich schätze ich mich, daß auch ich eine kleine Schuld an diesem Zufalle habe!«
»Da ist ja unser würdiger College, der Herr Trommler,« rief der lustige Rath; »der muß Ortskenntnisse genug besitzen, um uns sagen zu können, ob da droben das Schloß zu jener Beschreibung des Doktor Wellen paßt.«
»Vom Schlosse droben weiß ich leider nicht sehr viel; wir haben freilich ein paar Mal oben gespielt, aber dann kamen wir kurz vor der Vorstellung hinauf und gingen gleich nachher wieder herunter. Für mich allein war ich nie droben.«
»Aber Sie werden doch wissen,« fragte Eugen, »ob sich in der Nähe des Schlosses eine kleine Kapelle befindet?«
»Das weiß ich nun gerade nicht,« antwortete der Künstler. »Leider muß ich bekennen, daß ich in der Umgebung des Schlosses nur von einem kleinen Wirthshause weiß; von einer Kapelle habe ich nie etwas gehört.«
»Wir werden uns irren,« sagte Eugen; »es gibt am Ende viele Wirthshäuser zur wilden Rose, die in der Nähe von alten Schlössern liegen.«
»Was die Wirthshäuser zur wilden Rose anbelangt,« sprach Herr Trommler, »so muß ich Ihrer Meinung widersprechen. In dieser Gegend des Landes gibt es nur das einzige dieses Namens; es ist keines mit einem gleichen Schilde auf zehn Stunden in der Runde.«
»Das Beste wäre,« meinte Herr Sidel, »wenn wir die Wirthin ersuchten, uns hierüber Auskunft zu geben. Ist jene Begebenheit hier geschehen, so muß sie am besten darüber Bescheid wissen.«
»Lassen wir das,« sagte Eugen bittend; »thu mir den Gefallen, lieber Freund, und forsche jetzt nicht weiter darüber nach. Nach Tische wollen wir zum Schlosse hinauf und uns da oben selbst überzeugen, ob jene Kapelle vorhanden ist oder nicht. Es ist mir das wie ein interessantes, geheimnißvolles Buch; ich will es gern Seite für Seite durchlesen, möchte aber um Alles in der Welt zu Anfang nicht erfahren, was auf der letzten Seite steht. Ich bitte dich darum; wir wollen nachher langsam hinaufsteigen und uns droben überraschen lassen.«
Herr Trommler war aufgestanden und an den Rand der Terrasse getreten. »Es ist Zeit,« sagte er dann; »im Augenblicke wird's neun Uhr schlagen; wir müssen in den Saal hinauf und den Prinzipal bei Aufschlagung des Theaters unterstützen. Es ist dies allemal eine Art Festtag für uns,« setzte er freundlich schmunzelnd hinzu, »denn wenn das Geschäft beendigt ist, werden wir alle mit einem soliden Mittagessen regalirt.«
»Bravo!« entgegnete Eugen; »zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen! – Komm also, wir wollen sehen, welche Dienste wir beim Aufschlagen des Theaters zu leisten im Stande sind.«
Der große Wirthshaussaal des Gasthofes zur wilden Rose befand sich um die Zeit, als sich unsere Freunde dorthin begaben, in einer höchst malerischen Unordnung. Es war ein ziemlich langes, auch anständig breites und hohes Gemach, hatte auf einer Seite sechs Fenster, an den schmalen Seiten je eine Thüre, und war, was Wände und Decke anbetrifft, einstens weiß angestrichen gewesen. Doch hatte der Dunst der Talgkerzen, sowie der Staub, den die tanzenden Bauern mit ihren schweren Stiefeln aus dem nicht allzu fest gefügten Fußboden herausklopften, dieser ehemals weißen Farbe einen etwas trüben, grauen Ueberzug verliehen. Auch hatte man ihn vor nicht langer Zeit zum Trocknen von Hopfen benutzt, und da man zu diesem Zwecke Fächer anbringen mußte, so hatte man diese durch in die Wand hineingeschlagene Blöcke befestigt, welche noch auf allen Seiten hervorragten, zum guten Aussehen des Saales keineswegs beitrugen, wohl aber dem Direktor beim Aufschlagen des Theaters wesentliche Dienste leisteten.
