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40. Kapitel

Unangenehme Botschaften werden unterbrochen durch einen Besuch der Gräfin Haller bei Blanda, mit welchem ein zartes Abenteuer seinen Abschluß erhält.

Als Erich und Schmoller am anderen Tage nach dem im vorigen Kapitel erwähnten Vorfalle zusammen nach dem Jagdschlößchen hinaufgingen und ersterer seinem Freunde dieses Zusammentreffen mit Wibert und dem Hauptmann von Manderfeld erzählte, sagte Schmoller: »Darin kann durchaus kein Zweifel obwalten, daß dich der Unteroffizier Wenkheim durch den Rapport, den er über Wiberts Beschäftigung gemacht und als rechtlicher Mann machen mußte, von dem gefährlichen Untersuchungsarreste befreit; sei aber dagegen versichert, daß dir dein Batteriechef die Behandlung seines Lieblings betreffend gehörig ins Wachs drücken wird, und nimm dich aufs äußerste zusammen, um ihm keine Veranlassung zu geben zu neuem Untersuchungsarrest, mit species factiverzinst.«

Was kann ich dagegen thun?« entgegnete Erich achselzuckend. »Er hat hundert Wege, um mir beizukommen!«

»Dich unter keinem Vorwande mehr in solche Geschichten einlassen wie die mit Wibert. Wie hättest du dagestanden, wenn du das ruhig und vernünftig angepackt hättest! Denn ich will nicht leugnen, daß ich auch fast vermute, der Kerl hat ein Gelüste nach deinen Papieren gehabt, doch nicht aus eigenem Antriebe, und deshalb hättest du klüger sein sollen.«

»Möglich; aber ich hätte dich an meiner Stelle sehen wollen, ob dich nicht auch der Zorn übermannt hätte!«

»Auch war es leichtsinnig, das Paket in deinem Waffengerüste zu lassen; ich hätte es dir besser aufgehoben. Wo hast du es jetzt?«

»Hier, bei mir, um es in die Hände einer der Damen zu legen, die wir auf dem Jagdschlößchen besuchen werden.«

»Auch nicht übel, denn wer weiß, ob ich es hätte lang bei mir behalten können, da seit gestern wieder stark die Rede ist von der baldigen Versetzung unserer Festungscompagnie.«

Unter diesen Gesprächen hatten sie die Stelle erreicht, wo der Waldweg von der Chaussee ab nach dem Jagdschlößchen führte und wo man schon das Dach desselben durch die kaum mit dem ersten zarten Grün bekleideten Bäume hervorschimmern sah. Schmoller kürzte hier auffallend seine Schritte und wurde sehr schweigsam, sowie sie sich ihrem Ziele näherten. Von Erich deswegen befragt, gab er zur Antwort: »Ich muß schon gestehen, daß ich da droben nicht mit meiner gewöhnlichen Sicherheit auftreten werde, was du begreiflich finden wirst; denn mag man es nehmen, wie man will, ich befinde mich da in einer sonderbaren Lage vor eine Dame hinzutreten, mit der ich Briefe und Gedichte gewechselt, ohne sie je Auge in Auge gesehen zu haben, die auch ebensowenig genau weiß, wie ich aussehe, und die mich statt mit einem freundlichen Aaaah! ebensogut mit enttäuschendem Ooooh! empfangen kann.«

Erich, der es nicht für zweckmäßig hielt, seinem Freunde den wahren Sachverhalt mitzuteilen, begnügte sich, seine Worte von gestern ungefähr zu wiederholen, daß man es mit einem sehr einfachen, aber höchst liebenswürdigen Wesen zu thun habe, {bild} deren Gunst zu erringen sich Schmoller glücklich schätzen könnte, und damit hatten sie die Hofmauer erreicht.

Es war ein milder, aber etwas trüber Tag, der Himmel mit leichtem Gewölk überzogen, durch welches zuweilen ein Lichtstrahl zuckte, als mache die Sonne vergebliche Anstrengung, durch die grauen Dünste zu brechen. Hie und da zeigten sich auch dunklere Streifen, aus denen man Regen erwarten konnte, und da nirgendwo ein bewegender Lufthauch zu spüren war, standen Bäume und Sträucher ohne die leiseste Regung, ernst, erwartungsvoll, trübe, weil ohne Licht, und gaben so der ganzen, sonst im Sonnenglanze so heiteren Waldlandschaft etwas Ernstes, ja Trauriges, wozu das eben erwähnte wechselnde Licht in den Wolken wie ein schmerzliches Zucken erschien und vortrefflich paßte.

Dazu kam noch die tiefe Stille, welche auf dem ganzen Gehöfte lag. Da es Feiertag war, so befanden sich die Knechte in der Kirche des benachbarten Dorfes; der Förster war in den Wald gegangen, und leise Zithertöne, die vom Garten herüberzudringen schienen und die wie der melancholische Hauch einer Aeolsharfe klangen, vermehrten noch das eigentümlich Feierliche der Stimmung.

»Es ist hier gerade so,« flüsterte Schmoller, »als wenn man ein verzaubertes Schloß beträte, und wenn dort ein trotziger Knecht mit Lederwams und Armbrust oder einer Hellebarde in der Faust erschiene, würde ich mich gar nicht wundern.«

»Ja, oder wenn ein kleiner Zwerg hervorträte,« pflichtete Erich bei, »um uns zu melden, daß die Fee, welche hier gehaust, gestern auf einem Drachenwagen abgeholt worden sei doch ist es trotz alledem so arg nicht; da öffnet sich die Thür des Hauses, und wir werden etwas ganz Natürliches zu sehen bekommen.«

Und so war es auch in der That. Auf der Schwelle erschien Mamsell Stöckel, sichtbar in einiger Verlegenheit, als sie die jungen Leute sah und gewiß beide erkannte, wobei Erich sich nicht enthalten konnte, die Aufmerksamkeit Schmollers durch einen Ellbogenstoß anzuspornen; dann näherte er sich rasch der Thür und stellte seinen etwas schüchtern folgenden Freund vor, daran eine Frage nach Blanda knüpfend.

