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Vergebens eilte Don Larioz nach der Thür, die auf die Straße führte. Diese blieb fest verschlossen, gab dem kräftigsten Stoße nicht nach und war auch zu hoch, um darüber weg zu klettern. Der tapfere Mann sah sich schmählich gefangen, vor den Augen der unglücklichen Dame droben gefangen, und zwar in einem so feuchten, unsauberen Behältniß, das er keinem Hunde zum Aufenthalt würde angewiesen haben.
Jetzt ließ sich auch Licht an dem Fenster erblicken, von wo er auf der Leiter herunter geklettert war, und er vernahm von dorther eine Stimme, aber nicht die sanfte seines Freundes, des Kellners. Die Fensterflügel wurden aufgerissen, und drohend und grob klang es herab: »Was ist denn da unten ins Teufels Namen los? Man muß auf die Polizei schicken! Das ist noch Schlimmeres als Diebe, das sind Mordbrenner, die mein Haus anzünden wollen!«
Darauf antwortete die Stimme des Herrn Clemens Breiberg in dem gewissen kalten, heuchlerischen, jetzt unbegreiflicher Weise fast freundlich klingenden Tone: »Ihr könnt Recht haben, Nachbar; ich sehe eine Gestalt, welche im Begriff gewesen, Euch das Haus über dem Haupte anzubrennen; noch glimmt es, aber da wollen wir schon helfen. Macht Ihr nur, daß Euch der Kerl nicht entspringt.«
Und kaum hatte er droben also gesprochen, so sprudelte eine gewaltige Wasserfluth herab, nicht wie aus einem Kübel oder sonst etwas, sondern es war der Strahl einer starken Handspritze, die sich immer dahin entlud, wohin sich der unglückliche Don Larioz vor dem unangenehmen Wasserbad zu retten suchte.
»Der Herr Breiberg hat Gestalten gesehen,« rief die polternde Stimme, »das ist eine schöne Wirthschaft! Wer weiß, wie die Kerle da unten lauern, um Jedem, der hinabsteigt, den Hals abzuschneiden! Paßt mir auf,« wandte sich der Mann, der eben gesprochen, an Jemand, der hinter ihm stand, »ich will auf die Straße gehen und dort die Thür langsam öffnen.«
Don Larioz hatte zu allem dem nicht eine Sylbe gesagt, nicht einen Ausruf der Ueberraschung oder des Schreckens hören lassen. Aber wer sein Gesicht hätte sehen können, wie seine Augen blitzten, wie er seine Unterlippe zwischen die Zähne klemmte, wie er unter dem kalten Sturzbad auf und ab schritt, wie er seine Finger auf und zu krallte, der hätte wohl bemerkt, wie entsetzlich aufgeregt er war, wie furchtbar es in ihm gährte und kochte. Dabei achtete er aber nicht auf die polternde Stimme und schaute auch nicht nach dem Fenster der Kneipe zum Reibstein, – was von dorther geschah, war ihm vollkommen gleichgültig – wohl aber warf er zuweilen einen Blick voll Wuth und Zorn nach der andern Fensteröffnung hinauf und drohte dorthin mit der geballten Faust, von wo Herr Clemens Breiberg noch immer seine Wasserstrahlen spielen ließ und von wo man denselben zuweilen lustig rufen hörte: »Ja, so ein Feuer ist hartnäckig! – Hahaha!« lachte er dazwischen – »und schwer zu bewältigen; hahaha! aber wir wollen es doch löschen, gänzlich löschen, gründlich löschen, hahaha!«
Aus diesen Aeußerungen entnahm der tapfere Spanier, daß der verruchte Quäler jenes unglücklichen Mädchens auf der Lauer gelegen, daß er vielleicht mit angesehen – und der Gedanke war ihm am schrecklichsten – daß sie das Fenster geöffnet und ihm einen Brief herabgeworfen. Unglückliches Mädchen! Ihr Loos nach dieser Entdeckung mußte auf alle Fälle ein furchtbares sein.
Es war eigentlich gut, daß ihm keine Zeit mehr blieb, diesen schrecklichen Gedanken mit seiner reichen Phantasie gehörig zu verarbeiten; denn schon wurde die Thür geöffnet, welche von der Straße in den Winkel führte, und beim Schein einer Stalllaterne erblickte man die breite Figur des Wirthes zum Reibstein, der mit einem furchtbaren Prügel bewaffnet war, und hinter welchem sich noch einige andere Gestalten bewegten.
