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Funfzehntes Capitel.

Ein Äolsharfenton.

Würde der Frauen! Du lehrst die ewige Schönheit der Seele und die tiefe Wahrheit eines reinen kindlichen Herzens! Vergänglicher Reiz äußerer Formen.. Dauernd verdunkeln dich das fleckenlose reine Gemüth – Liebe, Entsagung und das unverdrossene treue Walten der Mühe!

Die Mühe! Ach! Das ist der Schauplatz der kleinen Kammer, wo ein gutes Frauenherz sich ewige Kronen erwirbt. Die Mühe, nicht die Gesinnung allein nur adelt ihre Seele. Die Mühe! Von dem ersten Liebesdienst einer Schwester, gewidmet der Sorge und Pflege ihrer jüngeren Brüder und Schwestern, von dem ersten Pflegamte bei einem kranken Vater, einer leidenden Mutter... welche Stufenleiter edler Mühewaltung und schmerzverklärter Frauenwürde!

Mühe! Diese Freudigkeit des Gebens, des Entsagens, des Opferns! Dies volle, nicht überströmende, nicht darbende, sondern gerade richtige Maß der erfüllten Herzenspflicht! Wo umstrahlt ein edles Weib die reinste Glorie ihrer Bestimmung, als in der engen Klause, wo ein Mutterherz die ersten Pflichten seiner göttlichen Sendung an ihrem Kind erfüllt? Hülflos liegt der Säugling in ihrem Arm; die stille Nacht hallt von dem Schmerzensschrei des seit wenig Wochen erst geborenen Kindes; die Ungeduld der Umgebungen, selbst die schnell ermüdete Liebe des Vaters weiß nicht zu helfen... Die Mutter aber harrt aus, vergißt den Schlaf, versucht alle Beschwichtigungen der Schmerzen des noch mit seinem Pflanzenleben ringenden kleinen Wurmes; der Mutter ist dieser Wurm ein Hälmchen, das mit dem Sonnenschein der Liebe aufwachsen wird zum Allgemeinen und Ganzen; sie sieht schon Bewußtsein in dieser kleinen unreifen Bildung, sie hört schon eine Sprache in diesen Wehklagen, sie gibt diesem glimmenden Fünkchen den ganzen Hauch ihres eignen nach Freude doch so begierigen, aber nun entsagenden jungen Lebens, um ihn anzufachen zu einem flackernden starken Lichte...

Und wenn es erlischt! Diese Prüfung traf Tausende und an keinem Weibe ging in dieser oder anderer Form ganz die Mahnung ihres Berufes vorüber... aber die verklärende Abendsonne des Schmerzes blieb doch nur bei Wenigen im vollen Glanze abgedrückt! Wie bald erkennst du Die heraus aus dem Haufen, die ihr Leid für die Welt bald begruben und wieder fröhlich wurden! Wie schwer Die, die es ewig leben ließen in ihrem Herzen! Sanfte Seelen, die ihr wol noch lächelt, wol noch unter den Menschen wandelt, noch die Pflichten eures Berufes erfüllt und doch wie in den Lüften schwebt und uns erscheint, wie die Sendboten der Ewigen!

Anna von Harder war eine Gestalt.. mehr groß, als selbst Mittelfigur...

Die Züge des Antlitzes waren sicher einst schön, jetzt waren sie verfallen, von Leid durchfurcht; in den Augen lag etwas Bittendes, etwas Wehmüthiges. Dennoch war ein schönes Lächeln diesen ernsten Zügen geblieben. Die unversehrten, blendendsten Zähne mit dem ihre Gesundheit bezeugenden leichten gelblichen Schimmer, hoben dann die lächelnden Mienen und ließen sie noch anmuthig erscheinen, wobei sie weit entfernt war von dem Fehler derjenigen Menschen, denen die Natur den schönsten Schmuck, Zähne von Elfenbein, gab, daß sie mehr lächelte, als es in der Welt zu lächeln gibt. Sie brauchte diese Wirkung der Schönheit, die Andere immer brauchen, fast zu selten. Wenn Anna von Harder lächelte, war es, als fühlte sie sich von der Wirkung ihres schönen Mundes überrascht und als thäte sie es ungern. Sie lächelte aus Milde und Wohlwollen, nie, weil sie wußte, daß es ihr schön stand.

Die edle Frau war auch in Haltung und Toilette nicht von jener Einfachheit, die im Einfachen etwas sucht, wie die Altenwyl, bei der durch ihre grauen und braunen Farben auf schweren Kleiderstoffen ein anspruchsvolles Prinzip ausgedrückt wurde. Sie drückte durch ihr Äußeres nichts aus als ihr einfaches Bedürfniß und ihren natürlichen Geschmack. Nicht einmal mit einer grauen Locke, deren sie die Fülle hatte, that sie schön, wie so manche junge Matrone, die ihr graues Haar so nahe an ihr noch heißes Auge bringt, daß man vor den »Flammen im Schnee« erschrecken möchte. Anna von Harder hätte recht gern noch einen natürlichen schwarzen Scheitel auf der Stirn getragen und versteckte lieber ihre grauen Locken durch den niedergedrückten und innen besetzten Hut!.. Warum seinen Winter zeigen in einer Welt, die des Frühlings bedarf, um weltglücklich zu sein! Es gibt eine Diskretion des Alters gegen die Jugend, die nur ganz zarten Naturen eigen ist.

