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Fünfzehntes Kapitel

Wie Herrn Boskos Schauspiel »Der Raub der Helena« vor den durchlauchtigsten Herrschaften mit großem Beifall zur Aufführung gelangt, aber ein vom Dichter nicht beabsichtigtes tieftragisches Ende nimmt

 

Auf der Wiese vor dem Naturtheater, in das man der großen Wasserszene wegen ein Stück des Bachlaufes einbezogen hatte, war eine sehr ansehnliche, wenn auch recht gemischte Zuschauermenge versammelt. Die Familie Laputz war vollzählig erschienen und hatte sogar ihren Senior mitgebracht, obgleich zu befürchten stand, daß er bei seiner Schwerhörigkeit nicht allzuviel von Herrn Boskos schwungvollen Jamben verstehen werde; Aktuar Eichhorns Verwandte hatten sich aus der weitesten Umgegend eingefunden, und von der weit verbreiteten Sippe der Regierungsrätin Nebelkrähe, geborenen Rabenkrähe, fehlte nicht einer. Allgemein wurde bemerkt, daß auch Kantor Waldkauz mit Frau und Töchtern gekommen war, die sich bis dahin von jeder Geselligkeit ferngehalten hatten, und daß Baron Capreoli und Doktor Bockert durch Abwesenheit glänzten. Ganz vorn saß das kleine Volk der Mäuse und Spitzmäuse in bunter Reihe mit Rotkehlchen, Finken, Meisen, Ammern und Lerchen, während sich ein paar Dutzend Fledermäuse mit den langen Krallen ihrer Hinterfüße am dürren Aste einer Birke angehäkelt hatten und unbekümmert um die lebhafte Unterhaltung des Publikums unter ihnen einstweilen ein Nickerchen machten.

Major von Swinegel drängte sich mit angelegten Stacheln durch die Menge, wechselte, jovial wie immer, mit Freunden und Bekannten ein kurzes Scherzwort und küßte den Damen galant Pfote oder Flügel; Doktor Adebar stelzte, um zu seinem Platze zu gelangen, mit hoch erhobenen Ständern über die Köpfe der Versammelten hinweg, und verliebte Karnickeljünglinge, die ihre Angebeteten suchten, machten mit aufgerichteten Löffeln Kegel. Ganz zuletzt kam Frau Hamster, musterte etwas geringschätzig die misera plebs und beklagte sich bei der Kammerjungfer, die ihr Pompadour und Opernglas nachtrug, sehr vernehmlich darüber, daß man ihr, die sonst bei Theaterbesuchen immer in der Obszöniumsloge zu sitzen gewohnt sei, keinen resorbierten Platz zur Verfügung gestellt habe.

Wenige Minuten vor dem für den Beginn der Vorstellung angesetzten Zeitpunkt traf der Hof ein und tat sich auf dem für ihn abgegrenzten Teile der Wiese unmittelbar vor der Naturbühne nieder. Kreisdirektor von Malepart hatte sich zur Begrüßung des Fürsten eingefunden und geleitete die Hohen Herrschaften auf ihre Plätze, während Exzellenz Basse, der in Durchlauchts Gefolge gekommen war, quer durch das auseinanderstiebende Publikum wechselte und sich ein wenig seitwärts neben der Oberhofmeisterin in ein Lager einschob. Auf einen Wink des Landesvaters schwang sich Hofmarschall von Colchicus auf einen Baumstumpf zu dessen linker Seite ein, bereit, dem durchlauchtigsten Herrn die von diesem etwa gewünschten Erklärungen zu geben. Herr von Malepart zog sich daraus zurück und verschwand hinter den Kulissen, wo ihm Herr Bosko, der Dichter, beim Anlegen des Kostüms behilflich war. Daß dem Darsteller des Paris beim Anblick Fräulein Anitras das Wasser im Fange zusammenlief, war nicht weiter verwunderlich, denn sie sah in ihrem Peplon, das den Hals und die klassisch geformten Schultern frei ließ, wirklich zum Fressen schön aus, und überdies hatte er, durch tausenderlei Geschäfte in Anspruch genommen, seit vierundzwanzig Stunden außer zwei Heupferdchen und ein paar Wespenlarven nichts genossen.

