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Köln, den 7. März.
Gleich hinter Hannover schlägt die Natur ihre ersten Bergeswellen, der Boden kräuselt sich, allmälig begrenzen den Horizont kleine violette Streifen, das Auge findet einen sanften Ruhepunkt, und das schweifende Herz blickt gläubig, vertrauend zu den immer höher steigenden umwölkten Himmelsleitern auf.
Berge! Berge!
Ist an Raum und Ort gebunden
Lebenslust und Lebensqual,
Dank' ich meine schönsten Stunden
Dir allein, Gebirg' und Thal!
Wie den alten nord'schen Hünen
Stets nach Süden stand der Sinn,
Zieht's aus Flächen, zieht's aus Dünen
Immer mich nach Bergen hin.
Seid gegrüßt, im Glanz der Sonnen,
Thäler ihr und Bergensreih'n!
Himmlischer schließt ihr die Wonnen,
Tröstender die Schmerzen ein! –
Wir sind jetzt bald auf hannöverschem, bald kurhessischem, bald bückeburg-lippeschem und endlich preußischem Gebiete. Diese armen kleinen Dörfer und Städte wissen kaum, nach welcher Richtung hin sie frei athmen können. Sie sind überwiegend hannöverisch gesinnt. Trüge aber das preußische Militair weiße Röcke, so würden sie alle zum weißen Rocke schwören. Sonderbare Landessitten! Im größten Schmuz und Regen müssen alle diese Landleute weiße Kittel tragen. Die Frauen sind in roth und weiß verliebt. Ueber ein grellrothes Mieder und Unterkleid werfen sie weiße Mäntel, ganz in Gestalt der afrikanischen Burnus. Wenn mehrere in dieser kleidsamen und malerischen Tracht zusammenstehen, glaubt man eine Gruppe Beduinen zu sehen. Mit diesen weißen Ueberwürfen wird ein Luxus getrieben, so ernst und so komisch, wie in unsern Residenzen mit den Shawls.
Das kleine Schwefelbad Nenndorf ist kurhessisch. Man bohrt seit Jahren hier einen neuen Brunnen, um Eisen zu finden, das wahrscheinlich zeitgemäßer ist, als Schwefel, aber man findet nichts. Nenndorf war einst sehr besucht, und Eilsen und das weltberühmte Pyrmont! Unter Friedrich Wilhelm II., der Pyrmont in Aufnahme brachte, war es vor Zusammenfluß der Großen nicht möglich, hier Platz zu finden. Jetzt strömt die Bädersucht nach andern Quellen, bis auch diese aus der Mode sein werden. Wer weiß, welches kleine fränkische oder schwäbische Wildbad sich schon im Stillen rüsten kann, nach zwanzig Jahren die grünen Spieltische aufzunehmen! Nenndorf zeigt allen herkömmlichen Apparat auf, die unsere Bäder zu Tempeln der Langeweile machen. Etwas schöne Natur, wenig Schatten, Pappelalleen, Promenaden. Badeleben heißt die gewöhnliche bürgerliche Langeweile von alle Tage, erhoben in den Adelstand von sechs Wochen, Saison genannt. Wir Menschen sind sonderbar. Ein Exil, das uns, wenn wir es gezwungen tragen müßten, wahnsinnig machen würde, ertragen wir mit bestem Humor, wenn wir freiwillig dafür Geld ausgeben.
