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Während dessen hatte der eben Angekommene Zeit genug gehabt, in das Zimmer zu treten, wo er eine ziemlich devote Verbeugung machte, an den Tisch trat und sich mit den Händen auf die Lehne eines leer stehenden Stuhles stützte, statt sich darauf zu setzen.
Herr von Tondern nahm die Cigarre aus dem Munde, stützte den Arm auf den Tisch und zeigte mit der Cigarre auf den eben Angekommenen, während er mit langsamer Stimme zu Baron Fremont sagte: »Da ist Herr von Czrabowski; du wirst dich seiner wohl noch erinnern.«
Fremont nickte steif mit dem Kopfe, während der Pole seine respektvolle Verbeugung von vorhin wiederholte.
»Wollen Sie nicht Platz nehmen?« sprach Tondern, wobei er ein lautes Gähnen schlecht zu unterdrücken suchte.
Der Graf Czrabowski setzte sich, doch dauerte es eine Zeit lang, ehe die Unterhaltung auch nur einigermaßen wieder in Gang kommen wollte. Auf den Ruf des neu Hinzugekommenen brachte der Kellner. ein Glas Zuckerwasser, worauf Ersterer ein Cigarren-Etui aus der Tasche zog, welches sehr frisch und neu war und auf der einen Seite eine Stickerei von weißen und blauen Perlen zeigte.
Herr von Tondern schielte lächelnd darauf hin, zeigte mit dem Ende seiner Cigarre auf die Stickerei und sagte, indem er Fremont aufmerksam machte: »Da kannst du sehen, welche Eroberungen Herr von Czrabowski seit der kurzen Zeit seines Hierseins gemacht. Du lieber Himmel! Es ist schon lange her, daß wir keine frischen Stickereien mehr gehabt haben.«
»Ich habe nie viel darauf gehalten,« sprach Fremont mit wegwerfendem Tone.
»O doch,« weinte Tondern; und auf den scharfen Zügen seines immer etwas malitiös aussehenden Gesichtes zeigte sich ein beinahe schwärmerisches Lächeln. »Es gab eine Zeit, wo ich eine gestickte Brieftasche für mein höchstes' Gut auf Erden ansah.«
»Damals mußt du sehr jung gewesen sein.«
»Ja, ich war leidlich jung und sie außerordentlich schön, aber schrecklich leichtsinnig. Das brachte uns endlich auch aus einander.«
»Armer Tondern!«
»Lieber Freund,« erwiderte wichtig der Andere, »solche Liaisons verstehst du nicht; ich sage dir, in den heimlichen Wegen, die man dabei zu machen hat, liegt etwas ungeheuer Reizendes. Da frag' den Herrn von Czrabowski. – Apropos,« wandte er sich mit einem Male an diesen, »man kann Ihnen ja gratuliren? – Sie wollen das kleine Mädchen wirklich heirathen? – Nehmen Sie mir nicht übel, da bedaure ich sie.«
»Mich?«
»Nein, nein!« lachte Tondern, »das Mädchen.«
»Das ist kein Compliment für mich,« meinte der Graf etwas geckenhaft, wobei er sein weniges Haar auf dem Kopfe zusammen zu bringen sich bemühte.
»Das soll auch gar kein Compliment für Sie sein,« entgegnete Herr von Tondern; der den gewinnenden Ton in seiner Stimme plötzlich fallen ließ und mit jener boshaften Schärfe sprach, die sogar ein gutes Wort von ihm verletzend machen konnte.
Fremont blickte neugierig in die Höhe.
»Wahrhaftig, werther Herr,« fuhr Tondern fort, »ich halte es eigentlich für eine Gewissenssache, den vielleicht braven Vater dieses unerfahrenen Mädchens nicht gewarnt zu haben, oder dies nicht heute noch zu thun.«
Der Graf Czrabowski war freundlich genug, das so eben Gesprochene für einen harmlosen Scherz zu nehmen, obgleich es in einem ganz anderen Tone gesagt war. Daher erwiderte er: »Verzeihen Sie, aber die junge Dame hat gar keinen Vater mehr.«
»Aber eine Gans von einer Mutter wird sie haben,« fuhr Tondern fort, »eine gewissenlose Person, die es charmant findet, daß ein Graf – Sie nennen sich ja Graf? – ihrer Tochter den Hof macht und sich herabläßt, dieselbe um guten Namen und sonst noch allerlei zu bringen.«
Baron Fremont hörte mit großem Erstaunen diesen Reden zu; er richtete den Kopf in die Höhe und sagte mit einem verlegenen Lächeln: »Tondern ist heute sehr spaßig aufgelegt; er hat so seine Momente.«
»O ja, wir haben unsere Momente; nicht wahr, Herr – Graf?« wandte sich Tondern mit einem spöttischen Lachen an Czrabowski, »wo wir einander gar nichts übel nehmen; wir kennen uns.«
Diese Worte waren von einem so scharfen Blicke begleitet, daß der Graf seine Augen auf das Wasserglas niedersenkte, daraus trank und alsdann versetzte: »O freilich, Herr von Tondern, wir kennen uns.«
»Gut, und da wir uns also kennen, so möchte ich jetzt wissen, werthester Herr, wie weit wir in unseren Angelegenheiten gekommen sind. – Verzeih', Fremont,« wandte er sich an diesen, »wir haben da ein Geschäft, und es wird dich wohl nicht geniren, wenn wir darüber in deiner Gegenwart verhandeln.«
Der Graf warf einen mißtrauischen, fragenden Blick auf den Sprecher, welchen der Baron bemerkte und sogleich sagte: »Wenn ich dich und diesen Herrn genire, so ist es besser, ich gehe in das Lesezimmer und komme später wieder, wenn ihr fertig seid.«
Tondern fuhr mit der Hand an das Kinn, wie man wohl zu thun pflegt, wenn man über etwas nachdenkt, dann meinte er nach einer Pause: »Ja, es ist besser, Fremont, laß uns einen Augenblick allein, aber vor allen Dingen bleibe in der Nähe; ich brauche dich nachher nothwendig.«
»Schön,« versetzte der Baron, worauf er sich langsam erhob und das Zimmer verließ, nachdem er gegen den Grafen leicht mit dem Kopfe genickt.