»Sie ist hier im Zimmer,« antwortete die ehemalige Lehrerin etwas errötend, während sie es auffallend vermied, den Freund Erichs anzublicken, der seine Mütze abgenommen hatte und in einer demütigen Haltung vor ihr stand; »Blanda wünscht Sie zu sprechen,« setzte sie alsdann rasch hinzu »ich glaube, allein zu sprechen , und wenn mich Ihr Freund unterdessen in den Garten begleiten will, wo auch mein Neffe ist, so werden Sie uns dort später mit Blanda finden.« Sie zeigte mit der Hand auf den Weg, der um das Haus in den Garten führte, und ging dann voraus, während ihr Schmoller in nicht ganz sicherer Haltung folgte.

»Wohl bekomm ihm die Predigt!« dachte Erich in übermütiger, glücklicher Laune, die gesteigert wurde durch das Bewußtsein, daß ihn Blanda erwarte und daß er sie allein sehen werde.

Rasch trat er über den Vorplatz in die Halle und eilte in herzlicher Freude zu Blanda hin, die in dem großen Stuhle unter dem Epheu saß. Doch erschrak er, als er in ihre heute so außerordentlich bleichen Züge blickte und als er an ihren geröteten Augen sah, daß sie geweint habe heftig geweint

»Was ist dir geschehen, Blanda?«

»Vieles, vieles, und deshalb bin ich so glücklich, daß du kommst o, es war gestern für mich ein recht trauriger Tag!«

»Erzähle mir das ruhig und ohne dich aufzuregen.«

»Das ist unmöglich, ja die erste Mitteilung, die ich dir zu machen habe, wird dich ebenfalls in große Aufregung versetzen Kolma ist tot!«

»Kolma tot! Unmöglich, Blanda! Woher wüßtest du es auch?«

»Durch Schlimmeres, was mich betroffen: jener Mann war gestern hier oben, der seit Jahren, so oft ich an dich freundlich dachte, wie ein garstiges Gespenst neben dir stand, jener Mann, der dich damals verfolgte, der dich ins Gefängnis warf, woraus Kolma dich auf meine Veranlassung errettete.«

»Graf Seefeld?«

»Er selbst; es war gestern morgen ungefähr um diese Zeit, als wir im Garten saßen, die gute Stöckel und ich, da hörten wir ein rasch galoppierendes Pferd, und ich will es nicht leugnen, Erich, daß ich vor das Haus eilte, um dich herzlich zu begrüßen, aber erkannte meinen Irrtum erst, als es zu spät war, zurückzutreten, und mußte es deshalb geschehen lassen, daß er sein Pferd dicht vor mir gewaltsam zum Stehen brachte, und mußte es mit anhören, daß er im Tone höchster Ueberraschung ausrief: Welche Erscheinung!«

»O, er hat gewiß noch weiteres zu sagen gewagt!« sprach Erich mit zusammengebissenen Zähnen.

»Es ist möglich; doch da ich ihn augenblicklich wieder erkannte, war ich so bestürzt, daß ich kaum jene Worte vernahm. Dann schwang er sich aus dem Sattel, warf die Zügel seinem Reitknechte zu und blieb einen Augenblick vor mir stehen, mich mit einem Lächeln anblickend, als wolle er in ähnlicher Weise, wie er mich begrüßte, fortfahren. Doch besann er sich eines Bessern; seine Züge nahmen einen andern Ausdruck an, dann legte er seine Hand an die Mütze und sprach in einem ernsten, fast ehrfurchtsvollen Tone: Könnten Sie es sein, mein Fräulein, der ich eine Nachricht zu überbringen habe?

»Glücklicherweise kam in diesem Augenblicke die gute Stöckel heran, der er seinen Namen nannte und hinzusetzte, er suche eine junge Dame Miß Price, die bis vor kurzem in dem adeligen Fräuleinstifte der Residenz gewesen sei, worauf sie mich ihm durch eine Handbewegung bezeichnete.«

»Und er war es, der die Nachricht von Kolmas Tod überbrachte?« fragte Erich schmerzlich bewegt.

»Er war es, und was er mir von ihrem Tode erzählte, trug so den Stempel der Wahrheit, daß leider nicht daran zu zweifeln ist.«

»Er konnte allerdings von Kolma wissen,« sprach Erich traurig vor sich hin, »denn an dem Abend, wo wir beide hier oben waren, hatte er sie in der Stadt gesprochen. O, wie ich sie an jenem Abend sah, nach Jahren zum erstenmale wieder sah, hat mich ihr Anblick aufs tiefste erschüttert! Gewiß, gewiß, sie litt tief und hoffnungslos, und dieses Bewußtsein sprach auch häufig aus ihren Worten aber entsetzlich ist es, daß gerade er dich von ihrem Tode benachrichtigen mußte und wie starb sie?«

»In jener Nacht auf der Fahrt nach Hause, in ihrem Wagen wohl sanft und schmerzlos, wie er mir sagte; denn als ihre Dienerin den Schlag geöffnet, habe sie anfangs geglaubt, sie schlafe.«

»Die arme, arme Kolma! Wie glücklich bin ich, sie noch gesehen zu haben, und auch dir, Blanda, wird das eine liebe Erinnerung sein!« Seine Augen hatten sich mit Thränen gefüllt, und als sie ihm nun ihre beiden Hände reichte, drückte er diese an seine Lippen und zog dann das weinende Mädchen sanft an sich. Sie legte ihren Kopf an seine Schulter, und ihr gewaltsames Schluchzen fühlte er deutlich an dem heftigen Zucken ihres Körpers.

Erst nach einer langen Pause sagte sie, sich aufrichtend: »Jetzt fühle ich es erst recht schmerzlich, wie völlig einsam ich in der Welt stehe, o, entsetzlich einsam ohne Verwandte, ohne Freunde, ohne einen Namen!«

»Wie kommst du jetzt darauf, meine gute, gute Blanda?«

»Durch eine Äußerung jenes Mannes, durch eine Frage, die er halb an mich, halb an meine liebe Stöckel that, die aber klang, als spräche er ungläubig mit sich selber. ,Und Sie heißen wirklich Miß Price?' sagte er einmal im Laufe des Gespräches. Ich vermochte nicht darauf zu antworten; denn wenn auch die Stöckel jene Frage eifrig bejahte, wußte ich es selbst doch zu genau, daß ich ja keinen Namen habe.«

»Aber einen Freund, der dich nie, nie verlassen wird!« rief Erich glückselig aufjauchzend, denn es durchdrang ihn ein seliges Gefühl bei dem, was sie eben gesagt; ja der für sie so schmerzliche Gedanke, daß sie niemand auf der weiten Welt habe, ließ ihn vor Freude erbeben. Durfte er es alsdann doch wagen, ihr Beschützer zu sein, durfte er alsdann doch hoffen, daß sie sich fest und innig an ihn schlösse, ihn als ihren Verwandten, ihren Bruder, als einen lieben, trauten Freund betrachte und auf seine Meinung, seinen Rat höre dann war ja auch er nicht mehr allein auf der Welt, dann hatte er ein Wesen, dem er herzlich gut sein, für das er später vielleicht einmal sorgen durfte! Wie reich und glücklich fühlte er sich durch diesen Gedanken! Er hätte in diesem Augenblicke mit keinem Könige getauscht, ja wenn der Versucher an ihn herangetreten wäre, um ihm für Blandas Freundschaft die glänzenden, heiß ersehnten Epauletten zu bieten, er würde sie höchst wahrscheinlich von sich geworfen haben.

