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Zwanzigster Brief.

Paris, den 9. April 1842.

Seitwärts hinter der Deputirten-Kammer liegt das Hôtel der Invaliden. Ludwig XIV. hat es begonnen, Ludwig XV. ausgeführt, Napoleon vollendet. Es ist indessen mehr Napoleon als Ludwig XIV. gewidmet. Auf dem grünen Rasen zwischen den schönen Alleen, die zu dem »Asyl des Mars«, wie Napoleon die Zuflucht seiner ausgedienten Krieger nannte, führen, stand früher der venetianische San Marco-Löwe, der jetzt wieder auf seine heimische Piazetta zurückgekehrt ist. Paris hatte nichts mehr an ihm zu zähmen, er kam schon sehr zahm hieher. Hinter dem Invaliden-Dome erstreckt sich das Marsfeld, auf welchem der arme Ludwig XVI. mit den Jacobinern das Fest aller Völker feierte und dieselbe Constitution beschwor, die ihn später hinrichten ließ. Jetzt halten auf dem Champ de Mars die Mitglieder des Jokeyclubbs, narrige Engländer und die jungen Vergeuder väterlicher Reichthümer, ihre albernen Weltrennen.

Ich hatte heute einen unglücklichen Tag, an dem mir nichts behagen wollte. Es kam nicht von den eroberten preußischen Kanonen her, die rechter Hand an dem Eingang des Hôtels der Invaliden liegen. Am Zeughause in Berlin liegen eben solche französische Kanonen. Vielleicht beängstigte mich die Idee dieses Gebäudes. Es ist grauenhaft, so unter Leichen zu sein. Alle diese Krüppel sind unbegrabene Todte. Es war ihre Bestimmung, entweder an der Beresina zu bleichen oder sich unter die lebende Masse, unter die fortwachsende Nachwelt zu mischen. Diese Krüppel sind sich den Schlachtfeldern Italiens, Deutschlands und Rußlands schuldig geblieben. Sie sind in dieser ihrer massenhaften Vereinigung ein Anachronismus, der etwas Schneidendes hat. Dazu kommt, daß sie eine so abschreckende Tracht haben, eine Uniform, wie ehemals in Berlin die Bettelvoigte, dunkelblaue, schlotternde Röcke, den trostlosen Dreimaster auf dem eingeschrumpften Antlitz, alle klein, alle unter den Kugeln von Jena und Austerlitz hinweggeschlüpft. Das Schönste an ihnen ist noch ihr Häßliches, die Verstümmelung. Vollends betrübend aber schien mir die mürrische Stimmung aller dieser alten Leute. Ist es die Folge der jahrelangen Unthätigkeit, ist es Mismuth, an einer glänzenden Laufbahn durch eine Kugel, durch eine Krankheit, und die ihnen die schmerzlichste war, durch den Magenkrebs, an dem ihr Napoleon starb, verhindert worden zu sein; ist es Geiz, der alte Leute so leicht beschleicht, oder war es gerade nur die Unzufriedenheit mit dem heutigen Speisezettel, ich sahe nichts, als grämliche, unfreundliche, zusammengeschrumpfte, häßliche Gesichter, keine einzige Miene jener gutmüthigen Freundlichkeit, die sonst dem Alter so wohl steht. Kein Gruß, kein Scherz, kein gutmüthig blickendes Auge. Quält man vielleicht diese alten Leute noch mit militairischer Subordination oder woran liegt es, daß im Hôtel der Invaliden Alles uns hohl, mistrauisch, lebenssatt anblickt, so grau, so verwittert, wie die Sandsteine, aus denen diese Gänge, diese Höfe gebaut sind?

Mein Mitleiden mit diesen armen Trümmern einer großen Vergangenheit wuchs, als ich durch das Gebäude selber schritt. Das ist wahrlich kein Aufenthalt für arme kränkliche Greise! Diese steinernen Corridore stehen nach allen Seiten dem Winde frei. Fröstelnd schleichen die kleinen Männchen an den feuchten Wänden entlang, hüstelnd suchen sie Schutz vor dem aufzehrenden Nordost, der unbarmherzig durch die Gänge pfeift. Kasernen für junge Rekruten hab' ich wärmer, geschlossener, behaglicher gesehen, als dieses kalte steinerne Grab des Alters. Wie suchen die kleinen Leutchen einen Streifen der Frühlingssonne zu erhaschen, wie schleichen sie, hüpfen sie auf ihren Stelzfüßen auf die Treppe unter Napoleon's großem Standbild und suchen heute den kalten Schatten ihres Idols zu vermeiden! Ob sie Freuden haben, diese alten Veteranen? Man hat eine große Leihbibliothek für sie angelegt, aber sie können nicht lesen. Sie haben Verwandte in allen Gegenden Frankreichs, aber sie können nicht schreiben. Einen Invaliden sah ich an den Wänden eines Corridors auf und ab laufen. Er war wahnsinnig.

Ohne würdevollen Eingang lehnt sich dicht an das Hôtel der Dom der Invaliden. Es ist das militairische Pantheon und seit einem Jahre bekanntlich eine Fortsetzung von St. Helena geworden. Die sterblichen Ueberreste Napoleon's, gewöhnlich hier seine Asche genannt, sind in diesem Dome beigesetzt.

