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Neuntes Capitel.

Ein lutherischer Papst.

Ehe Propst Gelbsattel mit dem Justizrathe zusammentraf, war dieser schon seit einer halben Stunde sehr mismuthig nach Hause gekommen.

Unterwegs hatte mancher den sonst immer freundlichen Justizrath Franz Schlurck gegrüßt, er hatte heute nur kurz und flüchtig erwidert. Die Art, wie ihm ein wildfremder Mann, der sogar von ihm etwas zu wünschen und zu ersuchen hatte, im Hohenberg'schen Palais begegnet war, lag ganz außerhalb des Kreises der Erfahrungen, die er täglich machte. Er hatte durch die glatte Art, wie sich Menschen, die etwas begehren, gefügig zeigen und von selbst Das aufdrängen, was eine Bestechung sein soll und nur als ein Geschenk geboten und genommen wird, sich eine so heitere, sorglose Auffassung seiner Praxis angewöhnt, daß ihm heute zum ersten male, als ihm das fürchterliche Wort: Schurke! zugedonnert wurde, das schöne Rosenlicht, das ihn immer umfloß, in Nacht verwandelt erschien. Er tappte auf der Straße hin wie im Finstern. Zwar hatte er noch Geistesgegenwart genug, dem berühmten Arzte, Sanitätsrath Drommeldey, der ihm begegnete und ihm zurief: Ei, ei, Justizrath, was machen Sie, Sie werden alt! zu antworten: Alt? Nimmermehr! Das Altwerden ist eine dumme Angewöhnung! Und der Arzt, der wie alle Söhne Äskulap's mehr das Geistreiche, Witzige, Abgerissene, als das Systematische, Schulgerechte liebte, hatte ihn veranlaßt, diese paradoxe Äußerung rasch, da er zu Egon mußte, den er für sehr bedenklich erklärte, zu beweisen, aber an Das, was er sagte, glaubte er heute selbst nicht. Er hatte gesagt:

Nie werd' ich alt, Drommeldey! Das Altwerden ist eine dumme Angewöhnung! Nichts Anderes! Wir kommen der lahmen und hinfälligwerdenden Natur ja immer auf halbem Wege entgegen! Nehmen Sie schon in der Jugend! Der Knabe quält sich förmlich ab, ein Jüngling zu werden! Er raucht Cigarren, daß ihm grün und gelb vor den Augen wird! Er bindet sich Cravatten um den Hals und kräht Alt wie ein Hahn, während er noch den reinsten Kanarienvogelsopran in der Kehle hat! Ist er dann mit Ach und Krach ein Jüngling geworden, so quält er sich schon wieder ein Mann zu sein! Er will heirathen, solid werden, spricht vom Glück der Ehe und sieht Kinder an der Mutterbrust neben sich und schaukelt schon welche auf den Knieen. Gut! Dann wird er ein Mann! Nun will er gravitätisch erscheinen und spricht von seiner Würde. Bequemlichkeit wird die Belohnung seiner Anstrengungen, Brot zu verdienen. Auf den Bällen tanzt er nicht mehr. Mit den gesundesten Schenkeln gebehrdet er sich wie ein Casinogast und spielt Whist. Setzt er sich ans Klavier, so konnt' er sonst ganz leidlich singen. Er kann es auch noch; aber aus Bequemlichkeit hebt er nicht mehr die volle Brust, sondern stöhnt und ächzt und läßt die Flügel hängen. So geht Das fort, bis dann natürlich das Alter wirklich da ist und die Natur frohlockt, ihren Sieg über den Geist davongetragen zu haben. Nein, nein, Doktor, sagen Sie's allen Ihren Patienten! Das Alter ist nichts als eine dumme Angewöhnung.

Das war so flüchtig und schalkhaft von ihm hingesprochen worden und der Arzt hatte darüber gelacht und sich's als Anekdote gemerkt – er heilte viele seiner Patienten mit Anekdoten – aber Schlurck hielt heute seiner eigenen Laune nicht Stand. Er knickte und sank recht erschöpft in seinem kleinen dunklen Arbeitszimmer in einem grünsaffianen Lehnsessel zusammen. Das empörende Wort des Fremden hatte ihn zusammengerüttelt, wie er sich selbst sagte, gleich einem alten Sack Nüsse. Das rasselte ohne Halt hin und her. Das lärmte wol und war eine Art Widerstand, aber schlaff! schlaff! sagte er sich. Ich konnte ihm nicht an die Kehle fahren, denn ich war ein Esel gewesen mit meinem: Jährlich? Warum ließ ich nicht Bartusch etwas abmachen, wozu mir im Grunde das Geschick fehlt! Und wenn ich auch nicht das wahnsinnige: Jährlich? geflüstert hätte, besäß' ich denn die Kraft, ihm den Schurken zurückzuschleudern? Nein! Der Witz macht schwach, nur Pedanten haben Kraft.

Bartusch hatte seinem Principal eine Menge von Papieren vorzulegen, die er ohne langes Besinnen und Prüfen unterschrieb. Er bereitete jenen dann auf den Empfang Ackermann's vor und erzählte zu Bartusch's großem Erstaunen in der Hauptsache Das, was er im Palais erlebt hatte. Bartusch sollte ihm alle nur irgend geprüften und sichern Papiere vorlegen und die Berathung mit ihm allein pflegen. Er wünschte des Handels überhoben zu sein.

Bartusch, stumm und ergeben, merkte gleich, daß der Justizrath nicht in bester Stimmung war und unterließ alles Fragen, pünktlich sich merkend, was ihm geheißen war. Sein Überblick war so kundig, daß es eigentlich keiner Worte bedurfte, wie es mit den Papieren gehalten werden sollte.. Mit fast stummem Nicken und kopfschüttelnd flüsterte er dann aber doch:

Unsere Hohenberg'sche Verwaltung hört also auf?

Die Administration hört auf, sagte Schlurck tonlos.

Werden sich wol nun wählen lassen? setzte Bartusch noch leiser hinzu.

Daß ich ein Thor wäre! antwortete Schlurck. Meinen Ruin mit eigener Hand bereiten? Jetzt gilt es arbeiten, fleißig sein! Die Zeit der Allotria ist vorüber. Sind die polnischen Pupillengelder eingezahlt?

Auf Heller und Pfennig... Die beste Aufklärung über Max Leidenfrost gab Frau von Werdeck... Die Familienlegate der Kaminski...

Genug! Wir müssen Revisionen halten, Bartusch! Uns rütteln, tummeln. Viele Adelige mahnen um Erledigung ihrer Angelegenheiten. Die Familienhäuser in der Brandgasse zahlen zu wenig – der Magistrat wirft uns Saumseligkeit vor...

Zuviel Armuth, Justizrath!

Das sollen die Staatsökonomen und Philanthropen ausmachen! Die Commune will Geld, Geld, Geld, Bartusch!

Ich lasse pfänden Tag und Nacht!

Setzen Sie Daumenschrauben an! Ich kann die Lage der Menschheit nicht ändern. Das ist Gottes Sache. Seine Welt ist ein Chaos. Man tastet im Dunkeln, greift und würgt. Ich weiß kein Mittel. Die Politiker sollen es ändern. Geld! Geld, Bartusch! Die Commune ist in Verzweiflung über die Johannitererbschaft und die Hartnäckigkeit des Ministeriums... Wenn wir diese Branche meiner Geschäfte auch noch verlören...