Das Beste und Brauchbarste an der vorhandenen Einrichtung war der Kronleuchter, den Frau Rosel einstens in dem benachbarten Städtchen gekauft hatte. Er war zur Aufnahme von acht Oellampen berechnet, und wenn diese recht sauber geputzt waren, so spendeten sie Licht genug, um das Auditorium anständig zu erhellen.
Der Saal war durch verschiedenartige Gegenstände, welche man von dem Wagen des Direktors abgeladen und hinauf geschafft hatte, sowie von anderen, welche Frau Rosel geliefert, in zwei ungleiche Hälften getheilt. Die letzteren Gegenstände, welche sich in der kleineren Hälfte des Saales befanden, waren ein paar Dutzend Fässer von verschiedener Größe, und ein Haufe Bretter, zum Podium des Theaters bestimmt.
In der größeren Hälfte des Saales befanden sich Kisten, die mit Garderobe und Requisiten angefüllt waren, und große zusammengerollte Leinwandstücke: Vorhänge und Dekorationen.
Die ganze Gesellschaft war in dem Saale schon versammelt, als Herr Trommler in Begleitung unserer Freunde, der Herren Müller und Wellen, sowie auch des Herrn Hannibal, eintrat. Letzterer hatte sich am Fuße der Treppe eingefunden und machte ein Gesicht wie jemand, der sich wohl bewußt ist, daß es mit ihm anfange zu Ende zu gehen, der aber trotz des angestrengtesten Nachdenkens noch nicht mit sich im Reinen ist, welche Art eines jämmerlichen Todes er zu sterben bestimmt seie.
Herr Wellen und Herr Müller begrüßten die Frau und die Schwägerin des Direktors und wurden hierauf dem Bruder des Letzteren, sowie dem Heldenspieler, Herrn Holder, vorgestellt.
Dieser war ein großer, kräftiger Mann und war gewiß einstens interessant, ja schön gewesen; doch hatten die Jahre und wildes Leben seine Gestalt gebeugt, und das Leiden, von dem der Direktor vorhin der Wirthin erzählt, seinem Gesichte einen unstäten, ja einen unheimlichen Ausdruck verliehen. Spärliches Haar bedeckte seine hohe Stirn; seine Gesichtsfarbe war bleich, den Mund kniff er meistens fest zusammen, und selbst wenn er sprach, öffnete er die Zähne nur so viel, als eben nothwendig war, um einen Ton hindurch zu lassen. Dadurch klang sein Sprechen dumpf und murmelnd, und da der Ton seiner Stimme kräftig und gewaltig war, so tönte dieselbe tief, wie aus dem Grabe hervor, was ihm bei manchen seiner Rollen wohl zu Statten kam, im gewöhnlichen Leben aber für das Ohr des Zuhörers nicht angenehm war.
»Herr Wellen – Herr Müller – Herr Hannibal!« sagte der Direktor. – »Und dies ist Herr Holder,« fuhr er nach einer Pause fort, »mein Heldenspieler.«
»Unseres Thrones feste Säule!« fügte würdig der Herr Trommler bei, indem auch er seinerseits auf Herrn Holder zeigte und ihm zugleich einen guten Morgen bot. Dann zeigte er ebenfalls auf die drei neuen Mitglieder und sagte vertraulich: »Ich kann Sie versichern, lieber Holder, drei liebenswürdige Kollegen!«
»Collegen?« fragte finster der Heldenspieler, indem er die rechte Hand zwischen seinen Rock steckte. »Collegen? Von Ihnen vielleicht, Herr Trommler. Das ist möglich! Ob ich sie auch als solche anerkennen kann, wollen wir nach der ersten Aufführung sehen. – Es fühlt sich mancher berufen,« setzte er mit tiefer, grollender Stimme hinzu, »aber Wenige sind auserwählt.« Damit wandte er sich um und begab sich zwischen die Fässer zurück, die er anfing herum zu rücken und herzustellen.
