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Dreiunddreißigstes Kapitel.
Poesie und Prosa


Friedrich war unterdessen nach dem hinteren Zimmer gegangen, einem kleinen Stübchen, wo nur ein einziger Tisch mit vier Stühlen Platz hatte, weßhalb dieses Stübchen gewöhnlich von Partieen benutzt wurde, die unter sich und allein sein wollten. Zwei Stühle waren schon besetzt, als der Groom eintrat, und zwar der eine durch den Gärtner Andreas, der so breit wie möglich vor dem Tische saß, beide Arme darauf gelegt hatte und mit halb geschlossenen Augen vor sich hin lächelte, wie er gern zu thun pflegte, wenn er sich in gemüthlicher Laune befand, das heißt bei ihm, wenn es irgend eine Bosheit zu überlegen oder auszuführen gab.

Seinen Nachbar würde der geneigte Leser schwerlich wieder erkennen, obgleich wir schon einmal im Verlaufe dieser wahrhaftigen Geschichte uns erlaubt haben, denselben vorzustellen. Es war das ein hübsch aussehender Mann in elegantem schwarzem Paletot, einer feinen, untadelhaften Halsbinde, aus der blendend weiße Hemdkragen hervorsahen, und einem Kopfe, den man hätte schön nennen können, wenn die Gesichtsfarbe nicht gar so bleich und verlebt gewesen wäre, und wenn nicht beständig um den Mund ein unangenehmes, malitiöses Lächeln gespielt hätte. Der Mann trug einen schwarzen Backenbart, von der Wange in einer scharfen Linie gegen die Mundwinkel laufend, sein ebenfalls schwarzes Haar war sorgfältig frisirt, an den Händen trug er Handschuhe, und die Art, wie er den rechten Arm auf den allerdings nicht übermäßig sauberen Tisch aufgelegt hatte, zeigte, daß er sich scheue, mit demselben in Berührung zu kommen, und nur ungern seiner Bequemlichkeit dieses Opfer brachte.

Es war François, der Kammerdiener der Baronin von Braachen, und wenn man ihn genau anblickte, so sah man auf seinem weißen Gesichte immer noch eine feine, röthliche Schmarre, die zuweilen mit dem Finger zu befühlen er sich seit jener Zeit zur Gewohnheit gemacht hatte, – eine Berührung, die gerade nicht dazu geeignet war, wohlwollende Gefühle für die Tochter seines Herrn aufkommen zu lassen. Er hatte sich ein Glas Punsch geben lassen, da er Bier oder Wein nicht zu trinken pflegte.

Als der Groom eintrat, hob Andreas seinen Kopf empor und fragte: »Nun, ist dein Herr Bruder zu Haus? Werden wir die Ehre von ihm haben, oder verschmäht er uns?«

»Glücklicherweise verschmäht er uns vorderhand,« antwortete Friedrich lachend. »Später schenkt er uns wohl doch auf einen Augenblick die Ehre seiner Gesellschaft.«

Er rückte einen Stuhl an den Tisch und setzte sich nieder.

Der Gärtner hob sein Glas empor, hielt es gegen das Licht, wobei er leise vor sich hin pfiff, dann trank er und sagte zu dem Kammerdiener: »Es ist mir unbegreiflich, daß Sie, wie Sie vorhin sagten, kein Bier trinken. Jetzt im Winter kann man es am Ende schon lassen, aber wenn ich Sommers das warme Zeug da in mich hinein gießen müßte, da käme ich vor Hitze um.«

»Sommers trinke ich Wasser oder etwas Limonade,« sprach der Italiener affektirt, wobei er seinen Backenbart strich und dann mit dem Zeigefinger leicht über jene Schramme fuhr.

