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Nach einem sanften Mittagsschläfchen war Dagobert eben damit beschäftigt, eine frische Halsbinde anzulegen, von der er sich eine bedeutende Wirkung versprach, als ihm der Diener auf silberner Platte eine Karte überbrachte. Mit raschem Blick las er auf dieser einen ihm völlig unbekannten Namen.
»Ich soll dem gnädigen Herrn ausrichten,« beeilte sich der Diener erläuternd zu bemerken, »daß der Herr vom Exzellenzherrn Grafen Anzbach geschickt worden ist.«
Vom Grafen Anzbach! Dagobert machte Augen. Er war es doch gewohnt, in den besten gesellschaftlichen Kreisen zu verkehren, und ihm imponierte nicht leicht ein Name oder Titel, aber Exzellenz Anzbach – das war doch etwas Besonderes, eine Klasse für sich. Das war sozusagen der erste Kavalier des Reiches. Man wußte von ihm, daß er – vielleicht als der einzige im ganzen Reiche – sich der völlig rückhaltlosen vertrauten persönlichen Freundschaft eines sehr hohen Herrn zu erfreuen habe. Es wurde sogar behauptet, ohne daß es freilich jemals mit voller Bestimmtheit hätte festgestellt werden können, daß die beiden sich im traulichen, durch keiner Zeugen Gegenwart gestörten Verkehr duzten, wie sonst gewöhnliche Sterbliche, wenn das Band der Freundschaft sie verknüpft.
Der Graf war und galt viel, und was er war, das war er immer im großen Stile, kurz in allem eine singuläre Erscheinung. Zunächst ein großer Philanthrop 37 und schon damit förmlich eine Ausnahme im österreichischen Hochadel, der im allgemeinen nicht den Ehrgeiz verrät, sich durch besondere Großtaten auf dem Gebiete der Humanität hervorzutun. Man wußte sich zu erzählen, daß Graf Anzbach ein eigenes Bureau mit drei Sekretären unterhalte, das sich lediglich mit den sich ihm aufdringenden charitativen Obliegenheiten zu beschäftigen hätte. Jede Post brachte ihm Stöße von Gesuchen, Prospekten und Projekten ins Haus. Das alles mußte geprüft und, wie der technische Ausdruck lautet, »recherchiert« werden, ehe ihm Bericht erstattet und seine Entscheidung eingeholt wurde.
Ein schier unermeßliches Vermögen setzte ihn in den Stand, überall helfend einzugreifen, wo für eine wirkliche Notlage seine Hilfe angerufen ward, und es wurde bei ihm kein Unglücklicher abgewiesen, sofern nur seine Unterstützungswürdigkeit erwiesen war. Man sprach davon, daß sein Jahresbudget für Wohltätigkeit mit siebenstelligen Ziffern zu umschreiben sei. Aber nicht nur mit Geld, er konnte auch mit Besserem, mit Arbeit und Lebensstellungen Wohltaten üben. Als einer der größten Industriellen, Grundbesitzer, als angesehener Politiker und Führer einer maßgebenden Partei im Herrenhause war er ein vielvermögender Mann, der würdige und brauchbare Leute leichter unterzubringen und zu versorgen vermochte als sonst irgend jemand.
All das schoß Dagobert durch den Kopf, als ihm der Diener die überraschende Meldung machte, und reizte seine Neugierde zu erfahren, was gerade dieser Mann wohl von ihm wünsche möge. Er beendigte also rasch seine Toilettekünste, wobei es ihm allerdings einige Mühe verursachte, sein widerspenstiges 38 Petrusschöpfchen zu bändigen und seinen doch schon etwas angegrauten dunklen Vollbart in die gewohnte tadellose Fasson zu bringen.
Ein junger Mann trat ein.
»Seine Exzellenz läßt Herrn Dagobert um die Ehre eines Besuches bitten. Es handelt sich um eine wichtige Angelegenheit.«
Um eine wichtige Angelegenheit von dieser Seite! Dagobert fühlte sich in seiner Eigenliebe geschmeichelt, aber es gab dabei doch etwas, was ihn verdroß. Er ist doch nicht der Mann, den man sich einfach holen läßt. Zu ihm hat man sich, wenn man etwas von ihm wünscht, schon selber zu bemühen.
Es war, als hätte der junge Mann ihm den Gedanken vom Gesichte heruntergelesen, als er gleich darauf fortfuhr: »Verzeihung, Herr Dagobert, wenn ich erst jetzt vorbringe, womit ich hätte beginnen sollen, mit der Entschuldigung Sr. Exzellenz nämlich, daß er nicht persönlich seine Bitte vorbringe. Es habe das seinen ganz bestimmten Grund –«
»Das wäre doch auch wirklich gar nicht nötig gewesen,« lenkte Dagobert nun schnell versöhnt ein. »Sagen Sie mal, Herr – Herr –«
Er suchte mit den Augen die Karte, die er schon aus der Hand gelegt hatte.
»Erdmann, Gustav Erdmann ist mein Name,« beeilte sich der Bote auszuhelfen.
»Richtig, Herr Erdmann! Sie stehen im Dienste des Grafen?«
»Ich bin sein Privatsekretär.«
»Donnerwetter, eine schöne Karriere für einen so jungen Mann! Seit wann nehmen Sie die Stellung ein?«
39 Der junge Mann tat, als habe er die Frage überhört.
»Soviel ich weiß,« fuhr Dagobert fort, »ist Freiherr v. Goth der Privatsekretär des Grafen.«
»Der Privatsekretär bin ich.«
»Ist Baron Goth nicht mehr im Hause?«
Wieder blieb der junge Mann die Antwort schuldig. Er schien entschlossen zu sein, überhaupt keine Fragen zu beantworten.
Dagobert machte noch einen Versuch: »Ist Ihnen darüber etwas bekannt, Herr Erdmann, aus welchem Anlaß mein Besuch gewünscht wird?«
Wieder keine Antwort.
»Junger Mann, Sie gefallen mir,« sagte nun Dagobert lächelnd, indem er die Hand auf die Schulter des Sekretärs legte. »Ein Privatsekretär soll sich nicht ausholen lassen. Wenn ich es doch versucht habe, so war das nicht Erziehungs- oder Taktfehler, sondern einfach in meiner Liebhaberei, ich kann fast sagen in meinem Berufe begründet. Detektivs müssen wie Journalisten neugierig sein. Ich werde es dem Exzellenzherrn erwähnen, daß Sie sich gut gehalten haben.«
Dagobert hatte, während er noch sprach, auf den elektrischen Taster gedrückt und übermittelte nun dem geräuschlos auftauchenden Diener den Auftrag, daß sofort eingespannt werden solle.
»Ich bin im Automobil hergefahren,« bemerkte hier rasch der Sekretär. »Wenn Herr Dagobert die Güte haben wollten, einzusteigen –«
»Abgemacht!« –
Fünf Minuten später empfing Graf Anzbach Dagobert in seinem Arbeitskabinett.