Während er, den Anfang seiner Rolle noch einmal memorierend, die Witterung des Entenmädchens begierig einsog, trat der Dichter vor die Rampe, verneigte sich vor den durchlauchtigsten Herrschaften, daß seine nachtschwarzen Locken bis auf den Boden fielen, und sprach mit edlem Pathos den Prolog, worin er sein und der Darsteller Glück pries, sich vor einem so feinsinnigen Kenner und Gönner der schönen Künste hören lassen zu dürfen, und um eine gnädige nachsichtige Aufnahme seines Werkes bat.

»Sagen Sie mal, lieber Colchicus, wer war der Herr eigentlich, der da eben das lange Gedicht vortrug?« wandte sich, nachdem der Künstler wieder hinter der Kulisse verschwunden war, Durchlaucht an den Hofmarschall.

»Es war Herr Bosko, der Dichter des Stückes, durchlauchtigster Herr.«

»So so, der Dichter. Höchst interessant! Er hat also das Stück geschrieben. Muß sehr schwer sein. Glaube kaum, daß ich so etwas fertigbrächte. Habe es allerdings auch noch nie versucht.«

»Ich wage nicht daran zu zweifeln, daß Durchlaucht ein dramatisches Meisterwerk liefern würden, wenn Sie geruhen wollten, die Welt mit einer solchen Arbeit zu beschenken. Wer über eine so fabelhafte Produktivität gebietet, daß er jedes Jahr ein kapitales Geweih schiebt, für den sollte ein Fünfakter doch ein Kälberspiel sein.«

»Da können Sie recht haben, mein Lieber; man müßte nur wissen, wie man es anfängt, ein Stück zu schreiben. Da ist gewiß irgendein Kniff dabei, den unsereiner nicht erfährt. Habe mir sagen lassen, diese Herren Dichter verrieten nie, wie sie ihre Sachen zustande brächten. Ah, das Spiel beginnt! Charmant, charmant! Der Herr, der da jetzt spricht, kommt mir bekannt vor.«

»Es ist Herr Fischotter, der Chef der Strompolizei.«

»Richtig, richtig – Herr Fischotter! Aber wen stellt er denn dar?«

»Menelaos, den König von Sparta, Durchlaucht.«

»So so. Seine Majestät den König von Sparta. Bin nun vollständig im Bilde. Aber wer ist denn die etwas starke junge Dame mit den grünen Latschen, die da so ein merkwürdiges Ding unter dem Flügel trägt?«

»Das ist eine der Töchter der Admiralitätsrätin Stockente in der Rolle Ihrer Majestät der Königin Helena, Durchlaucht. Sie trägt einen Spinnrocken.«

»Sie meinen Kaiserin Helena, mein lieber Colchicus. Die Hohe Frau war doch, soviel ich weiß, die Frau Mutter Seiner Majestät Kaiser Konstantins des Großen.«

»Ganz recht. Euer Durchlaucht. Der Dichter macht sie jedoch zur Gemahlin Seiner Majestät des Königs Menelaos von Sparta hochseligen Angedenkens.«

»Na ja, kennt man schon: dichterische Freiheit! In der Genealogie regierender Häuser wissen diese Herren ja nie genau Bescheid. Sehen Sie da, Colchicus, der Herr, der da mit dem Handkoffer ankommt, ist der neue Kreisdirektor von hier! Charmante Erscheinung!«

»Und zwar in der Rolle Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Paris von Troja, Durchlaucht. Ich vermute, daß er die Absicht hat, Ihre Majestät die Königin von Sparta zu entführen.«

»Wir wollen hoffen, daß Ihre Majestät Seine Königliche Hoheit mit aller Entschiedenheit abweist. Eheirrungen in souveränen Familien haben immer etwa Deprimierendes. Aber weshalb gehen Seine Majestät und Seine Königliche Hoheit so seltsam umeinander herum?«

