Karl Gutzkow
Uriel Acosta
Karl Gutzkow

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Erster Aufzug.

Das Bibliothekzimmer bei de Silva. Dämmerung.

Erster Auftritt.

De Silva. Ben Jochai.

De Silva (die hintere Thür öffnend und Jochai vor sich einlassend).
Ihr denkt, Ihr kämt mir wieder so davon?
Nein, nein! Die Schwelle ist einmal betreten –
Nun auch geblieben, Ben Jochai! – Endlich
Daheim! Ein Arzt – o vielgeplagter Stand!
Entschuldigt mich, wenn Ihr habt warten müssen!
(Nachdem er während dieser Worte seinen Hut abgelegt hat, reicht er Jochai die Hand.)
Willkommen denn in Amsterdam!

Jochai.                                                   De Silva,
Ich dank' Euch!

Silva.                         Und wie Ihr anders wiederkehrt,
Als Ihr geschieden seid vor sechzehn Monden!
Die Sonne hat Euch schnell gereift.
An dieser Stelle, hier, vor meinen Büchern
Drückt ich den Abschiedskuß auf eines Jünglings
Noch ungefurchte Stirn. Ihr kehrt zurück
Als Mann! Ja mehr, ich lese, Ben Jochai,
Auf dieser Stirne Sorgen – Hat die Heimat,
Die neue, Euch, den reichsten Erben Hollands,
Stiefmütterlicher Laune wohl begrüßt?

Jochai. Es ist das Amsterdam, wie ich's verließ.
Der junge freie Bürgergeist gekräftigt –
Von alten, span'schen Leiden schnell getröstet
Durch seines Handels Glück und in dem Glück,
In diesem bunten Wirrwar seiner Häfen,
In diesem Stolz auf selbsterrung'ne Freiheit
Doch immer für uns Söhne Israels
Der duldend milde Brudersinn wie sonst –

Silva. Der Handel schätzt das Geld, das unser Volk,
Als es aus Spanien, Portugal hierher
Geflüchtet, vor der Hermandad verborgen!
Und wollt Ihr's tiefer fassen, läßt man uns
Nach unserm Willen hier in Amsterdam
Aus zween Gründen – lächelt nur, Jochai!
Ja! Ja! Noch immer sucht de Silva das,
Was klar zu machen, weislich einzuteilen.

Jochai (indem er de Silva gezwungen lächelnd die Hand reicht).
Auch darin find ich nichts verändert. Silva,
Der Arzt, der Kenner der Natur, die Zierde
Der Wissenschaft in Amsterdam und, was
Mit Dankbarkeit zu rühmen, unser Lehrer
Hat noch sein Erstens, Zweitens nicht vergessen.

Silva. Und jedem Wohl, der so zu denken lernte.
Ich halt es mit dem Aristoteles,
Der auch –

Jochai.               Ihr wolltet von den Juden sprechen.

Silva. Wohl, wohl! Wenn hier die freie Republik
Von Holland unser Volk nicht haßt, nicht grausam
Wie andern Orts, in Spanien, Portugal,
Am Rhein und an der Donau uns verfolgt,
So ist es, denk' ich, erstens, weil ein Volk,
Das so wie hier zu Land die Bibel ehrt
Und aus dem Urquell seinen Glauben schöpft,
Auch uns, die wir in finstrer Heidenzeit
Die Offenbarung eines Einen Gottes
Wie eine ew'ge Lampe pflegten, ehrt,
In uns die Hüter der Verheißung ehrt,
Die Söhne Davids ehrt, aus deren Stamm
Sein Heiland, der ein Jude war, entsprossen.
Und andernteils spricht immer noch für uns
In diesem Dünenland das Blut, aus dem
Die junge Freiheit der Provinzen sproßte.
Denn junges Volk, das selbst erfahren hat,
Wie weh die Knechtschaft thut, wird Brüder nicht
Aus einem blinden Vorurteil verfolgen.
Der Niederländer schuf aus seinen Ketten Schwerter –
Und aus den sieggekrönten Schwertern wieder
Für andre Dulder Sklavenketten schmieden,
Das wahrlich thut kein edeldenkend Volk.
Das sind die zween Gründe. Und nicht wahr,
Man pries Euch auswärts glücklich, als Ihr sagtet,
Ihr kehrtet heim zu uns, nach Amsterdam?