»Exzellenz haben mich gewünscht – hier bin ich!«
40 »Und ich danke Ihnen herzlichst, daß Sie gekommen sind, Herr Dagobert. Ich möchte Ihre Dienste erbitten, und es hätte sich wohl gehört, daß ich zuerst meine Aufwartung bei Ihnen mache, aber –«
»Aber, Exzellenz, halten wir uns doch damit nicht auf!«
»Nein, ich muß mich rechtfertigen. Es handelt sich um eine Angelegenheit, die für mich von ganz außerordentlicher Wichtigkeit ist. Ich möchte sagen, es ist überhaupt die wichtigste Angelegenheit, die mir jemals im Leben zu schaffen gemacht hat.«
»Um so lebhafter fühle ich die Auszeichnung, daß Exzellenz mir das Vertrauen schenken wollen.«
»Das lag doch nahe genug. Ich habe die Berichte Ihres Freundes über Ihre Leistungen immer mit Interesse gelesen, zudem hat mir mein verehrter Freund Präsident Grumbach so viel von Ihren Taten erzählt, daß ich den größten Wert darauf legen mußte, gerade Ihre Kraft zu gewinnen. Wenn nun ich Sie aufgesucht hätte, hätte ich doch mein Anliegen vorbringen müssen. Wir wären ins Reden gekommen, und gerade Sie werden mir am ehesten zugeben, daß das nicht das richtige gewesen wäre. Hier am Schauplatz der Begebenheiten sollten Sie die ersten Eindrücke empfangen. Ich wollte alles vermieden haben, was verwirrend hätte wirken können.«
»Exzellenz beweisen mit dieser Auffassung nur, daß Sie die ganze Detektivkunst richtig einschätzen und wahrscheinlich selbst ein vortrefflicher Detektiv geworden wären, wenn Sie es nicht vorgezogen hätten, ›nur‹ der erste Kavalier des Reiches zu bleiben.«
»Wahrhaftig,« erwiderte der Exzellenzherr lachend, »ich glaube beinahe selbst, daß ich die rechte Vokation 41 für den interessanten Beruf hätte. Ich bitte Sie – wenn man mit so vielen Menschen zusammentrifft, die es in diesem oder jenem Sinne auf einen abgesehen haben, wenn man sein lebelang sich förmlich in der Verteidigerstellung befindet gegen einen Massenansturm, da schärft sich doch wohl der Blick für Menschen und Verhältnisse einigermaßen. Und dieser Blick – ich glaube, das ist die wichtigste Voraussetzung der schönen Detektivkunst. Doch nun zur Sache. Aber zuvor müssen Sie eine Zigarre nehmen, damit ich auch rauchen darf. Es spricht sich so besser.«
»Danke, Exzellenz, sie brennt schon. Also hören wir.«
»Gut, fangen wir an. Also: heute nacht – geben Sie acht, Herr Dagobert, Ihre Zigarre brennt schief! – also heute nacht ist meine feuer- und einbruchsichere Kasse ausgeraubt worden.«
»Exzellenz belieben, mich mit einem Knalleffekt überrumpeln zu wollen.«
»Ich versichere, Herr Dagobert, daß mir nichts ferner liegt als Effekthascherei. Ich berichte einfach die Tatsache: meine Kasse ist ausgeraubt worden.«
»Soviel ich sehe, regen sich Exzellenz über diese Tatsache nicht sonderlich auf. Da wäre es vielleicht nicht wohl angebracht, wenn ich mich mehr über sie aufregen wollte.«
»Aufregung taugt überhaupt nicht, weder für mich noch für Sie, Herr Dagobert!«
»Sehr richtig; aber da es sich doch um die vielleicht wichtigste Angelegenheit Ihres Lebens handelt – war es nicht so? – sollte ich meinen –«
»Allerdings war es – ist es so. So wichtig, daß ich nicht weiß, wie ich weiterleben soll, wenn es Ihrer Kunst nicht gelingt, mich zu retten. Ja, 42 Herr Dagobert, Sie können das wörtlich nehmen: mich zu retten!«
»Ich kann mir nicht denken, daß eine Kasse für Exzellenz von so entscheidender Bedeutung sein könnte. War der Betrag so ungeheuer groß?«
»Nein, Herr Dagobert; so kann ich nicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Auch Sie werden ja wissen, daß ich ein paar Dutzend Güter, Schlösser, Paläste, Häuser besitze – natürlich alles unbelastet. Das läßt sich doch nicht mit einem kühnen Griff wegtragen!«
»Es ist also nicht der materielle Wert, der in erster Linie in Frage kommt. Das bietet wenigstens nach einer Richtung hin eine gewisse Beruhigung.«
»Im Gegenteil! Gerade das verursacht die große Beunruhigung.«
»Wenn dem so ist, dann hätte ich von meinem technischen Standpunkte aus nur noch eine Vorbemerkung zu machen, Exzellenz. Wir haben jetzt Punkt vier Uhr nach Mittag und sitzen gemütlich bei einer Zigarre. Der Einbruch oder der Diebstahl ist in der Nacht verübt worden. Exzellenz sind zweifellos schon am Morgen zur Kenntnis des Verbrechens gelangt, scheinen es aber der ganzen Sachlage nach nicht sehr eilig gehabt zu haben mit der Aufnahme der Verfolgung. Ich brauche wohl nicht erst besonders darauf aufmerksam zu machen, daß nun sehr viel kostbare Zeit verloren und damit alle weiteren Maßnahmen, die etwa zu einem Erfolge führen könnten, beträchtlich erschwert worden sind.«
»Ihr Vorwurf ist nur zum Teil gerechtfertigt, Herr Dagobert. Ich habe tatsächlich in aller Gottesfrühe oder, um mich ganz präzise auszudrücken, um 43 sieben Uhr früh alles vorgekehrt, was mir im gegebenen Falle erforderlich, ja unerläßlich schien.«
»Darf man fragen –?«
»Natürlich darf man! Ihnen muß ich doch reinen Wein einschenken. Also – ich habe sofort die Polizei verständigt und auch gleich den Oberkommissar Doktor Thaddäus Ritter von Skrinsky telephonisch zu mir gebeten.«
»Und er ist hier gewesen?«
»Ist hier gewesen, hat den Lokalaugenschein aufgenommen, den Tatbestand festgestellt. Er ist recht zuversichtlich und hat mir die besten Hoffnungen gemacht. Er will dem Falle seine ganz besondere Aufmerksamkeit zuwenden und ist, wie ich annehme, jetzt schon über Hals und Kopf mit der Untersuchung beschäftigt.«
»Dann allerdings –«
»So bleiben Sie doch nur ruhig sitzen, Herr Dagobert!«
»Nein, Exzellenz, es wäre zwecklos. Sie haben zweifellos richtig gehandelt, als Sie die Polizei unverzüglich verständigten, aber meine Mitwirkung muß nun ausgeschlossen bleiben.«
»Aber gerade Ihre Mitwirkung ist mir von allerhöchstem Werte!«
»Es geht nicht, Exzellenz. Es wäre ganz stilwidrig und unsachlich, den Fall von zwei verschiedenen Seiten zugleich in die Hand nehmen zu lassen. Dabei kann nichts Ordentliches herauskommen. Man geht sich gegenseitig ins Gehege. Der eine kann verderben, was der andere gutgemacht zu haben glaubt. Das Wild wird beunruhigt und aufgescheucht und schließlich 44 entschlüpft es glücklich, nur weil die Jäger sich gegenseitig im Wege standen. Es geht wirklich nicht!«
»Ich habe Sie ausreden lassen, lieber Herr Dagobert, nun müssen aber auch Sie mir den Gefallen tun, mich anzuhören. Unsere Situation ist ja augenblicklich eine peinliche. Ich habe sie vorausgesehen und würdige vollauf Ihren berechtigten Künstlerstolz –«
»Davon ist hier wahrhaftig nicht die Rede!«
»Doch, doch, lieber Freund, und mit Recht! Nur erbitte ich mir von Ihnen die Gnade, mich nicht so ohne weiteres für einen ausgemachten Dummkopf zu halten.«
»Aber Exzellenz!«
»Konnten Sie wirklich glauben, daß ich mir von Skrinsky etwas erwarte?! Konnten Sie voraussetzen, daß ich nicht selbst es von vornherein als ungeheuren Hohn für Sie empfunden hätte, wenn ich mich erst an einen Herrn Skrinsky wende und dann hinterher Ihre gütige Mitwirkung erbitte?!«
»Aber geschehen ist es doch?«
