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Anhang.

 

»Und Unternehmungen soll Mark und Nachdruck
Verlieren so der Handlung Namen.«

 

Es kommen noch Erscheinungen in der Geschichte vor, die uns bei allen wunderbaren Fortschritten der menschlichen Kraft, bei allen Ueberhebungen der menschlichen Vernunft noch zuweilen fühlen lassen, wie ohnmächtig wir sind.

Ist es die ewige Weisheit Gottes selber, oder hat jener Dämon, der nach dem Glauben der Gnostiker das höchste Wesen der Mühe überhob, die Welt in eigner Person zu schaffen, hat dieser Erdendämon noch einen Antheil an den Wirrnissen der Menschenschicksale? Die menschliche Weisheit muß in den Staub blicken und mit Jesaias ausrufen: »Finsterniß decket das Erdreich und Dunkel die Völker.«

Ein durchgehendes Pferd hat über Frankreich plötzlich alle Berechnungen verrückt.

Am 13. Juli wollte sich der Herzog von Orleans, der Thronerbe Frankreichs, nach St. Omer begeben, um daselbst mehrere zum Manöver ausrückende Regimenter zu mustern. Vormittags 11 Uhr, man erzählt, nach einem sehr heitern Frühstück mit den Offizieren seines Generalstabes, fuhr er in einem vierrädrigen Cabriolet vom Pavillon Marsan ab, um in Neuilly von seinen Eltern Abschied zu nehmen. Der Prinz war allein. Auf der Höhe der Porte Maillot wurde das Sattelpferd scheu und riß aus. Als der Prinz bemerkte, daß der Postillon der Pferde nicht Meister ward, soll er nach einer Version selbst aus dem Wagen heraus gesprungen, nach einer andern durch die Elastizität der Sitze und Springfedern hinausgeschleudert sein. Der Prinz stieß mit dem Kopf gegen das Pflaster und blieb ohne Bewußtsein liegen. Der Postillon hatte die Pferde endlich gebändigt und kam zurück, während der Prinz schon von herbeigeeilter Hülfe umringt war. Man trug den Unglücklichen, der das Bewußtsein verloren hatte, in eine nahe gelegene Weinschenke. Von Neuilly eilten der König und die Mutter des Prinzen herbei und mußten Zeuge des schrecklichen Zustandes ihres Sohnes sein. Die ärztlichen Hülfeleistungen waren vergebens. Der Prinz hatte das Bewußtsein verloren und die einzigen von ihm noch ausgestoßenen, sonderbarer Weise deutschen Worte: »die Thüre zu, es brennt!« bestätigten die unheilbare Erschütterung des Gehirns. Die Brüder eilten herbei, die Großwürdenträger des Reiches wurden gerufen, das Volk umwogte den Platz um das elende Trauerhaus. Um 4½ Uhr hauchte der Prinz sein Leben aus. Er war den 3. September 1810 in Palermo geboren und hatte ein Alter von 32 Jahren erreicht.

Der Eindruck, den dieses Unglück auf Paris machte, soll die Erzählungen der Journale bei weitem übertroffen haben. Alles verließ seine Arbeit und stellte sich in den Straßen in Gruppen auf. Die Theater wurden geschlossen. Es schien einen Augenblick, als wenn die Maschine eines Staates stillstand, der Pulsschlag eines Volkes stockte. Auch die nächste Wirkung in ganz Europa war der Aufschrei des teilnehmendsten Schmerzes. Man sah erst den Sohn, den Gatten, den Menschen. Dann erst dachte man an den Erben einer Krone. War der Unglückliche nicht aus dem Wagen geschleudert, hatte er den Sprung gewagt, um nicht in die Schanzgräben der Befestigungen bei Neuilly geschleudert zu werden, so mußte Das, was einst sein Schutz werden sollte, die Befestigung von Paris, die Ursache seines Todes werden.

Um das Chaos von Folgen, welches sich an dies Ereigniß knüpfen, zu ermessen, brauchte man nur am 14. Juli nach den Zeitungen zu greifen.