»Da hat unser Friedrich dort eine Aehnlichkeit mit Ihnen,« sprach der Gärtner lachend, »das heißt, er thut so, als wenn er Bier oder Wein für sein Leben gern tränke; aber von dem, was eine Fliege vertragen kann, hat er schon einen Rausch. Ich behaupte, er hat so schon zu viel Geist in sich, daher macht ein bischen mehr gleich Spektakel bei ihm.«

Der Groom trank wohlgefällig aus seinem Glase, als der Andere so von ihm sprach, und François, ohne seinen Kopf im Geringsten zu wenden, warf einen spöttischen Blick auf ihn.

»Ich sage Ihnen,« wandte sich Andreas an den Kammerdiener, »das ist überhaupt ein ganz merkwürdiger Kerl, der Kleine da. Wo es bei ihm steckt, das habe ich noch nie ergründen können; aber sollten Sie glauben, daß alle Frauenzimmer in ihn vernarrt sind? Da ist die Nanett, die Kammerjungfer der gnädigen Frau, die hat er völlig unglücklich gemacht.«

Der kleine Reitknecht zuckte mit den Achseln, als wollte er sagen, er verstehe wohl die Worte des Gärtners nach ihrem wahren Werthe zu beurtheilen; doch zeigte sich zu gleicher Zeit auf seinem Gesichte ein pfiffig sein sollender Ausdruck, der erkennen ließ, wenn man ihn auch zum Besten habe, so wisse er doch, was er wisse.

»Und warum hat er die Nanett unglücklich gemacht?« fragte François, nachdem er an seinem Punschglase genippt.

»Weil er ihr Hoffnungen erregt, die er später nicht Lust hatte zu erfüllen.«

»Wer doch auch so übertreiben könnte, wie Ihr, Andreas!« sagte nun der Reitknecht. »Ja, es ist wahr, ich war gegen das Mädchen aufmerksam, und sie hat das freundlich aufgenommen, aber dabei blieb's auch,« fügte er mit einem ernsten Blicke hinzu, während er leise seufzte. »Von Unglücklichsein ihrerseits ist keine Rede. Ja, ihrerseits nicht.«

Der Gärtner kniff sein linkes Auge gegen den Kammerdiener zu, der zum Zeichen des Einverständnisses ganz leicht mit dem Kopfe nickte und darauf sprach:

»Das Ihrerseits, was Sie zweimal wiederholten, läßt ja fast vermuthen, als wenn Jemand anders unglücklich wäre. Friedrich, Friedrich! Sie sind ein feiner Mensch und ein verwegener Geselle.«

»Ja, verwegen ist er,« sagte Andreas scheinbar mit großem Eifer und großer Aufrichtigkeit. »O, er ist so verwegen, daß man das gar nicht sagen kann.«

»Im Grunde hat er Recht,« entgegnete der Kammerdiener, nachdem er, wie über etwas ernstlich nachdenkend, vor sich auf den Tisch geschaut. »Wer nicht in die Höhe strebt, der bleibt am Boden kleben, und – wer nicht wagt, der gewinnt auch nicht.«

»Da eben liegt der Hund begraben,« versetzte der Gärtner mit sehr bestimmten Tone. »Ich versichere Sie, in seinem Geschäfte hat er einen ungeheuren Muth; im Reiten thut's ihm Keiner gleich, das sagt sogar der Kutscher, der sonst immer Händel mit ihm hat. Aber wo es auf etwas Anderes ankommt, da ist Monsieur Friedrich nicht zu haben.«

»Das kann man von mir nicht sagen,« entgegnete der kleine Groom gekränkt. »Was Einer wagen kann, das thu' ich auch.«

»Man kann sich das nicht geben, wenn man's nicht hat,« meinte François. »Aber in dem Falle wäre es schade, wenn er sich durch eine übergroße Scheu vielleicht von seinem Glücke abhalten ließe.«

»Ja, was Glück!« sprach Friedrich, wobei er sich am Kopfe kratzte; »das sagt der Andreas nur so, um mich anzutreiben.«