Sie blickte durch Thränen lächelnd zu ihm auf und sagte: »Ich danke dir, Erich, dafür, daß du mein Freund sein willst, ich bin stolz darauf und werde gewiß bald in den Fall kommen, deinen Schutz, deine Hilfe anzurufen ach, ich werde es notwendig brauchen!«

»So hat er dir noch Schlimmeres gesagt,« rief Erich mit funkelnden Augen, »so haßt und verfolgt er dich?«

»O nein, man haßt und verfolgt mich nicht, im Gegenteil, man gibt sich die Miene, mir sehr wohlzuwollen, sich sehr lebhaft für mich zu interessieren.«

»O, das ist viel schlimmer!« sagte er mit leiser Stimme und einem Gefühle, welches ihm schmerzlich durch die Seele schnitt. »Und woraus erfuhrst du das?« »Aus einzelnen Worten, Blicken und Mienen, und dann fühlte ich es hier.« Sie legte bei diesen Worten die Hand auf das Herz und fuhr dann mit niedergeschlagenen Augen fort: »Ich habe nie eine solche Angst, ein solches Weh empfunden, als bei seinen Blicken und Worten.«

»O, ich verstehe dich, Blanda!« rief er mit aufloderndem Zorn und mit krampfhaft geschlossenen Händen. »Und gerade dieser Mensch, der mir schon so viel Leides zugefügt und was sagte denn die Stöckel dazu?«

»Als er endlich fort war und ich mich weinend in ihre Arme warf, da suchte sie mich allerdings zu trösten, aber mit Worten, die doch eigentlich kein Trost für mich waren. Vorher schon hatte sie höflich, fast ehrerbietig gelächelt, als er zu uns sprach, und ängstlich nach ihrem Bruder, dem Förster, hinübergeblickt, der dazukam, schon von weitem seinen Hut abnahm und sich mit tiefen unterwürfigen Bücklingen Seiner Erlaucht näherte.«

»Und was sagte sie dir dann, Blanda?« rief Erich heftig, fast rauh.

»Sie sagte, man müsse sich nicht gleich so trotzig abwenden, wenn Leute, deren Hilfe wichtig für uns werden könne, freundlich, sogar scherzend mit uns sprächen; sie sagte, es könne mir eigentlich nichts schaden, wenn ich mir das Wohlwollen meiner früheren Beschützerin, der Gräfin Seefeld, das ich doch verloren zu haben schiene, wieder gewänne.«

»Durch ihn? Das Wohlwollen der Gräfin, die gewiß eine gute und edle Dame ist o, wie dumm ist diese Stöckel!«

»Verstehst du nun, Erich, daß mich alles das recht unglücklich macht?«

»Ob ich dich verstehe, meine gute Blanda!«

»Und daß mir hierdurch mein Aufenthalt hier oben, wo ich so glücklich war, beinahe verhaßt geworden auch ...«

»Sprich doch, Blanda, was hast du sonst noch?« bat er, als sie plötzlich schwieg.

»Auch beunruhigt es mich, daß der arme Sohn des Försters sich gar so viel um mich bekümmert, daß er mir wie sein Schatten folgt und daß seine traurigen Augen so lebhaft zu mir sprechen, wenn auch sein Mund fast stumm ist ich muß fort von hier, Erich,« rief sie schmerzlich aus, in Thränen ausbrechend, »aber ich weiß nicht, wohin! O, wüßte ich nur, wo jene Leute sind, die mich liebten und verehrten, die ich nie hätte verlassen sollen, mit ihnen leben, mit ihnen sterben wüßt' ich Zaregg zu finden, jenen kühnen, gewaltigen Mann, der mir, dem Kinde, auf Schritt und Tritt folgte, der seine starke Faust, seine weißen, zusammengebissenen Zähne trotzig und drohend gegen den Wind kehrte, wenn dieser zu unsanft durch mein Haar fuhr aber wo sind sie geblieben? Zerstreut in alle Welt, gestorben, verdorben! Viel durch die Schuld der armen Kolma, die ihre Hand und ihren Geist von ihnen abzog, die, wenngleich nicht unmittelbare, Veranlassung war, daß auch wir jene verließen. An die Gräfin Seefeld schrieb ich aus der Pension und erzählte ihr ausführlich, ohne jeden Rückhalt, die Veranlassung, weshalb man mich von dort entfernt, erhielt aber keine Antwort und werde auch von dort nie eine erhalten.«

Darüber konnte Erich nicht anders als eine heimliche Freude empfinden; allerdings eine etwas eigennützige Freude, aber begreiflich, beinahe verzeihlich. Er sah es wieder vor sich, jenes große Schloß mit seinen weiten Gemächern und langen, öden Gängen, und in seiner Phantasie zog sich rings umher ein Zauberbann, den er nie mehr übertreten dürfe; dort einmal hineingeraten, durfte er nie hoffen, Blanda wieder zu sehen so dachte er, war aber doch nicht egoistisch genug, diesen Gedanken Worte zu verleihen, und selbst dann nur annähernd und vermittelnd, als ihm plötzlich die Mühle des Doktors Burbus vor Augen schwebte und das segensreiche Walten jenes wohlwollenden, thatkräftigen Mannes. Ja, diesem beschloß er sich anzuvertrauen, ihm Blandas ganze Geschichte mitzuteilen und sich seinen Rat, seine Hilfe zu erbitten. Allerdings war dann wohl anzunehmen, daß der Doktor, der mit den Verhältnissen der Familie Seefeld genau bekannt war, auch dort seine Erkundigungen einziehen würde, ja, es vielleicht vermöge, das Wohlwollen der Gräfin für das arme junge Mädchen wieder zu erwecken, und dann und dann stand er selbst wieder verlassen vor jenem Zauberkreise, der ihn ewig von dort fern halten mußte. O, wie tief schmerzte {bild} ihn dieser Gedanke, der nach allem Nachsinnen stets wiederkehrte! Vielleicht bekümmerte sich der Doktor Burbus in seiner derben, geraden Weise auch nicht im geringsten um die Seefeldsche Familie, vielleicht ließ er sich für Blandas Schicksal interessieren, wußte in diesem Falle Rat und Hilfe und dann vielleicht blieb auch ihm die Hoffnung, Blanda nicht zu verlieren.