Die »Presse«, ohne Zweifel im Stillen sich auf das ganz neue Terrain politischer Erörterungen freuend, schöpfte ihren einzigen Trost aus dem Gedanken, daß der Prinz wenigstens nicht von Mörderhand gefallen. Das »Siècle« des Herrn Odillon Barrot sieht schon alle Eventualitäten und freut sich wenigstens, daß Frankreich jetzt eine gute Gelegenheit hätte, die Größe seiner Institutionen zu erproben. Der »Constitutionnel«, der sich des Ereignisses ganz besonders bemächtigte und mit Hülfe desselben seinem Schützlinge Thiers, der mit dem Herzog von Orleans alle seine Perspectiven verloren zu haben schien, eine neue Zukunft zu eröffnen sucht, der Constitutionnel hob besonders hervor, daß die moralische Dauer der Juliusdynastie selbst an dem unglücklichen Ereigniß nicht betheiligt wäre. »Frankreich,« sagte der Constitutionnel, »Frankreich vertraut auf die Dynastie, der es sich unterworfen. Die schreckliche Katastrophe wird einzig dazu dienen, seine Gesinnung zu stärken. Es wird seine Neigung, die es dem Vater geschworen, auf das Kind übertragen und mit Sorgfalt und Hingebung die Wiege des Grafen von Paris umstehen. Nichts ist in Frankreich geändert durch diesen Tod. Das sollten alle Diejenigen bedenken, die auf vaterländischem Boden oder im Ausland Vortheil von unserm öffentlichen Unglück zu ziehen gemeint sind. Unsere nationale Dynastie ist fest im Boden gewurzelt und nichts kann sie erschüttern. Der Thron Ludwig Philipp's wird auf seine Erben kommen.« Der »Courrier Français« verspricht sich von der Regentschaft das Heilsamste und fürchtet nichts von ihr. Der National hält seine Meinung zurück und bemerkt, daß er gefühlvoll genug wäre, um Familienschmerz zu ehren. Selbst der lustige Charivari hat eine Thräne, die legitimistische Quotidienne ist nicht ohne Theilnahme und nur die Gazette de France kann sich nicht enthalten, den Tod des Herzogs zu jenen »Lektionen« zu zählen, durch welche das Jahr 1842 sich ganz besonders auszeichne.

Der Herzog von Orleans war nicht unbeliebt. Man traute dem Verstande des Prinzen Rosolin, wie ihn früher die kleinen Blätter nannten, keine glänzenden Eigenschaften zu, aber man rühmte sein Herz. Ohne Zweifel würde der Prinz, einst an die Regierung gelangt, dem liberalen und nationalen Prinzip mehr nachgegeben haben, als sein Vater. Längst galt er für den eigentlichen Chef der Armee. Er hatte den Takt, es mit dem jüngern Frankreich zu halten. Er zeichnete die Künstler, die Gelehrten, die Dichter aus. Das Bild in Lebensgröße, das Ingres von ihm gemalt und während meiner Anwesenheit in Paris ausgestellt hatte, wurde allgemein mit einem Interesse betrachtet, in welches der Künstler sich mit seinem Gegenstande zu theilen hatte.

Ferdinand Philipp Ludwig Karl Heinrich von Orleans wurde in den öffentlichen Schulanstalten von Paris unterrichtet. »Er hing,« sagte der Constitutionnel, »mit glühender Liebe an seinem Vaterlande und begriff die schweren Pflichten, die ihm die vom Schicksal angewiesene hohe Stellung auferlegte. Beim Ausbruch der Juliusrevolution war der Prinz noch nicht zwanzig Jahre alt, aber durch tüchtige Studien vorbereitet, stand er augenblicklich auf der Höhe seines Berufs. Ueberall, wo es für die französischen Soldaten zu thun gab, stellte sich (ein Anderer, als der Constitutionnel, dürfte vielleicht sagen), mußte sich der Kronprinz einstellen. Vor Antwerpen, in Afrika,« fährt jenes Organ fort, »bezahlte er mit seiner Person und die Armee wußte seinen edlen militairischen Trieb, seine weise Umsicht, seine persönliche Tapferkeit zu würdigen. Man erkannte, daß er zum Befehlen bestimmt war, und doch wollte er in seinem bescheidenen Mistrauen in sich selbst (ein Anderer, als der Constitutionnel könnte vielleicht sagen, um sich jeder Verantwortlichkeit zu entziehen) nur gehorchen. So verdiente er unter Gérard und Clauzel seine Epauletten. Die Armee verehrte in ihm den Mann, der für ihr Bedürfniß die zärtlichste Fürsorge hatte und mit ihr in der Bewahrung des alten französischen Ruhmes wetteiferte. In Algier,« fügt der Constitutionnel hinzu, »werden die Soldaten Thränen vergießen.«