»Er ist etwas eigen, der gute Holder,« sprach freundlich der Direktor zu seinen drei neuen Mitgliedern; »aber Sie werden sich schon näher kennen lernen; er ist gar nicht so schlimm, wie er sich anläßt.«
Herr Trommler zuckte mit einem Blick auf den so rasch davongegangenen Heldenspieler mitleidig die Achseln und sagte zu Eugen:
»Stolz will ich den Spanier,
Wenn auch der Becher
nicht mehr überschäumt.«
Jetzt klatschte der Direktor dreimal in die Hände und rief: »Allons, meine Herrschaften, fangen wir an!« Zu gleicher Zeit legte er seinen langen Rock ab, um in Hemdärmeln freier und ungenirter arbeiten zu können.
Herr Trommler, der wohl seine guten Gründe hatte, es nicht ebenso zu machen, wie sein Chef, lief zu einer sehr kleinen Kiste – man hätte dieses Behältniß füglich eine Schachtel nennen können – und zog aus derselben seinen grauen Reiserock von gestern hervor; einen besseren, den er heute Morgen anhatte, legte er mit einer außerordentlichen Geschwindigkeit ab und schlüpfte so behende in das alte fadenscheinige Kleidungsstück, daß während dieses Umzuges kein Mensch im Stande war zu bestimmen, von welcher Farbe die Hemdärmel dieses würdigen Künstlers eigentlich gewesen. Ueberhaupt schien er den Vorsatz gefaßt zu haben, um Alles in der Welt keine Wäsche sehen zu lassen; denn während sich seine hohe, schwarze Merinohalsbinde fast krampfhaft unter dem Kinn herum zog, breitete dieselbe auf der Brust ein paar schützende Flügel aus, und das auf so ängstliche Art, wie eine Gluckhenne es zu machen pflegt, wenn sie ihre Brut dem herannahenden Feinde auf's Aengstlichste zu verbergen strebt.
Nach dem Gesetze aller Baukunde, zuerst ein solides Fundament zu legen, ging man denn auch hier zu Werk. Die oben erwähnten Fässer, die schon öfters den ehrenvollen Beruf erfüllt hatten, jene Bretter zu tragen, welche die Welt bedeuten, wurden reihenweise nebeneinander gestellt, und zwar so, daß die kleineren vorn, die größeren nach hinten zu stehen kamen. Hiedurch gewann man auf sehr kunstlose Art ein sanft ansteigendes Podium. Die Fässer wurden nun unter sich mit Latten verbunden, die Bretter darüber hin genagelt, und so war das Fundament in Kurzem fertig. Ja, es befand sich sogar hinten eine Versenkung, eine höchst nothwendige Einrichtung, die bei einem Schauspiel unmöglich fehlen darf.
Nachdem das Podium so hergestellt war, wurde die Hauptgardine angebracht, und hiezu fanden sich noch zwei eiserne Kloben vor, die vom vorigen Male, wo man hier gespielt, durch die Fürsorge der Wirthin stecken geblieben, und welche man nur dem Auge dadurch unsichtbar gemacht hatte, daß man sie mit weißer Farbe überstrich. Nach dem Vorhange wurden die Seitenkoulissen aufgehängt, welche bei einer nöthigen Verwandlung auf die einfachste Art gedreht wurden. Die vier Hintergründe, welche die Gesellschaft besaß, wurden nun ebenfalls ungefähr zwei Schuh vom hinteren Ende des Saales angebracht, da, wo das Podium bereits aufhörte. Hiedurch gewann man wenigstens unten einen Platz zum Verwandeln, der oben abging; denn statt daß bei anderen Theatern die Vorhänge in die Höhe gezogen und so entfernt werden, wurden sie hier herab gelassen, was ebenfalls einen sehr schönen Effekt machte.