Dieser machte es sich bequemer, als Fremont das Zimmer verlassen; er schlug ein Bein über das andere, pfiff eine Melodie vor sich hin und nahm die Miene eines Mannes an, der vollkommen Zeit hat, zu erwarten, was der Andere ihn fragen wird, und der nebenbei durch kein Zeichen der Ungeduld zu verrathen geneigt ist, daß ihm an jener Frage etwas gelegen ist.
Tondern übersah die veränderte Haltung des Grafen Czrabowski durchaus nicht, doch that er langsam einen Zug aus der Cigarre und sagte nach einem längeren Stillschweigen: »Also in unserer Angelegenheit haben Sie etwas gethan?«
»Sehr viel sogar, und habe auch reussirt.«
»Den Teufel auch!« rief Tondern sich vergessend, da aus diesem Ruf viel Interesse und Ueberraschung zu hören war. »Wenn Ihnen aber Ihr Resultat viel Mühe gemacht hat, so thut mir das in der That leid, denn das Ganze ist eigentlich nicht viel mehr oder weniger als eine Grille von mir gewesen.«
Ueber die Züge des Polen fuhr ein unbeschreiblich schlaues Lächeln; aber es war ein gemüthliches Lächeln, wogegen Herr von Tondern gehofft hatte, auf dem Gesichte des Anderen etwas getäuschte Erwartung zu lesen.
»Ich habe es eigentlich auch als Grille aufgenommen,« sprach der edle Graf; »aufrichtig gestanden, machte es mir anfänglich Spaß, meine Geschicklichkeit zu erproben, die ich übrigens in dieser Angelegenheit nur gering anschlagen darf, denn es wurde mir eigentlich sehr leicht gemacht; Glück und Zufall haben mich begünstigt.«
»Da bin ich in der That neugierig,« entgegnete Herr von Tondern, indem er sich in den Stuhl zurücklehnte. »Lassen Sie mich hören.«
»Das sollte ich eigentlich nicht thun,« sprach der Graf unbefangen; »denn wenn die Sache nur eine Grille von Ihnen war, so ist es wohl thöricht von mir, Ihnen etwas mitzutheilen, was für Sie interesselos ist, für mich aber von großem Interesse werden kann.«
Obgleich Herr von Tondern vor Begierde brannte, den Andern sprechen zu hören, so war er doch so vollkommen Meister seiner selbst, daß er nicht durch die geringste Miene oder durch ein unbedeutendes Zeichen verrieth, wie gespannt er auf die Mittheilung des Grafen war.
»Das steht natürlicherweise in Ihrem Belieben. Wenn – Sie – sich aber – erinnern, –« er sprach diese Worte sehr langsam, während er sich mit fester Hand ein neues Glas Absinthwasser präparirte, »so habe ich Sie auf die Idee gebracht. Sie handelten eigentlich in meinem Auftrag, und deßhalb könnte ich wenigstens verlangen, daß Sie mir sagen, ob und wie Sie reussirt.«
»Es liegt auch durchaus nicht in meiner Absicht, Ihnen das vorzuenthalten,« versetzte der Graf. »Es verursacht mir sogar einiges Vergnügen, Ihnen die Geschichte mittheilen zu können, und wenn wir bis zum fraglichen Punkte gekommen sind, so können Sie mir ja immer noch sagen, wie weit die Sache für Sie Interesse hat.«
»Natürlich, darin haben Sie vollkommen Recht,« sprach Herr von Tondern mit dem wohlwollendsten Lächeln, obgleich er innerlich dachte: Dieser Schuft, dieser miserable, ist im Begriff, mir die schönsten Daumenschrauben anzusetzen!
Zu gleicher Zeit dachte der würdige Graf, indem er auf die harmloseste Art sein Zuckerwasser trank: Warte nur, diese affektirte Gleichgültigkeit sollst du mir theuer und klingend bezahlen!