Wäre Don Larioz in diesem Augenblicke in der Verfassung gewesen, rückwärts zu schauen, so hätte er den für ihn sehr tröstlichen Anblick Windspiels gehabt, der, entflohen dem schrecklichen Vorfalle, am Fenster seiner Dachkammer lag und hinabblickte auf seinen unglücklichen Freund und Gönner. Larioz konnte aber jetzt unmöglich daran denken, denn er schritt sehr gefaßt und in ruhiger Haltung nach dem Ausgange des Winkels, wo er sich geduldig in dem hellen Schein der Stalllaterne präsentirte, ja, wo er, um den Skandal nicht zu vergrößern, nicht einmal den geringsten Widerstand leistete, als ihn der Wirth beim Kragen nahm und so unsanft schüttelte, daß die Wassertropfen aus seinen durchnäßten Kleidern wie ein Sprühregen umherflogen. Auch ließ er sich geduldig in das Haus führen, sowie in eine der leeren Schenkstuben, worauf der Wirth eigenhändig die Thür verschloß, damit keine Neugierigen, die sich draußen schon versammelt hatten, eindringen konnten.
Wir können nun nicht verschweigen, daß hier ein förmliches Verhör stattfand, welches von einem Polizeibeamten geführt wurde, der sich augenblicklich eingefunden, sobald der Wirth zum Reibstein den Verbrecher beim Kragen gefaßt und ihn so gefahrlos gemacht. Daß bei diesem Verhör übrigens nicht viel herauskam, müssen wir zur Ehre des Schreibers ebenfalls sagen, denn er hatte sich begreiflicherweise fest vorgenommen, nichts von der Absicht zu verrathen, welche ihn in den Winkel unter die Fenster des Ateliers der Gebrüder Breiberg geführt.
Der Polizeibeamte hatte sich am Tisch niedergelassen, seine rechte Hand ruhte auf demselben, während die linke sich auf den Säbel stützte; dabei betrachtete er den Gefangenen mit jenem bekannten Blicke, der den Schulknaben, die verbotener Weise auf dem Trottoir schleifen, oder den Dienstmädchen, welche das Verbrechen begangen, die Straße nicht zur gehörigen Zeit zu kehren, so furchtbar ist; auch brachte er durch die Bewegung seines Hauptes jenes bezeichnende Nicken hervor, das so viel sagen will als: den kennen wir, den haben wir schon lange auf dem Korn, der entgeht uns nicht mehr. Uebrigens war dieser Diener der öffentlichen Gewalt eine wohlgenährte Persönlichkeit, mit einem dicken, gutmüthigen Gesichte, welchem es die größte Mühe machte, jenen furchtbaren und ruhigen Ernst zu zeigen, der zu seinem Amte unbedingt erforderlich ist.
»Vor allen Dingen aber,« meinte der Wirth zum Reibstein, »sollten wir erfahren, auf welche Art der da eigentlich in den Winkel zwischen die beiden Häuser gekommen ist; die Thür da vorn ist immer fest verschlossen, und wenn man von hinten herein wollte, da müßte man die Bretterwand durchbrechen.«
»Ja, er soll sagen, wie er hinein gekommen ist,« sprach der dicke Polizeidiener, indem er mit seiner Hand auf den Tisch patschte, »das soll er vor allen Dingen sagen.«
Aber Don Larioz zuckte die Achseln und schwieg.
»Wenn er zur Thür hinein ist,« fuhr der Wirth fort, »so hat er vielleicht einen Schlüssel bei sich, und das ist das Gefährlichste; denn wenn er einen Schlüssel hat, so bin ich ja keine Nacht vor einem Ueberfall sicher. Das werden Sie am besten wissen,« wandte er sich an den Polizeidiener, »was es für eine Menge von Gesindel gibt, gegen das man nichts ausrichten kann. Und denken Sie nur, wenn das Volk einen Schlüssel von mir besäße! Ah! den Teufel auch!«
»Haben Sie einen derartigen Schlüssel?« fragte der Polizeidiener, wobei er einen ziemlich gelungenen Versuch machte, den Verbrecher mit Ernst und Würde anzusehen.
