Agnes Günther
Die Heilige und ihr Narr
Agnes Günther

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Neunundvierzigstes Kapitel: Gefangene besuchen.

Auch die große Leinwand ist nach Brauneck hinübergewandert und steht im Ehrensaal. Die Beleuchtung ist ja lange nicht so gut zu regeln wie im Atelier, und alles Gerät sieht in dem Festsaal häßlich und verloren aus, aber Harro ist es doch lieber so, und er begrüßt es als einen Freund. Sonst scheint das Brauneck eitel Herzweh und Qual zu beherbergen. Die langen Galerien sehen nach Schritten aus, die einer in unruhiger Pein auf- und abgegangen, die Winde seufzen bei Nacht noch ganz anders als auf dem Thorstein, die Rose ist matt, und man weiß keine Stunde, wie man mit ihr daran ist, und ein endloser Regen vermischt die Sonnenherrlichkeit. Alfred wankt wieder herum und sieht so sehr nach einem Feldzug aus, daß man ihn der Rose, die ja ohnedies mit sich selbst beschäftigt ist, gar nicht vorzustellen wagt. Tante Ulrike ist fast zärtlich mit ihm und nimmt ihn so bitterernst, daß es Alfred fast selbst zu viel vorkommt. Ihre Schuld ist es nicht, wenn er nicht täglich runder wird. Und nun nimmt ihn Harro in die Kur, weil er doch eine Ablenkung für sich selber braucht, und Alfred lernt zwar nicht Farben reiben, aber sonst eine Menge für ihn nützlicher Dinge.

Zuweilen erlaubt es Tante Ulrikes Gewissen nicht, daß sie bei ihrem Kinde bleibt, und sie wechselt mit ihrer Schwester ab. Sie kommt sehr niedergeschlagen wieder. »Rose, da ist kein Ende abzusehen mit dem Elend da oben. Kein Mensch weiß einen Rat, ich weiß nicht, aber ich muß immer an eine Maus im Käfig denken. So fährt sie hin und her und so sitzt sie in den Winkeln. Man kann sie nur ruhig halten, wenn man von dir und Harro spricht. Namentlich von Harro will sie hören. Was er jetzt tut, was er dann tut, ob er bei dir ist, ob wo anders. Es belauert ihn immer eine von den armen Seelen oben und berichtet.«

Uli kennt doch nicht die ganze Seele ihres Kindes, sonst hätte sie das wohl nicht gesagt. Am Abend, als Harro gute Nacht sagen will, findet er sie so matt und deutlich verweint, daß er aufs neue erschrickt.

»Rose, wer hat der Rose etwas getan? Wer ist auf ihrem Herzen herumgetreten? War ich's und habe es wie gewöhnlich gar nicht bemerkt?«

»Nein, Lieber, du nicht. Du bist es nicht. Aber du sollst mir beistehen, Harro. Du sollst mir helfen, zu Mama hinaufgelangen, ich muß nach ihr sehen. Ich hoffte immer, es würde mir besser werden, daß ich mit Alfred oder Märt hinauf könnte und dich nicht zu stören brauchte, aber es wird ja nicht besser.«

»So, also dazu sind wir hergekommen, Rose? Daß du auch noch hineingezogen wirst in den allgemeinen Strudel! Ich wundere mich nicht, ich wundere mich gar nicht! Und was du nicht stören nennst, das ist ein Euphemismus für die Tatsache, daß es hinter meinem Rücken geschehen soll.«

»Lieber Harro, ich habe es ja noch nicht getan, und ich beichte ja.«

»Die Absicht. Rose, die schlimme Absicht... Nein, Rose.... das ist meine Antwort. Und deine Tränen rühren mich nicht. Du weinst sicher weniger, wenn du unten bleibst. Oder soll ich etwa den Herrn Hofrat um Erlaubnis fragen? ...«

Die Rose schwieg, und er ging auf etwas anderes über. Aber er wußte wohl, bei ihrer Hartnäckigkeit war die Sache doch nicht erledigt. Und mit großem Eifer sprach er mit ihr über sein Bild und daß er endlich über die Gestalten schlüssig werden müßte.

Er sagte: »Ich habe unter dem starken Eindruck deiner Erzählung damals, du weißt, von dem Schleier der Gisela, mich hinreißen lassen, dir in deiner Idee nachzugeben. Es war ein künstlerischer Fehler, und ich gedenke das Bild, das mir bis jetzt nicht unwürdig zu geraten scheint, nicht dadurch zu verderben. Wie soll ich denn die Gisela malen, die ich nicht kenne... Es wird eine Kopie von dir ...«

»Nun, wir sind ähnlich, Harro. Versuche eine Skizze zu machen!«

»Das ist unmöglich, und ich wollte, wir ließen dies unfruchtbare Thema fallen.«

»Ich habe sie neulich wieder gesehen, Harro, und nun kenne ich sie ganz. Wenn ich noch sticken könnte, mit der Nadel würde ich das Gesicht fertig bringen. Du hast selbst gesagt, mit der Nadel könnte ich fast alles, was ich wollte.«

»Liebe Rose, du kannst aber nicht sticken, sei doch nicht so hartnäckig...«

Sie lächelte. »Ja, lieber Harro, glaubst du wirklich, daß ich mich noch so viel ändern werde?«

Er lachte. »Gewiß nicht, und es wäre mir wohl auch gewiß nicht recht... Nun, jetzt kommt Hans Friedrich endlich wieder, und du wirst Musil hören und mich im Saal werken lassen.«

Die Rose warf sich die Nacht so unruhig herum, und Tante Ulrike klagte: »Harro, was hast du mit ihr gestern abend gehabt? Ich glaube, sie hat keine Stunde geschlafen.«

»Ulrike,« sagte er ernst, »wohin kommen wir, wenn wir ihr jeden und aber auch jeden Willen tun? Das gibt eine Tyrannis, das gibt eine fürchterliche Tyrannis,« klagte er. »Sie will etwas ganz Unvernünftiges und noch dazu Nutzloses. Was die zweite Sache anbetrifft, so muß ich mir allerdings sagen, daß ich bei ihren künstlerischen Ratschlägen, so unbequem sie mir oft waren, immer sehr gut gefahren bin. Sie hatte leider immer recht, aber diesmal verlangt sie etwas Ungeheuerliches. Ich sehe nicht ein, warum ich denn die große Arbeit, die mich befriedigt, opfern soll.«