Der Prinz sprach gut deutsch, englisch und italienisch. Er war durch seine Erziehung nicht für den Thron angewiesen, sondern auf die Nothwendigkeit, sich neben einem solchen durch persönliche Bildung auszuzeichnen. Aus allen Schmeichelreden der Nachrufer und Nekrologisten geht wenigstens so viel hervor, daß er viel persönliches Wohlwollen, viel Bonhommie besaß, immer die besten Eigenschaften für einen Thron in einem Jahrhundert, wo man von der angestammten Würde auch gern voraussetzt, daß sie sich das Ansehen einer Verdienten gibt. Die Gemahlin des Prinzen, obschon eine Protestantin, hatte keine Antipathien gegen sich. Daß sie die Hand eines französischen Thronerben ihren Verwandten zum Trotz annahm, schmeichelte dem französischen Nationalgefühl. Die Herzogin besaß Geist genug, um am Hofe der Tuilerien mehr in den Vordergrund zu treten, als es später geschehen ist. Louis Philipp wünschte dies nicht. Louis Philipp hatte mit Schrecken gehört, daß seine Schwiegertochter auch geistreich sein könne. Man hatte ihm gewisse Bonmots, gewisse Schlagworte aus ihrem Munde mitgetheilt, die ihn erschreckten, weil sie witzig waren. »Frankreich,« sagte der König, »Frankreich darf nur sehen, daß wir Gemüth, zur Zeit aber noch nicht, daß wir Verstand haben.« Seitdem verstummte der Witz im Pavillon Marsan. Die arme Fürstin, wenn es Armuth genannt werden kann, eine Krone zu verfehlen, erhielt statt der Krone den Witwenschleier!

Der Witz der Schadenfreude und der Witz des Schmerzes schienen sich endlich im Ausgrübeln der epigrammatischen Pointen dieses Unglücks erschöpft zu haben. Der Herzog ist feierlich bestattet. Die einzige Frage ist nur noch die: Was wird aus Frankreichs Zukunft werden?

Louis Philipp hatte so eifrig für die Befestigung seiner Dynastie gesorgt. Für seine blühenden Söhne waren Gattinnen gefunden worden, die man sorgsam aus solchen kleineren Fürstenhäusern wählte, wo man nicht nöthig hatte, sich für die Interessen fremder Dynastieen zu engagiren, und dennoch einen mittelbaren Einfluß auf die Sympathieen verwandter bedeutender Nebenzweige und Regentenstämme gewann. Die Enkel alle männlich. Während der Herzog von Bordeaux an Krücken geht, hat Louis Philipp eine kräftige, theilweis kriegerische Nachkommenschaft. Und das Alles ist doch zusammengebrochen. Der Kronprinz stirbt und die Legitimität, die bei allen Süßigkeiten auch ihr Bittres hat, die Legitimität verlangt, daß die Lücke zwischen einem Greise und einem Kinde offen bleibe, verlangt einen für Frankreich so bedenklichen provisorischen, einen Uebergangszustand, verlangt die Regentschaft.

Eine constitutionelle Regentschaft. Für Frankreich ein ganz neues Thema.