»Sie wissen,« wandte er sich alsdann zu seinem Gegenüber, »daß ich die Bekanntschaft einer jungen Dame machte.«
»Ich weiß das, der Schwägerin des Herrn Rechtsconsulenten Plager. Darauf hin beauftragte ich Sie.«
»Richtig, darauf hin beauftragten Sie mich,« entgegnete der Andere mit großer Kaltblütigkeit und Ruhe. »Eigentlich war es gar nicht meine Absicht, mich an das junge Mädchen zu machen, vielmehr debutirte ich hier, indem ich an die verheirathete Schwester jener Dame – sie hat einen Banquier zum Manne – einen Empfehlungsbrief abgab.«
»Einen echten Empfehlungsbrief?«
»Sehr echt und von guter Hand. Aber es war da nichts zu machen; die Frau ist eine harmlose, prosaische Person und er ein engherziger Geldsack, so daß ich bei dieser Bekanntschaft nichts erreichte, als beim Rechtsconsulenten vorgestellt zu werden, wo ich von den Damen freundlich aufgenommen wurde und alsbald auch die Einladung zu einem Thee erhielt.«
Bei diesen letzten Worten lächelte der Graf so auffallend in sich hinein, daß Herr von Tondern nothwendig fragen mußte: »Und bei dieser Soiree eroberten Sie im Sturm das Herz der jungen Dame?«
»Das vielleicht nicht,« antwortete der Andere, »aber ich fand Gelegenheit, ihr Unterricht zu ertheilen, auf welche Art man einen polnischen Punsch braut.«
»So? – Weiter! weiter!«
»Wir wurden darauf näher bekannt, und es war vielleicht ein Glück für meine Angelegenheit, daß ich dem Rechtsconsulenten mißbeliebig wurde –«
»Und daß die Weiber des Hauses Sie deßhalb auf alle mögliche Art protegirten! Wir kennen das.«
»Es war in der That so, und einige Zeit nachher gaben Sie mir Ihren Wunsch in Betreff der Testaments-Angelegenheit zu erkennen.«
»Das that ich; aber ich hoffte, Sie hätten es verstanden, sich mit dem Rechtsconsulenten selbst gut zu stellen und so als Fremder, der bei der Sache ganz ohne Interesse ist, etwas über das Testament des Grafen Helfenberg zu erfahren.«
»Das konnten Sie in Wahrheit kaum denken,« sagte der Graf mit einem fast mitleidigen Lächeln, »Jemand, der so die Menschen kennt, wie Sie. In dem Falle, wenn nämlich der Rechtsconsulent so leichtsinnig gewesen wäre, mir Confidencen zu machen, wäre es ja mühelos und ohne alle Gefahr gegangen; während, wie ich die Sache angriff, ich so zu sagen doch viel riskiren mußte, um – Ihnen gefällig zu sein. – – Das junge Mädchen war so freundlich, mir nach einiger Zeit ein Rendezvous zu bewilligen.«
»Leichtsinnige Weiber!« brummte Herr von Tondern zwischen den Zähnen, wobei er mit einer Art von Eifersucht das schon ziemlich verlebte Gesicht des Polen flüchtig betrachtete.
»Dieses Rendezvous,« fuhr dieser mit großer Ruhe fort, »fand anfänglich in der Dämmerung auf der Promenade statt. Da wir uns aber beide nach einem Obdach sehnten, so fanden wir eines, und zwar in der Schreibstube des Herrn Rechtsconsulenten.«
»Das war sehr gut!« konnte sich Herr von Tondern nicht enthalten laut auszurufen.
Der Pole trank etwas Zuckerwasser, dann fuhr er, unbekümmert um jenen Ausruf, fort, während um seinen Mund ein sehr wohlgefälliges Lächeln spielte: »Womit wir unser Rendezvous ausfüllten, ist Ihnen wohl nicht interessant zu vernehmen. Genug, ich wandte meine Zeit in jeder Beziehung so richtig an, daß ich bald wußte, wo der Rechtsconsulent eine Mappe verwahrte, welche die Aufschrift trug: Wichtige Papiere. – Sie werden mir glauben, Herr von Tondern,« fuhr der Graf nach einer Pause mit einem geckenhaften Lachen fort, »daß es das kleine Mädchen ungeheuer komisch fand, als ich mich unter Tändeln und Scherzen außerordentlich neugierig stellte auf die furchtbaren Geheimnisse in den wichtigen Papieren eines Rechtsconsulenten. Man ist erfindungsreich, und ich verschwor mich, auf jeden Fall diese Papiere zu durchstöbern, um den vermeintlichen Heirathscontract des jungen Mädchens mit einem Manne aus der Stadt zu finden, von dem es hieß, er sei mit ihr verlobt, und welchen Contract ich, von Eifersucht gestachelt, um jeden Preis finden wollte.«
»Und statt dessen fanden Sie –?«
»Mit kurzen Andeutungen den Entwurf zum Testamente des Grafen Helfenberg.«
»Den Teufel auch!« rief Herr von Tondern, dessen affektirte Gleichgültigkeit mehr und mehr schwand. »Und dieser Entwurf –«
»Wurde mir nicht schwer, mir anzueignen.«
»Im Original?«
»Im Original – den Entwurf von der Hand des Rechtsconsulenten.«
»Und Sie haben ihn?«
»Hier in meiner Brusttasche, Herr von Tondern.«
»Oh, oh!« machte dieser, indem er sich über den Tisch beugte, »das ist allerdings ein gutes Geschäft.«
»Das kann es vielleicht für uns beide werden,« erwiderte in gemessenem Tone Graf Czrabowski, »im Falle es, wie Sie vorhin so freundlich waren zu bemerken, nicht bloß eine Grille von Ihnen war, den Inhalt wissen zu wollen. Wenn dies aber der Fall ist, so betrachten wir die Sache als abgemacht. Dieses Papier hier« – damit tippte er mit zwei Fingern auf seine Brusttasche – »ist mir wichtig genug, um es für mich zu behalten, vielleicht selbst zu verwenden, vielleicht es auch irgend Jemand zu überlassen, der mir nicht nur seine Erkenntlichkeit dafür bezeigt, sondern noch obendrein sehr dankbar ist.«
»Na, thun Sie nur nicht so verdammt spröde, Czrabowski,« gab Tondern mit einem cordialen Tone zur Antwort. »Für wie viel einem Andern dieses Papier wichtig ist, für so viel schätze ich es auch.«
»Sie werden eine Grille nicht theuer bezahlen wollen!«
»Und Sie können einen Spaß nicht vergessen, den man gemacht. Wie schon gesagt, was die Sache einem Andern werth ist, ist sie es mir auch – vorausgesetzt, daß Ihre Forderung meine Mittel nicht übersteigt.«
»O, Herr Baron von Fremont hat Vermögen und wird sich gern mit Ihnen associiren.«
»Fremont ist geizig,« antwortete Herr von Tondern; »und dann weiß ich auch nicht,« fuhr er mit gierigem Blicke fort, »ob der Inhalt des Testaments den Herrn von Fremont interessiren kann.«
»Er wird ihn interessiren,« entgegnete der Graf Czrabowski in bestimmtem Tone, wobei er schlau lächelte.
