Agnes Günther
Die Heilige und ihr Narr
Agnes Günther

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Zweiundvierzigstes Kapitel: Opfer.

In Brauneck ist auch als oberster Grundsatz Ruhe aufgestellt. Auch die Zimmer der Fürstin find mit den schönsten Blumen des Herrn Hofgärtners geschmückt. Auch nach ihren erfüllbaren Wünschen wird geforscht. Sie soll auch liegen, und auf der Nordbastei, gerade in die Baumwipfel hinein ist ein kleiner Pavillon aufgeschlagen worden. Sie hat zwei Pflegerinnen, die abwechseln, und die beiden haben sehr harten Dienst.

Der Fürst kommt jeden Tag auf eine Viertelstunde, immer ehe er nach Thorstein reitet. Er gestattet sich seine Rosmarie erst, wenn er seine Pflicht erfüllt hat und nach der entsetzlichen Bitternis, die er in der Viertelstunde genießt, tut die Thorsteiner Luft doppelt wohl.

Die Fürstin hat über alles zu klagen, es gibt nur noch Hassenswertes in der Welt. Sie haßt den Herrn Hofrat, ihre Pflegerinnen, den Braunecker Wind und die Braunecker Sonne. Sie haßt den Fürsten, das fühlt er, und doch fühlt er ebenso, daß, wenn er seinen Besuch unterließe, sie das auch hassen würde. Ihre Augen sind tief umrändert und ihre Gestalt ist verfallen. Sie kann immer noch nicht ruhig sitzen, man muß sich an den Blättersturm in ihrer Nähe gewöhnen, es macht einen selbst nervös. Sie weiß gewiß, wenn sie eine einzige Fahrt in dem Auto machen dürfte – wozu bezahlt man denn den teuren Chauffeur – so würde sie besser schlafen können. Die Luft fehlt ihr.

Eben hat sie über den ewigen Braunecker Wind geklagt. Dieser Hofrat ist rückständig. Man muß einen neuen Arzt kommen lassen, einen Nervenspezialisten. Rosmarie hat man doch auch den ersten Spezialisten kommen lassen. Er wird sofort sehen, was ihr fehlt, und ihr eine ganz andere Kur verschreiben, als dieses nur noch nervöser machende: Halten Sie Ruhe. Das mag etwas für Rosmarie sein, die ja immer ins Endlose vor sich hinstarren konnte...

Der Fürst gibt gerne nach. Es ist doch wieder eine kleine Ablenkung. Und die Fürstin hat den großen Triumph: Der neue Arzt gestattet Fahrten – von ihrem Auto spricht sie nichts – und kleinere Wege. Natürlich nicht allein. Eine der beiden Pflegerinnen wird stets mitgehen.

Der Fürst hört zwei Tage beinahe keine Klagen. Die Fürstin hat eine Autofahrt gemacht und ist ganz erhoben nach Hause gekommen. Sie hat einen Gang unternommen um den Park und wieder zurück. Der Herr Hofrat zuckt die Achseln und dringt darauf, daß die Fürstin nie allein gehe. Aber an das denkt ja niemand.

Jeden Tag surrt das Auto die weißen gewundenen Straßen hinauf und durch die Dörfer, wo die Mütter wie ängstliche Hennen nach ihren Kindern kreischen. Die Fahrten tun der Fürstin aber ersichtlich gut. Es ist nicht zu verkennen, sie sieht besser aus und hält sich straffer. Auch die Pflegerinnen sehen nicht mehr so abgespannt aus.

Da bekommt der Fürst eines Tages einen anonymen Brief, worin ihm Gottes Zorn und Strafe angedroht wird für sein wahnsinniges Gefahre und Dahingerase, das Leib und Leben bedrohe... Offenbar hat der Briefschreiber gemeint, er sähe ihn selbst im Auto sitzen. Das Schreiben ärgerte ihn... Er schickte einen Reitknecht an die Straße, wo das Auto vorbeikommen mußte, und der konnte nachher nicht genug von der rasenden Geschwindigkeit des Ungetüms erzählen. Die Straße war einsam, und darum sei wohl noch nichts geschehen.

Er telegraphierte an den Spezialisten, und er bekam die telegraphische Antwort, daß selbstverständlich aufregende Autofahrten ausgeschlossen seien. So stand nun das Auto wieder in der großen Remise und seine Laternen deckte der Schutzüberzug.

An jenem Tag hatte die Fürstin einen solchen Zornanfall, daß der Fürst noch ganz zerschlagen nach Thorstein kam. Nun blieben nur noch Spaziergänge. Aber die Pflegerinnen kündigten nach wenigen Tagen gleichzeitig. Sie könnten nicht immerfort auf den Füßen sein, und zum Marschieren seien sie nicht verpflichtet. Mit Mühe und Versprechungen gelang es, die beiden tüchtigen Mädchen zu halten. Die Fürstin sagte: »Es ist auch Torheit, mich mit Kindermädchen spazieren gehen zu lassen. Gebt mir doch den Krüger oder den kleinen Bergmann mit.« Denn der alte Leibjäger Christian war in der letzten Zeit plötzlich brüchig geworden.

