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Viertes Capitel.

Die rettende Hand.

Das große Palais des verstorbenen Fürsten Waldemar von Hohenberg lag im lebhaftesten Theile der Residenz. Der Park und die Gärten, die sich ihm anschlossen, waren von hohen Mauern umgeben und konnten von entgegengesetzten Häuserreihen nicht beobachtet werden. Es standen theils die Bäume des Parkes an den Mauern so hoch, daß sie die innern Parthieen verdeckten, theils lagen in nächster Nähe nur freie Plätze. Das Hauptgebäude selbst war alt und in jenem geschweiften Commodenstil gebaut, der die architektonischen Verzierungen der ausgeschweiften Krümmungen und Windungen wirklich nach der Form der menschlichen Knochen bestimmte, wie Hogarth für den Geschmack seiner Zeit in seiner barocken Ästhetik ausführt. Die hohen Fenster waren mit jenen bekannten Knaufen und Rundungen versehen, die in Sandstein den knöchernen menschlichen Schlüsselbeinen und Gelenkpfannen nachgemeißelt schienen. Dazwischen ein Helm oder der Kopf eines sterbenden Kriegers oder ein Medusenhaupt. Im Einzelnen zergliedert mochten diese Ausschmückungen der Portale, Fenster, Vorsprünge und Friese schwerlich vor der Kritik einer geläuterten Geschmackslehre Stand halten; allein der Totaleffect, das Ensemble war auch hier, wie beim hohenberger Schlosse, der einer gewissen Würde und vornehmen Stattlichkeit. Auch dies Palais hatte zwei jedoch nur sehr kurz vorgeschobene Seitenflügel mit verschlossenen hohen Eingängen. Der grasbewachsene und etwas verwilderte Vorhof, der durch die Flügel vor der langen Fronte gebildet wurde, war durch Ketten von der Straße abgesondert. In der mittlern Thür war die große Einfahrt eine Façade von sechs dünnen Säulchen, von denen je drei dicht beieinander standen und in der Mitte ein großes eisernes Becken zur Pechbeleuchtung bei feierlichen Gelegenheiten einschlossen. Das Schwärzen der Säulen hatte man dabei nicht zu fürchten, da das ganze Gebäude durch die allmälige Verwitterung des Sandsteins und die in der Stadt neuerdings stark betriebene Steinkohlenfeuerung ein dunkelgraues Ansehen hatte; nur die weißen Vorhänge an den großen Fenstern der ersten Etage und im Parterre einige Blumenstöcke gaben ihm den Charakter einer gewissen Wohnlichkeit.

Hatte Fürst Waldemar auch die äußere Erscheinung seines Palais nach vorn so gelassen, wie er es damals, als ihm vor etwa dreißig Jahren die große Erbschaft zufiel, von einem Seitenverwandten des regierenden Hauses erstand, so hatte er doch im Innern und nach hinten zu auch äußerlich bedeutende Verschönerungen im neuern Stile angebracht. Auf eine harmonische Verbindung dieser Anbauten mit dem Vorgebäude war dabei nicht gesehen worden. Man stellte einen Pavillon dicht hinter das Hauptgebäude und verband ihn mit diesem nur durch einen bedeckten Glasgang. Dicht an diesen Pavillon reihten sich, jedoch ohne Verbindung, die Gewächshäuser. Die eine Seite des von einer hohen Mauer eingefriedigten Gartens war hell und freundlich, die andere der hohen Bäume des kleinen Parkes wegen etwas düster und bei heftigem Sturme, wenn die Gipfel schwankten und krachten, gar unheimlich. Den Park hatte der alte Fürst, dem die schöne Natur sehr gleichgültig war, vernachlässigt, und dem Garten würde es ebenso gegangen sein, wenn ihm sein Pavillon nicht sehr am Herzen gelegen hätte, in dem er kleine Diners und vertraute Soupers gab. Die Jalousieen dieses von ihm mit besonderer Vorliebe gepflegten Gartenhauses waren zwar immer herabgelassen... doch zeigte er wol einmal seinen Gästen die Aussicht in's Freie, Grund genug, sie dem Pavillon entsprechend zu erhalten. Denn wir können annehmen, daß dieser eine ebenso reiche Einrichtung enthielt wie die großen Gemächer des Hauptgebäudes.