Justizrath!

Ich sehe heute schwarz.. gehen Sie Bartusch! Setzen Sie die Legitimation für den Generalpächter auf!

Aber der Prinz....

Ist krank....

Hört' es schon.. bedenklich?

Adieu, Bartusch! Lassen Sie mir etwas Ruhe!

Ich wollte auch nur noch ein Wort fallen lassen über eine sonderbare Äußerung des Prinzen in Betreff....

Bartusch wollte an den Schrein erinnern....

Schlurck, obgleich er Vieles von ihm aufgeklärt wünschte, ließ ihn doch nicht zu Worte kommen, sondern seufzte so laut, daß Bartusch vorzog, abzubrechen und ihn sich selbst zu überlassen.

Es waren die unmuthigsten Gedanken, die Schlurck bestürmten, als er allein war und so das Haupt auf die Lehne seines Voltaire-Sessels stützte. Er rieb die hohe Stirn, um gefälligere zu wecken. Er lüftete die Kleider, putzte an den Brillengläsern, es half nichts; er sah, wenn der Prinz genas, eine bedeutende Clientel, die ihm viel Geld eingetragen hatte, völlig genommen und, was ihm noch störender sein mußte, die Vergangenheit derselben einer scharfen Prüfung ausgesetzt. Auch die Verhandlung mit Paulinen hatte ihn aufgeregt. Daß der Prinz sein Feind war, ahnte er. Er sah trotz der Rückreise mit seiner Familie deutlich die Spuren davon. Wird er wieder hergestellt, sagte er sich, wär' es nicht besser, mich mit seiner Feindin zu verbinden und sie mir zu verpflichten?.. Die Frage nach dem Bilde, die er doch an Herrn von Harder richten mußte, war er fast geneigt, schon ganz fallen zu lassen.

In diesen Betrachtungen fiel sein Blick auf den Schrein, der auf der Seite seines Schreibtisches an der Erde stand..

Er erschrak, daß ihm hier eine neue Demüthigung erwachsen konnte, wenn sich Derjenige meldete, dem er gehören mochte.

Heftig zog er jetzt die Klingel.

Einer seiner Diener erschien und hastig ihm anbefehlend, daß er warten solle, ergriff er die Feder und schrieb:

»Da die vielfach angestellten Bemühungen, ein auf der Landstraße zwischen Angerode und der Residenz bei dem Dorfe Plessen gefundenes Frachtstück an den rechtmäßigen Eigenthümer gelangen zu lassen, vergebens gewesen sind, so wird derselbe hierdurch öffentlich aufgefordert, sich beim Justizrath Schlurck in der alten Johanniter-Comthurei parterre links in den Frühstunden bis neun Uhr zu melden.«

Nachdem er diese Zeilen mit Goldsand bestreut hatte, übergab er sie dem Diener und ertheilte den Befehl, sie sofort in die beiden Hauptzeitungen der Stadt einrücken zu lassen. Schließlich rief er ihm nach, jenes Ersuchen an seine Tochter auszurichten, das wir in Betreff des heutigen Abends und einer Vorstellung bei Frau von Harder schon gehört haben.

Unwillig stieß darauf Schlurck den Deckel von dem Schrein, den er mit seinem blanken Firnißstiefel erreichen konnte...

Der Deckel flog auf.

Die alten vergilbten Papiere lagen noch wohlgeordnet, wie er sie bei der eigenmächtigen und unverantwortlichen Öffnung eines fremden Eigenthums vorgefunden hatte.

Er bückte sich nieder und fing an, in ihnen zu blättern.

Wer weiß, dachte er, welche neue Entwickelungen sich aus diesen wurmstichigen Akten ergeben werden! Ist es nicht, als stiegen Geister aus der Erde und schüttelten sich noch einmal, um den Kampf mit den Lebenden zu beginnen? Wer wird der Kämpfer sein, der diese Waffen führt? Wo sind sie gefunden worden, unter welchem alten Hünengrabe? Fast glaub' ich, dem Schilde da fehlt doch wol ein Arm, der ihn führt, dem Rosse da der Reiter: es sind vielleicht nur alte Manuscripte Dem, der sie entdeckte; nichts Anderes! Daß er dann nie ihre Bedeutung erkennen möge! Ich verlöre den zweiten Arm, der mir arbeiten hilft, nachdem ich den ersten gelähmt schon an diesen Ackermann hingeben mußte!

Im bittersten Unmuth wühlte Schlurck unter den Papieren und zerrte fast an den Siegeln.

Er überlegte, ob es besser wäre, dem Besitzer, dessen Anmeldung er jede Secunde erwartete, einfach zu gestehen, er hätte, um den Eigenthümer zu entdecken, die Kiste öffnen lassen, oder ob er sie – das Schloß war durch ihn verdorben – mit einem neuen versehen sollte.

Das Letztere war verdächtiger, als für ihn, einen Notar, einen Mann der öffentlichen Treue, das erste.

Auch auf den Gedanken verfiel er: Wie? Wenn der Eigenthümer durch dich erst belehrt würde, welchen Gebrauch man von diesen Papieren machen könnte? Wenn du dich anheischig machtest, ihm zu einem großen Reichthum zu verhelfen und er den Gewinn mit dir theilte?

Indessen erschrak Schlurck vor dem gefährlichen Scheitern eines solchen Planes und vor der Nothwendigkeit, sich dadurch für immer das Patronat der Stadt zu verscherzen, für deren Interessen er nicht nur die alten Häuser und Grundstücke verwaltete, sondern auch in vielerlei anderer Hinsicht fruchtbringend beschäftigt war.

In diese quälenden Betrachtungen vertieft, zog er diejenigen Urkunden hervor, welche unstreitig die wichtigsten der ganzen Sammlung waren.

Es war zuerst diejenige, in welcher der päpstliche Stuhl den Ritter Hugo von Wildungen von seinem Ordensgelübde, kein Eigenthum zu haben, freispricht und ihm gestattet, wie es darin hieß: quasi ex pallio sancto ab haereticis et latronibus dilacerato lumbum suum suppliciter adimere et togae suae equestri juxta crucem immaculatam bona fide affigere, d. h. von dem durch Ketzer- und Räuberhand gleichsam zerrissenen heiligen Mantel auch seinen Fetzen demuthsvoll anzunehmen und auf dem Ritterkleide neben dem unbefleckten Kreuze in gutem Glauben zu befestigen.

Diese Urkunde war nöthig um zu beweisen, daß Hugo von Wildungen das ihm zuerkannte Theil der großen Verlassenschaft des Ordens wirklich antreten durfte und sein früherer Protest auf dieselben Gründe, die er für ihn angeführt hatte, auch aufgehoben werden konnte.

Seine Bereitwilligkeit, die ihm zuerkannten Häuser und Güter von den protestantisch gewordenen und sich auflösenden Brüdern anzunehmen, lag hier in dem Fascikel, das auf jene päpstliche Urkunde folgte. Früher kannte man nur seinen Protest. Er war im Rathsarchive der Stadt niedergelegt und war die Hauptkraft des Beweises, daß der nächste Herr an diesen streitigen Gütern die alte Commune war; hier in dem Schrein lag nun des Ritters Zurücknahme jenes Protestes, unstreitig mit dem päpstlichen Dispens das wichtigste Document!

