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Da Lamprecht Lampe seine Vermählung mit Nikoline leider immer wieder hinausschiebt und auf die Mahnungen, die ihm die Familie Laputz durch seine Braut zukommen läßt, in geradezu liebloser Weise antwortet, wird Major von Swinegel veranlaßt, ihm den Kopf zurechtzusetzen, eine Aufgabe, deren sich der alte Soldat mit Erfolg unterzieht
Im Karnickelbau war wieder einmal ein neuer Satz angekommen, der fünfte in diesem Jahre! Der Urgroßvater, dem bei dem sogar für seine Begriffe unheimlich starken Familienzuwachs angst und bange wurde, ließ Herrn Lapinus in sein Altersstübchen entbieten, empfahl ihm eine etwas weniger rigorose Auffassung von den Pflichten eines Ehemannes und drohte, er werde künftighin jeden neuen Urenkel ohne Erbarmen totbeißen, wenn der Enkel nicht sofort dafür sorge, daß wenigstens die fünf Töchter vom Juni des vorigen Jahres aus dem Hause kämen. Jedenfalls dulde er nicht, daß Nikolinens Hochzeit noch länger hinausgeschoben werde. »Ich will selbst einmal mit der Kleinen reden; hole sie mir schleunigst her!« gebot er.
»Soll vielleicht auch ihre Mutter mitkommen?« fragte Herr Lapinus Laputz, der das beherzte Auftreten seiner Gattin dem alten Tyrannen gegenüber noch nicht vergessen hatte.
»Um's Himmels willen nicht. Junge! Von der habe ich genug! Bleib' mir mit dem Weibe vom Halse!«
Ein paar Minuten später stand die Urenkelin vor ihm. »Du wünschest, lieber Urgroßvater?« fragte sie mit der unbefangensten Miene von der Welt, obgleich ihr der Vater schon angedeutet hatte, was der Senior von ihr wolle.
»Sag mal, Kind, woran liegt denn das eigentlich, daß du noch immer nicht verheiratet bist?«
»Das liegt daran, daß mein Lamprecht und ich noch nicht Hochzeit gemacht haben«, erwiderte sie schnippisch.
»Dummes Zeug! Das weiß ich selbst. Ich will wissen, warum dein Verlobter keine Miene macht, sein Wort einzulösen und dich heimzuführen.«
»Da mußt du ihn schon selber fragen, Urgroßvater. Vermutlich hat er's gar nicht so eilig«, gab Linchen, die offenbar die gelehrige Tochter ihrer Mutter war, ohne Besinnen zurück.
»Ja, wenn ich ihn nur mal hier hätte! Aber der Schlingel läßt sich ja nie mehr sehen! Muß wohl ein rechter Herumtreiber sein, dein saubrer Bräutigam. Der Sinn für Häuslichkeit geht ihm, scheint's, ganz und gar ab.«
»Das darfst du nicht sagen, lieber Urgroßvater. Lamprecht ist durchaus kein Herumtreiber, sondern ein fleißiger und umsichtiger Landwirt, der freilich von früh bis spät auf den Läufen sein muß, wenn in seiner ausgedehnten Wirtschaft nicht alles drunter und drüber gehen soll. Sobald nämlich die Zweibeine, die er als Landarbeiter beschäftigt, merken, daß sie nicht unter Aufsicht sind, legen sie sich auf den faulen Balg.«
»Glaub' ich ja alles, Linchen. Aber Sonntags könnte er doch wenigstens bei uns im Bau vorsprechen. Es gehört sich, daß ein Bräutigam in der Familie seiner Braut verkehrt.«