»Nun, dann lassen Sie Ihre Forderung hören!«
»Wenn ich es Ihnen sage, werden Sie mir zugeben, daß ich zu bescheiden bin. Fassen wir unsere Bedingungen kurz: ich übergebe Ihnen den Entwurf von dem Testament des Grafen Helfenberg, verfaßt von der Hand seines Rechtsbeistandes, des Herrn Doktor Plager, ein Papier, auf dessen Rand noch bemerkt steht: Genau so vollzogen im Palaste des Grafen, am 10. December Abends 7 Uhr.«
»Datum und Stunde ist richtig,« sprach Herr von Tondern zu sich selber.
»Zeugen waren,« fuhr der Andere fort, indem er jedesmal die Personen, wie er sie nannte, mit einer Bewegung der zwei ersten Finger seiner rechten Hand bezeichnete: »Baron George von Breda – Baron Fremont – Herr von Tondern – Doktor Flecker – Rechtsconsulent Doktor Plager.«
»Richtig, richtig,« murmelte der aufmerksame Zuhörer.
»Dieses Papier,« sprach der Graf unbefangen und in größter Ruhe weiter, »gebe ich zu jedem beliebigen Gebrauch in Ihre Hände und erhalte dafür tausend Thaler.«
»Teufel auch! tausend Thaler! Damit wäre allerdings eine Grille theuer bezahlt!«
»Tausend Thaler,« wiederholte der Pole unerschütterlich, »und –«
»Was? Noch ein Und?«
»Und Sie sorgen mir dafür, durch Ihre wichtigen Connexionen, daß meine Legitimations-Papiere, die vor einiger Zeit abgelaufen sind, durch meine Gesandtschaft ohne viel Nachfragen nach mir verlängert werden.«
»Das ist ja rein unmöglich!« rief Herr von Tondern, nachdem er einen Augenblick nachgedacht.
»Bei Ihren Connexionen?« versetzte der Graf lächelnd.
»Zum Henker, das Geld meine ich! Wo sollen wir tausend Thaler auftreiben? Meinen Sie, wir führen die tausend Thaler nur so in der Tasche mit uns herum?«
»Das nicht; ich bin zufrieden mit einem Wechsel in dem Betrage, den mir Herr Baron von Fremont auf seinen Banquier gibt.«
»Oder ich?« fragte listig der Andere.
»So werth mir Ihre Unterschrift zu jeder andern Zeit ist, Herr von Tondern, so muß ich bei vorliegendem Geschäft auf der des Herrn von Fremont bestehen.«
»Hol' Sie der Teufel! Ich werde Fremont herein winken.«
Der Baron hatte sich nämlich im anstoßenden Lesezimmer so gesetzt, daß er die Beiden im Auge behielt, indem er von Zeit zu Zeit über das Journal hinweg, in welchem er eifrig zu lesen schien, einen Blick hinüber warf.