Beide alte Blätter hatte der Justizrath in der Hand, als es klopfte.

Rasch stieß er den Deckel des Schreins und diesen selbst zurück und warf die Urkunden in ein Fach seines Schreibtisches.

Der Eintretende war Propst Gelbsattel...

Schlurck und Gelbsattel verstanden sich sehr gut...

Es waren Menschen, die eine ziemlich gleiche Lebensphilosophie hatten, nur daß sie sie anders aussprachen.

Die gesellschaftliche Stellung und die äußere Etikette seines Berufes bestimmte den Einen, vorsichtiger und behutsamer zu sein als der Andere, aber im Grunde kamen sie fast auf die gleichen Prinzipien zurück und hatten sich gern.

Die kleine pietistische Färbung, die sich Gelbsattel gab, störte Schlurck nicht; denn er war gar nicht in dem Grade Neolog, wie man seiner frivolen Äußerungen wegen schließen mochte. Er hatte sogar Anfälle von Aberglauben, ja von Mystik. Nur die kleinen hierarchischen Mucken, die Gelbsatteln zuweilen anflogen, seine jeweilige sogar katholische Stimmung mochte Schlurck nicht leiden und zuweilen in der Vertraulichkeit der Loge, deren Brüder sie waren, hatte er ihm oft ganz scherzhaft gesagt: Gelbsattel! Sie sind ein heimlicher Jesuit! Davon abgesehen, vertrugen sie sich sehr gut, billigten fast Alles, was sie wechselseitig mehr durch Andre, als unmittelbar von sich selbst erfuhren und hatten jetzt auch durch den Prozeß über die alte Johannitererbschaft Berührungspunkte des gemeinschaftlichen Interesses genug.

In dieser Angelegenheit war es auch, daß Gelbsattel seinen Freund zu sprechen wünschte.

Doch schickte er die zeitgemäße Frage voraus:

Nun Freund, wie ist es? Haben Sie Aussicht in Schönau gewählt zu werden?

Weder Aussicht, sagte Schlurck etwas erheitert durch diesen immer anregenden Besuch, weder Aussicht noch Absicht.

Sie ergriffen die Gelegenheit doch mit so großer Lebhaftigkeit.

Beim Dessert, als wir Rosinen kauten und Mandeln knackten und einige Reubündler mir zu viel Champagner eingeschenkt hatten. Die ruhigere Erwägung hat mir gesagt: Schlurck, bleib' vom Feuer! Verbrenn' dich nicht! Es ruinirt deine Praxis und zwingt dich, mehr Charakter zu haben, als für deine Zufriedenheit brauchbar ist!

Aber Sie haben sich doch beworben und einen einflußreichen Mann wie den Heidekrüger für sich in Schönau werben lassen!

Hab' ich, sagte Schlurck; aber der gerechte Verwalter meiner Angelegenheiten, dieser treue negotiorum gestor, hat sehr ungerecht an mir gehandelt. Er lobte mich und zeigte sich im fremden Lobe so edel, so uneigennützig, daß man seinen Edelmuth und seine Entsagung bewunderte und ihn, den Edeln und Entsagenden, nun selber wählen wird. Seine Rede soll ein Meisterstück bäurischer Verschlagenheit gewesen sein, ein Seitenstück zu des Antonius berühmter Rede gegen den Brutus am Leichnam des Julius Cäsar.

Wenn Sie denn durchaus keine Neigung mehr haben, als Bewerber aufzutreten, sagte Gelbsattel lächelnd, so ist wenigstens so viel erfreulich, daß in Justus ein liberal-conservativer Mann gewonnen wird...

Richtig, sagte Schlurck, das ist so eine Art hölzernen Eisens, wie es unsre Zeit braucht. Liberal-conservativ! Es ist mir immer so, wenn ich Das höre, als wenn mir Einer künstliche Artischocken aus Schweinsohren geformt vorsetzt. Man bewundert den Koch, nicht die Natur, und läßt die Schüssel stehen. Übrigens werden Sie erleben, daß dieser große Charakter, der schon funfzehn Jahre lang durch seine Neckereien die Regierung beschäftigt hat, zuletzt doch in ein Extrem fällt und in dem Falle, daß er Minister des Ackerbaues werden kann, ganz rechts, in dem Falle, daß man ihm irgendwo die Pferde ausspannt, ganz links wird. Verlassen Sie sich darauf! Oder er betrifft sich einmal bei einer unerwarteten kleinlichen Dummheit und verkrümelt sich in's Unbedeutende.

Sie hätten selbst auftreten und sich persönlich bewerben sollen, sagte Gelbsattel. Ihre natürliche Art besticht die Menschen. Ein glücklich hingeworfener Scherz wirft den Effect einer ganzen pathetischen Rede um. Man hatte im Wahlcomité des Reubundes so sicher auf Sie gerechnet...

Machen Sie noch immer diese abgeschmackten Späße mit? fragte Schlurck, der nun einmal in seine negative Art hineingekommen schien und seine Verdrießlichkeit auspolterte. Ist auch Das nicht Unsinn? Ist da ein Zusammenhang mit der gesunden Vernunft? Sieht man diesen Menschen nicht allen an, daß ihnen die Gesinnung aus dem Magen kommt? Wenn ich der Monarch wäre, ich verböte dem Volke ein solches Treiben! Unser Staat muß die Initiative des Verstandes, nicht die der Dummheit haben. Der König muß in seiner Bildung viel, viel weiter sein als seine dummen Bürger. Kann Das ein gutes Beispiel wecken? Wahrlich, wenn sich das Ministerium auf den reaktionären Wahnsinn der Beamtenweiber stützen will, ist es verloren. Die erste kräftige, gesunde Idee eines starken Kopfes bläst es im Nu um und wenn es von allen Bajonetten der Welt gestützt würde!

Sie sehen sehr schwarz, sagte Gelbsattel schlau lächelnd. Doch theil' ich Ihre Misachtung vor dem Reubunde, von dem ich mich zurückziehen werde. Es ist in der That nichts daraus geworden als eine großartig organisirte Gelegenheit zu Bällen und zu Verheirathungen. Unter dem Vorwande der Gesinnung drängt sich jeder Familienvater hinzu, der eine Tochter zu vergeben hat und nicht hoffen kann, in eine feinere Ressource oder das große Casino aufgenommen zu werden.

Ach, es lebe das Menschliche! fiel Schlurck mit komischem Seufzer lachend und doch ärgerlich ein. Es lebe die Naivetät der praktischen Bedürfnisse! Sokrates, Christus und ihr Alle, die ihr gestorben seid, um dem Menschen einen erhabnen Gedanken aufzustellen, lehrt, was ihr wollt, der Mensch weiß alle eure Himmel sich immer wieder zur Erde herabzuziehen und seine liebenswürdigsten Armseligkeiten in euren Paradiesen unterzubringen! Geben Sie mir eine Priese von Ihrem Macuba, Gelbsattel!

Gelbsattel zog eine der Schlurck'schen ähnliche Dose hervor. Beide tauschten ihren Taback. Denn Gelbsattel nahm aus Schlurck's Dose. Schlurck aus Gelbsattel's. Beide wollten sich damit ein Zeichen ihrer Freundschaft geben.

Über diesen Austausch lächelten Beide.