Don Larioz hatte diese Frage nicht einmal recht gehört, konnte also keine Antwort darauf geben. Seine Gedanken waren anderswo beschäftigt; er dachte an jenen Tag, wo er in eben diesem Hause in den Bund zum Dolche Rubens aufgenommen worden war und wobei die Freunde versprochen, im Falle der Noth gegenseitig zu Schutz und Trutz zusammen zu eilen; auch erinnerte er sich genau, wie dies zu geschehen habe; doch war es ihm ja unmöglich, im gegenwärtigen Augenblicke eine solche Zusammenberufung zu bewerkstelligen; denn erstens hatte er keinen scharfen Dolch bei sich, und dann befand er sich ja nicht auf der Straße, um an die Fensterläden jedes Hauses zu klopfen, das sich ihm durch eine abgerissene Klingelschnur als von einem Bundesmitglied bewohnt repräsentirte.
»Ob Sie einen Schlüssel haben, frage ich!« wiederholte der Beamte mit so eindringlicher Stimme, daß der lange Schreiber die Frage dieses Mal vollkommen verstand und die Antwort gab: »Ich weiß nichts von einem Schlüssel.«
Der Wirth näherte sich dem Polizeidiener und sagte ihm in die Ohren: »Das Beste wäre, wenn wir den da genau untersuchten; es scheint mir ein gefährliches Subjekt zu sein.«
Der Polizeibeamte nahm eine sehr wichtige Miene an und entgegnete ebenso leise: »Hartnäckig auf alle Fälle; das ist einer von den Verstockten, die vorher mürbe gemacht werden müssen, ehe man sie zum Reden bringt. Laßt uns nur machen. – Das Beste ist,« setzte er laut hinzu, »ich nehme den Burschen mit auf die Polizei, über Nacht sperren wir ihn ein, und morgen früh wird der Herr Commissär schon erfahren, was er wissen will.«
In diesem Augenblicke wurde die Thür ein klein wenig geöffnet, und das getreue Windspiel erschien, warf einen bezeichnenden Blick auf den Spanier, welcher denselben mit einem kaum merklichen, aber freundlichen Lächeln beantwortete, und winkte dann dem Wirthe, der hierauf das Zimmer verließ.
Obgleich es hier ziemlich warm war, so fing es doch Don Larioz in seinen durchnäßten Kleidern zu frieren an, und er sehnte sich nach einem Aufhören dieses unbehaglichen Zustandes, weßhalb er sich an den Polizeidiener wandte und ihm mit einer offenen und ehrlichen Miene, die auf jeden Anderen ihren Eindruck nicht verfehlt haben würde, sagte: »Ich bin allerdings unter eigenthümlichen Umständen in jenem Raum zwischen den beiden Häusern getroffen worden, kann mich aber vollkommen legitimiren, wer ich bin, und dadurch wohl beweisen, daß ich in keiner sträflichen Absicht dort gewesen. Mein Name ist Larioz, und ich bin Schreiber bei dem Rechtsconsulenten Doktor Plager, bei dem Sie die genauesten Erkundigungen nach mir einziehen können. Jetzt aber bitte ich, mich nach Hause zu entlassen, denn wie Sie sehen, sind meine Kleider durch die Tücke eines niederträchtigen Feindes durch und durch naß geworden, und ich würde mir den Tod zuziehen, wenn ich länger darin bleiben müßte.«
Der Polizeidiener hatte eine Brieftasche hervorgezogen und den angegebenen Namen notirt, worauf er erwiderte: »Wenn Sie der wirklich sind, für den Sie sich ausgeben, so wird sich das morgen finden; auch werden wir auf der Polizei vielleicht einen trockenen Kittel finden, den wir Ihnen für die Nacht umhängen können. Von Entlassen kann keine Rede sein, oder Sie müssen mir Jemand angeben können, der Sie kennt und für Sie gut sagt.«
Wohl fielen dem Spanier die Gebrüder Breiberg ein, die ihm vielleicht bezeugen könnten, daß er wirklich der sei, für den er sich ausgegeben. Doch verwarf er diesen Gedanken aus erklärlichen Gründen wieder im gleichen Augenblicke; auch dachte er lebhaft an den Vorsitzenden des Bundes zum Dolche Rubens, doch wenn er den Kupferstecher mit seinem dicken Gesichte und großen Barte auch so lebhaft vor Augen sah, daß er ihn hätte malen können, so wußte er doch seinen Namen nicht, und von der Verbrüderung selbst zu sprechen, hielt er für eine Indiscretion, und einer solchen hätte er sich nicht aus Furcht vor allen Gefängnissen der Welt schuldig gemacht.