Unter den Merowingern gab es über diesen Punkt noch keine geschriebene Regel. Gewöhnlich fiel die Regentschaft der Mutter zu. Oft war ein Beamter mächtig genug, das Scepter für den unmündigen Herrscher zu führen. Erst Ludwig der Fromme bestimmte gesetzlich, daß die Regentschaft dem nächsten männlichen Agnaten zukomme. Dies Gesetz hinderte nicht, daß spätre Könige testamentarisch für die Stellvertreter ihrer unmündigen Nachfolger sorgten, wobei sie natürlich die Vorsicht gebrauchten, durch die Großen des Reiches sich diese ihre Anordnungen bestätigen zu lassen. Unter Karl VI. wurde festgesetzt, daß die minderjährigen Könige unmittelbare Nachfolge hätten und mit dem Rathe ihrer Mütter und der nächsten Prinzen von Geblüt regieren sollten. Dies Statut erhielt sich nicht im Ansehen. Ludwig XI. verordnete, daß seine Tochter die Regentschaft bekäme. Diese Verordnung erregte den Widerspruch der Generalstaaten und veranlaßte einen Streit, der nur durch die Abkürzung der Minderjährigkeit des nachfolgenden Königs erledigt wurde. Nach dem Tode Franz II. fiel die Regentschaft an die Königin Mutter, Katharina von Medicis. Der zufällige Umstand, daß sich damals vorzugsweise die Weiber durch ihre Klugheit in weltlichen und politischen Dingen auszeichneten, trug wol am meisten dazu bei, daß sich die Gewohnheit für das Anrecht der Königinnen Mütter entschied. So wie es das Parlament feierlich zum Gesetz erhoben hatte, wurde es auch nach dem Tode Heinrich's IV. gehalten. Später kam man auf Beiordnung deliberirender Regentschaftsräthe, die jedoch nie zur Wirksamkeit kamen. Die spätre Zeit, dem Einfluß der Frauen in Regierungssachen gänzlich abhold, schloß Frauen von den Regentschaften aus. Die Constitution von 1791 läßt den König mit seinem achtzehnten Jahre majorenn werden und überträgt das Recht der Regentschaft an den nächsten volljährigen männlichen Agnaten. Auch Napoleon schloß im Jahre 1804 Frauen von der Regentschaft aus. Als er später darin eine Aenderung machte, verrieth er zu deutlich, daß ihn die Rücksicht auf Oesterreich, die Galanterie für Marie Louise bestimmte. Aus allen diesen historischen Beispielen geht hervor, daß immer die Umstände zur Erledigung der Regentschaftsfrage am meisten beitrugen. Man machte Die zu Regenten, die der Erhaltung des Staates die beste Garantie waren.

Schon über den Beginn der neuen Ordnung der Dinge herrschte nun die größte Verschiedenheit der Meinungen. Der König hatte die Kammern berufen, jedenfalls zur Erörterung der Regentschaftsfrage. Die Einen bestreiten der Kammer das Recht, über diese Angelegenheit ein Gesetz zu geben, und verlangen die Berufung einer Urversammlung, die Andern räumen wol der Kammer ein Recht ein, aber nur für den vorliegenden Fall, nicht für ein organisches Gesetz. Man sieht, die letztere Ansicht ist diejenige, die gern schnell und behend über die Schwierigkeiten hinwegschlüpfen möchte. Die zweite praktische Frage ist die: Der Herzog von Nemours oder die Herzogin von Orleans, ein Mann oder eine Frau?

Die Conservativen stimmten für die Uebertragung der Regentschaft an den Herzog von Nemours. Thiers, der erst Miene machte, der Herzogin von Orleans zu huldigen, besann sich, daß er sich den Unwillen des Königs zuziehen würde, und schloß sich den Conservativen mit dem linken Centrum an. Die eigentliche Linke aber, mit Odillon Barrot an der Spitze, will die Genehmigung des Herzogs nur von einer Entlassung des Ministeriums Guizot abhängen lassen. Verstand und gesunde Vernunft in dieser Bedingung zu finden, möchte schwer sein. Weit verständiger wäre jedenfalls das offne Eingeständniß, daß man im Grunde die Herzogin von Orleans vorzieht. Man schämt sich nur, es zu sagen; denn es würde gleichbedeutend mit dem Eingeständniß sein, daß sich unter einer Frau besser mitregieren ließe. Es ist das Unlautere auch wieder an dieser Frage gewesen, daß sie ein jeder der Parteiführer nur nach seinem persönlichen Vortheil zu entscheiden suchte.

Und doch kann es Louis Philipp keine Freude machen, daß man seine Dynastie von der Chance, in das Strickknäul einer Frau sich zu verzwirnen, befreit hat. Sein zweiter Sohn, Nemours, gilt entschieden für unpopulair. In den Gesichtszügen dieses jungen Prinzen findet man eine zu große Familienähnlichkeit mit den Bourbons. Es soll ihm mangeln an Leutseligkeit, an jenem Talente der verbindlichen Rede, welches in Frankreich die Grundlage aller Umgangstugenden bildet, ja diese selbst ersetzen kann. Hat der Herzog von Nemours Geist, so genießen die Charaktere, die bei offenbarem Geiste wenig reden, des Vorurtheils der Energie. Und welche Energie kann man in Frankreich von oben herab anders entwickeln, als die der Einschränkung, der Zurückhaltung, der Verneinung? Die Armee behauptet, der Herzog von Nemours wäre kein Soldat. Er hätte in Algier die Bequemlichkeit den Entbehrungen vorgezogen. Die Bourgeoisie ihrerseits will wissen, daß der Herzog von Nemours seinen Witz gegen die Nationalgarde, gegen die bei Hofe auf dem Parquet ausgleitenden Epiciers, gegen die Bürgerlichkeit des Julithrones richte. Seine Gemalin ist eine Coburg.

