Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

35. Kapitel

In welchem der letzte Bombardier Unrecht bekommt, weil er Recht behalten wollte, und worin der Bombardier Weitberg eingesperrt wird, weil Erich zum Arrest verurteilt wurde.

Der Arrest, zu welchem Erich, wie wir im vorigen Kapitel erfahren, und in der That ganz unschuldigerweise verurteilt wurde, war die erste Strafe des letzten Bombardiers, seit er sich bei der reitenden Batterie befand. Schon häufig hatte der Hauptmann von Manderfeld allerdings versucht, ihm, wie man so zu sagen pflegt, etwas am Zeuge zu flicken, aber bis jetzt keinen, auch nur halbwegs triftigen Grund bei Erichs ruhigem Betragen, bei seinem Fleiße und bei seiner strengen Ordnung in allen seinen Obliegenheiten hierzu finden können. Auch hatte sich der Batteriechef stets ein wenig gescheut vor den trockenen Bemerkungen seines Premierlieutenants, wenn er, wie häufig geschah, kleine Strafen ohne besonderen Grund verhängte. und was nun seinen speciellen Liebling, den letzten Bombardier, anbelangte, so fand es der verehrte Manderfeld nicht der Mühe wert, mit einer gelinden Strafe bei ihm anzufangen, hatte aber schon längst auf einen Augenblick, wie den im vorigen Kapitel erzählten, gewartet.

»Totale Betrunkenheit pfui Teufel, und noch dazu schon am Vormittag!« hatte er dem dicken Wachtmeister gesagt, den dabei natürlicherweise ein pflichtgemäßer, fast sichtbarer Schauder überflog, obgleich er selbst in seinen vormittägigen Kanzleistunden häufig etwas in seinem im Schlafzimmer befindlichen Aktenschranke nachzusehen hatte, aber nicht in einem Fascikel, sondern in etwas, das einer Rumflasche außerordentlich ähnlich sah.

»Totale Betrunkenheit,« wiederholte der Freiherr von Manderfeld, indem er sich mit seinem parfümierten Taschentuche den feinen Bart wischte »und in diesem Rausche flegelhaftes Anrennen seines eigenen Chefs; so 'was ist, glaub' ich, noch gar nicht dagewesen, solange es überhaupt Batterien auf dieser Welt gibt! Nun, Sie werden sehen, wie sich unser letzter Bombardier entwickeln wird! Das ist ein schlauer Fuchs, der seine Krallen bis jetzt vortrefflich einzuziehen verstand, um nun auf einmal über die Stränge zu schlagen; aber er soll an mir seinen Kutscher finden, und ich werde ihn dem Teufel zufahren, darauf kann er sich verlassen! So bin ich auch vollkommen überzeugt,« fuhr er nach einer kleinen Pause in vertraulicherem Tone fort, »daß das Malheur, welches neulich dem armen Wibert passierte, in einem Anstiften jenes Freiberg seinen Grund hat ein so guter Kerl, wie dieser Wibert ist! Wird er bald aus dem Lazarett entlassen?«

»Ich glaube, in den nächsten Tagen, Herr Hauptmann.«

»Wie ich von Wibert selbst erfahren, ist er da draußen infolge einer niederträchtigen Verräterei überfallen worden, hat sich gegen drei verdächtige Kerle gewehrt, denen er es tüchtig gegeben, bis er selbst zu Boden geschlagen wurde. Ich würde die Sache gern genau untersuchen lassen, aber wie Sie mir neulich schon sagten, hat das seine Schwierigkeit. Leider, denn der Unteroffizier Wenkheim berichtete mir, daß Freiberg an jenem Abende lange genug fort gewesen sei, um jenen Ueberfall ins Werk zu setzen halten Sie ihn für so etwas nicht fähig?«

»O doch, besonders weil ich von den anderen Stubenkameraden ganz genau weiß, daß er mit Wibert häufig in Hader lebt, der schon beinahe ein paarmal in Tätlichkeiten ausgeartet wäre.«