Dekorationen besaß die Gesellschaft vier: ein bürgerliches Zimmer, ein Gemach in einem Schlosse, eine Straße und einen Wald. Letzterer wurde durch die schöne Kunst, mit Versatzstücken zu arbeiten, sehr leicht zu allem anderen Notwendigen eingerichtet; vermittelst eines Paars zierlich zugespitzter Bäume und einer Marmorfigur wurde ein Garten daraus. Ein paar Felsen hinein versetzt, verwandelten ihn in eine Felspartie; ein einfaches Kreuz machte ihn zum schauerlichen Rendez-vous für Mörder und Räuber, oder auch zum Spielplatze der verschiedenartigsten Geister. So half man sich, so gut man konnte, und das Publikum von Schloßfelden war so höflich und gut erzogen, daß es dem Direktor und seinen Dekorationen Alles auf's Wort glaubte, seine Felsen für wirkliche und seine gemalten Bäume für die schönsten auf der Welt hielt. Es stellte keine Vergleichungen an, es nahm in kindlicher Unschuld hin, was man ihm gab, und war so für seine paar Kreuzer heiter und zufrieden.
Als nun das Theater so weit hergestellt war, eine Arbeit, bei welcher der Heldenspieler, Herr Holder, das Uebermögliche geleistet, wurden sämmtliche Dekorationen sowie die Hauptgardine probirt, und erst als sich die ganze Maschinerie als vollkommen und untadelhaft erwiesen, schritt man zur Einrichtung der Garderobe.
Glücklicherweise stieß der Tanzsaal auf der Seite, wo sich die Bühne befand, an einen Heuboden, dessen Eingang kaum zwei Fuß von dem letzten Fenster des Saales entfernt war. Diese beiden Oeffnungen wurden nun mit Hülfe eines kundigen Zimmermannes zusammen verbunden, sowie mit einer alten Leinwand überdeckt, und als dieser Verbindungsgang hergestellt war, transportirte man die Kiste mit Garderobe und Requisiten auf den Heuboden, zog vermittelst einer alten unbrauchbaren Dekoration eine Scheidewand, um die beiden Geschlechter zu trennen, und übergab darauf den einen auf diese Art entstandenen Raum den Damen zum Ankleiden, den anderen den Herren.
In den Raum der Zuschauer wurden nun vorn hin Stühle, darunter Bänke gestellt, die etwas höher waren als die ersteren und den zweiten Platz bildeten. Nachdem dies alles geschehen, auch der Soufleurkasten aus drei Brettern zusammengenagelt war, erschien die Arbeit gethan und das Theater fertig.
Obgleich Herr Trommler während dieser ganzen Zeit bei seiner Arbeit die größtmöglichen Anstrengungen zu machen schien, die für diesen großen Künstler um so mühsamer war, als er zu gleicher Zeit unsere Freunde noch unterweisen mußte, so glauben wir doch versichern zu können, daß er sich durchaus nicht überarbeitete. Wenn er z. B. mit einem wahren Ingrimm auf ein großes Faß oder schweres Brett losstürzte und beim Anprallen fand, daß diese Gegenstände nicht geneigt seien, sich so leicht bewegen zu lassen, so bestand er durchaus nicht hartnäckig darauf, dies doch zu thun, sondern er schwang sich leichtfüßig über den fraglichen schweren Gegenstand hinweg, um seine Kraft an einem leichteren zu üben. Der Prinzipal selbst sowie dessen Bruder arbeiteten ausdauernd und hielten sich ruhig an dem, was sie einmal ergriffen. Holder dagegen suchte sich die schwersten Stücke aus, und wenn auch eines seiner Kraft widerstehen wollte, so sah man, wie ein düsterer Schatten über sein Gesicht flog und sich seine Muskeln auf's Gewaltigste anstrengten, bis das, was er vor hatte, geschehen war. Oft sah man ihn bei einer solchen Veranlassung drei, vier Mal mit einer wahren Wuth auf's Neue angreifen; oft ließ er dabei ermattet die Arme sinken, um immer wieder auf's Neue anzufangen, und dabei schaute er mit wildem, eifersüchtigem Blick um sich herum, ob sich Jemand vielleicht unterstehe, in seine Nähe zu kommen oder ihm gar helfen zu wollen.