Was auch die Altenwyl von einem bescheidenen und doch bedeutenden Eindruck erwartete, sie konnte nicht getäuscht sein. Anna von Harder war eine Erscheinung, die eben dadurch wirkte, daß sie von ihrem Effekte keinen Vortheil zog und sich gab in der völligen Unschuld einer reinen Seele.

Sie umarmte die ihr ganz unbekannte und nur durch ihre Mutter nahegerückte Fürstin und drückte sie zärtlich an ihr Herz.

Daß ihr eine Thräne in's Auge trat, während die Augen der Altenwyl trocken geblieben waren, als sie die Tochter der Baronin Osteggen sah, die mit ihr einst so viele Briefe gewechselt hatte, wer verdachte es ihr, wenn man wußte, daß sie ihre einzige Tochter durch ein sonderbares Schicksal so gut, wie für immer, verloren und nie wieder gesehen hatte...

Mit stummer Rührung nahm sie auch die beiden Kinder – Olga hatte sich während aller dieser Scenen entfernt – und drückte einen Kuß auf ihre Stirnen. Sie hatte ihren Vater nicht gekannt, aber gleichviel, es war ein Vater, der den Kleinen gestorben war!

Von Ihnen weiß ich schon, sagte sie zu Rudhard, ihm die Hand reichend. Die Baronin schrieb Viel von Ihnen. Sie besaßen ihr Vertrauen und sind nun wirklich der Vater dieser Kleinen geworden. Nicht wahr? Sie sind Rudhard?

Rudhard dankte für diese freundliche Bewillkommnung und erzählte, wie warm die Mutter Adelen's der Landräthin Anna von Harder zu gedenken pflegte.

Eine Vorstellung der andern Personen fand nicht statt, doch kannte Anna sogleich von Ansehen die Oberhofmeisterin, der sie sich ehrerbietig verneigte.

Auf Siegbert aber warf sie einen Blick, als wollte sie sagen:

Ei! Du blonder junger Mann mit dem schüchternen, ehrlichen Antlitz! Wo hab' ich denn dich schon gesehen?

Man hatte nun Manches auszutauschen, was zu gegenseitiger Annäherung diente.. Siegbert war ein wenig auf Kohlen, wie das Gespräch so gar persönlich wurde und auf eine Menge Erinnerungen zurückging, bei denen Anna vertraulich die Hand der Fürstin hielt, ihr in's Auge sah und aus ihm die alte Zeit, die Mutter und die Vorstellung von dem Vater dieser Kinder hervorsuchen wollte. Er dankte recht der lustigen Paulowna, die allerhand Späße mit ihm trieb und ihn wol nicht hätte gehen lassen, wenn er nun auch aufgestanden wäre..

Auch Rudhard erzählte vom Vergangenen, während die Altenwyl schweigsam lauschte und fast lauerte, wie sich Anna von Harder entwickeln würde, was sich ihr wol abmerken ließe und worin sie wol so eigenthümlich wäre, wie man sagte. Und sonderbar! Ihr Eigenthümliches war eben Das, daß sie ganz einfach war und immer nur ein gütiges Ja! und Nein! sagte, wo man vielleicht eine geistreiche Entgegnung hätte anbringen können. Zehnmal entfuhr ihr ein beistimmendes herzliches So! Zehnmal ein verwundertes Ach! Ganz einfach, wie jedem natürlichen Menschen, dessen Ohr und Herz dem Herzen Dessen folgt, der mit ihm spricht...

Vielleicht waren aber auch diese einfachen Zustimmungen ein klein wenig der Ausdruck eines inneren Grübelns, wo sie Siegbert hinbringen sollte...

Endlich fand sie es...

Nach einer Pause, wo die Mittheilungen an die gefährliche Grenze der Erwähnung Paulinen's von Harder und der Gräfin d'Azimont angekommen waren und man über die betrübende Ähnlichkeit in den Verhältnissen zweier sich entfremdeter Geschwisterpaare mit verlegenem Stocken innehielt, sagte Anna von Harder, die jedoch über Helene d'Azimont mit Güte sprach, über ihre Schwester völlig schwieg, halb zu Siegbert, halb zu den Kindern die freundlichen Worte:

Die kleine Paulowna bindet da an den Finger Ringe von Blumenstengeln und weiß doch hoffentlich, daß sie die Hand eines Malers schmückt?

Siegbert angenehm überrascht, richtete sich jetzt auf und verbeugte sich, als machte er eigentlich nun erst die Begrüßung, die er nicht gewagt hatte.

Sie kennen – sagte die Fürstin fragend...

Rudhard hörte mit Aufmerksamkeit und sichtlicher Freude, daß Siegbert so bekannt war..

Ich habe damals, erläuterte Anna freundlich, ich habe damals nicht gewußt, als ich dem fleißigen Zeichner in Tempelheide für das Interesse, das er an unsrer alten Kirche zeigte, in der schrecklichen Hitze einen Becher Weins zur Erfrischung anzubieten wagte, daß ich den gefeierten Maler des Jakob Molay so dürftig bewirthet hatte. Frau von Trompetta und Fräulein von Flottwitz machten mir eine Stunde darauf diese angenehme Entdeckung.