»Um dich anzutreiben? – Da seh' einmal Einer!« rief der Gärtner im Tone des größten Erstaunens. »Was habe ich davon, ob du dich antreiben lassest? Und dann will ich dich auch gar nicht antreiben; ich habe nur gesagt: wenn er nicht sieht, daß das Fräulein ihm über alle Maßen wohlgeneigt ist, muß er blind sein, wie ein Maulwurf.«

Friedrich blickte erwartungsvoll auf den Kammerdiener, der mit dem Kopfe nickte und nach einigen Sekunden sagte: »Auch mir ist das ganz glaublich, ja, ja, vollkommen erklärlich.«

»Siehst du, ungläubiger Thomas?« nahm Andreas abermals das Wort, wobei er den Andern leicht an den Arm stieß, wie um ihn aufmerksam zu machen. »Auch dem Herrn François ist das glaublich und erklärlich. Und daß der solche Geschichten kennt, das wirst du doch wohl nicht läugnen wollen.«

»Es liegt Alles in der Art,« fuhr der Kammerdiener fort, »wie das Fräulein ihm ihr Wohlwollen zu erkennen gibt; man kann damit anziehen und abstoßen. Wenn sie freundlich mit ihm ist, so wollte das nicht viel beweisen; man Müßte erst wissen, ob sie ihn auf irgend eine Art, und wie, den Andern vorzieht.«

»Na, wenn Friedrich nicht wissen sollte, daß sie das thut, so will ich ein Schaf sein!« rief der Gärtner, indem er die Hände zusammenschlug. »Das läßt sich an tausend Kleinigkeiten merken. Will sie bei Tische Wasser haben, so muß es ihr Friedrich präsentiren, tritt sie auf ihren Spaziergängen durch den Garten in den Stall, so thut sie es gewiß nur in dem Augenblicke, wenn er dort ist. – Kannst du das läugnen?« wandte er sich an den Reitknecht. »Und kannst du auch läugnen, daß sie neulich absichtlich ihr Taschentuch fallen ließ, damit du es ihr in die Hand geben solltest?«

»Daß sie es fallen ließ, ist schon wahr,« sagte der Groom, »aber eine Absichtlichkeit – nein, daran kann ich nicht glauben.«

»Man läßt im Stalle nie ohne Absicht ein Taschentuch fallen,« sprach in sehr bestimmtem Tone der Kammerdiener, »ich kenne das.«

»Hörst du, Herr François kennt das!« rief Andreas eifrig. Doch fuhr er gleich daraus achselzuckend und mit großem Unmuth fort, wobei er aber, ohne daß es Friedrich sah, einen aufmunternden Blick auf den Kammerdiener warf: »Doch was geht mich die ganze Geschichte eigentlich an? Wenn ich dem Burschen da nicht so gut wäre und es mich freuen würde, wenn er zu seinem Glücke käme, da hätte ich wahrhaftig nie ein Wort darüber verloren. Sieh den Herrn Kammerdiener an, was das für ein Mann geworden ist. Und wie die Sachen stehen, könntest du es noch weiter bringen. – Glauben Sie wohl,« fuhr er gegen François gewandt fort, »daß ich für das Fräulein ein Bouquet machen sollte, und daß sie mir sagte, als ich es ihr übergeben wollte: Friedrich kann es auf mein Zimmer tragen! Nun, wenn das nicht deutlich genug ist, dann weiß ich nicht mehr, was deutlich sein soll.«

Der Kammerdiener fuhr mit den Fingern leicht und wiederholt über die Schramme in seinem Gesichte, dann sagte er wie zu sich selber: »Ja, ja, es liegt in der Familie.«

Obgleich er dies sehr leise sprach, so hatte es doch Friedrich, der gespannt auf seine Worte horchte, wohl verstanden.

