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Einige Tage nach dem Besuch bei Stadtrat Klipp spielte Roth noch immer mit dem Gedanken, seinen Bruder Rudolf aufzusuchen. Untätig konnte er dem Lärm, der für die aufgehende ›Sonne‹ auf den Plakatsäulen, in elektrischen Wanderschriften abends auf den Dachgiebeln, auf den Zwischenvorhängen in den Theatern und Lichtspielhäusern gemacht wurde, nicht länger zusehen. In den meisten Ankündigungen war von dem Chefredakteur Roth die Rede, manchmal war dem Zunamen ein kleines R. vorangestellt. Eine Etage des Warenhauses am Bahnhofplatz war geräumt worden, riesige Leinenwände verkündeten lachenden Gaffern: »Hier geht die ›Sonne‹ auf!« Eines Morgens aber hatte Fräulein Leitermeyer II durch einen ihrer Rechercheure eine nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Probenummer der ›Sonne‹ erwischt und Roth vorlegen können. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, als er in das Exemplar sah, das der ›Flamme‹ im Druck, in der Raumeinteilung, in den Rubriken täuschend nachgeahmt war. Stand unter der ›Flamme‹ als Motto Ibsens Satz aus dem Volksfeind: ›Der stärkste Mann ist der, der allein steht‹, so hatte irgendein gebildeter Schweinehund für die ›Sonne‹ den Schillerschen Satz aus dem Wilhelm Tell aufgestöbert: ›Der Stärkste ist am mächtigsten allein.‹ Als Roth dieses Probeblatt sah, hörte mit einem Schlage sein untätiges Spielen mit dem Besuch bei Rudolf auf, er sah ein, daß Zögern und Zuwarten nicht länger möglich war, es verließ ihn jene dumpfe Passivität, die seit dem Besuch bei Klipp, nein, länger, seit dem Tode der kleinen Frau Lili, im Grunde aber seit jenem häßlichen Überfall des Gewerkschaftssekretärs auf ihm gelastet hatte. Er mußte den Stier bei den Hörnern packen.
Wirklich, die ganze vierte Etage des Warenhauses schien für Redaktion und Verwaltung der ›Sonne‹ reserviert. Er trat in das Vorzimmer. Alles war hier funkelnagelneu, weißlackiert, spiegelnd blank. Ist das eine Redaktion? dachte Roth, das sind die Räume eines fashionablen Damenschneiders. Graue Teppiche zu weißen Wandschränken. Den Telegraphendienst der Diener zeigte eine Tafel mit fünfundzwanzig Nummern. Ununterbrochen klingelte es von allen Seiten, ein uniformiertes Dutzend Diener flog durch die Vorzimmer und Korridore, auf den meisten Bänken warteten schmierige Zeitungshändler, deren Gesichter ihm bekannt vorkamen und die ihn etwas scheu begrüßten; einige Herren, offenbar Redakteure, schossen eilig an ihm vorbei. Durch einen Diener ließ er sich bei »Herrn Roth« melden, der gut abgerichtete Diener mußte erst nachsehen, ob der Chefredakteur setzt zu sprechen sei, vor allem bat er um den Namen. »Sagen Sie ihm nur, sein Bruder sei da.« Nach einigen Augenblicken kam der Diener wieder und bat Roth mit Worten, die ihm einstudiert schienen, er möge ins Wartezimmer eintreten, der Herr Chefredakteur werde in einigen Minuten erscheinen. Roth mußte lachen, wenn er die ostentative Titulatur dieses rotznasigen Jungen immer wieder hörte. Ehe er ins Wartezimmer eintrat, schnupperte er an den vielen Türen des Vorzimmers herum: Konferenzsaal der Redaktion, Lesezimmer für die ausländische, Lesezimmer für die inländische Presse, Stenographenzimmer, Bilderarchiv, Archiv für Personalien; als er auf eine Tür mit dem Schildchen Telephonsaal stieß, konnte er sich nicht enthalten, die Tür zu öffnen: Donnerwetter, acht Zellen! Als er in das Wartezimmer eintrat, das kunstgewerblich-mondän, grau in weiß blinkte, konnte er sich nicht verhehlen, daß der Apparat der ›Sonne‹ seiner alten, staubigen, armseligen Redaktion technisch weit überlegen war, das war ein gut gefederter Rollsroyce im Vergleich mit seiner alten Pferdedroschke. Aber er war nicht entmutigt. Maschinen, dachte er, kann ich auch anschaffen, auf Wandschränke von Bruno Paul pfeife ich, und im übrigen muß ich eben in die Tasche greifen, schließlich bin ich kein armer Mann. Plötzlich schoß er auf und sah auf die elektrische Uhr an der weißen Wand. Die »wenigen Minuten« waren längst vergangen. Wollte ihn der Lausejunge warten lassen? Er riß die Tür des Wartezimmers auf, rannte durchs Vorzimmer zu jener Tür, auf der das Schildchen ›Chefredakteur R. Roth‹ zu lesen war, und stand schon in dem weiten, lichtgrünen Salon.