Als Napoleon in seinem Testament verfügte: »Ich wünsche an den Ufern der Seine beigesetzt zu werden, in der Mitte des französischen Volkes, das ich so sehr liebte« – hatte er eine Regung, die seinem Gefühl angemessen war. Als man von seinem Testamente grade diesen Paragraphen durch die Julirevolution vollziehen wollte, hatte man eine Pietät, die vom französischen Standpunkt ohne Zweifel wahr empfunden ist. Und doch hatte der Weltgeist es schöner mit Napoleon im Sinne, als Herr Thiers. Er machte Napoleon zur Mythe, Thiers hat ihn wieder zur Geschichte gemacht. Napoleon ist wieder in Frankreich, er kann nicht mehr, wie das Volk glaubte, in Indien, in Persien sein. Napoleon ist jetzt Das, was Frankreich besitzt, nicht mehr Das, was Frankreich wünscht. Wenn Thiers in allen Punkten mit der ehemaligen heiligen Allianz verfallen ist, dieser Gedanke, die » Asche« Napoleon's heimzuführen, sollte ihn mit ihr aussöhnen.

So ruht nun Das, was einst Napoleon hieß, mitten unter uns! Mitten unter diesen Krüppeln, die für ihn ihre Arme und Beine verloren, mitten in diesen zugigen Corridoren, diesem Geklapper der Blechlöffel bei den Mittagsmahlzeiten, mitten unter den pikanten Düften dieser militairischen Dejeuners! Man konnte in Paris keinen Platz auffinden, um Napoleon's sterbliche Unsterblichkeit zu bergen, als ein der Vergangenheit gewidmetes Mausoleum! Warum nicht, da Napoleon als geborner Italiener die Triumphbogen und Säulen so liebte, unter seinem arc de l'étoile, warum nicht am Fuß der Vendômesäule, warum nicht in eine Pyramide, die stehen könnte, wo jetzt der Obelisk von Luxor, rein zum Luxus, steht? Warum nicht in den Tuilerien, im Louvre? Warum zu den Invaliden, die er nicht mehr befehligen kann, an deren kümmerlichem Anblick sich kein junger Rekrut, kein muthiger Remplaçant mehr begeistert!

Noch geschmackloser aber ist die Ausführung. Gut, so sei Napoleon bei den Invaliden. Aber stellt ihn dort würdig hin. Stellt ihn als etwas Dauerndes hin, gebt ihm Ruhe, ewige Ruhe, gebt ihm ewigen Frieden.

Nichts von Ruhe, nichts von Dauer, nichts von Frieden. Man gibt ihm statt eines Marmorgrabes eine Theaterdekoration, statt eines Begräbnisses eine ewige Ausstellung, man brennt eine ewige Lampe bei ihm, wie bei einem Heiligen der Kirche. Das ganze Schiff der Invalidenkirche besteht aus etwa vier benutzbaren Kapellen. Davon gehören die beiden größten dem einfachen aber würdigen Andenken Türenne's und Vauban's. Eine Winkelkapelle ist für Napoleon eingerichtet. Für Napoleon weniger als für Türenne und Vauban! Türenne und Vauban haben freilich nicht mehr, als nur zwei marmorne Sarkophage, Napoleon hat wollene Decken, Sammet, Seide, Broderien, Gold und Silber, eine Glaskapsel über seinem Hut, Imortellenkränze und eine ewige Gaslampe, er hat eine Schildwache von zwei Invaliden, die dafür sorgen, daß man respectvoll den Hut abnimmt. Man blickt durch ein vergoldetes Gitter in die Kapelle; dort in dem Sarge, auf dem Hut und Degen liegen, dort in dem Sarge . . . . .

Es ist etwas Ehrwürdiges hier. Nicht der Dom, nicht der Platz, nicht diese Kapelle ist ehrwürdig, nicht die falsche Kostümirung, nicht die falsche Draperie, nicht die falschen auf Effect berechneten Fahnengruppen, nicht die falschen magischen Lichter – eines ist echt, dieses Sarges Inhalt! Es ist allerdings Napoleon.

Große Gedanken brechen menschliche Fesseln. Alles ist ungereimt und störend an diesem Grabe; diesen einen Theatereffect konnte man nicht von der großen Oper borgen: Napoleon selbst.

So wollen wir denn auch schweigen, und über der Wahrheit der Giganten die Possen der Pygmäen vergessen.

Ein Sprung von Napoleon auf Thiers ist nicht so schwer. Schreibt der Präsident des 1. März doch seine Geschichte. Ich habe auch Thiers kennen lernen.

Es lagen viel verhaltene Stimmungen in mir, ehe ich ihn sah. Seit ich einmal in seiner Soirée und gestern an seinem Tische war, sind diese Stimmungen zwar nicht ganz gewichen, nicht ganz überwunden, aber die Achtung vor seiner persönlichen Begabung ist sich gleich geblieben, wenn nicht gestiegen. Ich habe in Thiers gefunden, was ich erwartete. Es ist dies ein Resultat, das man nicht aus jeder Bekanntschaft eines großen Mannes zieht.