»Sie beriechen sich, Durchlaucht. Das ist bei den Hunden – und als solche denkt sich der Dichter seine Helden, da er ja selber ein Hund ist! – die übliche Form der Begrüßung und des Sichbekanntmachens. Jetzt erkennen sich die Freunde wieder, sie wedeln mit den Ruten. Und nun stellt Seine Majestät Ihrer Majestät Seine Königliche Hoheit vor.«

»Mir scheint, man tut sich zur Tafel nieder. Seine Königliche Hoheit erhält den Ehrenplatz zwischen den Majestäten. Werden mit Ihrer Vermutung, Prinz Paris sei gekommen, um mit Ihrer Majestät der Königin eine Liaison anzufangen, doch wohl unrecht haben, mein lieber Colchicus. Beachten Sie nur: die Herren machen miteinander Konversation, und die Hohe Frau beteiligt sich nicht daran.«

»In der Tat, Durchlaucht, sie scheint nur für das Diner Interesse zu haben. Sie nimmt die ganze Platte, die ihr der Lakai präsentiert. Ihr Appetit ist einfach erstaunlich.«

»Wir wollen annehmen, daß diese – ja, man muß schon sagen: Unmäßigkeit das Symptom einer physischen Indisposition bei Ihrer Majestät ist, denn anders läßt sich so etwas bei einer Dame aus regierendem Hause wohl nicht erklären, mein lieber Hofmarschall. Sehen Sie nur: auch der zweite Gang gelangt nicht bis zu den Herren.«

»Im Küchendepartement muß wohl nicht alles richtig funktionieren, sonst hätte man der Situation Rechnung getragen und größere Platten servieren lassen«, bemerkte Herr von Colchicus, bei dem das sachliche Interesse an den Vorgängen auf der Bühne überwog.

»Wer weiß, wie es am Hofe von Sparta mit der Zivilliste steht, mein Lieber!« erwiderte Hubertus XII. mit einem Seufzer. »Man kennt ja die fatale Neigung der Parlamente, die Revenuen der regierenden Herren zu beschneiden.«

Als der erste Akt zu Ende war, äußerte der Fürst den Wunsch, sich den Dichter des Stückes und die Mitwirkenden vorstellen zu lassen. Der Hofmarschall, der sich so recht in seinem Elemente fühlte, stand auf, strich über die kleinen Leute hinweg und fiel hinter den Kulissen ein. Ein paar Augenblicke später erschien er mit einem ganzen Gefolge wieder vor dem Regenten, der zunächst Herrn Bosko und sodann auch die Schauspieler mit einer gnädigen Ansprache beehrte. »Machen Ihre Sache recht brav. Hatte auf einen so erlesenen Kunstgenuß gar nicht zu hoffen gewagt«, sagte er. Und dann tätschelte er mit den Schalen des linken Vorderlaufs leutselig den vollen Nacken Fräulein Anitras und erklärte ihr, er sei um so erfreuter, sie kennenzulernen, als er auf ihren Herrn Vater, den seligen Admiralitätsrat, immer große Stücke gehalten habe.

Daß die Mutter des jungen Mädchens in Wonne schwamm, bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung. Man konnte ihr das Glück, die Tochter durch die Huld des Landesvaters ausgezeichnet zu sehen, auch von Herzen gönnen, denn die auf eine sehr kärgliche Pension angewiesene wackere Frau hatte es wirklich nicht leicht, ihre vielen Kinder standesgemäß zu unterhalten und zu erziehen. Es war nur gut, daß die vielköpfige Familie in bezug auf die Kost nicht wählerisch war und Gras, faulende Pflanzenstoffe und Aas nicht geringer schätzte als die fettesten Lurche und Jungfische, die weichsten Würmer und Schnecken, die zartesten Knospen, die schwersten Getreidekörner und den köstlichsten Froschlaich.

