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Es war die Zeit der Frühjahrsexercitien mit bespannten Geschützen, und da zugleich in kurzem eine Inspektion sämtlicher Batterien entweder durch den Brigadekommandeur oder gar durch den Generalartillerieinspekteur in Aussicht stand, so gab es in der nächsten Zeit weder Feiertage noch Freistunden, und der Hauptmann von Manderfeld wußte seine reitende Batterie so angenehm zu beschäftigen, daß, wenn man spät am Nachmittage zurückkehrte, Geschütze, Mannschaft und Pferde dicht mit Staub bedeckt, jeder zu ermüdet war, um auch nur daran zu denken, einen Fuß vor die Kaserne zu setzen. Dabei hatte der Batteriechef stets ein freundliches, aufmerksames Auge auf seinen letzten Bombardier und bewilligte ihm für kleine Mängel beim Manövrieren oder für irgend welche oft sehr unbedeutende Nachlässigkeit, die er trefflich zu finden wußte, einen winzigen Rostflecken an irgend einem Eisenteile, irgend etwas Malproperes beim Anzuge eines der Kanoniere, recht gern eine Strafstallwache oder ein sonntägliches Nachexercieren; ja eines Tages, als beim raschen Vorgehen der Batterie durch einen ziemlich tiefen Graben das Stangenhandpferd von Erichs Geschütz, wenn auch nur ganz momentan, stürzte, diktierte er ihm einen Kasernenarrest für unbestimmte Zeit. Erich hätte verzweifeln mögen, da er auf diese Art auch gar keine Gelegenheit hatte, nach Blanda zu sehen, und schätzte sich deshalb um so glücklicher, daß er hie und da durch Schmoller, der bei seiner Schreiberei vollkommen Zeit hatte, das Jagdschlößchen zu besuchen, spärliche Nachrichten erhielt. Sehr Erfreuliches erfuhr er indessen keineswegs von seinem Freunde, welcher ihm sagte, er habe die junge Dame nachdenkend, ernst, traurig gefunden, und welcher Erich Blandas dringenden Wunsch mitteilte, ihn recht bald wieder einmal bei sich zu sehen.
Daran war aber nicht eher zu denken, als bis die Artillerieinspektion vorüber war, die allerdings in den nächsten Tagen stattfinden und mit einem kleinen kombinierten Feldmanöver schließen sollte. Letzteres bot Erich einen schwachen Hoffnungsstrahl, Blanda für einen Augenblick zu sehen; denn das Manöver konnte nur auf der Seite gegen das Jagdschlößchen zu stattfinden, wo sich hinter den mit Wald gekrönten Höhen lange Strecken Heide ausdehnten. Und so war es auch; man disponierte, daß sich der Feind mit starken Artilleriemassen der Stadt nähere, um zur Belagerung derselben zu schreiten, sobald die Besatzung, die dem Feinde entgegenging, zurückgedrängt sei, und da die leitende Batterie des Hauptmanns von Manderfeld einen Teil der angreifenden Armee bilden sollte, so zog dieselbe eines Tages gegen Abend, nach glücklich vorübergegangener großer Parade und Inspektion, gegen die Anhöhen hinauf, um droben zu bivouakieren und dann in der ersten Morgendämmerung gegen die Stadt vorzugehen.
Erich hatte dabei noch das Glück, zu dem Haubitzzuge des Premierlieutenants Schaller als Geschützführer kommandiert zu werden, weil einer der Feuerwerker unwohl geworden war, und da er sich mit der Gegend droben teils in Wirklichkeit, mehr noch aber durch das Studium vortrefflicher Karten, bei welchem ihm das Jagdschlößchen stets als Mittelpunkt diente, sehr vertraut gemacht hatte, so wußte er augenblicklich, auf welcher Seite rückwärts von der Försterwohnung sich der Lagerplatz der Batterie befand und daß das Jagdschlößchen von hier aus in weniger als einer halben Stunde, allerdings durch dick und dünn gehend, zu erreichen sei.
Doch nützte ihm diese Kenntnis nur so viel, daß er seine sehnsüchtigen Gedanken an Blanda nach einer bestimmten sichtbaren Richtung aussenden konnte; denn von einem Verlassen des Bivouacs konnte in den ersten Stunden der Nacht keine Rede sein, und was hätte es ihn auch genutzt? Das Jagdschlößchen war ringsum gut verschlossen, und selbst wenn alle Thüren offen gestanden wären, würde er es doch nicht gewagt haben, sich in so unpassender Stunde dem Hause zu nähern, wo Blanda wohnte, wenn es ihn andererseits auch wieder glücklich gemacht hätte, in tiefer, schweigender Nacht die Mauern zu sehen, hinter denen sie wohnte, oder vielleicht auch nur den Lichtschein aus ihrem Fenster oder das Glitzern des früh untergehenden Mondes auf den Scheiben.
An alles das dachte er sehr lebendig, aber wie an Dinge, welche ganz unerreichbar fern, fern ab von ihm lagen, und begnügte sich damit, dem Lagerleben den Rücken zu kehren und soweit als möglich gegen die mit Wald bewachsenen Höhen vorzudringen.
Zu thun hatte er ja nichts, war auch nicht von der liebevollen Aufmerksamkeit des Hauptmanns von Manderfeld bedroht, der sich mit seiner halben Batterie auf einem weit seitwärts gelegenen Dorfe befand, und obendrein hatte ihm der wohlwollende Premierlieutenant Schaller angeraten, bis zur Kavallerie und Infanterie hinüber zu schweifen, um sich auch dort das Lagerleben anzuschauen. Das that er denn auch von Zeit zu Zeit, und bei den lebendigen Bildern, die er rings um sich her sah, überkamen ihn ganz eigentümliche Erinnerungen, und er dachte an jenes erste Bivouac, dem er als ein ganz junger Bursche beigewohnt und das mit dem heutigen in landschaftlicher Scenerie, Leben und Färbung des Ganzen so viel Aehnlichkeit hatte. Auch hier erhob sich die Heide auf drei Seiten kesselförmig empor, den Lagerplatz im Halbkreise umgebend, und droben auf dem Rande der Höhe bemerkte man zuweilen streifende Kavalleriepatrouillen, ein paar vorgeschobene Geschütze, sowie die Postenkette der Infanterie, alles das im hellen Lichte des schon tief {bild} am Horizonte schwebenden Mondes. Aus der Mitte der lagernden Infanterie, vor dem Zelte des kommandierenden Generals erklang rauschende Militärmusik, und wenn auch dort so wenig wie sonst wo ein Lagerfeuer brannte, so bemerkte man doch die rote Glut eines tragbaren Herdes, auf welchem das Souper für die hohen und höchsten Offiziere zubereitet wurde, wobei der Besuch des Generalinspekteurs der Artillerie selbst mit einigen Prinzen des königlichen Hauses in Aussicht stand.
Dort drüben herrschte ein reges Leben; dort wogten Offiziere und Mannschaften massenhaft hin und her, und auch Erich näherte sich mit langsamen Schritten, wobei er mehr als je an jenen Abend dachte, wo Kolma in ähnlicher Umgebung getanzt und Blanda mit ihren zierlichen Füßchen auf ihrer großen Kugel gestanden. Doch bemühte er sich rasch, gerade dieser Erinnerung los zu werden, und verweilte viel lieber bei den späteren Vorfällen jenes Abends, bei der Fahrt aus dem Lager, als er die kleinen Ponies gelenkt und glücklich war, die ängstlichen Mädchen aus dem Getümmel gebracht zu haben.