Thiers ist unstreitig eine der denkwürdigsten Erscheinungen unsrer Zeit. Ein Journalist, der in die Strudel einer Revolution geräth und von ihnen emporgetragen wird, um zwei Mal Premierminister einer der ersten Nationen der Welt zu werden. Man staunt über die Umstände, die eine solche Ausnahme gestatten konnten, man staunt noch mehr über das Talent des Mannes, der die Umstände so glücklich zu benutzen wußte. Ob Thiers noch eine Zukunft hat? Es ist eine Frage, die täglich hier hundert Federn in Bewegung setzt, täglich den Journalen Stoff zu Angriffen oder Vertheidigungen gibt. Man behauptet, Thiers habe das Wort des Kronprinzen, daß er mit seinem Regierungsantritt wieder an's Ruder käme. Ich glaube nicht, daß ein Prinz, der vor Allem die Politik seines Vaters sich zum Vorbild nehmen sollte, sich durch solche Versprechungen binden wird. Wenn Thiers dem Prinzen beistehen wollte, ruhig in den Besitz seiner Nachfolge zu kommen, so ist dieser Beistand überflüssig, denn der Herzog von Orleans wird so leicht zur Regierung kommen, wie nur irgend jetzt in Frankreich ein Sohn das Erbe seines Vaters antritt. Daß darum Thiers ohne Zukunft wäre, will ich nicht sagen: Für die auswärtigen Angelegenheiten werden ihn ohne Zweifel die Höfe Europas verweigern; er kann sie indessen doch führen, wenn er auch scheinbar nur im Besitz eines Portefeuilles für das Innere, für die öffentlichen Arbeiten, für die Finanzen wäre. Thiers' Schwerpunkt ist die Kammer, sein Talent die Zunge und seine Parze die Verlegenheit, die Verwickelung, der Hader Frankreichs.

Für unser Gefühl liegt etwas außerordentlich Ueberraschendes in der Wahrnehmung, daß Thiers sein Glück im Grunde nicht einem Glücksstern allein verdankt, nicht einmal einem umfassenden großen Genie, sondern nur einem vereinzelten persönlichen Talente, dem Talente der Rede. Ich gestehe, ich bin über diese Entdeckung erschrocken. Ich habe die Kammer gesehen, habe mich überzeugt, daß sie au fond sicher viel Ernst und guten Willen hat, daß sie ihre Stimmen, ihre weißen und schwarzen Kugeln, nicht leichtsinnig vergibt, aber ihre äußere Physiognomie ist leichtsinnig. Nicht der Gedanke, nicht die Begeisterung für ihre hohe Aufgabe beherrscht sie, sondern das Talent und wenn es das windigste wäre. Thiers sagte mir: »Unsere Kammer will unterhalten sein; es sind nur Leute darin, die sich nicht entschließen können, zum allgemeinen Besten sich zu langweilen. Wer ihrer gewiß sein will, muß sie amüsiren.« – Und in der That, Thiers beherrscht die Kammer dadurch, daß er sie amüsirt. Die Kammer weiß es und gesteht ihre Schwäche dadurch ein, daß sie nicht mehr ganz die Stärke ihres Lieblings ist. Sie weiß, daß Thiers eine zu lebhafte Einbildungskraft hat, um ein völlig besonnener Staatsmann zu sein. Aber was sie jetzt dem feurigen, scharfsinnigen, witzigen Redner nicht mehr ist, das war sie ihm früher, die Staffel seines Ruhms. Es ist nicht das Genie dieses Staatsmannes, das ihn von der Höhe des fünften Stockes in sein glänzendes Hôtel am Platze St. Georges brachte, sondern sein Talent. Das Talent ist in Frankreich immer glücklicher, als das Genie; vielleicht überall.

So lange die Könige in Frankreich von ihren Ministern abhängen, so lange diese Ministerien von der Kammer abhängen, kann sich die Laufbahn eines Thiers in jeder Jahres-Sitzung wiederholen. Ein junger Deputirter tritt zum ersten Male auf. Er wartet fünf Minuten, bis der Lärm der schwatzhaften Volksvertreter sich verzogen hat, er setzt einige Male an, aus dem neben ihm stehenden Glase Zuckerwasser zu trinken, er beginnt: »Meine Herren!« Erst kritisirt man das Organ, dann seinen Dialekt, ob er aus dem Norden oder Süden ist, dann folgt man seiner Aktion, dann seinen Pausen, seinem Tonfall, endlich ungefähr seinem System, zuletzt der Ansicht, die er über den vorliegenden Fall vorträgt. Ist die letzte, wenn nicht richtig, doch scharfsinnig, hat er witzige Wendungen, merkt man nicht die eingelernten Phrasen des Gerichtshofes, des Katheders, den hohlen Schwulst eines Odillon Barrot, merkt man nicht die trockne Nüchternheit eines schmucklosen Republikaners, gefällt das Organ, die Aussprache, die Manier, replizirt er sogar mit Verstand und Geistesgegenwart auf Zwischeneinwürfe, so ist das Glück eines solchen Anfängers in Paris gemacht. Noch ehe die Rede endet, hat der König schon Bericht von dem neuen Genie. Des Abends sprechen von ihm alle Journale. Die Minister wären glücklich, einen solchen Redner zum Vertheidiger ihrer Handlungen zu machen. Bei der nächsten Ministerialcombination hat man einen Minister, der vor einem Jahre noch von der Gnade eines Buchhändlers lebte.