Treiben Sie noch immer so ein bischen Mysticismus? sagte Schlurck. Freund, ich weiß, warum Sie mit dem Reubunde nicht mehr zufrieden sind. Er schien Ihnen anfangs eine gewisse hierarchische Form anzunehmen. Er hatte so etwas von einem offnen Maurerbunde. Was? Und nun hat es sich erwiesen, daß außer einigen respektablen, aber unzurechnungsfähigen militärischen Elementen und einem horriblen Maximum von beschränktem Unterthanenverstand das absolut Leere in ihm steckt. Gedanken blieben fern. Das ist schlimm für Euch Jesuiten; denn wo Jesuiten wirken sollen, muß es Gedanken geben.

Gelbsattel lachte wiederholt über die Jesuiten und nahm diese Bemerkungen im vollen Einverständnisse harmlos und scherz-ernsthaft auf.

Ja, sagte er, Das mag es sein. Ihre Jesuitenriecherei, die Sie noch aus Ihrer alten Leipziger Schule haben, bester Freund, laß' ich dahingestellt, aber Gedanken müssen die Menschen regieren; die bloßen Gefühle sind mir nur dann nutz, wenn Gedanken sie zu regeln wissen, und das System, das nur aus der rohen Geltendmachung der Interessen entsteht, das veracht' ich vollends. Diese Landräthe und reaktionstollen Subalternen haben wirklich keine Gedanken. Was läßt sich darauf pfropfen? Man hat in lächerlicher Weise für den Reubund etwas von uns Maurern entlehnt, aber wissen wir selbst schon nicht, was wir von unserer Symbolik Vernünftiges zu halten haben, was soll unter so oberflächlicher Nachahmung entstehen? Sie sprechen von den Jesuiten! Können Sie läugnen, Freund, daß in dieser Gesellschaft, mag man nun ihre Tendenz auch noch so sehr verwerfen, doch eine große Kunst der Organisation und eine Vitalität, eine Lebenskraft liegt, die jeden Menschenkenner mit Respekt erfüllen muß?

Ohne Widerrede! sagte Schlurck und meinte Dies mit aufrichtiger Übereinstimmung.

Und ist nicht das Ziel, fuhr Gelbsattel erwärmter und gesteigerter fort, ist nicht das Ziel dieses Ordens in der That das zeitgemäßeste, das man sich denken kann, wenn man erwägt, wie die Übergriffe des Staates gerade erst durch den Sieg des Liberalismus immer gewaltiger, immer nüchterner, roher werden müssen? Und die Kirche! Was erleben wir auf dem Gebiete unsrer Kirche? Die innere Mission sogar unterwühlt jetzt ihren Bestand, die innere Mission ist unter dem Scheine der Frömmigkeit und der Mehrung des Gottesreiches die eigentliche Demagogie der Kirche, die sich liebedienerisch an den Staat lehnt und Das, was bisher für Kirche gegolten hat, unsre Gemeinden, unsere Beichtstühle, unsere praktische Seelsorge in die Luft sprengen wird.

Schlurck hörte aufmerksam zu....

Aber ich will auf den Staat zurückkehren, sagte Gelbsattel immer erhitzter. Nehmen Sie doch nur unsern eignen Fall! Ich gelte für einen Mann vom conservativsten Wasser und bin es und predige in diesem Geiste. Die ältere Zeit, die nun vorüber sein soll, erlaubte, daß eine gewisse Kirchlichkeit bei allen öffentlichen Angelegenheiten bescheiden mitsprechen durfte. Die Periode ist vorüber. Ich mache theoretisch für die Kirche nichts, gar nichts geltend, als einen gewissen Einfluß auf die Stimmung der Gemüther, aber um diesen zu behalten, kann man da ruhig ertragen, daß in diesem politischen Wirrwarr jede höhere geistige Frage als nebensächlich betrachtet wird und die Ministerien, wenn sie's nicht mit der innern Missionswühlerei halten, rein nur noch Triebräder der gedankenlosesten Geschäftsroutine werden? Diese übermäßige Verweltlichung erzeugt eine Isolirung der geistigen und geistlichen Interessen, die so nicht fortdauern kann. Das absolut constitutionelle System ist der Tod der Menschheit. Die leersten, erbärmlichsten Dinge werden auf die Ordnung des Tages gesetzt: alles Große vergangener Zeiten gilt für nichts mehr in diesen Kammern, wo Bauern, Pächter, Schreiber, Gastwirthe über das Staatsleben zu Gerichte sitzen. Was sind wir denn noch? Was gelten wir denn noch? Soll die Geistlichkeit nur Bibeln austheilen, nur Magdalenenstifte besuchen und sich mit dem Kehricht der Menschheit befassen? Nein, mein Freund, mag man von den Jesuiten sagen was man will, sie haben sich die Aufgabe gestellt, die geistige Herrschaft der Kirche aufrecht zu erhalten und den Menschen als Menschen zu retten, ihn nicht im Staate, im Betkämmerlein oder irgend einer andern Gemeinschaft mit Gott oder der Welt zu Grunde gehen zu lassen, und wenn der dumme Reubund auf eine solche tiefe Idee sich hätte erbauen können, dann wäre etwas mit ihm geworden, während er jetzt die Stelle der Heirathsbureaux vertritt und die Politik nur verwirrt, statt vereinfacht.

Schlurck wich von dieser Auffassung unstreitig sehr ab. Doch gehörte es zu seiner Art, daß er jedesmal, wenn er Jemanden von einer Idee recht warm erfaßt, ja flammend durchglüht sah, sogleich aufhörte sie zu bekämpfen. Denn er wußte, daß ein solcher Kampf dann vergebens ist; ja er scheute sich sogar vor Allem, was zu ernst und zu schwer auftrat, und so begnügte er sich auch hier mit den einfachen Worten:

Sehr wahr! Sehr wahr!

Gelbsattel, nun einmal im Zuge, fuhr, durch die scheinbare Zustimmung ermuthigt, fort:

Welche Anmaßung dieses herzlosen, kaufmännischen Ministeriums, das wir jetzt halten und gegen die Demokratie schützen sollen, der Prozeß, den Sie für die Stadt führen! Man macht Ansprüche geltend, als handelte es sich um einen alten, durch Böswilligkeit oder Nepotismus unbezahlt gebliebenen Steuerrest! Immer nur der Staat! Immer nur dieses gefräßige Ungethüm, das seine tausend Polypenarme, die wiederum mit tausend Saugwarzen bewaffnet sind, überall hinausstreckt, überall das Mark jedem Lebenden entzieht und nichts duldet, was nach seiner eignen Verfassung leben mag. Der Hof billigt nicht einmal den Prozeß gegen die Commune; aber der Hof ist selbst bei der freundlichsten Gesinnung viel zu schwach, um diese Bankiers und Advokaten, die jetzt das Ruder führen, in ihren Unternehmungen zu verhindern. Man hat die Hofkammer zu einem vollständigen Prozeß gegen uns instruirt und ich bin jetzt begierig zu hören, bester Freund, wie diese Dinge stehen.

Schlurck rückte seine Brille in die Höhe, wie immer, wenn er scharf sehen wollte.

Die zweite Curie der Hofkammer, sagte er, hat uns alle nur erdenklichen scheinbaren Rechtsansprüche zugesandt! Hier liegen sie...

Er zeigte dabei auf ein Convolut Schriften, das in einem der Schubfächer steckte.