Siegbert dankte für die schmeichelhafte Erinnerung und lehnte das ihm gespendete Lob in aufrichtiger Bescheidenheit ab.

Anmuthig und herzlich erzählte Anna den uns bekannten Vorfall und verschwieg auch den Raben, verschwieg auch den alten Schwiegervater, ja selbst die vom Bedienten gemeldete Theilung mit einem Landstreicher nicht, wie sie doch wol etwas zu schnell dem um den Becher geängstigten Diener das Urtheil über Hackert nachsprach.

Siegbert hielt eine Berichtigung und Milderung dieses Urtheils für zu weitläufig, sagte aber doch:

Ihn dürstete, wie mich. Wir haben uns Beide erquickt...

Frau von Trompetta, fuhr Anna von Harder fort, während die Altenwyl immer horchte und sich gleichsam wörtlich einprägte, was sie von diesen Begegnungen heut in den kleinen Cirkeln berichten konnte, Frau von Trompetta ist glücklich über das Albumsblatt, das Sie ihr schenken werden. Wer Ihren Molay bewundert hat, kann nur etwas Schönes erwarten. Ich freue mich, daß der Kunstverein so klug war, ihn anzukaufen und würde noch glücklicher sein, wenn ich ihn mit meinen armen drei Loosen gewänne...

Siegbert wuchs bei diesen Worten ordentlich in den Augen der ganzen Umgebung. Die Fürstin fixirte ihn mit erhöhtem Interesse. Während er sich wie eine Schnecke in ihr Gehäuse hätte zurückziehen mögen, beobachteten ihn die Andern mit ehrfurchtsvollen Blicken, die Altenwyl besonders, die in ihrer Stellung doch angewiesen war, jedem im öffentlichen Leben des Staates und der Gesellschaft nur irgend hervortretenden Ereignisse oder Individuum eine gewisse huldvolle Aufmerksamkeit zuzuwenden...

Die Majestäten, sagte sie auch mit einer herablassenden Wendung ihrer sitzenden Stellung, die Majestäten haben dies Bild mit vielem Wohlgefallen betrachtet und nicht begreifen können, warum der Propst, der den Cicerone machte, soviel daran zu mäkeln fand.. Man wird doch oft ganz irr an diesem Mann!

Ein feiner Kopf konnte aus dieser Äußerung viel entnehmen.

Hätte sie Gelbsattel gehört, er würde gezittert haben. Denn sie bewies, daß man bei Hofe anfing, gegen ihn eingenommen zu sein.

Solche schlaue Barometermesser fehlten hier aber. Nur Siegbert erröthete und sagte achselzuckend:

Der Propst! Ich verkenne die Fehler meines Bildes nicht! Allein die Kritik der Dilettanten ist wirklich unser Kreuz. Wir leiden mehr unter ihr als unter der der wahren Kenner, die doch oft viel strenger sind.

Rudhard hielt sich nicht und schnitt der Oberhofmeisterin, die in der Furcht, fast zu viel gesagt zu haben, wieder durch ein Lob des Propstes das Gleichgewicht herstellen wollte, fast die Rede ab.

Ist das Propst Gelbsattel? sagte er. Mein ehemaliger Schüler, der Zeltgenosse Ihres Vaters! Tadelt das Bild von dem Sohn eines Schulkameraden, jubelt nicht, so etwas begrüßen, empfehlen zu können? Das ist garstig! Garstig! Es war immer ein schlimmer Patron.

Portensis! ergänzte Rurik, fast beleidigend für alle Schulpförtner.

Siegbert lachte über die Weisheit des Knaben und die Damen wollten wissen, was dieser neue Charakter des Propsts zu bedeuten hätte?

Rudhard erklärte es. Während Anna von Harder dabei dies Kleeblatt dreier Freunde sehr lieblich fand, ergänzte Paulowna, die auch etwas wissen wollte, die Namen Wildungen, Gelbsattel und...

Bei dem dritten Namen stockte sie....

Rodewald, sagte Rudhard und lobte das Gedächtniß der Kleinen.

Wer? sagte Anna betroffen....

Rodewald! wiederholte die Kleine, der Alles bedeutend geworden war, was mit dem lieben neuen Freunde, Siegbert, in Beziehung stand.

Bei dem Namen Rodewald aber erblaßte Anna von Harder. Ohne daß Einer in der Gesellschaft begreifen konnte, wie sie diesen Namen sich mehremale wiederholen lassen und fragen konnte, wann und wo Das war? versank sie in eine Stimmung, deren Ernst gegen die durch die Scherze der Kinder angeregte Heiterkeit so abstach, daß Siegbert, der Dies bemerkte, nicht zu sagen wagte, daß dieser Rodewald sein Oheim wäre.

Die Altenwyl aber bemerkte die Veränderung nicht und nahm nur Gelegenheit auszurufen:

Schulpforte! O diese alten Stifte! Diese alten Klosterschulen! Die Majestäten lieben diese alten Stifte und Klosterschulen so sehr, daß schon längst eine Rundreise auf ihnen im Werke ist...

