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Einundzwanzigstes Kapitel.

Jungfer Clementine Strebeling erhält einen Brief und findet sich in Folge desselben bewogen, die Liebe ihrer Freundin zu unterstützen.

Der Jungfer Clementine Strebeling war unterdessen etwas absonderlich Entsetzliches passirt – entsetzlich in Betreff ihrer Lebensansichten und ihres äußerst zarten Nervensystems. Der geneigte Leser wird sich erinnern, daß er besagte Jungfer Clementine durch unsere Beihülfe an ihrem Fenster erblickt hat, wo sie aus dem musikalischen Hause ihr gegenüber das sehnsüchtige Lied vernommen hatte von der Lotusblume, die sich ängstiget vor der Sonne Pracht. Hierauf war Jungfer Clementine in eine Verwirrung gerathen, ja sanft erröthet; und wenn eine alte Jungfer erröthet und in Verwirrung geräth, so muß eine wichtige Ursache vorhanden sein.

Dem war auch so, und diese Ursache war, wie wir bereits wissen, nichts Anderes, als die Erscheinung eines jungen Mannes am gegenüberliegenden, offenstehenden Fenster des musikalischen Hauses.

Jungfer Clementine Strebeling wußte gar nicht, wie ihr geschehen. Sie konnte, wie in der Oper, von sich selbst sagen:

Sein Blick, mir zugewendet,
War Blitz und Schlag zugleich.

Nicht als ob der Anblick des Herrn Sidel gar eine heftige Liebe in ihrem jungfräulichen Busen plötzlich entzündet hätte – dem war freilich nicht so; aber sie hatte schon oft drüben am Fenster die verschiedenen Hausbewohner bemerkt, auch keine üblen jungen Leute, und noch dazu mit herabwallenden Haaren und langen, zottigen Künstlerbärten. Es war vielleicht der respektvolle Gruß, den der Herr Sidel im Augenblicke herübersandte, als er das Gesicht der alten Jungfer auftauchen sah. Ja, der Gruß war respektvoll und wie überrascht gewesen, das ist gar nicht zu läugnen; überrascht, weil der lustige Rath an dem gegenüberliegenden Fenster etwas Liebreizenderes erwartet hatte. Aber dem sei, wie ihm wolle: die Thatsache bleibt feststehen, daß er einen festen längeren Blick hinüber gesandt, als bei diesen Verhältnissen gerade nothwendig gewesen wäre, und ebenso wahr bleibt es auch, daß dieser Blick das Herz der alten Jungfer wie ein mächtiger Feind umkreiste und an dem morschen Pallisadenbau eben dieses Herzens mit aller Kraft zu rütteln begann.

Die schöne Katharina saß in ihrem Zimmer; es hatte die Nacht durch gewittert, heftiger Regen war unter Blitz und Donner niedergeströmt, und der Marktplatz hatte sich am frühen Morgen in einem Zustande großer Feuchtigkeit befunden, weßhalb die Tochter der Gemüsehändlerin sich außerordentlich beeilt, um ihre Geschäfte zu beendigen und sich in ihr Zimmer zurückziehen zu können. Wir dürfen aber dem geneigten Leser nicht verschweigen, daß die Feuchtigkeit des Marktes nicht die alleinige Ursache war, weßhalb Katharina ihren Stand so früh verlassen; ja wir sind in der Nothwendigkeit, eine viel schrecklichere Ursache anzugeben. Wir müssen verrathen, daß dem jungen Mädchen, während sie bei ihren Blumenkörben saß, von einer guten, alten, befreundeten Frau ein Blättchen Papier zugeschoben wurde, mit Schriftzügen, welche Katharina augenblicklich als die seinigen erkannte. Wir müssen ferner gestehen, daß sie beim Empfange dieses Briefchens auffallend erröthete und daß sie sich zu gleicher Zeit scheu und ängstlich umsah; denn die alte Frau Schoppelmann war in der Nähe. Doch da wir der Ansicht sind, daß noch niemals einem Mädchen von ihrer Mutter eine derartige Beute abgejagt worden ist, wenn sie sie nämlich rechtzeitig in das Mieder hinab gleiten ließ, so können wir auch in diesem Falle die Versicherung geben, daß das Briefchen vor der Hand im alleinigen Besitze der Jungfer Katharina blieb, ja daß sie es augenblicklich nach dem Empfang an dem eben angegebenen Orte in sichere Verwahrung brachte, – ohne es vorher gelesen zu haben, wonach es auch Jedermann sehr begreiflich finden wird, daß dem guten Kinde das Pflaster des Marktes plötzlich zu feucht vorkam, daß sie sich nasse Füße geholt hatte, und daß sie mit Erlaubniß der Mutter nach Hause ging.