»Weil es sein mußte! Es wäre ein Hohn gewesen – unter normalen Verhältnissen. Hier stehen wir aber nicht solchen gegenüber. Die Umstände legten mir die unabweisliche Pflicht auf, die polizeiliche Anzeige zu erstatten. Das mußte geschehen zu meiner eigenen etwa nötig werdenden Rückendeckung. Es könnte der Fall eintreten, daß aus der Unterlassung der eigentlich pflichtmäßigen behördlichen Anzeige mir nachträglich ein unverzeihliches Versäumnis zum Vorwurf gemacht würde, und ich hätte dann dem Vorwurf keine Rechtfertigung entgegenzusetzen. Das müssen Sie doch verstehen, Herr Dagobert!«
»Ich fange an zu verstehen.‹
45 »Sie werden mich gleich noch besser verstehen. Mein Fall ist überhaupt nicht geeignet für eine polizeiliche Untersuchung, und es wird durch eine solche auch niemals etwas zutage kommen, schon aus dem einfachen Grunde, weil ich die entscheidenden Anhaltspunkte weder einer Behörde noch überhaupt einem anderen Menschen als Ihnen jemals an die Hand zu geben entschlossen bin. Versöhnt Sie das?«
»Ich war nicht gekränkt, Exzellenz.«
»Sie hätten Grund gehabt, es zu sein. Ich hoffe aber, Sie noch ganz auf meine Seite herüberzukriegen. Also: auf der einen Seite hatte ich die Pflicht, die Polizei zu verständigen, auf der andern den sehr dringenden Wunsch, daß sie nichts herausbringe. In dieser Zwickmühle konnte ich nichts Vernünftigeres tun, als mir den Skrinsky kommen zu lassen. Denn er – ich hoffe, Sie werden mir da mit dem vollen Brustton der Überzeugung beistimmen – ist notorisch und zweifellos der weitaus talentloseste unter unseren sämtlichen Kriminalpolizisten.«
»O ja!‹
»Ich habe ihn zudem so gebunden und geknebelt mit auferlegten Pflichten der Vorsicht und des absoluten Stillschweigens, daß er, und hätte er auch das Genie Dagoberts –«
»Exzellenz sind zu gütig!«
»– niemals zu irgendeinem Resultat gelangen könnte. Sie sehen, verehrter Freund, Sie können ganz beruhigt sein. Er wird Ihre Wege niemals kreuzen. Darf ich also auf Sie rechnen?«
»Ich stehe zu Ihren Diensten, Exzellenz.«
»Tausend Dank! Nun können wir die Arbeit beginnen.«
46 »Nach allem, was ich bisher gehört, hätte es keinen Zweck, wenn nun auch ich noch einen Lokalaugenschein vornehmen wollte. Ist die entwendete Summe bedeutend?«
»Bedeutend ist ein relativer Begriff. Mitgenommen wurden zweimalhundertundvierzigtausend Kronen.«
»Also unbedeutend.«
»Sie Schmeichler – aber ich gebe zu, daß mich der Verlust nicht drückt.«
»Ich vermute, daß Sie auf irgendeine Person einen Verdacht haben?«
»Mein Privatsekretär ist seit heute morgen abgängig.«
»Baron Goth? Und seit heute morgen haben Exzellenz einen anderen Privatsekretär?«
»So ist es.«
»Scheint ein tüchtiger junger Mann zu sein; hat den besten Eindruck auf mich gemacht.«
»Ich habe meist tüchtige Leute um mich, nur sind sie manchmal ein bißchen gefährlich. Ich habe nämlich die Neigung, mir die Leute durch Dankbarkeit zu verpflichten. Es geschieht mir häufig, daß entgleiste oder schiffbrüchige Existenzen, Edelleute, Offiziere und so, bei mir Rettung suchen. Das gibt immer eine ungemütliche Alternative. Entweder – ich helfe ihnen auf die Beine, oder – sie schießen sich eine Kugel vor den Kopf. Ein Drittes gibt es gewöhnlich nicht. Ich helfe also, wo ich vermuten kann, daß eine Rettung wirklich noch möglich ist. Nun ist es aber da leider gewöhnlich mit Geldspenden nicht abgetan. Das wäre das Einfachste und Bequemste, aber auch das Unpraktischste. Die Leute müssen eingespannt werden in eine Arbeit, in einen Beruf, wenn 47 nicht in kurzer Zeit die ungemütliche Alternative sich aufs neue einstellen soll. Ich fürchte, Herr Dagobert, daß diese Ausführungen Sie ein wenig langweilen werden.«
»Ich bitte nur fortzufahren, Exzellenz, ich höre aufmerksam zu.«
»Ich muß sie aber vorbringen, um Ihnen den ganzen Zusammenhang verständlich zu machen. Nun beginnt die Schwierigkeit. Gewöhnlich ist die verzweifelte Lage nicht ohne eigenes Verschulden herbeigeführt worden. Wie soll ich nun Männer, von denen ich weiß, daß sie Verfehlungen auf dem Gewissen haben, die oft sehr ernst, aber doch nicht derart sind, daß gleich die Todesstrafe auf sie gesetzt werden müßte, und das wäre der unausweichliche Selbstmord – wie also soll, wie könnte ich die anderen Leuten empfehlen?! Das geht nicht. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als sie selbst anzustellen und zu versorgen. Und so sehe ich mich denn von Zeit zu Zeit von einem Stab von Mitarbeitern umgeben, über die eigentlich jeder vernünftige Mensch den Kopf bedenklich schütteln müßte.«
»Vielleicht nicht mit Unrecht, Exzellenz!«
»Ich bin auch darauf gefaßt, dabei einmal das Opfer einer katastrophalen Erfahrung zu werden.«
»Ein solcher Fall scheint eingetreten zu sein.«
»Auch Baron Goth war so eine gescheiterte Existenz, ein abgewirtschafteter Lebemann. Er hatte eigentlich nichts Unehrenhaftes begangen, er hatte nur verschwendet. Ich konnte ihn also weiter empfehlen, ohne daß ich etwas zu verschweigen gehabt hätte. Ich sprach also mit dem Generaldirektor der Zentralbank. Der ließ sich den Mann kommen, prüfte 48 seine Fähigkeiten, die ihn in hohem Maße befriedigten, und räumte ihm sodann eine Vertrauensstellung ein. Ich konnte Baron Goths Tätigkeit aus nächster Nähe beobachten. Ich bin nämlich Präsident des Verwaltungsrates der Zentralbank. Das ist eigentlich eine Ehrenstelle, aber ich bin nicht gewohnt, meine Ehrenstellen, es gibt deren ziemlich viele, lediglich als solche zu betrachten. Ich lege selbst mit Hand an, und zumal bei der Zentralbank sah ich fleißig nach dem Rechten. Sie betreibt großzügige geschäftliche Unternehmungen. In mir steckt etwas von einem Geschäftsmann; ich war also ganz bei der Sache. Baron Goth als Präsidialsekretär kam häufig in meine Wohnung, sei es, um mir vertrauliche Mitteilungen von der Direktion zu überbringen oder um in besonderen Fällen meine Weisungen oder Entscheidungen einzuholen. Das ging so etwa ein Jahr lang in schönster Ordnung, dann aber begannen unliebsame Gerüchte über den Baron umzulaufen. Wieder nichts eigentlich Ehrenrühriges, aber doch recht Unliebsames. Er begann wieder Aufwand zu treiben, und darüber entstand das Gerede. Da mußte etwas geschehen. Moralisch verantwortlich war ich, und für die Bank schien er nun gefährlich. Ein plausibler Grund, ihn fortzujagen, lag nicht vor, hätte auch meiner persönlichen Stimmlage gar nicht entsprochen. Schließlich hatte er sich bisher auch als befähigt, verläßlich und tüchtig erwiesen. Ich machte kurzen Prozeß und stellte ihm den Antrag, unter Verdoppelung seiner Bezüge bei mir als Privatsekretär einzutreten.«
»Das sieht Ihnen ähnlich, Exzellenz!«
»Mir konnte er nützlich sein, und ich konnte ihn so besser im Auge behalten, und wenn schließlich 49 etwas Fatales passieren sollte, war es besser, es passierte mir als der Bank. Mein Antrag wurde angenommen, und ich erwirkte die Abkürzung der Kündigungsfrist auf einen Monat. Diese Frist benutzte ich, um mir vollen Aufschluß über das Privatleben und die Beziehungen des Barons zu verschaffen. Und nun, Herr Dagobert, wird es mir recht schwierig, weiterzureden. Wir sehen uns heute zum erstenmal, und ich will zu Ihnen sprechen, wie ich sonst zu keinem Menschen auf der Welt sprechen würde, nicht einmal zu dem allervertrautesten Freunde. Noch darf ich mich nicht einmal darauf berufen, daß wir Freunde sind – ich hoffe, es in nicht allzu ferner Zeit zu können –«
»Was mich betrifft, Exzellenz, so können Sie mich getrost schon jetzt Ihren Freund nennen,« sagte Dagobert.