Thiers wohnt in einem kleinen villaartig gebauten Hôtel an jenem lieblichen Platze, der mir schon kürzlich, als ich die Wohnung G. Sand's suchte, aufgefallen ist. Sind es nun die Ersparnisse des Ministers, die Früchte jener telegraphischen Depeschen, über die Thiers zum ersten Mal sich so heftig mit seinem jetzigen Todfeinde Soult erzürnte, sind es die Honorare für die Geschichte der französischen Revolution oder die Anweisungen auf die längst versprochene Geschichte Napoleon's oder die Zuschüsse der reichen Schwiegereltern, Thiers ist nicht wieder in den fünften Stock zurückgezogen, sondern macht nach wie vor ein Haus. Fast jeden Abend empfängt er seine Freunde. Mignet ist täglich bei ihm. Madame Dosne und ihre Tochter machen mit Grazie die Honneurs. Wer sich nicht in die oft sehr lebhaften Gespräche mischen will, findet einen Tisch mit englischen Almanachen oder einen andern mit den bedeutendsten Journalen des Tages. Man findet hier alle Journale, die Thiers vertheidigen, und auch die, welche ihn angreifen. Nur an den Debats, die seit einigen Tagen eine unerhört heftige Polemik gegen den Exminister eröffnen, fiel es mir auf, sie so zusammengelegt zu finden, wie sie direkt aus der Druckerei zu kommen pflegen. Thiers zeigte damit seinen Freunden, daß er angefangen hätte, die Debats nicht mehr zu lesen.

Wenn Thiers bei seinen Studien über Napoleon allmälig sich so in seinen Helden verliebte, daß er ihm nachzuahmen begann und im Stande gewesen wäre, beim Ausbruch eines Krieges zur Armee zu gehen und selbst den Commandostab zu ergreifen, so hat ihm die Natur eine gewisse Verwandtschaft mit Napoleon ohne Zweifel schon äußerlich zugedacht. Er sieht dem Corsen ähnlich. Die Form des Kopfes und die Rundung des Kinnes gleichen vollkommen dem bronzenen Napoleon. Den scharfen, falkenartigen Blick verbirgt eine Brille. Das Haar des sonst rüstigen und jugendlichen Vierzigers ist schon ergraut. Thiers ist so klein von Figur, daß er stets, wenn er redet, aufblicken muß. Er setzt sich am liebsten auf die Lehne eines Fauteuils und sammelt Zuhörer, deren Einreden er mit großer Gelassenheit und gutem Humor anhört. Thiers hat nichts vom Minister angenommen, vom Minister beibehalten. Er hat noch immer die südliche Beweglichkeit seines Wesens, die Bonhommie »eines guten Jungen,« die Cordialität eines Roturiers. Man gewinnt ihn lieb, weil er natürlich ist.

»Das Thema Ihrer gestrigen Rede, über den Hafen von Algier,« sagt' ich, »interessirt mich wenig. Ich bewunderte nur Ihre Methode der Behandlung, Ihre Rednergabe. Freilich machen es Ihnen die Collegen leicht. Ich habe nie schlechter sprechen hören, als Ihr Vorgänger sprach, Herr von Corcelles. Ich begreife nicht, wie ein Mann von Ehre und Zartgefühl die Tribüne besteigen kann, um eine Rede zu halten, die mit allgemeiner Gleichgültigkeit, eine Rede, die ohne eine Spur von Interesse aufgenommen wird.«

»Diese Leute halten ihre Reden,« antwortete Thiers, »nicht für die Kammer, sondern für die Wähler. Die Wähler lesen die Rede in den Journalen, denken sich die Aktion und die gute Stimme hinzu und sind glücklich, nach Paris einen so talentvollen Deputirten geschickt zu haben.«

»Was ist das Geheimniß der Redekunst?« fuhr ich fort.« »Ich glaube die Natur. Man soll reden, als wenn man handelte. Man soll einen innerlich klar ausgesprochenen Gedanken haben und nie mehr sagen wollen, als nöthig ist. Wenn man anfängt, gewählt sprechen zu wollen, so hört man auf, sein Talent vollkommen zu beherrschen. Die gestrige Sitzung war sehr stürmisch.«

»Stürmisch? – Ich fand sie sehr ruhig, beinahe schläfrig. Nein, wir haben stürmischere Sitzungen gehabt.«