»Wenn Jemand freilich,« fuhr der Kammerdiener laut fort, »keinen Muth besitzt, so greift er eine Sache falsch an und verdirbt wehr, als er gut macht.«

»Ja, Muth muß man freilich haben,« meinte auch der Gärtner, indem er verdrießlich die Arme über einander schlug; »aber der ist nicht Jedermann gegeben.«

»Ihr habt gut reden, Andreas!« rief der Groom ärgerlich, »was soll ich da meine Haut zu Markte tragen, wo ich doch überzeugt bin, daß Alles nichts ist? Freilich ist sie schön, ach! so schön, daß Einem das Herz aufgeht, wenn man sie nur ansieht; aber auch ebenso stolz; und wenn ich auch Muth genug habe, so muß ich doch sagen, daß ich fast in die Kniee schnappe, wenn sie nur einen ernsten Blick auf mich wirft. – – Dann – ist – auch – – der gnädige Herr –«

François horchte auf, doch trank er im nächsten Augenblicke scheinbar mit großer Gleichgültigkeit aus seinem Glase.

Der Gärtner hatte aber wohl den Blick im Auge des Italieners bemerkt und sagte, indem er sehr künstlich lachte: »Friedrich, du bist doch ein kleines Ungeheuer! Was willst du vom gnädigen Herrn sagen?«

»Ich will nichts von ihm sagen,« antwortete mürrisch der Reitknecht. »Aber er hat die Augen so auf alles, was im Hause geschieht, namentlich auf das, was das Fräulein thut, daß ihm nicht das Geringste entgehen könnte.«

»Seh' mir Einer den Unverstand an!« sagte Andreas. »Als wenn der gnädige Herr etwas sehen sollte, was sie nicht will sehen lassen. Aber sparen wir unsere Worte; man muß Niemand zu seinem Glücke zwingen wollen, der keine Luft hat, etwas dafür zu wagen.«

»Das Gleiche denke ich auch,« meinte François, geziert lächelnd. »Da ich meinen Punsch ausgetrunken habe, auch meine Zeit zu Ende geht« – er zog dabei mit großer Absichtlichkeit seine schöne goldene Cylinderuhr aus der Tasche, die an einer schweren Kette von gleichem Metall hing – »so denke ich, wir sparen unsere Worte und lassen den Herrn Friedrich thun, was ihm gut dünkt.«

Damit erhob er sich, und der Gärtner folgte seinem Beispiele; dann schlug Letzterer den Groom leicht auf die Schulter, und sagte ihm: »Ueberlege genau, was wir gesprochen. Ich muß jetzt nach Hause, um meine Glashäuser zuzudecken. Du wirst wohl noch da bleiben und deinen Bruder erwarten. Geh in dich und fasse Muth; wahrhaftig, wenn ich an deiner Stelle wäre, da solltest du in den nächsten Tagen was erleben.«

Damit gingen die beiden würdigen Männer zur Thür hinaus, François mit hoch erhobenem Kopfe, gespitztem Munde, ohne sich nach dem kleinen Reitknechte umzuschauen. Während er durch die vorderen Zimmer der Wirthschaft ging, liebte er es, seine schwere goldene Kette häufig um den Zeigefinger zu wickeln.

Vor der Hausthür angekommen, blieben die Beiden bei einander stehen und der Kammerdiener sagte: »Nur nicht nachlassen! Man muß dem dummen Burschen jeden Tag einheizen, bis er warm genug ist. Macht er aber einmal einen dummen Streich, dann verlasse ich mich auf Sie, Andreas, daß Sie mich aufs Schnellste davon in Kenntniß setzen.«

»Und wenn es am Ende doch nichts nützt?« antwortete der Andere. »Wenn das gnädige Fräulein einfach die Reitpeitsche nimmt und unseren Freund zum Hause hinaus jagt, was dann?«