Hier sehen wir sie nun, wie schon oben bemerkt, in ihrem Zimmer. Sie hatte das Briefchen gelesen und wieder gelesen, und schien auf die Vermuthung zu gerathen, es handle sich in demselben um ein kleines Rendezvous, das sich Herr Eugen von ihr erbeten. Aber nicht allein brauche sie zu kommen, o nein! er war zu zart, das zu verlangen; er schrieb ihr, sie würde ja wohl eine verschwiegene Freundin haben, mit welcher sie, ohne Verdacht zu erregen, ausgehen könne. Aber Katharina wußte keine verschwiegene Freundin; sie dachte hin und her, und wenn ihr endlich Jungfer Clementine einfiel, so schüttelte sie mit dem Kopfe und dachte, diese gesetzte Jungfrau mit ihren strengen Grundsätzen würde sich nimmermehr dazu hergeben, zu einem solchen Unternehmen die Hand zu bieten.

Da wurde die Thüre des Zimmers langsam geöffnet, und die, an welche das Mädchen eben gedacht, Jungfer Clementine in eigener Person, streckte den Kopf zur Thüre herein, um zu sehen, ob Katharina da sei.

Diese winkte ihr auf's Freundlichste, einzutreten, was denn auch die alte Jungfer that und sich an der Seite des jungen Mädchens niederließ, wobei sie einen außerordentlich tiefen Seufzer ausstieß. Zu gleicher Zeit faltete sie sanft die Hände, blickte einige Mal gen Himmel, kurz, sie geberdete sich wie Jemand, der auf alle Fälle gefragt sein will: Mein Gott, was ist Ihnen begegnet?

Diese Frage that nun auch augenblicklich die schöne Katharina.

Statt aber mit der Sprache herauszugehen, affektirte Jungfer Strebeling eine sehr komische Gleichgültigkeit, die ebenso auffallend war, als ihr Mienenspiel von früher. Sie senkte das Köpfchen auf die eine Seite, lächelte mit niedergeschlagenen Augen, beschrieb mit dem Sonnenschirm von meergrüner Seide allerlei Figuren auf den Boden und lispelte mit sehr verschämter Stimme: »Ach, Katharine, was sollte mir begegnet sein?«

»Es ist Ihnen aber etwas begegnet,« sagte bestimmt das junge Mädchen, »Sie sind ganz aufgeregt.«

Ein tiefer Seufzer war die ganze Antwort.

»Nun, so reden Sie doch,« bat Katharina gutmüthig. »Wir sind ja unter uns Mädchen; ist Ihnen vielleicht etwas geschehen, wie neulich? haben Sie sich über die Choristin geärgert?«

»Ach, die Choristin!« seufzte Clementine und schauerte zusammen; denn es war ihr, als habe sie gerade ebenso Entsetzliches begangen, wie jenes lasterhafte Frauenzimmer.

»Nun,« sagte Katharina, »wenn die Choristin Sie nicht weiter geärgert hat, dann weiß ich wahrhaftig nicht, was Ihnen zugestoßen sein könnte.«

»Nicht wahr?« versetzte Clementine mit schwacher Stimme; denn sie hielt es selbst für unmöglich, daß ein junger Mann mit ihr einen Blick gewechselt, und für noch unmöglicher, daß ihr dieser junge Mann heute Morgen ein zartes Briefchen gesandt, und doch war es in der That so. Ja, wir haben es dem Leser einmal verrathen und müssen der Wahrheit die Ehre geben. Es würde auch wirklich etwas langweilig sein, wenn man die vielen Worte wiedergeben wollte, durch welche es der schönen Katharina gelungen war, dieses fürchterliche Geheimniß der alten Jungfer zu entlocken.

