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Sechster Brief.

Paris, den 22. April 1842.

Ein größeres Auditorium als Philarète Chasles hat ein anderer vielgenannter Literarhistoriker, Edgar Quinet. Der Saal, in welchem dieser erst kürzlich von Lyon hierher versetzte junge Professor liest, mochte über 150 Zuhörer zählen, ohne die, die ab- und zulaufen. Auch hier fehlte es an Damen nicht,

Edgar Quinet gehört zu jenen jüngern französischen Doktrinären, die aus schlechten Dichtern nicht selten gute Kritiker werden. Quinet's Poesie war eine todtgeborne. Seine dramatisirten Allegorien, die Faust und Byron nachahmten, waren kalt; ersonnen, dialektisch wie Systeme. Sein Heldengedicht über Napoleon ist vergessen. Aber als Kritiker hat dieser noch junge Gelehrte großen Erfolg gehabt. Man räumt ihm eine genaue Kenntniß der deutschen Literatur, besonders auch unsrer Philosophie ein. Er wohnte mehrere Jahre in Heidelberg, von wo er gute Kenntnisse der deutschen Sprache mitnahm und für den Fall, daß sie nicht ausreichten, eine deutsche Frau.

Edgar Quinet ist für die südlichen Literaturen angestellt, wie Ph. Chasles für die nordischen. Die deutsche gehört zur nordischen, die französische, die doch da, wo sie produktiv ist, mit uns auf gleichem Breitengrade liegt, wahrscheinlich zur südlichen. Quinet sprach über die Einflüsse der Politik auf die Poesie des Mittelalters. Man sahe, daß er Raumer's Hohenstaufen gelesen hat. Er wußte über die Idee der Hierarchie und des Kaiserthums zu reden, wie nur irgend ein deutscher Historiker. Er sagte nichts Neues, aber das Alte in artiger Verknüpfung. Er docirte auf Effekt. Er bereitete seine Applause wie ein Schauspieler vor, und wenn sie, wie der deutsche Schauspieler sagt, »gefallen« waren, trank er ruhig sein Zuckerwasser, wie ein Deputirter. Alle diese jungen Gelehrten werden auch in fünf Jahren Deputirte und in zehn Minister.

Ph. Chasles gefällt mir als Redner besser. Beide, Chasles und Quinet, hatten ihre Rede auswendig gelernt: aber Chasles sprach mit Ruhe, Würde, mit Eleganz. Chasles verrieth auch in seinem Vortrage, daß die Hände, die seine Aktion begleiteten, Glaçéehandschuhe tragen. Ein französischer Professor rechnet zu seinen Jahresausgaben nicht blos neue Bücher, sondern auch einige Dutzend Glaçéehandschuhe. Quinet trug indessen keine. Er hatte im Gegentheil etwas Struppiges, etwas Deutschprofessorisches. Man sah ihm an, daß er in Heidelberg gelebt hat, wo die Professoren zuweilen in Schlafrock und Pantoffeln in ihr häusliches Auditorium kommen. Quinet hat kein so einnehmendes Aeußere, wie Ph. Chasles. Doch wurzelt er fester in seinem Auditorium als Jener. Ist dies nicht die Folge seiner Gelehrsamkeit, so ist es die Folge seines Gegenstandes. Der arme Chasles muß von dem hölzernen Brandt'schen Narrenschiff reden, während Quinet über Dante und Ariost reden darf: jener vertritt in Paris die kalten Nebelsagen Ossian's, die frostigen Wintermärchen der scandinavischen Edda, während dieser in die vollen, duftenden und blühenden Zaubergärten der südlichen Kunst und Poesie einführen darf.