Die Arbeiten der Herren Wellen und Müller bei diesem Geschäfte waren eigentlich nicht der Rede werth; sie beschränkten sich mehr auf Handlangerdienste, auf das Darreichen einzelner Stücke, auf das Aufwickeln und Ordnen durcheinander gerathener Schnüre. Der Thätigkeit des Herrn Hannibal dagegen müssen wir volles Recht widerfahren lassen; denn wenn wir das auch dem Schauspieldirektor nicht verrathen dürfen, so darf doch der Leser es wissen, daß nämlich der getreue Pierrot seine Laufbahn als Mensch und Staatsbürger in einer Schreinerwerkstätte begonnen hatte, aber nicht lange da verblieben war, weil seine Ansichten vom Arbeiten im Allgemeinen mit denen seines Meisters nicht in Einklang zu bringen waren, namentlich aber, weil er durchaus keine Neigung in sich verspürte, sich zum Kindererzieher heranzubilden, was dagegen die Meisterin für die Hauptbeschäftigung eines Lehrjungen ansah.
Herr Hannibal half dem herbeigerufenen Zimmermann sogar bei jenem Verbindungsgange zwischen Theater und Heuboden, was ihm ein spezielles Lob des Direktors eintrug, der ihm auf die Schulter klopfte und ihm erklärte, er glaube bestimmt, daß Hannibal noch ein tüchtiges Mitglied der Gesellschaft werden würde.
Das weibliche Personal, aus den beiden Damen der direktorlichen Familien bestehend, sowie aus einer kleinen dicken Soubrette Mademoiselle Jette, welche in ihren Freistunden Kindererzieherin bei der Prinzipalin war, hatte bei der oben erwähnten Einrichtung des Theaters nur insofern Dienste geleistet, als es die Garderobestücke auf den Heuboden schaffte, die Stühle gerade rückte und dieselben nachzählte, worauf sich die Prinzipalin einen Ueberschlag machte, welche Summe bei dem vollen Hause eingenommen werden könne. Nur die Schwägerin des Direktors hatte sich bei den Arbeiten im Saale selbst aufgehalten und allerlei kleine Handleistungen gethan, zuerst an der Seite Eugen's, dann, als dieser sich durchaus nicht dankbar dafür erwies, bei dem Herrn Sidel, und später, als der herzlose Schulmeister sich ebenfalls für diese Herablassung durchaus nicht gerührt und erkenntlich zeigte, bei dem Herrn Hannibal, der, obgleich anfänglich bestürzt und überrascht von der Freundlichkeit der großen Künstlerin, sich doch im Laufe der Arbeit sehr geschmeichelt und hoch geehrt durch die Aufmerksamkeit fühlte und, als dies Seitens der Dame sehr günstig aufgenommen zu werden schien, nun keinen Nagel mehr einschlug und kein Brett mehr verrückte, ohne sich zuvor in den grauen Augen seiner Zuschauerin Raths erholt zu haben.
Endlich war alles beendigt, und die ganze Gesellschaft ließ sich auf den Stühlen vor der Bühne nieder, um das vollbrachte Werk im Allgemeinen übersehen zu können. Eugen und der lustige Rath saßen ziemlich vorn an, bei ihnen der Direktor und Familie, mit Ausnahme der hellblonden dürren Schwägerin, welche sich mit Herrn Hannibal auf den zweiten Platz begeben hatte, nur um zu sehen, wie sich von dort aus die Bühne ausnehmen werde.
Es sah Alles recht nett aus; die Fässer, auf welchem das Podium ruhte, waren ebenso wie der Soufleurkasten mit rothem Zeuge drapirt, der Vorhang war aufgezogen oder vielmehr herabgelassen, und auf der Bühne war die Walddekoration sichtbar.
Da trat der Heldenspieler, Herr Holder, aus der rechten Seitenkoulisse hervor bis an die Lampen und verbeugte sich drei Mal sehr tief.