»Geben Sie mir Achtung, wenn so etwas wieder vorfällt, und greifen mir alsdann fest zu; ich möchte gern diesen Menschen auf eine schickliche Art ein für allemal unschädlich machen. Ich kann es mir nicht verzeihen, daß ich neulich so unverantwortlich milde war und ihn mit drei Tagen Arrest schlüpfen ließ; ich hätte Standrecht über ihn verhängen sollen, denn ich bin überzeugt, sein Anrennen an uns geschah nicht ohne Absicht. Es ist das ein höchst bösartiger Mensch, wie ich ganz genau aus Vorgängen weiß, die ich Ihnen indes vorderhand nicht mitteilen kann.«

Dann versenkte er sich einen Augenblick in tiefes Nachdenken, um hierauf plötzlich den Wachtmeister zu fragen: »Was müßte auf einer Kasernenstube vorgefallen sein, um das Recht zu haben, sämtliche Waffengerüste und verschließbare Kisten der Mannschaft zu untersuchen?«

Der dicke Wachtmeister zuckte mit den Achseln und blickte seinem Chef einigermaßen erstaunt ins Gesicht, ehe er zur Antwort gab: »Das ist ein Fall, Herr Hauptmann, der glücklicherweise noch nicht vorgekommen ist, solange ich in meiner jetzigen Stellung bin; doch erinnere ich mich an etwas Aehnliches während meiner Dienstzeit bei der achten Fußbatterie, wo gegründeter Verdacht des Diebstahls an einem Kameraden vorlag.«

»Wer nahm damals jene Untersuchung vor?«

»Der Herr Hauptmann selbst mit dem Herrn Zugführer und dem betreffenden Feldwebel aber ohne Resultat, wie es häufig bei dergleichen Untersuchungen geht, wo es sich um bares Geld handelt.«

»Was allerdings leichter verschwindet als andere Gegenstände; aber, um wieder auf jenen Freiberg zu kommen, den ich über meine Frage von vorhin fast vergessen hätte,« sagte der Freiherr von Manderfeld mit einiger Heuchelei, »so nehmen auch Sie sich des jungen Menschen mit aller Schärfe und Strenge an, und wenn es gar nicht mit ihm geht, so ist es besser, man macht der Sache ein Ende so bald wie möglich; es ist überhaupt eine Lächerlichkeit mit den hochgespannten Erwartungen dieser Freiwilligen, als wenn nicht noch anderes dazu gehörte, als diese Vielwisserei und eine pedantisch gute Aufführung, um Sr. Majestät Epauletten zu tragen!«

Er legte hierauf seine Hand zum Gruße flüchtig an die Mütze und verließ das Zimmer, worauf der Wachtmeister, der, wie alle dicken Leute, eine starke Portion Gutmütigkeit besaß ihm kopfschüttelnd nachsah, dann den oben genannten Aktenfascikel einer ziemlich genauen Einsicht würdigte und hierauf zu sich selber sprach: »Daß Wibert, jener lange, unverschämte Schlingel, seine tüchtige Tracht Schläge gekriegt hat, freut mich über alle Maßen, und daß unser letzter Bombardier schon vormittags betrunken gewesen sein soll, glaube ich nun einmal nicht. Allen Respekt vor dem Herrn Hauptmann, werden aber hören, was Freiberg selbst darüber zu melden hat.«

Und darauf brauchte er nicht lange zu warten, denn da der dreitägige Arrest Erichs mit dem heutigen Mittage zu Ende ging, er auch durch den Bombardier Schwarz eine Stunde früher, als es ihm gestattet war, abgeholt wurde, so meldete er sich mit dem Schlage der Mittagsstunde bei dem Wachtmeister »aus Arrest zurück«.