Sogleich, wenn man das Innere des Portals betreten und links an der Loge des Portiers, rechts an der Wohnung des Hauptverwalters des Schlosses und sozusagen Haushofmeisters, Herrn Wandstabler, vorüber war, verwandelte sich der ganze Stil des Hauses. Der Treppenaufgang entsprach vielleicht noch dem Charakter des ursprünglichen Baues. Es waren zwei Aufgänge, die links oder rechts zu demselben Ziele führten. Aber die kostbaren Teppiche, über die man schritt, die Marmorstatuen, die auf dem Absatz der Treppen aufgestellt waren, die Form der das Gitter unterbrechenden Karyatiden, die über den Häuptern große vergoldete Laternen trugen, die Frescomalerei der Decke und die getäfelten Corridore, die man, oben angelangt, rechts und links sich ausbreiten sah, alle diese Verschönerungen gehörten der neuern Zeit an. Ebenso kostbar war die innere Einrichtung. Die alterthümliche Form der großen Zimmer war ganz verschwunden unter den Tapeten, Malereien und Stukkaturen im neuern Geschmack. Große Gemälde bedeckten die Wände, Tische mit Marmorplatten und vergoldeten oder bronzirten Füßen von Bildhauerarbeit, Consolen mit Statuen aller möglichen Auffassungen der Venus und Amor's und Psyche's, Gemälde, von denen viele ihrer allzusinnlichen Sujets wegen mit grünen Vorhängen bedeckt waren, große Kronenleuchter von Krystall, Teppiche, kostbare Ofenschirme, Das waren die Liebhabereien des alten Herrn, der hier über funfzehn Jahre allein hauste und diese Pracht sich bei Denen, die er schalten und walten ließ, blindlings bestellte, ohne Rücksicht auf seine Mittel und ohne Rücksicht auf sein eigenes Verständniß. Es war ein wilder Krieger, der gleichsam im Felde gute Beute gemacht hatte und ein Halsgeschmeide fortgab, um, wie jener Kroat in Wallenstein's Lager, eine hübsche Mütze dafür zu erhandeln oder der um ein Halsgeschmeide, das gerade so und nicht anders sein sollte, soviel ausgab, als drei, viel werthvollere gekostet hätten. Was er irgend sah, mußte er kaufen. Er glaubte, sein Stand brächte Das mit sich und gerade, weil seine Fürstenschaft neu war, that er Alles, um an Glanz zu ersetzen, was ihr an Alter fehlte. In's Gelag hinein bestellte er bei Künstlern, die er bei Hofe hatte rühmen hören, Arbeiten, und wenn sie in seinen Sälen aufgestellt wurden zur Besichtigung der Kunstfreunde und der eleganten Welt, so machte er in dem Falle, daß schöne Damen kamen, selbst die Honneurs und war immer bei der Hand, Denen, die ihm besonders gefielen, Aufmerksamkeiten und kostbare Andenken auf eine, oft nicht feine, aber keineswegs verletzende Art aufzuzwingen. Ohne Bildung und geringen Verstandes, war er im höchsten Grade gutmüthig und gefällig. Dieser tapfre alte Herr brachte seine ganze mit Lorbeern geschmückte Veteranenzeit damit zu, kleine Galanterien zu treiben, von Boudoir zu Boudoir zu fahren, mit seiner Husarenuniform zu kokettiren und so lange des Tages den Heros der Jugendlichkeit und des galanten Ritterthums zu spielen, bis sich Abends wieder der alte Landsknecht in ihm regte und er dem Spiele, dem Glase, ja zuletzt der Bowle verfiel.

Fürst Waldemar hatte eine Eigenschaft, die man eine positive Tugend nennen muß. Er war sehr reinlich. Noch jetzt, drei Monate nach seinem Tode, entdeckte man in seinem Palais überall die Spuren dieses einzigen Verschönerungsmittels, das eigentlich unmittelbar aus ihm selber, seiner angeborenen Natur, kam. Das war noch der alte Soldat, der die Sauberkeit und »Propreté«, wie er's nannte, über Alles schätzte. Er wußte vielleicht selbst nicht einmal, daß er mit diesem schönen Triebe der Reinlichkeit ein außerordentliches Verjüngungsmittel besaß und dadurch in der That den Damen gefällig erscheinen konnte. Sein halbweißer, nie gefärbter Bart mußte, wie er es nannte, appetitlich sein. Seine Wäsche wurde täglich gewechselt. In dem Seitengemache seines Pavillons hatte er ein Bad eingerichtet, voll Eleganz und Geschmack und nicht blos zum Staat oder Amüsement seiner Freunde, die die hier aufgehängten indiscreten Bilder und umstehenden kleinen Statuetten belachten, sondern zur wirklichen Stärkung seiner einst gewiß sehr schön gewesenen Gestalt. Noch jetzt zeigten sich alle Spuren dieses Cultus der Reinlichkeit. Für ein so großes Haus, dem eine weibliche Herrin seit Jahren fehlte, herrschte eine große Sauberkeit. Der Staub war überall gekehrt. Alles, was an Stoffen und Farben leicht von der Sonne litt, war verhangen, die Zimmerteppiche wurden noch immer gelüftet und nur sehr dünn war jene Sonnenstaublinie, die sich in jedem halbgeschlossenen, von der Sonne beschienenen Zimmer zeigt. Es war, als wenn noch immer des alten Fürsten Geist hier befehlend waltete, als wenn sich noch Alles beeiferte, seinen in diesem Punkte unversöhnlichen Zorn zu vermeiden.