»Dann noch Eins,« sagte Herr von Tondern, »nehmen Sie mir nicht übel, aber man kennt sich genugsam, um in alle Wege sicher zu gehen. Gesetzt den Fall, Fremont entschlösse sich zu einem Wechsel, wie Sie ihn bezeichnet, wer bürgt uns dafür, daß das Papier, welches Sie uns dafür übergeben, echt ist?«
»Dieses Wort könnte mich beleidigen; doch will ich es Ihnen nicht übel nehmen,« antwortete der Graf. »Nebenbei, daß Sie aus den angegebenen Notizen: Datum, Stunde und Zeugen, – schon an der Echtheit nicht zweifeln sollten, wird es Ihnen leicht sein, sich einen Brief des Herrn Doktor Plager zu verschaffen und damit die Handschrift zu vergleichen.«
»Mittlerweile haben Sie Ihre tausend Thaler und gehen, wohin es Ihnen beliebt.«
»Sie vergessen, daß ich Ihrer Hülfe bedarf, um meinen Paß in Richtigkeit zu bringen, und Herr Baron von Fremont könnte ja auch den Wechsel acht Tage nach Sicht stellen.«
Herr von Tondern dachte einen Augenblick nach, dann sagte er, während er einen lauernden Blick auf den Andern warf:
»Mit einem Wechsel, acht Tage nach Sicht, bezeigen Sie uns wieder so viel Vertrauen, daß das gerade im Stande wäre, uns auf den Glauben zu bringen, als habe es mit dem Papier nicht ganz seine Richtigkeit. Baron Fremont könnte ja am Tage vor Verfall seinem Banquier den Befehl geben, den besagten Wechsel nicht zu honoriren.«
Der Graf Czrabowski zuckte die Achseln und erwiderte:
»Darüber habe ich keine Besorgniß, und auch Sie sollten keine haben; ich habe es mit zwei Cavalieren zu thun, und was meine Sicherheit gegen Sie betrifft, so würde ich bei Nichtbezahlung des Wechsels Seine Erlaucht den Herrn Grafen Helfenberg ganz einfach von dem Hergange dieser Angelegenheit in Kenntniß setzen.«
»Sie sind gut gesattelt,« versetzte Herr von Tondern mit einem finstern Blicke.
»Was wollen Sie in dieser schlimmen Welt? Man hilft sich durch, so gut man kann.«
»Verlieren wir also keine Zeit,« fuhr Herr von Tondern fort, nachdem er dem Baron Fremont einen Wink gegeben, der sich alsbald hinter seinem Journal erhob und langsam in das Kabinet zurückschlenderte. – »Lassen Sie uns einen Augenblick allein, ich will mit meinem Freunde sprechen, und wenn er gesonnen ist, für eine – Sache, die uns am Ende nicht viel nützen kann, so viel Geld auszugeben, so könnten wir den Handel als geschlossen betrachten.«
»Und meine Papiere bei der Gesandtschaft?« fragte der Graf.
»Ja, den Teufel auch! was ist da zu thun? Wir können uns doch nicht bei der Gesandtschaft für Sie verbürgen!«
»Mit leichter Mühe,« entgegnete der Pole mit einem außerordentlich freundlichen Lächeln. »Es bedarf ja nicht mehr als ein paar Zeilen von Ihnen, unterstützt von einigen Worten des Herrn Baron von Fremont, und die Sache ist abgemacht.«
»Ich will sehen, was zu thun ist, lassen Sie uns nun zehn Minuten allein.«
Graf Czrabowski verließ das Zimmer und Baron Fremont trat dafür ein.
Der Letztere setzte sich auf den Stuhl, den er vor einer Viertelstunde verlassen, stützte den Ellbogen auf den Tisch und fragte mit leiser Stimme: »Nun, wie steht's mit der Angelegenheit?«
Herr von Tondern warf einen Blick ins Nebenzimmer und nachdem er sich überzeugt, daß Graf Czrabowski im äußersten Winkel desselben saß und eifrig seine Zeitung zu lesen schien, antwortete er: »Dieser Schuft hat das Concept zum Testament des Grafen Helfenberg richtig in Händen.«
»Der Tausend auch? Wo hat er's?«
»Bei sich in der Tasche, wie er sagt.«
»Und der Inhalt dieses Testaments?«
»Na, den wird er mir doch nicht auf die Nase binden, ohne sich gehörig dafür bezahlen zu lassen.«
»So, so!« gab Fremont zur Antwort, wobei er die Nägel seiner rechten Hand beschaute und seine Unterlippe etwas herabhängen ließ.
Tondern, der die Aenderung in der Physiognomie seines Freundes wohl bemerkte, sagte: »So viel er mich aber den Inhalt errathen ließ, muß derselbe sowohl für dich als für mich von großem Interesse sein.«
»Für mich wohl weniger,« versetzte der Baron mit angenommener Gleichgültigkeit. »Was nützen mir im besten Falle einige zehntausend Thaler mehr? Ich bin ja so: ich habe zu leben.«
»Du bist wohlhabend,« antwortete Herr von Tondern, wobei er das Du scharf betonte, »und deßhalb bin ich überzeugt, es wird dir auf eine Summe nicht ankommen, um jenes Papier zu erlangen, das deinem Freunde wahrscheinlich nicht nur für Zeit Lebens helfen kann, sondern ihn auch zu größter Erkenntlichkeit für dich verpflichten wird. Mit Einem Worte, Czrabowski verlangt für das Papier tausend Thaler, und zwar in einer Anweisung von dir auf deinen Banquier.«
Der Sprecher kannte seinen Freund genugsam, um zu wissen, daß es bei dessen schwankender und nachgiebiger Gemüthsarts am besten sei, ihn mit einem Male au fait zu setzen, was er denn auch that, indem er die eben gesagten Worte langsam und mit großer Entschiedenheit aussprach.
