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Manasses Garten auf seiner Villa. Im Hintergrunde erhebt sich eine mit Teppichen belegte Estrade, zu welcher einige Stufen hinaufführen.
Manasse (mit einem Streifen Papier in der Hand und lesend). Simon.
Manasse. Das kann nicht sein! Unmöglich darf er kommen!
De Silva – Ben Jochai – Van der Embden –
De Castro – alles gut – doch diesen Namen – –
Simon. Hat Eure Tochter selber aufgeschrieben.
Manasse. Unmöglich! Weiß sie nicht was ihn bedroht?
Simon. Da kommt sie selbst; laßt sie Euch Rede stehen. (Ab.)
Judith. Manasse.
Judith. Willkommen, Vater! Welche lange Zeit
Habt Ihr uns wieder hier allein gelassen,
Bis Ihr den Börsenstaub von Amsterdam
In Euerm Garten aus den Kleidern schüttelt!
Manasse. Von Sorgen seh ich mich auch hier begrüßt.
Judith. Hab' ich nicht alles festlich hergerichtet,
Wie Ihr's am Wochenende liebt? Sind Gäste
Wie Ihr gewohnt, zu Tische nicht beschieden?
Manasse. Wie konntest du Acosta heute laden?
Judith. Er war nicht hier seit vollen sieben Tagen!
Manasse. Schrieb ich dir nicht, daß ihn der Bann bedroht?
Judith. Und gerade deshalb rief ich ihn zu uns.
Manasse. Den alles flieht?
Judith. Den eben sucht ich auf.
Manasse. Er wird nicht kommen, denk' ich, denn er fühlt,
Daß uns're Ladung feinen Takt beweist,
Doch feineren, der Ladung nicht zu folgen.
Judith. Seit wann ist Vanderstraten denn so fromm?
Der Freund van Dycks, des Rubens nur so gläubig?
(Auf die Statuen zeigend.)
Elias und die sämtlichen Propheten
Zertrümmern dir die Götzenbilder hier,
Die das Gesetz verwirft. Ich kann nicht glauben,
Daß statt des Marmors, statt der toten Bilder
Ihr nicht den Mut habt, Menschen zu beschützen.
Manasse. Für einen Mann von freier Denkungsart
Bin ich bekannt und stolz bin ich darauf,
Daß man Manasse Vanderstraten nicht
Im Bußhemd am Versöhnungstage sieht.
Ich will nicht heucheln, längst gehör' ich, weiß man,
Dem allgemeinen Glauben jener Freien,
Die sich von Moses, Christus, Sokrates,
Das Bess're von dem Guten ausgesucht –;
Doch anders ist es, wo man kämpft und streitet,
Nur Staub aufwühlt um altes Vorurteil,
Das an der Masse ewig haften bleibt –
Da tret' ich zu dem Glauben, der besteht,
Und kann mich nicht von äußern Pflichten trennen.
Judith. Die Künstler werden aufgesucht, an Denkern
Huscht man mit feigem Mut vorüber!
Manasse. Judith,
Auch mußt' ich hören, daß man dir die Achtung,
Die uns Acosta widmete, verdächtigt.
Nur zwei Begriffe kenn' ich, die mir teuer.
Der eine, lächle nur, das ist – ich sag' es
Mein Glück daheim im eigenen Besitz,
Das stille Walten friedlichen Behagens –
Im andern bin ich unterthan der Stimme,
Die man die allgemeine nennt, ich prüfe
Nicht ihren Wert: sie ist – und ich gehorche.
Judith. So wandeln Kunst und Wahrheit nicht zusammen?
Manasse. Des Lebens und der Sitte Forderung
Ist streng, und ungern lass' ich mich belehren,
Wie Silva gestern mir gethan. Jochai
Bist du nach unsers Volkes Weise früh verlobt –
Es ziemt sich, daß im Kreise der Verwandten
Dich jedes Aug' an seiner Seit' erblickt.
Judith. Und dieses Schauspiel –
Manasse. Heute muß es sein.
Judith. Wie, Vater –?