Die Dienerschaft des Hauses bestand noch jetzt aus einem Portier, drei Bedienten, einem Koch, einem Kutscher, zwei Reitknechten und dem Kastellan oder Haushofmeister, der, wie schon gesagt, Wandstabler hieß. Das Eigenthümliche aller dieser Menschen war, daß sie, außer dem pariser Koch, sämmtlich dem Militairstande angehört hatten. Es waren ehemalige Soldaten, blessirte, brave, gutempfohlene Unteroffiziere, Sergeanten, Feuerwerker, je nach ihrer Waffengattung. Wandstabler war bei denselben Husaren, deren Uniform der Fürst am liebsten trug, Wachtmeister gewesen und hatte ihm im Felde die treuesten Dienste geleistet, ja sogar mit Aufopferung des eignen Lebens einmal das seine beschützt. Wandstabler war dadurch zum eigentlichen Chef der ganzen Hausverwaltung des Fürsten allmälig avancirt. Keineswegs durch sein großes Rechnungstalent oder seine Ordnungsliebe oder seine nüchterne Aufmerksamkeit im Dienste, sondern lediglich durch die Erinnerung an die alten treuen Dienste und, um es nur hinzuzufügen, noch einen Vorschub, den er in seiner eignen Familie besaß. Wandstabler hatte drei Töchter, die, von nicht unangenehmem Äußern, Eine die Andere so in Jahren ablösten, daß immer, wenn die Eine verblüht war, die Andre gleichsam an ihrem Stamme frisch aufschoß. Die drei Demoiselles Wandstabler spielten eine sehr einflußreiche Rolle in der Lebensgeschichte des alten Fürsten Waldemar. Sie regierten das Haus und fast Alles, was dem Fürsten nach seiner Überschuldung an eigner freier Disposition übrig blieb. Die drei Demoiselles Wandstabler waren jetzt sechsunddreißig, dreißig und vierundzwanzig Jahre alt, hießen Florentine, Doris und Laura, wurden aber der Kürze und Harmonie wegen: Florette, Dorette und Lorette genannt, oder wie sie der Fürst nannte: die Flore, die Dore und die Lore. Darin waren sie fast eine einzige Person, daß ihnen die ganze ausübende Gewalt der Hohenberg'schen innern Angelegenheiten gehörte. Wodurch sie diesen Einfluß errangen, wodurch sie ihn behaupteten, ist kein Geheimniß. Der Fürst hatte einen Kammerdiener vor der Welt, aber keinen in seinem nähern Bedürfniß. Er hatte nur Bediente, die die äußern gröbern Arbeiten verrichteten. Man sagte aber, daß eben die Demoiselles Wandstabler beim alten Fürsten die wahren Kammerdienerdienste verrichteten und daß er ohne sie nicht gehen, stehen, essen, trinken u.s.w. konnte. Jede Handreichung von Morgens in der Frühe den Bädern und dem Frühstück an bis Abends, wenn er von den Spiel- oder Trinkabenden heimkehrte, leisteten weibliche Hände unter oberer Leitung der Demoiselles Wandstabler.

Der Fürst ist dahingegangen... Wir kennen das Folgende... Sein Erbe scheint eingezogen und wird jetzt als krank gemeldet, krank nach einem kurzen Ausfluge, den er, man ahnte nur wohin, kurz nach seiner Ankunft aus Paris gemacht hatte. Zitterten über ein Dutzend Menschen für ihre Zukunft, als der alte Generalfeldmarschall die Augen schloß, erwarteten sie im bangen Vorgefühl, was ihnen von einem als wunderlich und launenhaft bekannten jungen Manne bevorstehen würde, so mußte ihnen jetzt, da dieser so plötzlich erkrankte, vollends bange werden über eine Zukunft, die der Fürst beim besten Willen nicht sichern konnte, da er keine Mittel dafür besaß. Der alte Wandstabler verlor gleich nach dem Tode des Fürsten den schon immer schwachen Kopf. Vormittags nur war er sonst gewohnt, ihn noch einigermaßen zu gebrauchen, Nachmittags schlief er und gegen Abend folgte er dem Beispiele seines Herrn und ergab sich allen nur möglichen schlimmen gebrannten Geistern. Er war dick und schwammig, hatte eine fürchterliche Röthe im Gesicht und wichste sich seinen martialischen Schnurrbart mit dem besten nur aufzutreibenden ungrischen Firniß. Der Contrast dieser dicken Figur und des schwammigen, schwarzbärtigen, weißhaarigen Kopfes zu dem schwarzen Frack und den kurzen, engen Beinkleidern und weißen Strümpfen, die er tragen mußte, war sehr barock. Er sollte den Haushofmeister spielen und stand kaum auf der Stufe des Portiers. Wenn ihn nicht seine drei Töchter gehalten hätten, er würde sich in dieser noblen Stellung nicht haben behaupten können. Diese aber dachten statt seiner, ordneten und regierten statt seiner und sowie er eine an ihn gerichtete Frage nach einem brummischen Räuspern nicht beantworten konnte, rief er eine seiner -oren oder -etten zu Hülfe, die Dore, die Flore oder die Lorette und ließ den Fall entscheiden... sie waren alle auf dieselben Dinge abgerichtet und leisteten in jedem das Mögliche.