An Quinet's Vortrag ist das falsche Pathos sehr störend. Er redet nicht, er predigt. Quinet hat gelesen, wie einst Foy redete; jetzt redet er, wie Foy redet, ohne ein Redner zu sein. Die großen oratorischen Manieren beim jedesmaligen verlegenen Räuspern und Steckenbleiben im Fluß der Worte bildeten einen komischen Contrast. Zuweilen hebt er seine Hand in die Luft, holt mit einem ungeheuern Redegestus aus und kann das Wort nicht finden, das dieser Gestus erhöhen sollte. Die Haupteffektfigur, die übrigens die französischen Redner auf dem Katheder und der Tribüne alle anwenden, ist ungefähr diese: »Es gab im Mittelalter ein Buch, welches den Geist seiner Zeit wie ein Spiegel die Brennstrahlen der Sonne in sich aufgenommen hat, ein Buch, welches wie ein Urwald in majestätischer Glorie in den Himmel ragte, ein Buch, an welches – ein Buch, für welches – endlich ein Buch, das – an das – durch das (folgen die weitschweifigsten Bezeichnungen) ein Buch – ein Buch – dieses Buch war »divina comoedia.« Großer Applaus. Oder auch in dieser Form: »Eines Tages sahe man einen Greis in rothem Pantalon und weißem Haar, einen Greis, der, – einen Greis, dessen – einen Greis, dem, – einen Greis, den – einen Greis, von dem, – dieser Greis war – Boccaccio.« Allgemeiner Enthusiasmus.

Sehr erfreulich war mir die Bekanntschaft Michel Chevalier's. Erfreulich und betrübend. Betrübend, wenn man vergleicht, wie man die Talente in Deutschland und wie man sie in Frankreich behandelt. Michel Chevalier, dieser geistvolle Schriftsteller, der die trockensten Materien der Nationalökonomie, des Eisenbahn- und öffentlichen Bauwesens mit Anmuth zu behandeln weiß, war noch vor zehn Jahren St. Simonist. In dem Prozesse, den die Regierung dem Bunde von Menilmontant machte, wurde Michel Chevalier zu einjährigem Gefängniß verurtheilt. Die Regierung verfolgte seine Prinzipien, schätzte aber seine Talente. Statt Michel Chevalier, wie dies in Deutschland geschehen wäre, seine Strafe absitzen zu lassen, gab sie ihm Reisegeld und schickte ihn nach Nordamerika, um in ihrem Auftrage dort das öffentliche Leben der Nation zu beobachten. Chevalier schrieb seine geistvollen Briefe über Nordamerika ins Journal des Debats, kehrte zurück, wurde Professor an der Universität und ist seit einem Jahre, zehn Jahre, nachdem er zum »jungen Frankreich« gehört hatte, Staatsrath im außerordentlichen Dienst. Der deutsche Weg, ein Minister zu werden, ist nicht selten dieser: Der junge Adlige besucht das Gymnasium. Abgang aus Prima mit Nro. III. Ankunft in Göttingen und Bonn mit zwei großen Hunden. Examen. Durchfall. Uebergang vom Recht zur Verwaltung, Landrathsstelle. Landrath, immer noch Landrath, aber Ritter vieler Orden. Chef einer Regierung. Vicepräsident einer Provinz. Präsident einer Provinz. Minister.

Michel Chevalier gehört zu jenen Geistern, die der Aristokratie stets zu freisinnig, den Jakobinern stets zu aristokratisch erscheinen werden. Mit der rothen Mütze auf dem Kopf würde er so conservativ schreiben, als trüge er einen Stern auf der Brust; mit dem Stern auf der Brust würden ihn seine Umgebungen für einen Jakobiner halten. Es gibt Genien, die nie mit der Masse gehen können, ob es nun eine in der Blouse, oder eine in seidenen Strümpfen ist. Michel Chevalier ist destruktiv, aber gerade nur so viel, als nöthig, um vernünftiger wieder aufbauen zu können. Der Instinkt der Organisation ist der vorherrschende, die Harmonie seine leitende Idee. Nur Der steht wahrhaft über den Parteien, der das Gute der Parteien in sich aufgenommen hat. Michel Chevalier schließt sich der bestehenden Ordnung an, ohne dem liberalen Glaubensbekenntnisse einen einzigen seiner feststehenden Sätze zu entziehen. Er ist unterthan, zunächst der Idee, und der Ordnung deshalb, weil die Idee nur durch die Ordnung herrschen kann. Warum nicht die Blütenaugen der neuen Zeit auf den Stamm der alten pfropfen? Man kann, als Beamter, in einem nicht gänzlich asiatisch organisirten Staate nie so sehr dem Fürsten dienen, daß man nicht auch dem Wohle Aller, dem Glücke des Staatskörpers, der Ehre seiner Nation diente. Nur die immer bornirter werdende Einseitigkeit des »National« kann in Michel Chevalier einen Apostaten sehen.