Manasse. Wohl! Ich weiß, daß dir Jochai
Nicht wie der Bräutigam im Hohenlied
Erscheint; doch – wieder meine sichern Lebensregeln!
Wie zwei Verlobte, wie ein liebend Paar
Ziemt sich, daß Euch die Welt verbunden sieht;
Das and're macht mit Euerm Herzen ab.
Judith. Und diese Rechnung schließt sich leicht, denkt Ihr –
Wie wenn Ihr Euer Soll und Haben prüft?
Manasse. Genug! Vom Mahle bleibt Acosta fern.
Ich sage das im strengsten Ton zu dir!
Schütz' mich vor Leidenschaft! Du weißt, ich sehe,
Was allzu ernst, nicht gern auf meinem Wege.
(Er besteigt die Estrade.)
Judith (allein).
Judith. O lebenskluger Sinn, den ich nicht fassen,
Der meine volle Brust nicht sprengen kann!
Wie sollt' ich mit dem Angesichte lügen,
Wie Liebe lächeln, wo ich hassen muß,
Und Haß verraten, wo ich flammend liebe!
Er kommt! Er ist's! Schon öffnet er das Thor –
Die Taxusgänge schreitet er herauf,
Die Blumen scheinen freudig ihn zu grüßen –
Bin ich die kalte Tochter meines Vaters?
Was fesselt mich, daß ich ihn jubelnd nicht
An meine Brust mit sel'ger Freude drücke,
Ihn fühlen lasse, wie sie klopfend bebt –!
Das feige Herz bezwingt sich noch! Es muß
Das heil'ge Recht, den Widerspruch zu lösen,
Der Mund vom Aug' und Aug' vom Herzen trennt,
Sich erst erobern durch die freie That.
Noch hab' ich nichts gethan – und blicke nieder –
Uriel. Judith.
Uriel. Ich komme, Freundin, weil Ihr es gewünscht,
Und hoffe, daß ich Fremden nicht begegne –
Judith. Weil ich es wünsche, seid Ihr nur gekommen?
Wo weilt Ihr? Warum flieht Ihr? Großer Gott,
In dieser Zeit, in dieser schwerbedrängten!
Was hab ich alles nicht vernehmen müssen?
Uriel. Von meinem Streite mit der Synagoge?
Judith. Was kümmert mich die Synagoge –!
Nein, Uriel, Ihr habt entfliehen wollen!
Ist es denn wahr, daß Ihr so grausam scheiden,
So plötzlich über Nacht verschwinden könntet?
Uriel. Seid kalt! Ich bitt' Euch, laßt den sanften Ton!
Seid, was Ihr werden müßt, das Weib Jochais,
Es ist so oft erörtert – oft beweint –
Was reißen wir die alten Wunden auf!
Judith. Ihr sollt nicht von Ergebung reden!
Uriel. Judith!
Judith. Ich hass' Euch, wenn Ihr so gelassen sprecht!
Uriel. Ihr wißt, bei unserm Volk herrscht die Familie,
Der Vater will, das Kind gehorcht – die Bande,
Die erst von Eisen, werden Rosenketten!
Ich kenne das, das Leben ist ein Treibhaus –
Judith. Sagt das, Acosta, wenn Ihr einsam geht
Mit Euern kalten zweifelnden Gedanken,
Sagt das nicht hier, hier an dem Marmortisch,
Wo Ihr das wärmste Leben mir erschlossen!
Kennt Ihr das grüne stille Laub nicht mehr,
Den Frieden nicht, wo Euer Mund von Kriegen,
Vom Sturm der Weltgeschichte mir erzählt?
O, Uriel, dies sind die Blumengärten,
Wo ich gewandelt bin an Eurem Arm,
Euch da, Euch dort ein selten Kraut gezeigt –
Ihr saht es an, Ihr nanntet es mit Namen,
Ihr brachtet Feuer, wunderbare Gläser,
Ihr zeigtet, wie Natur dem Geist gehorcht,
Wie im Metall, im Kiesel, in der Pflanze
Geheimnisvolle Kräfte schlummern – wie?