»Ich bewundere die Ruhe, mit der Sie sich opponiren lassen.«

»Man lernt das als Minister, antwortete Thiers. Man muß sich auch parlamentarisch daran gewöhnen. Dies Toben und Schreien ist bloße Windbeutelei. Wer ruhig bleibt und lächelt, imponirt. Die Kammer ist wie jede Masse. Sie ist so kindisch, wie ein Theaterpublikum. Die schönsten Dinge, schlecht gespielt, werden ausgezischt. Die Herren sind alle sehr weise Gesetzgeber, aber sie haben doch sämmtliche Unarten eines Parterres an sich.«

»Das bestätigt mir,« fuhr ich fort, »wie viel ein guter Deputirter noch von einem schlechten Komödianten lernen kann. Ich fand in der gestrigen Sitzung, daß diese Herren noch nicht die einfachsten Elemente der Verhandlung mit der Masse inne haben. Sie wußten sich nicht einmal Ruhe zu erzwingen. Der schlechteste Schauspieler weiß das. Ist er mitten in einer Phrase und man plaudert in den Logen, klappt mit den Thüren, ennüyirt sich zu sehr an seinem schlechten Vortrage, so schweigt er plötzlich still. Dies sieht Jeder, das hört Jeder. Der Schauspieler schweigt. Warum schweigt er? Alles blickt hin, es tritt eine feierliche Stille ein und der kluge Komödiant kann ungehindert fortfahren.«

»Sehr wahr,« sagte Thiers. »Ich brauche gewöhnlich, um mir Ruhe zu machen, das Mittel, ein krasses Paradoxon auszusprechen. Damit steigt der Lärm aufs Aeußerste. Dann toben sich die Schreier aus, ich erhole mich in aller Ruhe und plötzlich wird es, da Jeder hören will, wie ich meinen Satz beweise, stiller, als je vorher.«

»Die deutsche Sprache,« spann ich in einer Ecke des Salons das Gespräch weiter fort, »ist leider für die Beredtsamkeit sehr ungeschickt. Die englische ist so natürlich, wie nur je die Leidenschaft natürlich sein kann. Die französische Sprache ist die Sprache der Unterhaltung, der Verständigung, der einschmeichelnden Ueberredung. Die deutsche Sprache, so frei und schön sie den Dichtern zuströmt, ist doch für den gewöhnlichen Gebrauch zu sehr abstrakt, sie sagt nichts grade aus, sie umschreibt so Vieles, sie ist viel zu sehr Curialsprache, um ganz die Sprache des Redners zu sein. Es ist wie mit unserm historischen Styl.«

»Sie würden,« antwortete Thiers, »so gut einen historischen Styl haben, wie eine Sprache der Beredtsamkeit, wenn sich Deutschland vollkommen freier Institutionen zu erfreuen hätte. Gut reden kann man nur da, wo man frei reden kann. Historisch schreiben kann man nur da, wo man Historie machen kann. Der Gelehrte allein kann das historische Material vortrefflich sammeln: es prüfen, sichten, darstellen aber kann nur der Gelehrte, der zugleich Staatsmann ist. Machiavell, du Thou waren Staatsmänner, deshalb hatten sie auch einen historischen Styl.«

»Zum Beweise Ihrer Behauptung,« bemerkt' ich, »führ' ich einen deutschen Historiker an, der sich der Idee eines historischen Styls von allen unsern Geschichtsschreibern am meisten nähert, Justus Moser. In der That war J. Moser, so lokal auch seine Wirksamkeit, doch auf seinem heimischen Gebiete, in dem ehemals reichsfreien Gebiet Osnabrück, ein Staatsmann. Wir werden die freien Staatsformen bekommen, wenn wir erst über die rein-nationale Frage des Augenblicks hinaus sind.«

Thiers schwieg. Wir kamen an die Wunde, die ihn schmerzen mußte. Wir näherten uns der Achillesferse, an der er getroffen wurde, als die Folgen des Julitractates alle Völker unter die Waffen riefen und er, der Wagende, hinter seinen Drohungen, hinter seinen Versprechungen zurückbleiben mußte.

»Sie waren zu kurz in Deutschland.«

»Ich wollte nur die Schlachtfelder sehen.«

Eine Pause von tiefer Bedeutung. Ich stand dem Manne gegenüber, der noch vor zwei Jahren alle Völker in Bewegung gebracht hatte, der es gewagt hatte, zum ersten Mal die in den Franzosen schlummernden Plane, die tiefsten Rückhaltgedanken des Schmerzes und der Rache auszusprechen, der Rache für 1815, der Rache für Moskau, Leipzig und Waterloo. Es ist Napoleon, der in Thiers tiefstem Innern schlummert. Ich sah's an seinen Mienen, daß die Asche von St. Helena nicht im Hôtel der Invaliden, sondern in seinem Herzen beigesetzt ist, und so sprach ich's ohne Rückhalt aus: »Was wir Deutsche uns selbst nicht geben konnten, was unsern Fürsten, unsern Kammern unmöglich war, eine größere politische Einheit hervorzubringen, das haben Sie uns gegeben. Es war die Folge Ihrer europäischen Politik.«

Ich würde mich täuschen, wenn ich den Blick, den Thiers nach dieser Bemerkung auf mich richtete, anders deutete, als zur Ehre seines Herzens. Wie leicht das Blut dieses talentvollen Mannes fließen mag, wie wahr es sein mag, daß er an Ernst des Gedankens hinter Guizot, an Weichheit der Empfindung hinter Lamartine zurücksteht, er sah mich mit einer fast bittenden, fast leidenden, fast schmerzlichen Miene an. Es lag in dieser Miene der Gedanke ausgesprochen: Das sind die Schicksale der Welten, das sind die Nothwendigkeiten einer Existenz, die wie die menschliche an Gesetze gebunden ist, von denen unsre bessre Ueberzeugung, unser Herz sich nur zu gern befreien möchte!

