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Fünfzehnter Brief.

Paris, den 1. April 1842.

Wieder um einen Glauben ärmer, um eine Täuschung reicher.

Die Italiener schließen heute den Saal Ventadour, um nach London zu gehen. Gestern war ihre letzte Vorstellung. Ich eilte die vorletzte zu sehen.

Alter Ruhm, gestützt auf das Herkommen. Verblichene Größe, verjährte Vollendung. Die Italiener verdienen ihren Ruf nicht mehr. Sie werden noch ein Mal nach London gehen, noch ein Mal dort mit der deutschen Oper wetteifern und nach Paris ohne Erfolg zurückkehren, wenn sie nicht frische, neue Elemente in ihr verstocktes Blut aufnehmen. Was die Italiener in Paris noch ehrt, ist, daß sie sich selber ehren. Man zahlt nicht gern zehn Franken Eintrittgeld zu einem Genuß, den man sich zergliedert.

Alle Welt tröstete mich: Sie müssen den Barbier von Sevilla sehen. Seit zwanzig Jahren kommen die Fremden nach Paris, um bei den Italienern den Barbier von Sevilla zu sehen. Es erben sich Gesetze und Rechte, aber nicht Jugend und Schönheit fort. Ich sahe eine heroische Oper, eine Oper, die ich oft von Italienern selbst schon gehört habe, Lucrezia Borgia.

Es ist wahr, es waltete ein Unstern über dieser Vorstellung. Die Grisi ist seit einigen Monaten im Begriff, Mutter zu werden. Man muß einräumen, daß ein solcher Zustand keine Entfaltung ihrer Künstlerschaft gestattete; aber eine so oft gesungene Oper, eine so oft gespielte Rolle, sollten sie nicht mehr Spuren von der üblichen Leistung übrig gelassen haben, mehr, wenigstens soviel mechanische Kunstgriffe, daß man aus diesen den gewöhnlichen Grad ihrer Kunst hätte entnehmen können? Zuvörderst kann die Stimme zwar etwas von ihrem Timbre, aber nichts von ihrem Adel verlieren und die Grisi hat eine unedle Stimme. Schlacke, kein Erz: ausgesungene, stumpfe, zuweilen gemeine Töne, nicht um den Klang einer Messerspitze zu vergleichen dem Metall einer Hasselt-Barth. Eben so geringfügig schien mir die Kunst des Gesanges. Ich hörte von einer Signora Ronconi, einer allerdings häßlichen und darum nicht in vogue gekommenen Italienerin in Berlin, die Lucrezia singen, mit einer Virtuosität der Kehle, mit einem Feuerwerk von Kunstfiguren, daß mir die Grisi wie eine Schülerin dagegen erschien. Ihre Passagen waren ausgetreten, ohne Fluß, ohne Poesie. Die ganze Erscheinung dieser Sängerin hat etwas völlig Bedeutungsloses. Am wenigsten macht sich ihr Spiel geltend. Es war schlaff, ohne Reiz, ohne Anregung. Man sah die hundert Mal abgeleierte Anekdote des Stückes, erzählt wie im Schlaf. Die Leidenschaften lagen in den Worten, nicht in den Blicken; ich mußte lachen, wenn ich diese Comödie mit dem Spiel einer Fischer-Achten verglich. Wie diese Deutschen ihre Seele preisgeben, wie sie mit Feuer und Poesie den Geist ihrer Rolle erschöpfen, ohne geschätzt, ohne besungen zu werden, als in unsern kleinen Lokalblättchen, während eine Grisi in Ueppigkeit und Ruhm schwelgt. Sie wird niederkommen, in London Tausende verdienen, in Paris wieder auftreten und bewundert werden, bis auch einmal ihre Stunde schlägt.