Sie sind, fuhr er fort, der Hauptsache nach schon vor funfzig und aber funfzig Jahren geprüft und wenn nicht unhaltbar gefunden, doch durch dazwischen getretene größere Ereignisse unbenutzt geblieben. Jetzt will man nun Ernst damit machen und verlangt entweder die reale Überweisung aller jener Liegenschaften oder eine Art Abkauf in Form einer von der Stadt zu emittirenden Schuldverschreibung im Werthe von zwei Millionen. Man will zwei Millionen Thaler Papierscheine, die man nicht den Ständen zu motiviren braucht, mehr in Cours setzen. Das ist das ganze Manöver, zu dem die Kämmerei-Kasse etwa 50.000 Thaler, um allenfallsige Realisirungen der Scheine bewirken zu können, deponiren müßte. Was sagen Sie! Ich finde darin nichts als eine arge finanzielle Plusmacherei.

Würdig der Erfindungsgabe unsres jetzigen Finanzministers, rief Gelbsattel. Würdig der Theorie vom Staate als einem nimmersatten Vielfraß! Glauben Sie ernstlich, Schlurck, daß eine solche Operation durchgeht, von den Schöffen und Beigeordneten der Stadt gutgeheißen wird? Ich glaube es nicht! Eher würde man die Liegenschaften selbst abtreten und ermessen Sie, welche Nachtheile dann für Die damit verbunden sind, die auf den Ertrag derselben angewiesen leben! Sie würden dies Haus zu verlassen haben, ich selbst würde in meinen besten Einkünften geschmälert werden und eine Menge der nützlichsten, städtischen Einrichtungen geriethe in's Stocken, wenn z. B. nur die Miethen ausblieben, die Sie von den Johanniterhäusern zu verwalten haben, die Grundzinse hier und auswärts gar nicht zu rechnen...

Es ist so schlimm, sagte Schlurck, daß leider der Kläger und Richter hier fast in einer Person auftritt. Der Staat klagt und der Staat entscheidet..

Ist der Staat wirklich auch schon in den Richtern? rief Gelbsattel immer erhitzter. Ist es schon soweit, daß auch die Gerechtigkeit nicht mehr eine eigene unabhängige Institution ist? Nein, vom höchsten Gerichtshofe des Landes kann, soll man Das nicht sagen. Und es freut mich, Ihnen mittheilen zu können, daß sich der alte Obertribunalspräsident für diese Angelegenheit interessirt.

Hat sie denn einen Zusammenhang mit der Zoologie? fragte Schlurck lächelnd.

Wie Sie's nehmen! erwiderte Gelbsattel. Einen Zusammenhang mit der Loge hat sie.

Mit der Loge? fragte Schlurck erstaunt. Unser Großmeister mag im Grade der eleusinischen Geheimnisse stehen, ich kenne sie nicht und hab's in unsrer edlen Kunst nicht weiter gebracht als bis zum ersten gehobenen Isisschleier, aber was dieser Prozeß mit der Loge zu thun hat, begreif' ich nicht...

Mit der Loge wol auch zunächst nicht selbst, sagte Gelbsattel. Aber mit ihrer Geschichte, wenigstens mit derjenigen Geschichte der Loge, für die der alte Herr schwärmt. Sie wissen, daß er zu Denen gehört, die unsre Kunst wirklich aus urältesten Zeiten herleiten –

Ah so! Aus den egyptischen, wo man die Pyramiden zu Ehren der Katzen baute, in denen der alte Narr göttliche Offenbarung erblickt...

Er sieht in der Maurerei, sagte Gelbsattel, orientalische Tradition, die wir im Abendland der Vermittlung der Kreuzfahrer, besonders aber der Tempelherren, verdanken....

Haben die Tempelherren auch Katzen verehrt?

Sie haben es nach vielen Zeugnissen! sagte Gelbsattel nickend und ganz ernst.

Hören Sie! rief Schlurck jetzt, indem er lachend und wieder ganz erheitert aufsprang, so soll mir Einer jetzt die größte Thorheit erzählen und mir aufbinden, es gäbe Menschen, die sie für Weisheit hielten, ich glaube es! Wenn die Katzen mit unserm Prozeß in Verbindung stehen, so nehm' auch ich an Begeisterung für ihn zu, denn alle Miether der Johannishäuser klagen über das beispiellose Vermehren der Mäuse und Ratten so sehr, daß Keiner mehr aushält, wenn ich nicht vierteljährig einen Kammerjäger dort auf die Jagd schicke.

Ja noch mehr, sagte Gelbsattel, ich hege die Vermuthung, daß der Obertribunalspräsident schon aus eigenem Antriebe dem historischen Zusammenhang dieses Prozesses nachforscht! Ein junger Referendar, der in der zweiten Curie der Hofkammer, also in unserm Prozesse arbeitet und zufälligerweise ein Nachkomme des Ritters Hugo von Wildungen ist, dem ursprünglich diese Güter sollen gehört haben, hat sich im alten Tempelhause von Angerode eine eigenmächtige Untersuchung des dort seit undenklichen Zeiten vermauerten Archivs erlaubt, was ohne Zweifel nur im Auftrage der Gerichte geschehen ist.

Schlurck, der sich wieder gesetzt hatte, horchte hoch auf... Die Brille schob sich noch höher.

Der neue Pfarrer von Angerode, erzählte Gelbsattel, hat mir diese Thatsache angezeigt. Man hat der Wittwe des verstorbenen Pfarrers die Nutznießung der alten Amtswohnung in dem dortigen ehemaligen Tempelhause gelassen und ihr neuerdings auch noch in einem Anbau Räumlichkeiten zugewiesen. Nach einem Jahre hat diese Frau die Amtswohnung zu verlassen und es ist dem Nachfolger ihres Mannes nicht zu verdenken, daß er sich schon jetzt nach der Beschaffenheit seiner künftigen Wohnung umsah. Man entdeckte dabei, daß der Sohn jener Wittwe, ein junger hier lebender Referendar, ob absichtlich oder zufällig ist unbekannt, das alte Archiv des protestantisch gewordenen Johanniterordens wieder auffand und einen mit Dokumenten gefüllten Schrein hieher mitgenommen hat...

Schlurck, in der größten Spannung den Worten des Propstes folgend, unterbrach Gelbsatteln mit dem Ausrufe:

Einen Schrein?

Mit dem Zeichen des Kreuzes auf dem Deckel, wie Beobachter versichern...

Mit einem Worte hier – diesen Schrein?

Gelbsattel blickte erstaunt zur Erde nach der dunkeln Gegend hin, wohin Schlurck in der gewaltigsten Aufregung halb mit der Hand, halb mit dem Fuße gezeigt hatte..

Himmel, rief er, das Kreuz auf dem Deckel erkennend, wie kommen Sie zu dem alterthümlichen Fund? Das Zeichen der protestantischen Ritter von Angerode! Die vier Blätter des Kleeblatts an den Flanken des Kreuzes! Wäre dies gelbe Papier da auf dem Tisch schon ein Dokument, das zu den Akten unsres Prozesses gehörte?

Schlurck hielt die Hand auf dem Papier, das Gelbsattel eben nehmen wollte...

Sein erstes Gefühl bei diesen Mittheilungen war das der Freude. Er sah endlich einen Zusammenhang für den Ursprung seines Fundes und eine Möglichkeit, seine unredliche Verheimlichung desselben auf einen leicht zu entschuldigenden Weg der Ausrede zurückzulenken....