Rudolf, hinter einem übermäßig langen Schreibtisch, erhob sich. Aus einem Fauteuil vor dem Schreibtisch richtete sich eine lange Gestalt auf, die Roth von hinten nicht gleich erkennen konnte. Jetzt drehte sich der langbeinige, blonde Mensch um: Adam Würz.
»Konnt mir's denken«, murmelte Roth bebend. Aber schon wandte er sich zu seinem Bruder: »Ich muß wieder fort, ich hab es eilig.«
Rudolf oder Raoul reichte Würz über den Tisch hinüber lässig die Hand und sagte: »Mein Bruder ist sehr nervös, wie Sie sehen, und in den Grundfragen sind wir, wie ich hoffe, einig. Vielleicht besprechen Sie die materiellen Fragen mit meinem Chefadministrator. Ich lasse Sie hinüberführen.« Er drückte auf einen Knopf.
Adam hatte gar nicht zugehört, das Eindringen des Flammen-Menschen und seine fast nicht verständlichen, hingemurmelten Sätze lähmten ihn, er spürte seine zitternden Beine, ja, er war doch noch etwas klapprig, und dann betrachtete er, während Leopold Roth aufgeregt auf den Bruder eindrang, das etwas abgemagerte Gesicht mit diesem heftigen, nervösen Zucken, das er früher nicht an ihm bemerkt hatte. Plötzlich vernebelte sich ihm das wirkliche Bild, er sah nicht dieses gequälte, sondern ein zudringlich starrendes Gesicht vor sich, das Gesicht des an dem Treppengeländer und dann in der Hotelhalle Lauernden. Mit der irren Ungerechtigkeit des Verwundeten trat er ganz nahe an Leopold Roth heran und stieß atemlos mit einer ihm selbst fremden Stimme hervor: »Ich hörte früher nicht recht, haben Sie sich eine Bemerkung über mich erlaubt?«
Leopold Roth wurde blutrot, seine Augen schienen aus dem Gesicht zu kollern, er starrte Adam an und wiederholte, etwas gepreßt:
»Ich sagte, daß ich mir denken konnte, Sie hier zu finden.«
»Ihre Gedanken interessieren mich nicht, und wenn ich hier bin, so habe ich vielleicht die Hoffnung, daß ich wenigstens hier die schlimmsten journalistischen Exzesse werde verhindern können.«
»Sie, Sie wollen etwas verhindern? Na, meinetwegen, verhindern Sie.«
Der Zusammenstoß verpuffte, der Rauch verflog, die Attacke war von zwei eigentlich müden Menschen geführt, plötzlich fühlten sich beide an ihrem Streit nicht mehr beteiligt, eine tiefe Gleichgültigkeit, viel tödlicher als lebendiger Haß, legte sich zwischen sie; Leopold wendete sich dem Bruder zu, Adam folgte dem Diener.