»Ich schlage freudig ein,« erwiderte der Graf und streckte Dagobert die Hand entgegen, »und so will ich denn als Freund zum Freunde, als Mann zum Manne, als Kavalier zum Kavalier reden, so rückhaltlos ist mein Vertrauen, daß ich Ihnen nicht einmal erst besonders die Pflicht der Geheimhaltung auferlege.«
»Ganz unnötig, Exzellenz; versteht sich von selbst.«
»Wieder muß ich – Sie werden mich für recht redselig halten und für einen Menschen, der vom Hundertsten ins Tausendste kommt – etwas weiter ausholen, aber es ist notwendig, wenn Sie in allem klar sehen sollen. Sie wissen also, daß ich mich gelegentlich mit recht zweifelhaften Elementen umgebe, und ich glaube, Sie haben das vorhin ein gefährliches Experiment genannt –«
50 »Ich weiß nicht, ob ich es gesagt habe, gedacht habe ich es mir jedenfalls!«
»Nun – häufig mißlingt ein solches Experiment, manchmal aber gelingt es auch, und dann macht man gelegentlich eine Erfahrung, zu der man sonst im Leben nicht gekommen wäre. Ganz merkwürdig und überraschend. Ich habe auf diese Art einen Menschen gewonnen, der mir ein Diener, ein Sklave von ganz legendarischer Treue und Ergebenheit geworden ist. Hätte ich so die Gelüste der Großen aus der Renaissancezeit, ich könnte ihm ruhig befehlen: schaffe mir diesen oder jenen aus der Welt – und in wenigen Stunden wäre es getan. Und sollte er dabei abgefaßt worden sein, so würde er sich den Kopf abschlagen lassen, ohne auch nur mit einem Worte seinen Auftraggeber verraten zu haben. Das war ein junger Husarenoffizier aus guter Familie, der ebenfalls in eine äußerst kritische Lage geraten war. Der Fall war viel, viel ernster, als etwa der mit Baron Goth. Wenn ich da nicht eingriff, gab es wirklich nichts anderes mehr als eine Kugel vor den Kopf. Ihn anderen Leuten zu empfehlen, daran war gar nicht zu denken. Gelernt hatte er nichts Rechtes. Er wäre höchstens als Stallmeister oder Trainer zu verwenden gewesen, aber diese Posten waren bei mir besetzt, und man schickt doch nicht altgediente, bewährte Leute fort, um ein unsicheres Experiment zu machen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Schließlich fand ich doch etwas. Ich besitze mehrere Automobile, und wenn es gerade sein muß, hat ein neuer Chauffeur immer noch Platz. Ich ließ ihn also ausbilden, dann seine vorgeschriebene Prüfung machen, und nun steht er schon seit sechs Jahren 51 in meinem Dienste. Wir sprechen sehr wenig miteinander, aber täglich danke ich im stillen dem Zufall oder dem Schicksal, einen solchen Menschen gefunden zu haben. Ich weiß, daß er über mich wacht, und ich fühle mich geborgen. Er hat kein anderes Lebensinteresse, als mir in seiner wortlosen Art seine Dankbarkeit zu bekunden.«
»Also ein Ausnahmsfall!«
»Ja, und ein merkwürdiger dazu. Als ich nun mit dem Gedanken umging, mir den Baron ins Haus zu nehmen, wollte ich doch gern erst Genaueres über ihn erfahren. Ich nahm also meinen Chauffeur beiseite und trug ihm auf: Du, Andor – es war bei seiner Aufnahme seine ausdrückliche und begreifliche Bitte gewesen, nur bei seinem Vornamen angerufen zu werden, und ebenso hatte er darauf bestanden, daß ich ihn duzen solle – also: du, Andor, bringe mir heraus, wie es mit dem Baron Goth steht und was eigentlich mit ihm los ist.«
»Wissen Sie, Exzellenz, daß ich Sie um den Menschen beneide. So einen könnte ich brauchen wie einen Bissen Brot!«
»Er brachte alles heraus – mehr als mir lieb war! Der Baron hatte tatsächlich sein verschwenderisches Leben wieder aufgenommen, und das Motiv dazu war gerade kein ungewöhnliches.«
»Wahrscheinlich die göttliche Liebe!«
»Sie haben es erraten, Herr Dagobert.«
»Was gerade kein besonderes Kunststück war.«
»Ich wollte mich dabei schon beruhigen, aber ich glaubte zu bemerken, daß Andor noch etwas auf dem Herzen habe. Und dann kam es heraus, und das war schon etwas Ungewöhnlicheres. Der Gegenstand 52 seiner Verehrung war – meine Frau. Sie machen so ein erschrockenes Gesicht, lieber Dagobert – lassen Sie sich nicht aus der Fassung bringen. Ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß ich selbst bei dieser Nachricht die Fassung nicht verloren habe. Eins drückte mich dabei nur, das Gefühl der ärgerlich komischen Figur, die der Ehemann macht, der solche Dinge immer glücklich als letzter erfährt, wenn die ganze Welt sich schon über sie unterhielt. Zum Glück war es doch nicht so.«
»Gott sei Dank!«
»Ihren Stoßseufzer der Erleichterung werden Sie zurücknehmen müssen, lieber Dagobert. Mit den Tatsachen selbst hatte es seine volle Richtigkeit, nur war glücklicherweise noch nichts davon in die Öffentlichkeit gedrungen. Das war die Hauptsache, im übrigen aber saß ich schön drin! Dennoch war ich keinen Augenblick unschlüssig, wie ich mich zu benehmen und was ich zu tun hätte. Sie werden mir vielleicht nicht beistimmen, und wenn ich herumfragte, würde es vielleicht niemand tun, aber ich meine, so ganz kann sich auch niemand in meine Lage hineindenken. Es stellen sich im Leben eben manchmal Verhältnisse ein, wo jeder für sich stehen und nach seinem eigenen mehr oder minder dummen Verstande handeln muß. Ich habe den Baron doch in mein Haus genommen. Sie mißbilligen das?«
»Ich enthalte mich des Urteils, Exzellenz, da ich annehme, daß Sie Ihre zureichenden Gründe dafür gehabt haben mögen.«