»Harro,« wagte die Tante zu sagen, »mit deinen dicken Pinseln kann man doch immer überstreichen.«

»Küchenschränke, Tante Ulrike, gewiß, du verwechselst mich.«

»Oh, ich taste deine sieben Ehren nicht an, aber was können wir machen, kein Plätzchen zum Ruhen fand sie heute nacht. Und Harro, wir können uns das gar nicht mehr leisten, wir können es uns einfach nicht mehr leisten. Es verändert sich etwas, Harro.« Der alten Dame stürzten die hellen Tränen herunter; »ich meine, ich sehe es an ihrem lieben, schönen Gesicht.«

»Ich sehe nichts,« sagte Harro, »und das darfst du mir glauben, wenn ich es nicht sehe, so ist es sicher Einbildung.«

Er ging hinein. »Rose, du hast schlecht geschlafen, habe ich gehört, und dein alter Harro ist in der angenehmen Lage, daran schuld sein zu müssen.«

»Du nicht, Harro, du nicht, ich bin es, ich bin es ganz allein. Ich sehe es ein, du hast recht, es ist zu spät. Ich habe zu lange gewartet. Nun ist die Türe zu, der Bräutigam ist gekommen, und meine Lampe ist ohne Licht.«

Er erschrak heftig. »Rose, alles, nur das nicht. Du fängst jetzt mit religiösen Bedenken an. Ich gehe und hole deinen Herrn Stiftsprediger; wenn der Mann ein Herz im Leibe hat, muß er ein Einsehen haben. Ich glaube, ein Fanatiker soll er nicht sein. Sieh, du warst so hold und selig, und über was du mich alles hinüber getragen hast, das weiß ich vielleicht gar nicht. Und ich sehe ein, ich bin noch zu unverständig, ich kann dir noch nicht alles geben, was du vielleicht brauchst. Aber erklären sollst du mir, was das für eine Tür ist.«

Sie nahm das alte grüne Buch von ihrem Tisch. »Das Wort stand auf der vorletzten Seite: Ich bin gefangen gewesen, und ihr habt mich nicht besucht.«

Die Rose erhob ihre Augen... »Harro, du sagst, es ist zu spät, nun ist's zu allem zu spät. Und Jesus wird dieses Wort zu mir sagen... Sieh, da steht es, und dort, und ich wende mich, wohin ich kann, und sehe ins Licht und in die Dunkelheit, und dem Wort kann ich nicht entgehen. Ich hätte früher aus dem Goldhaus herüber kommen sollen, sowie Mama zurück war, und ich war zu feig und wollte meinem armen Herzen nicht weh tun. Und ich wäre vielleicht noch an der Klinge umgekehrt, wenn nicht die Gisela auf ihrem müden Schimmel mit ihrer armen kleinen Gerte mir den Weg gezeigt hatte. Da nach Brauneck hinüber zeigte sie.«

»Du hast sie gesehen, Rose! Dein Dämon, da ist er wieder. Nein, ich darf ja nichts mehr gegen sie sagen, da sie mir den ungeheuren Liebesdienst geleistet hat.«

»Harro, wenn du sie gesehen hättest dort an der Klinge mit ihrem blutgefleckten Gewand und mit den Augen, die sie hatte, als sie jenen letzten Spruch ins grüne Buch schrieb. Du sagst, sie müsse wahnsinnig gewesen sein, und trotzdem... Ihr Arm zitterte, und auch daran waren die dunkeln Flecken, und doch zeigte sie herüber nach Brauneck. Und als ich am Abend das Buch öffnete, da starrten mich die Worte an, und nun wußte ich, was sie zu mir gesagt hatte.«

»Rose, laß den Dämon, er gibt mir jedesmal einen Herzstoß. Ich kann ihn auch in keinem meiner Weltsysteme, die ich mir gebaut und wieder verworfen habe, unterbringen. Ich will morgen mit dir zu Mama hinaufgehen. Wohl verstanden, du gehst nicht allein. Rose, nun sage, was du dir davon versprichst. Irgend welche Besserung für sie? oder es ist dir nur um eine Befriedigung deiner selbst zu tun!«

»Harro, ich sage dir aus allertiefstem Herzen, es ist mir nicht um mich, es ist mir um sie zu tun. Harro, nur zehn Minuten jeden Tag. Ich muß mich mißhandeln lassen, Harro, und ich möchte nicht, daß du dabei wärest. Du wirst ungeduldig werden und alles verderben. Nur zehn Minuten, Harro.«

»Und da verlangst du, daß ich dich selbst hinauftragen soll, wenn du weißt, daß du mißhandelt wirst!«

»Nur zuerst, Harro, und dann wird es vielleicht besser. Wenn Mama alles gesagt hat, was sie mir sagen möchte. Das erleichtert doch, das tun wir alle. So sagt sie es mir in Gedanken, und das muß sie wohl jeden Tag von neuem beginnen. Denk Harro, die zehn Minuten oder die Viertelstunde, wo mir einmal gesagt wird, wie ich eigentlich bin, und den übrigen langen Tag immer eure Liebe und eure... ich kann's nicht sagen, es erdrückt mich oft. Als ob ich so gar besonders wäre, während ich doch nur tue, was mir Freude macht.«

»Rose, wenn ich dir den Willen tue, so wirst du mit großer Wonne in dein Martyrium hineingehen! Ihr Frauen seid nun einmal so, aber ich ergebe mich noch nicht. Ich gehe zu diesem Herrn Stiftsprediger und sehe, ob der Mann ein menschliches Herz im Busen trägt. Ich verspreche dir durchaus nicht, daß ich ihn dir mitbringe, auch gewiß nicht, ob ich mich seiner Weisheit unterwerfe. Und ich werde dich hinaufbringen und zusehen, wie du geplagt wirst. Ich kann ja immer Schluß machen, wenn es genug ist. Auch habe ich immer einen bändigenden Einfluß auf sie gehabt. Ja sieh, nun machst du wieder deine süßesten Augen. Als ob ich dir wunder was versprochen. Aber was bekomme ich zum Lohn, wenn ich dabeistehe!«