Damit aber kam die Oberhofmeisterin trotz ihrer hohen Stellung bei Rudhard schlimm an. Der wußte eine solche Menge von Misbräuchen in diesen alten Stiften und Klosterschulen aufzudecken, daß er fast pedantisch wurde und die Damen mit Rügen unterhielt, die viel zu streng wissenschaftlich waren.

Die Altenwyl nahm auch Veranlassung, ein einfaches, etwas kaltes: Meinen Sie? fast wegwerfend zu äußern und dann sogleich auf das Album der eben erwähnten Frau von Trompetta überzugehen. Mit sonderbarer Gelassenheit und nicht ganz ohne Ironie äußerte sie:

Also Frau von Trompetta sammelt wieder ein Album! Weiß man denn schon für welchen Zweck? Glücklicherweise sind wir in diesem Frühjahr von Überschwemmungen verschont geblieben. Ich hörte kürzlich, sie will jetzt die armen Weber bedenken!

Arme Weber sind allerdings zeitgemäßer! sagte Siegbert etwas ironisch.

O, Sie schlimmer Spötter, rief Anna von Harder, die sich von dem Eindruck, den der Name Rodewald auf sie gemacht, jetzt allmälig gesammelt hatte, Sie dürfen mir nichts gegen Frau von Trompetta sagen. Ich fürchte, es finden sich der Thränen genug, die man mit dem Ertrage dieses neuen Albums trocknen kann! Nur der Titel, den die gute Trompetta diesmal gewählt hat, ist etwas zu –.. wie soll ich sagen? Sie nennt es Gethsemane.

Gethsemane! sagte Rudhard und schlug die Hände zusammen...

Ja, bemerkte die Altenwyl, die es merkwürdigerweise auf die Trompetta abgesehen hatte, es ist in der That....

Ach! fiel Anna durchaus entschuldigend ein. Es ist ihre Idee. Es klingt nur ein wenig doch zu...

Muckerisch! brach Rudhard rund und kurzweg heraus.

Die Wirkung dieser rationalistischen Derbheit war aber schlimm berechnet.

Muckerisch! riefen die Kinder und machten lustige Wortspiele.

O so nicht! sagte Anna fast verletzt.

Die Altenwyl wandte gleichfalls ihr Haupt entrüstet zu dem alten Herrn hinüber, der denn nun auch von der Fürstin einen Wink bekam, fast, als wollte sie sagen, es wäre vielleicht besser, du gingest in den Garten oder auf dein Zimmer, alter Bär, oder schwiegest...

Auch dieser Gegenstand konnte also nicht fortgesetzt werden.

Anna von Harder griff, da Siegbert diskret geschwiegen hatte, wieder den Feuertod des Molay auf und sagte zu ihm gewandt:

Sollten Sie glauben, lieber Herr Wildungen, daß dies Süjet sogar meinen guten alten Schwiegerpapa, den neunzigjährigen Greis, interessirt hat? Ich mußte ihm ja Ihre Auffassung wörtlich erzählen. Er nahm großen Antheil und lobte Alles, was ich ihm mittheilte. Mit einer einzigen Ausnahme! Zürnen Sie mir nicht, wenn ich Ihnen seine Rüge wiederhole?

Siegbert bat um volle Offenheit... Eine Äußerung von diesem würdigen Greise könnte ihm nur lehrreich sein...

Anna, fast in Verlegenheit, dem jungen Manne weh zu thun, begleitete die folgenden Worte mit einem außerordentlich milden und versöhnenden Ausdruck:

Er sprach, sagte sie, von der über den Rauchwolken des Scheiterhaufens schwebenden Taube, die mir so außerordentlich als die Idee der höheren Versöhnung und der gerechteren Zukunft gefallen hat.

Die Idee ist einer Sage über Hussens Feuertod entlehnt – ergänzte Siegbert.

Gleichviel! Mein alter Papa meinte, fuhr Anna schüchtern und mit großer Spannung für die auf jede ihrer kleinsten Äußerungen merkende Altenwyl fort, Papa meinte, man könnte die in Paris verbrannten Templer nicht als Zeugen der christlichen Wahrheit oder irgend eines geistigen Fortschrittes verehren, sie hätten im Gegentheil weit eher ein unheimliches Symbol, eine Eule oder einen Raben, verdient.

Wie so? fragte Rudhard wieder barsch und kurzweg.

Die Templer, fuhr Anna fast erschreckend über dies rauhe Wie so? fort, die Templer haben nach des alten Herrn Meinung sich sehr in die Geheimnisse jener Länder verloren, wo sie für die christliche Lehre streiten sollten, öfter aber vorzogen, mit den Einheimischen in friedlichem Verkehr zu leben, wie wol jeder Feind, den man sich in der Ferne gehässig und abscheulich vorstellt, in der Nähe von seinen schlimmen Farben verliert und uns würdiger erscheinen kann, belehrt, als bekämpft zu werden...

Diese Meinung macht dem alten Mann Ehre! sagte Rudhard. Aber die Templer.. die Templer.. Eulen und Raben?

Ei! Ei! fiel forschend und lächelnd die Oberhofmeisterin ein, es wird Dies doch nicht derselbe Rabe sein, den der alte Herr Präsident immer neben sich sitzen hat und mit dem er sich, wie die Majestäten dem General Voland von der Hahnenfeder noch gestern bei Tafel nicht glauben wollten, über die schwierigsten juristischen Fälle unterhalten soll?