Jochai. Ich that es selber. Hoffnungsvoll stieg ich
Die Berge nieder in dies Inselland
Und fand auf einem Schiff, das träge sich
Durch die Kanäle schleppte – Muße –

Silva.                                                           Froh
Des Wiedersehens zu gedenken, wie
Ihr Judith naht, sie kaum den Augen traut,
Den Freund und ihren Gatten bald umarmt –
Ihr kommt von Vanderstratens Villa? Nicht?

Jochai. Erlaubt, daß ich mich ruhe. (Er setzt sich.)

Silva.                                               Sonderbar!
Ihr scheint erschöpft. Es drückt Euch Unmut? Redet!

Jochai. Drei Tage lang hat mich Manasse draußen
Mit ihm gewohnter Gastlichkeit bewirtet –

Silva. Und Judith? Eure Braut! Euch angelobt
Schon durch den Wunsch der Eltern in der Wiege!
Schon Euer durch das Schlummerlied der Amme!
Im Spiel der Jugend Eure Königin!
Welch schöne Blume, rühmen darf ich sie,
Ist sie auch gleich die Tochter meiner Schwester.

Jochai. Das Schlummerlied der Amme? O, de Silva –
Ich fürchte – Eure Nichte straft es Lügen!

Silva. Wie?

Jochai.       Laßt Euch kurz erzählen, was ich sah.
Ich lag in Vanderstratens Arm, er nannte
Mich Sohn und pries mir Judiths Treue. Dann
Zerfloß sein Herz von seinen Wunderbauten,
Von seinem Park, von seinen Wasserkünsten,
Von Marmorbildern, die er nach Antiken
Sich meißeln läßt in Florenz und Venedig,
Von Rubens und van Dyk, von Licht und Schatten
Und Perspektive – nun wißt Ihr ja, wie er
Mit seiner Midashand gewohnt ist, alles,
Was ihn umgiebt, sich künstlich zu vergolden.

Silva (bei Seite). Statt Gold läuft manchmal wohl auch Kupfer unter.

Jochai. Ihr sagt etwas?

Silva.                             Nicht doch! Ich rechnete
Nur, wieviellötig so ein Midasfinger!
Ich bin kein Freund von seinen Herrlichkeiten.

Jochai. Auch liebt die Börse diese Grillen nicht.
Genug! Mich, der in Rom, Paris, Neapel
Das alles selbst geseh'n, was sich Manasse
Auf Hollands Wiesen nachzukünsteln müht –
Mich hätten diese Tempel angesprochen,
Wenn ihre Gottheit mir erschienen wäre.
Ich suchte Judith. Heißer Sehnsucht, streift' ich
Durch jeden Schattengang des Parks,
Und in dem Drang nach fast zweijähr'ger Trennung
Traf ich sie endlich – nicht allein. (Steht auf.) Ein Fremdling
Sitzt neben ihr in einer Muschelgrotte,
Von wildem Wein und Epheulaub umrankt –
Ein mächtig großer Band von Pergament
Liegt aufgeschlagen vor dem stummen Paar.
Ich trete näher – Judith scheint mich wie
Den Laien vor dem Vorhof eines Tempels
Mit strengem Blicke fortzuscheuchen. Da
Erkennt sie mich und reicht mir starren Auges,
Mit einer Lüge ihres Angesichts sich sammelnd,
Die kalte, fieberfrost'ge Hand entgegen.
Mein Schweigen frägt, wer dieser Fremde wäre?
Mein Lehrer! spricht sie stolz und hochbegeistert;
Und diesem wieder mich enträtselnd, haucht sie:
»Dies mein Verlobter –!« wie im matten Echo –
Erblassend richtet sich der Fremde auf,
Läßt ihre Hand aus seiner Rechten gleiten
Und in mir selbst wie schlaggelähmt und fiebernd,
Ermann' ich mich, den Namen ihn zu fragen.

Silva. Er nennt sich Uriel Acosta.

Jochai.                                           Ha!
Nicht wundern darf ich mich, daß Ihr ihn wißt,
Der Diener Mund, Manasse's scheuer Blick,
Im Parke jedes Marmorbild verriet's,
Daß Eure Nichte – mir die Treue brach.