Das System Chevalier's ist vielleicht nicht richtig, aber es ist freisinnig. Er nimmt die Interessen der Existenz als die Garantien der Freiheit an. Er erkennt keine andere Basis der politischen Ansprüche, als die des Verkehrs, der Arbeit, der nützlichen Thätigkeit. Prärogativen und historische Ueberlieferungen von seinem Staate ausschließend, läßt er nur die Capitale, die Industrie, den Handel und die wie die Luft Alles umschließende Intelligenz zu. Seine Politik ist die der biblischen Weissagung, Lanzen und Schwerter in Pflugschaaren zu verwandeln. Ackerbau, Handwerk, Handel, alle Produktion ist ihm Industrie. Alles, was man nach Chevalier für die Industrie thut, thut man für die Freiheit. Er führt Deutschland an, das aus seinem Zollverbande einen politischen Vortheil gezogen hätte. Die Industrie ist nicht der Sieg der Materie über den Geist, sondern der Sieg des Geistes über die Materie, sie ist nicht selbst die Freiheit, aber sie wird sie gründen. Alles, was man für die Industrie thut, thut man für die Freiheit. Man muß noch viel für die Freiheit, viel für die Industrie thun. Die Interessen, welche bisher rivalisirten, muß man aneinander fesseln. Organisation der Arbeit ist die Frage der Industrie und der Politik. »Krieg oder Frieden!« schreibt Michel Chevalier. »Wir leben in einer Zeit, wo die Völker Europas sich achten und lieben. Schon überall dieselben Sitten, dieselben Arbeiten, dieselben Gedanken. Der Handel hat überall solidarische Interessen geschaffen. Europa bietet den Anblick einer einzigen Familie. Und doch scheint der Politik zufolge täglich ein Krieg so möglich, so wahrscheinlich. Die Mächte fassen sich ins Auge, wie Ringkämpfer, die in die Bahn schreiten wollen. Dies Kriegssystem widerspricht den aufgeklärten Köpfen aller Länder. Denn das Wohl der Völker leidet darunter. Was kosten diese bewaffneten Drohungen, das Geld nicht gerechnet, wie entzieht man der Arbeit so viel tausende von kräftigen Händen! Nur im Frieden ist Freiheit. Wozu der Krieg, seitdem es keine Aristokratie mehr gibt, die nur vom Kriege lebte?« Michel Chevalier geht von denselben Voraussetzungen aus, auf welche die schon erwähnten socialistischen Neuerer ihre Systeme bauen. Seine gesunde Weisheit, gelehrt auf dem Katheder J. B. Say's, ist das beste Heilmittel gegen ihre fieberhaften Träumereien.

Michel Chevalier wohnt im Quartier Grec, im Malerquartier, wo man oft von eleganten Damen angeredet wird: »Monsieur, avez vous besoin d'un modêle?« Ich fand den geistvollen Schriftsteller leidend aussehen. Er hatte wegen gestörter Gesundheit einige Zeit seine Vorlesungen einstellen müssen. Mit Theilnahme sprach er von Hamburg, das er vor einigen Jahren gesehen, von Sieveking, von den Chathamsinseln. Diese letzten brachten sogleich das Gespräch auf Algier.