Sie lächelte forschend und Anna erröthete fast.

Das gibt ja etwas für die Kinder, fiel jetzt die schweigsame Fürstin, die nichts von solchen ernsten Dingen, mit denen General Voland von der Hahnenfeder den Kopf zu »fasciniren« wußte, kannte, lachend ein. Solche Märchen haben Sie um sich, liebe Landräthin?

Ja, ja, Ihr lieben Kleinen, sagte Frau von Harder, die auf den Scherz einging, wenn Ihr mich besucht, und ich hoffe, daß Dies bald geschieht, werdet Ihr glauben, in der Arche Noäh zu kommen, wo noch die Thiere alle fromm und friedlich beisammen wohnten.

Ein Männlein und ein Fräulein! brummte Rudhard, der unverbesserliche Rationalist, dazwischen.

Ja! Ja! Bei uns werdet Ihr Hunde sehen, die sich mit den Katzen vertragen, Katzen, die nicht naschen, Raben, die nicht stehlen, ja kleine Mäuse werdet Ihr fangen können, mit denen die Katzen spielen, ohne sie zu speisen...

Und glaubt der alte Herr wirklich an die Seelenwanderung? fragte jetzt die Gräfin ungemein neugierig, fast zudringlich.

O gnädige Frau!

Das war Alles, was Anna fast verletzt darauf antwortete.

Die Oberhofmeisterin erschrak. Der General Voland von der Hahnenfeder hatte bei Tafel doch gestern ausdrücklich gesagt, die alte Excellenz schiene ihm an die Seelenwanderung zu glauben, und der berühmte eingeladene Professor, der Egypten bereist hatte, bekam noch ausdrücklich vom Könige beim ersten Ragout das Wort über die Pyramiden, sodaß General Voland fast eifersüchtig wurde, wie Jemand bei königlicher Tafel länger als zwischen zwei Schüsseln allein reden könne und beim Fisch nicht ruhte, auch das Wort über die Pyramiden zu ergreifen, über die er sich, wie über Alles, zum Staunen der Herrschaften, als Kenner erwies.

Nun, wenn nicht die Seelenwanderung, so möchte man aber doch glauben, Sie wohnten bei einem Hexenmeister? bemerkte Rudhard.

Ja! Bei einem Zauberer! fiel die Fürstin verbessernd ein.

Die Kinder wollten von den kleinen Mäusen mehr erfahren.

Erzählen Sie doch! Erzählen Sie doch!

Ihr lieben Kleinen, sagte Anna fast verlegen, da ist nichts weiter zu erzählen. Da ist nur zu lernen und zu spielen, wenn Ihr zu uns kommt und hübsch versprecht, unsern Thieren nichts zu geben, was sie etwa naschen sollen. Der alte Großpapa ist strenge und nur mit seiner Art zu füttern und der Entfernung alles Naschens bringt er es eben dahin, diese Thiere untereinander zu versöhnen. Das solltet Ihr sehen, wenn die Stunde der Fütterung kommt! Wie da die Hühner krähen, die Enten schnattern, die Eichhörnchen springen und an ihren Drahtgitterchen kratzen! Aber Großväterchen gibt nur Dem, der geschickt war, und Alle wissen recht gut, ob sie ihr Futter verdienten. Wer etwas verbrochen hat, winselt dann und bittet so demüthig, bis man Mitleid bekommt. Wenn man nun Gnade für Recht ergehen läßt, dann hüpft das wilde Völkchen und ist so lustig und so dankbar, daß es Einem die Hände küssen möchte! Aber die Katze muß immer nur neben dem Hunde essen und die Dohlen bekommen ihre Körner vom blanken Silber, damit sie Silber nicht für Futter halten und es stehlen...

Als die Herrschaft über diese scherzhafte Mittheilung sich sehr unterhalten fühlte, meinte Rudhard, ob der Herr Tribunalpräsident nicht schon versucht hätte, auch in den Gefängnissen solche Zähmungen mit den Verbrechern anzustellen und wohin der Thierbändiger denn eigentlich mit diesen Experimenten hinauswolle?

Die andern Frauen schienen ärgerlich über diese Frage, die ihnen ganz unnütz vorkam. Ihnen genügte das Factum. Die Oberhofmeisterin schwelgte im Entzücken über die Thatsachen, die sie dem auf alles Aparte so begierigen und vom General Voland nur für Exclusives angeregten Herrscherpaare würde zu erzählen haben. Anna von Harder aber nahm Rudhard's Frage auf.

Ganz einfach zielt Großpapa auf die Ergründung der Thierseele, sagte sie. Es ist rührend anzusehen, wie dieser alte Herr, der ganz außer seiner Zeit lebt, sich nur mit zwei Dingen in seinen Mußestunden beschäftigt, mit der Freimaurerei und den Untersuchungen über die seelischen Regungen in der Thierwelt. In diesem Sinne kommt er mir oft allerdings wie ein Zauberer vor. Die Maurerei und ihre Geheimnisse kenn' ich nicht, aber er behauptet, sie hingen gewissermaßen mit seinen zoologischen Studien zusammen.