Silva. Ich höre staunend Euren Worten. Ja,
Was Ihr mir schildertet, es mag, ich glaub' es,
Auf ersten Blick Euch wohl befremdet haben;
Doch irrt Ihr sehr im Grunde! Judiths Kälte
Ist Liebe nicht für Uriel Acosta –
Im Stillen sah ich diese Dinge reifen.
Ein junger Denker, der dem Studium
Der Rechte erst sich zugewendet, ward
Seit Eurer Reise plötzlich aller Orten
Als Mann von Geist gerühmt, als Forscher nicht.
Ich schätze, wie er schreibt, nicht, was er schreibt.
Die süßen Laute von Oporto schweben
Noch angenehm auf seiner Zunge. Ja,
Als hätt' er gestern erst am Tajo Trauben
Vom sonnigen Geländer sich gepflückt,
So schreibt er noch das reinste Portugiesisch.
Doch ohne Neigung ist sein Herz für Juda, –
Die Terebinthen Mamres sind ihm fremd,
Im Dornbusch sah er nie des Herren Antlitz –
Wohl hält er sich an die verwandten Brüder,
Doch von der Synagoge bleibt er fern –
Halb Christ, halb Jude schwebt er in den Lüften,
Erhebt den Zweifel auf den Thron des Glaubens
Und hat, durch Zufall sich Manassen nähernd,
Sein Kind – nicht mit dem Netz der Liebe, nein,
Mit seinem Denken nur so eng umgarnt,
Daß sie sich besser glaubt als andre Wesen,
Das Uebliche verachtet und ihr Herz.
Ihr müßt sie nehmen, wie sie sich Euch giebt,
Sie wird sich ändern, ist sie wieder Euer.

Jochai. Bewundern ist und lieben Eins beim Weib,
Der mehr Bewunderte ist mehr geliebt!
Ich will in keines andern Schatten steh'n
Und würfe ihn der höchste Ruhm! Manassen
Kenn' ich als schwachen, willenlosen Mann!
Ihr seid die Seele des Familienrats;
Geht hin! Ruft sie zusammen, Eure Sippe,
Die Muhmen und die Schwäger, führt Acosta
Als Eidam ein –

Silva.                           Zu ungestüm, Jochai!

Jochai. Ist Euch der andre werter als Verwandter –
So nehmt ihn auf –!

Silva.                               Wo denkt Ihr hin, mein Sohn!
Ihr sprecht von meinem Feind!

Jochai.                                             Von Euerm Feind!

Silva. Ich gönne meinem Feinde niemals Schlimmes;
Und gönn' ihm auch das Gute. Doch ich selbst
Mag seines Glückes Schmied nicht sein, noch wen'ger
Mit ihm in Bande der Verwandtschaft treten.
Seit wenig Tagen ist ein Buch erschienen
Von Uriel, worin er manches, was
Ich früher selbst in Glaubenssachen schrieb,
Sophistisch wieder aufzuheben sucht.
Mein Schüler war er und bekämpft den Lehrer.
Dies Buch trennt ihn von seinem Volk, trennt ihn
Von seinem Glauben, also auch von mir.

Jochai. So laßt uns beide denn gemeinsam handeln!
Ich liebe Judith, ja ich fühlte dies
Bei ihrem Anblick flammender denn je;
Doch muß die Wolke weichen zwischen ihr
Und meinem Glück und meinem heil'gen Recht;
Um beides schäm' ich mich zu betteln. Silva,
Wollt Ihr der Dolmetsch meiner Zunge sein,
So redet! Denn der wahre Stolz ergreift
Für sich nicht selbst das Wort. Es dunkelt – wie
Nach langem Tagwerk sehnt Ihr Euch zur Ruhe?

Silva. Ihr geht – nach dieser Kunde? Nein, Ihr solltet
Mir weitre Proben des Verdachtes nennen
(Er sieht den Diener eintreten).
Was ist? – Nur einen Augenblick – (Zum Diener.) Was soll's?

Zweiter Auftritt.

Diener. Die Vorigen. Dann Uriel.

Diener. Ein Schüler, deß ich mich aus alter Zeit
Entsinne, wünscht zwei Worte nur – ich weiß,
Ihr habt ihn lieb gehabt, ich ließ ihn kommen.