Seit drei Monaten war Wandstabler nicht aus der Rührung herausgekommen. Seine ohnehin sehr leicht thränenden Augen flossen bei jeder noch so leisen Berührung an die gefährlichen Fragezeichen seines künftigen Schicksals. Der junge Prinz war ihm von früher nur ziemlich flüchtig erinnerlich. Er ahnte, daß er von seinem Leben nicht vielen Vortheil haben würde, wußte aber auch, da er nun heftig erkrankt war, daß mit seinem Tode vollends jede Hoffnung schwand. Die Töchter waren nicht minder erschrocken. Den jungen neuen Herrn hatten sie eigentlich kaum noch gesehen, und Anfangs auch noch nicht recht fürchten wollen. Alle weiblichen Dienstboten des Hauses, die unter dem alten Fürsten trotz ihrer eignen großen Geltung doch immer jung und gefällig sein mußten, waren zwar rasch abgeschafft worden, aber.. Lorette, die Vierundzwanzigjährige, hatte eine schöne Gestalt, eine gewisse Anmuth, ja sogar die Dreißigjährige, Dorette Wandstabler, konnte unter gewissen Umständen sich zutrauen, wenn auch keinen Eindruck, doch sich gefällig, angenehm, beliebt zu machen. Frauen fürchten sich vor Männern nie. Und so hofften Flore, Dore, Lore auch hier schon fertig zu werden.. nun aber wurde der Prinz krank und die Ärzte machten die bedenklichsten Mienen.. Sie sprachen vom Nervenfieber.. einer Krankheit mit so tückischen Möglichkeiten.

In der schönen Wohnung, die Wandstabler im Parterre rechter Hand inne hatte, saßen Dorette und Lorette am Fenster auf einem Tritt und richteten ihr Auge bald auf die Wägen zweier Ärzte, die vorm Hause standen, bald auf einen würdigen hohen, stattlichen Mann, der in Begleitung eines schönen Knaben auf einem Sopha saß und mit ernster, fast trauriger Miene die Bilder an den Wänden musterte.

Es waren dies Ackermann und Selmar.

Sie hatten in der That bei Schlurck in aller Frühe einen Besuch gemacht, waren von ihm in das Palais des Prinzen beschieden worden, wo er ihnen auf Ackermann's überraschenden Antrag, die Hohenberg'schen sämmtlichen Güter in Pachtung zu nehmen, Bescheid geben wollte.

Nun saßen sie schon eine Stunde und harrten.. und erfuhren, daß Prinz Egon von einer Reise krank zurückgekehrt war..

Die Ärzte waren am Lager des jungen Prinzen, sie erblickten überall traurige Gesichter, Ackermann sprach nichts und Selmar konnte die Thränen nur mit Mühe unterdrücken.

Zuweilen kam der Haushofmeister Wandstabler in's Zimmer, schüttelte den Kopf, stöhnte und sprach die traurigen Worte:

Es kann ihn Niemand sprechen! Niemand! Aber der Herr Justizrath vielleicht... Der Herr Justizrath!

Er ging dann an einen kleinen Wandschrank, öffnete ihn, klapperte mit Schlüsseln, die daselbst in aller Ordnung aufgehängt waren, benutzte aber auch regelmäßig diese wahrscheinlich zu seinem Amte nicht gehörende stete Revision der Schlüssel, um aus einigen Flaschen, die neben den Schlüsseln im Wandschranke standen, sich eine kleine Herzstärkung zu holen. Wenn seine jüngern Töchter nach der ältern Schwester fragten, sagte er, sie wäre oben und höre die Befehle der Ärzte. Dann sah man einen Bedienten mit Recepten eilen.. ein andermal kamen vornehme Lakaien von da und dort und erkundigten sich nach dem Befinden Sr. Durchlaucht... Es gewährte einen schmerzlichen Anblick.