Alles war über dies Wort erstaunt.

Selbst Rudhard, der sich als Maurer bekannte und gestand, er wäre nicht im Stande, hier ein Bindeglied anzugeben...

Es muß doch eins sein, sagte Anna von Harder. Und wenn ich mich nicht ganz täusche, glaub' ich den Schleier damals etwas gelüftet gesehen zu haben, als der gute Greis kopfschüttelnd wegen Ihres Bildes, Herr Wildungen, immer die Worte wiederholte: Keine Taube! Keine Taube! Ein Rabe! Ein Rabe! Die Templer nannte er keine Christen. Ich sollte nur Acht geben, sagte er, an unserer Kirche, die Sie, Herr Wildungen, damals zeichneten, da wären in den Verzierungen der Fenster Vögel und orientalische Thiere sichtbar und die von den Tempelherren an die Johanniter übergegangenen Häuser, wie sich deren mehre in unsrer Stadt befinden und eins sogar an der Stelle stand, wo später meine eigene Familie ein Haus besaß, alle diese Häuser hätten eine Architekturverzierung, die sich nur auf den Orient, den Tempel Salomonis, die alten geistlichen Ritterschaften, die Geheimnisse der Baugilden zurückführen ließe. Und ich gestehe, ich höre den alten Mann gern sprechen, wenn er nicht von diesen dunkeln Sachen, wohl aber von der gebundenen Thierseele spricht, von den wunderlichen Trieben zu einer eigenthümlichen Moral in den Instincten, von der Vereinzelung oder der Paarung, von der Treue der Thiere und ihrer Innigkeit in geschlechtlichen Beziehungen ebenso wie von ihrer Gedankenlosigkeit. An einem Tage, wo ich über eine Trennung, die mein Innerstes traf, keinen Trost finden konnte, sprach er von den Zugvögeln und ihrer Wiederkehr, von der Gewöhnung der Taube und der traulichen Anhänglichkeit der auch von Shakespeare so innig geschilderten Mauerschwalbe so rührend, daß ich recht erkannt habe, wie doch Alles, was wir von Gott sagen und lehren, nicht ausreicht, wenn wir nicht in jedem Dinge sagen und lehren: Er ist die Liebe!

Diese Worte brachten eine große, aber nicht gesuchte Wirkung hervor...

Rudhard hatte die Maurerei wol nur in seiner frühesten Zeit getrieben und vollends in Rußland, wo sie nicht geduldet ist, alle Verbindungsfäden mit ihren verschiedenen Sekten und Auffassungen verloren. In seiner Art witterte er auch in dem Allen, was sich hier so wunderlich zu erkennen gab, nur Mystik, die er haßte... Er schwieg.

Die Gräfin Altenwyl aber war tief ergriffen. Sie hatte eine solche reiche Ernte heute für den Hof nicht erwartet. Die Thierseele... die Templer... die alten Johanniterstifte... die Zugvögel... Shakespeare und das Alles verbunden und verquickt durch das Eine: Gott ist die Liebe! Was konnte es heute Befruchtenderes, Anregenderes, Schlagenderes für die »kleinen Cirkel« und jenen eigenthümlichen Geist der Romantik geben, der die Schicksale dieses Staates und durch ihn einen Theil Deutschlands regierte!

Anfangs versuchte die allgewaltige Dame zu Siegbert's größter Spannung, das Gespräch auf die schwebende Johanniterverlassenschaftsfrage zu lenken; da aber Niemand darüber unterrichtet schien und Siegbert von seinem Bruder damals im Pelikan doch noch viel zu wenig darüber erfahren hatte, wie sehr er selbst daran betheiligt war, so ging die Oberhofmeisterin, um das Gespräch zu einem endlichen Schlusse zu führen, zu einem allgemeinen staatspolitischen Seufzer über, des Inhalts:

O eine Idee, die die ganze Welt erquickt! Nur ein Wort des Friedens in diesen Haß und diesen Hader! Wer wird dies Evangelium bringen, das allem Kampf der Parteien ein Ende machte und die Erde in einen Wohnplatz von Menschen umwandelt, die nur dem erlaubten Genuß der irdischen Güter und der Bildung ihres Herzens als Vorbereitung künftiger Seligkeit leben! Sie glauben nicht, meine Liebe, (sie wandte sich an Anna), wie man bei Hofe nach Erlösung von diesem Jammer, der über unsere Erde verhängt scheint, schmachtet! Wo man auch nur in seinem redlichsten Eifer etwas unternimmt, was jetzt dem Werthe des Ganzen dienen soll, sogleich muß man bei jedem Schritt, den man wagt, um zu einem guten Ziele zu kommen, hören, daß man Andre verletzt hätte! Ach, nicht vor- und nicht rückwärts ist ein Weg mehr zu finden. Glauben Sie mir, liebe Frau von Harder, daß die Menschen wol glücklich sind, die die Seele in den Blumen oder in den Thieren suchen! Ach! Auch Sie haben ja viel gelitten.. Liebe!

Frau Gräfin! war Alles, was Anna von Harder fast ablehnend und die Augen niederschlagend auf diese etwas zudringliche Freundschaftsanerbietung erwiderte...