»Hör' mal, Urgroßvater, wer so an die frische Luft gewöhnt ist wie mein Lamprecht, der fühlt sich in unseren engen Röhren und Kammern nicht wohl; das kann man doch verstehen. Überdies fällt ihm der Lärm von all den Kleinen bei uns auf die Nerven, und dann will er's auch vermeiden, mit dir in politischen Fragen aneinanderzugeraten. Er schätzt dich persönlich ja außerordentlich hoch, aber er meint, es hätte keinen Zweck, sich über Dinge zu ereifern, an denen keiner von euch etwas ändern könne. Er ist nun einmal als Agrarier konservativ bis auf die Knochen, während du, lieber Urgroßvater, aus deinem demokratischen Balge nicht heraus kannst.«
»Papperlapapp! Was weiß ein Gör wie du von solchen Dingen! Nun gib gefälligst einmal genau auf das acht, was ich dir jetzt sage! In spätestens vierzehn Tagen wird Hochzeit gemacht, verstanden? Paßt das diesem Herrn Lampe nicht, so gibst du ihm einfach den Laufpaß. Dann versuchen wir's einmal mit einem Heiratsgesuch in der ›Kaninchenzeitung‹. Und nun geh und sieh zu, daß du ihn erwischst, und heut' abend meldest du dich bei mir und berichtest mir, wie er sich dazu geäußert hat. Du solltest übrigens mehr auf deine Haltung achten, Kind! Es macht gar keinen guten Eindruck, wenn ein junges Mädchen immer mit krummem Rücken dasitzt.«
Damit war Nikoline entlassen. Hatte sie ihren Verlobten auch nach bestem Vermögen in Schutz genommen, so mußte sie im stillen doch zugeben, daß der alte Herr nicht so unrecht hatte, wenn er auf eine baldige Hochzeit drang. Daß Lamprecht Lampe sie liebte, daß er sogar bis zum Wahnsinn in sie verliebt war, daran zweifelte sie keinen Augenblick. Aber woran lag es nur, daß er nicht das geringste tat, die offenbar auch von ihm ersehnte Vereinigung mit ihr zu beschleunigen? Wie oft schon hatte sie sich das Köpfchen darüber zerbrochen! Manchmal, wenn sie ihren trüben Gedanken nachgehangen hatte, war sie der Verzweiflung nahe gewesen, aber immer hatte sie den in ihrem Herzen aufwallenden Zorn niedergezwungen und nach Entschuldigungsgründen für den Geliebten gesucht.
Ohne Verzug machte sie sich jetzt auf den Weg, um eine ernste Aussprache mit ihrem Bräutigam herbeizuführen. Da er seinen Wechsel mit der größten Regelmäßigkeit hielt, fiel es ihr nicht schwer, ihn aufzufinden.
Nach seiner Gewohnheit überschüttete er sie bei der Begrüßung mit tausend Zärtlichkeiten und umarmte und küßte sie so stürmisch, daß sie im ersten Augenblick vollständig vergaß, in welcher Absicht sie ihn aufgesucht hatte. Aber sie besann sich noch rechtzeitig, befreite sich aus seinen Vorderläufen und sagte, ihn sanft von sich schiebend: »Das ist ja alles recht gut und schön, mein Lieber, aber ich habe heute ein ernstes Wörtchen mit dir zu reden.«
Er äugte Linchen mit argwöhnischen Blicken an. »Nanu, mein Engel, was ist denn los? Ein ernstes Wörtchen mit mir reden? Das klingt ja ganz bedenklich«, bemerkte er. »Mein Schatz wird doch nicht etwa Anlaß zur Eifersucht zu haben glauben?«
»Ach Lamprecht, tu doch nur nicht so! Du weißt ganz genau, worum es sich handelt«, erwiderte sie mit einem leisen Tone des Vorwurfs.
»Ich weiß von nichts; mein Name ist Lampe«, gab er mit einem schwächlichen Versuch, zu scherzen, zurück.