Baron Fremont hatte aber gute Lust, vor Schrecken von seinem Stuhle herunter zu fallen; wenigstens that er so, worauf er sehr kleinlaut zur Antwort gab: »Eintausend Thaler – das ist ja ein ganzes Vermögen!«
»Eintausend Thaler!« wiederholte der Andere mit Bestimmtheit. »Darunter thut er es nun einmal nicht. Ich habe mir Mühe genug gegeben, die Forderung dieses Kerls herabzustimmen.«
»Er will uns betrügen, dieser Czrabowski!« rief der Baron in komischer Angst. »Ich habe dir immer gesagt, daß das ein ungeheurer Lump ist.«
»Woran ich durchaus nicht zweifle,« antwortete Tondern mit großer Kaltblütigkeit. »Aber dieses Mal ist von keinem Betrug die Rede; ich habe mich durch seine Aeußerungen überzeugt, daß das Aktenstück in der That der Entwurf des Testaments von der Hand des Rechtsconsulenten sein muß. Auch weiß Czrabowski genau, daß der Inhalt desselben für uns und vielleicht auch für sonst Jemand, was weiß ich? von großer Wichtigkeit ist; denn als ich ihn herabstimmen wollte, meinte er ruhig: er kenne den Werth des Papieres vollkommen, und wenn wir nicht Lust hätten, es an uns zu bringen, so werde es ihm durchaus nicht schwer werden, eine andere Person zu dem Kauf zu bewegen.«
»Aber tausend Thaler!« versetzte der Baron, indem er seine weißen fleischigen Hände auf dem Tische über einander legte. »Tausend Thaler, die ich obendrein wohl allein zahlen muß! Denn du wirst nicht viel dazu geben können,« setzte er mit einem melancholischen Blick auf seinen Freund hinzu.
»Nicht einen Liard,« sprach dieser mit großer Ruhe; »ich bin im gegenwärtigen Augenblicke schlecht bei Kasse. – Du mußt eben,« fuhr er nach einer Pause fort, »die fünfhundert Thaler, die auf meinen Theil fallen, als eine Anleihe für kurze Zeit betrachten; denn da ich fest überzeugt bin, der gute Graf hat uns in seinem Testamente nicht schlecht bedacht, so brauche ich mich nur zu dem Rechtsconsulenten hin zu begeben, um durch seine Vermittlung einige lumpige tausend Thaler mit leichter Mühe aufzutreiben.«
»Und in dem Falle erhielte ich meine fünfhundert Thaler doch wohl nicht zurück?« fragte Baron Fremont im Tone des Zweifels.
»Dann erhältst du sie augenblicklich wieder, auf Ehrenwort. – Aber entschließe dich.«
»Nun, so laß denn diesen Kerl in Gottes Namen herein kommen,« erwiderte der Baron mit einem tiefen Seufzer. »Aber ansehen mag ich ihn nicht, das kannst du nicht von mir verlangen. Ich hasse den Kerl.«
»Es wird ihn sehr unglücklich machen,« lachte Tondern, »wenn er keinen einzigen Blick der Liebe von dir erhält. Aber Czrabowski wird sich mit seinen tausend Thalern zu trösten wissen. – Hm, hm!«
Er hustete so laut, daß nicht nur der Pole, sondern auch ein paar Kellner im Nebenzimmer aufmerksam wurden, die aber Tondern durch eine Bewegung mit der Hand zurückscheuchte. Darauf drehte er seinen Schnurrbart und sagte zu dem Eintretenden in nachlässigem Tone, wobei er ihn wie gelangweilt anschaute: »Wir haben uns in die betreffende Sache so weit eingelassen, daß wir denn auch noch den letzten Schritt thun wollen, und daß sich der Baron Fremont entschlossen hat, Ihnen die gewünschte Anweisung auf seinen Banquier zu geben. Aber ich kann Sie versichern, es ist verdammt viel Geld.«
Dieses Mal nahm der Graf einen Stuhl und ließ sich nieder, ohne eine Einladung abzuwarten, wobei er entgegnete: »Ich wäre in der That untröstlich, wenn Sie glauben sollten, einen schlechten Kauf gemacht zu haben, und wäre immer noch bereit, von dem ganzen Geschäfte zurückzutreten.«
Baron Fremont that, wie er vorhin gesagt, und schenkte dem Polen keinen Blick, ja, er wandte ihm zur Hälfte den Rücken zu, zuckte aber jetzt auffallend mit den Achseln, worauf Herr von Tondern sagte: »Die Sache ist abgemacht, sprechen wir also nicht weiter darüber. Fremont, du wirst so gut sein, die Anweisung zu schreiben.«
Ein Kellner brachte auf Verlangen Dinte, Feder und etwas Papier, und der Baron ging an einen Nebentisch, um die Schrift aufzusetzen, während Graf Czrabowski langsam seinen Rock aufknöpfte und aus der Seitentasche eine große stark gebrauchte Brieftasche zog, die er vor sich auf den Tisch legte und beide Hände darüber faltete, eine Bewegung, welche Herr von Tondern nicht zu sehen schien, da er in diesem Augenblicke den Rest seines Absinths austrank.
»Hier ist die Anweisung,« sagte Fremont, indem er seinem Freunde einen schmalen Streifen Papier hinreichte, wovon dieser ablas: »Acht Tage nach heute zahlen Sie an die Ordre des Herrn Grafen Czrabowski –«
Der Pole nickte zufrieden mit dem Kopfe.