»Einen Skandal gibt's auf alle Fälle,« entgegnete François, nachdem er einen Augenblick nachgedacht. »Und wie ich dieses wilde, trotzige Geschöpf kenne« – bei diesen Worten strich er abermals über seine Wange und biß die Zähne leicht auf einander – »reißt das so tief in ihr Herz, daß da Alles zu erwarten ist. Das Haus muß ihr verhaßt werden. Auch können Sie sich denken, daß ich schon auf andere Weise vorgearbeitet habe. Man hört hier und da etwas, wie auffallend sich der Herr Baron von Breda seiner Nichte annimmt; die guten Leute schütteln begreiflicher Weise den Kopf darüber und finden daran eine ausgesprochene Neigung. Das geradezu bei uns zu sagen, werde ich mich wohl hüten; denn die gnädige Frau ließ schon früher einmal Worte fallen – – aber,« unterbrach er sich mit einem Mal, »wie vorhin bemerkt: unterlegt ist die Sache aufs Beste, es braucht nur eines gelinden Anstoßes, und wir rollen von unserer Höhe den Berg hinab.«

»Wir hören dann auf, alte Diener des Hauses zu beaufsichtigen und zu chicaniren!« rief triumphirend der Gärtner.

»Und wenn wir darauf wieder sehr enttäuscht in die Heimat zurückkehren, so werden wir uns doch nach und nach entschließen müssen, in manchen sehr sauren Apfel zu beißen.«

Dies sagte François, der Kammerdiener, indem er behaglich seinen Backenbart strich, während aber zugleich ein wildes Feuer aus seinen Augen blitzte.

Darauf reichten sich Beide die Hände, und Jeder ging seiner Wege, der Eine hierhin, der Andere dorthin.

Der kleine Groom war in dem Hinterstübchen allem geblieben, hatte den Ellbogen auf den Tisch gestützt und den Kopf darauf gelegt, aber in einer Art, wie man es wohl zu machen pflegt, wenn man eifrig über etwas nachdenkt, das im Stande ist, einem den guten Humor zu verderben. Er drückte nämlich mit seiner Faust die rechte Wange so in die Höhe, daß von dem Auge über derselben fast nichts mehr sichtbar war. Auch hatte er seinen Hut wieder ausgesetzt und ihn recht schief auf ein Ohr gerückt, nicht weil es ihn barhäuptig fror, sondern weil er die Schritte seines Bruders vernahm, und weil er dachte, er sehe imponirender aus, wenn er mit dem Hut aus dem Kopfe dasäße.

Was sein Herz in diesem Augenblick bewegte, sind wir nicht im Stande, genau anzugeben, denn er war sich dessen selbst nicht recht bewußt. Wenn auch der Gärtner in der betreffenden Angelegenheit durch aufreizende Worte, Schmeichelreden und die handgreiflichsten Lügen aller Art seine Phantasie möglichst gesteigert hatte, so war er dagegen in ruhigen Momenten so vernünftig, sich selbst vor einem Schritte zu warnen, der neben einem schönen Ausgange auch verschiedenes Unangenehme haben konnte und wobei es sehr ungewiß blieb, welchem dieser Ausgänge er zufliegen würde. Wir sagen: in ruhigen, vernünftigen Momenten dachte er so; aber leider waren diese höchst selten bei ihm.

Der Kellner trat demnach in das Gemach, und da er die Anderen nicht hatte weggehen sehen, so blickte er nicht nur einigermaßen erstaunt um sich, sondern sagte auch:

»Ich glaubte, du seiest in Gesellschaft. Wo sind denn die Anderen?«

Friedrich machte, ohne seine Stellung zu verändern, eine Handbewegung nach der Thür, worauf sein Bruder fortfuhr:

»Mir scheint, du bist schlecht gelaunt, und da wird wohl unsere Unterhaltung ziemlich spärlich ausfallen; vielleicht willst du auch mit deinen Gedanken allein sein, und wenn das der Fall ist, so hast du es nur zu sagen, ich habe ohnedies noch genug zu schaffen.«