Da trat der Wirth zum Reibstein wieder in die Stube, und der Ausdruck seines Gesichts war jetzt ein ganz anderer geworden; seine Augen hatten den finsteren Ausdruck verloren, er lächelte nicht unfreundlich, und sein Mund, der vordem breit aus einander gezogen war, um all die polternden Reden durchzulassen, hatte sich jetzt fast schalkhaft gespitzt. Er trug seine Ledermütze in der rechten Hand und patschte sich mit der linken einige Mal auf einen unnennbaren Theil seines Körpers, worauf er lachend den Kopf schüttelte und, ohne Don Larioz anzusehen, sich an den Tisch begab, an dem der Polizeidiener saß. Vor diesen trat er mit seiner breiten Gestalt in solcher Weise hin, daß dem Beamten der Anblick des nächtlichen Ruhestörers entzogen wurde.
Hinter dem Wirthe drein schlich Windspiel vorsichtig in das Zimmer, scheu auf den Polizeibeamten blickend, und als er sah, daß dieser, durch den Wirth verdeckt, nicht im Stande war, herüber zu blicken, so wandte er sich rasch an den Spanier und sagte ihm eilig und flüsternd: »Eine Botschaft vom Präsidenten des anonymen Bundes! Nehmen Sie geschwind, hier ist der Dolch des großen Meisters Rubens, Sie haben ihn nur heimlich dem Wirthe zu zeigen, und Alles wird klar werden. – Gott, wie habe ich für Sie gezittert!«
Nach diesen Worten schnellte er in die andere Ecke des Zimmers, machte sich da am Tische etwas zu thun, und summte gleichgültig eine Melodie vor sich hin; aber Don Larioz, der seinen Bewegungen mit dankerfülltem Herzen folgte, bemerkte wohl, wie freudig und ergriffen der Blick des kleinen Kellners war, was ihn ausnehmend rührte.
Man sollte es nicht glauben, wie sich der Spanier gehoben fühlte, als er jetzt die alte rostige Klinge in der Hand hatte; es war ihm gerade zu Muth, wie jenen alten tapferen Rittersmännern, die überwunden in die Gewalt des Siegers gefallen waren und zu denen nun, als sich eben der Schlund des Verließes vor ihnen öffnete, ein Knappe trat, ungefähr also sprechend: »Edler und mannhafter Ritter! Fern ist es von meinem hochgebietenden Herrn, die Ungunst des Glückes zu benutzen, um einen so tapferen Ritter, wie Ihr seid, in Banden zu halten; nehmt Euer Schwert zurück; Euer Feind, der sich aller Siegerrechte begibt, stellt sich Euch in ehrlichem Zweikampfe.«
Ja, so war es ihm, und kein wackerer Kämpe hat je mit größerer Inbrunst hierauf seine Toledanerklinge in die Hand genommen, als Larioz das schartige Eisen, welches ihm Windspiel so geheimnißvoll übergeben. Nicht als ob seine Absicht gewesen wäre, es gegen den Polizeibeamten schwingend, seine Freiheit wieder zu gewinnen – nein, er vertraute der Macht des gewaltigen Bundes zum Dolche Rubens und war sicher überzeugt, daß diese gefeierte Waffe ihm zum Talisman werden müsse.
»Er hat mir einen Namen genannt,« sagte jetzt der Polizeidiener, »aber Namen nennen kann Jeder, und es fragt sich nun, wie er zu beweisen gedenkt, daß er wirklich der ist, für den er sich ausgegeben.«
»Ja, das müßte er allerdings beweisen,« meinte der Wirth, indem er sich aufrichtete und am Kopfe kratzte. »Wenn er das beweisen könnte oder Jemand zum Bürgen stellen würde, da hätte ich meiner Seele nichts dagegen, wenn wir die Sache auf sich beruhen ließen. Unglück ist keines geschehen, und der heutige Abend wird ihm eine Lehre sein, sich nicht mehr zwischen Andermanns Häusern herumzutreiben.«
Nach diesen Worten trat er so vor den Gefangenen, daß er ihn mit seiner breiten Figur abermals vor den Blicken der Polizei verdeckte, worauf Don Larioz diesen Moment für passend hielt, um langsam und feierlich die alte rostige Dolchklinge empor zu heben, die er bis zu diesem entscheidenden Momente in seinem Rockärmel verborgen hatte. Er that das aber in gespannter Erwartung, welche Wirkung der Anblick der kostbaren Waffe auf seinen Gegner ausüben würde.