»Ich war und bin überzeugt, daß sie zureichend waren. Was meine Frau betrifft, so habe ich mich keinen Augenblick damit aufgehalten, nachzugrübeln, 53 ob sie schuldig sei oder nicht. Das war mir vollständig gleichgültig und interessierte mich nicht. Ich wußte, daß ihr alles zuzutrauen sei. Wir sind uns längst entfremdet, und wenn ich nicht schon lange ein Ende gemacht habe, so war es des unnützen Geredes der Welt halber und weil ich der großen Sippe meiner Verwandtschaft nicht die Genugtuung bereiten wollte. Sie hatten mich ja förmlich mit Stricken zurückhalten wollen, als ich mir die für mich viel zu junge zweite Frau und noch dazu vom Theater, ja aus dem Chorpersonal, wegholte. Es war eine große Dummheit von mir, aber ich meine, daß jeder Mensch das Anrecht auf eine große Dummheit im Leben hat. Ich für meine Person habe allerdings von diesem Menschenrecht einen etwas allzu unbescheidenen Gebrauch gemacht. Unser gutes Einvernehmen hatte nicht einmal ein Jahr gedauert. Zu Zwistigkeiten habe ich mich natürlich nicht herbeigelassen; wir gingen einfach unsere eigenen Wege. Und was den Baron betrifft – was sollte ich mit dem beginnen? Mich mit ihm schießen? Damit hätte ich die Sache erst recht an die große Glocke gehängt, und dazu war mir mein Name doch zu gut. Ich spielte also die Rolle des ahnungslosen Wohltäters weiter. Dabei war ich nicht der Meinung, daß sich nun vielleicht sein Ehrgefühl und sein Gewissen regen würden. Ich weiß, daß auf derlei wenig Verlaß ist bei einem Manne, der im erotischen Bann liegt. Es war schlechterdings mit ihm nichts anderes anzufangen. Meinen Antrag hatte ich ihm schon gestellt. Bei der Bank konnte ich ihn nicht mehr lassen. Das trieb sicherlich zu einer größeren Defraudation. Wenn es schon sein mußte, war es besser, sie wurde 54 bei mir verübt als dort. Ich hätte ihn ja mit Geld ausstatten und nach Amerika schicken können, aber es ist die große Frage, ob er gegangen wäre! Ich nahm ihn also zu mir. So hatte ich ihn wenigstens unter den Augen.«
»Und dann ist der Diebstahl prompt erfolgt!«
»Nicht ganz so, wie Sie meinen, Herr Dagobert. Mitschuldig mag er natürlich sein, aber gestohlen hat meine Frau.«
»Ist das möglich?!«
»Ich muß Ihnen nämlich mitteilen, daß auch meine Frau seit heute morgen abgängig ist.«
»Das ist entsetzlich!«
»Sie brauchen nicht so entsetzt zu sein, lieber Freund. Mich läßt die Geschichte ganz kalt.«
»Ich muß gestehn, Exzellenz, ich werde immer ratloser!«
»Ich kann mir denken, daß Sie mich noch nicht verstehen. Es wird schon noch kommen.«
»Sie wollen aber doch nicht etwa Ihrer Frau nachsetzen lassen?!«
»Denke nicht daran.«
»Das meine ich auch. Sie sind sie losgeworden – Danken Sie Gott und seien Sie froh!«
»Bin ich auch.«
»Da möchte ich aber doch wissen, warum ich eigentlich hier sitze. Nach der ganzen Sachlage scheint hier das Vernünftigste zu sein, nicht einen Finger zu rühren.«
»Noch kennen Sie aber nicht die ganze Sachlage, und tatsächlich ist mir Ihre Mithilfe ganz außerordentlich dringend vonnöten. Lassen Sie mich weitererzählen. Ja, ich habe einmal eine große Dummheit 55 gemacht, aber so dumm bin ich doch nicht, daß ich mich sehenden Auges von den zwei Leuten hätte hinters Licht führen lassen. Andor hatte ich befohlen, ihr Vertrauter zu werden. Er wurde es. Ich hätte seiner nicht bedurft, um selber sehr bald darauf zu kommen, daß eine Flucht geplant sei. Als ich das einmal wußte, war für meine weiteren Kombinationen die Richtung gegeben. Zur Flucht braucht man Geld, bares Geld. Dafür mußte ich sorgen. Die bequemste Gelegenheit bot mein Kassenschrank, den Sie hier sehen. Die Türe gegenüber führt in mein Schlafzimmer. Ich mußte diese Gelegenheit vorbereiten, weil ich sie doch übersehen und mich so am besten vor anderweitiger unabsehbarer Überraschung schützen konnte. Ich machte also Ordnung in meiner Kasse und legte eines Abends, da ich mich von meiner Gattin beobachtet wußte, ein Päckchen großer Banknoten hinein. Es traf ein, was ich erwartet hatte. Die Kasse wurde in der Nacht geöffnet, das bereitliegende Geld gezählt und – für ungenügend befunden.«
»Woher hatten sich Exzellenz die Gewißheit davon verschafft?«
»Auf ganz einfache Art. Zum Inhalt meiner Kasse konnte man nur mit Hilfe meiner Schlüssel gelangen, anders nicht. Diese Schlüssel, es sind ihrer drei, liegen während der Nacht auf meinem Nachtkästchen. Ich hatte sie so hingelegt, daß sie ein rechtwinkliges Dreieck bildeten, und dicht neben einen der Schlüssel ein Stückchen Zigarettenasche, das zerdrückt werden mußte, wenn jemand nach den Schlüsseln griff. Am nächsten Morgen bildeten die Schlüssel kein rechtwinkliges Dreieck und das Aschenstückchen war zerdrückt.«
56 »Mein Kompliment, Exzellenz! Ich sehe, Sie wären sich selbst der beste Detektiv.«
»Ich verdiene das Lob nicht ganz. Ich war auf den ganzen Zauber erst verfallen, als ich vorher schon einmal in der Nacht ein leises Klirren auf der Marmorplatte meines Nachtkästchens gehört hatte. Meine Gattin, die Hausehre, hatte schon vorher einmal nachgesehen.«
»Sie sagten auch, Exzellenz, daß das Geld nachgezählt worden sei?«
»Ja; ich hatte mit zwei winzigen Bleistiftstrichen die Lage des Päckchens markiert. Es lag am Morgen nicht mehr innerhalb der gezogenen Grenzen.«
»Ausgezeichnet!«
»Es war ihnen zu wenig. Mein Gott, ich wollte sie auskosten und versuchte es zunächst mit hunderttausend Kronen. Ich gebe zu, daß ich unrecht tat. Damit läßt sich keine standesgemäße Flucht bewerkstelligen. Ich ließ einige Tage verstreichen und dann hinterlegte ich, wieder beobachtet, zweimalhundertundvierzigtausend Kronen. Man will sich doch nicht lumpen lassen!«
»Und das hatte genügt?‹
»Es hatte genügt. Dieses Mal hatte mich meine Berechnung nicht im Stiche gelassen. Als ich heute morgen aufwachte, lagen meine Schlüssel wieder nicht im Dreieck, das Geld war verschwunden und verschwunden waren auch meine Gattin und mein Privatsekretär Baron Goth. Ich war vollkommen befriedigt.«
»Ich bin sehr erfreut über den philosophischen Gleichmut, mit dem Exzellenz die Dinge nehmen, verstehe aber immer noch nicht, was ich dabei soll.