Einige Tage begleitete der Jäger Krüger die Fürstin, dann vertrat er sich den Fuß. Der Doktor konnte zwar nichts daran entdecken, aber er stöhnte mächtig und behauptete steif und fest, nicht auftreten zu können. Nun kam der kleine Bergmann daran, der durchaus nicht klein, sondern der Sohn des alten Bergmann, des Tafeldeckers, war. Zweimal begleitete er die Fürstin, dann trank er sich einen Riesenrausch am Abend, warf vor dem alten Hofrat seinen grünen Hut auf den Boden, zertrampelte ihn und schrie, das Brauneck solle der Teufel holen. Einem solchen Menschen konnte man doch die Fürstin nicht anvertrauen, und er wurde in ein einsames Forsthaus strafversetzt.

Der Fuß des Krüger wollte immer noch nicht gut werden, obgleich der Hofrat weniger als je daran entdecken konnte. Die Fürstin verbrauchte in einer Woche sehr viel Menschen, wenn das so weiter ging .... Aber konnte nicht viel, viel besser dieser Alfred, der sich bis jetzt so sträflich wenig um seine Schwester gekümmert, ihr nur einen kurzen Besuch gemacht hat, der da auf dem Thorstein Leinwand grundierte, Kinder hütete und die Füchse bewegte, auch etwas tun? Alfred kann unmöglich nein sagen und kommt nach Brauneck herübergefahren, um seine Schwester abzuholen.

Einen Diener nehmen sie mit sich, der die Pferde, so lange sie gehen, hält. Seine Schwester begrüßt ihn kurz und eisig, und er hat auch nicht viel zu sagen. Es wird ein angenehmer Spaziergang werden. Wirklich, an diesen Spaziergang wird Alfred denken, so lange er lebt. Sie gehen auf Wegen, die nur der Fürstin bekannt sind, hin und her, durch Dickichte, und nun stehen sie plötzlich auf einer Wiese. Sie kommt Alfred bekannt vor, seine Stirne wird schon kalt. Aber, Gott, die Waldwiesen sehen einander ähnlich. Sie ist frisch gemäht und es geht sich besser, als auf den schlechten Wegen. Da die große Tanne mit den winkenden Zweigen, das Eichenhalbrund, er bleibt stehen:, »Charlotte,« sagt er, »hier geh ich nicht hinüber.« Sie hört ihn gar nicht, sie geht geradezu in den Wald hinein, wohl oder übel muß er ihr nach. Wenige Schritte vor ihm steht ein kleiner Pfahl. Gottlob, nun sind sie im Wald.

»Gehen wir jetzt nach Hause, Charlotte? Es wird Zeit.«

»Nur noch um die Ecke!«

Ein Gewirr von Wegen. Sind sie eigentlich auf dem Heimweg oder nicht? Charlotte ist unermüdlich, sie deutet geradeaus: dort muß der Wagen sein. Etwas schimmert durch die Tannen... Ja, da ist sie wieder, die Wiese, und geradeaus der weiße Pfahl.

»Charlotte,« sagt er, und hält sich an einem Baum, »glaubst du denn, daß irgendeine Macht der Erde mich noch einmal über diese verfluchte Wiese bringe. Du gehst jetzt mit mir nach Hause.«

»Ich gehe nicht,« trotzte sie: »Oh, du kommst heute noch oft auf die Wiese, Brüderlein. Such dir doch wieder Vergißmeinnicht, da stehen noch welche.«

»Du bist entsetzlich... Du gehst mit mir nach Hause.«

»Ich kann nicht, Brüderlein. Meinst du, ich wollte nicht auch? Aber ich muß noch einmal hinüber. Dann habe ich's für heute in den Boden getreten.«

»Charlotte,« schreit er, »was hast du in den Boden zu treten?«

»Ach, stell dich nicht so, als ob du's nicht wüßtest. Du weißt doch, daß ich kein Wasser in den Adern habe wie die Braunecker.«

Alfred schlägt seine Hände vors Gesicht. »O Gott, o Gott, Charlotte, was hast du getan! Was hast du getan!«

»Still! Du weißt ja nicht, wie es war. Immer wieder muß ich daher und darüber gehen. Du kannst's dem Thorsteiner sagen, er macht sie nicht wieder gesund. Ah, ich treffe zu gut.«