Und diese Wirkung war in der That eine zauberhafte. Zuerst war es, als traue der Wirth seinen Augen nicht, er wischte dieselben ziemlich auffallend und machte dazu ein verblüfftes, einigermaßen dummes Gesicht, dann beugte er den Kopf weit hinab und murmelte wie in tiefster Ehrfurcht: »Das hat mich überrascht; ja, wer das hätte vorher wissen können! Du lieber Himmel! wie soll ich es wieder gut machen, daß ich ein Mitglied des großen und geheimnißvollen Bundes arretiren ließ?«
Der lange Spanier fühlte sich durch die Kraft, welche der Dolch des großen Meisters Rubens auf die einfache Seele des Kneipenwirthes ausübte, wahrhaft gehoben; nicht weil er sah, daß man ihn jetzt werde ungehindert ziehen lassen, sondern weil er sich bewußt war, eben diesem allgewaltigen Bunde anzugehören. Er hob seinen Kopf in die Höhe und machte eine Bewegung mit der Hand, welche ausdrücken sollte, er werde das Geschehene als ungeschehen betrachten, worauf er mit dem Zeigefinger nach dem Polizeidiener wies, – eine Bewegung, welche der Wirth augenblicklich verstand, denn er trat alsbald wieder zum Tische, flüsterte dem Beamten etwas in die Ohren, worauf dieser sogleich sagte: »Ja, wenn Ihr die Bürgschaft selbst übernehmt, so will ich wahrhaftig nichts dagegen sagen und wünsche einen guten Abend.«
Der Polizeidiener trank hierauf seinen Schoppen Wein leer, den ihm der Wirth schon früher hingestellt, und verließ das Zimmer, aber nicht ohne einen langen prüfenden Blick auf die leicht wieder zu erkennende Gestalt des langen Schreibers zu werfen.
Sowie der Polizeidiener das Zimmer verlassen, wandte sich der Wirth mit vielen Entschuldigungen an Don Larioz, versicherte ihm, er habe ja keine Ahnung davon gehabt, daß er ein Bundesmitglied sei, und bat, über ihn und alles, was er zu leisten vermöge, unbedingt zu verfügen.
Nachdem sich die erste Aufregung gelegt, bemerkte es der Spanier eigentlich erst recht, wie sehr es ihn in seinen nassen Kleidern friere und er sagte dies zum Wirthe mit dem Bemerken, er fürchte sich, so zugerichtet in die kalte Nachtluft hinauszugehen.
»Davon kann durchaus keine Rede sein,« entgegnete dieser geschäftig. »Wenn Sie kein Bett in meinem Hause annehmen wollen, so werde ich Ihnen augenblicklich für trockene Kleider sorgen. Die meinigen werden Ihnen allerdings etwas zu weit sein, aber was thut es – man nimmt eben, was man hat!«
Daß Don Larioz dieses Anerbieten mit großem Danke annahm, versteht sich von selbst. Der Wirth eilte hinaus, und gleich darauf trat der kleine Kellner in die Stube mit einem Arm voll Kleider seines Herrn, das Gesicht strahlend vor rührender Freundlichkeit.
Ohne uns in die Einzelheiten des nun stattfindenden Umzuges zu verlieren, müssen wir den geneigten Lesern versichern, daß derselbe schnellstens von Statten ging, können aber dabei nicht verschweigen, daß der lange dürre Spanier in der Hose und der Jacke des bedeutend kleineren, aber viel dickeren Wirthes eine recht komische Figur darbot.
Bei dem Umkleiden konnte Windspiel nicht unterlassen, von der Angst zu sprechen, die er ausgestanden von dem Augenblick an, wo man die Leiter weggezogen habe, bis zu jenem entsetzlichen Momente, wo er, der auf der Lauer gewesen, die Flamme aus dem Strohhaufen habe aufleuchten sehen. Was Herrn Clemens Breiberg anbelangte, so versicherte der Kellner, derselbe müsse von Anfang an das unglückliche Mädchen beobachtet haben, und dessen Bosheit sei allein schuld daran, daß die ganze Sache so unglücklich abgelaufen.