Und in uns selber wäre alles tot?
Da wäre nichts, was aus der Asche stiege,
Kein Funke aus dem Stahl, aus Gift kein Balsam?
Nein, Uriel, Ihr habt einmal gebaut
Vor meinen Augen eine Himmelsleiter,
Und nun ich oben schwebe in dem Aether,
Im Reich der seligsten Verklärung, zieht Ihr
Die Staffel fort? Nie kann ich rückwärts finden,
Nie mehr mit dem Gemeinen mich verbinden!
Uriel. Was wir uns sind, mit Thränen steht es, Judith,
Auf jedem grünen Rasen hier geschrieben.
Doch soll's nicht sein – es wird nicht sein – ich kenn' es,
Das Wildhinstürmende paßt nicht für uns.
Vielleicht wenn wir mit Büchern nicht verkehrt,
Von Sternen nicht, vom Weltall nicht gesprochen
Und nur an Nächstes uns geklammert hätten,
Vielleicht, daß dann die wilde Ungeduld
Der ungezähmten Triebe tobt und schriee –
Doch wolle mich der Himmel davor schützen,
Daß ich, dem Schmerz mich nicht geduldig fügend,
Dich je an einen Scheideweg geführt
Und grausam ausgerufen hätte: Liebe,
Hier mußt du wählen oder untergeh'n!
Weißt du – was mich bedroht? Der Bann, die Aechtung!
Fluch wird von Euern Wohnungen mich treiben!
Nie darfst du den Verfluchten lieben – ja!
Für eine Ehre halt' ich diesen Fluch,
Doch kann ich sie mit Jemand teilen wollen?
Judith. Acosta, wird ein Volk die Edelsten,
Die Besten seines Stammes wohl verwerfen?
Uriel. Und dennoch wird's geschehen – zum letzten male,
Judith! (Er ergreift ihre Hand.)
. . . Leb' wohl! (Erblickt Jochai.)
Ha, Ben Jochai hier!
Und Gäste ringsum? Sind wir nicht allein?
Was thust du? Mädchen, ehren willst Du mich?
Demüt'gen kann mich nur der bunte Schwarm!
Ben Jochai tritt schon vorher glänzend und festlich gekleidet von der Terrasse. Die Vorigen. Später Gäste. Zuletzt Manasse und de Silva.
Jochai. Ist das ein Abschied doch für ew'ge Zeiten!
Wo ich Euch find', empfehlt Ihr Euch, Acosta.
In Heidelberg glaubt' ich Euch längst, wo Ihr
Das Waldgefieder denken lehren wolltet!
Judith. Das eilt sich nicht! Denn hier in Amsterdam
(auf eine Feder am Hute Jochais zeigend)
Ist manchem Pfau die Weisheit nötiger!
(Sie nimmt Uriels Arm und führt den Widerstrebenden die Stufen nach hinten hinauf. Eine ferne Musik beginnt.)
Jochai (allein). Zum letzten male bietest Du mir das!
Wie süß ist Rache, die vom Schicksal kommt
Und die man selber nicht zu schüren braucht!
Sie führt ihn unerschrocken in den Saal. –
(Silva und Manasse erscheinen oben auf der Terrasse.)
Manasse (oben).
Es darf nicht sein.
Silva (oben). Geduld! Geduld!
Manasse. Empörend!
Was ich so streng verboten!
Silva. Mäßigt Euch!
Geht, Schwager, schützt vor Ungebühr den Gast.
Noch hat der Sanhedrin ihn nicht verurteilt.
Manasse. Die Sitte aber, sollt' er wissen, folgt
Dem Urteil nicht, sie folgt dem Vorurteil.
(Er geht nach innen. Silva steigt herunter.)
Jochai. Ich staune, Silva! Habt Ihr Eure Meinung
Verändert?
Silva. Hat denn irgendwer das Recht,
Dem Spruch der Richter vorzugreifen?
Jochai. Wie?
So spricht de Silva, der sein Buch verdammte?