Und so hat sich allerdings seit dem 13. Juli der Blick auf Frankreichs Zukunft verschleiert. Eine Regentschaft ist wol Das, was man von allen politischen Institutionen sich in Frankreich als das Vagueste, Ohnmächtigste und Unzuverlässigste denken muß. Ist die Erfahrung aller Zeiten einem solchen provisorischen Zustande nie günstig gewesen, so haben auch die französischen Regentschaften nicht eben den besten Namen für sich. Unwillkürlich denkt man an jene Regentschaft des Herzogs von Orleans zurück, wo Frankreich die Elemente der künftigen Revolution zu nähren begann, wo alle Verhältnisse der Sitte und Ueberlieferung in Fäulniß geriethen und Tugend und Laster im frivolen Spiele durcheinander gewürfelt wurden. Dem Regenten gegenüber wird die Mutter als Vormünderin stehen: neben dieser und ihr vielleicht gegenüber die vormundschaftlichen Beistände. Da unter diesen Verhältnissen es überall scheinen wird, als fehlte die höchste Instanz, so kann es nicht ausbleiben, daß sich die Parteien für berechtigter als je halten. Die Kammern werden über die Befugnisse ihrer Controle, über ihre Initiative eifersüchtiger als je wachen. Man ist im Stande, einen Nationalrath vorzuschlagen. Man setzt den Wahlcensus herab, um Repräsentationen aus andern, als den bisherigen Elementen zu gewinnen. Wer kann es den Cabinetten verdenken, daß sie sich durch diese Calamität mit der Dynastie Orleans auf einen bedenklichen Fuß gesetzt fühlen? Wer kann es unternehmen, für Frankreichs nächste Zukunft gutzusagen?

Indessen ist es doch möglich, daß unsre Phantasie die Gefahren größer sieht, als sie sich vielleicht später ergeben dürften. Das nächste Unglück, welches durch den Tod des Herzogs von Orleans über Frankreich gekommen ist, scheint vorläufig nur die Uebertreibung zu sein, vorläufig nur die Schmeichelei.

Die Schmeichelei kann etwas Heiliges lächerlich machen, die Schmeichelei kann gefährlich werden; denn sie muß Widerspruch finden. Frankreich hat gewiß mit dem Könige, einem unglücklichen Vater, Thränen des Mitleids vergossen, aber es wird nicht, wie Herr Lafitte, dem Könige zu Füßen fallen. Frankreich fühlt gewiß, daß Louis Philipp einstweilen noch die Garantie der Ruhe Frankreichs genannt werden kann, aber es wird nicht mit den Mitgliedern der französischen Akademie ausrufen: »Sire, Gott und Frankreich bedürfen Ihrer.« Es ist nicht wahr, daß die Functionen des Königs die Functionen des Landes sind; es ist nicht wahr, wie der Charivari sagen würde, daß, wenn der König an Altersschwäche leidet, Frankreich das Bett hüten müsse, wenn Louis Philipp sich erkältet, Frankreich am Schnupfen leidet. Frankreich ist jung, blühend, lebenskräftig. Nur Louis Philipp ist alt, welk und thatenschwach. Ein Volk kann leben, wenn auch eine Dynastie stirbt.

Die zweite Beruhigung ist die, daß die Franzosen an eine Republik nicht denken, geschweige für sie arbeiten. Ich habe mich überzeugt, daß in dieser Nation sich die wirksamsten Elemente der Ordnung, der Eintracht, des Friedens finden. Folgte man den englischen Zeitungen, so müßte jetzt in England alle Tage eine Revolution ausbrechen. England steht am Abgrund seines Verderbens, ist die bannale Phrase unserer täglichen Berichte aus England. Und doch glauben wir an diese Revolution nicht. Warum in Frankreich nicht eben so gut den Lärm der Zeitungen für Schreckschüsse halten, in Frankreich, wo die Zunge ohnehin leichter übersprudelt, als in dem gesetzten England? Warum an eine Revolution in Frankreich glauben, da man an keine Revolution in England glaubt? Wenn mit fremdem Gelde und fremder Einflüsterung die Bourbons keine Revolution machen, die Franzosen selbst machen keine.