Mario hat Rubini verjagt. Mario ist ein hübscher Mann, der den Primadonnen besser gefiel, als der häßliche Rubini. Mario hat einen heisern Tenor, dessen Beherrschung ihm um so mehr Ehre macht, als man jeden Augenblick fürchtet, er würde überschlagen. Diese Angst der Zuhörer muß man bei Schätzung seines Werthes ein wenig mit anschlagen. Italien hat vielleicht keine Schenkel, die sich ausgestopft so schön ausnehmen, wie die Mario's, aber bessere Kehlen hat es gewiß. Tamburini sang den Herzog. Dies ist ein Name, der seine Geltung verdient. Unsre Zeit ist reich an herrlichen Barytonen und Tamburini ist einer der vorzüglichern. Gewundert hat mich, daß Tamburini Das Figurenmachen nennt, was wir im gewöhnlichen Leben husten nennen. Er hustet seine Coloraturen, wie es Sängerinnen gibt, die sich einbilden, trillern zu können, wenn sie mit dem Kehlkopf lachen. Eine häßliche Signora Detti sang den Orsino. Jede Soubrette an einem deutschen Mitteltheater ist besser. Lablache, eine Falstaff-Figur, wirkte im Chor der Nobilis mit. – Füg' ich nun noch hinzu, daß die Chöre vollendet schlecht, die Arrangements der Tafelscene im dritten Akt italienisch hungrig waren, so wird man nicht begreifen können, wie diese Bühne sich in ihrer Haltung behaupten kann. Sie steht nicht nur hinter den ersten Bühnen Italiens zurück, sondern kann sich mit Ausnahme der Persiani, die gut sein soll, Tamburini's und Lablache's kaum höher anschlagen, als jene italienischen wandernden Truppen, von denen einige neuerdings auch nach Deutschland gekommen sind. Zur Erklärung dieses falschen Ruhms tragen besonders drei Dinge bei. Zuvörderst der Reiz alles Fremden, dann der Mangel einer guten Kritik. In Paris wird viel getadelt, aber, man sieht es, nur zu oft aus Parteilichkeit. Die großen politischen Blätter kümmern sich nicht im Zusammenhang um die fortlaufende Chronik der Bühnen, und die kleinen belletristischen sind nicht im Stande, ihre Mitarbeiter gegen die Folgen ihrer Wahrheitsliebe sicher zu stellen. Meistenteils kritisiren Dilettanten, die sich durch ihre Feder den Eingang in die Boudoirs der hübschen Schauspielerinnen zu verschaffen suchen. Die Theaterkritik ist hier ein petit maître, die Analysen des Spiels sind Liebeserklärungen. Der dritte Grund ist der Mangel eines stationären Publicums. Das Publicum in Paris ist überhaupt ein immer nur zufälliges. Die zwanzig Bühnen, die täglich spielen, rekrutiren ihr Auditorium aus einer Masse, die jeden Morgen den Theaterzettel des Corsaire wie eine Speisekarte durchläuft, um zu wählen, was essen wir heute? Daher ist das pariser Publicum, wenn nicht gerade erste Vorstellungen die Elite der Tonangeber oder die Kabalenmacher in Bewegung setzen, im Allgemeinen harmloser und empfänglicher, als die Herren Abonnenten, die in den deutschen Theatern das Urtheil sprechen. Man kennt hier trotz der ewigen Komödie inner- und außerhalb der Theater jene Uebersättigung, jene Erschlaffung nicht, die den Deutschen in seinem Beifall so spröde, in seiner Hingebung so kühl macht. Das Publicum der Italiener sind zum größtentheil Fremde, die kein Urtheil auszusprechen wagen, Damen, die hieher gehen, um ihre Toiletten zu zeigen und lernen wollen, wie man statt pourqoi sagen kann perche, elegante Herren, die mit ihrer Lorgnette mehr in die Logen, als auf die Bühne blicken, Leute endlich aus der Masse, die alle Jahr nur zwei Mal zu den Italienern gehen können, weil es ihnen sonst zu theuer käme. Und an solche Festtage kann man freilich nicht den Maßstab der Kritik legen.

Der Regen treibt des Abends in die Theater. Ich behalte mir Politik und Wissenschaft noch vor und verfolge Eindrücke, die soviel zur Kenntniß Frankreichs und des pariser Lebens beitragen. Gestern hab' ich mir das Grab des deutschen Repertoirs angesehen. Ich war im Odéon.

Diese Bühne kann sich nicht aufschwingen, weil sie zu entlegen ist. Es ist wirklich eine Anmaßung, wenn sie sich zweites Théatre Français nennt. Die Studenten geben hier den Ton an. Das Odéon liegt dicht am Quartier latin. Man pfeift und tobt während und zwischen den Akten. Dabei keine Ordnung in der Zeit, keine fleißige Musik, Gasgestank von zerspringenden Beleuchtungsgläsern, arme Toilette der Schauspielerinnen und wenig Talent. Das sind die Elemente, von denen hier Raupach, Blum, Eduard Devrient und Bauernfeld erwartet werden. Ein Abend im Odéon ist meist immer ein rasender See: und der See will sein Opfer haben.

Ich sah »Quinolas Hülfsquellen« von Balzac. Seit vierzehn Tagen ist Balzac das tägliche Brod der Journale. Wo man hinblickt, eine Demüthigung; was man liest, ein Witz auf Balzac. Balzac's Idee war, berühmt zu werden in Frankreich, malgré la presse. Dazu gehört mehr als Philosophie, dazu gehört die Unempfindlichkeit jenes Bambusrohrs, der canne de Mr. de Balzac, die man hier zuweilen mit ihm selbst verwechselt. Balzac sollte vom Staat eine Pension beziehen, denn er gibt den hiesigen Ministern das erhabenste Beispiel, wie man Impopularität mit Gleichmuth ertragen kann. Balzac's Haut – ob sie auch eine peau de chagrin ist?