Silva. Verdammte? Hab' ich irgendwo das so
Auf off'nem Markte ausposaunt?
Jochai. De Silva!
Man weiß, der Rat hat Euern Spruch empfangen
Und Euer Spruch besagt: Er ist kein Jude!
Silva. Das sagt Ihr – Ihr versteht mich nicht – laßt's sein!
Jochai. Daß Ihr ihn schützt, das glaub' ich zu versteh'n –
Silva. Ei was! Ich schütz' ihn nicht – und dennoch – ja!
Fast scheint es, daß ich mich verwandelt habe!
Was ist das Herz auch nur so reichgestimmt
An Tönen und an Weisen fast so voll
Wie Instrumente, wo man immer glaubt,
Der Künstler hätte seinen letzten Schatz,
Die Fülle seiner Melodieen ausgegeben,
Und immer, immer wieder bringt der Finger
Ein ungeahntes, neugefügtes Tonstück
Tief aus dem unerschöpften Born hervor.
Vernehmt, wie mir es mit der Prüfung ging.
Jochai (bei Seite).
Was werd' ich hören?
Silva. Ja, Jochai.
Wie ich mich mit dem Buche so verschlossen
In stille Einsamkeit auf meine Kammer
Und in den Paragraphen las und las,
Da weiß ich nicht, es hat mich wunderbar
Doch manches innerlichst davon ergriffen,
So manches hat in mir den Denker wieder
Mit allgewalt'gem Zauber aufgeregt!
Und immer rief's in mir: Unmöglich! Nein!
Du darfst den Irrenden an Priester nicht,
An sie den Schüler Platos nicht verraten.
Und gerne hätt' ich manches in die Thora,
In unsern Talmud eingezeichnet, was
Bei vielem Falschen, vielem Unbewiesenen
Ich Tiefgedachtes doch zu lesen fand –
Doch da es dort nicht steht und ich gelobte,
Nach Talmud und der Thora ihn zu richten,
So schrieb ich nur dies eine Wort am Ende
Des ganzen Buchs: Der Autor ist kein Jude.
Jochai. Kein Jude! Das ist Doppelsinn –
Silva. Doch nicht!
Ich schrieb, was ihn als Jude muß verdammen.
Doch ist er Jude? Braucht er diesem Elend
Des Fluches, dieser schimpflichen Verfolgung
Sein Haupt zu beugen? Nein! Acosta hat
Ein Recht, wenn er es will, sich Christ zu nennen!
Jochai. Silva?
Silva. Dann wär' Euch Judith unverloren –
Jochai. Was sagt Ihr? Uriel ein Christ?
Silva. Sein Vater
Schwur einst in Portugal den Glauben ab,
Ward Christ und seine Kinder hat erzogen
Das Jesuitenkloster in Cuença.
Als sie vom Tajo sich hierher geflüchtet,
Sind sie zum Judentum zurückgekehrt –
Ob Uriel auch? Es steht in seiner Macht,
Wenn er es will, sich Christ zu nennen.
Jochai. Christ?
Das müßte ihn von Judith ewig trennen – –
Silva. So ist's! Und nun ans Werk der Rettung! Ihr
Aus Haß – ich richt' Euch nicht – und ich –? Genug,
Hier tretet in die Laubengänge ein!
Ich höre, daß der Sanhedrin erfahren,
Acosta wäre hier bei Vanderstraten.
De Santos wird den Fluch der Kirche bringen,
Kommt er, der Bote der Notwendigkeit,
Dann tretet vor – ich muß zurück mich halten –
Und sagt: Acosta, du bist Christ! Ihr nehmt,
Weil Judith nimmer Christin werden dürfte,
Dem Argwohn Eurer Liebe jede Nahrung –
Und mir, der ich nicht glaube, was Acosta
Zu glauben sich beredet, aber der
Ich Achtung vor dem Denker fühle, mir
Erspart es doch – vor Plato zu erröten.
(Er geht. Jochai folgt in freudiger Spannung.)