»Würdest du mir freundlichst einmal sagen, wie lange wir uns nun schon kennen?«
»Sonderbare Frage, Maus! Das müßte ich erst genau ausrechnen. Offengestanden: mir ist, als sei es erst gestern gewesen, daß wir uns bei dem Platzregen unter der Jungfichte trafen.«
»Aber Lamprecht! Das war am 14. April, und heute schreiben wir den 12. Juli. Also dreizehn Wochen kennen wir uns schon.«
»Weiß der Himmel, wie die Zeit vergeht! Daß das schon dreizehn Wochen her ist, sollte man nicht für möglich halten. Übrigens, volle dreizehn Wochen sind's auch gar nicht; es fehlen mindestens noch zwei Tage daran. Aber was willst du eigentlich damit sagen, Schatz?«
Das junge Mädchen schien diese Frage zu überhören und fuhr fort: »Vielleicht weißt du aber noch, an welchem Tage wir uns verlobt haben?«
»Nee, weiß ich auch nicht. Für so was habe ich ein miserables Gedächtnis. Wenn du mich aber fragst, welche Düngstoffe miteinander gemischt und welche nicht oder nur unmittelbar vor der Verwendung gemischt werden dürfen, so kann ich dir das alles an den Klauen herzählen. Thomasmehl zum Beispiel darf man unter keinen Umständen mit Superphosphat, Ammoniumsulfat und Stallmist mischen, wohl aber jederzeit mit Kalk und Chilisalpeter und unmittelbar vor dem Gebrauch auch mit Kalisalz und Kainit. Kainit dagegen läßt sich jederzeit mit Superphosphat, Ammoniumsulfat und Kalisalz mischen, aber nur direkt vor dem Streuen mit Thomasmehl und Kalk. Beim Stallmist liegen die Verhältnisse wieder anders –«
»Bleib' bei der Sache, Lamprecht! Mit diesen Mischungsverhältnissen kannst du jetzt keinen Eindruck auf mich machen; mich interessiert vielmehr augenblicklich nur unser Verhältnis, und ich habe dich gefragt, ob du wüßtest, wie lange wir schon verlobt sind. Ich will es dir sagen: genau acht Wochen.«
»Sieh mal an; acht Wochen! So was kann ich mir beim besten Willen nicht merken. Du weißt ja: dem Glücklichen schlägt keine Stunde. Aber ich begreife immer noch nicht recht, weshalb du ein solches Examen mit mir anstellst.«
»Lamprecht! Meinst du nicht auch, wir wären nun lange genug verlobt gewesen?«
»Dir ist die Geschichte wohl wieder leid geworden?«
»Wie du nur so sprechen kannst! Leid geworden! Ich wollte sagen: hast du denn gar kein Verlangen, unsere Verlobungszeit abzukürzen?
»Absolut nicht. Die Brautzeit ist ja das schönste im Leben; davon kann man gar nicht genug bekommen. Was hinterher folgt, ist allemal das dicke Ende. Oder denkst du etwa, es wäre für mich so vergnüglich, die Sorge wegen der Kinder auf dem Halse zu haben?«
»Nun, diese Sorge fällt doch in der Hauptsache mir zu, Lamprecht. Wer rupft sich die Bauchwolle aus, bevor sie ankommen, du oder ich? Wer muß sie säugen, du oder ich? Wer verteidigt die Kleinen gegen Hermelin und Mauswiesel? Euch Rammler kennt man schon. Muß man die Kinder in der ersten Zeit nicht sogar vor dem eigenen Vater in Sicherheit bringen, damit er sie nicht totbeißt?«
»Erlaub mal, Schatz, das Kindertotbeißen mag in eurer Familie Mode sein, weil ihr durch das ewige Hocken in eurem muffigen Bau entartet und bis zu einem gewissen Grade pervers geworden seid; bei uns Lampes kommt so etwas nicht vor. Wir haben noch nie an solchen sadistischen Gelüsten gelitten. Da muß ich doch sehr bitten!«
»Um so besser! Aber wir sind wieder von unserm Thema abgekommen.«
»Würdest du mir nicht zunächst einmal verraten, um welches Thema es sich überhaupt handelt? Ich muß gestehen, daß ich noch keineswegs ganz im Bilde bin.«
»Nun, wenn du's noch immer nicht gemerkt hast: um das Thema Heiraten.«
»Heiraten?«
»Allerdings. Findest du nicht, daß es allmählich Zeit wird, einmal daran zu denken?«
»Warum nicht? Denken kann man natürlich ab und zu einmal daran. Es ist sogar ganz vorteilhaft, denn dann empfindet man doppelt, wie schön es doch ist, verlobt zu sein.«
»Du bist unverbesserlich, Lamprecht. Siehst du denn gar nicht ein, daß wir endlich einmal mit dem Heiraten Ernst machen müssen?«