»Und doch nicht unglücklich,« meinte der Schreiber, indem er lächelnd und nachsinnend das Haupt schüttelte. »Habe ich doch hier das unschätzbare Papier, das mich wahrscheinlich in wenigen Worten für alles das belohnen wird, was ich heute Abend gelitten. Gelitten ist eigentlich nicht das richtige Wort,« setzte er hinzu, »denn der Ritter, der für seine Dame kämpft und strebt, kann die kleinen Widerwärtigkeiten keine Leiden nennen; und wären es auch wirklich Leiden, so würde er sie gern und freudig tragen, namentlich im gegenwärtigen Falle,« sprach er mit einem leichten Seufzer, »wo ich fast fürchten muß, daß der Schritt, den ich für jene unglückliche Dame gewagt, ihr selbst die größten Leiden verursachen muß. Vor allen Dingen aber will ich das Papier durchlesen, welches mir jenes holde Geschöpf anvertraute.«
Er entfaltete den Brief, und da derselbe glücklicherweise nicht von der Nässe gelitten hatte, so sah er mit großem Entzücken nachstehende Worte in sehr deutlichen Schriftzügen:
»Ja, ich habe Sie erkannt; wie wäre es auch anders möglich, da Ihr Anblick, als ich Sie zum ersten Male sah, einen so unauslöschlichen Eindruck auf mein Herz gemacht, da er mir stets gegenwärtig blieb im Wachen und Träumen! O edler Spanier – denn das sind Sie, ich irre mich nicht – helfen Sie einem unglücklichen Kinde Ihrer Heimat, das in schmachvollen Ketten und Banden gehalten wird, das man durch List und Gewalt verderben will, das aber vollkommen rein und Ihrer würdig geblieben ist. Helfen Sie! Retten Sie! Wie, wo und wann? kann ich Ihnen nicht angeben; aber mir lebt eine treue Freundin, Kathinka Schneller, Entenpforte Nr. 4, in deren Busen Sie Ihr Herz ausschütten mögen. Sie selbst dort zu sehen, ist vielleicht in nächster Zeit vergönnt
Ihrer unglücklichen
Dolores.
»Trau, treue Trine, trügrisch trüben Träumen nicht.«
Dies Letztere war als Motto beigefügt, wie es junge Damen in Stammbuchblättern zu machen pflegen, und an diesen Worten erkannte Don Larioz entzückt eben sowohl den Anfang des Spruches des großen maurischen Weisen Carabanzeros, wie auch, daß die Rettung der unglücklichen Dame auf geheimnißvolle Art mit diesem Spruche zusammenhängen müsse. Warum hätte sie ihn sonst erwähnt? Wie aber dieser Zusammenhang aufzufinden sei, das war er nicht im Stande, namentlich am heutigen Abend, zu ergründen. Wenn er sich auch nach Anlegung der frischen Kleider angenehm erwärmt und körperlich vollkommen wohl fühlte, so hatten doch die Ereignisse des heutigen Abends, das aufregende Warten am Fenster, dann die Leiterpartie in den Winkel hinab, ferner das Umherstehen in der Kälte, vor allen Dingen aber das Sturzbad, womit ihn der boshafte Clemens Breiberg versorgt, seine Gedanken etwas unruhig gemacht und waren dieselben mehr als je dazu geneigt, einen etwas kühnen Flug zu nehmen.
»Wie glücklich schätze ich mich,« sagte er zu Windspiel, »durch diese kleinen Leiden vorbereitet, ja, ich möchte sagen: befähigt zu sein, die Liebe eines so wunderbaren Mädchens zu erringen, wie die göttliche Dolores ist. Und eigentliche Leiden kann man es gar nicht einmal nennen, wenigstens keine aktiven Leiden, wie sie ein Rittersmann der alten Zeit erduldet, der, mit Schild und Lanze um seine Dame kämpfend, verwundet, oft sterbend niederfiel. Mich trafen passive Leiden, denn ich konnte nichts thun, als ruhig dastehen und geduldig hinnehmen die polternden Reden des Kneipenwirths, sowie die kalten Wassergüsse, welche aber die Flamme meiner Liebe nicht auslöschten, sondern sie vielmehr noch heftiger auflodern ließen. Aber ein Gemüth, wie das der göttlichen Dolores, wird auch vorderhand mit meinem passiven Widerstande zufrieden sein und an der Standhaftigkeit, mit dem ich ihn leistete, wohl abmessen können, was dieses Herz und dieser Arm zu vollbringen im Stande sind, wenn ich, San Jago rufend, mein Schwert zu ihrer Rettung werde ziehen können.«
Windspiel horchte entzückt auf diese Reden, denn ihm war zu Muth, als lese er in einem alten Ritterromane, und als schaue er über die Schranken des Turnierplatzes hinweg, wo sein Herr und Ritter eben im Begriffe war, die scharfe Lanze einzulegen.