Damals und jetzt! – Damals, wo ihm alles das, was er auch heute wieder vor sich erblickte, so poetisch schön erschien und auch in der That für ihn war, wo er noch nicht, wie jetzt, an den Umkreis seines Geschützes gefesselt war, sondern wo es in seinem Willen gelegen hätte, mit jenen Zigeunern frei und lustig in die Welt hinaus zu ziehen; damals hätte er das aber um keinen Preis zu thun vermocht, trotz dem lebhaften Interesse, das er an dem kleinen Mädchen mit den schönen, lieben Augen genommen; damals zog es ihn mächtig zurück nach seinem Soldatenleben, bei dem er das Glück seiner Zukunft sah. Jetzt blickte er seufzend um sich, und wenn er jenen kleinen Ponywagen mit Kolma und Blanda wieder erblickt und die Möglichkeit gesehen hätte, in ihrer Gesellschaft für immer diesem trügerischen Glänze zu entfliehen, wie glücklich würde er gewesen sein!
Ach, es gab aber ringsumher keinen Wagen, der ihn gleich einem Zaubermantel entführt hätte! Kolma, die damals so lebensfrisch und warm an seiner Seite gesessen, ruhte in kühler Erde, und wenn er an Blanda dachte, so durchzuckte ihn ein schmerzliches Gefühl, und er konnte nicht anders, als, vor sich hinstarrend, sich in den Gedanken vertiefen, daß sie wohl ebenso unerreichbar für ihn sei, als dort der bleiche Mond, der sich eben anschickte, hinter den fernen Bergen zu verschwinden.
»Sind Sie es, Freiberg?« fragte ihn eine Gestalt, welche im Mantel auf ihn zutrat und die er erst beim Näherkommen erkannte.
»Zu Befehl, Herr Premierlieutenant!«
»Vergessen Sie nicht, zuweilen nach den Pferden zu sehen; unsere junge Mannschaft weiß noch nicht recht mit dem Ankoppeln umzugehen, und ich möchte nicht, daß gerade bei uns eine Nachlässigkeit vorkäme und sich die Pferde schlügen oder gar ein paar flüchtig würden.«
»Darüber können der Herr Premierlieutenant ganz ruhig sein; es ist alles in bester Ordnung, und die Pferde stehen so ruhig wie im Stalle.«
»Sollte aber je etwas vorfallen, so wissen Sie mich zu finden; hier, bei der großen Eiche habe ich mir einen Lagerplatz gemacht und will ein paar Stunden ruhen man wird eben älter. Sie fühlen wohl keine Lust zum Schlafen?«
»Nicht die geringste, Herr Premierlieutenant.«
»Ist mir auch recht, denn der alte Feuerwerker Becker dort drüben schnarcht, daß man es bis hierher hört.«
»Glauben der Herr Premierlieutenant, daß früh alarmiert wird?« »Jedenfalls vor Tagesanbruch; doch da wir nur im Bivouac und nicht im Lager stehen, so wird von einem Alarmieren im eigentlichen Sinn des Wortes nicht die Rede sein, da wir jeden Augenblick bereit sein sollen, vorzugehen, und das sind wir doch, wie ich hoffe!«
»Gewiß, Herr Premierlieutenant, die Haubitzen sind in weniger als zwei Minuten bespannt und zum Gefecht bereit.«
»So ist's recht, denn Se. Königliche Hoheit, Prinz Georg, der die Kavallerie drunten kommandiert, ist wohl imstande, ein keckes Reiterstücklein auszuführen und wenigstens den Versuch zu machen, uns hier oben mit ein paar Schwadronen zu überrumpeln. Einer meiner Freunde von der Infanterie, der die Postenkette dort am Abhange kommandiert, sagte mir vorhin, daß die Husaren- und Dragonerpatrouillen von drunten sehr naseweis seien und sich sehr weit herauf wagten; deshalb habe ich auch unsere beiden Haubitzen im Kernschuß dorthin gegen die Waldecke richten lassen, um diese vorwitzigen Reiter tüchtig mit Kartätschen zu bedienen, sobald sie so unverschämt wären, sich blicken zu lassen.«
»Dürfte ich mir die Frage erlauben, Herr Premierlieutenant, warum Sie die Haubitzen gerade nach jener Waldecke richten ließen.«
»Mein lieber Freund, das ist eine Frage, die ich von Ihnen gerade nicht erwartet hätte, nachdem ich Ihnen neulich auf Ihren Wunsch meine vortrefflichen Specialkarten dieses Terrains gegeben!«
»Der Herr Premierlieutenant werden mir verzeihen, wenn ich mir die Bemerkung erlaube, daß ich genau den ziemlich bequemen Weg kenne, der vom Thale heraufführt und dort an der Waldecke auf das Plateau tritt.«
»Nun also?«
»Vor kurzem durchstreifte ich die Gegend dort vor uns« um sie mit der Karte zu vergleichen, log Erich mit ziemlicher Dreistigkeit »und fand, daß dieser Weg dicht oberhalb eines kleinen Gebäudes, welches man das Jagdschlößchen nennt, mit gefüllten Bäumen angefüllt und kaum für Fußgänger zu passieren ist.« »Ei, das konnte ich nicht wissen!«
»Wogegen ein anderer Waldweg, der mehr in südlicher Richtung auf die Höhe führt und ungefähr dort mündet,« Erich zeigte nach der Richtung hin »viel sanfter und bequemer aufwärts führt und jedenfalls von der Kavallerie bei einer Attaque benutzt würde.«
»Den kenne ich auch, aber der andere ist kürzer, und trotzdem eine Holzbarrikade, wie Sie eben angegeben, unsere Flanke vor diesen leichtsinnigen Husaren und Dragonern schützen würde, wäre sie mir doch andernteils unbequem; denn es war meine Absicht, auf dem Wege dort an der Waldecke hinab zu kommen, um die große Chaussee in der Nähe des sogenannten Jagdschlößchen von oben herab bewerfen zu können; jedenfalls aber sollte man wissen, ob die gefällten Bäume dort noch im Wege liegen oder nicht.«
Erichs Herz bebte; wenn er sich zu diesem Rekognoszierungsdienste anbot, so hatte er das Recht, heimlich bis zum Waldschlößchen vordringen zu können, und wenn er auch nicht so ausschweifend in seinen Erwartungen war, um sich der Hoffnung hinzugeben, als sei es möglich, Blanda jetzt noch, in tiefer Nacht, zu sehen, so gelangte er doch wenigstens in die Nähe des Hauses, sah vielleicht ihr Fenster, ein entzückender Gedanke für einen jungen Mann seines Alters; deshalb zögerte er auch nicht, seinem Vorgesetzten zu sagen, es würde ein Leichtes sein, nachzuforschen, ob hier der Weg praktikabel sei oder nicht.
»Nehmen Sie sich aber vor den streifenden Husarenpatrouillen in acht; es würde denen ein großes Vergnügen machen, mir einen Geschützführer abzufangen!«
»Unbesorgt, Herr Premierlieutenant,« versetzte Erich lachend; »ich bin das Waldschweifen gewohnt und des Jägerhandwerks so kundig, daß mich keine Kavalleriepatrouille erwischen wird! Es wäre das allerdings auch schlimm, denn sie könnte mich als Spion behandeln!«
»Pah, das würden sie wohl bleiben lassen; Sie sind ja in Uniform und untersuchen einfach das Terrain vor unseren Linien. Wenn Sie mir also die Gewißheit verschaffen können, würde es mir recht angenehm sein. Warten Sie aber jedenfalls, bis sich der Lärm dort beim Zelte des Kommandierenden gelegt und bis der Mond vollständig drunten ist Sie wissen, wo ich zu finden bin, wenn Sie mir etwas ganz Besonderes zu melden hätten.«
Der Premierlieutenant ging den Eichen zu, die er früher als seinen Lagerplatz bezeichnet, und Erich trat zu den beiden Haubitzen, um nach den Pferden zu sehen.
Hier war alles in bester Ordnung und der kleine Schwarz befand sich mit drei Kanonieren auf Geschützwache, während der Feuerwerker Becker, in seinen Mantel gehüllt, auf der Erde lag und fest schlief.