Weiter mochte und durfte Erich nicht träumen, es schwindelte ihn; weiterhin verlor sich all sein Denken und Fühlen in ein wunderliches Gemisch von Leid und Freude, sowie in Wirklichkeit in das Anschauen von Blandas schönen, klaren Augen, mit denen sie ihn fast erstaunt ob seines langen Schweigens betrachtete. Da hörte man draußen vom Hofe herein mit einem Male das rasche Rollen eines Wagens, der vor dem Jagdschlößchen hielt, dann wurde die Hausthür geöffnet, dann vernahm man rasche Tritte auf dem Vorplatze und dann erschien auf der Schwelle des Gemaches, worin die beiden sich befanden, eine junge, sehr elegant gekleidete Dame, die sich mit dem Ausrufe: »O, meine arme Genoveva!« in Blandas geöffnete Arme warf »Hab' ich dich endlich gefunden, mein Herz, was mir wahrlich Mühe genug gemacht hat, denn du bist hier oben versteckt, wie eine gefangene Prinzessin! Ach, meine Blanda, wie lange haben wir uns nicht gesehen! Freust du dich auch, daß ich endlich zu dir gedrungen bin?«

»Ob ich mich freue, Klothilde!« antwortete Blanda mit glänzenden Blicken. »Ich dachte schon, auch du hättest mich völlig vergessen!«

»Ich dich vergessen? O, ich vergesse niemand, den ich einmal geliebt, aber von dir ist es nicht recht, dich so zu verstecken! Weißt du wohl, daß ich schon vor einigen Tagen den sauren Gang zur Frau von Welmer that, um mich nach dir zu erkundigen? Wie hat sich das Haus da droben verändert! Ich sage dir, es ist so still und unheimlich, als sei es nur von Gespenstern bewohnt, und ich bin auch überzeugt, daß der Geist der Quadde um die Mitternachtsstunde weherufend durch unseren Schlafsaal schwebt aber wen hast du denn da, mein Herz?« flüsterte sie mit einem Blicke auf Erich, welcher sich beim Eintreten der jungen Dame nach der Thür zurückgezogen hatte.

»Einen Jugendbekannten, den ich dir sogleich vorstellen will.«

»Auch von der Artillerie?« lachte die Gräfin Haller schelmisch. »Ein hübscher Mensch ich werde nächstens ganz an dir irre werden, Blanda. Aber denke dir nur, die boshafte Welmer wollte mir nicht sagen, wo ich dich finden könne, und da fiel mir denn glücklicherweise ein, daß du ja mit der Gräfin Seefeld liiert gewesen, weshalb ich mich an ihren Vetter, den Grafen Dagobert, wandte, der mir denn auch sogleich verriet, wo du zu finden seist; der mir auch auf meine vorwitzige Frage gestand, daß man dich hier oben ein bißchen zur Strafe in der Einsamkeit halte und mir darum allergnädigst nur diesen einzigen Besuch erlauben wollte, wobei ich ihm versprechen mußte, deinen Aufenthalt niemand zu verraten. Aber weißt du auch,« fuhr sie, ihren Ton in einen erkünstelten Ernst verändernd, fort, »daß mich diese Geheimnisthuerei eifersüchtig machen könnte, wenn mir das Geringste an den Galanterien des häßlichen Grafen gelegen wäre aber nicht so viel!« Dabei schnippte sie mit dem Finger. »Doch stelle mir jetzt deinen Freund vor, er ist im Begriffe sich zur Thür hinauszuschleichen.«

»Recht gern Herr Erich Freiberg von der reitenden Artillerie Gräfin Haller.«

»Ich freue mich sehr,« sagte diese, »einen Freund meiner guten Blanda kennen zu lernen; Sie sind drunten in Garnison, doch wohl nicht auf dem Fort Maximilian?« »Ja und nein,« erwiderte Erich, mit einer zwanglosen Verbeugung näher tretend; »eigentlich sollte ich sagen, um Ihre Frage folgerichtiger zu beantworten: nein und ja, denn ich bin allerdings drunten in Garnison, habe aber nicht das Glück, auf dem Fort Maximilian zu wohnen.«

»Ist das ein Glück?«

»Der schönen Aussicht wegen, gnädige Gräfin.«

»Vielleicht früher,« sagte sie lustig lachend, »um in Blandas Fenster schauen zu können« und setzte leise, gegen ihre Freundin gewendet, hinzu: »Oh über dich, meine kleine Heuchlerin! Meine Geheimnisse nahmst du, ohne mir deine dafür mitzuteilen! Ach, es war doch eine hübsche Zeit, als wir noch so unbefangen und harmlos uns mit kindischen Dingen beschäftigten!«

»Wenn Sie erlauben, so suche ich meinen Freund bei Fräulein Stöckel auf,« sagte Erich, konnte aber von Blanda nicht sogleich eine Genehmigung erhalten, da die Gräfin Haller ihr eifrig ins Wort fiel:

»Was, unsere gute Stöckel ist auch hier wahrscheinlich als deine Gouvernante? Kind, du bist ja hier oben recht praktisch eingerichtet, wenn auch ein bißchen streng! Ich würde mir das verbeten haben! Papa sprach mir auch von einer Gouvernante, doch gab ich ihm sehr ernst zu verstehen, daß ich über dergleichen kindische Zwangsmittel hinweg sei. Aber die Stöckel möchte ich sehen; bitte, Herr von Freiberg, der guten Person zu sagen, daß eine ihrer ehemaligen Schülerinnen sie später einen Augenblick begrüßen möchte.«

»Bis nachher, Erich,« sagte Blanda, dem jungen Manne die Hand reichend, welcher sich nach einem ehrfurchtsvollen Gruße zurückzog.