Freilich hatte Don Larioz in seiner jetzigen Tracht nicht viel Ritterliches, was er auch wohl selbst finden mochte; denn als er nun seine Toilette beendigt hatte und an sich hinabschaute, that er das mit einem kleinen Seufzer, fühlte sich aber dabei doch zufrieden, als er dachte, daß es draußen finstere Nacht sei und er beim Nachhausegehen von Niemand gesehen, wenigstens nicht erkannt werden könne.
Was aber dieses Nachhausegehen anbelangte, so that der kleine Kellner vorläufig dagegen sanfte Einsprache, indem er sagte, daß drüben im Künstlerlokale der Bund zum Dolche Rubens versammelt sei, der sich glücklich schätzen würde, Don Larioz einen Augenblick bei sich zu begrüßen.
Schon die Dankbarkeit erforderte es, sich der mächtigen Verbrüderung zu zeigen, der er anzugehören das Glück hatte und die so freundschaftlich für ihn gesorgt.
Windspiel eilte voraus, öffnete jenseits des Ganges die Thür, und Don Larioz trat in das Gemach.
Es war hier fast die gleiche Gesellschaft versammelt, welche der geneigte Leser an jenem regnerischen Nachmittage bereits kennen gelernt. Am oberen Ende des Tisches saß der Kupferstecher Wurzel, und als der Spanier eintrat, erhob sich derselbe mit dem Glas in der Hand, welchem Beispiel alle Anwesenden folgten.
Es herrschte in dem Zimmer eine angenehme, warme Atmosphäre, welche unverkennbar mit dem Dufte von gutem Punsch geschwängert war; und dieses Getränk befand sich auch in Wahrheit in den Gläsern derer, die zum erhabenen Bunde von Rubens Dolche gehörten und die nun mit feierlicher Geberde auf das Wohl des Eintretenden zu trinken schienen. Wohl hätte ein Unbefangener bemerken können, daß über die Züge dieses oder jenes Mitgliedes ein Lächeln flog, als die sonderbar aussehende Gestalt des langen Schreibers sichtbar wurde. Der Kupferstecher mit dem großen Barte aber blickte finster aus seinen sonst so gutmüthigen Augen, drückte die rechte Hand fest auf den Tisch und sprach mit tiefer Stimme:
»Sei uns zum zweiten Mal willkommen, Don Larioz, hier in unseres Bundes Haus, ja, zum zweiten Male! Und dieses zweite Mal wird glänzend eingeschrieben stehen in den Annalen des Bundes zum Dolche Rubens; denn die gefeierte Waffe des großen Meisters zeigte sich wieder in ihrer allgewaltigen Kraft und errettete unser edles Mitglied aus sehr unangenehmer Bedrängniß. – Feierlich erlaube ich mir, die erhabene Waffe wieder zu mir zu nehmen.« Er sagte dies, weil er wohl bemerkte, wie der Schreiber ihm entgegen schritt, den rostigen Stahl ehrfurchtsvoll in der Hand tragend. »Ja feierlich empfange ich ihn wieder mit den Ceremonien, wie sie unser Bundesgesetz vorschreibt.«
Bei diesen Worten ergriff der Vorsitzende die Dolchklinge, drückte sie an seinen dicken Schnurrbart und übergab sie seinem Nachbar zur Rechten, der sie ebenfalls an seine Lippen brachte, worauf sie auf gleiche Weise die Runde um den ganzen Tisch machte und zuletzt in die Hände des langen Schreibers kam, der sie als seine Erretterin mit wahrer Inbrunst küßte.
Auch Windspiel als dienender Bruder, wurde nicht vergessen und ihm von dem Vorsitzenden das alte Eisen einen Zoll weit von der Nase entfernt gehalten, wo er sich am Geruche der gefeierten Waffe, wenn diese einen solchen gehabt, würde haben erlaben können. Darauf schob der kleine Kellner eilfertig einen Stuhl herbei, brachte auch ein frisches Glas für den eben Angekommenen, welches der Kupferstecher aus der auf dem Tische stehenden Bowle mit Mühe füllte, da dieses Gefäß beinahe leer war, und dann sämmtlichen Anwesenden ein Zeichen zum Niedersitzen gab, während er selbst stehen blieb.