Als der Propst in ihn drang, ihm genauere Auskunft zu geben, wog er ihm langsam die Worte zu:

Gemach! Gemach! Erst sagen Sie mir: Wer ist dieser Wildungen? Gibt es also wirklich einen Bruder des Malers Wildungen? Was ich vor einigen Tagen schon hätte untersuchen sollen, als ich an Bartusch....

Es gibt deren zwei, unterbrach Gelbsattel mit einem eignen Ausdruck forschender Ungeduld die Vorwürfe, die sich der Justizrath über seine Sorglosigkeit in so wichtigen Dingen machen wollte...

Von einem Maler hört' ich, sagte Schlurck. Hat er also wirklich einen Bruder?

Einen jüngern, berichtete der Propst, aber einen an Scharfsinn und Unternehmungsgeist dem Älteren weit überlegenen.

Wie kommen diese Wildungen nach Angerode? fragte Schlurck zerstreut. Er dachte nur an Egon, an den Heidekrug, an seinen Brief, an Melanie...

Durch ihren Vater, der dort die Stadtpfarrei vor einigen Jahren antrat und seit einigen Monaten nicht mehr lebt, erzählte Gelbsattel. Dieser Mann ist in meine früheste Jugendzeit verwickelt. Man konnte uns Freunde nennen, wenn wir uns nicht um eines Mädchens Willen überworfen hätten. Eine gewisse Julie Rodewald war der Zankapfel, der zuletzt zu ihm hinüberflog. Es war ein wunderlicher, grämlicher Mann, den die Ehe mit dem Mädchen, das wir Beide liebten, nicht heiter stimmte. Er versauerte und verbauerte in Thaldüren, einem thüringschen Gebirgsdorfe, wo man ihn als Pfarrer ließ, weil er zu einer bessern Stellung kaum paßte. Bald Pietist, bald Rationalist, bot er dem Consistorium kein klares Bild, keinen Henkel, schrieb ich ihm einmal auf seine ewigen Klagen um Verbesserung, um ihn anzufassen. Auf einer Rundreise durch seine Gegend wollt' es die Amtspflicht, daß ich bei ihm vorsprach. Er wurde heftig. Er sagte mir die bittersten Dinge und nannte seine Ehrlichkeit den Henkel, an welchem ihn freilich die Lügner nicht zu fassen wagten. Auf so wildes Reden hin, that man besser, ihm die nächste Vacanz zu geben. Er bekam sie nach Angerode als Stadtpfarrer und starb in den kaltgründigen alten Zimmern des Tempelhauses sehr bald nach der Übersiedelung. Von der Universität und aus Schulpforte her, wo ich, Wildungen, Rodewald und ein gewisser Rudhart Contubernalen waren, weiß ich, daß diese Wildungen von dem Johanniter Hugo von Wildungen stammen und oft sagte er mir, wenn sich gewisse Urkunden fänden, könnte er ein überreicher Mann sein. Ich gestehe, daß ich später, da mir die Gegenstände seiner etwaigen Ansprüche selbst so wunderbar zur Bedingung meiner eigenen Existenz wurden, mit einem gewissen sonderbaren Mistrauen ihn nach Angerode ziehen sah. Wie nun, wenn sein Sohn, auf Veranlassung des Prozesses, in dem er arbeitet, in Angerode Nachforschungen gehalten hat, die mit Entdeckung eines eingemauerten Archivs endeten? Ich habe sogleich Auftrag gegeben, dort weitere Untersuchungen anzustellen und bin erstaunt, bei Ihnen schon die Spuren dieses unerwarteten Incidenzfalles anzutreffen.

Schlurck lächelte und sagte:

Bester Freund, Sie nehmen mir eine große Last vom Herzen. Dieses alte Ding da ist auf nicht ganz ostensible Art in mein Haus gekommen; aber wenn ich dabei etwas verbrach, so entschuldigt mich der Eifer für unser gemeinschaftliches Interesse. Ich will Ihnen diese Sache erzählen.

Gelbsattel's Neugier wurde durch eine Unterbrechung gestört....

Bartusch war eingetreten und flüsterte seinem Prinzipal ins Ohr, daß der Amerikaner da wäre...

Rechnen Sie mit ihm, sagte Schlurck. Führen Sie ihn oben in ein anständiges Zimmer! Zählen Sie seine Caution und stellen Sie ihm Scheine dafür aus soviel er will, ich werde sie unterschreiben. Den Knaben kann ja Melanie unterhalten...

Bartusch nickte und ging, die Hand voller Papiere....

Es währte einige Sekunden, bis Schlurck den unangenehmen Eindruck dieser Unterbrechung überwunden hatte. Dann erzählte er dem aufhorchenden Freunde:

Ich war vor etwa acht Tagen in Hohenberg. Die Theilhaber der fürstlichen Masse hatten sich dort versammelt und nach den bittern Betrachtungen des Tages folgten Abends gesellige Tröstungen und Erheiterungen, so gut es gehen wollte. Ein kleiner Ball hatte ungewöhnlich spät gedauert. Das schöne Mondenlicht verführte mich, eine Dame, die ich sehr schätze, nach Hause zu begleiten, und, wie gesagt –

Schlurck fuhr sich mit der Hand an den Hinterkopf, wie er pflegte, wenn er eine künstliche Verlegenheit schildern wollte, strich das wenige dort sauber gelegte Haar glatt und warf die Brille wieder auf seine frivol die Öffnungen aufblasende kleine Stumpfnase...

Nun – nun – unterbrach Gelbsattel schelmisch diese sonderbare Gebehrdensprache. Sie verweilen ja sehr lange bei der Dame im Mondenschein....

Nicht im Mondenschein, fuhr Schlurck fort, dafür sind wir nicht mehr romantisch genug; genug, es war über zwei Uhr, als ich wieder aus dem Dorfe Plessen zum Schloß zurück will. Komm' ich da an eine Schmiede, die am Fuße des Berges liegt, und sehe, daß einem Güterwagen eben die Achse gebrochen ist. Der Fuhrmann hatte ohne Zweifel der Hitze wegen in der Nacht fahren wollen und war etwas im Schlaf gewesen. Genug, der Arme lag halbtodt unter dem Rade, dessen gebrochene Felgen glücklicherweise nicht mehr von der ganzen Kraft des nicht übermäßig bepackten Wagens gedrückt wurden. Das laute Winseln eines gleichfalls verletzten Hundes, mein eignes Rufen weckte die Leute in der Schmiede. Man trug den Fuhrmann hinein und entleerte etwas den Wagen, um ihn leichter zur Verbesserung des Rades in die Höhe schrauben zu können. Bei dieser Gelegenheit entdeckt' ich, als ich eben übermüdet zum Schlosse hinaufsteigen will, einen Gegenstand unter den ausgepackten Sachen, der mich wahrhaft überraschte.. diesen alten Schrein! Es war das Kreuz mit den vier Kleeblättern in seinen Enden! Unser Prozeß im neuen ernsten Beginnen, die Wichtigkeit der daran sich knüpfenden Verhältnisse, Befremden über diese seltsame Erscheinung des protestantischen Johanniterkreuzes von Angerode, eine Art von Aberglauben über die Weisheit des Zufalls, alles Das bestimmte mich, die Bewohner der Schmiede zu veranlassen, den Schrein bei Seite zu stellen, wieder aufzupacken und dem Fuhrmann, wenn er sich erholt hätte, das Geschehene à tout prix zu verschweigen. Nachdem ich mich über den Fund orientirt hatte, konnte man ihn ja unter irgend einem Vorwande dem Besitzer wieder zustellen.