»Ich habe dringend mit dir zu sprechen.«
»Bitte, nimm Platz.« Raoul hatte seine Grandseigneur -Geste. »Aber du läufst hier Gefahr, plötzlich Diamantidi zu begegnen.«
»Hier kann ich ohnedies nicht reden, hier ersticke ich, ich muß eine Stunde allein und ungestört mit dir sprechen, mein Wagen steht unten, komm zu mir.«
»Nein,« antwortete Rudolf, »das geht auch nicht, ich möchte die Erinnerung an meinen letzten Besuch nicht vor Augen haben, sonst könnte ich überhaupt nicht mit dir reden. Muß es denn heute sein?«
»Heute, jetzt! Du wirst es nach den ersten Sätzen einsehen!«
Das klang so dezidiert, daß Rudolf, der überdies jeden Moment den Eintritt Diamantidis fürchtete, sich nicht länger sträubte:
»Gut, gehen wir in den Stadtpark. Um diese Stunde ist er fast leer. Wenn wir nicht besonderes Pech haben, sieht uns niemand, ich nehme an, daß das auch dir angenehm ist.«
Die Amseln pfiffen im Stadtpark.
Leopold Roth hatte für die rundesten Triller kein Ohr, Rudolf Roth konnte zuweilen mitten im Gespräch, wenn die Lockrufe aus dem knospenden Gesträuch zwitscherten, einen Moment stehen bleiben, um die pfeifenden Schnäbel zu suchen. Unwillkürlich drehte sich dann auch Leopold um, allerdings aus einem ganz anderen Grunde, er hatte nämlich, schon als sie aus dem Warenhaus ins Freie traten, einen breitschultrigen Mann bemerkt, der ihnen nachging. Aber da er nicht sicher war, ob es nicht einer der Rechercheure der Leitermeyer II war, so verschluckte er seine Beobachtung.
»Ich komme,« es ärgerte den Flammen-Menschen, daß seine Stimme vor Aufregung belegt war, »ich komme, um dir einen Vorschlag zu machen. Du weißt hoffentlich, daß du im Begriffe bist, uns beide zu vernichten, rede nicht dazwischen, ich sage uns beide. Ich habe das Probeblatt der ›Sonne‹ gesehen, ich will keine Moralpauken, wie du zu sagen pflegst, loslassen, aber das wirst du mir zugeben, was du machst oder vielmehr was du Diamantidi machen läßt, ist eine schmähliche Imitation meines Blattes. Es ist blanker Diebstahl. Ihr eignet euch mit einem Griff etwas an, woran ich acht Jahre gearbeitet habe. Gibst du das zu?« Leopold kämpfte gegen seine Heiserkeit, er wollte ruhig scheinen, er glaubte Schimpfworte zu vermeiden. Nur die Leitermeyer II oder Schneeberger hätten erkannt, was seine heisere, aus vertrockneter Kehle aufsteigende Stimme bedeutete. Nur einmal wurde er wieder unsachlich, als Rudolf mit seinem Stöckchen Balance-Kunststücke versuchte. »Laß doch diese Theater-Affereien.«
»Diamantidi,« sagte Rudolf, das Stöckchen mit der Elfenbeinkrücke auf seinen Arm hängend, »leider wünscht Diamantidi, daß gewisse Äußerlichkeiten der ›Flamme‹ übernommen werden. Markenschutz gibt es ja dafür nicht, und es ist mir zu meinem Bedauern nicht gelungen, ihn davon abzubringen. Im übrigen entscheidet, wie du selber behauptest, der Geist einer Zeitung, nicht ihr Gewand. Ich will gar nicht leugnen, daß wir auch in diesem Punkte einiges von dir gelernt haben, aber ich will dir mal die Augen für das Entscheidende öffnen, lieber Leopold. Du machst aus der Zeitung jeden Tag ein meinetwegen spannendes, pathetisches Drama, ich will mit demselben Stoff, ja sogar mit derselben Behandlung und Entlarvung von Persönlichkeiten aus der Gesellschaft ein tägliches Lustspiel machen. Ich werde dir noch etwas verraten: Das Publikum hat, genau so wie ich, ja wie deine besten Mitarbeiter, zum Beispiel Würz, den wir gewinnen werden, deine ewige Moralisiererei satt. Ich will die Leute amüsieren. Das könnte dich allerdings ruinieren, besonders da wir ja mit ganz anderen Geldmitteln arbeiten werden, aber auch ich werde dir noch einen Vorschlag machen ... Daß du imstande seist, mich oder mein Blatt oder Diamantidi zu vernichten, wie du dich auszudrücken beliebst, na, das glaubst du im Ernst wohl selbst nicht.«
»Dich,« antwortete Leopold, noch heiserer, »dich habe ich, wenn es sein muß, in zwei Nummern der ›Flamme‹ in der Stadt unmöglich gemacht! Ich zögere nur, weil du denselben Namen hast wie ich und weil die Masse noch immer eine Art Bruderglauben hat. Indem ich dich in deiner leeren Jämmerlichkeit ausstelle, schade ich vor den gedankenlosen Leuten mir selber. Gleiche Brüder, gleiche Kappen. Das werde ich von zehntausend Eseln hören müssen. Aber vielleicht bleibt mir doch nichts anderes übrig, und wenn du wirklich dich dazu hergibst, ein Werkzeug kleinlichster Rache dieses Diamantidi zu werden, dann muß ich dein Parasiten-Dasein darstellen, so wie es seit Jahren verlaufen ist: Ausgehalten von Weibern, Hochstapeleien mit meinem Namen, Erpressungen auf mein Konto, ich kann dich ja zerfetzen, wenn ich will.«
Leopold mußte innehalten, er rang nach Atem.