»Freunde und Mitglieder des Bundes!« sprach er alsdann, »wir haben uns hier versammelt, um durch unsere allgewaltige Gegenwart unser höchst ehrenwerthes Mitglied Don Larioz aus drohender Gefahr zu erretten; ja, ihm zu Liebe versammelte sich der Bund zum Dolche Rubens; denn unser Freund befand sich, wie schon gesagt, in großer Gefahr. Aber indem ich schweige von dem edlen und ritterlichen Beweggrunde, der unsern Freund in die Gefahr gestürzt, will ich nur sagen, daß diese der Art war, wie sie der große Meister Rubens nur über seine Lieblinge verhängt, eine Prüfung, eine Läuterung durch Feuer- und Wassersgefahr, wie sie auch die beiden Liebenden Tamino und Pamina erduldeten – also erleben wir es in der Zauberflöte – und aus eben diesem Grunde empfing ich auch unseren geehrten Bruder bei seinem Eintritte mit den Worten:
Sei uns zum zweiten Mal willkommen,
Don Larioz, hier in unseres Bundes Haus.
Rings umher folgte diesen Worten ein Murmeln des Beifalls, und man sah manches Mitglied seine Nase vor Rührung tief in das Punschglas stecken, andere die Hände vor das Gesicht drücken, als befänden sie sich in einer außerordentlichen Gemüthsbewegung.
»Die Veranlassung aber zu dem, was unser Freund erduldet,« fuhr der Redner im Tone der Entrüstung fort, »ist so außergewöhnlicher Art, daß sie wohl im Stande ist, die Mitglieder des Bundes zu einer geheimen Abstimmung zu veranlassen.«
Die Mitglieder des Bundes sahen bei dieser Rede erstaunt in die Höhe, senkten aber gleich darauf wieder ihre Blicke auf die Gläser und den Tisch, als sie bemerkten, wie der Kupferstecher Wurzel seinen Platz verließ, sehr würdevoll zu jedem Einzelnen ging, ihm etwas in die Ohren flüsterte, auch mit der jedesmaligen Antwort zufrieden schien, und darauf seine Stelle am obern Ende der Tafel wieder einnahm.
»Wie nicht anders zu erwarten war,« sprach er hierauf, »hat der Bund in geheimer Abstimmung beschlossen, die Angelegenheit unseres treuen Freundes Don Larioz gegen das verruchte Treiben der Gebrüder Breiberg, von dem wir alle gehörige Kenntniß haben, wie seine eigene zu betrachten. So verwickelt die Sache scheint, so einfach ist sie in der That. Thu' jeder das Seinige, so werden wir bald im Stande sein, unserem verehrten Mitgliede die treue Bruderhand zu reichen. Zu diesem letzten Zwecke und um thatkräftig aufzutreten, berufe ich euch genau von heute über vier Wochen, und müßt ihr erscheinen, angethan mit List, umgürtet mit Waffen. Ihr wißt, was es gilt, und werdet erscheinen!«
Worauf die Gesellen murmelten: »Wir wissen, was es gilt, und werden erscheinen.«
Hierauf setzte sich der Vorsitzende auf den Stuhl nieder, ließ sich von seinem Nachbar, dem die feierliche Handlung galt, tiefgerührt die Hand schütteln und sagte alsdann mit bewegter Stimme zu Windspiel: »So bringe denn eine neue süße und kräftige Bowle, wie es nach einem Hauptparagraphen der Statuten des Bundes zum Dolche Rubens bei ähnlichen Veranlassungen der Brauch ist, auf Kosten unseres verehrten Freundes, daß wir damit besiegeln die neue Verbrüderung, ihm zum Schutz und Trutz.«
Don Larioz winkte eifrig dem Kellner, also zu thun, wie der Vorsitzende gesagt, und bald nachher stand die dampfende Bowle auf dem Tisch, sie selbst sehr groß, ihr Inhalt aber süß und äußerst kräftig.
Gaudeamus igitur
Juvenes dum sumus,
Post jucundam juventutem,
Post molestam senectutem,
Nos habebit humus.