Gingen die Bewohner der Schmiede auf dies riskante Ansinnen ein? fragte der Propst erstaunt, und waren Sie ihrer so gewiß...

Ich hatte mit einem alten Manne zu thun, der blind ist, sagte Schlurck, und seinem Sohne, der an Taubheit leidet. Meine Amtswürde nahm ich zu Hülfe und wußte ihnen begreiflich zu machen, daß es sich hier um eine wichtige Entdeckung im Interesse des Staates handelte. Sie trugen mir den Schrein an einen verborgenen Ort. Kaum hatt' ich einige Stunden geschlafen, als der alte Schmied sich von dem jungen zu mir hinaufführen ließ und um Gotteswillen bat, ihnen zu erlauben, den Schrein herauszugeben, der Fuhrmann gebehrde sich wie rasend, an dem Schrein läge mehr, als ein Mensch ahnen könne... denken Sie sich! Je mehr sie baten, desto mistrauischer wurd' ich natürlich und zuletzt bestand ich darauf, daß der Schrein nur noch für mich existire, und unverrichteter Sache stiegen sie wieder hinunter...

Gelbsattel schaltete hier erstaunend wieder die Bemerkung ein:

Das brachten Sie mit Ihrem einfachen Befehl zu Wege?

Doch nicht! sagte der Justizrath. Ich ergriff ein mir glücklicherweise zu Gebote stehendes Mittel, den Alten zum Schweigen und unbedingten Gehorsam zu bringen. Ich raunte ihm ein paar Worte zu, die ihn so erschreckten, daß er zu Allem bereit war und mir den Schrein so lange bewahrte, bis ich ihn auf meinen Wagen lud und mit ihm hier ankam.

Ein paar Worte? fragte Gelbsattel erstaunt lächelnd. Sie sind ja ein wahrer Zauberer! Lehren Sie mich doch auch so inhaltsschwere und mächtige Worte!

Ich erinnerte die Leute, antwortete der Justizrath, einfach an eine alte Geschichte, in der der Vater eine Rolle gespielt hatte, für die ihm noch für den Rest seines Lebens eine gewisse fatale Belohnung gut ist, wenn man ihn entdeckte....

Sie Allwissender! bemerkte Gelbsattel kopfschüttelnd.

Vielerfahrener! antwortete Schlurck. Ich ließ den Schrein hier öffnen und fand darin Papiere, die mit unserm Proceß auf's innigste zusammenhängen. Daß dies jener Gegenstand ist, den man in Angerode vermißt, scheint mir unwiderleglich. Es frägt sich nur, ob die Regierung selbst oder die zweite Curie jene Untersuchung anordnete oder ob der junge Mann, den Sie erwähnen, ganz aus eigenem Antriebe auf diese Entdeckung kam. Jedenfalls hab' ich jetzt das Recht zu sagen, ich hätte einen geraubten Gegenstand bei einem Hehler entdeckt und es für meine Pflicht gehalten, ihn mir bis auf Weiteres anzueignen.. Werden Sie diese Wendung unterstützen?

In einer so wichtigen Sache? sagte Gelbsattel. Ohne Widerrede!

Meldet sich jetzt jener Wildungen, fuhr der Justizrath wahrhaft aufathmend und herzerleichtert fort, so verweigern wir ihm noch obenein die Auslieferung. Eine Anfrage in der Zeitung hat meinerseits dann nur den Zweck gehabt, hinter eine unerlaubte Aneignung zu kommen. Wir geben den Inhalt des Schreins zu den Akten...

Und was glauben Sie, fragte Gelbsattel gespannt, was glauben Sie, daß durch diese höchst wahrscheinlich in bestimmter Absicht verborgen gehaltenen Dokumente bewiesen werden könnte?

Nach flüchtiger Durchsicht, sagte Schlurck ruhig, sprechen sie weder für uns, noch für die Regierung. Eher möcht' ich glauben, daß der Auffinder desselben eine persönliche Absicht hat. Er erschien bald darauf in Plessen und forschte mit Leidenschaftlichkeit nach der Art, wie jenes Frachtstück verloren ging. Meine Schmiede scheinen nicht Wort gehalten zu haben; denn zu meinem Erstaunen äußerte er, über den Verlust selbst beruhigt zu sein. Er wisse, daß ich den Schrein besäße. Auf der andern Seite ist es auffallend, daß Viele behaupten, der Forscher nach dem Schrein wäre der Prinz Egon gewesen.

Prinz Egon von Hohenberg? fragte Gelbsattel erstaunt.

Der junge Hohenberg! bestätigte Schlurck.

Wie wäre Das? Er soll ja heftig erkrankt sein, erzählte man.

Die Ärzte fürchten ein Nervenfieber. Ein Zusammenhang des Prinzen mit jenem Wildungen, den Sie erwähnen, ist mir gewiß, ja ganz fest bewiesen. Welches aber der Zweck dieser Verbindung ist, wie er mit einer Reise jenes Wildungen oder Beider zugleich nach Hohenberg zusammenhängt, welche Rolle darin das erbrochene Archiv von Angerode spielt, Das bin ich zur Stunde unvermögend anzugeben.

Gelbsattel fiel darauf ein:

O, Freund, Ihr Scharfsinn wird binnen kurzem alle diese Dunkelheiten lichten! Doch hüten Sie sich vor diesem Dankmar Wildungen! Es ist ein unternehmender verschmitzter Kopf, voll planmäßiger Schlauheit und mit einer Federkraft begabt, die ihm für die schwierigsten Dinge Muth und Ausdauer gibt. Auch gehört er mehr, als seinen Vorgesetzten gefallen will, zu den Demokraten.

Schlurck gedachte nun voll Beschämung über seine Champagnerverwirrung des Fremden im Heidekrug und fragte:

Er ist klein..

Mittlerer Statur!

Braunes Haar?

Mehr braun als blond. Das ganze Wesen unternehmend und keck.

Er trägt einen Bart auf der Lippe und am Kinn?

Ich sah' ihn längere Zeit nicht mehr. Seit den politischen Kämpfen meidet er alle die feinen Cirkel, in die ihn sein Bruder, der Maler Wildungen, ein ungleich geringeres praktisches Talent, obgleich nicht ohne Schwung und Poesie, eingeführt hat..

Schlurck schüttelte ärgerlich den Kopf. Er sah ein, daß er sich, wie er an Bartusch schrieb, »im Champagnernebel« getäuscht hatte, als er in Wildungen den Prinzen Egon zu erkennen glaubte und seiner Familie diesen allerdings nicht unbedeutenden jungen Referendar für eine so wichtige respectwürdige Standesperson angedeutet hatte.

Der Unmuth über diese Täuschung wuchs, als Melanie von oben die kleine Wendeltreppe halb herabstürmte und ohne Rücksicht auf Gelbsattel oben auf den Stufen in die ängstlichen Worte ausbrach:

Vater! Eben will ich dem kleinen Amerikaner, da er so mädchenhaft aussieht wie Cherubim, eine Haube aufsetzen, als er mir sagt: Ich möchte ihn schonen, er wäre betrübt über die Krankheit des Prinzen. Ist der Prinz krank? So gefährlich krank, wie der Knabe sagt? Du warst ja dort? Sorgen die Ärzte wirklich um sein Leben?