»Ja, das wär' alles recht gut und recht schön,« gab dieser ihm zur Antwort, »aber ich hätte mir doch an Ihrer Stelle eine passendere Veranlassung gesucht, um zum erstenmal in Arrest zu kommen, statt wegen Betrunkenheit und Anrennen Ihres Batteriechefs.«

»Letzteres kann ich allerdings nicht leugnen, aber was ersteres anbelangt, so war ich gerade so nüchtern, wie jetzt; ich lief mit aller Hast einer Droschke nach, um jemand zu sprechen, der darin saß, sah leider die Offiziere nicht, da sie hinter einer Mauer her plötzlich in meinen Weg traten, und stieß mit dem Herrn Hauptmann zusammen.«

»Nüchtern?«

»Ganz nüchtern, Herr Wachtmeister, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort darauf!«

»Na, es ist möglich, aber wenn ich Ihnen einen guten Rat geben soll, so nehmen Sie auch Ihren Rausch geduldig hin, die Strafe dafür haben Sie ja überstanden.«

Hätte Erich diesen klugen Rat befolgt, so würde es ihm jedenfalls besser ergangen sein, als er beim nächsten Appell sich dem Herrn Hauptmann als aus dem Arrest zurückgekehrt meldete und dabei die Unklugheit beging, die ihm zur Last gelegte Trunkenheit nicht auf sich nehmen zu wollen.

»Sie waren betrunken, Herrrr, ich habe Ihnen das zu deutlich angesehen!«

»Der Herr Hauptmann werden verzeihen, aber das ist unmöglich, da ich an jenem Morgen auch nicht einen einzigen Tropfen irgend eines geistigen Getränkes über die Lippen gebracht hatte.«

»Das Widersprechen in Ihrem jetzigen Zustande zeugt aufs bündigste dagegen, denn auch heute morgen scheinen Sie mir stark gefrühstückt zu haben; oder wollen Sie mir weismachen, Sie hätten auch heute morgen keinen Tropfen geistigen Getränkes über Ihre Lippen gebracht?«

»Das kann ich allerdings nicht behaupten.«

»Sehen Sie, Herrrr, und nun haben Sie die Frechheit, Ihrem Hauptmann und Batteriechef vor der ganzen Compagnie im angerissenen Zustande zu widersprechen! Wachtmeister Pinkel, lassen Sie mir diesen Mann noch für vierundzwanzig Stunden dahin führen, woher er soeben kam, und dann wollen wir morgen sehen, ob er vollkommen nüchtern geworden ist.«

Darauf grüßte der Freiherr von Manderfeld die Offiziere der Batterie in der verbindlichsten, freundlichsten Art, wie er es zu thun gewohnt war, und schritt gegen den Ausgang des Kasernenhofes zu, während ihm der Premierlieutenant Schaller mit einem düsteren Blicke nachschaute.

Erich fühlte sich von einem tieferen, schmerzlicheren Gefühle, aber ganz anderer Art, bewegt, wie an jenem Tage seines ersten Appells; wenn ihm auch schon damals durch die harten Worte des Batteriechefs großes Unrecht geschehen war, so konnte er doch diesen Empfang auf Rechnung der schlimmen Empfehlungen schreiben, mit denen er hierher gekommen war. Nun aber hatte er sich bis jetzt musterhaft aufgeführt und sah sich trotzdem für ein leichtes Vergehen nicht nur auf schwere Art bestraft, sondern auch noch eines Lasters verdächtigt, welches er stets verabscheut hatte und von dem er wohl wußte, daß es seine Konduitenliste aufs schwerste belasten mußte. Das Blut stieg ihm rasch in den Kopf, und nicht allein infolge des eben erwähnten Vorfalles, sondern auch als Nachwirkung eines kleinen Frühstücks, mit dem ihn seine Kameraden Schwarz und Weitberg empfangen hatten, und so war er einen Augenblick im Begriff, etwas recht Unüberlegtes zu begehen: seinem Hauptmann nämlich nachzueilen und ihn, allerdings in bester Form, zu bitten, ihm den Beweis zu erlauben, daß er an dem betreffenden Morgen vollkommen nüchtern gewesen sei, wobei er nicht nur auf das Zeugnis des Bombardiers Schmoller, sondern auch auf das des Herrn Hauptmanns von Walter rechnete, den er ja das Glück gehabt hatte, kurz vorher zu sprechen. Glücklicherweise aber rief ihn der Wachtmeister Pinckel in diesem, vielleicht entscheidenden Augenblicke zu sich heran und sagte ihm in freundlichem Tone, während er ihm aber, den anderen sichtbar, mit dem Finger drohte:

»Sehen Sie wohl, wie richtig ich Ihnen geraten! Mußte Sie denn der Teufel plagen, daß Sie vor dem Herrn Hauptmann recht behalten wollten!«

»Wenn ich aber vollkommen recht hatte, Herr Wachtmeister?«

»Streiten mir nicht über dergleichen Dummheiten und vergessen Sie wenigstens für die Zukunft nicht den ersten und Hauptgrundsatz des ganzen Militärlebens: das Maul halten und weiter dienen! Und da ich nun nicht anders kann, als Sie heute nachmittag wieder in Arrest schicken, so richten Sie sich langsam dazu ein, und dann kann Sie der Bombardier Schwarz meinetwegen gegen Abend nach St. Agatha bringen.«

Wir haben schon in früheren außerordentlich schönen Geschichten ein solches Militärarrestlokal zum Nutz und Frommen unserer jungen Leserwelt beschrieben, weshalb wir uns Aehnlichem um so mehr enthalten können, als alle diese gemeinnützigen Anstalten eine scharf ausgeprägte, aber unangenehme Familienähnlichkeit haben: kleine Kasten, wenige Schritte lang und noch wenigere breit, alles inklusive der harten Lagerpritsche aus weichem Tannenholze dargestellt und deshalb ein verlockender Aufenthalt für gewisse blutdürstige Tierchen, die zur größten Qual der Eingesperrten wie Nachtgespenster zu erscheinen pflegen, um, gleich diesen, mit dem ersten Hahnenschrei wieder zu verschwinden; und dazu haben diese geheimen Departements des Kriegsministeriums fast alle die gleich aussehenden Tyrannen mit den gleichen Vorzügen und den gleichen Fehlern, zum Beispiel eine Sparsamkeit im Einheizen, die den armen Arrestanten zur Winterszeit zur Verzweiflung treiben kann, und eine Freigebigkeit in den ausgesuchtesten, anzüglichsten Redensarten, sind äußerst mildthätig im Spenden von häufig recht schlechtem Trinkwasser, sowie hartherzig, wo es gilt, einem armen Arrestanten die flache Schnapsflasche zu entwenden, die er noch so kunstreich zwischen Stiefel und Reithose versteckt; und doch gelingt es zuweilen der glücklichen Erfindungsgabe, diesen Cerberus zu überlisten, besonders in wohl zubereitetem Brote worin man es damals zu einer solchen Fertigkeit gebracht hatte daß eine mäßige Schnapsflasche, etwas Butter, ja, obendrein zu weilen ein Stück Wurst, so in dem glatt abgeschnittenen Brotlaib versteckt war, daß man ihn zerbrechen mußte, um die verbotenen Gegenstände zu finden.

Der kleine Schwarz war mit einem solchen Kunstwerke beschäftigt, als Erich, welcher den wohlwollenden Premierlieutenant Schaller vergeblich in seiner Wohnung aufgesucht hatte, seine Stube betrat, und der schmächtige Bombardier halte gerade die letzte Hand angelegt und warf den Brotlaib nun wie einen Fangball in die Höhe, um dessen Festigkeit zu prüfen; dann kniff er ein Auge gegen Weitberg zu und sagte zu dem Eintretenden, der unwirsch seinen Säbel in die Ecke warf: »Hier ist Brot für dich auf heute abend; ich hatte noch ein schönes Stück übrig, das du mir zulieb mitnehmen mußt, da mir aller Appetit vergangen ist.«

»Und meinst du, mir nicht auch,« rief Erich heftig aus, »wenn man so auf die ungerechteste Art bestraft wird! Ich war neulich so nüchtern wie jetzt und wie ich es immer bin das Zeugnis muß mir jeder geben und komme nun zweimal nacheinander wegen Trunkenheit in Arrest, was mir wegen der Strafe gleichgültiger ist als wegen meiner Konduitenliste! Ich weiß, wie sehr der Herr Oberst, und mit vollem Rechte, gerade gegen dieses Vergehen eingenommen ist!«