Nun war es aber dem Groom in diesem Augenblicke nicht darum zu thun, allein zu bleiben; denn so sehr er auch nachdachte, brachte er doch nichts Gescheidtes zusammen; im Gegentheil, er begann sich zuweilen vor seinen eigenen Gedanken zu fürchten, da sie mitunter, wie nicht zu läugnen, ziemlich extravagant waren. Deßhalb veränderte er langsam seine Stellung, blickte seinen Bruder an und bemerkte: »Wenn ich allein sein wollte, da wäre ich wohl mit den Anderen fortgegangen und nicht hier zurückgeblieben.«

»Aber verdrießlich bist du?«

»Verdrießlich eigentlich nicht, aber bekümmert.«

Bei diesen Worten stützte Friedrich den Kopf auf die linke Hand und seufzte ziemlich auffallend, und zugleich zwinkerte er auf eigentlich komische Art mit den Augen.

Windspiel hatte sich auf der anderen Seite des Tisches niedergelassen, strecke die zusammengefaltenen Hände vor sich aus und drehte mit den Zeigefingern derselben langsam das Salzfaß herum, welches vor ihm stand.

»Wenn du bekümmert bist,« sagte er, »so mußt du also Kummer haben, und da es für alle Arten von Kummer einen kräftigen Trost gibt, so wäre ich vielleicht im Stande, etwas für dich zu thun, wenn du es nämlich für gut fändest, mir die Ursache deines Kummers mitzutheilen.«

Der kleine Reitknecht spucke neben sich auf die Erde, wobei er sich bemühte, ein recht melancholisches Gesicht zu machen; dann entgegnete er:

»Es gibt eine gewisse Art Kummer, welchen zu fühlen du aber noch nie Gelegenheit hattest« – dies sprach er mit Geringschätzung – »und den nur eine einzige Person zu lindern im Stande ist. Daß du aber diese Person nicht bist, das kann ich dir versichern.«

»Das wäre Liebeskummer,« meinte Windspiel, »der schlimmste von allen.«

Er ließ das Salzfaß los und bewegte die Finger, als sei er gerade im Begriff, die Saiten einer Guitarre zu verarbeiten. »Ja, Liebeskummer.

Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu,
Und wem sie just passiret,
Dem bricht das Herz entzwei.

– – Und doch sagt der Dichter:

Glücklich allein ist die Seele, die liebt.

Es ist das sehr schön componirt, und ich spiele es zuweilen Abends, wenn der Mond scheint.«

»Was der Dichter sagt, ist mir sehr gleichgültig,« versetzte mürrisch der Groom; »nur so viel ist gewiß, daß, wenn ich liebe, ich das durchaus nicht mit großem Glücke thue.«

»So liebst du also unglücklich?« sprach der Kellner mit einem leichten Anflug von Begeisterung. »Das ist um so schöner.«

»Warum um so schöner?«

»Weil es sehr poetisch ist.

Hangen und bangen in schwebender Pein,
Himmelhoch jauchzen, zum Tode betrübt,
Glücklich allein ist die Seele, die liebt.«

Diesmal sang Windspiel die Melodie zu den Worten, wobei ihm der Reitknecht zuhörte, mit finsterem Blick und einem unverkennbaren Zug von Verachtung um die aufgeworfenen Lippen. Doch ließ er sich gleich darauf herab, zu sagen: »Man kann unglücklich lieben und doch wieder nicht unglücklich.«

»O ja, das kann man,« antwortete schwärmerisch der Kellner, indem er seine Augen gegen die Zimmerdecke erhob. »Man kann zum Beispiel eine vornehme Dame lieben, auch von ihr wieder geliebt werden, aber unserer Verbindung stellen sich unüberwindliche Hindernisse in den Weg. Das ist noch schöner, noch poetischer.«

Er begleitete diese Worte mit einer ausdrucksvollen Bewegung der rechten Hand.

»Und daran findest du nichts Unrechtes?« fragte Friedrich.