Manasse und andere Gäste. Herren und Damen kommen die Stufen der Estrade herunter.r
Manasse. Was sagst du, Simon – Priester an der Pforte?
Rabbi de Santos? Eine selt'ne Ehre!
(Uriel und Judith folgen.)
Uriel. Sie sind's –
Judith. Was habt Ihr, – blickt doch frei und offen,
Wo ist de Silva? (Die Musik hört auf.) Ei, die Musiker!
Was hört ihr auf, Vermittler spröder Seelen?
Schlägt euch so mitten in dem Takt der Wind
Die Notenblätter um?
Uriel. Blickt dorthin, Judith;
Die Priester sind es mit den Widderhörnern!
(Alle blicken mit dem Ausdruck des Schreckens auf die Estrade.)
Rabbi Santos begleitet von vier Rabbinen, die langsam und feierlich kleine gewundene Widderhörner an den Mund setzen und einen tiefen und lang ausgehaltenen Ton blasen. Sie treten oben auf und verweilen auf der Estrade. Die Vorigen. Später Jochai und Silva.
Manasse (nachdem die Rabbinen jenen einen feierlichen Ton geblasen).
Das Zeichen der Verfluchung! Und das hier
In meinem stillen Frieden. –
Santos (von oben mit feierlicher Stimme).
Widderhörner
Begrüßen Euch! Gedenket Abrahams,
Der seinen Sohn dem Herrn wollt' opfern.
Da sprach der Herr, Herr Zebaoth;
Geh' hin Und opf're für den Sohn das Tier, den Widder,
Der neben Dir in dem Gezweig der Büsche
Mit seinem Horne sich verfangen hat.
Und Abraham zerschnitt des Sohnes Bande
Und opferte das Tier für den Gerechten.
Wer sich auf Adonai hier bekennt,
Der trete seitwärts! Gott verschmäht das Opfer
Der Söhne Abrahams – Acosta, du!
Du sei allein –!
(Alle gehen von Uriel auf die andere Seite. Judith zaudert.)
Santos. Und Vanderstratens Tochter?
Bekennst du dich nicht auch auf Adonai?
(Judith geht langsam und zögernd zu den Uebrigen. Jochai und de Silva treten auf.)
Uriel (für sich).
Auch sie! – O der Magnet des Wahns zieht mächtig!
(Zu Santos.)
Glaubst du dort auf dem Sinai zu stehen?
Hat Moses dich zu seinem Mund erwählt?
Wer hat dir über mich Gewalt gegeben?
Santos. Wenn du ein Jude bist, so weißt du's – Gott!
Jochai (dazwischentretend).
Ihr Herren, was geschieht hier? Wie, de Santos,
Wollt Unglück Ihr auf uns're Häupter laden?
Wir haben wohl in Amsterdam die Macht,
Im Schoße der Gemeinde Recht zu sprechen
Nach unsern heil'gen Bräuchen und Gesetzen –
Doch über Juden nur – Acosta ist
Ein Christ.
Alle. Ein Christ?
Judith. O Gott!
Jochai. Ihr wollt ihm fluchen?
An einem Christen habt Ihr keinen Teil!
Judith (zur Seite).
Was ihn errettet, ist für mich der Tod.
Santos. Wenn Uriel Acosta Christ – verstummt
Mein Mund. (Legt segnend die Hand auf die Uebrigen.)
Gott segne Abrahams Geschlecht!
Uriel. Wer redet da? Wer sagt –
Jochai. Dein Vater hat
Mit seinem ganzen Haus in Portugal
Den Glauben seiner Väter abgeschworen.
Noch seid durch keinen öffentlichen Akt
Ihr wieder heimgekehrt zu Jakobs Stämmen,
Ihr seid ein Christ! Viel Ehre muß uns dünken,
Daß Ihr bei Euern Knechten hier verweilt.
Manasse. Geh'n wir zu unserm Fest! Der Christ Acosta
Verzeiht, daß wir dabei in Speis' und Trank
Den Sitten unsers Volks uns fügen müssen.
Uriel (außer sich).