57 Sie werden doch den Herrschaften um Gottes willen nicht nachsetzen lassen wollen?!«
»Das will ich allerdings, das muß ich.«
»Ich möchte mir gestatten, auf das allerernstlichste davon abzuraten.«
»Es muß sein. Natürlich möchte ich weder mein Geld noch meine Frau noch die Perle von einem Sekretär wiederhaben. Es handelt sich noch um etwas ganz anderes, weitaus Wichtigeres.«
»Das habe ich auch schon vermutet, Exzellenz. Denn aus dem bisher Gehörten und namentlich aus dem Umstand, daß diese Geschehnisse Eure Exzellenz nicht aus dem seelischen Gleichgewicht zu bringen vermocht haben, war nicht zu entnehmen, daß Sie selbst ihnen eine katastrophale Bedeutung beilegen.«
»Ganz richtig geschlossen, lieber Dagobert. Das Wichtigste kommt auch erst noch. Bisher sieht es so aus, als sei ich mit aller wünschenswerten Umsicht vorgegangen – nicht wahr?«
»Ich kann von meinem fachmännischen Standpunkt aus nur bestätigen, daß die Sache ausgezeichnet gemacht war.«
»Und doch bin ich ein Esel gewesen, lieber Dagobert, und habe wieder eine kolossale Dummheit gemacht. Allerdings habe ich auch dafür eine Entschuldigung. Wofür gäbe es keine? In meinem Geldschrank war auch eine goldene Kassette verwahrt, deren Besitz mir wertvoller ist als mein Leben. Die ist auch verschwunden! Sie werden fragen, wie ich nur so unvorsichtig sein konnte. Seit Jahren stand die Kassette dort. Ich hatte mich so an sie gewöhnt, daß ich oft gar nicht mehr an sie dachte, wenn ich den Geldschrank öffnete. Die Gewohnheit stumpft 58 ab. Zudem war ich in der letzten Zeit so benommen von meinen schlauen Plänen zum Zweck meiner Befreiung, daß ich an den größten Schatz, den ich zu hüten hatte, gar nicht mehr dachte. Das ist die ganze Erklärung, die ich zu bieten vermag.«
»Ich nehme wieder an, Exzellenz, daß es nicht der materielle Wert ist, der Sie den Verlust so schwer empfinden läßt.«
»Über den materiellen Wert hätte ich kein Wort verloren. Sie können sich denken, daß derlei keine Rolle spielt, wo es sich um die endgültige Trennung von einer Frau handelt. Zudem habe ich von dem materiellen Wert, der hier in Frage kommt, gar keine Ahnung. Ich weiß nicht einmal, ob das Kästchen nur ein Schriftstück oder auch sonst noch Werte enthält, ich weiß nur, daß ich lieber zehn Millionen, ja mein ganzes Vermögen verlöre, als dieses Kästchen.«
»Sonderbar! Und dieses Kästchen soll zurückgeschafft werden?«
»Um jeden Preis! Es darf kein Preis zu hoch sein.«
»Haben Exzellenz – verzeihen Sie die Frage – Herrn von Skrinsky auch von dem Verschwinden dieser Kassette Mitteilung gemacht?«
»Aber keine Idee!! Wo denken Sie hin! Von dieser Kassette wußte und weiß bis zur Stunde kein Mensch etwas und sollte auch nie jemand etwas erfahren. Mein geliebtes Weib mag in ihr die Schmucksachen meiner verstorbenen ersten Frau vermutet haben. Das war für mich ein verhängnisvoller Irrtum. So sehr ich den Verlust bedauert hätte, ich hätte ihn doch verschmerzt, und hätte deshalb nie die Behörde behelligt oder Sie um Ihre Dienste gebeten. Höchstens hätte ich versucht, die Gelegenheit zu finden, ihn 59 zurückzukaufen. Strinsky habe ich nur verständigt, um für den allerschlimmsten Fall, den ich nicht überleben möchte, daß ich nämlich die Kassette gar nicht oder nicht unversehrt zurückbekäme, wenigstens das eine für mich anführen zu können, daß ich nichts unversucht gelassen habe.«
»Ich verstehe das, Exzellenz. Offenbar handelt es sich nicht um Ihr Eigentum, sondern um ein Depot, um anvertrautes Gut.«
»So ungefähr allerdings, aber nicht um anvertrautes Gut in gewöhnlichem Sinne. Das pflegt ja ersetzlich zu sein, ich aber wäre aller Sorgen ledig, wenn dieser Verlust ersetzlich wäre. Skrinsky weiß nur von dem gestohlenen Gelde und dem verschwundenen Sekretär, und er hat die Aufgabe, sich der Person und der Habseligkeiten des Sekretärs zu bemächtigen. Seien Sie ruhig, Herr Dagobert, er wird diese Aufgabe nicht lösen.«
»Ich war nicht unruhig, Exzellenz.«
»Er kann sie unter den gegebenen Umständen nicht lösen. Als ich den Verlust des Kästchens bemerkte, war mein erster Gedanke: Da muß Dagobert her!«
»Sehr gütig, Exzellenz, aber leider muß ich wiederholt den Verlust sehr kostbarer Stunden beklagen!«
»Auch darüber kann ich Sie beruhigen. Wir haben noch nichts versäumt, und bisher konnte überhaupt nichts getan werden. Ich selbst würde mit Ihnen hier nicht so ruhig plaudern können, wenn ich nicht wüßte, daß noch keine Gefahr im Verzuge ist. Jetzt allerdings kann jeden Augenblick, ich vermute höchstens in einer Stunde, der Zeitpunkt eintreten, da unsere, will sagen Ihre Tätigkeit einzusetzen hat. Ich erwarte erst eine Nachricht, von der 60 ich wußte, daß sie vor dem späten Nachmittag nicht eintreffen könne. Ich hatte also Zeit, und die habe ich benutzt. Ich habe mich zunächst mit Freund Grumbach ins Einvernehmen gesetzt Ihretwegen – ob ich es nämlich wagen dürfte, mich an Sie zu wenden.«
»Aber Exzellenz –‹
»Dann lag es mir am Herzen, die notwendigen geschäftlichen Angelegenheiten gleich zu ordnen. Die persönliche Sache zwischen mir und meiner Frau ist erledigt. Wir werden uns im Leben nicht mehr begegnen. Ich hatte nur noch ihre materielle Existenz sicherzustellen. Sie werden das nach dem Vorgefallenen vielleicht als eine übertriebene Sorgfalt ansehen. Auch wenn darin ein Vorwurf liegen sollte, nehme ich ihn ruhig hin. Sie trägt meinen Namen. Die Welt wird von der wahren Sachlage niemals etwas erfahren. Die Gräfin wird immer auf Reisen sein; denn ins Land darf sie mir nicht mehr herein. Man wird sich anfänglich in der Gesellschaft über diese Reiselust wundern, später wird man sich daran gewöhnen oder meinetwegen sich das Seinige denken. Lösbar ist unsere Ehe nicht, und so sei, so gut es geht, der Schein behauptet. Ich habe nicht lange geschwankt, wie ich die materielle Seite zu ordnen hätte. Ich stellte mir vor, wie ich als Kavalier eine Freundin verabschiedet hätte. Man hat doch seine ›moralischen‹ Verpflichtungen. Ich zog ihr Verschulden nicht in Betracht und berücksichtigte weiter, daß die Dame, die als die Gemahlin des Grafen Anzbach gilt, auch standesgemäß leben müsse. Ein Kapital durfte ich ihr mit Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit nicht in die Hand geben. Sie wird also durch die Zentralbank 61 regelmäßige monatliche Bezüge bis an ihr Lebensende zugestellt erhalten. Hier, Sie können Einsicht nehmen in die Abschrift des Instrumentes, das ich der Bank zur genauen Handhabung übergeben habe.«
Dabei nahm er aus seiner Schreibtischlade ein Dokument, das er Dagobert reichte, der es mit großer Aufmerksamkeit durchlas.