Endlich aber war es heraus, die Geschichte von der Lotusblume, welche sich geängstigt vor der Sonne Pracht, dann gebebt und gezittert – vor dem jungen Manne, der am gegenüberliegenden Fenster aufgetaucht, der sie gegrüßt, der ihr zugelächelt. Ja, es kam an's Licht der Sonne, daß es heute Morgen am Zimmer der Jungfer Clementine sanft gepocht, daß hereingetreten war die Magd der Frau Schilder drüben, daß sie ihr ein Briefchen überreicht, und daß Clementine dieses Briefchen, welches sie im ersten Anflug jungfräulicher Angst zerreißen wollte, am Ende dennoch gelesen hatte.

»O lieber Gott,« sagte die alte Jungfer am Schlusse ihrer Erzählung, »hier ist der Brief; aber, beste Katharine, Sie werden gewiß recht schlecht von mir denken, Sie werden mich für ein leichtsinniges Frauenzimmer halten?«

Das junge Mädchen schüttelte den Kopf und entgegnete unbefangen: »Aber an allem dem seh' ich durchaus gar nichts Schlimmes: was können Sie dafür, wenn ein junger Mann, der Sie erblickt – wenn Sie ihm gefallen – an Sie schreibt?«

»Nicht wahr, Katharine,« sagte ängstlich die Jungfer, »daran trage ich gewiß keine Schuld?«

»Ganz unschuldig sind Sie,« versetzte das junge Madchen mit der Miene eines Richters; worauf Clementine einen tiefen Seufzer that und gen Himmel blickte, als wollte sie sagen: Warum hat der liebe Gott uns Mädchen auch so unwiderstehlich geschaffen?

»Aber den Brief wollen wir doch lesen,« sagte Katharina neugierig.

»Aber leise, ganz leise,« sprach Clementine; »ich kann diese Zeilen unmöglich laut vorlesen hören.«

Katharina entfaltete das Papier, es war von rosenrother Farbe, und obgleich sie gemäß dem Wunsche der alten Jungfer für sich las, so ist es uns doch Kraft unserer Unsichtbarkeit gestattet, einen Blick über die Schultern des jungen Mädchens zu werfen.

Auf dem Papier stand:

»Theure Clementine!

»O, verzeihen Sie vor allen Dingen, daß ich es wage, Ihren mir so lieben Namen auszusprechen, verzeihen Sie aber vor allen Dingen, daß ich zu Ihnen gesagt: »»Theure Clementine.«« Aber Sie gesehen haben, von Ihnen gegrüßt worden zu sein, und alsdann diese Zeilen vielleicht mit den Worten »»Mein schönes Fräulein«« zu beginnen, ist mehr, als ein fühlendes Herz vermag. – – – Und ich habe ein fühlendes Herz, theure Clementine! ein treues Herz, das für Sie fühlt, ein Herz, das mit jedem Schlage die Worte ausseufzt: »»O Clementine, ich liebe dich!«« Verzeihen Sie abermals, meine Gefühle reißen mich hin, ich wollte, eigentlich sagen: »»Clementine, ich liebe Sie!«« – – – aber es ist ganz einerlei: die Gefühle dieser Liebe sind da. Doch wie ich in den innersten Tiefen meines Gefühls fürchte, sind diese Gefühle unerwidert und werden – – – o ich Unglücklicher! – – – auf ewig unerwidert bleiben! – – – – – – – – – – Denn, ach! Clementine, ich kenne Ihr reines Herz, ich weiß, daß Sie sich schaudernd abwenden von dem, was wir Männer die Liebe nennen, ich weiß, daß Ihr zartes Gemüth zurück schreckt beim Anblick eines Mannes – aber was hilft das alles!? Kann ich meine Gefühle verläugnen? O nein, ich kann es nicht! Soll ich leben? Soll ich sterben? Diese Frage weiß ich Ihnen in den verdunkelten Gefühlen meines Herzens nicht zu beantworten. O Clementine, ich hätte nicht den Muth, Ihnen persönlich gegenüber nur durch einen Blick zu verrathen, wie sehr ich Sie liebe! Aber wenn ich Ihnen heute, morgen irgendwo begegnete, so würde ich die Augen niederschlagen, und nichts in der Welt vermöchte es ein ähnliches Wort meinen zitternden Lippen zu erpressen. Aber die Frau Schilder gegenüber ist eine äußerst brave Frau, und wenn Sie ihr für mich ein paar freundliche Zeilen übergeben wollten, so wäre ich der Seligste unter den Sterblichen.