Die Rose lächelt geheimnisvoll... dann sagte sie: »Nachher gehen wir in den Saal. Ich habe alles vorbereitet. Wir reden noch nicht von der Gisela... du malst mich zuerst, und wir streiten jetzt nicht darüber. Ich verlange gar nichts, als daß du das einsehen sollst, was ich dir zeigen werde.«

Er ging zur Türe. »Ich werde mir jetzt den geistlichen Herrn besehen. Aber genau. Eine Skizze von ihm bekommst du nachher.«

Harro stieg die ausgetretenen, knarrenden Stufen in das Studierzimmer des Herrn Stiftspredigers hinauf. Dunkle Eichenstiegen, die schon manches erlebt hatten, alles von einer häßlichen Einfachheit, die ihn bedrückte. An der Schwelle des Studierzimmers mußte er sich beinahe bücken, das Haus war nicht für Männer seines Schlages gebaut. Er klopfte. »Herein.«

Der Herr Stiftsprediger saß an seinem Schreibtisch, der unter Lasten von Papieren begraben lag. Er erhob sich und man sah ihm ein leichtes Erkennen an. Überall Bücher, Bücher, die Wände zeigten sich nicht, kein Bild, nur der schöne Blick ins Tal aus drei winzigen Fenstern. Welch ein Apparat, staunte Harro. Ist das wohl nötig, um die etwa tausend Schäflein zu weiden?

Nun saß er neben dem Schreibtisch in einem Rohrstuhl, und der Herr Stiftsprediger, dessen schwarze Haarsträhne ein leichtes Grau zeigten, wartete. Seine Augen waren in den letzten Jahren noch stiller geworden und seine lange dürre Gestalt hing nach vorne über. Sehr gut machte sich sein Kopf gegen den Hintergrund von dunklen Bänden mit dem bißchen Golddruck darauf.

»Sie haben meine Frau unterrichtet,« begann Harro plötzlich, »und werden jedenfalls beobachtet haben, daß sie, sagen wir, ein ausgesprochenes religiöses Interesse hat.«

Der Herr Stiftsprediger nickte. »Ich höre auch, daß die Frau Gräfin ihr Leiden mit großer Ergebung trägt.«

»Viel zu viel Ergebung,« grollte Harro, »überall Ergebung.«

»Wenn es Sie vielleicht interessiert, Herr Graf. Ich habe ein kostbares Dokument aus jener Zeit.«

Er begann in seinem Schreibtisch zu kramen, und Harro dachte, er glaubt wohl, daß ich hier Wurzel schlagen will, denn bis er etwas findet aus diesem Papierwust! Aber er irrte sich, entweder lag es zur Hand, oder es war nur eine scheinbare Unordnung.

»Sie haben ein System, Herr Stiftsprediger,« fragte er mit inniger Teilnahme, denn der arme Harro hatte keins und war, wenn er nur eine Skizze finden wollte, auf das Gedächtnis seiner Rose angewiesen. »Gewiß, Herr Graf.« Er lächelte.

»Hier. Dies ist das Bekenntnis des fünfzehnjährigen Kindes. Ganz ohne jede Beihilfe entstanden. Sie sehen es ja sofort an dem Stil.«

Harro las ... sein Haupt beugte sich herab, er beschattete sein Gesicht mit der Hand. Ach, da stand er ... »Liebste Menschen ...« Des Seelchens Augen schauten ihn an ... »und hat ihn kennen lassen die Einsamkeit und die Qual...«

Er legte das Blatt hin. »Es ist sehr schön, daß Sie das aufbewahrt haben ... Herr Stiftsprediger.«

»Aber gewiß. Herr Graf, es gehört zu meinen Schätzen.« Und der Papierwust verschlang wieder das Blatt.

Dann fing Harro an zu erzählen. Ganz kurz nur von dem nervösen Leiden seiner Schwiegermutter und der wenigen Liebe, die sie immer für das Kind gehabt. Er fühlte sehr wohl, daß er dem Manne durchaus nichts Neues sage, und er sprach von Rosmaries Kummer jetzt und ihrem Wunsche, ihre Mutter zu besuchen, und wie schwer sich das mit ihrem Zustand vereinigen lasse.

»Und Ihre Durchlaucht wünscht es wohl dringend, Herr Graf, und Sie sind mit Recht besorgt, daß dies der Frau Gräfin schaden könne.«

»So sicher bin ich, daß der Herr Hofrat es mir niemals erlauben würde, daß ich ihn gar nicht frage, sondern Sie, Herr Stiftsprediger, weil dies mir mehr in die geistliche Kompetenz zu gehören scheint.«

Der Herr Stiftsprediger sah einen Augenblick hinaus in die Landschaft, dann sagte er: »Herr Graf, ich habe zweimal Ihre Durchlaucht, die Frau Fürstin, besucht. Ihr Zustand ist bejammernswert. Ich habe auch von dem Herrn Hofrat gehört, wie es der Frau Gräfin seit ihrem Hiersein geht. Wenn Sie mich fragen, so möchte ich doch dringend raten, daß die Frau Gräfin wie bisher unten bleibt und die Glastüren nach oben geschlossen bleiben. Was soll die Frau Gräfin dabei?«

Harro glänzte auf, besann sich aber und sagte: »Meine Frau wünscht es eben so dringend und hat zu meinem großen Schrecken bereits ein betrübtes Gleichnis, das von den unglücklichen Jungfrauen, auf sich angewendet. Es hat mich ganz mitgenommen, Herr Stiftsprediger, es war ihr so bitterernst dabei... Kommen Sie mit, Herr Stiftsprediger. und helfen Sie es ihr ausreden.«

»Herr Graf, wenn ich nur dazu mitkommen soll ..., ich müßte doch auch die Frau Gräfin hören ...«

Harro errötete, aber er konnte nun nicht mehr wohl zurück. Und er fühlte, daß er ein wenig heuchelte.