Ackermann hatte die Mädchen gefragt, wann der Prinz von seiner Reise zurückgekommen wäre?

Gestern Abend; hatte es geheißen.

Und Sie glauben, daß er in Hohenberg war? hatte Ackermann gefragt und ein kurzes Ja! war die Antwort der beiden etwas stolzen Damen gewesen, die sein Anliegen nicht kannten und ihn nur hier duldeten, weil ihnen der Name Schlurck, auf den er sich berief, nach Umständen ein Gespenst des Schreckens war.

Daß bei allem Leide diese Frauen doch immer noch Zeit fanden, zu jedem Vorübergehenden hinauszublicken und nach dem Kettengeländer hin ihre langen Hälse auszustrecken, daß sie überdies geputzter waren, als ihrem Stande zukam, mißfiel Ackermann genug und die zarte Hand seines in eine schmerzliche Beklommenheit versunkenen Knaben ergreifend, sagte er zu den Mädchen:

Wer weiß, wann der Justizrath kommt! Erlauben Sie wol, daß wir so lange in den Park gehen, den wir am Palais bemerkt haben? Es wird uns wohlthun, dort an der frischen Luft zu warten.

Die Mädchen sahen sich an.

Ist der Pavillon verschlossen? flüsterte die Dore.

Da hängt der Schlüssel! sagte die Lore.

Gehen Sie dann nur! antwortete kalt die Ältere; wenn der Herr Justizrath kommt, werden wir Sie rufen lassen.

Selmar's Vater athmete frei auf, als er die beklemmende Atmosphäre dieses Zimmers hinter sich hatte. Es war groß und geräumig, auch kühl gewesen und doch lag etwas in dem Zimmer, was ihm die Luft verdickte...

Komm, mein Kind! sagte er draußen und faßte Selmar's Arm, der sich an ihn hing, und wie ein zärtliches Paar schritten sie über die Einfahrt, den etwas düstern Hof, dem Garten zu, wo sie unter den hohen Bäumen aufathmeten und sich gegenseitig das Herz auszuschütten begannen.

Wer hätte erwarten können, begann der Vater, daß dieser junge kräftige Mann von den Anstrengungen seiner Reise so konnte darniedergeworfen werden! Es müssen doch die Reichen und Vornehmen für die Bequemlichkeiten, die ihnen das Leben gewährt, auch wieder viel büßen.

Sollte ihn nicht eher der Kummer ergriffen haben, sagte Selmar, daß er sein Eigenthum unter so betrübenden Verhältnissen antritt und fremde Menschen da schalten und walten sieht, wo sein Herz gewiß am liebsten verweilt, an der Grabesstätte seiner Mutter?

Wenn er dir ähnelte, Kind, sagte der Vater, gewiß nicht! Du denkst an den Ocean schon gar nicht mehr zurück und unsere Farm, unsere Rinder, unsere Lämmer, unsere Wiesen und Pflanzungen mit der Trauerweide, die am See den kleinen Hügel beschattet, hast du ganz vergessen!

Ach! sagte der Knabe schmeichelnd, verstell dich nicht, Vater! Ich sehe dir's an, daß auch du nicht mehr daran denkst, nach Amerika zurückzukehren! Der Geist der Mutter ist bei uns. Der lenkt und führt uns und hat uns auch nach Hohenberg begleitet in den Wald, an die Mühle und das rauschende Berggewässer! Wenn ich auch zurückkehren möchte.. ich sag's nicht.. deinetwegen.

Meinetwegen? fragte der Vater mit sinnendem Ernst. Da irrst du!

Ja deinetwegen, fuhr der Knabe fort. Wie bist du gerührt von Allem, was du hier wiedersiehst! Gesteh' es nur, du trugst das Land deiner Jugend im Herzen, wie die heimwehkranke Mutter. Sie sprach nicht davon und du sprachst nicht davon! Beide ertruget ihr die wechselseitig aufgelegte Pflicht, Beide entsagtet ihr Dem, was Euch lieb war, mit schwerem Herzen. Und nun du hier bist, kannst du dich nicht mehr losreißen von diesen Häusern und Plätzen, wo du schon einmal gelebt hast und glücklich warst....

Glücklich? sagte der Vater ernst und wiederholte mit wehmüthiger Erinnerung:

O ja, recht glücklich!