»Das ist in der That ein recht hübscher junger Mann,« sagte Klothilde, ihm nachblickend, und auch ein hübscher Name: Erich von Freiberg.«

»Nur Freiberg, ohne von,« berichtigte Blanda lächelnd.

»Wenn es dir so genehm ist, will ich es glauben; aber man weiß nie, wie man bei dir daran ist. Vielleicht in kurzer Zeit entwickelt sich aus diesem Herrn Freiberg ein Baron oder Graf Erich, und das wäre dann immer noch nicht zu viel für meine herzige Genoveva!«

»Ich verstehe dich in der That nicht, Klothilde, du sprichst in Rätseln für mich!«

»Du bist selbst das größte Rätsel, mein Herz, oder besser gesagt, du hast noch nie gewußt, was du eigentlich wert seiest für mich, die ich dich so herzlich liebe und für die du in jeder Lebenslage die gute treue Blanda sein wirst, mehr als für alle anderen!«

»Ich begreife dich wahrhaftig nicht!«

»Ich wollte damit nur sagen, daß es mir nur um dein Herz zu thun und sonst gleichgültig ist, ob aus der einfachen Hülle der Miß Price später einmal eine Baronin, eine Gräfin oder gar eine Herzogin emporflattert!«

Jetzt konnte sich Blanda nicht enthalten, herzlich zu lachen, worauf sie zur Antwort gab: »Du bist zu komisch, Klothilde, du bauest in einem fort die glänzendsten Luftschlösser für dich und für andere; glaube mir aber, ich weiß nur zu genau, daß ich ohne Familie, ein armes, unbekanntes, in der Welt alleinstehendes Mädchen bin!«

»Streiten wir nicht darüber, liebe Genoveva; ich habe stets die Geheimnisse der Anderen geachtet und achte vor allen die deinigen, meiner lieben, guten Freundin!«

»Aber wie kommst du auf solche närrische Ideen?«

»Um dir zu beweisen, daß ich weniger zurückhaltend bin, als du, will ich dir darüber mitteilen, was ich dir zu sagen imstande bin. Daß ich, aus der Pension heimkehrend, nach allem, was vorgefallen ist, zu Hause nicht so empfangen wurde, wie es mir lieb gewesen wäre, wirst du verstehen; aber meinen guten Papa kannte ich zu genau, um nicht ein verdächtiges Zucken in seinen Mundwinkeln zu bemerken, als er mir eine massive Strafpredigt hielt über das ungeheure Verbrechen, welches wir gegen die Quadde begangen; auch wußte ich ihm das Ganze so ergötzlich zu schildern, daß er sich rasch umwandte, um mich zur ferneren Abkanzelung meiner Tante zu übergeben, welche denn auch dieses fruchtlose Geschäft mit gehöriger Energie betrieb, wohl eine halbe Stunde lang, während welcher Zeit ich das Klügste that, was ich thun konnte, nämlich alle fünf Minuten lang mit einem tiefen Seufzer die Worte einzuschalten: Ja, meine liebe Tante! Und das paßte vortrefflich, da sie in lauter meistens höchst indiskreten Fragen zu mir sprach: ob ich von meinem tiefen Unrecht überzeugt sei, ob ich mich nicht als strafwürdige Anstifterin betrachten müsse, ob es nicht eine Schande für die ganze Familie sei und dergleichen mehr. Schließlich machte sie alsdann meinem wieder eintretenden Papa einige Strafvorschläge für mich: das Unterbringen in einer neuen Pension, eine sehr strenge Gouvernante; und als zu allem dem Papa, der froh ist, mich wieder zu Hause zu haben, den Kopf schüttelte, bestand sie auf dem nach ihrer Ansicht Allergelindesten, eine Audienz bei der alten Frau Herzogin nachzusuchen, um dort nach einer de- und wehmütigen Bitte um Verzeihung wieder zu Gnaden aufgenommen zu werden.

»Dem konnte ich nun nicht entgehen und wurde vor ein paar Tagen, ein armes, wehrloses Opferlamm, in das Palais der Frau Herzogin geschleppt, um eine zweite, ebenfalls gesalzene Strafpredigt zu empfangen. Doch ging es besser, als ich es erwartet, woran indessen meine Klugheit schuld war. Ich hielt nämlich ein kleines Stückchen Zucker zwischen den Fingern, und als der berühmte Hund Mignon, seiner Herrin weit voraus, dahersprang, war ich so glücklich, mir durch den Zucker seine Gunst in solchem Grade zu erkaufen, daß er schweifwedelnd vor mir stehen blieb und meinen Handschuh beleckte. Fast hätte ich laut hinausgelacht, als ich trotz meines tiefen Komplimentes sah, wie sich die ernsten, finsteren Züge der Frau Herzogin meine Tante ging neben ihr und stopfte alles mögliche Schlimme über mich in sie hinein beim Anblicke des gnädigen Mignon freundlich verwandelten und sie dann mit aufgehobenem Zeigefinger zu dem Hunde sagte: »Mignon, Mignon, du scheinst mir in der That keine Menschenkenntnis zu besitzen, denn das ist ein sehr böses Fräulein!«

»Natürlich faltete ich in Demut meine Hände und verneigte mich so tief, daß ich kaum sehen konnte, wie die alte Herzogin auf mich zuhumpelte, schrak auch sehr natürlich zusammen, als sie nun meinen Kopf aufrichtete, mich dann mit dem Handschuh leicht auf die Wange schlug, wobei sie sagte:

»,Strafe muß sein, Strafe muß sein; ist mir das nicht ein kleines, unartiges Geschöpf! Revolutionen in meinem Stifte anzuzetteln, pfui! Revolutionen ganz Demokratin und das eine Gräfin Haller!'