»Ich bitte, daß Sie meine Frau besuchen.«

Der Herr Stiftsprediger entgegnete mit ruhiger Würde: »Herr Graf, ich hätte es ohnedies für meine Pflicht gehalten, einen Versuch zu machen, wollte aber noch warten, ob mir der Herr Hofrat nicht bessere Nachrichten bringen könne.«

»Kommen Sie jetzt, Herr Stiftsprediger.«

Harro dachte, je schneller es vorüber ist, desto besser, übrigens er zeigt Menschlichkeitsspuren.

Die Herren stiegen die knarrenden Stufen hinab, aus den Zimmern erscholl ein kräftiges Bubengeschrei und -Gelächter. Ein schönes blauäugiges Mägdlein mit einem dunkeln Lockenschopf sprang heraus und schaute mit großem Interesse an dem langen Herrn hinauf.

Er nickte ihr zu. »Guten Tag, kleines Fräulein, wie heißt du?«

»Erika,« nickte die Kleine, »und ich kenne dich auch.«

Der Herr Stiftsprediger stand lächelnd da und wartete, und seine Augen glänzten, man sah es. daß das Kind sein Liebling war.

»Kennst du mich, Erika,« fragte Harro, »und woher?«

»Weil du einen so schönen Gaul hast.«

»Gefällt der dir? Wenn ich morgen vorbeireite, aber ganz früh, Erika, und du hast deinen Busch schon gekämmt, so nehme ich dich auf mein Pferd und lasse dich bis zur Kirche reiten.«

Das Kind stieß einen schrillen Entzückensschrei aus und stürzte ins Zimmer hinein, jedenfalls um die Nachricht los zu werden.

»O weh,« sagte der Herr Stiftsprediger, als sie hinausgingen, »nun haben Sie ein Unglück angerichtet, meine kleine Erika glaubt Ihnen und wird sich die Augen nach Ihnen aussehen. Darin ist sie ein schreckliches Kind, keine Erfahrung macht sie klug.«

»Halten Sie mich für so schnöde, Herr Stiftsprediger, daß ich mein Wort nicht hielte! Bei den kleinen Herrschaften muß man sich eben so strenge an den Ehrenkodex halten. Da habe ich mit der kleinen Prinzessin, mit meiner Frau, meine Erfahrungen gemacht. Ich komme morgen vorbei.«

Und in den nächsten Wochen hatten die Braunecker das interessante Schauspiel, wie die kleine Erika feierlich mit gespreizten dünnen Beinchen und wehendem Schopf auf dem Braunen saß und bis zur Kirche reiten durfte und wieder zurück.

Als sie an Rosmaries Zimmer kamen, bat Harro den Herrn Stiftsprediger, noch einen Augenblick zu warten, da er seine Frau eben auf den Lindenstamm bringen wolle. So wandelte denn der geistliche Herr auf den Galerien auf und ab, bis ihn Harro holte.

»Herr Stiftsprediger, meine Frau möchte allein mit Ihnen sprechen. Sie sagt, das sei sie so gewöhnt. Gehen Sie nur geradezu.«

Rosmarie lag auf dem Lindenstamm unter ihrer Linde, und obgleich der Herr Stiftsprediger noch nie ein so schönes Augenspiel gesehen hatte, berührte es ihn doch peinlich. Diese in den Farben fein abgestimmten Kissen konnten sich unmöglich von selbst so zusammengefunden haben. Auch lag sie nicht da, wie man eine Schwerkranke bettet, sondern vielmehr wie das schöne Haupt sich am lieblichsten darbot, die Falten ihres mattglänzenden Gewandes waren so künstlerisch geordnet, und eine der schweren goldenen Flechten hing bis auf den Boden herab über einen grünseidenen kleinen Teppich, dessen Grund man eigentlich nicht einsah. Aber die schönen sanften Augen versöhnten ihn wieder.

Sie freute sich und sah doch ängstlich und bedrückt aus. Zuerst schickte sie ihn überall herum, nach den Türen zu sehen, ob die geschlossen seien, und in den Hof hinunter, ob der leer sei.

»Ich möchte allein mit Ihnen sprechen. Ich möchte es so lange schon, aber sie wollten es nicht.«

»Durchlaucht waren noch zu krank... ich wäre sehr gern gekommen.«

»Ich weiß es, Herr Stiftsprediger, es ist so furchtbar schwer, was ich sagen muß. Immer dachte ich an Sie und wie gut Sie mir raten könnten; ich habe es nicht vergessen, wie Sie mir in meiner Not geholfen haben. Nun bin ich in der bittern Not.« Er sah sie mit seinen stillen Augen an und sagte einfach: »Es ist ein harter Kampf, Durchlaucht, und doch...«

Sie sah ihn gequält an. Ach, wie alles von ihr abfiel, was er vorhin an ihr zu sehen glaubte... Die Seele schaute ihn an, die bedrängte Seele.

»Durchlaucht, was ist es, was Ihnen besonders schwer fällt?«

»Oh, Herr Stiftsprediger, meine Lieblosigkeit, mein alter Haß und meine Feigheit. Ich habe meiner Mutter da oben das alles angetan – ich habe sie gehaßt, ich habe keinen Funken Liebe für sie gehabt, ich habe sie so weit gebracht, wie sie jetzt ist. Nicht ich allein, Herr Stiftsprediger, aber ich mit. Ich bin so lange neben ihrem Leiden hergegangen und bin mir wunder wie edel und großartig vorgekommen, daß ich geschwiegen habe...«