»Gewiß nicht; wer kann seinem Herzen gebieten?«

»Nun, dann freut es mich, daß wir doch einmal einerlei Ansicht sind – denn ich liebe eine vornehme Dame.«

»Oh, oh!« machte Windspiel mit einem Tone großer Ueberraschung. »Du? Mach keinen schlechten Spaß!«

»Na, ob das wie ein schlechter Spaß klingt!« sprach der kleine Reitknecht gereizt, schob seinen Hut noch verwegener auf das Ohr und setzte sich aufrecht hin, um seinen Bruder fest anzusehen. »Und wenn dir das so unglaublich erscheint, so dauern mich die paar Worte, die ich an dich verschwendet.«

»Bei Gott ist allerdings nichts unmöglich,« antwortete Windspiel kleinlaut. »Aber ist es wirklich eine vornehme Dame, oder thut sie nur so?«

»Sie thut nicht nur so,« versetzte der Andere in wegwerfendem Tone, »sie ist es in der That.«

»Und sie liebt dich?«

»Wenn ich nicht irre, ja.«

»Darin kann man sich schwerlich irren,« meinte der Kellner kopfschüttelnd. »Aber zu einer Erklärung ist es zwischen euch noch nicht gekommen?«

»Bis jetzt noch nicht,« sprach der Groom mit leiser Stimme, wobei er, offenbar von widersprechenden Gefühlen bewegt, die Augenbrauen emporhob und sich an dem Kopfe kratzte. – »Das geht nicht so geschwind; ich bin doch eben nur Reitknecht, und sie ist eine vornehme Dame.«

»Kennt denn die Liebe Standesunterschiede?« sagte Windspiel begeistert. »O nein!«

Dabei lächelte er süß und machte abermals mit den Fingern eine Bewegung, als sei er mit seiner Guitarre beschäftigt.

Im süßen Traum, bei stiller Nacht,
Da kam zu mir, mit Zaubermacht,

Mit Zaubermacht, die Liebste mein,
Sie kam zu mir ins Kämmerlein.«

»Also hältst du es doch für möglich, daß mich die vornehme Dame liebt?«

Der Kellner warf einen trüben Blick auf seinen Bruder und antwortete dann zögernd: »O ja, es ist schon möglich; natürlich wirst du aber keine Beweise haben.«

»Und wenn ich diese Beweise hätte, würdest du mir rächen, eine Erklärung zu wagen?«

»Gewiß!« rief Windspiel, indem er wiederholt mit der Hand agirte. »Eine solche Erklärung soll etwas ganz Köstliches sein; sie allein, wie die Dichter sagen, ist schon im Stande, eine Liebe zur völligen Reife zu bringen, alle Schranken zu durchbrechen. – Ich liebe dich! O, wie das wunderschön klingt! Wahrhaftig, ich muß mich nächstens auch einmal zu einer Leidenschaft verstehen, nur um sagen zu können: Ich liebe dich.«

Der kleine Reitknecht pfiff vor sich hin, wie er zu thun pflegte, wenn er Lord, der zuweilen unruhig sein konnte, striegelte und putzte. Dann spuckte er abermals heftig auf den Boden und meinte:

»Es hat doch seine Schwierigkeiten. Wenn ich mich geirrt hätte und die vornehme Dame lachte mich aus, so wäre das sehr unangenehm.«

»Unangenehm wohl, das ist nicht zu läugnen,« sagte Windspiel, wobei er nachdenkend vor sich hinsah. »Aber poetisch, sehr poetisch. Und dann ist noch kein Baum auf den ersten Hieb gefallen. Wenn sie sich auch von dir abwendet« – dabei machte der Kellner die Bewegung des Abwendens sehr ausdrucksvoll – »so muß die Fürstin doch denken,« fügte er schwärmerisch hinzu, »dieser Leibpage ist ein kecker Knabe. Und wenn du ihr das nächste Mal vom Pferde hilfst« – er dachte an das Glasgemälde – »so wirst du vielleicht einen zarten Druck ihrer Hand auf deinem Arm verspüren.«