Gestern wurde Quinola vielleicht zum siebenten Male gegeben und noch immer finden Unterbrechungen, dauernde Tumulte, Zwischenreden des Parterres, kurz alle Manöver einer ersten Vorstellung statt. Ich bewunderte die Geduld dieser Schauspieler. Vielleicht hätt' ich die Klugheit des Direktors bewundern sollen. Die Schauspieler des Odéon sind arme Teufel, die in Paris leben wollen, ohne auf den Boulevards ein Engagement finden zu können. Sie haben etwas von dem Wesen der reisenden Gesellschaften in Deutschland. Man sieht ihnen an, daß sie heute spielen, um Morgen leben zu können. Sie spielen nicht, wie unsre Hoftheaterkünstler, auf Lebenszeit, sondern auf Wochengage, wie damals in Deutschland, als wir noch weniger Künstler und bessere Schauspieler hatten. Diese armen Teufel des Odéon müssen aushalten, wenn man auch mit Aepfeln nach ihnen wirft. Sie sind engagirt, nicht für die französische Bühne der Gegenwart, sondern für die französische Bühne der Zukunft. Unsere deutschen Hofschauspieler bekommen sehr oft Rollen auf den Leib zugeschnitten. Diese Schauspieler des Odéons müssen sich zuschneiden lassen auf den Leib der Rollen. Sie sind nicht engagirt für das Drama, sondern für Experimentaldramatik.

Ich hatte tiefstes Mitleid mit diesen armen Mittelmäßigkeiten. Sie sind gewohnt, Rollen zu spielen, die ihnen, wie ihre wurmstichige Garderobe, vom Leibe fallen. Sie denken, sie haben eine Tirade, die rauschend applaudirt wird, sie sprechen sie mit Pathos, mit Würde und werden ausgelacht. Sie treten wie Löwen aus den Coulissen auf und schleichen wie Katzen wieder davon. Dabei dürfen sie nie Partei für das Publikum nehmen. Sie müssen ihren Autor vertheidigen, bis auf's Blut. Sie müssen ihre Rollen wissen, sie müssen ihren Dichter durch alle Schrecknisse des empörten Parterres hindurchtragen. Ein deutscher Schauspieler, beim ersten Murren des Parterres, verräth den Dichter. Ein deutscher Schauspieler, ich kenne Ausnahmen, zieht es vor, lieber mit seinem Parterre befreundet zu bleiben, als mit dem Autor. Er gibt das neue Repertoir im Nu auf, da ihm ja noch das alte bleibt! Zertrümmert man ihm heute eine Rolle, er wird morgen noch Ferdinand in Kabale und Liebe spielen können, er hat noch Posa, noch Hamlet. Ein deutscher Schauspieler liebäugelt mit dem Publikum, tritt an die Lampen, zuckt mit den Achseln und bettelt um Nachsicht für die Künstler, die an dem misfallenden Gedichte keine Schuld trügen! In Paris weicht der Darsteller nicht, der Dichter nicht. Es war nicht französisch, daß Georges Sand ihre unglückliche Cosima aus dem Pfeifen und Zischen der Darstellung fortnahm. Es war menschlich, es war deutsch. Auch Balzac läßt seinen Quinola dem Odéon unverkürzt. Keine Scene, kein Akt ist verändert. Die siebente Vorstellung wie die erste. Alle die Phrasen, die Jüles Janin als lächerlich hervorgehoben hat, sind geblieben, obgleich jedesmal, wenn sie gesprochen werden, das ganze Haus in Gelächter ausbricht. Nach einer langen Pause sagt Fontanares mit feierlicher Stimme: cette femme est perfide, comme le soleil en hiver. Dies feine, deutsche, Jeanpaul'sche Bild wird regelmäßig mit einem Sturm von Hohn und Spott aufgenommen. Bliebe es fort, die Direktion müßte etwas von dem Eintrittsgeld wieder herausgeben.