»Liebe ist ein einzig'« Wort, – Liebe, Leben eilet fort.
Keime sterben, – Blüthen färben,
Leiden enden, – Freuden blenden,
Freundschaft dauert. – Nur Liebe währet, – Liebe währet ewig!

»So denkend, schließe ich und bin und bleibe
» Ihr Ewiggetreuester

»Keine Unterschrift?« fragte Katharina, nachdem sie gelesen und sah ihr Gegenüber fragend an.

»Keine,« antwortete dieses mit verschämten, niedergeschlagenen Augen; »und das finde ich gerade so unendlich zart.«

»Und Sie wissen auch gar nicht, wer der junge Mann ist?« forschte das Mädchen weiter.

»Nicht eine Sylbe!« sagte eifrig die alte Jungfer; »ach, es wäre mein Tod, wenn ich es wüßte!«

»Nun, nun, so schlimm wird's gerade auch nicht sein,« meinte das junge Mädchen; »werden Sie ihm Hoffnung geben?«

»Worin?« fragte Clementine.

»Nun, daß Sie ihn lieben wollen.«

Hierauf erfolgte lange Zeit keine Antwort.

Clementine nahm den Brief aus der Hand ihrer Freundin faltete ihn zusammen und verwahrte ihn bei sich an demselben Platze, wo auch die schöne Katharina ihr Billet von heute Morgen aufgehoben.

»Also Sie fühlen kein Interesse für ihn?« forschte die neugierige Katharina, und ein schelmisches Lächeln spielte um ihren Mund.

»Ich will das gerade nicht behaupten,« sagte stockend Clementine, »aber der junge Mensch ist so stürmisch; ich fürchte mich vor ihm.«

»Ich dagegen,« meinte Katharina, »würde einmal den Versuch machen, ihn zu sprechen.«

»Ihn zu sprechen? Nimmermehr!« rief die alte Jungfer.

»Ja, was wollen Sie denn thun?«

»Ihm vielleicht schreiben!« entgegnete Clementine verschämt und hielt ihren Sonnenschirm vor das Gesicht.

»Nun ja, anfänglich wohl,« sagte die erfahrene Katharina, »aber nachher müssen Sie ihn doch setzen und sprechen.«

»Darüber sprechen?« rief Clementine und zeigte auf die Stelle, die der rosenfarbene Brief hatte. »Ihn? Nimmermehr! – In alle Ewigkeit nicht! Erinnern Sie sich noch, liebe Katharine, was ich Ihnen neulich sagte: ich könnte mich wohl vielleicht für Jemand interessiren, ihn auch – – lieben, aber ich würde ihn nicht sehen und durfte ihn nie darüber sprechen.«

»Ja, ich erinnere mich,« sagte nachsinnend das junge Mädchen.