Niemand unter dem vielköpfigen Publikum betrachtete den lockenumwallten Dichter mit größerer Aufmerksamkeit als Frau Nikoline Lampe, geborene Laputz. Daß sie in ihrer Ehe keine rechte Befriedigung fand, war längst ein offenes Geheimnis. Ihr Lamprecht mochte ja ein kreuzbraver Mann und ein tüchtiger Landwirt sein, aber es fehlte ihm doch der Sinn für alles Höhere, und für ihre romantischen Neigungen hatte er ebensowenig Verständnis wie für ihr reges Interesse an literarischen und künstlerischen Dingen. War es da ein Wunder, daß sie nun zwischen ihm und dem gefeierten Dichter Vergleiche anstellte, die keineswegs zu Lamprechts Gunsten ausfielen?

Die Vorstellung nahm ihren Fortgang. Man war beim dritten Akt angelangt, bei der großen Szene, wo Paris Helena überredet, ihren königlichen Gemahl zu verlassen und ihm nach der Hundekucheninsel zu folgen. Dem Charakter der Rolle entsprach es, daß die Zeustochter über diesen Vorschlag zunächst erschrak und allerlei Bedenken geltend machte, dessen schwerwiegendstes das war, daß auf der einsamen Insel außer dem Entführer kein lebendes Wesen sein würde, das sie in ihrem neuen Frühjahrspeplon gebührend bewundern könne, aber Fräulein Anitra tat, der Ermahnungen ihrer Mutter eingedenk, in ihrer spröden Zurückhaltung des Guten zuviel und verhielt sich auch dann noch ablehnend, als sie dem Wortlaute des Textes nach den betörenden Lockungen des gewissenlosen Gastfreundes längst erlegen sein mußte. Da übermannte ihren Partner das Temperament: er stürzte über sie her und packte sie mit dem Fange so derb am Halse, daß sie ein heiseres Gequak ausstieß, ein paarmal krampfhaft mit den Flügeln schlug und sich dann wie von einer Ohnmacht befallen hinter die Kulisse schleppen ließ.

Die Zuschauer, von dem prachtvollen Realismus ihrer Spieles hingerissen, warteten nicht erst ab, bis der Fürst ein Beifallszeichen gab, sondern klatschten wie rasend und ruhten nicht, bis Paris-Malepart, den leblosen Körper Helenas-Anitras auf den Vorderläufen tragend, vor der Rampe erschien und sich nach allen Seiten verneigte. Zwölfmal wurde er herausgerufen, und zwölfmal trat er mit seiner holden Last vor das Publikum, das ihm zujubelte und ihn mit Blumen überschüttete. Er legte den Körper seiner Partnerin nieder und bedeckte ihn mit einem Kranz aus Froschlöffelblättern, den sich ein in bescheidenen Verhältnissen lebender, Anitra hoffnungslos liebender Rohrdommeljüngling, den das schöne Mädchen seiner plumpen grünen Ständer wegen nicht ausstehen konnte, am Schnabel abgespart hatte. Dann rief er zwei Statisten herbei, ließ sie die vermeintlich Ohnmächtige von der Bühne tragen und verschwand, ohne den nicht endenwollenden Hervorrufen weiterhin Folge zu leisten.

Hinter den Kulissen herrschte eine namenlose Verwirrung. Obgleich sich Regisseur und Mitwirkende mit Eifer um die Regungslose bemühten und alle denkbaren Wiederbelebungsversuche mit ihr anstellten, rührte das Mädchen kein Glied. Man rief Doktor Adebar, der Anitra genau untersuchte, aber nur ihren Tod feststellen konnte. Das sicherste Anzeichen für den exitus letalis sei der Umstand, daß sich sogar ihr Schnabel nicht mehr bewege, erklärte er mit einem anklagenden Blick auf ihren scheinbar untröstlichen Partner. Da nahm der Kreisdirektor den wackern Arzt beiseite und redete lange mit gedämpfter Stimme auf ihn ein. Und dann ließ man in unauffälliger Weise die Admiralitätsrätin holen, setzte sie schonend von dem schweren Schicksalsschlage, der sie betroffen hatte, in Kenntnis und geleitete sie unter liebevollem Zuspruch an die Leiche ihrer so plötzlich dahingegangenen Tochter.