Allerdings! sagte Schlurck. Doch geht dich Das wenig an. Du bist über den Prinzen in einem Irrthum...

Melanie blickte den Vater starr an.

Ich habe eine sehr große Thorheit begangen, sprach Schlurck in gewaltiger Verstimmung zu ihr empor. Es war ein junger Referendar, Namens Wildungen, der Euch im Schlosse besuchte! Es ist ein Freund des Prinzen! Es gibt zwei Wildungen, einen Maler...

Und einen Referendar! fügte Gelbsattel hinaufschmunzelnd hinzu.

Melanie entfernte sich erblassend und ohne zu antworten schwankte sie die engen Stufen hinauf...

Bald aber hörte man, daß oben ein Fenster aufgerissen wurde, das in den Hof führte, und Melanie rief:

Neumann! Anspannen!

Gelbsattel, da es eben von seiner Kirche dumpf zwei Uhr schlug, empfahl sich. Er sagte noch zu Schlurck:

Sie haben viel auf dem Herzen, bester Freund, was Sie mir nicht mittheilen wollen. Ich denke, Sie werden es, wenn es reif ist oder, um es zu werden, meine Mitberathung vielleicht in Anspruch nimmt! Einstweilen hab' ich hier merkwürdige Thatsachen erlebt! Soviel seh' ich wol, daß wir verwickelten Schwierigkeiten entgegen gehen und Manches erfahren werden, was wir in den bisherigen Stadien unserer Angelegenheit nicht für möglich hielten.

Darin haben Sie recht, Freund, sagte Schlurck, sammelte sich, da es Tischzeit wurde, zu seiner sonst üblichen Heiterkeit und schlug seine Hand in Gelbsattel's mit den Worten:

Sie wissen, daß ich das Altwerden für eine schlechte Angewöhnung halte. Noch heute hab' ich's dem Sanitätsrath Drommeldey gesagt. Aber auch dadurch bleiben wir jung, daß wir vor Schwierigkeiten nicht erschrecken. Immer die gerade Bahn laufen macht krumm und schläfrig. Es ist eine dumme Wahrheit, die nur in der Mathematik gilt, daß der gerade Weg zwischen zwei Punkten der kürzeste ist. Im Leben ist im Gegentheil der gerade Weg immer der längste. Nur was den Geist spornt, in Thätigkeit setzt, zum Aufmerken zwingt, belebt ihn und der Geist ist's doch allein, von dem die Maschine abhängt, oder meinen Sie, daß die Maschine den Geist regiert? Manchmal, wenn ich Appetit habe und mir die Gedanken schwinden, möcht' ich fast das Letztere glauben!

Lieber Freund, sagte Gelbsattel, den Thürdrücker ergreifend, Das machen wir hier zwischen Thür und Angel nicht ab! Nur darum möcht' ich Sie noch bitten, gäben Sie mir wol für einen Franzosen, der hieher gekommen ist, Herrn Professor Rafflard aus Paris, eine Empfehlung an den Criminaldirektor?

Empfehlung an den Criminaldirektor? sagte Schlurck lachend. Er soll einen honetten Einbruch machen, dann braucht er meine Empfehlung nicht. Wie heißt der Herr?

Gelbsattel erwiderte mit einiger Befangenheit:

Professor Rafflard kommt von Paris, als Agent einer Humanitätsgesellschaft, um sich über den Zustand der Gefängnisse bei uns zu unterrichten...

Aha! So ein philanthropischer Salon-Quäker! sagte Schlurck; Einer, dem es dafür um Orden, Titel und Einladungen zu thun ist! Wie viel gute Ideen müssen doch dafür herhalten, daß eitle Menschen auf sie reisen und sich lächerlich machen! Ich denke, Sie sind nicht für die »innere Mission«?

Professor Rafflard ist sehr gut empfohlen, bemerkte Gelbsattel schon im Gehen, während ihm Schlurck das Geleite durch einen dunkeln Gang gab; er hofft an den Hof zu kommen und dient einem Zwecke, dem sich einige uneigennützige Gemüther doch auch schon praktisch, ohne Phrasen, ohne Christelei gewidmet haben..

Verbesserung der Gefängnisse! sagte Schlurck. Eine Feile und ein Strick ist für die Spitzbuben die beste Verbesserung der Gefängnisse. Ich will's übrigens dem Criminaldirektor sagen...

Damit trennten sich die Freunde.

Schlurck kehrte nun in sein Bureau zurück, schloß von innen ab und stieg langsam und nachdenklich in den ersten Stock, um zu lauschen, wie weit Bartusch in seiner Verhandlung mit dem Amerikaner gekommen war..

Er begegnete Melanie, die ihm auf die Frage, ob sie heute mit ihm zur Harder fahren würde, keine Antwort gab.

Sie hatte sich den Hut aufgesetzt, einen Shawl umgeworfen und stürmte die Treppe hinunter, um sich in den offenen Wagen zu werfen, der eben unten in der Hausflur vorfuhr...

Wohin befehlen Fräulein? fragte der Bediente, den sie getrieben hatte, jedes andere Geschäft, die Zurüstung zum Mittagsmahl und was sonst zu seinen Obliegenheiten gehörte, fahren zu lassen und sich nur in die Livree zu werfen....

In das Atelier des Professors Berg! rief sie und warf sich in die weißen Kissen des Wagens.

Als ihr Vater vom Fenster nachsah, wie sie erst im Wagen sich die Handschuhe anzog und mit kalter Verachtung der Welt um sich her blickte, dann den Schleier überwarf und rasch davon fuhr, dachte er bei sich selbst:

Wohin tobst du, um deiner Verzweiflung zu entfliehen? Armes Kind!... Sie hat sich doch wol eingebildet einen Fürsten zu lieben und nun ist es nur ein gewöhnlicher Mensch, wie wir Andern auch! Begeh' keine Thorheit, wilde Tochter! Wenn dieser gewöhnliche Mensch so viel Verstand hat, wie Gelbsattel an ihm fürchtet, so könnte er mich, wenn er dich liebt, zum Schwiegervater eines Millionairs machen...

Wie er so sinnend stand, brachte Bartusch Papiere zum Unterschreiben und meldete zugleich, daß ihn Lasally zu sprechen wünsche....

Lasally? sagte Schlurck gezogen. Er wird mich doch nicht zum Anwalt seines albernen Prozesses gegen Hackert, den Ihr mir erzählt habt, machen wollen? Er soll zu meiner Frau gehen und heute einen Löffel gewärmter Suppe mit uns speisen. Gewärmt! Dahin kommt es auch noch! Melanie wird hoffentlich nicht zu lange bleiben. Die Papiere wollen wir in meinem Zimmer unterschreiben. Mühseliger Tag! Er wiegt schwerer als seit lange einer, und doch gehört er zu denen, die ich in anderm Sinne als Kaiser Titus einen verlornen nenne!

Bartusch ging zur Justizräthin, bei der Lasally schon wartete.

Schlurck stieg mismuthig die Wendeltreppe hinunter in sein Zimmer zum Abschluß der Verhandlung mit Ackermann, die seit lange seine schmerzlichste Erfahrung war. Etwas Halbes war ihm... Nichts.


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