»Vorhin kam etwas da herum, was dem langen Wibert ähnlich sah, wie ein faules Ei dem anderen.«
»Möglich, daß ihn der Hauptmann zum Kundschaften ausgeschickt hat, um sich von unserer Wachsamkeit zu überzeugen.«
»O famos, er soll nur ankommen; ich habe schon eine Wischerstange gelockert, um ihm mit dem Ansatzkolben auf den Bauch zu stoßen, wenn er den Versuch machen sollte, sich heranzuschleichen!«
»So ist's recht. Ich trete ein wenig das Terrain da vor uns ab; der Herr Premierlieutenant meint, die feindlichen Patrouillen wären naseweis genug, bis zur Schlucht dort vorzudringen. Schlafen kann ich ohnedies nicht also gute Wache!«
Erich ging bis zu der oben erwähnten Waldecke, wo sich ein starker Infanterieposten unter den Befehlen eines Lieutenants befand. Diesen fand er, behaglich eine Cigarre rauchend, und zwar hinter einem gegen die Schlucht zu aufgespannten Mantel, {bild} um den Nachtwind abzuhalten, sowie auch um das Feuer der Cigarre nicht sichtbar werden zu lassen. Erich war nach Abgabe des Feldgeschreis von dem Posten vor dem Gewehr an den Wachkommandanten gewiesen worden, den er von seinem Vorhaben in Kenntnis setzte, nämlich zu sehen, ob der Weg, der hier oben münde, nicht weiter unten durch Holzstämme unpraktikabel gemacht sei.
»Soweit unsere Postenkette hinabreicht und auch noch ein gutes Stück darüber hinaus ist der Waldweg ohne jedes Hindernis,« antwortete der Infanterieoffizier freundlich und herablassend; »weiter unten aber könnte er allerdings verstopft sein, denn sonst hätte wahrscheinlich die Postenkette schon längst streifende Kavalleriepatrouillen gemeldet, die sich nach einer Anzeige von unserer südlichen Feldwache dort so nahe an die Infanterieposten wagen, daß man sie wie die Lerchen aufspießen könnte. Es ist ein arrogantes Volk, diese Kavallerie; mir wäre es schon recht, wenn man ihnen auch einmal einen Schabernack spielen konnte, um ihnen das Maul zu stopfen, wenn sie morgen von gar zu großen Heldenthaten renommieren. Melden Sie mir doch, ob der Weg verbarrikadiert ist und was Sie sonst da unten sehen, besonders wie hoch herauf Sie Patrouillen bemerkt; sie haben gar kein Recht, vor Beginn der Feindseligkeiten morgen früh über die Demarkationslinie herüber zu kommen.«
»Und wie ist diese gezogen worden, Herr Lieutenant?«
»Dergestalt, daß sie noch ungefähr zweihundert Schritte unterhalb des sogenannten Jagdschlößchens läuft, dieses also noch auf unserem Terrain liegt.«
Erich wußte sich nicht ganz genau Rechenschaft darüber zu geben, warum ihn diese Nachricht sehr angenehm berührte.
»Ich schlug meinem Hauptmann vor, das Jagdschlößchen zu besetzen, und er berichtete auch darüber an den Herrn Obersten; doch unterblieb es, weil man nicht wollte, daß die Vorposten so nahe aufeinander ständen. Aber die von unten kehren sich den Teufel daran und plänkeln uns mit Husaren und Jägern dicht vor der Nase herum!«
»Würden Sie mir einen Vorschlag erlauben, Herr Lieutenant?«
»Warum das nicht, wenn ich etwas Gescheites zu hören bekomme,« antwortete der Infanterieoffizier mit Würde »reden Sie.«
»Mir nämlich, wenn ich in einer starken halben Stunde nicht zurück bin, eine Streifpatrouille nachzuschicken, die mich aufnehmen könnte, wenn ich vielleicht von feindlichen Reitern bedrängt würde.«
»Das ist so eine Sache,« erwiderte der Wachthabende bedenklich; {bild} »der Henker halte diese Kerls zurück, wenn sie einmal zu nahe aneinander geraten, und es wäre eine hübsche Ueberraschung für Seine Excellenz den Herrn General, wenn der Teufel hier am Berge losginge, ehe er aus den Federn und im Sattel wäre! Eine Streifpatrouille könnte ich mir nur in einem sehr wichtigen und ganz absonderlichen Falle erlauben.«
»Zum Beispiel, Herr Lieutenant, wenn ich drunten fände, daß der Weg, der noch vor wenigen Tagen unpraktikabel war, hergestellt worden und dort feindliche Truppen vorgeschoben wären, welche vielleicht einen Ueberfall oder dergleichen beabsichtigten?«
»Das wäre allerdings ein solcher Fall, wenn sich die Burschen ohne Fug und Recht diesseits der Demarkationslinie breit gemacht hätten.«
» Nur in einem solchen Falle,« sagte Erich.
»Ich erwarte in kurzem den Major du jour und werde ihm das vortragen; sollten Sie etwas Außergewöhnliches drunten finden, so könnten Sie mir ja rasch eine Meldung darüber machen.«
»Wenn ich aber gar zu weit entfernt wäre, Herr Lieutenant?«
»So geben Sie mir ein Zeichen. Sind Sie Jäger, können Sie den Ruf des Käuzchens nachmachen?«
»O ja, Herr Lieutenant.«
»Gut, so lassen Sie, im Falle Sie etwas Außergewöhnliches finden, diesen Ruf jedesmal dreimal in ziemlichen Intervallen hören; ich werde Ihnen jemand bis zur Postenkette mitgeben, daß von dort Ihr Zeichen hierher gemeldet wird. Unteroffizier Raffleur, geleiten Sie diesen Bombardier der reitenden Artillerie bis zu irgend welchem von unseren Leuten, der den Schrei des Käuzchens von einem Wachtelschlage oder Aehnlichem zu unterscheiden vermag wissen Sie jemand?«
»O ja, Herr Lieutenant, der Gefreite Huber.«
»Gut; der Gefreite Huber soll mir augenblicklich melden, wenn er den Ruf eines Käuzchens hört, ungefähr so: K-r-r-r-r, K-r-r-r-r, K-r-r-r-r, dann Pause und dann wieder: K-r-r-r-r, K-r-r-r-r, K-r-r-r-r.«
Der Infanterieoffizier that sich etwas darauf zu gute, den Ruf des Käuzchens außerordentlich täuschend nachmachen zu können, und wurde auch belohnt durch das beifällige Lächeln Erichs, sowie durch die aus Respekt immer strammer werdende Haltung des Unteroffiziers Raffleur.
Die Vorpostenkette war in kurzem erreicht, auch der Gefreite Huber gefunden und rasch instruiert, worauf Unteroffizier Raffleur den Abhang wieder gerade hinaufkletterte und Erich weiterschlich. Dem Waldwege folgte er begreiflicherweise nicht, sondern hielt ihn zu seiner Rechten, wobei er sich, wie auf der Hirschjagd, stets aufs sorgfältigste an irgend einen Gegenstand heranpirschte und bei jedem Geräusche, das er vernahm, sogleich unbeweglich stehen blieb. Bis jetzt aber hatte keines dieser Geräusche einen verdächtigen Charakter gehabt, sondern entstand vielleicht nur durch das Rollen eines losgewordenen Steinchens auf dem Pfade hinter ihm oder das Auffliegen eines Nachtvogels, worauf der durch den Abschwung bebende Ast ein trockenes Reis oder dürre Blätter auf den Boden fallen ließ.
Jetzt aber hörte er etwas anderes, und zwar unverkennbaren Hufschlag ruhig gehender Pferde diesseits der Stelle, wo der Weg verbarrikadiert gewesen, also ein Beweis, daß man ihn wieder praktikabel gemacht.
Erich lehnte sich langsam an eine mächtige Buche, neben der er sich zufällig befand, und schwang sich alsdann langsam und ohne Geräusch hinter dieselbe.