»Man wird,« bemerkt' ich, »Algier schwerlich anders behaupten können, als durch Militaircolonien, wie Oestreich und Rußland sie gegen die Türkei haben. Aber die Franzosen besitzen überhaupt nicht den Colonisationstrieb.«

»Doch, doch,« bemerkte Michel Chevalier. »Wir haben früher viel Colonieen ausgeführt. Guyana ist theilweise französisch und zählt noch 14 000 Einwohner. Nur muß bei uns Alles von der Regierung ausgehen. Gibt diese den Ton an, so vertraut das Publikum. Algier ist für uns eine große Last, die bis jetzt die glücklichen Generale nur erleichtert haben. Deren sind aber wenige. Bügeaud, der jetzt den Befehl hat, ist ein Mann von großer Tapferkeit.«

Ich wagte es, gegen das von Chevalier gelehrte System der materiellen Interessen einige Zweifel auszusprechen. »Ich erschrecke vor dem Worte materiell,« sagte ich; »es ist mir, als tauschten wir unsere bisherigen Herren nur mit den Epiciers, den Börsenmäklern, den Geldaristokraten.«

»Nein,« sagte Chevalier, »die Ideen werden nie dem Gelde unterliegen. So lange die Geschichte geht, hat die Gesellschaft immer die Wahl zwischen zwei Systemen gehabt, dem bürgerlichen und dem militairischen. Ich rede nie von Königen, Adel, von Conservativ, Aristokratie u. s. w., sondern vom Soldatengeist. Der Soldatengeist ist es, der die Staaten unglücklich macht. Die Könige spielen mit den Soldaten, die Adeligen mit den Uniformen. Wo die Könige in Soldatenuniform auftreten, wird nie die wahre Freiheit erblühen, eine Freiheit, die nur auf den Bürgergeist zu bauen ist, auf den Esprit bourgeois, der der Geist der neuern Geschichte ist.«

»Ich denke mir,« fuhr ich fort, »die Bewegung des Staates gleich der Bewegung der Erde. Wenigstens sollte sie dieser gleichen. Doppelt ist die Schwingung der großen Kugel. Einmal um sich selbst, einmal vorwärts in die Weite. Stoß und Gravitation. Intelligenz und Materie.«

Chevalier erwiderte: »Nein, auch die Intelligenz ist beim Bürgergeist. Der Bürgergeist ist der Friede und nur im Frieden gedeiht die Wissenschaft. Das ist die große gemeinschaftliche Arbeit, an der wir Schriftsteller zu arbeiten haben. Alles für den Bürger, nichts mehr für die Elemente, die sich im Staate nur befinden, um ihn zu stören und zu beunruhigen! Dahin strebt auch Frankreich und gelangt dorthin, wie sehr auch Ehrgeiz und Habsucht noch sich drängen an das Ruder der Regierung zu kommen.«

Michel Chevalier war kürzlich in Deutschland gewesen und hatte es vorurtheilsfrei angesehen. An guten Fragen erkennt man den praktischen Verstand oft besser, als an guten Antworten. Chevalier fragte nicht wie Thiers, wird es in Deutschland eine Revolution geben? sondern: Ist das Bedürfniß einer Verfassung in Preußen ein so großes, daß es auch im Volke wurzelt? Würden die Rheinprovinzen geneigt sein, mit den östlichen Provinzen nivellirt zu werden? Es ist wohl von Interesse, was dieser Gelehrte in seinen von der Revue des deux Mondes mitgetheilten deutschen Reisebriefen über die österreichische Regierung unter dem Gesichtspunkte des Fortschrittes sagt. Es ist mit Geistern dieser Art eine leichtere Verständigung möglich, als mit jenen einseitig gebildeten pariser Advokaten, die sich in der Kammer und besonders in der politischen Presse zu Wortführern der Nation aufwerfen. Die vagesten juristischen Kenntnisse werden an nationale Vorurtheile angeknüpft, mit einem Style, der in der Schule der Leidenschaft gebildet ist, in Umlauf gesetzt und zu Richtern gemacht über Verhältnisse von Ländern und Völkern, von denen man nicht einmal die geographischen Bedingungen kennt, geschweige die sittlichen.