Die alte Dame war außer sich und überhäufte Herrn von Malepart mit den bittersten Vorwürfen, daß er das zarte Geschöpf zu derb angefaßt habe. Aber da trat Doktor Adebar, der sich bisher, ihren Schmerz ehrend, im Hintergrunde gehalten hatte, vor, legte ihr beschwichtigend den siegellackroten Ständer auf die Schulter und sagte: »Meine verehrte gnädige Frau, ich muß Sie dringend bitten, sich durch das Ihnen widerfahrene schwere Leid, an dem wir alle den herzlichsten Anteil nehmen, nicht zu einer irrigen Auffassung der Sachlage und zu so ungerechten Beschuldigungen gegen unsern allverehrten Herrn Kreisdirektor hinreißen zu lassen. Als Arzt, der ich Ihr Fräulein Tochter gleichsam ab ovo behandelt habe, kann ich Ihnen versichern, daß die junge Dame einem Schlaganfall erlegen ist. Sie werden sich gewiß entsinnen, daß ich ihr einen solchen Ausgang bei ihrem übermäßig fettreichen Körper schon immer prognostiziert und ihr dringend die größte Mäßigkeit in der Nahrungsaufnahme anempfohlen habe.«

»Ich hoffe, gnädige Frau, daß das, was Sie soeben aus dem Schnabel einer so bedeutenden Kapazität auf dem Gebiete der inneren Medizin vernommen haben, ausreicht. Sie davon zu überzeugen, daß ich an dem so unerwartet schnellen Heimgang Ihrer lieben Tochter völlig schuldlos bin«, nahm Herr von Malepart das Wort. »Von dem Vorwurfe freilich, die junge Dame zur Mitwirkung bei der heutigen Theateraufführung aufgefordert zu haben, kann ich mich leider nicht freisprechen. Aber, du lieber Himmel, wer hätte ahnen können, daß ein so blühend aussehendes Mädchen den Anstrengungen des Spieles nicht gewachsen sein würde! Und jetzt lassen Sie mich Sie um eins bitten, gnädige Frau: bringen Sie dem Vaterland ein Opfer, indem Sie den Schmerz in Ihren Busen verschließen und den überaus peinlichen und bedauerlichen Vorfall nicht in der Öffentlichkeit bekannt werden lassen, bevor sich der Hof zurückgezogen hat. Seine Durchlaucht der Fürst ist in der Hoffnung, hier Genesung zu finden, zu uns gekommen. Bei der Weichheit seines Gemütes würde ihm das Bewußtsein, daß seinetwegen eine lebensfrohe junge Dame und noch dazu eine Tochter des von ihm so hoch geschätzten Herrn Admiralitätsrats in den Tod gegangen ist, ohne Zweifel so nahegehen, daß der Erfolg seiner Suhlkur in Frage gestellt würde. Und dann noch eins: erlauben Sie mir, unsere liebe Verstorbene dadurch zu ehren, daß ich ihre sterblichen Reste in der Familiengruft unter der Burgkapelle von Haus Malepart zur Ruhe bestatten lasse! Dieses Anerbieten wird Sie befremden, aber ich bin Ihnen das Geständnis schuldig, daß sich während der Proben zwischen Fräulein Anitra und mir Beziehungen angesponnen haben, aus denen ich die Hoffnung schöpfen zu dürfen glaubte, daß sie mit der Zeit die innigsten werden möchten. Hat mir das Schicksal nun auch das Glück mißgönnt, Ihr holdes Kind lebend in Haus Malepark einziehen zu sehen, so möchte ich doch den Trost haben, Anitra wenigstens tot unter meinem Dache zu wissen und dermaleinst an ihrer Seite den ewigen Schlaf zu schlafen.«