»Gott bewahre! Ich finde, daß man so etwas nicht überstürzen darf. Heiraten tut man immer noch früh genug, und hat man die Hochzeit erst hinter sich, so ist's mit Spiel und Tanz vorbei. Das solltest du dir doch auch sagen, mein Engel.«
»Aber man kann doch nicht ewig verlobt bleiben.«
»Leider Gottes nicht! Es wäre freilich das Ideale. Weshalb bist du überhaupt auf dieses unerquickliche Thema gekommen?«
»Lamprecht, sieh, es ist ja nicht meinetwegen. Ich kann noch warten –«
»Na also! Das war doch einmal ein vernünftiges Wort von meiner süßen Maus!«
»Ich kann warten, aber die Eltern und vor allem der Urgroßvater verlieren nachgerade die Geduld und bestehen darauf, unsere Hochzeit müsse noch in diesem Monat stattfinden.«
»Jetzt, unmittelbar vor der Ernte? Deine teuern Angehörigen sind wohl nicht ganz munter? Na ja, ein Wunder ist's allerdings nicht. Wer den ganzen Tag in dem dumpfigen Bau steckt, dem muß es ja auch muffig im Kopfe werden. Habe also die Güte und sage deiner lieben Familie mit einer schönen Empfehlung von mir, jetzt vor der Ernte hätte ich an andere Dinge zu denken als an die Gründung eines Hausstandes, und überhaupt sei es ganz und gar nicht meine Absicht, schon so bald zu heiraten, ich gedächte vielmehr noch ein Weilchen unabhängig zu bleiben und meine Jugend zu genießen. Ins alte Eisen kommt man ohnehin früh genug, und dann ist zum Heiraten immer noch Zeit.«
»Ist das dein letztes Wort, Lamprecht?«
»Jawohl, mein Engel. Oder bin ich etwa nicht deutlich genug gewesen? Wenn's gewünscht wird, kann ich auch noch deutlicher werden.«
»Das ist nicht nötig. Ich habe dich vollkommen verstanden.«
»Schön! Dann können wir also wieder von vernünftigen Dingen reden. Vorab gib mir einmal einen tüchtigen Kuß!« Er wollte sich ihr nähern, aber sie wies ihn mit Entschiedenheit von sich. »Heute nicht, Lamprecht, heute bin ich zu so was nicht aufgelegt.«
»Dann nicht, mein Schatz. Man soll niemand zu seinem Glücke zwingen.«
Sie wandte sich zum Gehen, zögerte jedoch noch, da sie im geheimen hoffen mochte, er würde sie zu halten versuchen. Da dies nicht geschah, hoppelte sie ohne Gruß davon.
Der junge Landwirt äugte ihr gleichgültig nach, bis ihre in der Dämmerung aufleuchtende Blume im Kartoffelkraute verschwunden war. Dann rupfte er sich ein paar Schafgarbenblätter ab und kaute gedankenvoll darauf herum. Aber sein Lieblingsgericht wollte ihm heute nicht recht munden. Wenn er auch die Schuld daran dem Umstande beimaß, daß die würzige Pflanze infolge der anhaltenden Trockenheit an Aroma eingebüßt habe, so war es doch weit wahrscheinlicher, daß Lamprecht Lampes schlechtes Gewissen seinen Appetit beeinträchtigte.
*
In Tränen gebadet kam Linchen Laputz zu Hause an. Die Eltern, die schon auf ihre Rückkehr gewartet hatten, nahmen sie, empört über die Lieblosigkeit des Schwiegersohns, sofort mit zum Urgroßvater, der sich genau Bericht erstatten ließ und gewaltig auf den liederlichen Krautjunker schalt. Der Senior zeigte nicht übel Lust, das Verlöbnis durch einen Machtspruch zu lösen, stieß jedoch auf den entschiedensten Widerspruch bei Nikolinens Mutter, die in ihrem engeren und weiteren Bekanntenkreise mit dem vornehmen und steinreichen Bräutigam der Tochter schon so ausgiebig geprahlt hatte, daß sie lieber eine Ladung Nummer fünf auf den Balg bekommen als die Blamage einer zurückgegangenen Verlobung erlitten hätte, obgleich sie sich als kluge Frau längst im stillen eingestand, wie wenig ihr in kleinbürgerlichen Anschauungen aufgewachsenes, wenn auch von romantischen Anwandlungen nicht freies Linchen zu dem großzügigen und weltmännisch gebildeten Agrarier passe. Aber darüber machte sich Frau Laputz vorläufig noch keine Sorgen. Waren Linchen und Lamprecht erst glücklich verheiratet, so würden sie sich früher oder später schon ineinander einleben, und im schlimmsten Falle war ja immer noch der Urgroßvater da, der, wenn es durchaus sein mußte, einmal gehörig in die junge Ehe hineintrommeln konnte.