»Die Verfügungen sind klug und, wie nicht anders zu erwarten war, außerordentlich großmütig,« sagte Dagobert, das Schriftstück zurückgebend. Der Exzellenzherr hatte dieses kaum wieder in der Lade untergebracht, als der telephonische Apparat auf seinem Schreibtische ein leises Signal vernehmen ließ.
»Das ist höchstwahrscheinlich die erwartete Nachricht,« rief der Graf mit nur mühsam aufrechterhaltener Ruhe. »Bitte nehmen Sie eine Hörmuschel!«
Dagobert tat so und wurde nun Zeuge folgenden Gespräches: »Hallo, hier Anzbach! Wer dort?«
»Hier Andor.«
»Gott sei Dank! Nun?«
»Melde gehorsamst, Exzellenz, daß wir glücklich in Salzburg angekommen und im Hotel Elisabeth abgestiegen sind.«
»Hat es auf der Reise Zwischenfälle gegeben?«
»Die Reise ist glatt vonstatten gegangen, Exzellenz.«
»Wo ist Mittagstation gehalten worden?«
»In Linz, Exzellenz zu dienen, im Hotel Krebs.«
»Weißt du etwas über die weiteren Reisepläne?«
»Zu dienen, Exzellenz. Erst achttägiger Aufenthalt im Salzkammergut, dann Weiterreise nach Paris.«
»Was ist für morgen beabsichtigt?«
»Fahrt nach St. Gilgen, Aufenthalt dort zwei Tage, Seehotel.«
62 »Unter welchem Namen reisen sie?«
»Die Herrschaften reisen als Graf und Gräfin Aggstein, damit Krone und Initialen auf dem Auto stimmen.«
»Was tun sie jetzt?«
»Die Herrschaften sind bei der Toilette.«
»Kannst du mich in einer halben Stunde wieder anrufen, ohne daß es auffällt?«
»Ich kann es, Exzellenz, da die Herrschaften einen Spaziergang durch die Stadt machen wollen.«
»Schön, ich danke dir; halte die Augen weiter offen! Schluß!«
»Sie sehen, lieber Freund,« richtete Graf Anzbach das Wort wieder an Dagobert, »daß bisher tatsächlich nichts unternommen werden konnte, da ich die Reiseroute nicht kannte. Jetzt endlich können wir einen Entschluß fassen. Vorerst allerdings bin ich Ihnen noch einige Aufklärungen schuldig. Wie es kommt, daß Andor mit ihnen reist, werden Sie sich wohl selber zusammenreimen können. Da ich die Flucht voraussah, tat ich auch das Erforderliche, sie ordentlich vorzubereiten. Sie haben mein bestes Automobil und meinen besten Chauffeur mitgenommen. Sie halten das für ihren Geniestreich. Es war meiner. So reisen sie förmlich unter meinen Augen. Wir wissen jetzt, wo sie in den nächsten zwei Tagen sich aufhalten werden. Was raten Sie nun?«
»Noch kann ich gar nichts raten, Exzellenz, ich weiß nur, daß ich den heutigen Nachtzug benutzen werde, um nach St. Gilgen zu kommen. Das übrige liegt, um mich homerisch auszudrücken, im Schoße der Götter.«
63 »Sie werden mich zu unaussprechlichem Danke verpflichten!«
»Stellen wir vor allen Dingen meine Aufgabe fest. Exzellenz wünschen wieder in den Besitz des Kästchens zu gelangen. Sonst habe ich nichts zu besorgen?«
»Sonst absolut nichts!«
»Und der Preis spielt keine Rolle?«
»Sie haben vollkommen freie Hand, so weit Sie nur gehen wollen oder müssen. Ich wiederhole, mir ist kein Preis zu hoch, und ich gestehe Ihnen ganz offenherzig, daß ich unbedenklich auch Menschenleben opfern und Blutschuld auf mich laden würde, wenn ich nicht anders wieder in den Besitz des Kästchens gelangen könnte.«
»Nun wäre es mir allerdings doppelt und dreifach lieb, wenn ich Sie davor bewahren könnte, Exzellenz!«
»Und noch etwas, mein teurer Herr Dagobert! Ich muß das Kästchen unversehrt, jedenfalls uneröffnet zurückerhalten!«
»Exzellenz, das ist mehr als ein Mensch versprechen kann! Wer bürgt uns denn dafür, daß die Kassette nicht schon geöffnet worden ist?! Das wäre nicht einmal sehr unwahrscheinlich. Denn sicher war man neugierig, zu erfahren, was man eigentlich erbeutet hat.«
»So einfach ist die Sache doch nicht mit dem Öffnen. Sie können sich gleich selbst davon überzeugen. Hier habe ich eine genaue Nachbildung des Kästchens.«
Er holte es aus derselben Schreibtischlade hervor, der er das früher gezeigte Dokument entnommen hatte, und wies es vor.
64 »Sehen Sie sich das gut an,« fuhr er dann fort. »Es wird das auch schon deshalb nützlich sein, damit man Ihnen nicht etwa ein falsches Kästchen unterschiebt, wenn es zu den Verhandlungen kommen sollte. Die solide und sehr widerstandsfähige eiserne Wandung des Kästchens ist auf allen Seiten mit einem zierlichen Golddekor in Filigranarbeit verkleidet. Diese Verkleidung besteht aus im ganzen sechshundert kleinen, feingearbeiteten Rosetten im Rokokostil. In der Mitte einer jeden Rosette sehen Sie ein kleines Loch. In jedes dieser Löcher paßt der Schlüssel des Kästchens, der einem altmodischen Uhrschlüssel nicht unähnlich sein mag. Ich vermute das. Denn ich selbst habe ihn nie gesehn. Er liegt noch, wie er mir übergeben worden ist, in versiegeltem Umschlag in meiner Kasse. Man hat übersehen, ihn mitzunehmen, oder wohl richtiger, man hat den Schlüssel nicht in dem Umschlag vermutet. Aber wenn man den Schlüssel auch mitgenommen hätte, es hätte nichts genützt ohne Kenntnis, wie er zu verwenden sei. Die ›Gebrauchsanweisung‹ habe ich zur größeren Sicherheit an anderer Stelle ebenfalls in versiegeltem Umschlag feuer- und einbruchsicher verwahrt. Ihnen will ich das Geheimnis verraten, aber auch Ihnen würde es ohne Anweisung nichts nützen.«
»Immerhin hat es Interesse für mich, Exzellenz!« sagte Dagobert.