(Er tritt zurück, läßt Uriel herein und geht. Uriel tritt ein.)

Jochai (bei Seite).
Er selbst!

Silva (bei Seite). Acosta?

Uriel.                               Stör' ich Euch, de Silva.

(Drückende Pause.)

Silva. Kommt Ihr zum Arzt de Silva? – seid willkommen!
Ein Arzt darf auch dem Feind sich nicht entzieh'n.

Uriel. Dem Feind, de Silva? – Meinen Lehrer will ich
Zum Abschied, eh' ich scheide, noch begrüßen.

Jochai (bei Seite).
Zum Abschied?

Silva (will Jochai vorstellen). Ben Jochai! Kennt Ihr ihn?

Uriel. Wir kennen uns.

Jochai.                         Ihr macht mich staunen – wie?
Ihr wolltet – sagt Ihr – Amsterdam verlassen?

Uriel. Von wo Ihr kamt, Jochai, dahin geh' ich,
Und morgen schon mit erstem Sonnenstrahl.
Ich will die Welt, will andre Menschen seh'n.
Und weil ich jedem, den ich lieb gehabt,
Noch einen Gruß zum Abschied bieten wollte,
So kam ich auch zu Euch, de Silva! Hier
Nehmt meine Hand!

Silva (weist sie zurück).     Die Hand, die eben noch,
Was ich mit eifrigstem Bemüh'n erforscht,
Wie eine abgestandene Arzenei
Zum Fenster ausgeschüttet hat?

Uriel.                                                 De Silva?
Ich sagte schon, ich käme nicht zum Arzt!
Zum Denker Silva bin ich nur gekommen.
Und wenn im Denken ich gesund nicht bin,
Was ich mir selber kaum zu rühmen wage,
So wißt Ihr, was die Heilung anbetrifft,
Die kranke Seele muß sich selber helfen.

Silva. Zu meinen Füßen habt Ihr einst gesessen!
Von mir gelernt, was der Gedanke ist –
In Eurer Schrift bekämpft Ihr Euren Lehrer!

Uriel. Ich staune – kann man denken lernen, Silva?
Giebt's Schüler denn und Lehrer im Bereich
Der höchsten Wissenschaft, wo jeder Satz,
Wie einst aus Ajax' Blut die Blume, also
Aus unserm Innern sich erzeugen muß?
Ich habe unser altes Lehrgebäude,
Das halb aus Schrift und halb aus Tradition,
Aus heilgen und profanen Büchern wurzelt,
Beleuchtet mit der Fackel der Vernunft.
Nicht in dem Wahn, das Wahre aufzufinden,
Das Jeder anerkennen müßte, nein,
Nur meine eigne Thorheit ließ mich reden,
Nur meine eigne Blindheit ließ mich sehen,
Nur meine eigne Taubheit hören – meine!
Das merket wohl, de Silva, nur die meine!
Nur was wir selber glauben, glaubt man uns.

Silva. An Eurer Statt würd' ich zu Christen halten.

Uriel. De Silva!

Silva.                 Dann verzeihe Gott dem Juden,
Daß er den Glauben seiner Väter schmäht!
Die Edelsten, die Besten sind empört,
Was Ihr geschrieben über unsern Glauben!
Die Synagoge hat mit ihren Dogmen
Ein heilig Recht auf liebende Verehrung;
Denn grade jetzt, wo wir entronnen sind
Dem Feuertod fanatischer Verfolgung,
Jetzt endlich, wo zum ersten male wieder
Das Lob des Höchsten wie ein Opferrauch
In Lüfte, die uns nicht verraten, steigt,
Jetzt soll die junge Freiheit dazu dienen,
Daß wir zerstörten, was so lang' gehalten,
Was felsenfest im Elend unsers Volks
Der Anker seiner Hoffnung bleiben durfte?
Nein, nimmermehr! Und wenn mein eigner Witz,
Wenn die Vernunft mit klugem Selbstgefallen
Mir sagte. »Das ist morsch und tot,« so helfe
Der Ew'ge uns, wir wollen's dennoch schützen,
Wir wollen halten an dem teuern Wahn,
Wie man auch einen alten Diener, der uns
Im Elend treu blieb, nicht im Glück verstößt.