Es sprach für Linchens Nachsichtigkeit und lautern Charakter, daß sie den Verlobten, so sehr sie sich auch durch sein Betragen gekränkt fühlte, auch jetzt wieder mit große Beredsamkeit in Schutz nahm. Aber das half nicht viel: der Urgroßvater, nun einmal mißtrauisch geworden und gegen den Bräutigam der Kleinen eingenommen, erging sich nach wie vor in wilden Schmähreden, wünschte Lamprecht Lampe zum Iltis und verstieg sich zu der kühnen Prophezeiung, daß nicht einmal vom letzten Satze der Familie Laputz jemand den Tag erleben werde, wo Pfarrer Birkhahn oder einer seiner Amtsnachfolger Linchens und Lamprechts Pfoten ineinanderlege.
»Ich glaube, du äugst doch wohl zu schwarz, Großvater«, erwiderte die beherzte Brautmutter. »Ein bißchen leichtlebig ist Lampe ja ohne Frage, aber für einen solchen Bösewicht, daß er das Mädchen einfach sitzen lassen würde, kann ich ihn doch nicht halten. Es ist eben sein Unglück, daß er seine Eltern so früh verloren hat und schon in verhältnismäßig jungen Jahren selbständig geworden ist. Sein Vormund, der alte Ökonomierat Lampe auf Hasenfelde, scheint sich um ihn so gut wie gar nicht gekümmert zu haben. Da ist es freilich kein Wunder, daß der junge Mann ein ungebundenes Leben liebt und sich von den Annehmlichkeiten des Ehestandes keinen rechten Begriff machen kann. Wenn man nur jemand wüßte, der ihm einmal ordentlich ins Gewissen reden könnte! Es müßte natürlich eine Respektsperson sein, denn von anderen wird er schwerlich eine Ermahnung annehmen.«
»Schafft mir den Schlingel nur einmal her; das Ins-Gewissenreden werde ich dann schon so gründlich besorgen, daß ihr nachher die Wolle in ganzen Haufen zusammenkehren könnt. Ich wüßte nicht, wer anders als Respektsperson in Frage käme als ich«, meinte der Alte ein wenig selbstgefällig.
»Selbstverständlich kämest du zu allererst in Betracht, Großvater, aber du gehst ja leider nicht mehr aus und kannst den jungen Lampe also auch nicht besuchen. Und daß er, bloß um sich herunterputzen zu lassen, zu dir käme, halte ich für unwahrscheinlich«, erwiderte Linchens Mutter. »Vielleicht ist das auch ganz gut, denn in dieser leidigen Angelegenheit bist du ja schließlich auch Partei; da würde es doch wohl wirksamer sein, wenn ihn ein Unbeteiligter ins Gebet nähme. Ich denke zum Beispiel an den Major von Swinegel. Der ist energisch und weiß doch immer die Form zu wahren, und ich glaube, von ihm würde sich Lamprecht eher etwas sagen lassen als von irgend jemand anders. Meinst du nicht, es wäre gut, wenn Lapinus ihn einmal besuchte und ihn bäte, die Vermittlung zu übernehmen?«
»Meinetwegen! Viel Erfolg verspreche ich mir allerdings nicht davon, aber versuchen kann man's. Die beiden sind ja alte Kriegskameraden; ich glaube sogar, Swinegel war dabei, wie Lampe den Hinterlauf abgeschossen bekam und dann von den Hunden gewürgt wurde.« Der gute Urgroßvater begann wieder, die Generationen zu verwechseln, was seine Angehörigen immer als eine Mahnung betrachteten, das Gespräch abzubrechen und ihn sich selbst zu überlassen. Da er jedoch zu dem in Aussicht genommenen Vermittlungsversuch seine Zustimmung erteilt hatte, schickte Frau Laputz ihren Gatten noch am selben Abend zu Swinegel, um ihn um seinen Beistand in der heiklen Familienangelegenheit zu ersuchen.
Der Major, den der Auftrag schmeichelte, ließ sich nicht lange bitten, sondern versprach, gleich am andern Morgen, noch bevor er aufs Bezirkskommando gehe, den jungen Landwirt einmal vorzunehmen. Als Frühaufsteher war er denn auch schon lange vor Tagesgrauen munter und setzte sich bei dem Steige im Lupinenfeld an, den Lampe erst kürzlich angelegt hatte, um auf dem kürzesten Wege vom Kartoffelacker auf den Klee gelangen zu können.
Eine gute Stunde später traf der Erwartete ein und zeigte sich nicht wenig erstaunt, den alten Soldaten, der eine spartanisch einfache Wohnung unter der ziemlich weit entfernten Brombeerhecke innehatte, schon so zeitig in den Lupinen sitzen zu sehen.