»Durchlaucht haben es immer gewußt?«

»Sie, Herr Stiftsprediger, Sie wissen?«

»Ein geängstigter Mensch kam zu mir noch am Abend desselben Tages. Er war vollständig unschuldig, nur seine Mitwisserschaft brachte ihn zur Verzweiflung, er hätte die entsetzliche Tat vielleicht gar nicht hindern können. Ich bin nicht befugt, von dem zu reden, was mir in dieser Weise anvertraut wird. Doch hätte ich meinen Einfluß auf ihn benützt, um ihn zu bewegen, es dem Fürsten zu sagen, wenn die Fürstin nicht erkrankt und dadurch unschädlich gemacht worden wäre. Und Sie, Frau Gräfin, haben es immer gewußt? Wie ist das möglich?«

»Ich sah sie ja... ich schwieg, weil ich wußte, daß das meinen Vater mit entsetzlichem Schmerze treffen würde. Auch mein Mann weiß nichts. Ich habe mich oft gewundert, daß sie so ahnungslos sein können, ich bin so dankbar dafür. Mein Mann erträgt es auch noch nicht. Sie, Herr Stiftsprediger, Sie werden auch schweigen, aber ich will von neuem das Geheimnis in Ihre gütige Hand geben. Es kann doch sein, wenn ich nicht mehr da bin und niemand mehr da ist, der davon weiß, und wenn Mama, wie sie bisher getan, immer weiter ihr Herz verstockt, dann müßte auch mein Vater vor ihr geschützt werden. Und sie darf nie wieder mit einem Gewehr herumgehen. Das ist's, was ich Sie bitten wollte.« »Ich hatte,« erwiderte er, »mit der Fürstin gesprochen, ob sie sich nichts denken könne, was ihren jetzigen Zustand verschuldet hat, und habe ihr den Spruch nahegelegt: ›Da ich es verschweigen wollte, verschmachteten meine Gebeine.‹ Sie hat mich wohl verstanden, aber sie brach nur in wilde Anklagen gegen andere aus.«

»Gegen mich, Herr Stiftsprediger. Ich weiß, und sehen Sie, das ist es, was mich auf einmal überfallen hat. Meine Schuld, meine große Schuld. Ich habe nie ein bißchen Liebe für Mama in mir auftreiben können, alles, was ich tun konnte, war, daß ich meinen Haß begrub. Sie wissen, Herr Stiftsprediger, daß das zu wenig ist. Und nun hätte ich mich erbarmen müssen, wer denn sonst als ich! Und ich bin dort in meinem Goldhaus geblieben und habe mit mir geschachert von Tag zu Tag. Ich wußte ja, wenn ich hierher käme, würde ich nie wieder zurück können. Wenn ich Mama wirklich eine Liebe tun wollte, so konnte das doch nur geschehen, indem ich ihr Geduld zeigte. Nicht heute kommen und morgen genug haben. Sondern immer wieder aufs neue ihr zeigen, solang ich noch Kraft habe. Ich bin da, und ich habe endlich, endlich entdeckt, was ich ihr schuldig geblieben bin. Aber, Herr Stiftsprediger, das Fortgehen von meinem Goldhaus war so schwer. Mein ganzes Leben! Mich umdrehen, die Türe zumachen, zu all dem lieben, schönen Leben...«

»Durchlaucht,« bat er sanft, »erregen Sie sich nicht. Sie haben es getan, Sie sind herübergekommen. Ich weiß ja, wem Sie nachgegangen sind. Und man soll Sie nicht hindern, zu tun, wozu Sie Ihr Herz treibt. Es wird Ihnen auch nicht schaden, viel weniger als diese Erregung darum. Ich werde versuchen, mit dem Herrn Grafen zu reden.«

»Herr Stiftsprediger, Sie vergessen nicht.«

»O nein, Durchlaucht, ich darf ja gar nicht. Aber nehmen Sie Ihrem Manne, Ihrem Vater nicht zu viel von Ihrer Kraft, Ihrer Zeit. Das, was vergangen, von dem dürfen Sie im Glauben annehmen: Er wird meine Sünde nehmen und sie hinter sich werfen ins tiefste Meer. Und jetzt lassen Sie noch Ihre Güte scheinen auf die verlorene Seele, vielleicht retten Sie sie noch. Wenn es irgend möglich, so möchte ich, daß Ihre Güte doch nicht immer mißverstanden bleibt. Wir geben ihr noch einmal die Wahl, Frau Gräfin. Und wenn ich Ihnen einige Ratschläge geben darf.«

Sie streckte ihm ihre Hände entgegen, und er faßt sie sanft und hält sie fest in seinen dünnen, warmen Händen. »Reden Sie nur ganz freundlich von dem Leiden der Frau Fürstin, bleiben Sie nie länger als zehn Minuten, Sie dürfen die Ihrigen nicht berauben, Frau Gräfin, um jener Unglücklichen willen. Daß Sie sich nicht erbittern lassen werden, weiß ich. Sie machen, wann es Ihre Kräfte gestatten, einen einfachen Krankenbesuch und reden gar nichts Aufregendes. So kann man es vielleicht sogar vor dem Herrn Hofrat verantworten. Ihre Nähe wirkt schon, Ihre sanfte Nähe. Wenn Sie müde werden, gehen Sie gleich. Sie muß fühlen, warum Sie kommen, so verhärtet ist kein Mensch. Und nun lassen Sie mich gehen, Frau Gräfin, ich komme wieder, ich darf dem Herrn Grafen seine Zeit auch nicht rauben.«

Er ging und Rosmarie sah ihm nach – so erlöst und dankbar. Wie er hinauskam, sah er, daß der Graf, seinen kleinen Sohn neben sich, auf ihn wartete. Er warf einen blitzschnellen Blick auf seine Uhr und sein Gesicht klärte sich etwas auf.

»Troll dich, Heinz,« sagte er. »sieh dort ist Großvater!«

Er führte ihn in den Ehrensaal, wo die große Wand stand.