Ich wäre Christ? Soll mir ein frecher Spott
Die Hinterthür des falschen Mitleids öffnen?
Als Kind schon im Gesetze lesen lernend,
Ward plötzlich ich getauft. Kein lichtumfloss'ner
Geweihter Priester hatte uns bekehrt.
Den Vater, Mutter, Schwester und die Brüder –
Nicht mit Legenden wurden wir gewonnen –
Auch nicht mit Gold – Gevatter stand bei uns
Der Henkersknecht der Inquisition.
Am Scheiterhaufen gingen wir vorüber
In eine Christenschule sieben Jahre –
Mit bangem Herzen! – Wenn die Furcht der Quell
Des Glaubens ist, so war'n wir fromme Christen!
Doch wunderbar die Milde der Gewöhnung!
Am Hochaltar, im Meßgewande bald
Das gold'ne Rauchfaß tragend, bald im Chor
Die Responsorien dem Priester singend
Und christlich Wissen in der Schule lernend,
Fühl' ich mich glücklich, damals mehr als Talmud
In meine Seele eingeprägt zu haben.
Was ich geworden, ward ich nur als Christ.
Im frischen Strom der Bildung durft' ich baden,
Ein Mensch, ein freier, in dem Ganzen weben,
Die Luft war mein, der warme Strahl der Sonne,
Am Grün des Waldes labt' ich frei den Blick –
Was alle liebten, durft' ich wieder lieben,
Was alle fürchteten, war meine Furcht,
Und jeden Pulsschlag einer großen That,
Ein jedes Atmen der Geschichte fühlt' ich
Wie alle Menschen in mir selber wieder.
Ein Portugiese war ich, hatte Heimat,
Ein Recht des Daseins, hatt' ein Vaterland! –
Da folgten wir des Vaters andern Brüdern,
Die hierher zogen in die Niederlande.
Erst jetzt erschienen sie sich wieder frei.
Ein jeder eilte sich, den Tropfen Taufe
Aus seinem Blut, wie unrein, wegzuwerfen,
Und was der Vater that, das galt vom Sohn –
Von meiner Mutter – alle sind sie wieder Juden.
Ob auch von mir, der ich ein Jüngling schon
Nach Amsterdam gekommen, ob auch ich
Den milden Gabriel, wie ich getauft,
Mir in den finstern Uriel wandeln will –
Das steht mir frei und – offen sag' ich Euch,
Ins Allgemeine möcht' ich gerne tauchen –
Und mit dem großen Strom des Lebens geh'n!
Daß ich's nicht thue – fragt mich nicht, warum?
Was ist's, das Joseph in Aegyptenland,
Als er die Brüder sah, die ihn verkauften,
Doch Freudenthränen weinen ließ? Was ist's,
Das uns bei allem Abscheu vor dem Wust,
Der uns als Sitte folgte aus dem Osten,
Doch bindet, gleich als wenn wir Brüder wären,
Die wir weit selt'ner, als wir scheinen, sind?
Die Ehre ist der Kitt des morschen Bundes,
Die Ehre nur ist's, die mich Euch verpflichtet!
Wenn Ihr so leidlich wohl in Amsterdam
Als Menschen angesehen seid, bleibt Ihr doch
Ein schüchtern Wild aus einem fernen Walde,
Das zitternd stutzt vor jedem Christengruß.
Ein Argwohn nur – Ihr müßt von dannen zieh'n
Des Ahasveros Söhne müßt Ihr wandern
Und wandern, wandern, wandern ruhelos –
Und weil ich nicht im Schatten ruhen will,
Als Christ mich in dem Grün behaglich streckend,
Indessen Ihr im Staub der Straße zieht –
So will ich leiden mit den Leidenden –
Ihr dürft mir fluchen! Denn ich bin ein Jude!
Santos. Seid Ihr nur Jude, um uns zu verhöhnen,
So wär' Euch besser, Ihr bliebt Gabriel!
Die Schrift, von dir geschrieben, ist den Flammen,
Bei uns bist du dem Bannfluch heimgefallen.