»Zum Vergnügen bin ich allerdings nicht hier, mein Verehrtester. Ich komme Ihretwegen, und zwar im Auftrage Ihres Herrn Schwiegervaters«, erklärte Swinegel, der ein abgesagter Feind aller Verstellung war und jederzeit geradeswegs auf sein Ziel losging.
»Na, da kann ich mir schon denken, was los ist, Herr Major. Was sagen denn Sie dazu, daß es die Familie meiner Braut mit der Hochzeit so furchtbar eilig hat? Die guten Leute, die von den Mühen und Sorgen eines Landwirts keine blasse Ahnung haben, verlangen, daß wir noch in diesem Monat, also mitten in der Ernte, heiraten sollen. Naiv, was?«
»Ich gebe zu, daß der Zeitpunkt nicht gerade glücklich gewählt ist, Herr Lampe. Aber erlauben Sie mir die Frage: weshalb haben Sie Fräulein Nikoline nicht schon längst heimgeführt? Sie sind doch wohl bereits seit Mitte Mai verlobt, und nach dem Kartoffellegen gab's doch in Ihrer Wirtschaft nicht mehr viel zu tun.«
»Sie vergessen die Heuernte, Herr Major. Bei der wechselnden Witterung, die wir im Juni hatten, mußte man jeden günstigen Augenblick wahrnehmen, um das bißchen Gelumpe trocken hereinzukriegen.«
»Das mag ja richtig sein, bester Herr, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß es Ihnen mit der Heiraterei überhaupt nicht besonders ernst sei. Es wäre mir lieb, wenn ich mich darin irrte.«
»Aber, Herr Major! Was Sie nur denken! Ich bin nur der Ansicht, daß man eine so wichtige Angelegenheit nicht überstürzen solle, und das habe ich auch meiner Braut zu verstehen gegeben. Das Mädchen sieht das vollkommen ein, aber ihre Eltern und vor allem der Urgroßvater – nebenbei bemerkt, ein Mann von ganz unmöglicher politischer Überzeugung, wenn man bei diesen Demokraten überhaupt von Überzeugung sprechen darf – wollen Linchen sobald als möglich aus dem Hause haben, obgleich sie immer tun, als besorge die Kleine die ganze Wirtschaft. Ich finde das im höchsten Grade lieblos.«
»Na ja, bei den vielen Kindern, mit denen Laputzens gesegnet sind, kann man schon verstehen, daß ihnen daran liegt, die Tochter unter die Haube zu bekommen. Daß Sie, Herr Lampe, immer darauf ausgehen, die Hochzeit hinauszuschieben, muß die Familie natürlich beunruhigen. Und dann will ich Ihnen auch nicht verhehlen, daß sich die guten Leute wohl nicht ohne allen Grund darüber beklagen, sie würden von Ihnen vernachlässigt. Sie haben sich doch schon seit Wochen nicht mehr im Bau sehen lassen.«
»Stimmt, Herr Major! Aber sagen Sie selbst: halten Sie's für ein Vergnügen, in die engen Röhren und Kammern einzufahren, wo nie ordentlich gelüftet wird, und wo es immer nach nassen Windeln riecht?«
»Nee. Für ein Vergnügen halte ich das auch nicht, aber muß denn alles ein Vergnügen sein? Das ist nun mal im Leben nicht anders: Pflichten sind eben Pflichten und noch lange nicht immer ein Pläsier. Glauben Sie etwa, ich hätte in meiner langen Dienstzeit nicht auch oft genug die Schnauze halten und die Zähne aufeinanderbeißen müssen?«
»Mag sein, Herr Major, aber Sie als Soldat kommen über so etwas doch leichter hinweg als unsereiner. Wenn's Ihnen zu bunt wird, kugeln Sie sich einfach zusammen und pfeifen auf die ganze Welt. Das kann ich natürlich nicht, wenn ich Laputzens besuche. Ich bin dem sogenannten glücklichen Familienleben wehrlos ausgesetzt. Aus jedem Winkel krabbeln ein paar neue Schwäger und Schwägerinnen auf mich los und messen meine Löffel, weil man ihnen gesagt hat, sie wären länger als ihre. Und wenn ich mich nach Tisch dann in eine angeblich leere Kammer drücke, um ein Viertelstündchen Ruhe zu haben, so stoße ich dort regelmäßig auf den allerjüngsten Satz, der noch blind ist, und von dessen Existenz ich noch nichts wußte. Das würden Sie auch einmal satt bekommen, Herr Major.«