»Nein, Herr Graf, ich hoffe, daß die Besuche nicht schaden werden. Frau Gräfin wird Sie über die Art benachrichtigen, wie wir es vereinbart haben. Es ist ja so unendlich schwer zu sagen, was zu verbieten und was zu erlauben ist. Manchmal schadet man auch durch ein Verbot. Sie bringen ein Opfer, Herr Graf, ein großes Opfer.«

»So,« sagte Harro, »ich finde es schön von Ihnen, daß Sie das bemerken.«

Der Herr Stiftsprediger lächelte. »Sie erwarten nicht sehr viel von mir, Herr Graf, und ich weiß auch, daß ich etwas sehr Schwieriges zu entscheiden habe. Ich meine, Herr Graf, einen Versuch sollte man machen. Die Frau Gräfin will etwas so unsäglich Schönes, so großartig Gütiges tun, und sie wird es so einfach tun, als wäre gar nichts dabei... ich meine, warum sollte man es nicht wagen!«

»Nun, Herr Stiftsprediger, Sie gebrauchen sehr große Worte. Ich kann es gar nicht so außerordentlich finden, wenn meine Frau eine kleine Spanne Zeit opfert und schlechte Laune über sich ergehen läßt.«

»Sehr schlechte Laune, Herr Graf.«

»Gewiß, ja, Liebenswürdigkeit in diesem Fall ist zu viel verlangt, wir wären es auch nicht.«

Der Herr Stiftsprediger verneigte sich mit ruhiger Würde und ging, ohne ein Wort zu sagen, hinaus. Harro sah ihm ärgerlich nach... und brummte: »Ich weiß selbst, wie schön sie ist und brauche es mir nicht kirchlich approbieren zu lassen,« und ging mit langen Schritten.

»Nun, Rose, wieder einmal gesiegt!« –

Sie streckte ihm die Arme entgegen, sie drückte seine Hand an ihre Brust: »Fühl, wie es ruhig geworden ist.«

Er sah in ihre Augen und seine Stirne wurde kraus. »Was hast du geredet, warum kann der fremde Mann dich trösten und ich kann es nicht? Was hast du gesprochen?«

»Ich sprach von Mama, er gab mir die allerbesten Ratschläge, wie ich es machen sollte.« Sie wiederholte ihm jedes Wort.

»Das ist vernünftig,« mußte er zugeben. Dann bekannte er: »Ich habe mich übrigens rüpelhaft gegen deinen Heiligen benommen, es drückt mich doch. Aber es reizt mich jeder, der etwas von dir weiß oder zu wissen vorgibt, wobei ich mich vor der Tür befinde. Rose, ist es schön von dir, daß du deinen Mann antichambrieren läßt, wenn du geistlich behandelt wirst?«

»Lieber Harro, hast du wirklich Grund, daß du eifersüchtig bist? Gebe ich dir zu wenig? Lasse ich dich vor Türen stehen, wann es um meine und nicht um anderer Menschen Sachen geht?«

»Rose, du hast mich diesmal besiegt. Aber siehst du, fürs Antichambrieren bin ich nicht geboren und lerne es nie. Ich tue es stets nur als gereizter Tiger. Willst du dich wieder mit Stiftspredigern einschließen?«

»Nein, Harro, nie wieder.«

Am Nachmittag, nachdem ihr Besuch zuvor angemeldet war, trug Harro seine Rose auf der neuen schönen Tragbahre hinauf. Nur mit Märt. »Ein Lakai kommt nicht an dich, Rose,« versicherte er. Die kurze Strecke von der Treppe bis zu dem bequemen Stuhl, der für sie in der Fürstin Zimmer gerichtet war, konnte sie ja gut gehen.

So betraten die beiden hohen Gestalten miteinander das Zimmer. Harro ging wie immer hinter ihr, und sie stützt ihren Arm auf den seinigen wie auf eine Sessellehne. Es sah sehr liebevoll und fast zärtlich aus, obgleich ihre Haltung ganz korrekt war. Die Fürstin erhob sich nicht von ihrem Stuhl. Sie deutete nur auf den Sessel. Rose zuckte bei ihrem Anblick zusammen, auch Harro war so ergriffen, daß er sich über ihre abgezehrte Hand beugte und sie küßte. Dann versorgte er seine Frau in dem Stuhl und stellte sich dahinter auf. Seine Augen blieben immer wieder an der Fürstin haften, dem schmal und scharf, aber nicht unschöner gewordenen Gesicht, den großen brennenden braunen Augen. Sie sah viel vornehmer als früher aus in ihrem einfachen schwarzseidenen Kleide, das immer noch einiges Raffinement verriet.

Rosmaries Blick hatte sie vermieden. Nun sahen sich die Frauen einen Augenblick an, und wieder hatte Harro das Gefühl von einem heimlichen Duell. Nur daß diesmal die Waffen ungleich schienen. Rosmarie senkte ihr schönes Haupt und der Fürstin Augen flackerten über sie hinweg. Die Rose ist irgendwie im Nachteil, denkt er.

Ihre Unterhaltung bewegte sich ganz in konventionellen Bahnen, die Fürstin erzählte von ihren Nerven und den erfolglosen Kuren, die sie schon durchgemacht hatte. Rosmaries Krankheit erwähnte sie nicht. Dann berührte er Rosmaries Schulter, und sie sagte: »Mama, wenn du erlaubst, komme ich morgen wieder.«

»Sehr gütig von dir, Rosmarie; wenn ich dich nicht brauchen kann, werde ich mir eben erlauben, dich nicht zu empfangen.«

»Vielleicht findet sich doch eine Zeit, wo es dir paßt, Mama.«

Harro will etwas sagen, verschluckt es aber gerade noch. Rosmarie erhebt sich mit seiner Hilfe und streckt eine sehr weiße bebende Hand nach ihrer Mutter aus, aber die nimmt sie nicht und sagt mit eisiger Schärfe: »Für Heuchelei ist es zu spät am Tage, Rosmarie!«

Harro fühlt, wie Rosmarie zusammenzuckt, als ob sie die Peitsche bekommen hätte, und er führt sie schnell hinaus. Er bringt sie in den Ehrensaal und legt sie dort sanft nieder. »Nun, Rose, wie ist die Christenpflicht bekommen?«