Und du wirst es wieder sein! sagte Selmar. Ich sah es dir an, gleich seit wir in Hohenberg waren, das ich so lieb gewann, weil ich dich zum ersten male wieder nach langer Zeit weinen sah. O Vater, wenn du so trüben Ernst im Auge hegst, wenn es dir so dunkel in den Höhlen sich schattet und sie bleiben trocken und sie erquicken sich nicht mit dem Thau der Thränen, ach dann muß ich statt deiner weinen und möchte Gott bitten, er gäbe dir meine eignen nassen Augen..

Wo weint' ich denn bei Hohenberg? fragte der Vater, fast gleichgültig.

Auf dem Kirchhofe, Vater, sagte Selmar. Wir hatten ja den häßlichen Leuten ihr Geld gezahlt, wir waren im Walde bei der alten Hexe gewesen, wollten nun fort und konnten nicht mehr von dem jungen Freunde, den wir gefunden, Abschied nehmen. Da gingen wir noch zum Lebewohl auf den Kirchhof und du lasest über einem Grabe: Kommt zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken! Und als du nachsahest, wer dort lag, weintest du...

Weint' ich? fragte Ackermann.

Ja, Vater! Und so schwer trennt' ich mich von dem Grabe, rief Selmar, und nun bist du jetzt überall ein Anderer. Du nimmst Theil, du bist bewegt, du erzählst, du erinnerst dich von der Stelle da in Plessen an hundert alte Dinge, und wie du gar von dem Jäger am Gelben Hirsch erfuhrst, unser lieber Freund möchte wol mit dem Prinzen Egon verwandt, es vielleicht gar selber sein, wie du im Heidekrug noch so spät aufstandest um ihn zu sprechen, und ganz verstört und doch beseligt wiederkamst, daß du schnell abreisen mußtest, um dich nur zu sammeln und deine Freude zu beherrschen, da muß in dir so viel Glück und Lust der alten Zeit aufgestanden sein, daß du plötzlich wieder Liebe zu Deutschland faßtest und dich entschlossen hast, zu bleiben. Denn, daß du an die Verwaltung der Güter des Prinzen denkst, nur um meine Zukunft zu sichern und wenn diese sich entschieden, mich verlassen und wieder meerwärts ziehen könntest, das glaub' ich nicht, Vater!

Nein, mein Kind, rief Ackermann mit überschwellendem Gefühl und drückte Selmar's bewegte Brust an die seine; nein, wie würd' ich dich je verlassen können! Ich will bleiben. Ich bin es einem Gelübde deiner Mutter auf ihrem Sterbebette schuldig, dich in die Verhältnisse sanft zurückzuführen, denen du angehörst, und wenn ich dich dann verliere, wenn du dann nicht mehr mein bist und eine neue Mutter findest...

Vater! rief Selmar, wie könnte das je geschehen? Wer kann meine wahre Mutter gewesen sein, als Die, die dich liebte? Dir hat sie mich geboren, dir hat sie mich gegeben für ein ganzes Leben! Die Großmutter eine neue Mutter für mich? Nein! Willst du zurückkehren, ich folge dir! Um meinetwillen steh' von dem Gedanken ab, den du in deiner Liebe jetzt ausführen willst, dem, deine reichen Erfahrungen und Kenntnisse hier in Europa zu bewähren. War ich es denn, Vater, der dir den Gedanken einflößte, am Fuße von Hohenberg zu wohnen und Egon's Eigenthum zu verwalten, dies schöne Fürstenthum vielleicht vor dem Untergange zu retten?

Nein, mein Kind, sagte Ackermann mit einer besondern Feierlichkeit; nein, das kam aus eignem Herzen! Ich will versuchen, noch einmal in der Heimat Anker zu werfen. Ich will dein und mein Wohl begründen, indem ich mich entschließe, einem Herrn zu dienen, der es vielleicht nicht verdient.

Nicht verdient? sagte Selmar. Warum sollte es unser Freund nicht verdienen? O, daß er krank ist, daß ich nicht an seinem Lager stehen und seine Wünsche hören kann! Wie wollt' ich ihn pflegen, jeden Trunk müßt' er aus meiner Hand nehmen! Ich wäre eifersüchtig, wenn ihn ein Andrer mehr lieben sollte als ich!

Kind! Kind! Was sprichst du? sagte der Vater.

Ich sag' es nur, antwortete Selmar mit einem leisen Erröthen über das Feuer, das ihn ergriffen hatte; ich sag' es nur, weil du meintest, er... verdiene es nicht.

Er ist vornehm, sprach der Vater mit ernstem Tone, er ist vornehm und leichtsinnig.

Nennst du ihn leichtsinnig? war des Knaben verwunderte Frage.