Es waren Husaren, die daherkamen, im Schritte hinter einander reitend, und der vorderste sagte, nicht gerade so leise, als hätte er gefürchtet, daß jemand in der Nähe sei, der ihn hätte hören können:
»Da möchte ich doch einen Schoppen Rum gegen ein Glas des schlechtesten Bittern wetten, daß die ganze Bagage auf ihren faulen Bäuchen liegt und schnarcht 's ist ein faules Pack, solche Infanterie! Denken nicht daran, von ihrer Höhe herab zu klettern 's ist auch bequemer so.«
Jedenfalls haben die Husaren kein Recht, hier herum zu streifen, dachte Erich, und daß sie es doch thun, muß schon einen Grund haben.
»Weiter haben wir nicht vorzugehen,« hörte man dieselbe Stimme wieder sagen; »wir sind ja eine gute Viertelstunde von dem Jagdschlößchen entfernt, und ich bin überzeugt, wenn wir noch einmal so weit vorwärts ritten, wir träfen doch auf keine feindliche Infanterie, das schläft den Schlaf des Gerechten Kehrt, marsch!« Für Erich war es jetzt sehr leicht, bei dem Klange der Pferdehufe der Patrouille seitwärts zu folgen und in kurzem mit derselben die Stelle zu erreichen, welche neulich noch die {bild} gefällten Baumstämme ausgefüllt hatten, wo aber jetzt die mittleren weggeräumt waren und so viel Platz gaben, um einen einzelnen Kavalleristen oder Infanteristen durchzulassen, wogegen der Weg für Geschütz noch immer ganz unpraktikabel blieb.
»Unteroffizier Schwebbler,« fragte der Husar, der zuletzt durch das Defile ritt, »sollte man nicht wieder ein paar Stämme da hinein wälzen?« »Unnötig,« entgegnete der Gefragte, »die Schlafmützen da oben denken nicht daran, uns zu belästigen; auch wette ich zehn gegen eins, daß der Herr Rittmeister Graf Seefeld noch ein paar Patrouillen da hinauf gehen läßt er möchte sehr ungern überrascht werden.«
Diese Bemerkung im Verein mit dem Namen des verhaßten Offiziers erregte ein recht widerliches Gefühl in dem Herzen des jungen Bombardiers. Es war ihm gerade zu Mute, als wenn man, harmlos dahinwandelnd, plötzlich eine aufzuckende giftige Natter erblickt. Warum mußte es unter einer Unzahl von Offiziersnamen gerade dieser sein, der genannt wurde, und was hatte gerade er hier oben so Wichtiges vor, daß er um keinen Preis überrascht sein wollte? Wenn nicht vielleicht im Jagdschlößchen ... Doch verwarf Erich gleich darauf diesen Gedanken als ausschweifend als lächerlich. Was sollte er jetzt gerade hier oben zu suchen haben, an einem Orte, der mitten in der Manövrierlinie lag und neutraler Boden war? Ja, wenn es an jedem anderen Abende gewesen wäre! Uebermütige Thorheit und herausfordernde Frechheit traute er dem Grafen Dagobert genug zu, um das Unmögliche wenigstens zu versuchen.
So träumend in Gedanken versunken, sah Erich mit einem Male eine verfallene Mauer vor sich, und ein genauer Blick belehrte ihn, daß er sich dicht vor dem Garten befand, welcher zum Jagdschlößchen gehörte. Die Husaren ritten rechts ab, um das Gehöft herum, und Erich blieb mit zusammengebissenen Zähnen und geballten Fäusten plötzlich stehen, als er den Unteroffizier sagen hörte:
»Hier an der Ecke halten, während ich in den Hof hineinreite, um dem Rittmeister zu melden, daß wir nichts Verdächtiges bemerkt.«
Also befand er sich doch im Jagdschlößchen! In welcher Absicht war er dort? Was hatte er da zu suchen, er, dessen Regiment wohl eine halbe Stunde jenseits bivouakierte? So sehr Erich noch vor kurzem den Gedanken verworfen oder nur mit Zagen daran gedacht hatte, sich dem Jagdschlößchen zu nähern, ebenso fest war er jetzt entschlossen, wenigstens den Garten zu betreten und das Haus zu umspähen. War es ihm doch jetzt zu Mute, als höre er Blandas Stimme, die seinen Namen riefe, ja, er konnte sich dieser Täuschung so lebhaft hingeben, daß er in dem Garten, dessen Mauer er rasch übersprungen, zuweilen lauschend stehen blieb. Doch hörte er begreiflicherweise nichts, als seine eigenen, tiefen Atemzüge, oder zuweilen das leise Rauschen des Nachtwindes in den Zweigen, oder das Schnauben und Schütteln eines der Pferde der Husarenpatrouille, die keine hundert Schritte entfernt von ihm hinter der Mauer hielt. Ihm war übrigens diese Nähe des Feindes jetzt ganz gleichgültig; denn wenn ihn wirklich jetzt jemand von denen da drüben entdeckt hätte, so konnte er als zum Hause gehörend betrachtet werden, was im Walde draußen nicht der Fall gewesen wäre. Vielmehr hatte er sich jetzt vor den Hausbewohnern selbst in acht zu nehmen, besonders vor den nachts umherstreifenden Hunden, und es erschien ihm ganz eigentümlich, daß von diesen, obgleich er sich ganz nahe am Schlößchen befand, noch keiner laut geworden war. Dagegen vernahm er andere Töne, als er die Ecke des Gebäudes erreicht und noch wenige Schritte bis zum vorderen Hofraume hatte: den leisen Klang männlicher Stimmen sowie das Wischen, das Scharren und Auftreten von Pferdehufen gerade im Hofe selbst.
Es wäre doch eine sehr unangenehme Geschichte, dachte der junge Bombardier, wenn sich der Infanterielieutenant mit seiner Demarkationslinie getäuscht hätte und ich hier einem feindlichen Kavallerievorposten gerade in die Hände liefe, und obendrein einem Vorposten, der von dem Grafen Seefeld kommandiert wird!
Deshalb umschlich er vorsichtig das Haus von der Gartenseite, wo er in die Höhe blickend nur ein einziges großes Bogenfenster erhellt sah, dasjenige von Blandas Zimmer, welches sie ihm neulich vom Garten aus gezeigt hatte. Einen innigen Blick warf er hinauf und schritt dann behutsam weiter, um die Ecke des Schlößchens, wo er nun das ebenfalls hell erleuchtete Fenster des großen Parterregemaches, der sogenannten großen Halle, neben sich sah, dem er sich, von der Umfassungsmauer geschützt und dicht an der Hausmauer schleichend, unbemerkt nähern konnte.
Was er hier sah, erfüllte ihn mit großem Erstaunen; da befanden sich vielleicht fünf bis sechs Kavallerieoffiziere, von den Husaren oder Dragonern, in dem hell beleuchteten Räume und überließen sich so sorglos den Freuden einer wohlbesetzten Tafel, als wenn auf hundert Stunden kein Feind gewesen wäre. Geschirr und Tafelgerät war allerdings sehr einfach, aber alles, was aus Körben, die am Boden standen, auf die irdenen Schüssen des Försters von den Offizierburschen gebracht worden war, bestand in ausgesuchten und pikanten Leckereien, wie sie sich vortrefflich zu den langhalsigen Champagnerflaschen mit vergoldetem Kopfe eigneten, deren Pfropfen aufs vorsichtigste und geräuschloseste abgedreht wurden, was ein junger Dragonerofsizier selbst überwachte, wobei er lachend sagte:
»Es hat mir keine kleine Mühe gekostet, den Schabel im heimlichen Abmucksen der Flaschen zu unterrichten; der Kerl will immer springen lassen, doch wäre dieses Knallen der Pfropfen sehr zur Unzeit hier bei unserem verschwiegenen Vorpostensouper.«
Deutlich vernahm Erich jedes Wort, da einer der Fensterflügel offen stand, und als er die Bezeichnung dieses Soupers als ein heimliches und unerlaubtes hörte, war er sogleich mit sich darüber im klaren, daß der Infanterieoffizier mit seiner Demarkationslinie recht gehabt und sich jene ebensowenig hier oben befinden durften, als er selber.