Soll ich nun sagen, ob Quinola ein gutes Stück ist, so muß ich sagen: Nein. Wenn ein Mann von Geist geistreich ist, so ist das seine Schuldigkeit, denn man verehrt ihn als geistreich. Ein Mann von Geist darf nicht albern sein. Es gibt bei geistreichen Männern Albernheiten, die aus einer Phantasie, aus einem trüben Tage, aus einem erbitterten Herzen entstehen. Aber Quinola ist keine Schwärmerei Balzac's, sondern eine nüchterne Erfindung, eine Berechnung, die sich weder durch eine Verirrung der Phantasie noch durch eine Verirrung des Herzens entschuldigen läßt. Die gesunde Vernunft, der gewöhnliche Menschenverstand hat nicht nöthig, geistreich zu sein. Aber der Geist hat nöthig, daß er vernünftig ist.

Balzac hat ein Stück geschrieben, das weder ein Drama, noch ein dialogisirter Roman ist. Es ist ein Drama, es ist ein Roman, aber der Fehler liegt darin, daß es in seiner ganzen Ausdehnung Episode ist. Das ganze Stück ist Arabeske. Es ist einer Oper zu vergleichen, die nur aus Septuors, nur aus Finalen und Ensemblen besteht. Balzac belebt die Scene durch Menschen, die nichts, nichts thun, als nur die Scene beleben. Man kann in dieser Art Romane, aber keine Dramen schreiben.

Balzac's Quinola ist ein Drama ohne Stoff, ohne Handlung. Ein Spanier hat die Dampfschiffe erfunden. Schon unter Philipp II. Dies ist eine Erfindung Balzac's. Arago wird darüber gelächelt haben, wir lächeln auch, denn diese Hypothese ist Dampf. Wir glauben schon nicht an die Realität des Süjets. Fontanares hat die Macht des Dampfes entdeckt, hat sie, ein anticipirter Fulton, gleich auf Schiffe angewandt, er wird ein zweiter Columbus werden und die Welt behandelt ihn wie Columbus. Man verfolgt ihn, man verleumdet ihn, man gibt die Ehre seiner Erfindung einem Andern. Es ist die alte Geschichte von der Stellung des Genies zur kalten Verstandesauffassung, von der Stellung der Poesie zum Materialismus. Die Geschichte ist für Den, den sie trifft, in ihrer nackten Einfachheit oft schmerzhaft genug, aber um sie zündend zu machen für Alle, muß man tiefer in das Menschengemüth hineingreifen, als es mit den Balzac'schen Phrasen möglich ist, muß man stärkern Schatten zeichnen, um stärkeres Licht zu gewinnen. Bei Balzac verdirbt der komische Theil den tragischen. Das Ganze sinkt zur Pasquinade herab. Die Idee des Stücks ist tragisch, die Ausführung komisch. Shakespeare verstand diesen Widerspruch zu lösen, aber Shakespeare, im Vergleich mit den Feuilletonromantikern unsrer Zeit, wenn er auch dichtete, um zu leben, lebte, um zu dichten.

Quinola ist der Bediente des Erfinders. Diese Figur ist im Geschmack des Gil Blas gedacht. Das ganze Stück ist in seinen Hauptfiguren aus dem Bettler-, Abenteuer- und Spitzbubenkreise dieses überschätzten spanischen Vagabundenromans entnommen. Quinola macht einige gute Späße. Seine à parts, die den Lauf der Handlung wie eine ironische Selbstkritik des Autors begleiten, sind oft witzig und werden belacht. Der jüngere Monrose, der einzige Künstler unter dieser zusammengelaufenen Truppe spielt den mehr als zweideutigen Charakter mit Humor. Er faßt die Rolle leicht und gewinnt dadurch einen großen Vortheil für das Stück. Er macht nichts geltend, er schlüpft unter Gutem und Schlechtem weg, er zwingt dem Zuhörer nichts gewaltsam auf. Dies ist ein großer Fehler deutscher Schauspieler. Sie können ihre Rollen nie genug erschöpfen, fassen sie meist mit grotesker Wichtigkeit an und werfen uns die Effekte, die wir darum nicht mögen, förmlich ins Gesicht. Hier in Paris zieht man allmälig erst den Zuhörer an, läßt ihn selber kommen und reizt ihn durch ein ruhiges und einfaches Spiel, selber an dem Ganzen Theil zu nehmen. Quinola, in deutscher Art gespielt, würde nicht zu Hülfsquellen, sondern zu wahren Saug- und Pumpwerken werden. Das Publikum würde durch die Prätensionen der Schauspieler schon im zweiten Akt mit dem Stücke zerfallen sein. Hier dauert es aus bis zum vierten Akt. Quinola hat aber deren sieben. Nichts desto weniger imponirt den Franzosen Balzac's Gleichgültigkeit. Sein Genre, so déscousu es ist, wie sie es nennen, ist immerhin neu und wir können erleben, daß Balzac mit seinem dritten Stücke vielleicht großes Glück macht.


 


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