Uriel. Was ich an Euch verehre, ist das Herz.
Rasch seid Ihr in der Liebe, rasch im Haß.
Ein edler Sinn verklärt selbst Euern Irrtum!
Ihr habt in meiner Schrift nur erst geblättert –
Les't sie und wiederholt nicht gläubig,
Was Eure – Kranken Euch davon berichten!
In guter Absicht bin ich hergekommen,
Abschied zu nehmen, nicht von Euerm Haß,
Nicht von dem schwankenden Gemüt de Silvas,
Vom Denken nicht, das doch kein ganzes Denken,
Kein ganzes Fühlen, nur ein Dämmern ist,
Wie eben jetzt nicht Tag, nicht Abend scheint –
Nur Abschied wollt' ich friedlich nehmen, Silva,
Von Euerm weißen Haar – Lebt wohl! – ich ahne,
Wir werden uns wohl nimmer wiedersehen.

Jochai. Vergebt, Acosta, daß ich mir das Wort,
Deß Ihr mich nicht gewürdigt, selbst erlaube!
Wenn ich Euch irgendwo auf Eurer Reise
Mit unsrer Kundschaft dienen kann –

Uriel.                                                         Zu gütig!

Jochai. Befehlt, ich bitte, – geht Ihr nach Paris?
Ein Brief von unserm Hause führt Euch ein
In manchen goldenen Palast – und wenn
Ihr Londons Weltgewühl –

Uriel.                                           Nach Süden zieh' ich –
Vielleicht nach Deutschland. Kennt Ihr Heidelberg?
Ich suche irgendwo ein stilles Thal,
Wo ich mit Quelle mich, mit Gras und Blume,
Und wenn die Zunge freier reden will,
Mit Waldgefieder streitend unterhalte.

Jochai (bei Seite).
Ich atme auf.

Silva.                     Und Judith läßt Euch ziehen?

Uriel. Und Judith? Warum fragt Ihr das?

Silva.                                                       Ist sie
Nicht Eurer Weisheit treue Schülerin?

Uriel. Sie wird jetzt in des Lebens Schule geh'n!

Silva. Für Frauen das die beste. Fragt nur da
Den künft'gen Gatten Eurer Schülerin,
Ob er nicht gleicher Meinung?

Uriel.                                               Nein, Jochai!
Entsagung lernen steht auch Reichen schön.
Löscht alle Kerzen aus, die Ihr zur Pracht
Auf Eurem Hochzeitsfest verbrennen wolltet.
Ihr braucht für Judith nichts, was eitel glänzt,
Braucht goldne Becher nicht für ihren Trunk,
Braucht Silber nicht für ihr bescheiden Mahl –
Im Vollgenuß des väterlichen Glücks
Hat sie gelernt die Freuden des Entbehrens.
Sich selbst genügen – lehrte meine Weisheit!
(Sich vergessend.)
Und wenn Ihr doch sie überraschen wollt,
Mit einem goldnen Dache sie umwölben,
Doch aller Lebensfreuden Duft ihr spenden,
Dann ist sie's wert! Sie stieg vom Himmel nieder,
Die Erde hat nicht Teil an ihrem Stoff –
Sie ist ein Schatz, vergraben unter Euch,
Ein Seraph, der die Grille hegt, sich menschlich
Als wäre sie die unsre, anzustellen!
Berührt sie nie mit einer Hand, die eben
Vielleicht im Haufen schnöden Goldes wühlte!
Jochai, zu ihr beten müßt Ihr, nahen ihr,
Wie man den Heil'gen naht! O laßt mich ziehen!
Der Blick auf das, was Euch zurückbleibt, kann
Den Abschied nicht erleichtern. So mit Gott –!
(Will rasch ab.)

Dritter Auftritt.

Die hintere Thür öffnet sich. Zwei Tempeldiener, jeder mit einer großen brennenden Kerze, treten ein. Rabbi Santos mit einem Buch in der Hand. Die Vorigen.

Santos (bei Seite).
Acosta?

Silva (bei Seite). Rabbi Santos?

Jochai (bei Seite).                       Welcher Aufzug!

Santos. Verweilt, Acosta, daß Ihr selbst vernehmt,
In welcher Sendung ich zu Sylva komme.

Silva. In welcher Sendung? Rabbi, diese Lichter?