»Gewiß, angenehm mag auch das nicht sein, mein lieber Herr Lampe, aber abgesehen von ihrer sprichwörtlichen Fruchtbarkeit werden Sie der Familie Laputz doch schwerlich etwas vorwerfen können. Im Grunde genommen sind es doch alles reizende Leute.«
»Nun, ich weiß doch nicht, Herr Major. Die ganze Gesellschaft hat so entsetzlich spießbürgerliche Anschauungen und einen so eng begrenzten Horizont. Da ist unter der ganzen Sippe auch nicht einer, der wesentlich weiter als vierzig bis fünfzig Gänge über den allernächsten Umkreis des Baues hinausgekommen wäre. Und was man da gelegentlich an politischer Weisheit zu hören bekommt, das zieht einem einfach die Stiefel aus.«
»Freilich, freilich, mein Lieber! Will ich alles nicht bestreiten, aber schließlich wollen Sie doch Fräulein Linchen heiraten und nicht die ganze Verwandtschaft. Da müssen Sie also schon ein Licht zudrücken.«
»Ganz recht, aber ich fürchte, wenn ich Linchen heirate, bekomme ich auch die ganze Blase mit. Schon das letztemal, als ich da war, hieß es in einem fort: ›Schwager Lamprecht, wenn wir dich später besuchen, mußt du aber jedem von uns eine Sasse machen! Schwager Lamprecht, nicht wahr, wenn wir erst bei dir wohnen, suchen wir dir jeden Mittag nach Tisch die Flöhe ab, und dann zahlst du uns für jedes Dutzend eine Möhre? Schwager Lamprecht, wenn du den Roggen einfahren läßt, muß ich aber den Erntewagen kutschieren!‹ Und so geht's fort bis ins Aschgraue. Eine angenehme Perspektive, was?«
Major von Swinegel lächelte etwas säuerlich. Sehr leicht war die Vermittlerrolle, die man ihm da aufgenötigt hatte, wirklich nicht. »Kindergeschwätz, Herr Lampe, Kindergeschwätz! Würde so etwas an Ihrer Stelle nicht tragisch nehmen. Wie ich Sie kenne, sind Sie auch Manns genug, sich das kleine Volk vom Balge zu halten. Aber übersehen Sie auch nicht, daß Sie ein reizenderes und liebenswürdigeres Geschöpf als Fräulein Linchen kaum je wieder finden werden. Und das ist schließlich doch das wichtigste.«
»O ja, das Mädel ist ganz nett; das will ich gar nicht leugnen. Ihre kleinen Fehler und Schwächen hat sie natürlich auch; dafür ist sie eben ein Karnickel und kein Engel.«
»Fehler und Schwächen? Davon habe ich noch nichts gemerkt.«
»Das glaube ich Ihnen gern. Sie ist ja aber auch meine Braut und nicht die Ihre. Ich werde Linchen also doch wohl ein wenig genauer kennen als Sie.«
»Daran zweifle ich keinen Augenblick, lieber Freund. Ich wüßte nur gern, was Sie unter den Fehlern und Schwächen Ihrer lieben Braut verstehen.«
»Vor allem ihre geradezu beängstigende Beweglichkeit. Diese Ruhelosigkeit, dieses ewige Umherflitzen mit dem koketten Auf- und Niederschnellen der Blume macht mich nervös. Auf die Dauer halte ich das einfach nicht aus.«
»Das wird sich mit der Zeit schon geben, mein Bester. Fräulein Linchen ist ja noch so jung. Lassen Sie sie erst ein Jährchen älter sein, so wird sich die Gesetztheit schon einstellen.«
»Bei der nicht, Herr Major. Das Kribbelige liegt bei den Laputzens in der Rasse. Aber damit könnte ich mich möglicherweise aussöhnen, wenn sie nur nicht die plebejische Angewohnheit hätte, wo sie geht und steht einen Kratzer zu machen. Wenn ich ihr bei unseren gemeinsamen Spaziergängen einen kleinen Vortrag über Bodenmeliorationen oder über Getreidepreise oder über einen anderen interessanten Gegenstand halte und mir einbilde, sie sei ganz Löffel, bleibt sie plötzlich zurück und scharrt ein kleines Loch. Ohne allen Sinn und Verstand. Bloß, weil ihr der Trieb zum Graben im Schweiße steckt. Es ist, um aus dem Balge zu fahren!«