»Die Summe von tausend Thalern und stellen mir solche auf Rechnung. Baron Fremont.«
Dieses Papier schob der Leser seinem Nachbar hin, dessen Hände sich aber immer noch nicht von der Brieftasche erheben wollten. Doch blickte er sehr freundlich in die Höhe und sagte: »Und das Andere, Herr von Tondern? Waren Sie so freundlich, das Andere mit dem Herrn Baron von Fremont zu besprechen?«
»Was für ein Anderes?« fragte der Letztere mit einem sehr unangenehmen Tone der Stimme. »Ich denke, mit dem Papier da wäre es wahrhaftig genug. Du hast mir doch von nichts Anderem gesagt, Tondern.«
»Nun ja,« antwortete dieser, »Czrabowski hat allerdings eine zweite Bedingung gestellt; er wünscht ein Wort von mir und dir an die –sche Gesandtschaft, damit sein Paß in Ordnung gebracht werde.«
»Um mich baldigst von hier entfernen zu können,« fügte der würdige Graf mit starker Betonung hinzu.
Fremont warf den Kopf mißmuthig von einer Seite auf die andere, hatte aber ein Augenblinzeln seines Freundes verstanden und versetzte deßhalb: »Meinetwegen auch das noch. Wenn du meinst, Tondern, so soll es uns auf ein Wort nicht ankommen.«
»Aber ein freundliches, Herr Baron,« bat der Andere demüthigst. »Es wäre doch auf jeden Fall höchst unangenehm, wenn man meiner Abreise Hindernisse in den Weg legen würde. Nebenbei würde ich es dankbarlichst für eine große Gefälligkeit ansehen, wenn Herr Baron von Fremont die Güte hätte, seinem Banquier, welchem Sie doch die Anweisung anzeigen werden, ein paar angenehme Worte in Betreff meiner zu sagen.«
»Das, ist nicht bedungen!« rief Tondern kopfschüttelnd.
»Das ist allerdings nicht bedungen,« sagte der Pole, indem er seinen Nachbar fest ansah, und setzte mit sehr bestimmtem Tone hinzu: »Aber ich erlaube mir, es jetzt noch zu bedingen. Ich bilde mir ein, wir, beide Parteien, sind noch am Unterhandeln und könnten allenfalls zurücktreten, wenn es uns nicht beliebte.«
Herr von Tondern, der, wie nicht zu leugnen, auf den Abschluß der Unterhandlungen sehr erpicht war, warf seinem Freunde abermals einen Blick zu, wobei er sprach: »Nun denn auch das noch! Du wirst auch das noch thun, Fremont, nicht wahr?«
»Meinetwegen, um dir einen Gefallen zu erzeigen.«
»Ich habe also das Wort der beiden Herren darauf?« versetzte Graf Czrabowski mit langsamem Tone, indem er sowohl Baron Fremont, als den Herrn von Tondern scharf ansah.
Ersterer nickte mit dem Kopfe und der Andere antwortete: »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort,« worauf er gierig nach der Brieftasche blickte, die der Pole nun langsam öffnete, daraus ein zusammengefaltetes Papier hervorzog und es dem Herrn von Tondern mit der einen Hand übergab, während er mit der anderen nach der Anweisung langte.
»Noch einen Augenblick,« meinte der Letztere, indem er den Wechsel mit den Fingern festhielt. »Ich will, ohne die Schrift zu lesen, nur eben sehen, ob die Randbemerkungen, die Sie mir vorhin mittheilten, von derselben Hand sind, wie das übrige Concept.«
Graf Czrabowski nickte mit dem Kopfe und versetzte lächelnd: »Ich habe nichts dagegen.«
Herr von Tondern schlug hastig das Papier auseinander, warf einen prüfenden Blick hinein und sagte dann, indem er es verdeckt auf den Tisch legte: »So weit wäre die Sache in Ordnung, die Randbemerkungen sind von derselben Hand. Wir können unsere Verhandlungen abschließen.«
Er zog seinen Finger von dem Wechsel zurück, den der Pole nun an sich nahm, durchlas und dann in seine Brieftasche steckte, die er hierauf sorgfältig in der Brusttasche verbarg. Auch erhob er sich, nachdem dies geschehen, und sprach mit einer anmuthigen Verbeugung gegen beide Herren: »Sie werden meine Gegenwart jetzt nicht mehr verlangen, und erlaube ich mir deßhalb, Ihnen einen guten Tag zu wünschen und mich zurückzuziehen.«
Baron Fremont hatte dem Tisch und den Beiden den Rücken zugewandt und machte sich an dem Fenster zu schaffen während sein Freund dem Grafen sagte: »Ich halte es wohl für überflüssig, Ihnen das strengste Stillschweigen anzuempfehlen, denn ein Sprechen über diese Angelegenheit könnte nur für Sie von üblen Folgen sein.«
Graf Czrabowski machte eine abermalige Verbeugung, wobei über seine Züge ein eigenthümliches Lächeln flog, welches ebenso gut heißen konnte: er habe vollkommen verstanden, als auch: es würde für die andere Partei vielleicht ebenso wenig angenehm sein, wenn der eben geschlossene Kauf in der Welt und der Gesellschaft bekannt würde.
Darauf verließ der Pole das Zimmer, man sah ihn durch die Glasthür des Café verschwinden und gleich darauf bei den Fenstern des kleinen Gemachs vorübereilen.