Leider war es ihm nicht möglich, den ganzen Raum zu übersehen und den zu entdecken, den seine Augen am eifrigsten suchten; dafür aber erblickte er den Förster Stöckel, der an einer Ecke des Tisches saß, ein großes Glas des schäumenden Weines vor sich; auch hörte er gesprächsweise verschiedene Namen nennen, die ihm aber unbekannt waren, so den eines Grafen Baring, dem der junge Dragoneroffizier, welcher das Entkorken der Flaschen besorgte, sechs Kelche nacheinander vortrank, worauf jener Bescheid that und dann lachend sagte: »Wir alle sollten uns vereinigen, dem seligen Horn jeder eine Flasche Sekt vorzutrinken, bis er auftaut!«
»Es ist die neue Würde, die sich Mühe gibt, bei ihm gewaltsam zum Durchbruch zu kommen!« rief lachend eine andere Stimme. »Trink' und sei lustig! Wenn du morgen nach dem Manöver dein Rittmeister-Patent erhältst, so kannst du dich ganz diesem entzückenden Gefühle hingeben!«
»Und doch auch dann noch nicht unter Kameraden und langjährigen Freunden!« rief eine andere Stimme.
Von dem Grafen Seefeld war keine Rede, auch vernahm Erich dessen rauhe Stimme nicht unter den Sprechenden, was ihn zu seltsamen Gedanken veranlaßt« zu Phantasien, welche ihm das Blut ins Gehirn trieben. »Also seliger Horn, der du Lieutenant warst, Premierlieutenant bist und durch die Gnade Seiner Majestät und große Verdienste der verschiedensten Art morgen Rittmeister sein wirst, ich bringe dir dieses Glas, das, gut gemessen, eine halbe Flasche halt!«
»Halt,« sprach jetzt eine Stimme, die Erich noch nicht gehört, »ich werde dir deine halbe Flasche nachtrinken und auch sonst noch allerlei, womit ihr für gut findet, mich zu fetieren, aber unter einer Bedingung: daß wir mit dem Premierlieutenant auch den Seligen begraben, welches Prädikat ich lange genug mit mir herumgeschleppt seid ihr damit einverstanden?«
»Wenn du nicht anders willst warum nicht?«
»Es ist kein unbilliges Verlangen!«
»Das meine ich auch!« sagte der, welcher dieses Verlangen gestellt hatte, und fügte in einem ausdrucksvollen Tone hinzu: »Teilt's auch sonst den Leuten mit und sagt jedermann, ich wünschte so dringend eine Aenderung, daß ich nach einer kurzen Galgenfrist, die ich der süßen Gewohnheit noch geben will, auf die Fortdauer dieser Benennung einen festen Trumpf setzen würde!«
»Was wird Seefeld dazu sagen?«
Also befand sich der Graf Seefeld nicht im Zimmer, vielleicht gar nicht im Jagdschlößchen, dachte Erich nach einem tiefen Atemzuge, oder ...
»Er hat diesen Namen für dich erfunden!«
»Leider, denn ich habe ihn lange genug gehört, weshalb es mir auch sehr gleichgültig ist, was Seefeld davon denkt! Meinetwegen kann er ihn selbst übernehmen, denn er sieht bisweilen einem Seligen ähnlicher, als einem Lebendigen!«
Alle lachten; dann hörte man die Stimme des jungen Dragoneroffiziers sagen: »Sie werden mir zugeben, Herr Rittmeister Graf Horn, daß ich mir nie erlaubt habe, jene Benennung gegen Sie zu gebrauchen, verzeihen über jetzt wohl, wenn ich Sie bitte, mir dieselbe, da sie nun auf ewig verschwinden soll, zu erklären!«
»Nein, das muß ich thun,« rief ein anderer »Horn würde dabei zu egoistisch oder zu bescheiden zu Werke gehen! Es war vor Jahren, als nach einem außerordentlich schönen Manöver uns der alte Graf Seefeld auf seinem Schlosse ein prächtiges Bankett gab einige von euch werden sich daran erinnern!«
Auch Erich erinnerte sich schmerzlich bewegt daran.
»Wer hätte das vergessen!« sagte Graf Horn. »Es war ein Festin de Balthasar ich habe lange die reizenden Zigeunermädchen {bild} nicht vergessen können, welche Dagobert Seefeld vor uns tanzen ließ.«
»Diesel verfluchte Kerl! Er weiß immer etwas aufzuspüren auch jetzt habe ich ihn stark im Verdacht!«
Das Herz des jungen Mannes am Fenster bebte.
»Damals war auch die reizende Kolma dabei!«
»Doch nicht die Kolma Ticzka, die später so berühmte Kunstreiterin, welche kürzlich gestorben ist?«
»Dieselbe,« sagte Graf Horn und setzte mit einem Seufzer hinzu: »Bei ihr wäre ich gern einmal der Selige gewesen!«
»Ja, wenn dir Seefeld nicht zuvorgekommen wäre!« »Jetzt aber bitte ich, meine Neugierde zu befriedigen!« sprach der heimliche Flaschentöter.
»Während jenes Soupers sprach man über die Manövertage und erwähnte einer Kavallerieattaque, wo Horn etwas toll und wild hineingegangen war, ja, so in eine Ueberzahl hinein, daß er bei einem ernstlichen Gefechte ...«
»Wenn du erlaubst, war es ein Ueberfall, den wir abschlugen!«
»Meinetwegen; aber das wirst du mir zugeben, daß weder du noch einer von deinen Leuten einen unzerhauenen Schwanzriemen mit nach Hause gebracht hätte! Da sagte der kommandierende General, der ihn sehr gut leiden konnte: Laßt mir meinen armen Horn zufrieden, er starb den Heldentod und hierauf brachte Dagobert Seefeld einen Toast aus auf den Seligen, daher die Benennung!«
»Seefeld hätte jedenfalls etwas Gescheiteres thun können, aber es ist so seine Art, andere Leute hineinzuhetzen und sich dann lachend die Hände zu reiben! Wo, zum Teufel, mag er jetzt wieder stecken? Er ist hinausgegangen, um frische Luft zu schöpfen wer weiß, ob er nicht davongeritten ist und sich darüber freuen würde, wenn man uns hier unten unvermutet überfiele.«
»Damit hat's gute Wege; wir haben nur Infanterie uns gegenüber, und wie mir vorhin der Unteroffizier Schwebbler meldete, ist's im Walde weit hinauf so ruhig wie in einem Kirchhofe, auch sah ich Seefelds Pferde noch soeben ruhig bei den unsrigen im Hofe stehen!«
Also war Graf Seefeld noch irgendwo im Schlosse.
»Jedenfalls war es eine vortreffliche Idee von ihm, hier oben dieses kleine Souper zu arrangieren, und weit behaglicher für uns, als draußen auf dem Felde herumzulungern!«
»Ich möchte nur das Gesicht des Generals Schwenkenberg, sehen, meines ehemaligen Obersten, wenn er uns hier so hübsch bei einander fände!«
»Pah, er würde sich nicht so viel daraus machen ja, wenn es noch ein großes Manöver wäre! Aber hier, wo wir dieser langweiligen Artillerie als Folie dienen müssen, und um dem Generalinspekteur das Uebergewicht dieser ersten aller Waffengattungen, wie er zu sagen beliebt, glänzend feststellen zu helfen, wird es nicht s« genau darauf ankommen deshalb angestoßen und ausgeleert!«
Die Gläser klangen; dann sagte Graf Horn: »Jedenfalls ist es langweilig von diesem Seefeld, diesem Heimlichthuer, uns so lange seine schätzbare Gesellschaft vermissen zu lassen ich glaube, daß wir ihm als Folie dienen oder wenigstens als Ausrede. He, Herr Förster,« rief er diesem zu, »haben Sie vielleicht ein hübsches Dienstmädchen im Hause, das die Augen Seiner Erlaucht auf sich gezogen hat? Ich weiß, er treibt sich in jüngster Zeit häufig hier oben herum!«
Erichs Blut kochte und er blickte mit starren Augen auf den Förster, der, den Kopf schüttelnd, etwas in den Bart brummte und dann Miene machte, sich zu erheben.