»Du bist da gestanden und hast gewartet auf uns? Du... Du...«

»Nein,« sagte sie, »ich wußte nicht, daß ihr kämt. Woher hätte ich das wissen sollen? Aber ich wollte da schießen, daß sie es hört und sich darüber erzürne. Sie will ja nicht, daß da geschossen wird. Ich ließ den alten Christian bei dem Tier, das er aufbrach, und ging hierher. Und ihr hattet den Bock gescheucht... Ich sah ihn vor euch. Sieh so... Hier stand ich, nicht da drüben, wie die Herren meinten. Warum hielt sie denn die Arme so hoch? Ich wollte das Reh schießen. Den Finger hatte ich am Hahn. Da kamst du. Warum bist du auch zu ihr gegangen? Was ich liebte und was mein war, das kam immer alles zu ihr. Du warst das letzte. Sie hat meinen Ring. Sie hat den Braunecker Erben, sie hat meine Jugend. Da hielt sie die Arme hoch. Da schoß mir das Blut zu Kopfe und dann lag sie da. Da rannte ich zur Kreuzklinge... Ich wischte über meine Augen, aber das Bild verschwand nicht. Immer hält sie die Arme hoch, und die Blumen und der Abendhimmel. Und über die Wiese muß ich gehen, sonst verzweifle ich. Bin ich nun schuldig? Bin ich eine Mörderin? Ich bin hingegangen und habe sie gesehen, wie sie dalag in ihren weißen Binden. Ich weiß nicht mehr, wie sie aussah. Immer steht sie da und hält die Arme in die Höhe, und jetzt wird der Himmel rot. Steht sie nicht dort... dort. Ach, jetzt ist sie gefallen... Komm mit mir schnell, schnell. Sie merken nichts...«

Die beiden Geschwister eilten dahin. Atemlos... über die grasigen Wege, bis zu der Stelle, wo der Wagen hielt. Mühsam hob Alfred seine Schwester hinein, und sie fuhren nach Brauneck.

»Was wirst du tun?« flüsterte Charlotte. »Wirst du's den Thorsteinern sagen?«

Sie gingen die Treppe hinauf.

»Ich weiß nicht,« stöhnte er.

Sie standen auf der zweiten Galerie, wo man die Sterne über sich hatte. Niemand konnte sie da hören.

»Du mußt morgen wieder kommen und mit mir auf die Wiese gehen. Du mußt, denn du bist schuld. Hätte ich nicht dich auch mit ihr gesehen, so hätte ich es nicht getan. Du mußt mitgehen, die andern halten es alle nicht aus.«

»Da will ich mir lieber heute nacht eine Kugel vor den Kopf schießen, Charlotte, und ich rate dir das gleiche. Wie kannst du das aushalten, Charl...«

»Ich will leben. Sie wagen sich ja nicht an mich. Was hast du davon, wenn du mich verrätst? Du mußt dann auch sagen, was mich so wild gemacht... Auf dem Thorstein kannst du dann nicht mehr bleiben.« »Du machst mich zu deinem Mitschuldigen, Charlotte. Das tust du!« ächzte er.

»Ich will nicht immer allein sein, du gehörst zu mir! Du kommst morgen wieder, hörst du! Du wirst kein solcher Narr sein und es dem Thorsteiner sagen. Und so vor ihm dastehen! Du kommst morgen.«

Und damit ging sie hinein –

Alfred fuhr auf den Thorstein und übergab Märt die Goldfüchse. Dann ging er in sein Zimmer und holte aus seinen Sachen ein kleines Kästchen heraus, das steckte er in seine Manteltasche. Dann setzte er sich hin und schrieb:

»Lieber Harro! Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht zu sehr übel, daß ich mich nach so viel Freundschaft und Güte so unhöflich entferne. Bitte, der Frau von Thorstein doch nichts über die Art und Weise meines Verschwindens zu sagen. Ich schäme mich zu sehr vor ihr. Sie selbst werden ja am besten wissen, wie außerordentlich wenig die Welt an mir verliert. Ihr Alfred B.

Tante Ulrike meine besten Empfehlungen, und sie möge doch auch darin einen Erfolg ihrer erzieherischen Tätigkeit sehen!«

Er schloß den Brief und steckte ihn zwischen seine Sachen, dann ging er hinaus und glitt die Treppen hinunter. Unten waren die Türen der Hitze wegen weit offen, auch zum Schmollwinkel, in dem Rosmarie lag. Er konnte sie gerade sehen. Einen Augenblick stand er wie angewurzelt. So hold war sie... man sah es ihr ja kaum an, ihr Leiden. Ein grimmer Schmerz zerriß ihn und er eilte hinaus.

Rosmarie hob ihren Kopf in die Höhe. »War das nicht Alfred?«

»Doch,« sagte Harro.

»Warum kam er nicht herein? Was hatte er denn?«

Tante Ulrike erhob sich und ging hinaus. Sie erwischte ihn gerade noch, wie er zum Schloßhof hinaus wollte.

»Halt, junger Herr! Es donnert schon zum drittenmal, und Sie dürfen nicht naß werden, mein Zuckerpüppchen!«

»Lassen Sie mich, Tante Ulrike,« er beugte sich plötzlich über Tante Ulrikes Hand und küßte sie. »Ich gehe nur auf die Post, habe etwas zu besorgen.«

Tante Ulrike hielt immer noch seinen Mantel, und nun griff sie blitzschnell mit der einen Hand in die Tasche und zog einen Revolver heraus, den sie ihm vor das Gesicht hielt. »Ha! Knallen wollen Sie wohl und das Kind da oben erschrecken! Weil noch nicht genug geknallt ist!«

Er biß sich auf die Lippen und sagte: »Lassen Sie mich gehen, Gräfin, und machen Sie keine Geschichten. Ich kann nicht mehr da hinauf, ich kann nicht.«

Aber Tante Ulrike hing mit eiserner Kraft an ihm, es sah aus, als ob sie ihn aufs innigste umarme.