Ein Freund, der meine Briefe aus Paris entstehen sah, drückte mir beim Tode des Herzogs von Orleans sein Bedauern aus, wie sich nun wahrscheinlich der größte Theil der Voraussetzungen meines Buches verändert haben würde. Ich sage, nichts hat sich verändert. Ich sage, Frankreich ist über die gestörte Thronfolge des Hauses Orleans erhaben. Ich sage, Frankreich hat die Kraft, sich selbst zu regieren. Es wird keinen Convent, kein Directorium proclamiren, es wird weder die Bourbons, noch die Bonapartes rufen; es würde, wenn das ganze Haus Orleans nicht bestünde, sich einen Herrscher unter den Fürstenstämmen Europas suchen. Die Regentschaft kann allerdings die Veranlassung bittrer Streitigkeiten werden, der Herzog von Nemours wird allerdings sorgsam achten müssen, welcher von den Parteien, welchem von den ehrgeizigen Staatsmännern er sich in die Arme wirft. Aber daß irgend einer dieser Staatsmänner den Willen, irgend eine dieser Parteien die Kraft haben wird, über die Regentschaft hinaus die Krone selbst anzutasten, scheint mir eine chimärische Annahme zu sein.

Allerdings ist den Ministerialcombinationen ein neues Feld geöffnet. Guizot's Stellung scheint mir unter den jetzigen Umständen bedenklich zu werden. Guizot ist der Mann einer friedlichen Epoche; er wird sich immer auszuzeichnen wissen, wenn es sich um die Gestaltung eines gegebenen Stoffes handelt, um die Bildung und Befestigung gegebener Verhältnisse. Hingestellt an die Spitze einer charakterlosen Epoche, wird er dieser Epoche einen Charakter zu geben wissen. Er wird aus einer gegebenen Zeit leicht die guten und schlechten Bestandtheile sondern, aber die Zeit muß eine ihm sicher vorliegende, eine bestimmt ausgesprochene sein. Der gegenwärtige Augenblick ist dies nicht. Wenn auch unsrer Ueberzeugung nach nichts in Frage gestellt ist, so scheint es doch, als könnte Alles in Frage gestellt werden. Man hat Ursache, für einige der conservativen Thatsachen Frankreichs zu fürchten. Man hat das bestimmt ausgesprochene Gefühl, daß sich für Frankreich etwas Neues, unter diesen Umständen noch nie Dagewesenes ereignet hat. Das ist keine jener Epochen, für welche Guizot ausreicht. Mitten in eine Unruhe der Gemüther, mitten in Erwartungen, Befürchtungen, Hoffnungen, mitten in Zeiten, wo selbst die Besten, die Friedlichsten sich einer gewissen Spannung und Neugier auf das Kommende nicht erwehren können, mitten auf ein solches Terrain darf man Guizot nicht stellen. Die Beharrlichkeit dieses Staatsmannes, seine Consequenz, seine Abneigung gegen alles geräuschvolle Regieren wird den Franzosen in einem Augenblicke hinderlich scheinen, wo sich in der That etwas Neues begeben hat, wo selbst der gemäßigt Gesinnte, weil er einmal Franzose ist, mit leicht entzündlicher Phantasie sich auf einen Umschwung der öffentlichen Dinge rüstet. Es ist nicht damit gesagt, daß wirklich für Frankreich etwas Neues angebrochen ist, noch weniger, daß Guizot dieser Neuerung nicht gewachsen wäre oder daß sie mit seinen Prinzipien in einen offenbaren Widerspruch treten müßte; es handelt sich hier nur um die ephemerischen kleinen Aenderungen des Standes der Dinge, um die Curiosität der gegenwärtigen Sachlage. Trifft die nächste Zukunft auf Schwierigkeiten, löst sich das neue Verhältniß nicht nach dem Wunsch der Betheiligten, oder auch wirft es der blos zuschauenden Neugier der Masse nicht genug Unterhaltungsstoff ab, so kann es nicht fehlen, daß davon die Schuld auf Niemanden anders, als Guizot fällt.