»Jetzt hält er seinen Zimmerspruch,« sagte Herr Trommler leise zu Eugen, »da werden Sie was hören; er läßt sich das nicht nehmen; denn das ist, wie er selbst sagt, seine liebste Rolle, in welcher er sich nämlich erlauben kann, einem Publikum, das gar nicht vorhanden ist, die schönsten Grobheiten zu sagen.«
»So wären wir denn einmal wieder fertig,« begann jetzt wirklich der Heldenspieler mit tiefer, dröhnender Stimme, und das Organ war so gewaltig, daß trotzdem, daß jede Sylbe von den fest geschlossenen Zähnen zerrissen wurde, doch jede klar und verständlich an das Ohr schlug. »So wäre denn wieder einmal diese miserable Bude aufgebaut, ein Tempel der Kunst, wie wir sie nennen, die doch in Wahrheit nichts ist, als ein erbärmliches Narrenhaus. Ja, ein Narrenhaus! nicht jetzt, wo diese Stätte noch unentweiht vor unsern Augen liegt, aber es werden in dem Augenblicke, wo sich die Thüren öffnen und wo jene Narren – Publikum genannt – diese stillen Räume bevölkern, entheiligen. Ehe dies also geschieht, und ehe wir gezwungen sind, in die glotzenden stieren Augen zu sehen, und ehe wir es uns gefallen lassen, daß sie uns Beleidigungen aller Art in unser edles Künstlerantlitz schleudern, schwere Beleidigungen in der Gestalt von Beifall, leichtere in der Gestalt von Mißfallen – ehe alles das geschieht, und so lange wir noch hier unter uns und allein sind, will ich euch sagen, daß – daß –« Hier machte Herr Holder eine peinliche längere Pause, und fuhr sich mit der Hand über die Stirn und schaute ängstlich rechts und links in die Coulissen. »Ja, will ich euch eigentlich sagen,« fuhr er mit fast tonloser Stimme fort und starrte hinunter auf die leeren Stühle.
»Bravo!« rief der Direktor in diesem Augenblicke, und »Bravo!« rief dessen Bruder; und die vier kleinen Kinder, die ebenfalls da waren, schrieen so laut, als sie mit ihren dünnen Stimmen vermochten: »Bravo, Herr Holder!« und der kleine Hektor setzte hinzu: »den Zimmerspruch, lieber Herr Holder!«
Der Heldenspieler auf der Bühne holte tief Athem, und als er dabei die niedergeschlagenen Augen erhob, hätte man glauben sollen, er tauche aus einem dichten Nebel auf und ziehe oberhalb desselben begierig die reinere Luft ein.
»Ja so, den Zimmerspruch?« murmelte er. »Richtig, richtig! Mir scheint, ich bin einigermaßen von meiner Rolle abgeschweift. Nun, es thut wahrhaftig nichts, könnt's noch öfters hören.« –
»Diese Bretter, diese armseligen Bretter voller Astlöcher und Sprünge, aufgenagelt auf halbmorsche Fässer, die zu altersschwach sind, um noch irgend eine Flüssigkeit in sich aufzunehmen und ertragen zu können, diese Bretter, welche die Welt bedeuten, haben wir also zusammen gefügt. Das Fundament wäre da, und lieblich darauf hingebaut Zimmer und Schloß, Wald und Straße. Möge nun unser Werk gedeihen, möge sich zahlreich füllen dieser Tempel der Kunst! Und möge sich das vielköpfige Thier, Publikum genannt, drunten an der Kasse seine dicken Köpfe blutig schlagen und sich am Eingange um eine Karte balgen, wie hungrige Buben um eine Semmel beim Bäcker! – Dazu sage, ich Amen!«
»Wir auch, wir auch!« riefen sämmtliche Zuhörer, und darauf ließ Herr Holder die Gardine wieder aufziehen, und die ganze Gesellschaft, geführt von der Prinzipalin, begab sich in ein großes Zimmer neben der Küche, wo die Mittagstafel gedeckt war.