»Ach Gott, die alten Geschichten, kommst du wirklich mit diesem Kram? In solchen Situationen braucht man nur ein Schlafmittel zu nehmen, nach vierundzwanzig Stunden sind solche altväterischen Monologe beim Publikum vergessen, oder ich fahre mit meiner Freundin Fritzi für zwei Tage ins Inselhotel nach Konstanz, länger als achtundvierzig Stunden dauern solche Sensationen ja nicht. Ich will dir mal eine nützliche Lehre geben, Leopold: Die Welt ist sehr dickhäutig geworden! Das ist nicht mehr so wie zu deiner Zeit, in den neunziger Jahren. Eine neue selbstsichere Generation ist herangewachsen.« Dazu spielte Rudolf wieder mit seinem Ebenholzstöckchen, er sprach beinahe herablassend.
Leopold, durch den näselnden Ton des Bruders am meisten irritiert, dachte: Provinztheater. Er spielt den frivolen Kavalier. Aber das Herz klopfte ihm doch bis zum Halse und er mußte sich ununterbrochen schweigend kommandieren: Ruhe! Ruhe! Ruhe! Endlich hatte er, nach einigem Räuspern, seine Stimme wieder tönend genug, um sprechen zu können:
»Daß ich deinen Diamantidi schon einmal demoliert habe, das hast du und hat er vielleicht schon vergessen. Deine ganze ›Sonne‹ dankst du doch nur mir, meinem Blatt, meinen Hieben. In drei Wochen, das sag ich dir, wird dein Diamantidi nach Mailand geflohen sein.«
Rudolf schwenkte das Stückchen: »Möglich. Er ist ja auch alte Generation, er überschätzt die Druckerschwärze. Aber ich bin ja nicht so unvorsichtig gewesen, die ›Sonne‹ bloß auf sein fettes Gesicht hin zu gründen, unser Gesellschaftskapital ist eingezahlt, unsere Verträge sind beim Notar unterschrieben worden. Ohne ihn werd ich das Blatt noch besser machen.«
»Du? Du?«
»Ich werde mich nicht überanstrengen, sagen wir also: meine Leute.«
»Deine Leute? Du dummer Junge!«
Sie standen am Stadtparkteich. Rudolf blieb stehen, mit seinem Stöckchen stieß er kleine Steine über die niedrige Böschung ins Wasser. Plötzlich drehte er sich zu Leopold und sagte: »Mit einem Größenwahnsinnigen kann ich nicht verhandeln.«
»Nimm das Stöckchen in die andere Hand, es irritiert mich«, sagte Leopold etwas atemlos. »Ich mache dir meinen Vorschlag. Statt mich und dich zu ruinieren, gebe ich dir die Hälfte meines Vermögens, hörst du, die Hälfte meines Bankkontos, das ist nicht wenig, ich Hab es sauer erarbeitet, es sind mehr als dreimalhunderttausend Mark. Da ich dich kenne, kann ich es dir nicht in die Hand geben. Du kannst es auch in Deutschland nicht verzehren, aber such dir selbst den schönsten Ort außerhalb Europas aus, um mein Geld zu verbrauchen, in San Francisco oder Ceylon, in Sidney oder Hollywood, meinetwegen in dem paradiesischen Ort der Erde. Zwei Jahre beziehst du die Zinsen, im dritten Jahr kannst du auch über das Kapital verfügen, dann darfst du, wenn du willst, auch zurückkommen. Aber du mußt schnell zugreifen. Mein Angebot, meinetwegen beim Notar festgesetzt, gilt vierundzwanzig Stunden.«
Rudolf spielte, sicher unabsichtlich, wieder mit dem Stöckchen; während er im Sande stocherte, sagte er, wieder in seinem dummen Kavalierston: »Kindisch, nicht zu machen.«
Er schien den Enten zuzusehen, die vom Ufer in den Teich hinausschwammen.