»Im Dienste, lieber Freund, im Dienste, und darin hat er recht; aber wenn man aus dem Betrunkensein keine Gewohnheit macht, so hat sich doch niemand darum zu bekümmern, wenn wir uns für unser bißchen Geld hier und da ein wenig erheitern, und das wollen wir heute nachmittag thun, ehe wir dich in Arrest bringen. Ich habe ein paar Thaler von meinem Vormund erhalten, und davon opfere ich die Hälfte, um dir zu einer guten Nachtruhe zu verhelfen,«

Erich war in seiner Erbitterung gegen die ungerechte Strafe zu jenem Trotze gelangt, wo man sich nichts daraus macht, das Schicksal herauszufordern, und deshalb willigte er ein, den Weg nach St. Agatha durch ein ihnen wohl bekanntes Weinhaus zu nehmen, wo die drei – auch Weitberg war mitgegangen – nicht gerade zu viel, aber zu hastig tranken, um dann mit etwas beschwertem Kopfe, ein Zustand, den die kalte Nachtluft indessen bedeutend verstärkte, Arm in Arm dem Arrestlokale zuzuschlendern. Dies aber hätte an sich noch nichts zu sagen gehabt, wenn es nicht dem jungen Weitberg, der sehr wenig vertragen konnte, eingefallen wäre, ein lustiges Lied anzustimmen, welches in seinem Refrain

Dann ade, ade, ade,
dann ade, ade, ade,
Fein's Lieb, vergiß mich nicht!

gar zu verlockend für die anderen war, um nicht wenigstens mit Brummstimmen einzufallen.

»O, famos,« sagte der schmächtige Schwarz mit lallender Zunge, »wie das Mondlicht trügt! Sollte man nicht darauf schwören, dort, gerade vor uns, am Ende der Straße, wanke der alte Oberst dahin, der doch ruhig auf seiner Brigadeschule sitzt und Lieutenants ausbrütet!«

»Wenn er es wäre,« meinte Weitberg mit glucksender Stimme, »so müßte er einen Kapitalrausch haben, denn er wackelt furchtbar hin und her!«

»Mal den Teufel nicht an die Wand,« sagte Erich, der noch immer am besonnensten war; »es ist die Zeit der Inspektionsreisen, und es könnte der Alte in der That sein, der gekommen ist, sich unsere Abteilung ein bißchen anzusehen. Ja, er könnte auch von oben herab zu einem anderen Zwecke hierher beordert sein! Nehmt euch wenigstens zusammen, bis wir dort drüben, wo einer der ersten Gasthöfe der Stadt liegt, vorüber sind!«

»Ach was, vorhin da vorne, das war gerade so wenig der alte Oberst, als die Gaslaterne hier ein Besenstiel ist!«

»Ja, das mein' ich auch, und was du für seinen weißen Federbusch angesehen, ist nur eine weiße Serviette gewesen, die irgend ein hübsches Dienstmädchen aus dem Fenster heraus auf die Straße hinaus heraus ausgeschüttelt hat!«

»Oder womit sie ihrem Schatz gewinkt «

Drum ade, ade, ade,
drum ade, ade, ade.
Fein Liebchen, gedenk an mich!

»Möglich auch; aber es wäre besser,« sagte Erich, »wenn ihr wenigstens eure Mäuler so lange hieltet, bis wir dort vor dem Gasthofe vorüber wären es sind da immer Offiziere!«

»Und jetzt steht dort ein Wagen,« lallte der Bombardier Schwarz; »meinst du wohl, Weitberg, daß uns der Wagen aus dem Wege gehen wird?« »Seid doch gescheit,« mahnte Erich, »und macht, daß ihr ruhig vorüber kommt!«

»Pfui, Erich,« sagte Schwarz, »du bist doch sonst kein Feigling und willst diesem unverschämten Wagen aus dem Wege gehen? Ich will gerade hindurch, und alles andere ist mir einerlei!«

»Aber ich bitte dich, Schwarz, sei doch vernünftig!«

»Alles einerlei!« Damit stand er schon an dem Schlage, den er öffnete und in den breiten eleganten Wagen hineinstieg, um auf der anderen Seite wieder hinauszuspringen. Glücklicherweise für die Unbesonnenen war hier der Wagen geöffnet und der Bediente ins Haus gegangen, vielleicht um etwas Vergessenes zu holen, während sich der Kutscher vorn über die Pferde gebeugt hatte, um irgend eine Kleinigkeit an den Zügeln zu ordnen.