»Gehen Sie freiwillig, mein Zuckerpüppchen,« raunte sie ihm zu, »oder soll ich Alarm schlagen, Harro rufen und ihm das Spielzeug da zeigen? Dann regt sich die Rose auf.«

»Ich komme, Gräfin, ich komme.«

Tante Ulrike marschierte mit ihrem Gefangenen in sein Zimmer hinauf. Dort schloß sie die Türe, warf im weiten Bogen den Revolver zum Fenster hinaus. »Nun, mein junger Herr ..., bedanken Sie sich für Lebensrettung.«

Der blasse Alfred, dem jetzt noch hilflose Wut auf dem Gesicht stand, starrte sie mit wilden Augen an: »Lassen Sie mich, ich kann's nicht aushalten unter diesem Dach!«

»Ha, und warum nicht?«

»Wenn Sie es wüßten, Sie holten mir selbst das Ding wieder herauf und drückten es mir in die Hand.«

»So,« sagte Tante Ulrike. »Beichten Sie, was haben Sie angestellt?«

»Ich kann es nicht. Ich bin verflucht. Verflucht bin ich,« und er fing an, im Kreise herumzurennen und sich auf Stühle zu werfen und wieder aufzuspringen.

Tante Ulrikes Augen wurden wie blinkende Stahlspitzen. Sie legte ihm wieder eine harte Hand auf die Schulter und sagte: »Beichten Sie lieber. Mit der Geschichte, die Sie auf dem Herzen haben, werden Sie doch nicht allein fertig. Es zerreißt Sie ja. Ich darf Sie auch nicht im Stich lassen. Das Kind hat mich nach Ihnen geschickt und wird Rechenschaft haben wollen. Erschießen können Sie sich immer noch.«

»Glauben Sie denn, daß ich gern sterbe, Gräfin? Ich mit meinen sieben Leben? Aber es bleibt mir ja sonst nichts übrig.«

»Vetter Alfred, ich habe Sie für ein leichtsinniges Huhn gehalten. Aber es ist mir in der letzten Zeit vorgekommen, als ob Sie zur Raison kämen. Unser Herrgott hat allerhand Kostgänger. Ein Musterknabe werden Sie nie, aber ich gäbe Sie nicht auf, wenn ich Ihre Mutter wäre, noch lange nicht. Und ich traue Ihnen nicht zu, daß Sie, in der letzten Zeit, eine wirkliche Schlechtigkeit begangen haben. Das Kind vertraut Ihnen. Es hat ein so festes Herz!«

Da warf sich der Brandensteiner auf die Knie vor der alten Dame und umschlang sie mit seinen dünnen Jünglingsarmen.

»O Gräfin, Gräfin. So gute Worte! Und ich habe eine Hölle in mir, eine wahre Hölle. Ich kann's nicht mehr aushalten in der Welt.«

»Alfred, Sie beichten mir jetzt. Sie tun's ja doch in fünf Minuten. Ich kann das Kind nicht so lange warten lassen, sonst ängstigt es sich.«

»Gräfin, Sie müssen schweigen. Versprechen Sie es mir!«

»Wo werd' ich. Fällt mir gar nicht ein. Ich verspreche nichts, was ich nicht weiß.«

»Ich bin verflucht. Auf diese Wiese muß ich, auf diese Wiese, wo der weiße Pfahl steht. Sie werden wieder kommen morgen und mich dazu holen. Wie heut schon. Ich, ich bin ja schuldig, ich..., daß sie leidet, die Gräfin, die liebe Frau! Die Rose... Ich!«

»Alfred, sind Sie verrückt?«

»Ach, ich wollte, ich wär's. Ich werde es auch... es zerreißt mich.«

Und er barg seinen Kopf in ihrem Schoß und sie legte ihre Arme um ihn und sagte:

»Alfred, kommen Sie zu sich.« Sie fuhr ihm über die hellblonden Haare, die nun schon in weichen Wellen seinen schmalen Kopf bedeckten.

Er hob sein tränenüberströmtes Gesicht und sagte: »Ich gäbe jeden Tropfen Blut für die Thorsteiner. Ich wäre zufrieden, wenn ich hier Märts Unterknecht wäre. Gräfin, meine Schwester, sie hat uns zusammen gesehen... sie hielt das Gewehr in der Hand. Eine Sekunde, Gräfin! Wie sie mich sah! Ich hatte ihr nie gesagt, wo ich war.«

Ulrikes Augen wurden dunkelschwarz. »Die Fürstin...« sie atmete schwer. Alfred erhob sich schwankend... »So, nun lassen Sie mich hinaus!«

Ulrike machte eine seltsame Handbewegung, als wenn sie nach etwas griffe, und blieb dann wie ein steinernes Bild sitzen.