Unter diesen Verhältnissen sind die Aussichten für Thiers wieder günstiger, als je, geworden. Thiers war bei dem Tode des Herzogs abwesend in der Provinz. Auf die erste Nachricht kam er schleunigst herbei und verstand, sich in der ersten Verwirrung wieder notwendiger, denn je, zu machen. Thiers hatte zwar an dem Kronprinzen eine Zukunft, wenigstens den Glauben, den Credit einer solchen, verloren, aber eine Frage wie die Regentschaft konnte nicht ohne Vortheile für ihn sein. Wir sehen ihn zuvörderst als den Vertheidiger der weiblichen Regentschaft. Es war eine Sache der Courtoisie, daß er sich für die Witwe seines Protectors, eine Sache der Politik, daß er sich für eine Frau entschied. Später hat ihn Ludwig Philipp für die Regentschaft des Herzogs von Nemours gewonnen. Der König mußte sich ihm für den Beistand, den seine Partei in der Kammer zu leisten versprach, wieder verpflichteter, denn je, fühlen.

Thiers hat vor Guizot das Vorurtheil voraus, daß er mit dem Regieren behender umspringen kann. Thiers ist mit einem Gesetze bald fertig. Er administrirt in Bausch und Bogen und faßt die Gelegenheit kurz beim Kragen. In Augenblicken, wo die Franzosen auf etwas Neues gespannt sind, werden sie Thiers für einen größern Erfinder halten, als Guizot. Bei allem Jungen, Neuen, Nochnichtdagewesenen hat Thiers den Vortheil, daß man an die Jugend und die Repräsentanten der Neuerung denken wird. Die neue Lage hat ihre unausbleiblichen Schwierigkeiten; diese sind nicht gewaltig genug, um irgend etwas Wesentliches in Frankreich zu ändern, aber ein Cabinet dürfte wol eines ihrer unwesentlichsten Opfer werden.

Der europäische Friede kann sogar von der Regentschaft in Frankreich einen großen Vortheil ziehen. Es begibt sich gegenwärtig in Europa Etwas, das man seiner tiefern Bedeutung nach, so auffallend die Erscheinung ist, noch nicht gewürdigt hat. In England herrscht eine Königin, in Portugal eine Königin, in Spanien unter Regentschaft ein Kind, in Griechenland ein naturalisirter Fremdling, in Belgien ein Fremdling. Wie kommt es nun, daß Europa, trotz dieser schwachen Hände, in die einige seiner Zügel gegeben sind, sich doch immer mehr in sich selbst befriedigt? Statt über diese schwache Vertretung der monarchischen Ordnung Besorgnisse zu hegen, sollte man im Gegentheil erstaunen, wie tief denn doch in unserm modernen Staatsleben das Bedürfniß geregelter Einheit und die Achtung vor der historischen Ueberlieferung eingewurzelt ist. Es sind in der That nicht mehr die Personen, die die Staaten regieren, sondern die Begriffe. Es ist die Scheu vor dem factisch Gegebenen sowol, wie die Abhängigkeit von einer ins innerste Völkerleben schon übergegangenen theoretischen Nothwendigkeit, daß sich Throne erhalten können, die nicht naturwüchsig, Scepter, die in den Händen von Kindern und Frauen sind. Wenn sich nun auch Frankreich unter die Herrschaft eines Kindes begeben wird, und dies, wenn nicht alle Anzeichen trügen, geschehen dürfte in Ruhe und Ordnung, so find' ich, daß sich das monarchische Prinzip über die Fortschritte, die es seit funfzig Jahren wieder gemacht, Glück wünschen darf.

Von allen Seiten muß man jetzt hören, daß die physischen Interessen die Welt regieren. Wo man hinblickt, schaaren sich die Völker um Fragen des Handels und der Industrie. Von unten herauf, wo der Communismus über eine gleiche Vertheilung der Lebensgüter grübelt, bis hinauf zu dem Finanzier, der über Zollsysteme und Anleihe-Operationen nachdenkt, findet man unser Zeitalter beherrscht nur von dem einen Gedanken der materiellen Existenz. Auch in Frankreich steht diese Richtung gegen alle übrigen Tendenzen bei Weitem im Vordergrunde. Ist sie eine gefährliche für die Moral, ist sie eine vortheilhafte für die bürgerliche Freiheit, die Entscheidung mag dahinstehen. Sie beherrscht die Gemüther, das ist erwiesen. Sie hat die politischen Gesichtspunkte verrückt, die alten Schlagwörter der Politik antiquirt, sie hat die Leidenschaften des Ehrgeizes und die Sucht nach politischen Theorien in das Bette des industriellen Egoismus gelenkt. Die Richtung ist einmal da und sie wird sich auch für Frankreich bewähren.