Dem schmächtigen Bombardier Schwarz folgte der kleine Weitberg, nicht um Erich für einen Feigling zu erklären, wenn er ihnen nicht augenblicklich folge, sondern um das mit durchzumachen, was sie ja nur ausgesonnen, um seinen Arrestgang zu verherrlichen. Erich, welcher einen neuen Skandal befürchtete, und das Schlüpfen durch den Wagen am leichtesten bewerkstelligen konnte, da er als Arrestant ohne Säbel und Sporen war, schwang sich dann ebenfalls hinein und hatte dabei die ruhige Besonnenheit, den Schlag hinter sich leise zuzuziehen, dessen feines Schloß dann auch augenblicklich und geräuschlos zuschnappte. Doch wie war ihm zu Mute, als er, eben im Begriff, auf der anderen Seite wieder hinauszuspringen, eine Dame erblickte, die in Begleitung eines Offiziers rasch aus dem Gasthofe trat, und als er in diesem Offizier zu seinem doppelten Schrecken den Grafen Dagobert Seefeld erkannte! Was nun thun? Er war verloren, wenn beide einstiegen, und war es vielleicht auch nicht minder, wenn die Dame einen fremden Menschen in ihrem Wagen erblickte, natürlicherweise aufschrie und so eine Entdeckung herbeiführte. Glücklicherweise sprach sie ein paar Worte mit dem Husarenoffizier, während welcher Zeit Erich, der ratlos um sich schaute, auf dem Rücksitze des Wagens einen großen Plaid erblickte, den er rasch über sich warf und sich alsdann in die Ecke des langen und tiefen Wagens so fest als möglich hineinschmiegte und wenigstens für den Augenblick rettete ihn das; denn die Dame stieg ein, der Bediente schloß hinter ihr rasch den Schlag, und die Pferde zogen an.

An der Ecke des Gasthofes aber standen die beiden Bombardiere und warteten auf ihren Kameraden. Weitberg behauptete, daß Erich hinter ihm eingestiegen sei, und Schwarz wollte gesehen haben, wie er auf der anderen Seite wieder herausgesprungen sei.

»Und wo ist er nun geblieben?« sagte Schwarz mit etwas starrem Blicke.

»Vielleicht liegt er am Boden und steht langsam wieder auf.«

Aber der Vermißte lag weder am Boden, noch stand er langsam wieder auf, noch war er in den Gasthof hineingegangen, worüber sie der barsche Portier desselben belehrte, der jetzt unter der Thüre erschien und an den sich Schwarz mit einer demütigen Frage wandte.

Weitberg hatte sich auf einen Eckstein niedergelassen und schüttelte sein Haupt auf die duseligste Art hin und her. »Weißt du wohl,« lallte er nach einer Pause, »daß mir das unheimlich vorkommt!«

»Dummer Kerl, du denkst doch nicht, daß Erich vom Teufel geholt worden sei? Mir kommt eine andere viel gescheitere Idee. Bist du vollkommen überzeugt, daß Erich mit uns aus dem Weinhause gegangen ist, daß er überhaupt bei uns war? Ich meine, ich hätte ihn zuletzt im Kasernenzimmer gesehen, als er seinen Säbel abschnallte, um sich ins Bett zu legen; denke einmal darüber nach, wenn du nicht gar zu besoffen bist.« »Ich bin so nüchtern als möglich und denke eben darüber nach es kann am Ende doch möglich sein, daß Freiberg ins Bett gegangen ist.«

»Auf alle Fälle. Du weißt, daß er heute aus dem Arrest kam, aus einem dreitägigen Mittelarrest, und in solchen Fällen pflegt man sich früh zu Bett zu legen ich mach' es immer so.«

»Ich auch, und da ich mich heute abend nach meinem Bette sehne, so wollen wir nach Hause gehen.«