Es klopfte. Es war Harro. »Tante Ulrike, was ist's mit Alfred? Die Rose ängstet sich grundlos. Sie hat schon über hundertzwanzig.«

Ulrike schüttelte sich und raffte sich mit eisernem Willen zusammen. Sie sagte: »Harro, er hat wieder einmal eine Dummheit gemacht und hat jetzt Fieber. Ich bringe ihn eben zu Bett.«

Harro hörte man draußen etwas brummen. Dann stieg er hinunter.

»Alfred, ich denke, Sie haben gehört, was Sie zu tun haben. Sich sofort ins Bett zu legen. Nicht zu sagen: ich kann nicht, ich will nicht! Das Unglück braucht nicht noch vergrößert zu werden. Soll die Rose um Ihretwillen noch Schmerzen ausstehen, und auf das Anlügen verstehe ich mich schlecht. Ich komme noch einmal herauf. Und wenn Sie können, dann beten Sie.«

»Sie werden schweigen, Gräfin?«

»Meinen Sie, dies werde mir auf die Zunge kommen! Oh, mein armer Harro.« Dann ging sie.

Es war höchste Zeit, die Rose zu Bett zu bringen, die heftig fieberte.

Harro unterdrückte mühsam seinen Zorn. »Ich schicke ihn morgen fort, wenn er so wenig die Dummheiten lassen kann. Nein, Rose, es ist nicht ernst. Er wird in Watte gewickelt und gehätschelt. Keine traurigen Augen machen, Rose.«

Kein Mensch hätte ihr etwas angesehen, nur auf ihrer weißen, tieflinierten Stirn stand kleiner Perlenschweiß. Nun saß Tante Ulrike bei der Rose am Bett. Harro hatte gute Nacht gesagt und war gegangen. Da blieben die großen, grauen Augen an dem Gesicht Ulrikes hängen, ernst, forschend und traurig, daß Ulrikes Herz erbebte.

»Alfred, o, wie er mir leid tut! Sage ihm, daß er dableiben soll, daß ich ihn darum bitte. Keinen Menschen hat er außer uns, der ihm hilft. Und er soll seine Schwester nicht verlassen. In ihrer Not. Sie ist doch seine Schwester, und sie liebt ihn.« Ulrike nahm Roses Kopf zwischen die Hände und küßte sie schweigend. Eine Sekunde sahen sie sich in die Augen. Dann flüsterte Rosmarie:

»Harro, mein armer Harro! Du mußt noch schweigen, Tante, er erträgt es noch nicht. Und mein Vater! Nie soll er es wissen, nie! Es gibt ihm den letzten Stoß. Ach, kann man denn meinen Vater nicht schonen? Meinen lieben Vater mit seinem weichen, feinen Herzen! Er überlebt es nicht, Tante Ulrike. Und er muß von ihr befreit werden, Ulrike, und ich quäle mich darüber, du weißt, ich konnte mit niemand darüber sprechen. Mit dem Herrn Stiftsprediger hätte ich gern gesprochen. Er darf ja nie wieder sagen, was ihm die Leute beichten. Er hätte mir vielleicht einen Rat geben können. Aber ihr wolltet nicht.«

Die Tante Ulrike hatte sich mit zitternden Knien gesetzt. »Du wußtest es, Rose, Du?«

»Ach, vom ersten Augenblick an... Ich sah sie ja, in dem Augenblick, als sie schoß. Ihr Diamant blitzte. Und ich dachte zuerst, sie habe mich nicht getroffen, weil ich nur den Knall fühlte. Und dann wurden mir die Füße schwer, und dann weiß ich nichts mehr... Und darum hatte ich so furchtbare Angst; der schreckliche Mensch, der Landjäger, erforschte es auch, und der arme Vater! Mein armer Vater! Du verstehst doch, Tante Ulrike! Aber man darf sie doch nicht allein herumgehen lassen und im Auto fahren. Und der Herr Professor hat das alles verboten, und nun hat es ein anderer Herr erlaubt, und ich ängstige mich von neuem.«

»Dann muß es Harro wissen, Rosmarie, und sie muß unschädlich gemacht werden. Der arme Alfred weiß es nun auch, und es hat ihm beinahe das Herz gebrochen.«

»Geh zu ihm hinauf und tröste ihn, Tante Ulrike!«

»Rosmarie, wenn du deinen Vater verschonen willst, so muß Harro es wissen. Einer von den Männern muß es wissen. Alfred ist nicht Manns genug, daß er mit ihr fertig wird. Entweder Harro oder dein Vater, Rosmarie. Es ist furchtbar, daß du das jetzt entscheiden mußt, und wir sollen alles Aufregende von dir ferne halten.«

»Ach, Tante Uli, wenn ich dies überstehe, dann könnt ihr mich überhaupt aus meiner Haft entlassen. Ich muß sterben. Warum wollt ihr nun, so lange ich noch bei euch bin, mich da fern von euch halten? Tante Uli, du darfst nicht zu weinen anfangen, sonst fange ich auch an! Und wir können's gar nicht fertig beweinen, so traurig ist's. Und wir müssen den Kopf beisammen haben. Was hat Alfred heute mit Mama gehabt?«