Diese kleinen Bäder, welche den Harpyen in Nassau, Böhmen, Franken und im Schwarzwald weichen mußten, haben noch eine stille Poesie für sich behalten. Sie sind das Rendezvous der Umgegend, sie sind die Gelegenheit der Liebenden. Amor schlägt hier Wunden, Hymen verbindet sie hier. Diese blonden, etwas sonnenverbrannten Töchter der Provinz, diese schwärmerischen, etwas verblühten Töchter der Landpfarrer, diese derberen Wirthschaftsgrazien der Amtleute, Wegemeisters Hannchen, Amthauptmanns Lottchen – hier finden sie noch Tänzer, Schwärmer, Ehemänner: junge Assessoren, Referendare, Candidaten, beurlaubte Offiziere, denen nur gestattet ist, bei 10 000 Thalern Vermögen zu heirathen. Aber auch diese letzte Bedeutung der kleinen Bäder wird Nenndorf verloren gehen. Die rauhe Hand der Politik legt sich zwischen diese kleinen Umtriebe der Liebesgötter. Zollverein heißt auch hier der finstre Dämon des Verderbens. Die Familien sind gewohnt, sich ihren Kaffee, ihren Thee, ihren Zucker selbst mitzubringen. Man denke, eine Großtante, zwei entfernte ältre Cousinen, die Mutter mit vier, ihre Schwägerin mit sechs hoffnungsvollen jungen Töchtern; wie viel Kaffee, Thee, wie viel Zucker braucht eine solche Familie, um allen ihren Vorrath von Medisance zu erschöpfen? Und jetzt hat sie das Alles grausamlich zu versteuern; keine Zollfreiheit, keine Schmuggelei mehr! Der Zollverein, dem Kurhessen angehört, schlägt alle diese Artikel nach den Angaben des Luxustarifes an, Nenndorf wird noch mehr veröden, und viele Ehen, die vielleicht im Himmel beschlossen sind, werden hienieden keinen Priester finden.
Von vernagelten Priestern wird man gehört haben: ich erstaunte, in Nenndorf eine vernagelte Kirche zu sehen. Ein Geistlicher hatte darin kürzlich mit einem solchen Eifer gepredigt, daß seine drohende Rechte, die heftig das Kanzelpult erschütterte, einen ihm zunächst stehenden morschen Pfeiler wankend machte und die ganze Gemeinde mit panischem Schrecken erfüllte. »Die Kirche bricht!« riefen Männer und Weiber und sprangen zu den Fenstern hinaus, wo und wie Jeder sich zu retten hoffte. Seitdem wagt Niemand mehr, das wankende Gebäude zu besuchen. Es gibt noch einige Kirchen, die baufällig sind, und ich glaube doch, wir werden wieder damit anfangen müssen, das Christenthum unter dem Blätterdach der Wälder zu predigen,
Bückeburg hat eine stattliche Kirche im Jesuitergeschmack. Jesuitengeist wird nicht darin wohnen, denn Herder war es, der einst in ihr lehrte, eh' er nach Weimar ging. Bückeburg ist die kleine Residenz eines kleinen Fürsten. Wenn alle diese Tetrarchen ihre Herrschaft an größere Kronen gäben (z. B. an Preußen) und sich mit einer Apanage begnügten, es würde ihnen und ihren Unterthanen besser sein. Wie sticht gegen all dies knappe, gegen dieses schildbürgerliche Wesen gleich die imponirende Kraft der Preußen in der Festung Minden ab! Minden ist der Schlüssel zu Westphalen. Hier rauscht und fluthet die Weser nach Bremen hinunter. Man sieht den Wellen an, daß sie frisch aus dem Schnee der Gebirge kommen. Ein trotziger, sichrer Wanderer, dieser strudelreiche Strom!
In raschem Fluge entführt uns die Post in das fleißige, gesegnete, stellenweis schöne Westphalen. In Minden bedauerte ich, einen Bekannten nicht besuchen zu können, einen Baumeister, der mit Mühl- und Grabsteinen handelt. Steine, auf denen man uns das Brot des Lebens mahlt, Steine, auf die man uns das Salz des Todes, unsern Leumund, streut! Es gibt arme Erdenringer, arbeitende, mühevolle Seelen, denen man nur jenen Mühlstein auf das Grab legen sollte, mit dem sie sich das Brod ihres Lebens mahlten. Und wer den größten Mühlstein in seinem Leben zu tragen hatte, bekommt meist den kleinsten Grabstein! Und wem sein Mühl- und Sorgenstein so klein wie ein Brillant am Fingerringe war, dem setzen sie die größten Grabessteine. Die Welt!