»Daß meiner Tante diese Art von Strafpredigt durchaus nicht die richtige schien, sah ich an ihrer sehr ernsten Miene; doch was wollte sie machen? Und sie hatte ihr Spiel total verloren, als mich die alte Herzogin die Vorgänge im Stifte erzählen ließ. . Daß ich die Quadde nicht schonte, darauf kannst du dich verlassen, wogegen ich von Frau von Welmer alles mögliche Gute sagte, besonders da ich augenblicklich fühlte, daß ich der Frau Herzogin einen Gefallen that. Mehrmals lachte diese laut auf, und ich sah, wie das jedesmal meiner Tante einen Stich ins Herz gab. Dann traten die beiden Damen ans Fenster, und ich spielte mit dem liebenswürdigen Mignon so unbefangen als möglich, verlor aber dabei wenig Worte von der Unterhaltung der beiden, wobei es dann förmlich lustig war, daß die alte Herzogin mein Benehmen bei meiner eigenen Tante entschuldigte und sie schließlich ersuchte, die ganze Sache nicht so schwer zu nehmen, besonders da die Quadde allerdings eine unausstehliche Person gewesen sei. Das Stift werde sie weiter von der Stadt verlegen, es aber jedenfalls in der Hand der vortrefflichen Welmer belassen.«

»Das freut mich!« sagte Blanda.

»Jetzt aber kommt für dich die Hauptsache, mein Herz,« fuhr Klothilde fort »mit einem Male hörte ich deinen Namen nennen.« »Meinen Namen, aber gewiß nicht im Guten?«

»Deinen Namen: Miß Price von der Herzogin: sie sagte: Mir thut es leid, daß die Gräfin Seefeld das junge Mädchen unter einem angenommenen, gänzlich unbekannten Namen dort ließ und so ein Geheimnis um sie wob, das zu enthüllen erst vor ein paar Tagen der Welmer gelang!«

»Darauf wäre ich selbst sehr begierig!« warf Blanda lächelnd ein.

»Eine fremde Dame habe die Welmer vor kurzem besucht und sich dringend nach dir erkundigt.«

Ah Kolma! dachte Blanda, welche, die Unterredung derselben mit der Direktorin des adeligen Stiftes kennend, wohl wußte, was nun kommen würde.

»Jene Dame habe der Welmer nach langem Drängen und Bitten endlich anvertraut, daß du, mein Herz, von sehr hoher Geburt seiest eine Herzogin.«

»O, du närrisches Kind!« konnte Blanda hier nicht unterlassen, auszurufen. »Jene fremde Dame, die ich kenne, hat ihre Gründe gehabt, der Frau von Welmer ein Märchen zu erzählen!«

»Wie du willst, mein Herz; ich glaube alles, was du verlangst, und wenn du mir heute einreden willst, dein Vater sei ein Schuhflicker gewesen, achte ich deine Gründe zu sehr, um dir zu widersprechen, muß dir aber doch noch mitteilen, daß die alte Herzogin schließlich zu meiner Tante sagte:

»Dem sei nun, wie ihm wolle, jedenfalls hat dieses junge Mädchen ein feines, hocharistokratisches Air, was mich auch bestimmte, sie ins Stift aufzunehmen, und wenn die zänkische Quadde nur eine Spur von Menschenkenntnis gehabt hätte, müßte sie im täglichen Umgange das jedenfalls herausgefühlt haben. Ein solch edles Blut verleugnet sich nicht.

»Und nun, meine Herzogin, bin ich gekommen, dir unter dem Ausdrucke meiner Liebe auch den der tiefsten Ehrfurcht zu Füßen zu legen.«

Blanda fühlte sich durch das, was ihre Freundin zuletzt gesagt, tief bewegt, fast erschüttert, nicht als ob sie auch nur im entferntesten daran geglaubt hätte, einer vornehmen Familie anzugehören; erinnerte sie sich doch deutlich daran, daß ihre Mutter, die im Elende gestorben war, so oft ihres Vaters als eines {bild} braven Mannes erwähnt, ohne Vermögen, ohne jegliche vornehme Familienverbindung, ein allerdings ehemals fleißiger und geschickter Maschinenarbeiter, der aber durch Unglücksfälle, hauptsächlich durch den Verlust dreier Finger der rechten Hand, mit seiner Familie ins Elend geraten und so heruntergekommen, daß er seine letzten Lebensjahre mit den Zigeunern herumziehend, diesen bei ihren Metallarbeiten geholfen. Kolma hatte ja das ebenso gut gewußt, und Blanda hatte ihr schon damals ein unangenehmes Gefühl nicht verhehlt, als ihr Kolma jene scherzhaften Worte wiederholte, die sie der Frau von Welmer gesagt. Und dennoch und dennoch fühlte sie, wenn auch kein edles Blut im Sinne der Frau Herzogin durch ihre Adern fließend, doch ein Blut, das ebenso sein und edel dachte, das alles Gemeine haßte und vermied, und in dem Sinne hätte sie besser eine Herzogin sein können als manche andere, durch deren Adern das unverfälschte blaue Blut strömte.

»Ich habe dich durch mein Geplauder nicht verstimmen wollen, meine herzige Genoveva,« schmeichelte Klothilde, als sie bemerkte, daß jene ernst, beinahe trübe vor sich hinblickte, »und um dich wieder aufzuheitern, will ich dir nun etwas Lustiges erzählen; denke dir nur, ich habe neulich meinen verkleideten Prinzen vom Fort Maximilian wieder gesehen wie mich das ergötzt hat!«

»Doch nur in der Entfernung, Klothilde, hast du ihn hoffentlich gesehen?« fragte Blanda besorgt. »Und er wird wohl in dir nicht jenes leichtsinnige Mädchen aus der Pension erkannt haben?«

»Im Gegenteil, ich sah ihn nicht nur ganz nahe, sondern sprach auch mit ihm und bin überzeugt, das unbedeutende Fräulein aus dem Stifte recht tüchtig aufgefrischt zu haben. Ich war mit Papa und einem Bekannten zu Pferde bei einem Spazierritte auf Fort Maximilian; die beiden Herren wollten dem Festungskommandanten einen Besuch machen, ließen mich unverantwortlicherweise allein, und da war nun der Zufall so freundlich, jenen jungen Mann gerade in meinen Weg zu führen; aber offenherzig gesagt, mein Lieb, war ich doch ein wenig enttäuscht, er hatte etwas Gewöhnliches, Grobes in seinem Gesichte.«

»Dein verkleideter Prinz?«

»Ja, verkleidet zum Nichtwiedererkennen!« lachte Klothilde.