»Holla, nein, so ist es nicht gemeint,« rief Graf Horn »sitzen geblieben, alter Herr! Das wäre ja gegen alle Kameradschaft, auch muß man eine solche Frage über den schäumenden Champagner hinüber nicht so genau nehmen! Singen wir lieber den Refrain des bekannten Liedes:
Thu' ich das Meine, thust du das Deine,
So thut ein Jeder das Seine!«
»Singen wir lieber nicht,« mahnte ein anderer; »man kann doch nicht wissen, ob so ein hartgesottener Stabsoffizier der Infanterie freundlicher- oder feindlicherseits nicht auf die Idee kommt, den neutralen Grund, wo wir uns gerade befinden, durch Patrouillen unsicher zu machen.«
Bis hierher hatte Erich mit starren Augen gelauscht, immer noch hoffend und fürchtend, es werde noch mehr von dem Grafen Dagobert Seefeld und seinen häufigen Besuchen hier oben auf dem Jagdschlößchen die Rede sein; doch täuschte er sich. Die Woge des Gespräches rollte lärmend über diesen Gegenstand hinweg und ließ ihn, als vor der Hand gleichgültig, verschwinden. Also Dagobert Seefeld war im Schlosse, dachte Erich; aber wo war er, wo konnte er sein, wo durfte er sein? Nach jeder dieser Fragen preßte der junge Mensch heftiger seine Lippen mit den Zähnen zusammen, und als er sich dann mit der Hand über den Mund fuhr, waren seine Finger blutig; dabei kam es ihm vor, als sei er von hohnlachenden, häßlichen Gestalten umgeben, die ihm um so unheimlicher erschienen, als er nicht imstande war, ihre Formen genau zu erkennen, während sie, an seinem Ohr vorüberschwebend, ihm zuflüsterten: Komm mit mir, ich zeige dir den rechten Weg!
Wo aber war dieser rechte Weg? dachte er mit zuckendem Munde und ratlosem Umherblicken. Wo war überhaupt der Weg, der in des Hauses obere Räume führte? Er wußte ihn nicht; er wußte nicht mehr, als daß das Fenster, welches er soeben erhellt gesehen, Blandas Zimmer sei sie hatte es ihm neulich gesagt und dorthin zog es ihn unwiderstehlich, um die dunkle Hausecke, von dem zitternden Lichtscheine Rat und Hilfe zu verlangen.
Dort war ihr Fenster noch immer erhellt, und als er nach einigem Betrachten desselben seine Blicke ratlos rings umherschickte, entdeckte er etwas so Außergewöhnliches, daß er in tiefer Bestürzung regungslos stehen blieb. Nicht weit von dem Hause befand sich ein alter, starker Nußbaum, dessen mächtige Aeste beinahe die Mauern des Jagdschlößchens erreichten. Besonders einer dieser Aeste, fast horizontal aus dem Stamme treibend, reichte bis dicht vor das erleuchtete Fenster, und auf diesem sah Erich eine menschliche Gestalt lang ausgestreckt liegen, deren Füße einen festen Stützpunkt fanden in rechts und links abzweigendem schwächeren Astwerke. Jetzt hob die Gestalt ihren Kopf in die Höhe, um in das Fenster zu blicken, aber nicht so hoch, daß der Lichtschein, der aus demselben drang, ihr Gesicht erreicht und dasselbe hätte erkennen lassen jetzt erhob sie sich höher, und Erich sah mit großem Erstaunen, daß es des Försters Sohn war, der da oben zwischen den Zweigen lauernd lag, und bemerkte dann zu seinem heftigen Schrecken, daß Joseph eine Büchse im Arme hatte, deren Schaft er langsam und zielend gegen seine Wange erhob. Es durchlief ihn fröstelnd, und er war schon im Begriffe einen lauten Ruf auszustoßen, als er sah, wie das Gewehr wieder langsam herabsank, wogegen der junge Mensch seine Augen starr auf das Fenster gerichtet hielt.
Was war es, das jener dort im Zimmer erblickte? Es mußte etwas Furchtbares sein; das bewies nur zu deutlich das erhobene Gewehr. Aber was, aber was? Bei dieser Frage fühlte er sein Herz von einer namenlosen Angst, von einem wilden Schmerze erfüllt, von einem Gefühle der Wut, welches ihm das Blut in die Augen trieb, welches den furchtbaren Wunsch in ihm entstehen ließ, den Blitz und Knall des Gewehres zu vernehmen. Da schien aber die Gefahr vorübergegangen zu sein, und nun, da ihm die ruhige Besonnenheit wiederkehrte, sprang er so dicht als möglich unter den Ast und rief mit leiser, gepreßter Stimme, aber so deutlich, als es ihm möglich war, den Namen Joseph.
Dieser blickte um sich, entdeckte aber erst, nachdem der Ruf zum zweitenmale wiederholt wurde, den unter ihm Stehenden und beugte sich alsdann rasch herab, um dessen hastig ausgestoßene Worte zu vernehmen: »Ich bitte um Gotteswillen, komm herunter und zeige mir den Weg ins Haus hinauf!«
»Ja ja,« war die mühsam hervorgebrachte Antwort; dann richtete sich Joseph noch einmal hoch empor, starrte in das erleuchtete Zimmer, und da er durch das, was er sah, befriedigt schien, so glitt er von dem Aste herunter, und gleich darauf neben Erich stehend, zerrte er ihn heftig gegen das Haus hin, wobei er sich bemühte, verständlich die Worte hervorzubringen: »Du, Blandas Freund darfst hinauf.« Dann öffnete er rasch die Thür, die an der Gartenseite des Schlößchens war und hinter welcher sich eine Wendeltreppe befand, welche er Erich heftig hinaufstieß »Thür oben Thür oben!«
Da zuckte dem jungen Bombardier plötzlich der glückliche Gedanke durch den Kopf, Joseph zu veranlassen, statt seiner in den Wald hinaufzueilen und dort den Ruf des Käuzchens in der verabredeten Weise erschallen zu lassen du kennst diesen Ruf?«
Joseph nickte eifrig mit dem Kopfe.
»Gut, so thue so, um Blanda zu retten.«
Erich tappte nun die dunkle Stiege hinauf, und erst in der letzten Windung sah er Lichterschein durch die Risse und Sprünge einer Thür, hörte aber auch zu gleicher Zeit eine ihm bekannte, verhaßte Stimme Worte ausstoßen, welche er deutlich vernahm, obgleich der, welcher leidenschaftlich erregt sprach, seine Stimme gewaltsam zu dämpfen schien: ... »Ich gehe nicht, wenn du dich auch in meinen Armen windest wie eine Schlange, und wenn auch deine scharfen Zähne meine Hand bis auf den Knochen durchbeißen wart' nur, büßen sollst du es mir, süße, wilde Katze!«
Da warf sich Erich so gewaltig gegen die Thür, daß Stücke des Schlosses und der Riegel ins Zimmer flogen und er selbst {bild} so heftig gegen den tödlich Gehaßten, daß er ihn unwillkürlich in die Ecke des Zimmers schleuderte, und dann erst Blanda in seinen Armen auffing, die mit dem Ausrufe: »Erich, Erich!« an seine Brust sank.