Wir waren gestört worden. Ich ging in das hintere dunklere Zimmer und blätterte in den englischen Keepsakes. Der Salon füllte sich mehr und mehr. Da bei Thiers Niemand angekündigt wird, so konnt' ich mit berühmten Namen zusammen sein, ohne es zu wissen. Die angenehme Sitte, sich ohne Abschied zu empfehlen, benutzend, wollt' ich entschlüpfen. Thiers hielt mich fest: »Sie werden bei mir essen? –« Ich ging, nachdem wir den Tag verabredet hatten.

Ich hab' ihn nun gestern wiedergesehen. Die Tagesordnung der Kammer ist für jeden seiner Mittage die nothwendige Anknüpfung. Kommen die Mitglieder der Kammer von einer belebten Sitzung, so wird sie noch lange in ihren Nerven nachbeben, bis sie sich für etwas Andres sammeln können. Noch war Thiers nicht da. Man fragte seine jugendliche, liebenswürdige Frau: »Wie war's in der Kammer?« Sie lachte und sagte: »Wie alle Tage!« Endlich kam der Wirth und warf sich erschöpft auf ein Sopha. Die Stimme heiserer als je, alle Organe erschöpft. Es war ohne Zweifel die Absicht seiner Partei gewesen, bei der Discussion der Supplementarcredite, die förmlich zu einer Adreßdebatte geworden war, noch dem Ministerium auf dem Terrain administrativer Fragen eine Schlacht zu liefern, die ihr zwar keinen Sieg bringen, aber den Erfolg der bevorstehenden Wahlen für das Ministerium schwächen konnte. Soeben war die Schlußabstimmung über die Supplementarcredite erfolgt. Die Opposition hatte beinahe achtzig Stimmen weniger gehabt als das Ministerium.

Wie ich den geistvollen Mann so die Kugeln berechnen, so die Zahlen von früher und von jetzt vergleichen sah, empfand ich ein tiefes Mitleid. Es war mir, als hätte ich ihm sagen müssen: Thiers, einst Mann des Volkes, werde, was du warst! Begriffest du deine Stellung recht, so würdest du Mirabeau folgen, den du genauer kennst als ich, um zu wissen, was Mirabeau that. Mirabeau gab Die auf, die ihn aufgaben, und suchte sich Kraft und Rückhalt bei Denen, die sich glücklich schätzten, einen Mann von seinem Genie an der Spitze zu haben. Ich zweifle, ob du erreichst, was du wünschest. Du kannst, da du leicht wie Kork bist, in einer Verlegenheit beim Portefeuilleverloosen wieder auftauchen und auf kurze Zeit wieder werden, was du zwei Mal warst! Die Kammer mistraut deinem Talente, das Volk mistraut deinem Willen. Welches sind die Geschwader, die du anführst? Der unvermeidliche Staatsmann wirst du in Frankreich vielleicht noch lange bleiben, auch wenn du nicht regierst. Vielleicht? Um gewiß wieder zu regieren, gib dir drei Jahre den Schein, als verachtetest du die Verhältnisse, die Menschen, die Debatten, nähre und stärke dich mit den mannigfachen oppositiven Elementen Frankreichs, die tiefer greifen, als die Intriguen des Constitutionnel und des Courier Français! Reiß dich von deinen Schmeichlern los, sammle Volkskraft beim Volke, bereue, was du als Mann bereuen darfst, verlaß diesen hohlen parlamentarischen Boden, auf dem du wirkst und der nachgrade die Franzosen ennüyirt, folge diesem Rath und du wirst in drei Jahren nicht nur wieder eine Möglichkeit, sondern eine Nothwendigkeit werden!

Freilich würd' ich mich gehütet haben, den gereizten Mann, den schon die etwas zu heiße Suppe finstre Blicke nach Madame Dosne hinübersenden ließ, heute mit diesem mal apropos zu begrüßen. Er nannte die Fourieristen Narren, und hätte als Philosoph Recht gehabt; als die politische Zukunft Frankreichs hatte er nicht völlig Recht. »Man spricht nicht von ihnen.« Was will das sagen? Sie sind ein Symptom, keine Arzenei. »Glauben Sie nicht,« erdreistete ich mich zu fragen, »glauben Sie nicht, daß Frankreich dieser parlamentarischen Debatten um Nichts, dieser Debatten um ein paar Notabilitäten bald überdrüssig sein wird?« Thiers hat eigne Momente. Gewöhnlich spricht er, zuweilen läßt er Andre sprechen. Zwischen beiden hat er eine Art von lautem Nachdenken. Er schweigt, und alle seine Mienen reden. Man sieht ihn denken. Das ganze Uhrwerk seines Verstandes ist aufgezogen: die spitzen Ecken seines kaustischen Gesichts kneifen sich zu einem sardonischen Lächeln zusammen; es schwebt ihm etwas auf der Zunge, das er im Begriff ist, zu sagen, und noch verschweigt, weil es nicht fertig ist. Diese schweigenden Momente sind zuweilen beredtsamer als seine lauten.