Die Königin, sagte die Altenwyl, nimmt so vielen Antheil an Ihnen! Gibt es nichts, was Sie der hohen Frau näher führen könnte? O sie hat ein treues Herz. Kennte die Nation nur alle diese Menschen da oben!

Gnädigste Gräfin! sagte Anna. Mein Leben ist zu dürftig für den Glanz des Hofes. Was soll ich dort! Ich pflege meinen alten Zauberer von Tempelheide, lese ihm aus Büchern, wie er sie liebt, vor, sticke, wenn es mein Auge erlaubt, und treibe etwas Musik. In der Musik hab' ich Alles hinübergeleitet, was in mir noch sich regen, aussprechen, ja auch sich hingeben möchte. In der Musik lach' ich, in der Musik wein' ich. Auf den Tönen Gluck's und Händel's schweb' ich da und dorthin, wo ich am liebsten sein möchte; es sind ferne Länder, ferne Haine und Wälder und ich weiß nicht, gehören sie noch dieser Erde an oder sind es schon Jenseitsahnungen.. Mit meiner Musik bin ich leider egoistisch. Ich fördere sie nur für mich. Die Trompetta hat mich oft gedrängt, Vorstellungen in geschlossenen Kreisen zu geben. Wir würden es wagen dürfen, mit manchem älteren Werke hervorzutreten, wir kleinen Dilettanten, die wir uns zur classischen Musik verbunden haben. Wir haben einige gute Solistinnen. Die Flottwitz singt edel und rein. Ich sträube mich aber dagegen. Ich entziehe damit, ich weiß es, eine Einnahme, eine Unterstützung guten Zwecken, aber ich kann mich nicht entschließen, Andere durch unsere Versuche belästigen zu wollen. Ich weiß, ich bin egoistisch. Die Trompetta flammt für die innere Mission. Daß ich mich den Werken derselben zu wenig widme, werf' ich mir oft bitter vor. Aber ich bin eine Einsiedlerin und träge, träge, liebe Gräfin.. Zu nichts zu bringen, am wenigsten zum Hofe...

Gräfin Altenwyl war über diese bescheidenen Äußerungen etwas verstimmt.

Anna hatte eine Huld, eine Gabe, die sie ihr verschaffen wollte, geradezu zurückgewiesen. Die Königin hatte sie kennen lernen wollen und das nahm Anna so auf!

Dennoch ließ sich die Altenwyl nichts von ihrer Verstimmung merken, sie lächelte nur und sagte, indem sie sich erhob, um zu gehen, Anna fast in's Ohr:

Sie sind ein Engel!

Nun noch eine halbe Umarmung mit der Fürstin, ein freundliches Nicken zu den Kindern, ein flüchtiges Ignoriren der Herren... und die einflußreiche, kluge, aber vom Geschmack ihrer Umgebung ganz beherrschte Frau war dann endlich verschwunden. Siegbert hatte sich nur noch der flüchtigsten Notiznahme, Rudhard fast gar keiner mehr zu erfreuen gehabt.

Man athmete auf.

Anna, erlöst von einem Druck, umarmte jetzt erst noch einmal die Tochter ihrer Freundin..

Was wird die Brust leicht, sagte sie, wenn man nach einer zufälligen Annäherung an diese Hofatmosphäre wieder frei athmen kann! Und doch meint es die Frau so gut! Sie, liebe Fürstin, Sie müssen am Hofe als milder Stern aufgehen! Sie sind jung und schön! Ihnen wird diese Welt allerdings keinen Trost gewähren, aber doch Zerstreuung. Wenn Sie sich vorstellen lassen, schreiben Sie mir's ja! Ich komme dann, erst Ihre Toilette zu bewundern. Darf ich mich darauf verlassen?

Die Fürstin sah lächelnd zu Rudhard hinüber, als wollte sie von ihm eine Ermuthigung zu irgend einer Antwort abwarten.

Sie sind ein treuer, dankbarer Zögling, äußerte Anna sogleich diese Unentschlossenheit bemerkend. Sie hören noch jetzt auf Ihren Lehrer. Und Das dürfen Sie! Vertrauen Sie dem erprobten Rudhard recht, wenn er auch Unrecht hatte, mir das Gethsemane der Trompetta gleich so rundweg mit dem garstigen Worte zu verurtheilen...

Rudhard kehrte sich nicht viel an diese gemüthliche Rüge, sondern meinte in seiner Art:

In dieser Stadt, meine Liebe, muß man auf seiner Hut sein. Wir sind schlichte Naturkinder, kommen aus den Steppen und Haiden des Ostens und wollen uns recht gründlich hier Alles ansehen und erst prüfen, was sich uns zum Kaufe anbietet. Das Glänzende wird uns reizen, aber nicht bestechen. Die Wahrheit, die wir für's Leben eintauschen wollen, muß probehaltig sein... Und wenn mein Freund da, Herr Wildungen, eine noch so schöne Zeichnung in das Gethsemane liefert, ich wittere in dem Album doch Das, was man Muckerei nennt.

Er blieb dabei, wie Justus der Heidekrüger bei seinem Refrain über den Reubund.

Die Kinder lachten über das komische Wort und die Frauen errötheten über den doch allzuderben, allzunüchternen Verstandesmenschen, der sich mit Anna, die ihm doch entgegenkam, nicht einmal über ein Wort versöhnen konnte...