»Aber nun will ich dir meinen Vorschlag machen,« erwiderte er immer in diesem näselnden Ton, »ich sehe ein, daß die ›Sonne‹ dich umbringt, ich begreife deine – man sieht es dir ja an – deine Verzweiflung. Du bist zwar nie, nicht einen Moment lang, mein Bruder gewesen, du hast mich immer mit deinem neidischen, finsteren Waisenhaus-Haß gesehen, aber ich will darüber hinweggehen. Ich will dich gar nicht vernichten, wie du mich, ich mache dir den Vorschlag: Tritt in die ›Sonne‹ ein, es wird mir, glaub ich, gelingen, Diamantidi umzustimmen. Du wirst dich bei mir nicht überanstrengen, du sollst gar nicht schreiben, denn dein anklägerischer Ton paßt nicht in mein Blatt, aber du kannst dafür, daß die ›Flamme‹ in unserem Unternehmen aufgeht, in Form eines anständigen Gehaltes entschädigt werden. Vielleicht wirst du allmählich sogar brauchbar.«
Rudolf näselte gar nicht mehr; bei dem Gedanken, den Bruder bei sich anzustellen, wurde er geradezu heiter. Er nahm unwillkürlich das Stöckchen in die Hand und drehte es im Kreis.
Leopold, unfähig zu sprechen, stieß mit der Hand nach dem vor ihm kreisenden Stöckchen, das dem Bruder entfiel. »Ich verbiete ...« wollte Rudolf sagen und beugte sich zur Erde, um den Stock aufzuheben.
Da, zu Boden gebeugt, bekam er einen Stoß und stürzte ganz zur Erde. Leopold sah, wie Rudolf aufzustehen versuchte, plötzlich über die abfallende, nasse Böschung glitt. Dann hörte er ein Klatschen ins Wasser, er wußte, das ist er, da schwimmt er, aber er sah nicht hin, sondern horchte. Er hörte ganz deutlich ein Nach-Luft-Schnappen und Wasserschlucken vom Teich her.
Jetzt blickte er auf und sah einen nassen Kopf, der aus dem Wasser auftauchte, verschwand, noch einmal auftauchte und dann nicht mehr wieder zum Vorschein kam.
Eine Hand, die sich schwer auf seine Schulter legte, weckte ihn aus seinem blöden Glotzen.
»Sie haben den Mann ins Wasser gestoßen.«
Dann waren auf einmal unzählige Menschen im Kreise um Roth.
Die breite Hand hielt noch immer seinen Arm. Reden, Schreien, Streiten – er sah nach dem Wasser, wo sich nichts mehr bewegte.
»Wache! Wache! Wache!«
Als ein Schutzmann Roth anfaßte, gewahrte er erst die Leute, die hinter ihnen drängten.
Es meldeten sich vier Zeugen, die gesehen hatten, wie Roth dem Bruder, der seinen Stock aufheben wollte, einen Stoß versetzt hatte; durch den unerwarteten Stoß glitt der Bruder über die Böschung. Ein Zeuge, besonders empört, wollte noch einen zweiten Stoß, direkt ins Wasser, beobachtet haben. Aber das bestritten die andern drei.
Die Leiche wurde noch am selben Tag herausgefischt.