Stand der andere, schon allein durch diese unvermutete und gewaltsame Unterbrechung sowie durch seine leidenschaftliche Erregung zur Wut getrieben, zähneknirschend, mit zuckenden Händen da, so verzerrten sich jetzt auf einmal seine Gesichtszüge in greulichem Hasse, und seine Augen sprühten Blitze, als er seinen Angreifer erkannte seinen Angreifer im Kleide des Untergebenen, der es gewagt, die Hand gegen ihn zu erheben, ja, der die Rechte jetzt noch gegen ihn erhob, während er mit dem linken Arme das heftig atmende, leise stöhnende Mädchen an sich drückte und gerade daß er ihren Ausruf: Erich, Erich! gehört hatte und sehen mußte, wie sie sich leidenschaftlich in seine Arme geworfen und nun, ihn fest umklammernd, an ihm hing, das raubte ihm vollends alle Besonnenheit, und er sprang nach einem Stuhle in der Nähe der Thür, wo sein Säbel lehnte, den er rasch aus der Scheide riß; doch warf sich Blanda in diesem Augenblicke mit einem lauten Aufschrei vor Erich, ihn mit ihrem Körper deckend.
Vielleicht war es der Anblick des schönen, mutigen Mädchens, vielleicht ihre beinahe unheimlich leuchtenden Augen, ihre fest aufeinander gebissenen weißen Zähne, ihre starren, herausfordernden Blicke, deren seltsame Glut sich steigerte, während sie ihren Oberleib vornüberbeugte und so Miene machte, selbst zur Angreiferin zu werden, oder war es seine Furcht, ihr gellender Schrei sei jetzt bei der geöffneten Thür vielleicht drunten gehört worden was ihm seine Besinnung wiedergab genug, er richtete sich hoch auf und sagte mit keuchender Stimme: »Was uns anbelangt, mein würdiger Held und Beschützer, so werden wir uns wiedersehen, wo Ihnen das unangenehm genug sein soll! Lächerlicher Gedanke,« sagte er, sich der Thür nähernd und den Säbel in die Scheide stoßend, »so einen Vagabunden und hergelaufenen Landstreicher behandeln zu wollen!«
»O, wenn Sie ihn einmal so behandeln wollten,« rief Erich, indem er mit blitzenden Augen vor ihn hinsprang, »wenn Sie nur dieses eine Mal die Gnade haben wollten, Ihren Rang, Ihren Stand, die Ungleichheit unserer Kleider zu vergessen! Ursache hätten Sie genug, einmal, nach Ihrer Ansicht, recht tief herabzusteigen und mir zu gestatten, Ihnen mit dem Säbel in der Hand entgegenzutreten und selbst den ungleichen Kampf, den Sie soeben beginnen wollten, würde ich Ihnen gegenüber nicht einmal scheuen!«
Erich sagte das glühend vor Aufregung, mit trotzig, mutvoll blickenden Augen, mit erweiterter Brust, unter sichtbarer Anspannung der Muskeln seiner hohen, kraftvollen Gestalt; er sagte das in dem stolzen Selbstbewußtsein seiner Kraft und seines guten Rechtes; er sagte das, indem er mit einem fast verächtlichen Blicke auf die schon ziemlich verlebte Gestalt seines Feindes hinzusetzte: »Nehmen Sie zu dem Säbel auch noch den Dolch, den Sie ja zu führen wissen!«
War es vielleicht das Bild Kolmas, welches in diesem Augenblicke vor die Seele des Grafen Dagobert Seefeld trat, oder war es vielleicht der vernünftige Gedanke, hier nicht weiter gehen zu dürfen, um nicht in eine Lage zu geraten, die ihn in jeder Hinsicht alles mußte befürchten lassen, was ihn veranlaßt«, das Gemach zu verlassen, um dieser peinlichen Scene, deren Schluß wohl vorauszusehen war, ein Ende zu machen doch hatte er langsam und bedächtig seinen Säbel an sich genommen und umgeschnallt, hatte zu Blanda gesagt: »Auch wir sehen uns ebenfalls wieder!« und stieg dann langsam die gewundene Treppe hinab, wobei er zuweilen, lauschend stehen blieb, um zu hören, ob durch die krachende Thür und darauf durch den Schrei Blandas nicht drunten im Hause Lärm entstanden sei. Doch war dies nicht der Fall; die mächtigen Mauern des alten Schlößchens hatten jeden Schall gedämpft, und als Graf Seefeld auf den Hof trat, sah er die Dienerschaft der Offiziere unbekümmert wie früher plaudernd bei den Pferden stehen. Er selbst aber fand es nötig, eine Zeitlang die kühle Nachtluft einzuatmen, um das gewaltige Erbeben seines Innern ruhiger werden sowie die Röte des Zornes und der heftigen Aufregung auf seinen Gesichtszügen verschwinden zu lassen; auch trat er an den laufenden Brunnen, der sich in einer Ecke des Hofes befand, spülte das Blut von seiner Hand und wickelte sein Taschentuch darum. Gern hätte er die Handschuhe angezogen, doch hatte er diese in seinem Kalpak gelassen, der sich drunten bei den Kameraden befand; dann erst betrat er wieder die Halle, wo er das Lachen und die Spöttereien der sehr lustig gewordenen Offiziere durch vielsagendes Lächeln und gleichgültiges Achselzucken beantwortete.
Blanda hatte ihren Kopf an Erichs Brust verborgen, während ihre Arme fester seinen Hals umschlangen, wobei nun zum erstenmale seit dem Beginne jener schrecklichen Scene Thränen, und zwar unaufhaltsam strömend, zwischen ihren langen, tief herabgesenkten Wimpern hervorquollen.
»Und wo war denn die Stöcke!?« fragte Erich, als Blanda endlich mit schwimmenden Augen, aber unter Thränen lächelnd, zu ihm aufblickte.
»Sie wurde heute morgen zu ihrer kranken Tante nach der Stadt gerufen, versprach auch, im Laufe des Abends wiederzukommen, konnte aber wahrscheinlich ihr Wort nicht halten, da die Kranke schlimmer geworden.«
»Und jener Ueberfall, Blanda, wie begann er? Wie führte sich jener bei dir ein?«
»Ich weiß das selbst kaum; ich war noch spät im Garten {bild} gewesen, schlich dann leise über die kleine Treppe in mein Zimmer und hatte noch nicht einmal Zeit gehabt, die Thür zu verschließen, da stand er vor mir anfänglich ruhig sprechend, in aller Form des Anstandes und der Höflichkeit, dann aber mit einem Male anders redend und mich zu heftiger, aber nutzloser Erwiderung zwingend. Ich rief nach dem Förster, nach Joseph, und wenn jener wüste Mensch auch nicht versucht hätte, mein Rufen gewaltsam zu unterdrücken, so wußte ich doch, daß es schwerlich drunten bei dem Lärm, den die Offiziere machten, gehört werden würde; auch spottete er meiner und sagte: Rufe nur Leute herbei; man wird mich bei dir finden und wird überzeugt sein, daß du mich eingeladen wenigstens eingelassen!«
Erich knirschte mit den Zähnen und verwünschte es jetzt, daß es nicht zu einem Kampfe gekommen, wäre auch das Schlimmste daraus entstanden.
»Er sprach noch viel und allerlei,« fuhr Blanda fort, »von dem ich nur das wenigste verstand, aber es waren gewiß furchtbare Dinge, die er sagte; denn seine Lippen bebten und seine Augen vergrößerten sich auf eine schreckliche Weise. Ich schaute ihm aber fest in die Augen und mich behutsam Schritt um Schritt vor ihm zurück, immer hoffend, die Thür zu erreichen. Da sprang er auf mich zu, wand seinen Arm um mich und faßte gewaltsam meine Hand; doch stieß ich ihn zurück, fühlte aber wohl, wie der wilde Zorn, der mich zuweilen überfällt, meine Sinne bemeisterte, und nachdem ich ihm ein paarmal zugerufen, mich nicht mehr mit seiner Hand zu berühren, sah ich, wie das Blut von seinen Fingern herablief wäre ein Messer in der Nähe gewesen, ich hätte davon Gebrauch gemacht!« sagte sie mit bebenden Lippen und flammenden Augen. »Da kamst du, Erich, und ich danke Gott dafür! Aber was soll nun werden?«
Ihre plötzliche Erregung wich ebenso rasch, wie sie gekommen war, einer tiefen, schmerzlichen Wehmut; ihre Thränen flossen aufs neue, und Erich fühlte an seinem Herzen das gewaltsame Wogen ihrer Brust, das leichte Zucken ihres Körpers, was ihn mit einer unaussprechlichen Empfindung erfüllte.