»Aber daß er mir schreibe,« fuhr Clementine fort, »dagegen hätte ich nichts einzuwenden; ich wollte mich gewiß gern für ihn interessiren, ich wollte ihm helfen, wenn er in der Noth wäre, ihn trösten, wenn er traurig ist.«

»Und wird er sich damit begnügen?« fragte Katharina; »es gibt Leute,« setzte sie mit leiser Stimme hinzu, »die damit nicht zufrieden wären.«

»Das müßte er eben,« sagte bestimmt die alte Jungfer; »ihn öfter sehen, mit ihm von Liebe sprechen, das wäre wahrhaftig mein Tod – nein! nein! das könnte ich unmöglich!«

»Und was wollen Sie nun auf diesen Brief hin thun?«

»Darüber möchte ich Ihren Rath, liebe Katharine. Soll ich ihm drei Zeilen antworten?«

»Warum nicht?«

»Daß ich ihn am Fenster bemerkt hätte, daß mir sein Brief gerade – – nicht unangenehm gewesen sei –«

»Ja, so was der Art.«

»Und wenn er alsdann wieder an mich schreibt?«

»Das wollen wir abwarten; dann antworten wir ihm vielleicht wieder.«

»Und wenn er nun endlich verlangt, mich zu sehen, mich zu sprechen?«

»Das wird er am Ende doch thun,« sagte nachdenklich Katharina. Doch bemerkte man an ihrem Blicke, daß sie sichtlich zerstreut war und nicht so recht bei dieser Sache. – »Ja, ja, er wird eine Zusammenkunft verlangen.«

Clementine schauderte.

»Und wenn er wirklich so ein Rendezvous verlangt?« sagte Katharina und drückte die linke Hand fest auf ihre Brust.

»Nimmermehr!« rief Clementine fest und bestimmt. »Das wäre ja entsetzlich.«

»Haben Sie denn schon je einem Rendezvous beigewohnt?« fragte Katharina nach einer Pause mit schüchterner Stimme.

»Nein, Gott soll mich bewahren!«

»Würden Sie auch nie Lust haben, ein solches mitzumachen?«

»Mit ihm und mit mir?«

»Nein,« sagte Katharina lächelnd, »aber mit ihm und mit mir.«

»Mit ihm und mit Ihnen?«

»Ja,« fuhr das junge Mädchen laut lachend fort; »mit ihm, den ich meine. Ja, es ist heraus, Sie müssen mir helfen, Clementine; ich bedarf Ihrer Hülfe.«

»Und wozu?«

»Zu einem Rendezvous; er hat mich so dringend gebeten und wünscht so sehnlich, mich zu sprechen; ich kann es ihm wahrhaftig nicht abschlagen. Liebe, gute Clementine! Ich bitte Sie herzlich, Sie müssen mit mir gehen!«

»Und wohin?« fragte die alte Jungfer in sichtlicher Angst.

»Nun, zu einem ganz kleinen, lieben Rendezvous,« antwortete lächelnd das junge Mädchen. »Auch ich habe einen Brief bekommen; hier ist er, Sie sollen ihn sehen.«

»Ich habe genug an dem meinigen,« sagte Clementine, »mein Kopf ist schon verwirrt genug!«

»Also Sie wollen mich begleiten?« forschte das junge Mädchen.»

»Zu einem Rendezvous?« fragte Clementine mit unsicherer Stimme. »Ach, da sollen oft erschreckliche Sachen vorkommen!«

»Pah, Unsinn!« entgegnete Katharina; »wir zwei gehen zum neuen Thore hinaus nach der Promenade, rechts an der alten Bastei und dann dort hinab, wo sich die Promenade in den alten Stadtgraben verliert.«

»Nun, waren Sie schon öfter dort?« fragte Clementine mit besorgtem Blick.

»Auf diese Art niemals, gewiß nicht!« betheuerte Katharina.

»Nicht wahr, Clementine, Sie thun mir den Gefallen?«

»Und was soll ich um Gottes willen dabei machen?«

»Gar nichts! Wenn er kommt, so setzen Sie sich auf eine Bank, und ich gehe eine Viertelstunde mit ihm spazieren. Wissen Sie, Clementine,« setzte das junge Mädchen schmeichelnd hinzu, »die Mutter hält so große Stücke auf Sie, und wenn ich ihr sage, ich gehe mit Ihnen, so denkt sie durchaus nichts Anderes dabei; auch wenn man uns zwei zusammen auf der äußeren Promenade und in dem Stadtgraben sähe, so kann das keinem Christenmenschen auffallen.«