Die geschickte Auswahl mehrerer erst neuerdings angestellter Professoren der Universität ist ein Verdienst des Cultusministers Villemain. Villemain, ein Fünfziger, von gutmüthigem Ausdruck in den Mienen, stets freundlich und zum Scherze aufgelegt, nimmt unter jenen Zierden des französischen Katheders, die während der Restauration gegen die damals herrschenden Thatsachen den moralischen Stachel ihrer Studien richteten, eine der ersten Stellen ein. Die Sorbonne wußten damals in die Geschichte und Philosophie eine Bezüglichkeit zu legen, die eine unmittelbare Anwendung auf jene Menschen und Dinge erlitt, welche später durch die Julirevolution gestürzt wurden. Villemain hat ein Buch über Cromwell herausgegeben, das mehr schön geschrieben, als gründlich ausgearbeitet ist; dennoch machte es seines gesunden politischen Urtheils und seiner pikanten Parallelen wegen großes Aufsehen.

Das Ministerium des Unterrichts liegt am linken Ufer der Seine in der Rue de Grenelle und ist, wie alle Regierungsgebäude, durch eine über dem Hôtel ausgehängte dreifarbige Fahne kenntlich. Zu ebener Erde in einem Hofe links finden die Versammlungen der Räthe statt. In demselben Gebäude liegt auch die Wohnung des Ministers. Villemain zeigte sich in seiner wohlgemuthen, behaglichen Weise. Frei und heiter blickt sein Auge. Mein Begleiter, einer der vortragenden Räthe, früher Villemain's Schüler, sagte nach dem Verlauf der ersten Begrüßungen: »Die Zeiten kommen nicht zurück, wo wir Jüngern zu Ihren Füßen saßen und Ihrem Worte lauschten! Die Restauration war traurig, aber das damalige wissenschaftliche Leben werden wir sobald nicht wieder haben.«

»Glauben Sie doch das nicht,« antwortete Villemain lachend. »Als ich jung war, klagten alle alten Leute, die das Theater nicht mehr sehen mochten, die Zeiten der Düthé wären vorüber. Wir, die wir jetzt alt sind, gehen nicht ins Theater, weil die Duchesnois nicht mehr lebt, und so werden in dreißig Jahren unsere Kinder nicht mehr hingehen wollen, weil es keine Rachel und keine Dejazet mehr gibt.«

Ein naheliegender Stoff der Unterhaltung war der Streit der Bischöfe gegen die Sorbonne. Der Bischof von Chartres veröffentlicht seit einiger Zeit Hirtenbriefe und Rundschreiben, in denen er, wie weiland in Deutschland der Erzbischof von Köln vor der Hermes'schen Lehre, so vor den Professoren der pariser Universität warnt. Die legitimistischen Blätter nehmen diese Angriffe in ihre Spalten auf. Der Abbé de Genoude unterstützt sie mit seiner jesuitischen Dialektik. Man wirft den Professoren vor, daß sie durch ihre Lehren die Jugend verdürben, zieht aus ihren Lehrbüchern freigeisterisch klingende Stellen aus und denunzirt an die ganze katholische Christenheit besonders das Journal des Debats, als den hauptsächlichsten Anhalt der neuphilosophischen Irrlehren.