Enthalten konnte er sich nicht, seine Lippen auf ihr blondes Haar zu senken und sie fester in seine Arme zu schließen; doch nur für die Dauer weniger Sekunden; dann machte er ihre Hände sanft von seinem Halse los und sagte mit bebender Stimme:
»Laß uns jetzt ruhig überlegen, Blanda, was zu thun ist für heute abend hast du nichts mehr zu befürchten.
»Und für morgen oder auch für die nächsten Tage ist mein Entschluß gefaßt, und da rechne ich auf deinen Schutz, auf deine Hilfe.«
»O, könnte ich mein Leben für dich lassen, Blanda, du bist überzeugt, daß ich es thun würde!«
Daß sie seinen Worten glaubte, zeigte sie ihm durch einen innigen, seelenvollen Blick. »Ob du mir aber helfen, mich schützen kannst,« sagte sie, »das ist eine andere Frage, Erich; vielleicht aber findest du ein Mittel. Ich kann nicht länger in diesem Hause bleiben, du hast das soeben selbst erfahren, und du wirst mir glauben, wenn ich dir sage, daß mir auch sonst der Aufenthalt hier unerträglich wird. Was sollte ich auch da von der Barmherzigkeit fremder Menschen leben, da ich überzeugt bin, mich auch sonst auf ehrliche Art durch das Leben schlagen zu können ich habe in den letzten Jahren genug dazu gelernt. Vorher aber muß ich jene Frau aufsuchen, die sich meiner sterbenden Mutter mitleidsvoll annahm und die auch sonst noch Ursache zu haben schien, mich eine Zeitlang zu beschützen. Ich muß die Gräfin Seefeld sehen und sprechen,, ich muß ihr, zugleich mit meinem heißen Danke für ihre Wohlthaten, sagen, daß sie dieselben an keine Unwürdige verschwendet hat muß ich das nicht, Erich?«
»Gewiß, gewiß; du mußt sie auch fragen, ob sie andere Gründe gehabt als nur das Mitleid, indem sie sich deiner armen Mutter und deiner, des verlassenen Kindes, annahm. Du mußt alsdann jenes Briefpaket in ihre Hände legen, welches ich dir neulich gab.« Das sagte Erich rasch, hastig, mit leuchtenden Augen, und setzte nach einer kurzen Pause des Nachsinnens hinzu: »Diese Papiere sind jedenfalls wichtig für die Gräfin Seefeld, und ich muß jetzt meine Vermutung von neulich als Gewißheit aussprechen, daß der Inhalt derselben auch mit deiner Vergangenheit oder Zukunft im Zusammenhange stehen könnte.«
»Wie wäre das möglich? Doch gleichviel, ich will diese Papiere getreulich aufbewahren und sie verwenden, wie du glaubst, wenn die Umstände es günstig fügen, daß ich mit jener Dame Worte des Vertrauens reden kann. Wie aber zu ihr gelangen? Nach dem Vorfalle von heute abend darf ich mich selbst der Stöckel nicht mehr rücksichtslos anvertrauen, noch viel weniger ihrem Bruder oder dessen Sohne, von welch letzterem ich am meisten überzeugt bin, daß er jeden meiner Schritte beobachtet, bespäht, vielleicht auch verrät; ich muß diesem Hause entfliehen, um nicht in die Lage zu kommen, mit Güte, vielleicht sogar mit Gewalt zurückgehalten zu werden.«
»Ja, du mußt fliehen, Blanda,« sagte Erich, finster vor sich niederblickend, »und ich werde dich auf deiner Flucht begleiten, bis du in Sicherheit bist.« »O, wenn das möglich wäre!«
»Pah, vieles ist möglich, wenn man nur den festen Willen dazu hat! Es wird sich um eine Nacht, um einen Tag handeln, bis ich dich an einen Ort geführt, wo du in voller Sicherheit deinen Weg fortsetzen kannst; laß mich darüber Erkundigungen {bild} einziehen; ich kenne ja das Ziel deiner Reise, und wenn es dir so recht ist, so glaube ich, wäre am besten die nächste Nacht zu wählen, wenn du nämlich bereit bist.«
»O, ich werde bereit sein!«
»Die Manöver, die morgen stattfinden, werden bis in den Nachmittag dauern, und da ich nicht daran zweifle, daß sie gut ausfallen, so erhalten sämtliche Truppen übermorgen einen Ruhetag; die Reihe der Wache ist noch lange nicht an mir, und vor Arrest hoffe ich mich schon in acht zu nehmen ist's dir so recht, oder werde ich von dir noch eine Nachricht erhalten?« »Wie danke ich dir für deine Bereitwilligkeit! Ich atme freier auf, und wenn du mir sagst, wo ich dich morgen treffen soll, so wirst du mich, dich erwartend, finden.«
»Warten sollst du nicht, gute Blanda, ich werde vor dir an der Stelle sein, die ich dir jetzt bezeichnen will. Wenn du am Ende eures kleinen Gartens in den Wald trittst, so erreichst du nach wenig Schritten einen Waldweg, der dich, sanft ansteigend, in kurzem zu einer Stelle führt, wo geschlagenes Holz die Straße versperrt; dort wirst du mich finden, wenn du das Hau) nach neun Uhr abends verlaßt ist's dir so recht?«
»Gewiß, Erich.«
»Aber wenn es regnen sollte, Blanda?«
»Sei auch alsdann nicht besorgt, du weißt, daß ich schon in frühester Kindheit gewohnt war, bei jedem Wetter unter freiem Himmel zu sein, und aus jenen oft so glücklichen Tagen, Erich, wollen wir ein Stück Wald- und Wanderleben aufführen.«
»Wie mich das glücklich machen wird! Bist du aber auch bist du aber auch mit Geld versehen?« setzte er zögernd hinzu.
»Genügend durch Kolma.«
»Gut dann; so Gott will, findest du mich morgen an der bezeichneten Stelle. Jetzt aber muß ich dich verlassen, um zu meiner Batterie, die droben auf der Höhe liegt, zurückzukehren; ich bin ganz im geheimen gekommen, Blanda, nur um dich einen Augenblick zu sehen, wenigstens das Jagdschlößchen. O, ich glaubte in der That nicht, daß ich so glücklich sein würde, mit dir reden zu können!«
»Wenn man aber deine Abwesenheit droben entdeckte?« fragte sie ängstlich.
»Darüber beunruhige dich nicht; ich habe meine Vorsichtsmaßregeln zu gut getroffen aber horch! Was ist das? « Er eilte rasch ans Fenster, und sein Ohr an eine kleine Spalte des schnell geöffneten Fensterflügels legend, hörte er das Geräusch einer wenngleich behutsam und nicht gleichmäßig marschierenden Menschenmasse.
»O, nichts als ein wahrscheinlich gut gelungener Manöverscherz Adieu, meine gute Blanda! Sei ganz ruhig, wenn du auch drunten ein klein wenig Lärm und lautes Gerede hören würdest; denke dabei freudig an morgen nacht und dann auch ein klein wenig an mich.«
Sie reichte ihm beide Hände und duldete es gern mit glücklichem Blicke, als er sie hierauf rasch an sich zog und seine frischen roten Lippen auf ihren rosig schwellenden Mund drückte. {bild}