Was er da sprach, schien dem Kreisdirektor gewaltig zu Herzen zu gehen, denn er war genötigt, unter dem antiken Gewande die Standarte hervorzuholen und sich mit deren weißer Blume die Seher zu trocknen. Und während nun der Dichter und Regisseur vor die Rampe trat, um den durchlauchtigsten Herrschaften und den übrigen Zuschauern mitzuteilen, daß das Stück leider nicht zu Ende gespielt werden könne, weil die Darstellerin der Helena von einer schweren Unpäßlichkeit befallen worden sei, trocknete auch die Admiralitätsrätin ihre Tränen, umflügelte den ihr von einem tückischen Geschick unterschlagenen Schwiegersohn und raunte ihm, nachdem sie ihrem mütterlichen Danke für die liebevolle Fürsorge, die er ihrem frühvollendeten Kinde angedeihen zu lassen gedachte, Ausdruck verliehen, in den Luser: »Herr Kreisdirektor, vergessen Sie nicht, daß ich außer meinem auf so tragische Weise eingegangenen Liebling noch sechs lebende Töchter habe, die, wenn auch nicht so talentvoll, so doch so liebenswürdig und mollig sind wie ihre heimgegangene Schwester!«

Der Hof brach auf, und dann begann auch das Publikum sich langsam zu zerstreuen. Unter der kleinen Schar von Enthusiasten und Neugierigen, die die Schauspieler und vor allem den Dichter noch einmal sehen und womöglich zuschauen wollten, wie man die erkrankte Anitra heimbeförderte, befand sich auch Frau Nikoline Lampe, die den ganzen Abend schon darauf gebrannt hatte, die persönliche Bekanntschaft Herrn Boskos zu machen. Gerade als es ihr nach mancherlei vergeblichen Bemühungen endlich gelungen war, die Gelegenheit hierzu ein wenig gewaltsam herbeizuführen, verbreitete sich das Gerücht vom Tode des jungen Entenmädchens.

»Ach ja, für ihre Jugend war sie übermäßig stark«, bemerkte Frau Lampe. »Daß die einmal einen Schlaganfall bekommen würde, ließ sich ja voraussehen.«

»Schlaganfall!« sagte der Dichter, die Nase rümpfend. »Was die Leute nur alles reden! Nein, meine Gnädige, der Tod der jungen Dame hat eine ganz andere Ursache. Die Rolle ist ihr seelisch zu nahegegangen. Sie hatte sich so darin eingelebt, daß sie an dem inneren Konflikte zwischen ihren Pflichten als Gattin und der unseligen Liebe zu dem Entführer zugrunde gehen mußte. Meine Kunst setzt eben starke Naturen voraus. Schade um die begabte junge Person! Mit besseren Nerven hätte sie vielleicht das Zeug dazu gehabt, eine recht brauchbare Darstellerin meiner Heldinnen zu werden.«

Frau Nikoline sah in stiller Bewunderung zu Herrn Boskos von nachtschwarzen Locken umrahmtem Antlitz auf. »Ach, verehrter Meister,« stammelte sie endlich, »ich glaube, meine Nerven wären stark genug, daß ich mich über einen solchen inneren Konflikt hinwegzusetzen vermöchte. Allerdings müßte der Mann, der mich meinen soliden Grundsätzen abwendig machen könnte, auch wirklich ein bedeutender Mann sein, ein Held oder ein Genie – wie Sie, Herr Bosko. Und dann müßte ich natürlich vor allem die Gewißheit haben, auf der einsamen Insel Klee-, Serradella- und Lupinenschläge oder doch zum mindesten Saatkämpe mit Kiefernjährlingspflanzen zu finden, denn von der Liebe allein kann man ja schließlich nicht leben.«

Da lächelte der Dichter sarkastisch, aber doch ein wenig geschmeichelt und erwiderte: »Gnädige Frau, auf meiner Liebesinsel gibt es leider nur animalische Äsung, womit Ihnen schwerlich gedient sein könnte.« Und dann wandte er sich um und ließ die kleine Frau, die so gern einmal ein romantisches Abenteuer erlebt hätte, stehen.


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