Thiers' Art zu erörtern ist naiv, witzig, phantasiereich. Er spricht nicht fertige Gedanken aus, sondern gehört zu jenen Dialektikern, die ihre Gedanken laut bilden. Die blühende, lebhafte Darstellung kommt von seiner Anschauung. Er spricht durchaus intuitiv. Er verkörpert sich seine Begriffe, er ist so stark im Concreten, wie es Guizot im Abstrakten ist. Zum Beleg seiner lebhaften Darstellungsweise folgende Aeußerungen von ihm:

»Im Hôtel der Invaliden will man Napoleon eine Statüe setzen, zu Pferde, eine Reiterstatüe, Napoleon mit dem großen Mantel, dem Bienenmantel, Napoleon, wie er nie war, nie im Volk gelebt hat, nie leben wird. Immer sind mir diese Abbildungen der Könige im großen Ornat lächerlich gewesen. Kartenkönige mit Krone, Scepter und Mantel. Paßt das für Napoleon? Napoleon braucht keine Idealisirung; ist ein Begriff, den unsre Maler erfunden haben. Jede Zeit hat ihr eigenes Costüme und das ist immer hübsch, weil's wahr ist. Was soll Napoleon mit dem großen Mantel? Ludwig XIV. ist idealisirt worden. Lächerlich. Ich denke immer an diese schäferhaften Könige unsrer Tragödie und drum herum die wilden Weiber Racine's, Corneille's – wie heißen sie? ich habe sie alle vergessen, die Meropen, die Medeen, und . . . . Bah! Napoleon unter seinen Invaliden muß stehen, wie er sie commandirt hat. Was will man? Ist das Costüme nicht malerisch, nicht plastisch? der Hut, das Collet, der Ueberrock, die Weste mit Rabatten über den Leib, die hohen Steifstiefeln. Macht sich das nicht malerisch, plastisch? He? Was soll der lange Kaisermantel mit der Schleppe, über die man stolpert? Was geht uns die Aesthetik mit ihrer Lehre vom Faltenwurf an? Napoleon war wirklich, und was wirklich war, braucht nicht Ideal zu sein, und Napoleon hat nicht nöthig, von den Künstlern idealisirt zu werden.«

Nach vielerlei Anregungen dieser und ähnlicher Art kam das Gespräch wieder auf Deutschland. Ich fand, daß Thiers es lediglich nur nach französischen Voraussetzungen kannte. Er sprach über Deutschland, wie etwa das Journal du Commerce, das Journal des Herrn Mauguin, darüber schreiben würde. Auf seiner Reise wollte er über Preußen folgendes Resultat gewonnen haben. »Ich fand in Oesterreich viel gute provinziale Administration. Die Wiener sind froh und heiter, sie reden über Politik, ohne ein Bedürfniß dazu zu haben. In Dresden ist man mit dem Gouvernement sehr zufrieden. In Preußen fand ich Alles anders, als im übrigen Deutschland. In Berlin herrscht eine politische Bildung, die man in Paris nicht antrifft. Mir ist unbegreiflich, wie man so klar denken und so unsicher handeln kann. Welche freie Ansichten sind mir in Berlin mitgetheilt worden! Die Börse, der Adel, die Gelehrten, Alles hat einen bestimmten constitutionellen Zweck im Auge, dessen Verwirklichung in Preußen allerdings außerordentlich schwierig ist, die aber da nicht ausbleiben kann, wo man das Bedürfniß so lebhaft fühlt. Der König scheint ein Anhänger der Lehren Bonald's zu sein. Es ist ein geistreicher, sehr unterrichteter Mann, von dem ich nicht glauben kann, daß es ihm Ernst ist, sich heute zum Hochzeitsgaste der Russen und morgen zum Taufpathen der Engländer zu machen. Preußen ist ein Staat auf höchster Stufe. Eine lebendige Nation, eine gute Verwaltung, die Rechtspflege, wie man sagt, ich weiß es nicht, sehr, sehr gerecht, ich weiß es nicht, das Ganze freilich sehr verschiedenartig zusammengesetzt, aber von Memel bis nach Trier außerordentlich ehrgeizig, sehr, sehr ehrgeizig, ja ehrgeiziger, als je die Franzosen waren. Das ist ein Stoff, der noch sehr bedeutend werden kann, ein Stoff, der gefährlich ist, gefährlich für Alle, ein Stoff, der auch nicht mehr lange wird auf politische Freiheit warten dürfen.«