Baron Fremont hatte sich rasch dem Tische wieder genähert, ließ sich in ziemlicher Aufregung auf einen Stuhl nieder und blickte seinen Freund an, der die Hand auf das Blatt Papier gelegt hatte und ihm diesen Blick sonderbar lächelnd zurück gab, worauf er mit leiser Stimme sagte: »Lesen wir hier oder nehmen wir das Papier mit nach Hause?«
»Lesen wir hier, lesen wir hier!« gab Fremont dringend zur Antwort. »Den Teufel auch! Warum soll man sich martern? Ist es was Gutes, was das Papier enthält, so erfahren wir es nicht zu früh; ist es was Schlimmes, so wissen wir doch gleich, daß wir doppelt betrogen sind.«
»Emotion!« sagte Herr von Tondern nach einem tiefen Athemzuge; »ich versichere dich, es ist mir gerade so, als hatte ich meine letzten hundert Gulden auf eine Karte gesetzt. – Rien ne va plus.«
»Zieh ab, zieh ab!« rief Baron Fremont in komischer Angst.
Und Herr von Tondern nahm das Papier in die Höhe und fing an mit etwas beklommener Stimme zu lesen, wobei er auch häufiger, als er sonst wohl zu thun pflegte, den Athem in langen Zügen an sich zog. Seine Stimme aber wurde in kurzer Zeit deutlicher und reiner, ja, sie nahm einen freudigen Klang an, und sein Auge leuchtete zufrieden, als er unter den zahlreichen Legaten sich und Fremont jeden mit einer bedeutenden Summe erwähnt fand.
Letzterer hatte den Kopf auf die Hand gestützt, und als er nun den Vorleser unterbrach, indem er sagte: »Er ist doch ein guter Mensch, dieser Graf Helfenberg!« verriethen diese Worte eine Rührung, die auch Tondern affektirte, indem er leicht seufzte und mit dem Lesen inne hielt, während er mit der einen Hand über die Augen fuhr.
Als er aber gleich darauf wieder seinen Blick auf das Papier wandte, malte sich ein solches Erstaunen auf seinem Gesichte, daß der Baron unwillkürlich näher rückte und ein ängstliches: »Nun, nun?« hören ließ.
Tondern las: »Mein Gut Stromberg, wie es im Güterbuch der Gemeinde Stromberg, Seite 24–26 beschrieben ist, mit allen darauf ruhenden Rechten bestimme ich –«
Der Vorleser machte eine Pause, wobei er seinen Freund lächelnd ansah, der nun in wirklicher und großer Aufregung die Hände über einander legte und fast athemlos ausrief: »Tondern, mache um Gottes willen keine schlechten Späße! – Lies weiter, lies weiter – oder nein, nein! lies nicht weiter – laß mich selbst hinein schauen.«
Und er bog sich hastig über den Tisch hinüber, faßte das Papier mit zitternder Hand, indem er wirklich selbst hineinschaute.
»Bestimme ich,« las Tondern trotzdem, »dem Fräulein Eugenie von Braachen als Beweis, wie sehr ich ihr zugethan, wie sehr ich sie geliebt.«
Der Baron fiel in seinen Stuhl zurück und ließ seine Hände schlaff am Körper herabhängen.
Tondern betrachtete die Stelle zwei, drei Mal, dann schlug er mit der linken Hand heftig auf das Papier und sagte triumphirend: »Jetzt wirst du zugeben, daß dieses Ding da mit tausend Thalern nicht zu theuer bezahlt ist.«
»Wache ich oder träume ich?« rief der Baron, indem er die Hände emporhob; »Graf Helfenberg liebt Fräulein von Braachen und vermacht ihr dieses prächtige Gut Stromberg! – Aber warum heirathet er sie denn nicht lieber?«
Herr von Tendern zuckte mit den Achseln und sprach in wegwerfendem Tone: »Wie kann man aber auch solche Fragen stellen? Wenn man sein Testament macht, denkt man nicht ans Heirathen.«
»Wahr, sehr wahr,« antwortete der Baron und stützte dabei den Kopf abermals in die Hand, worauf er in tiefes Nachsinnen versank.
Tondern las das Papier wiederholt durch, dann blicke er in die Höhe, während er die Augenbrauen zusammenzog und den Schnurrbart langsam aufwärts drehte.
Fremont fuhr aus seinen Träumereien am ersten wieder auf und sagte alsdann: »Diese junge Dame ist jetzt die reichste Erbin im Lande.«
»Das Gleiche dachte ich eben.«
»Eine vortreffliche Partie. Was meinst du, Tondern?«
»Was ich meine,« entgegnete dieser, nachdem er einen Blick in die vorderen Räume des Kaffeehauses geworfen, »läßt sich nicht gut hier an diesem Orte besprechen. Ich denke, wir gehen nach Hause.«
»Ja, gehen wir nach Hause, du dinirst bei mir?«
»Auf alle Fälle, und nach dem Diner –«
»Betrachten wir aufmerksam diese Angelegenheit«
»Um zu sehen,« unterbrach ihn Tondern mit einem sehr freundlichen Lächeln, »wie wir unsere tausend Thaler mit wucherischen Zinsen zurückerhalten können.«