»Ja, vom Pferde hilft ihr der gnädige Herr gewöhnlich selber,« sagte Friedrich, der nicht dazu gemacht war, dem poetischen Fluge seines Bruders zu folgen. »Und der Herr Baron ist es auch, den ich am meisten fürchte.« – Doch glaubte er bei diesen Worten von seinem Geheimniß schon zu viel verrathen zu haben, denn er trank sein Glas leer, dehnte seine kurzen Glieder, während er aufstand, und sprach: »Also du an meiner Stelle würdest einmal eine Erklärung riskiren? – Natürlich unter vier Augen; denn was Niemand gesehen hat, das kann man, wenn es schief geht, abläugnen.«

»Abläugnen würde ich nie etwas,« meinte Windspiel sehr ernst. »Muthig würde ich hinstehen und fragen: Ist denn lieben ein Verbrechen? darf man denn nicht zärtlich sein? – Und wenn der alte Fürst seine Trabanten kommen ließe und mich in den tiefen, dunkeln Keller werfen – gut, er thue es! – kann er mir verbieten, an Rosaura zu denken und zum Klange des Saitenspiels zu singen:

Auf Flügeln des Gesanges,
Herzliebchen, trag' ich dich fort,
Fort nach den Fluthen des Ganges,
Dort weiß ich den schönsten Ort.«

»Ja, du weißt den schönsten Ort, aber auch wie es in der Welt zugeht,« antwortete der Groom mit vieler Geringschätzung, während er dabei die Achseln zucke. »Wenn aber der Fürst seine Reitpeitsche von der Wand nähme, dich tüchtig durchwichste und dann zum Hause hinausjagte? – He, Bürschlein!«

»Das soll auch schon vorgekommen sein,« meinte der Kellner, indem er die Hände zusammenlegte. »In solchem Falle würde ich den Umständen gemäß handeln und vielleicht einen meiner Handschuhe zurücklassen, denn so ein Handschuh bedeutet –«

»Na ja, es ist schon gut,« unterbrach ihn Friedrich. »Vor allen Dingen bitte ich dich aber, reinen Mund zu halten, über das, was wir hier gesprochen; auch gegen deine Maler da vorne. Nimm dich in Acht, die treiben doch nur Narrheiten und Unsinn mit dir, machen dich doch nur zum Affen und locken aus dir heraus alles, was ihnen gut dünkt.«

Windspiel lächelte mitleidig und sagte, nachdem er seinem Bruder aufmerksam in's Gesicht geblickt: »Ich verzeihe diese Worte deinem gereizten Gemüthe, und damit du siehst, daß du mich durchaus nicht beleidigt hast, will ich dir noch obendrein einen Vorschlag machen: schicke mich zu der vornehmen Dame, ich will so eindringlich mit ihr sprechen, daß sie ein Herz von Kieselsteinen haben müßte, wenn sie nicht sagte: – Ja, ich liebe ihn, diesen Friedrich – diesen verwegenen Knaben.«

»Mit deinem verfluchten Knaben!« antwortete der kleine Reitknecht erzürnt. »Sehe ich denn aus wie ein Bub? Du hast doch am allerwenigsten Ursache, über meine Figur zu spotten.«

»Ich will auch gar nicht spotten,« entgegnete Windspiel freundlich; »es ist nur so eine Redeweise. Aber was meinst du zu meinem Vorschlag?«

»Dazu meine ich gar nichts,« erwiderte der Andere unwirsch, während er nach der Thür ging. »Aber, wie schon gesagt, halte dein Maul und laß dir nichts merken.«

Friedrich zog seinen kurzen Livreerock recht scharf in die Taille, warf einen Blick in den Spiegel, um zu sehen, ob der Hut richtig sitze, und verließ dann mit einem Kopfnicken gegen seinen Bruder das Zimmer und ging gleich darauf aus dem Hause.


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