Thiers sprach sich in eine Anerkennung der Deutschen, und namentlich Preußens, so hinein, die Schilderungen der jetzigen Bestrebungen in Deutschland zwangen ihm so viel Achtung ab, daß er endlich das Stillschweigen, über sein Verhältniß zur neuesten auswärtigen Politik Frankreichs brach und nicht ohne Feierlichkeit, nicht ohne Würde in folgender Weise sich mit den Empfindungen unsrer verletzten Nationalehre vermittelte:

»Ich bin,« sagte Thiers, »ein großer Verehrer der politischen Bedeutung Deutschlands, ich ehre, ja ich setze die Selbständigkeit dieses Staatenbundes voraus. Frankreich hat keine Vergrößerungsplane mehr. Napoleon's Kriege entstanden zum großen Theil aus innern und äußern Nothwendigkeiten. Frankreich denkt nicht daran, sich auf Kosten andrer Staaten zu vergrößern. Der Drang ist weder innerlich, noch die Nothwendigkeit äußerlich da. Allein die Selbstbeherrschung, die Frankreich besitzt, besitzen zwei andre Staaten nicht. Rußland ist eine Nation, die sich entwickeln, England eine Nation, die sich behaupten will. Rußland sucht die Macht, die es im Innern gewinnt, nach Außen hin zu zeigen. England zeigt gern nach Außen eine Macht, die es im Innern nicht mehr hat. So lange diese Bestrebungen über diplomatische Reibungen, Notenwechsel, Protokolle nicht hinausgehen, kann Frankreich sich beruhigen. Ein Anderes ist, wenn eine Frage, wie die orientalische, in Gefahr ist, einseitig, egoistisch, nur von zwei Betheiligten erledigt zu werden. Das türkische Reich ist im Sterben. Es ist todt, moralisch, es wird physisch sterben, übermorgen, morgen, vielleicht stirbt's in dem Augenblick, wo wir miteinander sprechen. Rußland und England wollen dieses Testament des Geschicks für sich allein antreten: wir gönnen ihnen den Besitz, aber wir fürchten die Schwankungen des europäischen Gleichgewichts. Und da wir sie fürchten, so müssen wir sie verhindern. Deutschland ist der Schwerpunkt des europäischen Gleichgewichts: es ist die Zunge an der Waagschale der europäischen Politik. Sei Deutschland nicht für uns, dann sei es auch nicht für Andre. Ist es mit Oesterreich nur für England, mit Preußen nur für Rußland, so ist Frankreich gegen Deutschland. Wir wollen nicht mehr sein als die andern Nationen, aber auch nicht weniger. Schlägt sich Deutschland zu unsern Feinden, so sind wir Deutschlands Feinde. Beobachtet man das Gleichgewicht Europas, so sind wir ruhig; stört man es, so sagen wir: nous bouleverserons le monde.«

Thiers hat dies schon früher gesagt, Louis Philipp hat es nicht unterschrieben. Vielleicht unterschreibt es der Herzog von Orleans, vielleicht der Graf von Paris, der schon recht hübsch lesen, schreiben und rechnen lernt. Besser ist es, wir Deutsche nähmen aus Thiers' offener Erklärung, die im Grunde die Erklärung aller Franzosen ist, für Deutschland die Ueberzeugung heraus, daß wir eine große, eine welthistorische Verpflichtung vor aller Ewigkeit und Zukunft zu verantworten haben. Wenn das Gleichgewicht Europas darin bestehen soll, wohin sich unser Vaterland wendet, was es liebt und was es haßt, so wollen wir kein Volk lieben, kein Volk hassen, nicht vor Frankreich warnen, vor Rußland uns fürchten, sondern an unsrer eignen Festigkeit, an der Möglichkeit arbeiten, auch ohne Bundesgenossen im Rath der Völker Sitz und Stimme zu haben. Und in diesem Sinne sprach ich zu dem merkwürdigen Manne:

»Deutschlands gegenwärtige Bewegung ist mehr national, als liberal. Lassen Sie diese nationale Bewegung, sie wird dahin führen, daß Ihnen und den Franzosen Deutschland liberal erscheint. Lassen Sie uns an unsrer Einheit arbeiten, sie ist nicht gegen Frankreich gerichtet, nicht gegen England und Rußland, sie soll kein Geschenk für unsre Bundesgenossen werden, sondern bewirken, daß wir der Bundesgenossen überhaupt nicht mehr bedürfen. Preußen und Oesterreich müssen wieder gut machen, was der dreißigjährige Krieg, was der siebenjährige an dieser großen Nation, der deutschen, verbrochen haben. Preußen und Oesterreich haben sich getrennt in Regensburg und müssen sich wieder finden in Frankfurt. Stützten sich beide Staaten auf die Idee eines einigen Deutschlands, dann bedürfte es der Anschließungen an England und Rußland nicht, das Gleichgewicht Europas käme nicht in Gefahr und Napoleon könnte getrost in seiner Statüe lieber einen langen Mantel tragen, als den Reitüberrock, denn sein Schatten, seine Erinnerung hätte dann nicht mehr nöthig zu Pferd zu steigen, hätte nicht mehr nöthig, den Franzosen zurufen, wie Sie sagen: Allons, bouleversons le monde.«



Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.


 


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