»Diese Angriffe,« bemerkte Villemain, »gelten im Grunde nicht den Professoren, sondern den Ministern, die sie eingesetzt haben. Es ist ein Streit nicht gegen die Wissenschaft, sondern die Regierung. Die Geistlichkeit kann es noch immer nicht verschmerzen, daß ihr der Unterricht aus den Händen gewunden ist. Ich bin überzeugt, daß Jeder, dem Fortschritt und Aufklärung theure Namen sind, in dieser Frage auf Seiten der Minister stehen wird.«

Es war ein Uhr. Eben hatt' ich im Café Cardinal die neuesten Blätter gelesen, und gelesen, daß die bonner Universität einem jungen Docenten der Theologie die Erlaubniß, Vorlesungen zu halten, entzogen hatte. Das Ministerium in Berlin, weit entfernt, dem bischöflichen Geiste der Herren Sack und Consorten entgegenzutreten, bestätigte diese Entfernung. Wie gewaltig dieser Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland! Ich sahe auf dem Fauteuil vor mir einen jener kühnen Streiter für die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung, einen Vertreter jener ernsten gediegenen Richtungen, der Frankreich bei allen Schwankungen und Leiden seiner neuern Politik doch die einzige Festigkeit und Sicherheit seines Systems verdankt. Man nennt diese Richtung die doktrinaire. Was an ihr auszusetzen, ist oft gesagt worden: was an ihr zu rühmen, ist die Entsagung, ist der Muth, ist die tiefste Verschmelzung ihrer Wissenschaft mit dem Prinzip ihres Lebens. Diese Männer waren gestern Gelehrte, heute sind sie Minister. Die lange Zwischenzeit einer den Geist erschöpfenden, die Grundsätze untergrabenden und den festen Willen aushöhlenden Büreau-Carrière fällt weg. Sie vertauschen den Leitfaden, nach dem sie eben lasen, mit dem Portefeuille: und wenn sie noch so lange in der Hofluft verweilen, so paßt auf sie der lateinische Spruch: »Was man zum ersten Male in ein neues Gefäß thut, davon wird es ewig den Geruch behalten.« Es werden in Frankreich nicht so viel Jugendträume, so viel Jugendwahrheiten verrathen, wie in Deutschland.

»Ging' es nach den Gegnern unserer Universität,« sagte Villemain, »so müßten wir auch die Censur wieder einführen. Jamais! Jamais!«

Diese ernste Versicherung aus dem Munde eines Ministers war mir in dem Augenblicke sehr bedeutsam, wo es hie und da verlautete, Guizot und seine Freunde wollten die Censur wieder einführen. Eine so eben erschienene Brochüre: »Vorschlag, die Censur auf constitutionellem Wege wieder herzustellen, von einem Offizier der Nationalgarde;« wurde schon ihres Titels wegen von den Meisten mit Lachen, von einigen weiter Blickenden aber mit Besorgnissen aufgenommen. Seitdem man die Drucker für den Inhalt von Werken, die sie oft kaum verstehen, verantwortlich gemacht hat, seitdem man anfängt, die meistentheils sehr schadhaften Punkte des Cautionnements der Journale, ihrer Fonds, ihrer Eigenthumsrechte criminell zu untersuchen, hält man auch die Censur für möglich. Villemain aber und St. Marc Girardin, der mich zu ihm geführt hatte, wiederholten feierlich: Jamais! Jamais!

»Was machen denn nur,« fragte der Minister, »die deutschen Schriftsteller mit ihrem Geist, wenn sie ihn unter ein so schreckliches Joch, wie die Censur, beugen müssen?«

»Wir befleißigen uns,« erwiderte ich, »einen desto orginelleren Styl zu schreiben.«

»Es ist wahr,« sagte Villemain lachend. »Wir haben dasselbe mit Benjamin Constant erlebt. So lange er unter der Censur schrieb, war er ein großer Stylist. Da er die Wahrheit umgehen mußte, so machte seine Feder die kunstvollsten Schlangenwindungen, die anmuthigsten Schönheitslinien. Später, als er schreiben durfte, was er wollte, wurde er grob. Man las ihn nicht mehr. Seien Sie aber überzeugt, daß wir um den Preis der Preßfreiheit doch lieber vorziehen, schlechte als mit der Censur gute Stylisten zu haben.«

Die Zeit drängte. Villemain fuhr in die Pairskammer.


 


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