Gebet aus deinem Munde fährt ins Leere!
Der Atem, den du atmest, ist die Pest.
Gift ist der Blick aus deinem Auge, Lähmung
Macht Kinderspott aus deines Leibes Gliedern.
Das ist der Fluch, der über dich verhängt!
An jeder Thüre, wo du wandernd pochst,
Da öffne dir ein Feind! Wenn du erkrankst,
Sei Gift in jedem Glas, das man dir reicht,
Und naht sich dir der Todesengel einst,
So stirb am Weg, das Haupt gen West gerichtet
Alle (mit gesenktem Haupte). Wehe!
Uriel (für sich).
Mich schaudert! Nicht für mich, nein, für den Wahn,
Der so sich täuscht, dem Himmel zu gefallen!
Santos. Ein Blinder sollst du an den Häusern tasten,
Und Fluch der Hand, die einen Stab dir reicht!
Fällst du, dann öffne sich der Erde Schlund,
Verschlingend dich, wie Datan und Abiron –
Alle (mit gesenktem Haupte). Wehe!
Santos. Die Kirche stößt dich aus, verflucht durch mich
Den Leib, der dich geboren.–
Uriel. Mutter!
Santos. Fluch dem Freund,
Der dir im Elend je die Treue hält –
Fluch allem, was sich dir verwandt noch fühlt –
Was sich dir naht, was du berührst, ist tot!
Verschmachten wirst du in dem Durst nach Liebe,
Nie giebt sich dir ein liebend Herz des Weibes –
Judith (tritt mutvoll hervor).
Das lügst du, Rabbi!
Manasse. Wie? Verwegene.
Silva. Führt sie hinweg, Jochai!
Jochai. Die Verrät'rin!.
Judith. Verraten will ich mich und Euch! Verrat
An Euch ist Himmelstreue! Zittert Ihr,
Daß Fluch aus solchem Munde Segen bringt?
Verdammt die Götter, die wir beide glauben!
Es sind die wahren, ihnen lernet beten!
Er wird geliebt! Glaubt besseren Propheten!
(Sie stürzt an Uriels Seite.)
Santos. Die Kirche sieht statt eines Opfers zwei –
An diesem Ort kann kein Gerechter weilen.
(Entfernt sich mit seinen Begleitern, indem er die Terrasse heruntersteigt und zur Seite abgeht. Alle folgen in Bestürzung. Während dessen)
Jochai (zu Manasse und Judith).
Die Himmelsfrage ist mir wenig wert –
Ich sehe nur, was menschlich, den Verrat!
Und dennoch glaub' ich auch den alten Göttern,
Sie lehren uns das Süßeste! die Rache!
(Er geht mit dem übrigen Teil der Gäste. Alle sind abgegangen bis auf Manasse, Uriel und Judith.)
Manasse. Wie sich aus diesem Traum erwachen läßt,
Wie diese That dem Leben einzufügen,
Das weiß ich nicht und stell' es dem anheim,
Der mir die Erde zu regieren scheint,
Dem schadenfrohen Zufall! O, mein Kind,
Jetzt ist das Hergebrachte einzulenken –
Das ist nicht leicht! Acosta bleibt einstweilen
Mit Euerm Fluch auf dieser meiner Villa –
Die Musen hier, die werden Euch nicht flieh'n –
Ich aber muß zurück nach Amsterdam –
Du wirst mir folgen, – Judith – in die Sitte!
Was dann zu thun, das sei mit Schmerz erwogen! (Er geht.)
Judith. So bist du mein, erobert durch die Wahrheit!
Und daß ich frei die Zeichen meiner Liebe
Darf ferner tragen vor der Welt, so eil' ich,
Das Herz des Vaters günstig umzustimmen.
Hab' ich dem Gott gehorcht, den du mich lehrtest?
Dem Gott, der aus des Herzens Flammen spricht?
O laß uns hoffen! Folge mir, mein Freund!
Wer mutig will, der hat die Welt gewonnen.
(Folgt dem Vater mit Uriel.)
Der Vorhang fällt.