»Und woran erkanntest du ihn denn?«

»Er las in einem Buche, und da ich ihn ganz gleichgültigerweise darum befragte, so deklamierte er mir jene Verse, weißt du:

Sie liebten sich beide, doch keiner
Wollt' es dem andern gesteh«

Damit aber hatte ich genug, ich ließ mein Pferd dahin gehen, und so schloß sich wohl für immer unser kleines Abenteuer.« Von dem Veilchenbouquet sagte sie nichts, setzte aber nach einer kleinen Pause Nachdenkens hinzu: »Ja, wenn er noch so hübsch und elegant gewesen wäre, wie dein Erich!«

»Wie mein Erich?« wiederholte Blanda in einem Tone des Vorwurfs.

»O, mein Herz, täusche dich selber nicht, oder lerne besser lesen in den glänzenden Augen jenes jungen Herrn, in seinen Blicken, die er mit so eigentümlichem Ausdrucke auf dich richtete!« »Du bist eine gefühlliche Lehrmeisterin!« erwiderte Blanda errötend, indem sie sich erhob, um ein ihr selbst unerklärliches Gefühl von Verlegenheit zu verbergen, worauf sie hinzusetzte: »Komm, ich zeige dir unseren kleinen Garten, wo wir auch wahrscheinlich Fräulein Stöckel finden werden.«

»Wie Ew. Hoheit befehlen!« lachte Klothilde. »Ja, komm und laß mich dein kleines Reich sehen, meine schöne Herzogin!«

Damit verließen sie das Haus, die beiden eleganten, jugendlichen Gestalten, beide schön, und doch im Aeußeren wie verschieden! Blanda in ihrem einfachen grauen Pensionskleide, voller, stattlicher, als die Gräfin Haller, diese seiner und beweglicher, und als letztere beim Betrachten des Jagdschlößchens scherzhaft sagte: »Ein hübscher Aufenthalt, Herzogin!« so hätte man diese Worte beim Betrachten der Beiden für Wahrheit nehmen können, so sicher schritt Blanda an der Seite ihrer elastischeren, oft allzu lebendigen Freundin.

Aehnliches mochte auch Joseph Stöckel denken, der ihnen hinter einem Vorsprunge des Hauses mit düsteren Blicken nachschaute, und wenn er auch keine Idee von Herzoginnen und Gräfinnen hatte, so übersah er doch die eine gänzlich neben der anderen, und in seinem Herzen tönte es schmerzlich:

Jene ist die Schönste auf der ganzen, weiten Welt!

In der Gartenlaube befand sich Fräulein Stöckel und neben ihr saß der Bombardier Schmoller, während Erich am Eingange lehnte. Alle nötigen Auseinandersetzungen waren vor seiner Ankunft bereinigt worden, und Schmollers vielsagender, ja, sehr erfreuter Blick bewies deutlich, daß die wohlverdiente Strafpredigt, welche ihm die ehemalige Lehrerin des adeligen Damenstiftes gehalten, doch mit einem Akte der Versöhnung geschlossen. Hatte er doch in seiner leicht erregbaren Weise feierlichst die Versicherung gegeben, daß die ihm übersandte Photographie mit den angenehmen, milden Zügen einen unauslöschlichen Eindruck auf sein Herz gemacht, und daß er jetzt nicht mehr imstande sei, seine frühere Verblendung zu begreifen. Allerdings sagte er das nicht in dieser bestimmt ausgedrückten Weise, wie wir es hier wiedergeben, sondern mit so zarten Umschreibungen, daß Fräulein Stöckel höchstens den Eindruck ahnen konnte, den sie auf das Herz eines jungen Mannes gemacht, der freilich bis jetzt nur Bombardier war, der aber Aussicht hatte, als Feldwebel das silberne Offiziersportepee zu erhalten, sowie als solcher und noch als Privatsekretär des Batteriekommandanten eine recht hübsche und einträgliche Stellung in der menschlichen Gesellschaft einzunehmen. {bild}

Da zuckte ein abermaliger blendender Blitz und drohte, sein Herz, sowie alle seine edeln Gefühle in ihren Grundfesten zu erschüttern der Anblick der beiden jungen Damen, in deren einer er nicht nur die schöne Reiterin von neulich, sondern auch die verräterische Briefschreiberin, sowie die leichtsinnige Spenderin von anderer Leute Photographie erkannte. Ja, sie war das alles in einer Person und zugleich eine genaue Bekannte von Mamsell Stöckel; denn kaum hatte sie diese in der Laube entdeckt, so sprang sie quer über ein paar Blumenbeete auf sie zu, drückte sie in ihre Arme und küßte sie aufs herzlichste.

»Ach, gute Stöckel,« rief sie alsdann, »wie freut sich Ihre wilde, tolle Klothilde, Sie wiederzusehen! Wie erinnere ich mich bei Ihren guten, lieben Gesichtszügen an all die vergangene Zeit, wo wir so unartig waren, ich wenigstens, während sich Blanda immer gesetzt betrug! Sie können es mir glauben, Herr von Freiberg,« wandte sie sich mit einem verbindlichen Lächeln an Erich, während Schmoller für sie die reine Luft zu sein schien, »daß wir oft sehr leichtsinnige Streiche machten die gute Stöckel weiß davon zu erzählen. Doch ohne alle Ueberlegung,« fuhr sie mit affektiertem Ernste fort »aus purem Mutwillen und Langerweile ach, es war schrecklich langweilig da unten! Die hohen Gartenmauern, und über dieselben hinausragend die kleine, widerwärtige Festung auf dem Berge verzeihen Sie mir diesen Ausdruck, Herr von Freiberg , widerwärtig, langweilig für uns als point de vue, obgleich es oben für Sie wahrscheinlich sehr amüsant war.«

»Ich war selten oben, gnädige Gräfin.«

»Aber doch zuweilen; ich habe vortreffliche Augen und ein ausgezeichnetes Lorgnon, ich bin sicher, Sie droben auf dem Walle schon gesehen zu haben, ja, je mehr ich Sie betrachte, weiß ich ganz genau, daß ich mich darin nicht irre. Sie standen häufig auf dem Walle und blickten nach der Stadt hinab.«

Erich konnte nichts anderes thun, als gegenüber dieser Behauptung, welche dem Tone nach keinen Widerspruch litt, sich mit einem leichten Achselzucken verbeugen, während Mamsell Stöckel einen bezeichnenden Blick auf Schmoller warf, der sich langsam aus der Laube zurückzog und hinter derselben verschwand, ohne daß eine der beiden Damen Notiz davon genommen hätte, am allerwenigsten aber die Gräfin Haller.