»Schlecht, lieber Harro,« sagt sie aufrichtig. »Ich muß mich ein wenig erholen.«

»Und mein Lohn? Ich sollte doch belohnt werden für das Danebenstehen, wenn nach meiner Frau gezischt und gestochen wird, gerade da hinein, wo ihr Herz am weichsten und am leichtesten zu verwunden ist. Die Sache entbehrt überdies nicht eines gewissen grausigen Humors. Die Rose als Sünderin und Frau Mama als verfolgter Unschuldsengel. Und die Rose fällt mit einer solchen unfehlbaren Sicherheit darauf herein.«

»Lieber Harro, du bekommst deinen Lohn, wenn ich mich ein ganz klein wenig erholt habe.«

Aber seinen Lohn bekommt der Thorsteiner an diesem Tage nicht. Doch am nächsten, wo die Rose sehr geheimnisvoll ist. Nun liegt sie im Saal in einem weißen weiten Morgenrock und sagt: »Harro, ich wollte dir dienen, aber Lieber, ich weiß wirklich nicht, ob du mich noch brauchen kannst!«

Er schlägt den Morgenrock auseinander, sie trägt ein grünes, halb durchsichtiges Gewand mit schmalen Goldborten am Halse und den weiten, losen, hängenden Ärmeln. Der Stoff ist so weich wie eine Wolke und hängt um ihre schwanke zarte Gestalt in ganz einfachen Linien. Ihre rührenden leuchtend weißen Arme, die ihre runde Fülle verloren haben und nur noch die schönen Linien zeigen, hängen herunter, und jede Ader zeichnet sich auf ihnen in bläulichem Tone ab... Der Saal ist geheizt, obgleich es draußen nicht kalt ist.

Sie sieht ihn ängstlich an. Sie hätte ihm so gerne noch eine Liebe getan, und nun betrübt sie ihn vielleicht nur. Er sagt: »Ich kann es nur annehmen, wenn ich ganz sicher weiß, daß du nur so daliegst, wie es dir am allerbequemsten ist. Aber ich fürchte, wir werden es mit Kissen nicht gut genug machen können. Sie geben immer wieder nach. Ich will Ulrike rufen. Sie kann hinter dir ein Stühlchen bekommen, und sie hält dich.«

»Halt, Harro,« rief sie, »ich bitte dich! Sie wird sagen, es sei heidnisch... sie kann es nicht leiden...«

»Wo fängt das Heidentum bei dir an, Rose? Geht's von deinen feinen, zarten Knien aus? Deine Schultern würdest du sehr weit hinunter bei jedem Hofball zeigen, sie sind ja übrigens bedeckt. Oder find's die allerschönsten nackten Füße, die so unglaublich beseelt aussehen, gerade so wie du sie hängen läßt? Wie deine Hände sind sie! Man sieht ihnen schon an, daß sie eigentlich nur noch auf weißen Rosenblättern über grünem, weichem Moospolster gehen können. Ulrike sieht dich jeden Tag in deinem Bad. Was für einen Spruch spricht sie da über dich, wenn sie das Wasser über die Brust gehen läßt, die das bittere Leidenszeichen trägt, und über den Leib, der mein Kind getragen hat? Um das Heidentum auszutreiben, meine ich.«

»Harro, du bist wunderlich, du deklamierst ja.«

»Tue ich das? Ich bin auch in meinen tiefsten Gefühlen gekränkt. Heidnisch, soll das schamlos heißen?«

»Du bist mein alter Feuerbrand; ich fürchte, es wird sie verletzen, daß du dabei bist, Harro. Wenn sie allein mit mir ist, findet sie auch nichts Heidnisches an mir.«

»Ich habe ein Recht an dich,« und er stürmte hinaus.

Die Rose sah ihm bedenklich nach, rührte sich aber nicht. Die alte Dame kam hinter ihrem Neffen geschritten, offenbar ganz ahnungslos, denn als sie die Rose erblickte, blieb sie wie versteinert stehen.

»Was soll das heißen, Harro! Das Kind! Wie es daliegt!«

»Sehr gut liegt es da, Uli,« versichert die Rose. »Du glaubst nicht, wie die schweren Kleider drücken und wie leicht und wohl das tut, daß man nicht immer behängt ist. Und es ist so warm, daß ihr mir leid tut.«

Harro stand mit blitzenden, gefährlichen Augen da, wartend, was sie jetzt sagen würde.

»Harro,« sagte sie, »es ahnt mir, daß du dies malen willst. Diesen Kindermord von Bethlehem?«

»Uli; Kindermord? Dann haben die aber lange Kinder gehabt.« Und Harro zischte: »Du bist ein ahnungsvoller Engel. Ich male das.«

»Und dann sollen die Menschen kommen und das Kind ansehen, wie es daliegt mit seinen nackten Füßchen! Nichts am Leibe als das bißchen graue Wolke! Harro, laß mich reden.«

»Uli, wenn Harro das gemalt hat, so ist es ein großes Kunstwerk geworden, ich bin es nicht mehr. Es wird leben wie die alten Bilder dort an der Wand, wenn wir zwei wie Schatten verschwunden sind. Wer denkt da noch an die Rosmarie Brauneck, die ihren Körper dazu einmal hergegeben hat!« »Ihren beseelten Körper,« warf Harro ein, »die gottgeschaffene Hülle ihrer Seele!«

»Du wirst sehen,« tröstete die Rose, »daß ich es nicht mehr bin. Es ist ein Gedicht über mich, was dort sein wird.« Sie weist auf die Leinwand. »Alles Zufällige fällt weg. Alles wird auf seine höchste Höhe erhoben. Er malt mich nicht, wie ich wirklich bin, sondern er malt den Gedanken Gottes, der in mir werden sollte. Wir sind doch alle einmal Gedanken Gottes gewesen und sollen es wieder werden. Wir entstellen und verderben uns und übermalen uns und verwachsen uns, und er holt ihn wieder aus mir heraus.«

»So, das werden wir sehen, ob er es auch kann,« sagte Ulrike. »Im übrigen seid ihr mir zu klug. Wenn du behauptest, daß du bequem liegst, so glaube ich es nicht.«

»Deshalb sollst du dich hinter sie auf das Stühlchen setzen. Ein bißchen reichlich unbequem, aber es geht nicht anders, und sollst sie unterstützen. Es muß ihr so wohl sein, als man es überhaupt machen kann.«

»Nun, das läßt sich hören.« Und die alte Dame setzte sich friedlich auf das Stühlchen und hatte bald ihr Kind so gebettet, daß die Rose meinte, besser könne es ihr nicht mehr werden.