»Auf die Wiese muß sie ihn geschleppt haben und ihm vielleicht gesagt, er müsse morgen wieder mit ihr dahin. Er war halb verrückt vor Jammer. Wenn er Schuld hat, dann büßt er jetzt. Rosmarie, dein Harro! Das ist ein Wehe für ihn. Ihre Strafe können wir wahrhaftig unserem Herrgott überlassen. Die bekommt sie. Sie will nicht gelauert, sondern nur im plötzlichen Zorn losgedrückt haben. Ob man's ihr glaubt?«

»Oh, wenn sie es sagt, gewiß. Furchtbar ist das ... Eine Sekunde und sie hat ihr ganzes Leben zerstört. Aber ihren Haß hatte sie schon vorher. Und ich habe auch meine Schuld daran, das sehe ich jetzt wohl ein. Mein Ring da. Ich hätte Vater zwingen müssen, ihn ihr wieder zu geben ... Nun leide ich und muß auch büßen. Vielleicht, wenn ich nicht so hartnäckig gewesen wäre! O Ulrike, mein armer Harro! ... Wenn Alfred ein Mann wäre ... wenn ... wir zwei Frauen allein!«

»Ich möchte es dir ersparen, Rosmarie, daß du die Wahl treffen mußt.«

»Aber Mama darf nicht wieder auf die Wiese gehen, daß es der Landjäger doch erfährt. Du weißt nicht, wie die sind, die Landjäger.«

»Kind, was hast du ewig mit diesen Menschen zu tun?«

»Es hat mir einmal eine arme Frau gesagt, wie sie es machen, sie gehen herum und spionieren aus. Glaubst du, daß Alfred nicht doch mit Mama fertig werden könnte? Wenn er das für uns täte. Für uns beide. Und wir brauchten Harro nicht den bittern Kelch zu trinken geben und nicht dem Vater.«

»Dein Vater hat ein kleines Landhaus in der Schweiz. Er hat es immer vermietet. Weil niemand dort wohnen wollte und er es nicht gut verkaufen konnte. Wenn Alfred es zuwege brächte und die Fürstin mit ihm, sagen wir, zur Erholung ginge.«

»Oh, geh hinauf, Ulrike. Sag ihm, ich flehe ihn an. Ich könnte es nicht übers Herz bringend, es Harro zu sagen.«

Ulrike erhob sich. »Da kann er Buße tun, der Filou, das kann er. Schier zu hart ist's für ihn, Rose. Marga kann ihn vielleicht einmal ablösen. Aber warum soll er nicht auch einmal auf eine harte Nuß beißen! Wer weiß, wie lange es währt.«

Sie ging hinauf und setzte sich an Alfreds Bett.

Er hatte sich hinein gelegt und lag da, seine schmalen Hände unter seinem Kopf gekreuzt, sein Jünglingsgesicht ganz verändert, wie in die Länge gezogen, schmerzbeladen.

Ulrike nickte ihm zu. Dann brachte sie ihre Botschaft vor. Seine blauen Augen wurden starr vor Entsetzen...

»Das kann ich nicht, Gräfin. Wenn Sie meine Schwester gesehen hätten – mit ihr zusammen zu sein – an einem Tisch essen. Ist das ein Leben für mich? ... Ein Gefangenenhüter. Und meine eigene Schwester!«

Ulrike erhob sich: »Dann muß eben das Kind entscheiden, wen sie heute noch ins Herz treffen will. Es ist hart für sie ...«

Alfred fuhr auf: »Warten Sie noch, Gräfin. Tue ich ihr einen Dienst damit? Ich hätte noch eben gesagt: Ich liefe für sie in die Hölle. Sagen Sie selbst, ob es nicht ein Höllenleben gibt.«

»Es wird nicht ewig währen...«

»Ich weiß aber, was die paar Stunden heute waren ...«

»Alfred, das Leben gibt Ihnen nun Gelegenheit, für die Menschen, die Sie lieben, etwas ganz Großes zu leisten. Etwas, was Ihnen unter gewöhnlichen Verhältnissen kein Mensch zumuten würde. Ich glaube Ihnen, daß Sie lieber um den Thorstein in der Sonne herumhängen würden und der lieben Frau Rosen schneiden und dem Heinz Buzemänner machen. Aber wenn Sie es versuchten! Nur einmal für die nächsten sechs Wochen, bis wir vielleicht weiter sehen! Gott, eine solche Last kann man nicht ewig mit sich herumtragen.«

Alfred sagte: »Gehen Sie hinunter und sagen Sie, daß die Herrin über mich gebiete ...«

Tante Ulrike schlug ihm auf die Schulter. Es war ein Ritterschlag.

Dann ging sie hinunter und setzte sich ans Bett der Rose und half ihr durch die grimmige Leidensnacht hindurch.

Am andern Morgen kam ein ganz seltsam veränderter Alfred zu seinem Schwager. Zuvor war er bei seiner Schwester gewesen. Die Unterredung gab ihm einen Vorgeschmack seiner künftigen Tätigkeit. Aber er hatte seine Schwester besiegt. Wie sie sah, daß er ihr mit dem Thorsteiner drohte, gab sie nach.