Seitdem die Völker Europas angefangen haben, sich mit geschriebenen Verfassungen zu beschwichtigen, haben die Gefahren für die Ruhe und den Bestand der Staaten abgenommen. Die beste Politik hat sich in den constitutionellen Staaten nachgerade als die herausgestellt, treu dem gegebenen Worte zu handeln, die Heiligkeit des Vertrags zu ehren und unverkümmert Jedem den Vollgenuß jener Rechte zu lassen, die ihm in den Paragraphen des Staatsgrundgesetzes zugesichert sind. Die Kammern Ausdruck des Volkswillens. Die Minister die Beamten der Kammern. Die Krone über dem Ganzen schwebend als moralische Garantie des Gesetzes, der Ordnung, der Gnade. Mit diesen Prinzipien hat sich England erhalten unter Königen, die wahnsinnig waren; mit diesen Prinzipien erhält es sich unter Frauen und würde es sich erhalten auch unter Kindern. Frankreich ist allerdings ein zäherer Stoff als England. Aber Frankreich hat wie England, wie alle Völker, seine Revolutionen auch deßhalb gehabt, um ihrer künftig überhoben zu sein. Es hat seit 1815 in der Ausbildung des constitutionellen Lebens Fortschritte gemacht und hat seit 1830 auch gelernt, sogar die Repristinationen der Umwälzung zu überwinden. Wenn es jetzt seine hohe Aufgabe, auch unter einer Regentschaft sich als ein geordneter Staatskörper zu erhalten, durchführt, dann hat es dem constitutionellen Prinzip einen Sieg erfochten, für welchen ihm Europa ewig verpflichtet sein wird.

Freunde jener intriguanten Publizistik, die nur aus den Trübsalen, Wirrnissen und Unglücksfällen der Völker ihre Rechnung ziehen, werden nicht begreifen, welches Interesse ein Menschenfreund haben kann, so vertrauensvoll auf Frankreichs nächste Zukunft zu blicken. Es ist dies ein Interesse, welches jene Gattung von Publizisten nie verstehen wird, das Interesse der Humanität. Jedem hingebenden, an die große Aufgabe der Menschheit glaubenden Gemüthe ist es Bedürfniß, sich von der Zukunft Friedliches zu versprechen. Es war der Zweck meines Buches über Paris, nicht etwa eine Anhänglichkeit an Frankreich zu verbreiten oder irgend einem unsrer Nationalgefühle etwas zu vergeben. Nein, ich wollte jenen unglückseligen Irrthümern und den darauf gebauten gefährlichen Maßregeln entgegenarbeiten, durch welche man Frankreich isolirt. Räumt man ein, daß Frankreich durch eine Regentschaft wieder an den Krater einer Revolution gerückt ist, so setzt man aufs Neue die Reaktion in Rechte ein, die auch für uns, die Nichtbetheiligten, von den drückendsten Folgen sein würden. Stimmt man in jene maßlose Uebertreibung der Gefahren, die uns noch von Frankreich drohen sollen, mit ein, so arbeiten wir nur jener mistrauischen, verfolgungssüchtigen Politik in die Hände, die seit 1817 nur zu nachtheilig auf die Entwickelung des europäischen Völkerwohles und den Bestand der Völkerfreiheit eingewirkt hat.

Eine Regentschaft wird allerdings dem politischen Leben Frankreichs einen veränderten Charakter geben. Aber auch an dies neue Schauspiel werden die Cabinette sich bald gewöhnen. Wer Frankreich unbefangen beurtheilt, muß sich gestehen, daß der Stoff, aus dem es seine gegenwärtige Geschichte bildet, kein zufälliger ist. Und dieser Stoff, dies politische Material Frankreichs ist vor und nach dem Tode des Herzogs von Orleans sich gleich geblieben. Was in Frankreich schwankt, wird unter dem Regenten so gut schwanken, wie es unter dem Herzog von Orleans geschwankt haben würde. Was steht, wird stehen unter Jenem, wie es gestanden hätte unter Diesem. Es liegt darin ein großer Trost und eine große Beruhigung für die Menschheit. Wer möchte nicht für die Zeiten sprechen, wo man die wahren Helden der Geschichte nicht mit Lorbeern ehren wird, sondern mit Palmen!

Frankfurt am Main den 15. August 1842.

 



Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.


 


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