Herford, Bielefeld, Soest sind Blüten des höchsten deutschen Gewerbfleißes. Hier erzeugen sie Salz, weben und bleichen die saubersten Linnen, hier ist das Product des Gewerbfleißes noch dem nächsten Bedürfniß gewidmet, hieher hat noch der dumpfe Fabrikengeist des Wupperthals sein pietistisches Gas nicht ausgeströmt. Auf den Landstraßen Regen und Weben. Die unzähligen Karren und Wagen bringen Korn und nehmen die Steinkohle mit. Die Steinkohle ist jetzt Brot geworden. Es glitzert und blinkt von Steinkohlen über die grünen Wiesen hin. Man fährt unbewußt über ausgehöhlte Schachten und wünscht tausend Mal dem hinuntersteigenden Grubenmanne Gottes Schutz vor »bösen Wettern«.
Sonntag – meine liebste Reisezeit am Tage, wie Vollmond bei der Nacht. Wenn die Glocken läuten und die Sterne schimmern, ist der Mensch anders, ist die Natur eine andere. Sauber sind Sonntags die Straßen, gereinigt die Dielen; zur Kirche schlendern die geschmückten Landleute, von weit über Land kommen sie in die von Orgelklang lebendig gewordenen Gotteshäuser. Herumziehende Gaukler ergötzen den Sonntag-Nachmittag die gaffende Menge, ein Jongleur, der Messer verschluckt und Teller auf der Nasenspitze balancirt, ein Bänkelsänger, der auf der grünen Leinwand Kühnapfels Mordthat und Hinrichtung im warnenden Singsang erzählt. Des Abends aber belagert die Dorfjugend die Straßen und jauchzt dem Postwagen nach. Musik schallt in den Wirthshäusern und noch in später Nacht klingt das Horn des Wächters anders als an den Wochentagen. An der Gartenpforte ein liebendes Paar, Umarmung, Kuß, und noch fernher über die Hecken eine gute Nacht, ein Wiedersehen!
Von unserer Reisebegleitung war ein Franzose merkwürdig, den ich erst für einen voyageur en vin de Champagne et en généalogie des princes erklären wollte. Er kannte alle Keller und die Verwandtschaften aller fürstlichen Häuser. Er kannte alle Fürstinnen, die die schönsten Kinder haben, und alle Könige, die den meisten Champagner trinken. In seiner Kenntniß der Genealogie war er der personificirte Gothaische Kalender. Später gab er sich aber als Kammerdiener und Leibchirurg des Grafen von Nassau zu erkennen, auch Inhaber einer Modehandlung im Haag. Wie sein königlicher Herr wußte er neben seiner Würde auch mit gutem Erfolge Kaufmann zu sein. Zuletzt sagte dieser unterrichtete Reisende: Mr. Dieffenbach et moi nous sommes le médecins de sa Majesté. Wahrscheinlich besorgte er das Departement der königlichen Hühneraugen.
In Soest habe ich mich nach der richtigen Aussprache dieses Städtchens erkundigt. Der Name wird ausgesprochen, wie Itzehoe, ohne alle Rücksicht auf das umlautende e. In der Volkssprache aber heißt Soest: Saust. In diesem Sinne laß ich mir's gefallen, daß Freiligrath hier geboren, zum Kaufmann hier gebildet und zum Dichter umgewandelt wurde. Dies wilde Saust muß ihn früh in die Wüste versetzt haben. An Suhl und Solingen erinnern seine Damascenerklingen; ja, als er am Comptoirtisch noch den ledernen Bock, nicht Kameele ritt, wie oft muß sich ihm bei einer Versendung von Kaffee, Indigo, Cayennepfeffer und Muscatenblüte jene südliche Tropenwelt aufgedrängt haben, die er später in so schöne Verse kleidete! In Hagen, Schwelm, Lennep, überall Wohlstand und Wohlbehagen. Nur der kleine Abzweig des Sauerlandes bis Mühlheim ist steinicht und dürftig. Bei Mühlheim lacht uns ein blitzender Wasserspiegel an. Es ist der Rhein.
Sei mir gegrüßt, heiliger, deutscher Strom. Nicht aus eines Königs silbernem Pokale, aus einem grünen Römerglase trink' ich auf deine Freiheit! Berge trennen, Ströme binden. Du bist der jungfräuliche Gürtel Deutschlands, den sie nicht lösen sollen mit frevelnder Hand! Nicht die Leier des Dichters allein, auch das Schwert des Helden wird dich vertheidigen! Wir werden dich verlieren können an der Maas und der Schelde, an der Nahe und der Mosel, aber wiedergewinnen werden wir dich an der Weser und Elbe, an der Donau und der Weichsel. Folge nicht der Lurleinixe, Victor Hugo! Sie führt dich nicht in die Pairskammer, nicht auf eine Ministerbank, sie führt dich nur in Strudel und Brandungen, in die sie Alle hinabzieht, die die Nixe des Rheins gewinnen wollen.