Der Fürst war sehr erstaunt. »Ja, ein Aufenthalt in reiner Höhenluft wäre vielleicht gut. Aber sie wird nicht dazu zu bringen sein.«

Es währt einige Zeit, bis er begreift, daß sich Alfred als Begleiter anbiete. Aber als er die Sache erst überlegt hatte, war er sehr erleichtert.

Harro dagegen war erstaunt und fast ärgerlich.

»Alfred, Sie sollten doch endlich am Müßiggang genug haben. Pflege! Die überlassen Sie doch den verschiedenen Weiblichkeiten. Sie hätten besser getan, mir hier Bretter zu streichen.«

Nicht Zum geringsten in des armen Alfred Martyrium gehört es, daß er auch noch Harros Verachtung zu tragen hat.

Aber ein einziges Mal wird es ihm doch noch gut. Er darf ganz allein an Rosmaries Chaiselongue kommen und neben ihr sitzen. Und sie sieht ihn so dankbar und so rührend an, daß es ihm das Herz erhebt.

Sie sagt: »Ich danke Ihnen, daß ich nun ruhig sein kann. Ich bin aus der großen Angst nicht herausgekommen, daß Mama etwas Unvorsichtiges tut. Und wenn Mama wieder einmal von mir hören kann, so sagen Sie ihr, daß ich nun einsehe, wie ich sie oft gereizt und gekränkt habe. Es ist jetzt zu spät, das gut zu machen. Man kann ja nie etwas wieder gut machen. Aber ich möchte, daß es Mama erfahre, daß ich jetzt auch darüber traure. Ich habe ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen. Und ich habe auch keine Entschuldigung, denn ich habe Menschen gehabt, die mir sagten, was ich zu tun hätte und wie ich es machen könnte. Und ich bin seit Jahren schon so glücklich gewesen, und Mama haben wir in der Kälte sitzen lassen. Ich habe nichts getan, was sie kränken konnte, aber ich habe alles geschehen lassen, von dem ich wußte, daß es sie kränken würde. Alfred, Sie müssen Mama das genau sagen! Und daß ich jeden Tag an sie denke, und wie furchtbar es mir nun ist, daß sie ihr Leben so zerstört hat und daß ich auch meine Schuld daran trage. Und, lieber Alfred, ich bitte Sie, haben Sie mit Mama Geduld und halten Sie Ihre Liebe zu ihr fest!« »Liebe!« sagte der arme Alfred. »Ich wüßte nicht, wo ich irgendwo in mir noch einen Funken Liebe für sie auftriebe. Wer kann das jetzt noch? Das können nur solche Engel wie Sie, Cousine.«

Rosmarie lächelte. »Fragen Sie Ihre Schwester, ob ich mich gerade so engelhaft gegen sie benommen habe.«

»Ach, ihr verdreht sich ja alles.«

»Das tut es gewiß, aber das glauben Sie doch nicht, daß sie ohne jeden Grund einen solchen Haß auf mich geworfen hätte! Einmal hat sie mir unrecht getan. Das kann ich auch jetzt nicht zurücknehmen. Als das schwere Gewitter war. Jetzt hätte es wirklich keinen Wert mehr, wenn ich noch lügen wollte. Der Blitz hat ja jetzt doch schon bei mir eingeschlagen. Und ich habe mich auch bitter zu schämen.«

»Zu schämen, Cousine? Ich dachte. Sie würden vielleicht sagen, wenn Charlotte ihre Untat einmal zu bereuen anfinge, dann würden Sie ihr vergeben.«

Rosmarie wurde dunkelrot: »Ach, Alfred, brauchen Sie doch keine so großen Worte. Vergeben. Das Wort ist so göttlich, das dürfen wir doch kaum in den Mund nehmen. Gott vergibt. Und das habe ich auch schon erfahren. Denken Sie doch an die beiden Schuldner. Wissen Sie die Geschichte nicht mehr? Dem einen ist von seinem Herrn die ungeheure Schuld erlassen, und nun stürzt er sich im Vorhof auf einen andern, der ihm eine ganz kleine Summe schuldet. Dieser Mann ist mir immer sehr gemein vorgekommen. Ein Gesinnungslump, sagt Harro. Zu dem möchte ich doch nicht gerade heruntersteigen. Das müssen Sie doch einsehen!«

»Ja,« sagte Alfred, »ich sehe etwas ein.«

»Und suchen Sie nach dem Funken Liebe, Alfred! Es muß doch einer da sein. In allen Ecken suchen Sie danach! Nicht wahr?«

Sie streckte ihm die Hand entgegen, er beugte sich darüber und wollte sie küssen. Da faßte sie nach seinen Schultern und zog ihn sanft zu sich herab und küßte ihn auf die Wange.

»Ich danke Ihnen, Alfred, was Sie mir tun, das wissen Sie gar nicht. Und was Sie für ein Opfer bringen, das weiß ich auch...« Einen Augenblick sah er noch in ihre Augen, das Herz schlug ihm bis zum Halse herauf. Dann sagte er:

»Cousine, Sie machen noch einen Menschen aus mir,« und ging zu Tante Ulrike, die ihn an der Terrasse erwartete.