Ich kenn' ihn nicht mehr als du, sagte der Vater, aber seine Aufführung verdiente wenig Anerkennung. Statt sich genau nach Allem zu erkundigen, was etwa noch für die Rettung seines Eigenthums gethan werden könnte, streifte er um das Schloß gedankenlos, besuchte die Schmiede, wo ihn der Eine nicht sehen, der Andre nicht hören konnte, plauderte im Walde mit dem Jäger über Alles, nur nicht über Das, was ihm zu wissen nöthig war. Auf dem Schlosse kann er kaum etwas Andres gewollt haben, als eine leere Neugier befriedigen. Eine Kokette tändelte mit ihm..

Wirklich, Vater?

Die Tochter desselben Mannes, der an seinem Erbe nicht viel Redlichkeit gezeigt haben mag, konnte ihn so bestricken, daß er nur noch für sie einen Gedanken hatte –

Nur für sie? fragte Selmar traurig.

O, diese leichtsinnigen Jünglinge, sprach Ackermann mit Nachdruck und schärferer Betonung, als für diese Äußerung natürlich schien; diese jungen Männer sind flatterhaft und jedem Winde preisgegeben! Ihr Gewissen gibt ihnen keine Schwere, daß sie Stand halten könnten. Dieser da war schon in Paris und hat dort schwerlich in der Spreu das gute Korn gesucht, sondern eben nur die vom Wind getriebene leichte Spreu und das Angenehme. Wir wünschen, daß er von seiner Krankheit genesen möge und ist er geheilt, ist er vom Lager wieder erstanden, so will ich hoffen, daß die Welt, in der er lebt und die uns verschlossen ist, ihn nicht zu sehr verderbe!

Selmar schwieg und verfiel in eine große Traurigkeit. Nach einer Weile sagte er:

Warum aber konnte das schöne Mädchen mit ihm tändeln, da sie doch nicht seines Standes ist?

Ackermann belehrte ihn mit sonderbarer, ernster Umständlichkeit und entgegnete:

Der Leichtsinn, den die meisten Männer fühlen, ist ja auch vielen Frauen eigen. Dies Mädchen ist schön und sie glaubt, sie wird es immer sein. Deshalb versäumt sie, schon jetzt durch Tugend und Zucht edlere Schönheiten zu sammeln, die sie ewig schmücken würden.

Warum warst du nur in jener Herberge so erregt über sie? forschte Selmar....

Wann? fragte der Vater.

Da, als du ihr noch in später Nacht auf dem Gange begegnetest? Du schienst ihr damals nicht zu zürnen.

Ich war erstaunt, sagte Ackermann. In Begleitung des unheimlichen rothhaarigen Menschen, der sich zu uns gesellte, kamen wir spät in der Nacht an, du legtest dich zum Schlafe, der mich noch floh. War ich von dem strömenden Regen fiebernd durchkältet oder bewegte mich zu lebhaft der Plan, in der Art einer großen amerikanischen Niederlassung hier einen landwirthschaftlichen Versuch nach meinem Geschmacke zu wagen, ich konnte nicht schlafen. Was sollt' ich nun von einem Mädchen denken, das tief in der Nacht, während Alles in dem großen Hause ruhte, im leichten Übergewand über den Corridor huscht und das Zimmer eben öffnen will, wo ich wußte, daß Prinz Egon schlief.... Sie erschrak so heftig, daß sie entfloh.... Seit jenem Augenblicke weiß ich, daß der junge Mann seine Neigungen zu leicht verschenkt und würde Niemanden beneiden, der sich rühmt sein Freund zu sein.

Das kann dein Ernst nicht sein, Vater, sagte Selmar und schmiegte sich, schalkhaft lächelnd und in sein großes, festes und sicheres Auge blickend, zu ihm empor; wie würdest du nur sonst so lebendig den Gedanken ergriffen haben, des Prinzen Güter zu verwalten, ihn vielleicht vor dem drohenden Zusammensturz seines Erbes zu bewahren, ihn zu schützen vor schlimmen Haushaltern, die nur von ihm rauben, nicht durch Unterstützung seines Erwerbes den ihrigen verdienen wollen! Gestern, als wir noch einen Umweg einschlugen, um ein anderes Gut des vornehmen Freundes anzusehen, wie hast du da geschwärmt für den Gedanken, ihm wieder das Leben zur Freude zu machen!