»Ja, aber« – meinte die alte Jungfer, – »Katharine! Katharine! ich traue Ihnen nur halb, Sie könnten mir da Geschichten machen; er könnte Sie zum Beispiel entführen, was bei solchen Rendezvous häufig genug vorkommen soll, und wenn ich alsdann allein nach Hause käme! Gott steh' mir bei! Ich bin fest überzeugt, daß die Frau Schoppelmann mich um's Leben brächte, und wenn die sich nicht an mir vergriffe, so thäten das Ihre beiden Brüder.«

Darauf lachte Katharina laut und lustig hinaus und sagte dann: »Darüber können Sie ganz ruhig sein; ich gebe Ihnen die heiligste Versicherung, daß an so etwas kein Mensch denkt. Seien Sie überhaupt versichert: wenn ich mich einmal entführen lassen wollte, so brauchte ich keinen Menschen mitzunehmen; dann ginge ich ganz allein von Hause fort.«

»Sie haben schreckliche Grundsätze,« sagte ernst die alte Jungfer, »es wird mir ganz grauselig dabei.«

»Es ist ja nur Scherz,« lachte das junge Mädchen. »Aber nicht wahr, Sie gehen mit mir?«

»Und wann soll das vor sich gehen?«

»Morgen Nachmittag um zwei Uhr.«

»In Gottes Namen denn – – und in meiner Angelegenheit – da rathen Sie mir, ich soll ihm antworten?«

»Unbedingt ein paar Zeilen.«

Wir glauben annehmen zu können, daß die Jungfer Strebeling diesen Rath im Laufe des Tages wirklich befolgte; denn sie kaufte sich eigenhändig in einem Laden rosenfarbiges Papier, sie ließ sich von der Frau Schoppelmann etwas warmes Wasser geben, um ihre vertrocknete Dinte aufzufrischen, und als am daraus folgenden Morgen der ältere der jungen Herren Schoppelmann an seinem Fenster auf der Lauer war, während sein Bruder, der Fuhrmann, die ledernen Gamaschen einölte, stopfte sich der Erste auf einmal einen Zipfel des Kopfkissens in sein großes Maul, um ein heftiges Lachen zu unterdrücken; dann winkte er seinem Bruder mit der Hand und sagte: »Pst, pst, sie kommt, sie kommt!«

»Wer?« fragte der Fuhrmann neugierig; »die große Ratte, die dir gestern entgangen?«

»Nein, die Jungfer Strebeling,« antwortete der Jäger; »mich soll der Teufel holen, sie hat angebissen; dort bringt sie in eigener Person der Frau Schilder ihre Antwort auf unseren Brief.« – –

Es mochte halb zwei Uhr desselbigen Tages sein, als die schöne Katharina ihre Mutter auf die unbefangenste Weise von der Welt davon in Kenntniß setzte, daß sie einen kleinen Ausgang zu machen habe. Es kam dies nicht häufig vor und wäre auch, wenn es geschehen, der Mutter nicht absonderlich angenehm gewesen; denn sie mochte es nicht leiden, daß ihre Tochter viel allein herumgehe. Daher kam es denn auch, daß bei solchen Veranlassungen eine Menge von Fragen von Seiten der Frau Schoppelmann vorkamen, welche von Seiten der Tochter so gut, als es anging, beantwortet wurden. Heute waren dieser Einreden und Fragen wenige; denn Katharina hatte gleich Anfangs gesagt, sie gehe in Gesellschaft der Jungfer Strebeling, und diese war bei der Gemüsehändlerin als so vollkommen untadelhaft und nach jeder Richtung zuverlässig bekannt, daß sie gegen diesen Ausgang nichts einzuwenden hatte. Es sollte Spitzengrund und Zeichengarn eingekauft werden; auch ein paar Ellen Rosaband, sowie ein Stückchen dunkler Kattun, letzterer Behufs Ausbesserung eines Morgenrockes.