»Gräfin, ich gehe ... Ich steige in den Schlangenkorb. Sie haben mir in sechs Wochen Ihre Schwester Marga versprochen. Sollte von mir bis dahin nichts Nennenswertes übrig sein, so begraben Sie meine Reste und suchen Sie Ihren Neffen zu überzeugen, daß es für einen Mann meines Kalibers doch keine so ganz unwürdige Leistung war. Leben Sie wohl und tausend Dank. Für die Lebensrettung im Augenblick zwar noch nicht, aber dafür, daß Sie mich dahin geführt haben, wo ich in den Himmel hineinsehen konnte.«

In Brauneck ward Ruhe. Bis zum jüngsten Zimmermädchen atmete alles auf. »Ein wahrer Gottesfriede,« flüsterte Fräulein Berger ihrer Vertrauten, der Arbeitslehrerin Fräulein Kramer, zu: »Es war kein Leben mehr mit Ihrer Durchlaucht. Schon lange nicht mehr. Und seit sie krank war ...Ich weiß, Sie sind verschwiegen. Es war eine Schinderei. Die beiden liefen sich oben die Füße ab und wir unten. Und die Leute auf der Straße werden sich segnen, daß das schwarze Ungetüm mit seinem Geblök nicht mehr herumrast. Dem Krüger sein Fuß ist auf einmal wieder heil geworden. Der hat nur nicht hinten drein laufen mögen, und von dem kleinen Bergmann hat man nie gehört, daß er sich einen Rausch getrunken hatte. Der hat das Hintendreinlaufen auch nicht vertragen. Der Adolf hat gesagt, wenn das Spazierengehen an ihn käme, so ginge er lieber aus dem Dienst. Warum es ihnen aber so greulich war, das verrät keiner. Und das macht mir Gedanken, Karoline. Und das Geläufe und Treppenknarren. Natürlich den Mädchen gegenüber laß ich's nicht aufkommen, sonst bliebe mir keine – das hat mir auch Gedanken gemacht. Man hört ja immer so etwas in einem so großen alten Bau. Mal schlägt ein Laden, mal ist's ein altes Ofenblech, das umfällt. Ich habe schließlich immer herausgefunden, was es war. Wenn ich mich fürchtete, dann wäre ich keine dreißig Jahre hier. Aber drei Tage vor dem Unglück auf der Römerwiese, da habe ich selbst nimmer nach schlagenden Läden und Ofenblechen gesucht. Der junge Herr ist aus drei Zimmern ausgewandert. Immer, sie wären ihm zu kalt oder zu heiß oder was weiß ich. Der hat es auch gehört. Ich habe von unserem Herrgott mitbekommen, daß ich mich nicht fürchte. Wie wenn ich fürs Schloß geboren wäre. Und so habe ich mich, wie ich's wieder gehört habe, in das Vorzimmer gestellt, wo die eine Säule ist, neben der Wendeltreppe dort ins Eck. Weil's dort herkam. Das ist auf drei Schritt an mir vorbei, Schritte und wieder Schritte. Es hat schier kein Ende genommen. Herauf und herunter. Und als trügen und schleppten sie. Gesehen habe ich nichts. Es schien ein Mond irgendwo, finster war es nicht. Und im Hof heulten alle Hunde. Lieber noch die Schritte als das Geheul. Auf einmal ging das Licht an, der Fürst kam ganz angezogen mitten in der Nacht. Er sieht mich, zum großen Glück war ich anständig gekleidet, und er sagt: ›Fräulein Berger, hören Sie die Hunde auch?‹ Er wundert sich gar nicht, daß ich auf bin. ›Es ist überhaupt nicht geheuer heute nacht, Durchlaucht.‹ Da faßt er mich am Arm und deutet hinüber. Jetzt ist wie ein mattes Licht im großen Saal. Die weißen Vorhänge gehen auf einmal herunter, auf denen zeichnen sich allerhand Schatten ab. Von Menschen, die da innen gehen. Sie gingen zu schnell und waren zu weit in der Mitte des Saales, wir konnten's nicht erkennen, was es für Schatten waren. Aber große und kleine, dünne und breite waren's gewiß. Viele, viele Schatten. Dann erlosch das Licht. Und der Fürst ließ meinen Arm los. Den hatte er die ganze Zeit gepackt gehalten. Er muß es gar nicht gewußt haben. Dann sagte der Fürst mit denselben Worten: ›Fräulein Berger, es gibt ein Unglück...‹

Ich sage: ›Durchlaucht, wir wollen nicht hoffen ...‹

Da schüttelt er sich und geht in sein Zimmer.

Und daß Sie mir nichts davon verlauten lassen, Karoline. Es bliebe mir kein Zimmermädchen, und Geister gibt es nicht. Das habe ich bei dem Herrn Kantor selig schon gelernt. So müssen wohl die alten Bilder spazieren gegangen sein. Und seit vorgestern haben wir Ruhe. Ein wahrer Gottesfriede, Karoline!«


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