Dem stolzen Gefühl folgt aber ein wehmüthiges. Da ragt der unvollendete Dom in die Sternennacht. Mit geisterhaftem Dunkel heben sich die abgestumpften Spitzen von dem bläulichen Flimmer des Hintergrundes ab, zwei Arme, die unschön wären, wenn nicht das Großartige auch schön wäre, ohne vollendet zu sein. Bei einem Riesen hören die Maßstäbe der Zwerge auf. Bewundernd steht der Kenner vor der Rückenwölbung, vor dem Oberarm, vor dem Torso eines capitolinischen Jupiters. Wird die neue, moderne Zuthat die Erhabenheit der Antike vermehren?
Es war mir im Geist, als säße oben auf den Thurmstumpfen des kölner Doms die gespenstische, schlotternde Gestalt des Virtuosen Liszt und hämmerte und tastete, um den Bau zu vollenden. Es war mir, als wenn eine Spinne ein Netz weben wollte, in dem man Löwen fängt. Welches Gewühl auf den Zinnen der Ruine! Worthelden, Menschen, angesteckt von einem modernen Laster, das noch seines Aristophanes harrt, von der Comitésucht, Hähne, die den Stolz ihres Lebens darin finden, bei jeder Gelegenheit einen Toast zu krähen, windige Vögel, flatternd, zwitschernd, Popularitätsvogelscheuchen, die bei jedem Anlaß, und wär es der gedankenloseste, in den Zeitungen als Anreger, Beförderer, Planmacher sich gedruckt sehen müssen! Wie sie auf Leitern an den Pfeilern hinaufklettern, wie sie sich leere Eimer reichen, Phrasen, Redensarten, Stichwörter des Tages, mit dem vorgeschobenen Zweck im lächerlichen Widerspruche stehend. Die Alten schufen aus Bedürfniß; es ist nur zu wahr, wir Neuern schaffen nur aus Ostentation.
Baut ihn denn aus, den Dom, immerhin! Aber wie ich den ehrwürdigen Bau wiedersah, kam er mir vor wie ein müder Greis, der der Welt sagen mochte: Seht, was ich werden konnte, hab' ich ja versäumt, und nun laßt mich mein Haupt zur Ruhe legen! Wir haben Burgruinen, warum sollten wir nicht Kirchenruinen haben? Schützt den Dom von Köln vor gänzlichem Verfall, reißt das kleinliche Gemäuer rings herum fort und gebt dem Vermächtniß der alten Zeit mit heiliger Scheu und Zurückhaltung eine Dauer in dem Sinne, wie die Zeit es uns überliefert hat! Nur der praktische Fabrikensinn unserer Zeit konnte auf die Idee kommen, dies Gebäude ganz haben zu wollen. Faust als Fragment ist uns Allen ja werther, als der vollendete. Wenn dieser Dom ausgebaut ist, wird es nicht mehr der rechte Dom von Köln sein.
Da indessen Alles geschieht, um die Ruine (denn das ist sie auf den ersten Blick) zu vollenden zu einem Ganzen, das halb dem Glauben des Mittelalters, halb der Monumentensucht des neunzehnten Jahrhunderts angehört, so erfreue uns denn wenigstens das gemeinsame Wirken, die Anregung einer einigen, für ganz Deutschland wichtig sein sollenden Unternehmung, erfreue uns wenigstens diese neue Offenbarung jener geistigen Einheit, die uns für die mangelnde politische trösten muß! Ich will mit einigem Stolz nach Frankreich gehen und Victor Hugo sagen: Wir Deutsche können wollen und wir thun, was wir wollen. Wir sind mehr, als ein Land, wir sind ein Volk!
Glückliche Heimat, wenn du auch einst sagen wirst: Wir sind ein Staat!