Der Bombardier Schwarz stierte einen Augenblick in die hellleuchtende Flamme eines vor ihm stehenden Gaskandelabers, dann faßte er an die dicke Brieftasche, die er sich anstandshalber ins Kollet gesteckt hatte, und sagte mit aufgehobenem Zeigefinger: »Mit dem Zubettgehen ist es für dich vorderhand nichts, Männeken, denn jetzt fällt es mir deutlich ein, daß ich auf dem Wege bin, jemand in Arrest zu bringen, und das will ich auch ausführen, sonst würde morgen früh der Wachtmeister Pinckel, oder auch vielleicht der Premierlieutenant Krummstiefel, jedenfalls aber der Herr Hauptmann von Manderfeld sagen, daß ich wohl vorigen Abend einen sehr starken Rausch gehabt haben müßte und da das der Wahrheit vielleicht ziemlich nahe käme, aber einer Wahrheit, die des militärischen Anstandes wegen, wie der Hauptmann zu sagen pflegt, vertuscht werden muß, so wollen wir unsere Pflicht thun und jemand in Arrest bringen.«

»Ja, aber wen willst du denn eigentlich in Arrest bringen?« fragte Weitberg mit einem bedenklichen Glucksen. »Ja, wenn wir noch Erich bei uns hätten! Das ist ein guter Kerl, der thut einem schon etwas zu Gefallen!«

»Was das anbelangt, so wollen wir nicht mehr darüber reden. Der Erich hat seine drei Tage hinter sich, und es ist billig, daß jetzt einer von uns an die Reihe kommt. Ich will gerade nicht behaupten, daß du es sein mußt, aber es scheint mir, als wenn du es doch sein müßtest. Ich habe den Säbel umgeschnallt und meine Brieftasche vorgesteckt, geradeso wie der Wachtmeister Pinckel; du aber hast das Arrestbrot unter dem Arme, also mußt du es auch wohl sein. Gib dich in dein Schicksal, Männeken, denn verdient hast du es, das kannst du gar nicht leugnen. Gestern morgen hast du dich aus dem Stalle weggedrückt, um Kaffee zu trinken, und daß der lange Wibert seine Schläge gekriegt hat, daran bist du auch schuld.«

»Wenn ich mich nur daran erinnern könnte,« erwiderte Weitberg in schläfrigem Tone, »daß mich Krummstiefel oder der Herr Hauptmann aufs Holz geschickt hat, so würde ich mir nichts daraus machen.«

»Komm nur, komm, das findet sich morgen früh alles beim Auskehren und wenn ich mich nicht irre,« sagte Bombardier Schwarz, indem er einen Augenblick stehen blieb, »so höre ich schon irgendwo den Zapfenstreich blasen das wäre eine ver verfluchte Geschichte, wenn wir zu spät kämen!«

Damit wankten sie rascher die Straße hinab, und weil sie sich glücklicherweise nicht weit vom Arrestlokale befanden, so gelang es ihnen, noch vor dem gefürchteten Zapfenstreich, nach welcher Zeit in den Hallen der heiligen Agatha niemand mehr aufgenommen wurde, diese zu erreichen und bei des Rattenkönigs Majestät so hieß der Aufseher des Militärgefängnisses vorgelassen zu wenden, wobei es den beiden zum ganz besonderen Heile gereichte, daß dieser würdige Beamte nach des Tages Last und Hitze ebenfalls ein Glas über den Durst getrunken haben mochte und deshalb die etwas unsichere Haltung des meldenden Bombardiers Schwarz auf Rechnung der eigenen schwachen Beine schrieb und mit einigem Brummen über die späte Einsperrung den armen Weitberg glücklich hinter Schloß und Riegel brachte, wo sich dieses Schlachtopfer trauriger Verwechslung alsbald auf die Pritsche ausstreckte und sogleich wie ein Murmeltier zu schlafen begann.

Der Bombardier Schwarz verließ das Arrestlokal, wobei er sich so steif hielt, als es ihm nur möglich war, und gelangte auch unangefochten ins Freie, sowie glücklich in die Kaserne zurück, wo er sein Lager aufsuchte und viel rascher und viel sanfter entschlummerte, als er bei seinem schuldbeladenen Gewissen verdient hatte.


 << zurück weiter >>