Dann sagte Ulrike scharf: »Nun male, Harro, und ich will mein Urteil noch aufsparen, bis ich sehe, was du kannst. Ich kenne sie sehr genau, Harro, und du mußt dich schon zusammennehmen. Und du darfst die Hartnäckigkeit nicht vergessen. Du lieber Himmel, die wird sie wohl auch von Gott haben. Und all die allerschönsten Dinge, die weißt du nicht einmal, und wenn man die nicht darauf sieht, dann bist du dem Gedanken doch nicht nachgekommen.«

»So, weiß ich die nicht?« rief Harro eifersüchtig.

»Harro, du und die Tante, ihr seid eine Verschönerungskommission.«

»Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz, es gilt uns heut zu rühren des Königs steinern Herz,« summte Harro, als er seine Farben zurecht mischte, »Übrigens bitte ich mir Ruhe aus. Nur noch eins! Wenn die Rose müde wird, laß dich nicht betrügen, Uli! Weißt du, ich vergesse mich. Ich male, bis ich vom Stengel falle. Sechs Rosen halten mich nicht aus.« »Fürchte nichts für das Kind, wenn ich dabei bin,« wehrte die eiserne Dame ab.

Und Harro begann seine Arbeit. Er malte nicht wie sonst mit seinem heißen Eifer, sondern langsam und bedächtig. Er stand manchmal vor seiner Leinwand und schien zu warten, dann machte er ein paar bedächtige Striche. Und er vergaß seine Rose doch nicht wie sonst... die ja schon alle Schmerzen eines übergeduldigen Modells kannte.

Und Ulrike dachte, diese Malerei ist das allerbeste, was man der Rose tun kann. Sie ist glücklich dabei, und sie hält still, redet nicht, regt sich nicht auf, gibt sich nicht zu viel aus, spinnt keine schlimmen Gedanken aus, denn das würde er ihr ansehen. Wenn er es nicht täte, glaube ich seinem ganzen Zauber nicht. Und so floß der schöne Morgen dahin. Nur die alte Dame wurde herzlich müde, aber sie gehörte zu den alten eisernen Thorsteinern, die sich von jeher plagen konnten. Und sie wäre viel zu stolz gewesen, etwas merken zu lassen. Jeden Morgen von neun Uhr an, je nach der Rose Befinden, war Bildzeit, wie sie sagten, und alle, die sonst etwas von der Rose wollten, mußten zu der Tante großer Befriedigung draußen bleiben.

Gegen Abend machte die Rose ihren Besuch hinter der neuen Glastüre. Harro ging nicht mehr oft mit, es bedrückte ihn zu sehr, und er hatte Marga kommandiert, daß sie danebenstehe und nötigenfalls ein kurzes Ende mache.

Jeden Tag bekam die Rose zwei verschiedene Bilder von sich gemalt. Des Morgens und des Abends. Jeden Tag holte die Fürstin aus ihrem Gedächtnisschrein eine andere Untat ihrer Tochter hervor und präsentierte sie ihr. Die Rose ließ ihren schönen Kopf hängen und schwieg. Sie sagte höchstens: »Es hat mir damals nicht so ausgesehen, aber ich glaube wohl, daß du es so empfinden mußtest. Es tut mir leid, es tut mir sehr leid.« Sie kam immer mit dem gleichen ernstfreundlichen Antlitz herein, und sie verließ fast nie das Zimmer, ohne daß die Fürstin Tränen auf ihrem Gesicht gesehen hatte.

Die Tante Marga sagte zu ihrer Schwester: »Es ist höchst wunderlich, die Rose auf ihrer Anklagebank sitzen zu sehen. Bis jetzt tut Cousine Charlotte ja nichts anderes als Steine nach ihr werfen. Sie wird immer geschickter und treffsicherer. Wenn sie die Rose zum Weinen gebracht hat, ist sie erst befriedigt. Ich möchte wissen, wozu das dienen soll.«

»Ich möchte die Durchlaucht schlagen,« erwiderte Ulrike. »Es gehören ihr Ohrfeigen. Sie lechzt vielleicht danach, und wir tun es zu ihrem Schaden nicht. Dieses pädagogische Mittel, das die Neuzeit, die nichts versteht und vor weichlicher Sentimentalität sich noch die größten Grausamkeiten antut, so verachtet, hätte ich schon lange angewendet. Die Rose ahnt es und läßt mich deshalb nicht hinauf. Wenn ich auch noch sehr fühle, daß Vater mit unserer Arbeitsteilung nicht einverstanden wäre, Marga. Ich habe alle Süßigkeit und du alle Bitterkeit. Es ist ein Hohn auf alle Gerechtigkeit.«

»Da ist manches ein Hohn,« seufzte Marga. »Ich wundere mich immer im stillen über zwei Dinge. Du weißt, daß Charlotte die entsetzliche Unruhe in den Füßen immer noch hat. Nur mit Morphiumeinspritzungen kann sie ins Bett gebracht werden, und selbst dann ist morgens jedes noch so fest gestreckte Laken zusammengeballt und zerrissen. Wenn die Rose kommt und so lange sie da ist, hält sie still. Es ist sehr wunderbar, und den beiden Schwestern ist es auch aufgefallen.

Und das zweite: Ob die Fürstin wohl einmal ihren schlimmen Sack zu Ende geleert hat? Sie bringt jetzt schon recht häufig Dubletten.«

»Da kannst du in Ewigkeit warten,« sagte Ulrike finster, »mit Variationen und Beleuchtungseffekten dressiert sie ihre Ladenhüter immer wieder auf. Sie wird noch an der Arbeit sein, wenn die Rose sie längst nicht mehr hört. Und ich frage mich jeden Tag, wozu! Aber man muß sie machen lassen.«


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