So gingen also die beiden jungen Damen dahin; aber anstatt Spitzengrund und Kattun einzukaufen, wandelten sie geraden Weges zum Thore hinaus auf die Promenade und bogen am Ende derselben in den sogenannten Stadtgraben ab.

Dieser Stadtgraben war zu traulichen Spaziergängen, namentlich aber in der Dämmerung und Nachtstunde, außerordentlich beliebt; es war der ehemalige wirkliche Stadtgraben, aus einer Seite mit einer himmelhohen Mauer versehen, die mit grünem Epheu dicht verkleidet war, im Ganzen ziemlich vertieft, auf der andern Seite an dichtes Laubwerk der großen Promenade stoßend. Ein kleines Bächlein floß hindurch, und absichtlich oder unabsichtlich, in diesem Theile der königlichen Anlagen geschah für Ausschneidung des Gehölzes sehr wenig. Das wucherte hier lustig und waldähnlich durch einander; das Einzige, woran man die sorgsame Hand des Gärtners erkannte, waren kleine, reinlich gehaltene Fußwege, die in Schlangenwindungen von den breiten Gängen der Promenade in den Stadtgraben führten, jetzt eine Strecke sichtbar blieben, dort zwischen dem Dunkelgrün verschwanden, hinten über einen kleinen Hügel wegliefen, wieder verschwanden, wieder zum Vorschein kamen, und die endlich zu einem heimlichen und traulichen Plätzchen führten, wie absichtlich gemacht für ein Gespräch zweier Liebenden. Weder von der Stadtmauer, noch von der Promenade sah man in diesen schattigen Grund; denn uralte Bäume, die da drunten emporwuchsen, breiteten ihre Aeste schützend darüber hin und deckten alles mit einem Mantel grünen Laubes zu.

Bei allen Schönheiten, die der Platz darbot, können wir jedoch die Bemerkung nicht unterdrücken, daß derselbe, namentlich in der Dämmerung, einigermaßen verrufen war, und daß selbst bei Tage eine junge Dame, die sich hier hinein verlor, gerade nicht gesehen und gekannt sein wollte. Diskrete Menschen waren auch zart genug, das Geheimniß des Stadtgrabens zu achten. Es war das bei allen lebenslustigen Leuten der Residenz eine Art stillschweigender Uebereinkunft, sich hier nicht zu begegnen, und, wenn sie sich unglücklicher Weise begegneten, sich nicht zu kennen.

Eugen, von dem wir uns in die Notwendigkeit versetzt sehen, sagen zu müssen, daß er mit den Licht- und Schattenseiten des Stadtgrabens vertraut war, hatte denselben zu jenem kleinen Rendezvous vorgeschlagen, in der guten Absicht, daß die schöne Katharina, welche sehr bekannt war, nicht so leicht gesehen würde; ferner hatte er nach langer Ueberredung seinen Freund und lustigen Rath vermocht, ihn zu begleiten, damit, wenn ihm wirklich Jemand begegne, sich das Mädchen doch nicht allein in seiner Gesellschaft befinde.

So wanderten nun diese zwei Paare von verschiedenen Seiten dem Spaziergange zu. Eugen und der lustige Rath waren die Ersten auf dem Platze und ließen sich auf die Bank nieder, welche zur Zusammenkunft ausgemacht war.

Katharina schritt mit klopfendem Herzen durch die Promenade. Sie athmete schwer und tief; sie ward bald roth und bald blaß; wenn ihr Jemand begegnete, so sah sie ängstlich hinter sich, indem sie meinte, der Begegnende bleibe stehen und schaue ihr unfehlbar in der Absicht nach, zu erfahren, wo sie hingehe. Ja, wenn die Bäume und Sträuche rauschten und ihre Zweige und Kronen schüttelten, so fuhr sie zusammen und glaubte allerlei unbekanntes Flüstern neben und vor sich zu hören.

Jungfer Clementine Strebeling dagegen ging ungleich gefaßter, ungleich beruhigter an ihrer Seite. Sie kam sich wie eine halbe Heilige, wie ein Schutzengel vor, und wandelte dahin in dem Mantel ihrer Unschuld, der dick mit Tugend wattirt war.


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