Hab' ich geschwärmt, Herz? sagte der Vater fast scherzend. Geschwärmt! Geschwärmt! Über Kartoffelbau nach unserer Art, Rüben, Ölpflanzen, Dresch-, Säe-, Egge-Maschinen hab' ich geschwärmt! Überall sah ich meinen neuen Pflug durch die Erde gehen, sah, wie die Bauern ringsherum staunen werden, wenn ich Taback baue von virginischem Samen, sah Felder mit Runkelrüben besäet und die Schornsteine von Laboratorien rauchen, die aus solchem Material noch Werthe erzeugen sollen, das man hier gewohnt ist als unnütz wegzuwerfen. Das war meine Schwärmerei. Nun wohl, ich schwärmte für die Sache an sich. Daß dieser Plan auch den jungen Mann, dessen Krankheit hoffentlich Gott wenden wird, um ihm Gelegenheit zu geben, noch sehr an Herzensgüte und Sittenreinheit zuzunehmen, mit betrifft, ist ein Zufall, der mir nicht viel sagen will. Jetzt aber genug von ihm! Ich möchte ihn noch ärger schelten, wär' er nicht krank.

Selmar schwieg. Er hatte sich in seiner Vertheidigung erschöpft. Das Letzte, was er für den vermeintlichen Prinzen noch anführen konnte, seine bedenkliche Erkrankung, hatte ja der Vater schon vorweggenommen. Er wußte, daß er diesen erzürnen würde, wenn er einen von ihm für erledigt erklärten Gegenstand von freien Stücken wieder aufnahm. Er sah zur Erde und schleuderte mit dem schwanken Stöckchen, das er in der Hand trug, hier und da einen kleinen Stein zur Seite auf die Beete, die nicht gut gehalten waren.... Die Blumen wuchsen fast wild. Die Hecken trugen Beeren, die überreif vertrockneten, weil sie nicht abgelesen wurden. Die Blätter der verwelkten Rosen lagen zerstreut unter den grünen stachlichten Stämmen. Niemand hatte die Rosen gebrochen, bis sie mit auseinanderfallenden Blättern von selbst niederglitten. Tausende verwelkter Blütenkapseln lagen auf den Wegen und mischten sich mit dem Kieselsand. Es war hier weder die Hand der Liebe, noch die der Furcht sichtbar und Ackermann sagte einige Male mit Recht:

So sieht es aus, wo kein Herr ist!

Einige Male trennten sich unsere harrenden Wanderer, die wol schon zehnmal Park und Garten auf und ab durchmessen hatten. Den Vater fesselte dann ein Baum, den Knaben eine Blume und dadurch geriethen sie zuweilen auseinander. Einmal stand Selmar an dem Pavillon und betrachtete von allen Seiten das geheimnißvolle umfangreiche Gebäude, dessen Fenster mit äußern Jalousieen verdeckt waren. Es waren Marquisen von schiebbaren Holzstäben. An eins dieser Fenster trat Selmar näher heran, hob den hölzernen Vorhang ein wenig in die Höhe, sodaß die Bretter sich verschoben und einen Blick ins Innere erlaubten.

Ha! Vater, wie schön! rief er plötzlich.

Ackermann kam ruhig näher. Scheinbar ruhig.... Er war es vielleicht nicht. Er sah wenigstens mit ängstlicher Spannung bald zur Gartenthür, bald zu den Fenstern des Palais... Die Krankheit jenes jungen Mannes, in dem er den Prinzen Egon kennen gelernt zu haben glaubte, beschäftigte ihn mehr, als er seinem Sohne verrieth, dessen übergroße Freundschaft für Egon er, wie wir wohl bemerkt haben werden, absichtlich niederhalten wollte.

Wie ihm Selmar, von dem Innern des Pavillons so überrascht, zurief, kam er dem Fenster, wo Selmar lauschte, näher; aber kaum hatte er in der Meinung etwa einen schönen Saal zu sehen, einen Blick durch die engen Bretter der Jalousieen geworfen, als er sie voll Entrüstung zuzog und seinen Unmuth über Selmar aussprach, den er jetzt neugierig, ja zudringlich nannte.... Es war das Badezimmer des alten Fürsten gewesen, das Selmar gesehen hatte, eine bunte, magisch von oben herab beleuchtete Kammer mit Statuen und Gemälden in einem Geschmacke, der das Auge der Sittlichkeit beleidigen mußte.... Doch war Selmar so unbefangen, daß er nur an dem Gold und den Farben hing, nur die von einem rothen Kuppelfenster angebrachte magische Dämmerung bewunderte und nicht begreifen konnte, wie der Vater so zürnen und schelten konnte...

In diesem Augenblicke kam ein Bedienter und meldete mit leicht hingeworfener verächtlicher Rede die Ankunft des Justizrathes:

Er hat Sie ja wol bestellt? hieß es.

Gut, gut, mein Freund! sagte Ackermann. Wir kommen schon.

Beide verließen den Garten; Ackermann mit einem schmerzlichen Rückblick auf den Pavillon, der ihm einen traurigen künstlerischen Irrthum, eine ansteckende und gefährliche Lebensansicht auszudrücken schien.


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