Siegbert fühlte, daß es nun Zeit wurde, zu gehen. Er fürchtete ohnehin schon zu lange verweilt und Erörterungen beigewohnt zu haben, die für einen ersten Besuch bereits zu vertraut waren... Die Sonne sank an dem Rand des Horizontes herab... Er hatte es acht Uhr schlagen hören und gedachte seiner Verpflichtung, sich in der Brandgasse an der bezeichneten Stelle einzufinden.

Die Fürstin forderte ihn mit größerer Wärme, als sie bisher gezeigt hatte, auf, sie bald wieder zu besuchen...

Anna von Harder aber wünschte ihm die Gunst aller Musen und die frohesten Stimmungen.

Sie sprach dies Wort unendlich wohlwollend und gütig.

Es lag Siegberten in dem Abschied von dieser Frau etwas, was ihm zu sagen schien: Wir sehen uns gewiß wieder und werden unsern gegenseitigen Werth noch besser kennen lernen!

Anna blieb. Siegbert trennte sich fast schwer von ihr.

Die Kinder und Rudhard gaben ihm bis draußen das Geleite...

An dem Spalier der Seitenfront des Hauses, an dem man vorüber mußte, um in den Vorgarten zu kommen, stand der alte Bediente von Tempelheide mit einem Shawl auf dem Arm und wartete seiner Herrin.. Vor dem Thorweg stand die alte Kutsche, die Hackert so verspottet und eine Karrete genannt hatte...

Nun, sagte Siegbert zu dem Alten in gelb und blauer Livrée – es war derselbe, der ihm den Wein gereicht – nun, es fehlte doch vor acht Tagen nichts an dem Silberzeug auf dem Tische in Tempelheide?

Der Alte horchte hoch auf und verstand nicht gleich.

Als Sie mir den Wein gebracht hatten! Wissen Sie noch? sagte Siegbert mit Nachdruck, um das Gedächtniß des Alten zu stärken.

Ah! jetzt verstand der und sagte:

Nein, nein, Alles ist richtig gewesen! Bitte! bitte!

Siegbert ging nach dieser ihm und Hackerten gewordenen Genugthuung wohlgemuth vorüber...

Wie er eben an der Ecke der Seitenfront war, fiel von oben aus einem Fenster eine Hand voll frischester Blumen über ihn her..

Sie kamen von Jemand, den man nicht sah.

Die Kinder riefen: Olga! ohne daß diese sichtbar wurde..

Siegbert raffte sich eine weiße Rose von den Blumen auf und sah empor, um zu danken...

Es war aber Niemand da, den er dankend noch grüßen konnte....

An der Pforte versicherte er Rudhard, daß er sich ihm außerordentlich verpflichtet fühle für die Einführung in diesen interessanten Kreis, morgen schon hoffe er mit seinem Bruder verständigt zu sein, um ihm, wenn es ginge, das Geheimniß des Bildes einzuhändigen.

Welches Bildes? fragten die Kinder.

Das Ihr bei Herrn Wildungen zeichnen lernen sollt! sagte Rudhard und während die Kinder darüber ihre Freude aussprachen, setzte dieser hinzu:

Ich hoffe, daß wir uns auch über diesen Unterricht verständigen werden.

Siegbert mochte nicht widersprechen.

Seine Rose betrachtend, antwortete er lächelnd, um nur der Erörterung auszuweichen:

Freundlicher kann man, um wiederzukommen, doch wol nicht gemahnt werden?

Mit diesen Worten zog er die Pforte zu und trat mit beschleunigten Schritten seinen Rückweg in die Stadt an...

Vor einem, ungeachtet es erst dämmerte, doch glänzend erleuchteten Hause – dem der Schwester Anna's – hätte er unter vielen glänzenden Wagen, die vor dem gußeisernen Gitter auf der Chaussee warteten, auch einen, der dem Justizrath Schlurck gehörte, leicht heraus erkennen müssen; doch war er zu bewegt, um jetzt auf Dinge zu achten, die um ihn her vorgingen..

Gerade durch die sich mühsam ausweichenden zur großen Soirée beim Intendanten heranrollenden, eleganten Wagen mußte er hindurch...

Hätte er aufgeblickt, würd' er bekannte Menschen genug wahrgenommen haben, die alle zu Paulinen's Festabend fuhren... Auch Melanie!

Er sah aber nicht auf. Er sah auf die weiße Rose, die eben erst frisch gebrochen schien, denn noch war sie feucht von der Abendluft oder durch die erquickende Hand des Gärtners, der die Beete Abends netzte... Er gedachte der andern Blumen, die er auf dem kleinen Rasen am Hause hatte liegen lassen, er hätte fast umkehren und sie sich noch holen mögen.

Was Blumen! sagte er aber zu sich selbst und raffte sich gewaltsam aus seinen Träumen auf.

Es war die höchste Zeit, zur rechten Stunde in die entlegene, verrufene Brandgasse und dort das Haus Nr. 9 zu kommen, wo ihn das Wiedersehen des Bruders und die erneute Bekanntschaft Fritz Hackert's erwartete.

Ende des dritten Buches


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