Santos. Noch vor der dunkeln Nacht? De Silva, ja,
Dies Licht am Tag ist die Vernunft Acostas,
Die heller sein will als die Offenbarung.

Uriel. Die beiden Kerzen scheinen Euch die Sonne?
Was soll ich hier? Was hätt' ich zu vernehmen?

Santos. Dies Buch, de Silva, schickt die Synagoge
An Euch, den weisen, hochgelahrten Kenner
Des Glaubens und der heil'gen Glaubensquellen.
Ihr sollt, so ist der Auftrag der Gemeinde,
Dies Buch nach redlichem Gewissen prüfen;
Nicht nach den Formeln der Philosophie,
Nein, prüfen sollt Ihr nur, ob diese Schrift
Im Einklang mit dem Judentume steht,
Ob der, der solch ein Buch zu schreiben wagte,
Noch ferner sich zu Jakobs Söhnen zählen,
Noch länger auf Verheißung hoffen darf.

Silva. Wo der Gehorsam schon mich ehren muß,
Wird Ehre Ruhm bei solchem hohen Auftrag.

Santos. Bedeutet dieses Licht (auf die Kerzen deutend) des Autors Seele,
So will die Synagoge und der Vorstand
Erfahren, ob sie länger noch darf flackern
Unrein im reinen Lichtmeer der Gemeinde.
Dies ist das Buch! In sieben Tagen will
Der Rat der Drei von Euch die Botschaft hören,
Und so Ihr sie gedenkt zu geben, dann
Bestätigt mir's mit zwei geschriebenen Worten!

(Silva nimmt das Buch, schlägt es auf und erschrickt, da er sieht, daß es Uriels Schrift ist.)

Uriel. Sagt's nur heraus, de Silva! Sagt es frei,
Ich bin's, dem Euer blinder Glaubenseifer
Das Licht der Seele auszulöschen droht!

Silva. Ihr seid der Angeklagte, Uriel –

Santos. Sprecht Ihr in mitleidsvollem Ton? Dies Buch
Sei Euch ein Buch – den Autor kennt Ihr nicht.

Silva (zu Santos). Hier tretet ein. Zwei Zeilen bürgen Euch
Für den Empfang des schmerzlich-ernsten Auftrags. –
Acosta! – Zitternd fühlt der Mensch die Zügel
Des eignen Schicksals, die ihm unsichtbar,
Sich selbst zu nützen oder schaden, oft
Ein guter Gott in seine Hände giebt.
Doch wie viel schwerer ist es, sich zu wissen
Als eines fremden Loses Vorsehung
Und Stellvertreter des allweisen Richters
Für einen andern, dem wir Schicksal werden!
Es thut mir leid, Acosta, daß ich glaube
An Rufe aus der Höhe, daß ich Gottes Finger
In menschlichem Befehle oft erblicke.
Dies Buch schickt mir mein Volk, schickt Israel,
Ich prüf' es nach dem Talmud und der Thora.

(Geht nach innen. Santos und die Diener folgen.)

Jochai. Ihr seid betroffen, Uriel? Was thut
Euch das? Wenn man auf Reisen ist, verfliegt
Ein fernes Schicksal in die blaue Luft.
Seid Ihr, wo andre Sprachen, andre Sitten
Als einend Band sich um die Menschen flechten,
So wird Euch alles, was auch kommen mag,
Was man auch brieflich Euch vermelden dürfte,
Wie eine Fabel klingen, die Euch nicht berührt.
Lebt wohl! Nehmt guten Mut auf Eure Reise! (Ab nach außen.)

Uriel. Du glaubst, daß ich noch jetzt in ferne Thäler
Mich selbst verbannen würde dir zu Liebe?
Weil ich schon einmal zagend mich und Judith
Vor einem Kampf des Herzens retten wollt,
Soll ich auch jetzt den Kampf des Geistes flieh'n?
Das war gefehlt! Wer Wahrheit will bekennen,
Darf ihr die höchste Glorie nicht entzieh'n,
Den Ruhm des Mutes, den die Wahrheit giebt.
Was kann in mir von Flucht noch weiter sprechen?
Jetzt muß ich bleiben, wenn auch Herzen brechen. (Ab.)

Der Vorhang fällt.


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