»Und nun muß ich dich verlassen, mein Herz,« sagte diese »meine Kammerfrau im Wagen könnte ungeduldig werden; auch erwartet man mich zu Hause. Du kommst wohl selten in die Stadt?«

»Nie,« gab Blanda in entschiedenem Tone zur Antwort »was sollte ich auch da unten?«

»So werde ich dich in den nächsten Tagen wieder besuchen, und wir durchstreifen dann ein bißchen den Wald vielleicht in Begleitung und unter dem Schutze deines Herrn Erich,« setzte sie leise hinzu, aber laut genug, daß der Betreffende ihre Worte verstehen konnte. »Adieu, liebe Stöckel! Bleiben Sie ruhig hier, Blanda begleitet mich an den Wagen, vielleicht auch Herr von Freiberg.«

Erich verbeugte sich und ging in einiger Entfernung hinter den jungen Damen nach dem Schloßhofe zurück, wo die Gräfin Haller, nachdem sie Blanda herzlich geküßt und dem jungen Manne freundlich zugewinkt, in ihren Wagen stieg und davon fuhr, noch einigemal zurückschauend, bis sie an dem steilen Waldwege verschwunden war. Der Förster, aus der Gegend zurückgekehrt, stand im Hofe, hatte sich mit dem Kutscher der eleganten Equipage unterhalten und ehrerbietig seine Mütze abgezogen, als die beiden jungen Damen herankamen, auch dieselbe nicht wieder aufgesetzt, so lange als sich Blanda in seiner Nähe befand. Erst als diese mit Erich nach dem Garten zurückgegangen war, bedeckte er sich wieder und sagte kopfschüttelnd, seiner ihm rätselhaften Hausgenossin nachblickend: »Das da scheint mir ein eigentümlicher Magnet zu sein, und die Gesellschaft, welche sie anzieht, wird immer vornehmer. He, Joseph!« rief er mit lauter Stimme.

Der Gerufene schleppte sich aus seinem Verstecke hervor, wo er auf die Zurückkunft Blandas gelauert.

»Dachte es mir gleich, daß er irgendwo herumlungern würde he, was treibst du da im Winkel?«

Der arme junge Mensch schlug die Augen zu Boden, und nachdem er ein paarmal heftig mit den Achseln gezuckt, brachte er mühsam das Wort hervor: »Wagen!« wobei er zur Verdeutlichung die Räder in der Luft durch eine Handbewegung zeichnete.

»Ja Wagen!« brummte der Fürster, indem er einen ernsten, aber milden und schmerzlichen Blick auf ihn warf. »Es wäre schon recht, wenn du nur den Wagen betrachtetest, oder besser wäre es noch, wenn Wagen genug kämen, um alles das von hier wegzuführen. Komm, wir wollen ins Revier gehen; hole dein Gewehr, du verlernst ja ganz und gar mit der Büchse umzugehen.«

Gehorsam ging Joseph dem Hause zu, aber verstohlen nach seinem Vater blickend, und als dieser einen Augenblick in das Nebengebäude getreten war, bückte er sich rasch gegen den Griff der Hausthür, auf dem vorhin Blandas Hand ein paar Sekunden geruht, und küßte aufs innigste das kalte Eisen.

Im Garten sagte Erich zu Blanda, als sie nebeneinander hingingen: »Auch ich muß dich jetzt verlassen, möchte dich aber um etwas bitten. Ich habe hier ein kleines Papierpaket, das mir sehr wichtig und bei mir drunten nicht sicher aufgehoben ist; möchtest du es wohl zu dir nehmen und mir aufbewahren, oder noch besser, möchtest du mir wohl einen Rat geben in betreff dieser Papiere?«

»Gewiß, Erich, wenn ich dir raten kann!« Er zog das Paket aus seiner Brusttasche und hielt es mit einiger Verlegenheit in den Händen. Konnte er ihr doch nicht gut mitteilen, auf welche Weise er dazu gekommen und doch, er log ja nicht, wenn er ihr sagte, daß er es auf der Straße gefunden; aber wie konnte er ihr alsdann glaubwürdig machen, daß diese Papiere, wenn er sie wirklich auf der Straße gefunden hatte, für ihn vom geringsten Interesse sein könnten? Daran hatte er früher nicht gedacht, und jetzt, wo sie, seine Bitte bejahend, ihn so freundlich fragend anblickte, konnte er diese Bitte nicht mehr ungeschehen machen und setzte deshalb rasch ohne viel Ueberlegung hinzu: »Kolma hat um diese Papiere gewußt, und ihr würde ich sie übergeben haben, wenn das nicht leider jetzt unmöglich wäre.«

»So hatten sie vielleicht für Kolma Interesse?« »Das glaube ich nicht, Blanda; viel eher könnten sie, wie ich vermute, mit deiner Vergangenheit in einem Zusammenhange stehen.« »Mit meiner Vergangenheit woher wußtest du das?« »Weil ich weiß weil ich glaube ja, weil man mir sagte ....,« stockte und zappelte Erich in den Maschen des Lügengewebes, das er eigentlich absichtslos um sich gewoben, dessen er sich aber schämte und schon im Begriffe war, dasselbe zu zerreißen, wenn Blanda nicht gesagt hätte:

»Laß es gut sein, Erich, du bist so freundlich gegen mich gesinnt, daß du alles, was von Kolma kommt oder mit ihr in Berührung gestanden, auf mich beziehen möchtest, und doch stand meine früheste Vergangenheit gar nicht, meine spätere nur in einem sehr losen Zusammenhange mit ihr. Gib mir aber dein Paket, und ich werde es dir getreulich aufbewahren, bis du es zurückverlangst.« Er reichte ihr zögernd das Paket; es war ihm gerade, als müsse er sie auffordern, die Siegel zu zerbrechen und den Inhalt wie ihr Eigentum zu betrachten. Vielleicht hätte er das auch gethan, wenn nicht in diesem Augenblicke der Bombardier Schmoller, mit Fräulein Stöckel durch den Garten kommend, an sie heran, getreten wäre, wobei ein Blick, den der erstere auf seine Uhr warf, sehr deutlich eine Mahnung zum Aufbruche war. Deshalb verließen sie das Jagdschlößchen und wurden von Blanda und Mamsell Stöckel den steilen Waldweg hinab bis zur Landstraße begleitet. {bild}


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