»Nun, das ist doch nicht so schlimm. Mit ein wenig Nachsicht und Güte werden Sie ihr die kleine Absonderlichkeit wohl abgewöhnen können. Darin liegt doch eben ein Hauptreiz der Ehe, daß man sich die Frau erzieht. Und bei einem so bildhübschen Frauchen kann dem Manne das Erziehen doch gar nicht schwerfallen. Denn daß Ihre Braut eine Schönheit ersten Ranges ist, werden Sie mir hoffentlich doch zugeben.«
»Na ja, eine Schönheit – bis auf die viel zu kurzen Hinterläufe. Ist Ihnen das noch nicht aufgefallen? Anfangs habe ich's ja nicht so bemerkt, weil die Liebe bekanntlich blind macht, und weil's an dem Abend, wo wir uns kennenlernten, schon ein wenig finster war. Aber jetzt fällt mir dieser fatale Schönheitsfehler um so mehr auf, als ich zeitlebens für Weiber mit langen Hinterläufen geschwärmt habe.«
Jetzt war des Majors Geduld zu Ende. »Hören Sie, Herr Lampe, von allem, was Sie da eben gegen Ihr Fräulein Braut vorgebracht haben, scheint mir der Hinweis auf die zu kurzen Läufe doch das stärkste Stück. Ich habe Sie bisher immer für ein hochanständiges Tier, für einen Kavalier im besten Sinne des Wortes gehalten, aber wenn Sie mir mit so lieblosen Äußerungen über Fräulein Nikoline kommen, sehe ich mich zu meinem innigen Bedauern genötigt, meine Meinung über Sie einer Revision zu unterziehen. Schockschwerenot, so etwas lasse ich Ihnen nicht so hingehen! Als Ehrenmann und alter Soldat bin ich entschlossen, die Sache der jungen Dame zu der meinigen zu machen. Ich frage Sie jetzt, Herr: haben Sie Fräulein Linchen die Ehe versprochen? Antworten Sie mir gefälligst ohne Umschweife!« Swinegel hatte in der Erregung die Stirnhaut in tiefe Falten gelegt und die nadelspitzen Kopfstacheln bedrohlich nach vorn gerichtet.
Dem guten Lampe, der durchaus nicht der Held war, für den er sich so gern ausgab, sank das Herz in die Bekleidung der Hinterläufe. »Nun ja, die Ehe habe ich ihr allerdings versprochen«, stotterte er, sich nach einer Deckung umschauend.
»Schön! Ich frage Sie weiter: sind Sie bereit, noch in diesem Monat Ihr Wort einzulösen und Fräulein Nikoline Laputz als Ihr eheliches Weib heimzuführen?«
»Nun, meine Absicht war's eigentlich nicht, da man jedoch, wie ich merke, allgemein so großen Wert darauf legt, und da ich offenbar auch Ihnen, Herr Major, einen Gefallen damit erweise, so muß ich mich schon dazu entschließen. Meinetwegen mag die Hochzeit nächste Woche stattfinden. Wenn Linchen durchaus unglücklich werden will, so kann sie das Vergnügen haben. Ich füge mich einfach dem Zwange. Aber das sage ich Ihnen gleich: wenn ich's eines schönen Tages wie Herr Jako mache und Eier lege, braucht sich niemand zu wundern!«
»Erst legen können, Herr Lampe! Mit solchen Drohungen vermögen Sie mir nicht zu imponieren«, erwiderte der alte Soldat, seine Kampfstellung aufgebend. »Ich habe Ihr Kavalierswort, daß Sie Ihre Braut noch in diesem Monat heiraten werden. Das genügt mir. Alles übrige wird sich finden.« Damit ließ er den verblüfften jungen Landwirt sitzen und begab sich schnurstracks in den Karnickelbau, um über den Erfolg seiner Mission zu berichten. Da er's aus Taktgefühl vermied, von den düstern Prophezeiungen etwas verlauten zu lassen, die der gereizte Bräutigam geäußert hatte, herrschte in der Familie Laputz der denkbar größte Jubel, und man begann noch zur selben Stunde mit den Vorbereitungen zu dem großartigsten Hochzeitsfest, das seit Karnickelgedenken in dem alten Bau gefeiert worden war. Denn einen Schwiegersohn wie den reichen Domänenpächter Lamprecht Lampe ergatterte man nicht alle Tage.