»Schön. Wir haben hier sechshundert vollkommen gleiche Schlüssellöcher, und nur sieben davon sind praktikabel. Ohne Unterweisung kann kein Mensch wissen, welche das sind. Mit vielem Herumprobieren könnte man eines oder das andere der richtigen entdecken – man hätte nichts davon. Die sieben 65 winzigen, aber sehr festen Schlösser im Innern des Kästchens geben nur nach, wenn man sie in der richtigen Reihenfolge öffnet. Da soll nun ein Mensch bei sechshundert Schlüssellöchern herumprobieren und bei den entscheidenden Löchern die einzig richtige Reihenfolge finden. Wissen Sie, ich bin kein großer Mathematiker, aber ich kann mir auch ohne langwierige Berechnung vorstellen, daß dabei so viele Permutationen herauskommen, daß einer schon ein paar Millionen Jahre herumprobieren müßte, um zur richtigen Lösung zu gelangen.«
»Ein ganz sonderbares Kästchen!«
»Es ist das Jubiläumsgeschenk der Genossenschaften der Goldschmiede und der Kunstschlosser an eine hohe Persönlichkeit. Und da wir nun schon so weit sind, lieber Dagobert, so sollen Sie auch alles wissen, damit Sie die ganze Wichtigkeit begreifen, die die Angelegenheit für mich hat. Es wird Ihnen nicht unbekannt sein, was ja alle Welt weiß und beredet, daß ich die Auszeichnung genieße, von jener Persönlichkeit mit rückhaltlosem Vertrauen beehrt zu werden. Jeder Mensch, er stehe noch so hoch oder so tief, hat irgend etwas in seinem Leben, was er nicht an die große Glocke gehängt wissen möchte. Mein Freund hat den Wunsch, daß im Falle seines Ablebens eine Angelegenheit, die ihm am Herzen liegt, von mir in aller Stille nach seinem Willen erledigt werde, ohne daß darüber erst viel geredet würde und allerlei unberufene Instanzen und Kommissionen zu Rate säßen. Also ein Geheimnis und ein letzter Wille, mit rührendem, freundschaftlichem Vertrauen in meine Hände niedergelegt – und nun soll ich hingehen und sagen: ›So habe ich dein Vertrauen 66 gerechtfertigt! Dein Geheimnis ist durch mein Verschulden nun in den Händen eines Lumpengesindels, das es, wenn es sich Nutzen davon verspricht, morgen über alle Dächer schreien wird!‹ Sie sehen, lieber Dagobert, wie ernst die Sache ist. Halten Sie es für möglich, daß ich mit einem solchen Bekenntnis hintrete?! Glauben Sie nun, daß mir im entscheidenden Notfalle das Leben der zwei minderwertigen Menschen, die sich nun auf der Flucht vorläufig noch von mir unbehelligt belustigen, kostbarer sein wird als das mir anvertraute Geheimnis? Von jedem letzten Willen sagt man, er sei heilig, und dieser ist's mir dreifach und zehnfach. Können Sie glauben, daß mir mein eigenes Leben . . . ach, ich brauche nicht zu vollenden. Es gibt Dinge, über die man nicht spricht, weil sie selbstverständlich sind.«
»Ich danke Ihnen, Exzellenz, daß Sie mir auch das anvertraut haben. Jetzt erst erfasse ich ganz die volle Bedeutung meiner Aufgabe. Das Kästchen ist also, das können wir ruhig annehmen, noch nicht eröffnet. Aufgesperrt konnte es nicht werden. Mit Gewalt ist da auch nichts auszurichten, nicht so leicht wenigstens. Es ist fraglich, ob diese feinen Stahlwandungen auch mit einer schweren Holzhacke zu bewältigen sind. Ohne Aufsehen und Geräusch ließe sich ein derartiger Versuch gar nicht anstellen. Es dürfte auch bisher an der schicklichen Gelegenheit gefehlt haben. Und zudem geht man doch auch nicht einem so wundervollen Meisterwerke der Goldschmiedekunst gleich mit so brutalen Mitteln zu Leibe. Da läßt man sich lieber Zeit, insbesondere da auch noch nicht Geldmangel die Begierde aufgestachelt haben kann. Feinere Instrumente, Bohrer, Säge und selbst 67 Stemmeisen verfangen da nicht, sie wären denn von der Vollendung in der Ausführung, wie sie zuweilen bei geschulten internationalen Einbrechern gefunden werden, und das sind nun unsere beiden Vergnügungsreisenden doch noch nicht. Ich wage also zu hoffen, daß das Kästchen noch unversehrt ist, und daß es möglich sein wird, das Geschäft zu einem gedeihlichen Abschluß zu bringen. Jetzt, Exzellenz, möchte ich mir nur noch gestatten, einige Fragen an Sie zu richten.«
»Bitte, fragen Sie, Dagobert.«
»Sie sind ganz sicher, daß Sie sich auf Andor verlassen können?«
»Unbedingt! So sicher, wie ich dasitze. Andor ist ein abnormer Fall, der in unsere Zeit gar nicht hereinpaßt. Wenn ich ihm heute den Befehl erteile, daß jene zwei Leute den morgigen Tag nicht überleben dürfen, dann können Sie sicher sein, daß sie ihn nicht überleben werden. Das allein ist es ja, was mich einigermaßen beruhigt.«
»Weiß Andor etwas von dem Kästchen?«
»Nicht eine Silbe. Ich hatte ja die furchtbare Entdeckung erst nach der Abreise gemacht. Ich werde ihn aber nun telephonisch verständigen.«
»Ich möchte Sie bitten, Exzellenz, das nicht zu tun. Telephonisch ist das doch schwierig und unsicher. Man hat keine Gewähr, ob nicht irgendwie irgendwo irgendwer das Gespräch mit anhört. Von dem Kästchen soll überhaupt möglichst wenig, am besten gar nichts geredet werden. Für alle Fälle werde ich selbst morgen früh zur Stelle sein. Es wäre mir lieb, wenn Exzellenz ihm jetzt schon mitteilen 68 wollten, daß er mir unbedingt zur Verfügung zu stehen habe.«
»Er wird Ihnen zur Verfügung stehen, Herr Dagobert, und Sie können darauf rechnen, daß er alle Ihre Befehle, seien sie welcher Art, immer pünktlich erfüllen wird. Im übrigen ist es natürlich auch mir am allerliebsten – das können Sie sich doch denken! – daß über die Kästchengeschichte nicht ein überflüssiges Wort verloren werde.«
»Dann sind wir ja einig, Exzellenz, und jetzt möchte ich nur noch eine Aufklärung erbitten. Wie verhält sich denn nun die Sache eigentlich mit diesem zweiten Kästchen. Ein Blick hat mich vorhin belehrt, daß dieses Kästchen doch keine genaue Nachbildung sein kann. Tatsächlich hat es nur ein Schloß und das hat durchaus nichts Geheimnisvolles an sich.«
Gras Anzbach lachte.
»Wie Sie doch alles gleich bemerken, lieber Dagobert! Man sieht doch gleich den Fachmann! Mir sind allerdings nicht zwei gleiche Kästchen übergeben worden, überhaupt nicht zwei. Die Sache verhält sich so: Als ich das Original erhielt, war ich so entzückt davon, daß ich sofort beschloß, mir eine Kopie anfertigen zu lassen. Ich ging zum Hofgoldschmied Friedinger, der die ornamentale Ausstattung besorgt hatte, und bat ihn, mir eine Reprise anfertigen zu lassen. Er hatte erst allerlei Bedenken, die ich aber leicht zerstreuen konnte, zumal da ich auf den kitzlichsten Punkt, auf den kunstvollen Verschluß, nicht das mindeste Gewicht legte. Mich reizte nur der künstlerische Dekor. Friedinger wußte, mit wem er es zu tun habe, und so konnte ich durchsetzen, was kein anderer durchgesetzt hätte.«
69 »Es ist ein Meisterwerk und ein wahres Kabinettstück! Ich habe seinen Wert so auf etwa vierzehntausend Kronen geschätzt.«
»Da ich sechzehntausend dafür bezahlt habe, habe ich es also sicherlich nicht überzahlt.«
»Gewiß nicht! Wollen Sie mir nun Ihr Kästchen anvertrauen, Exzellenz? Es kann für mich vielleicht von Nutzen sein, es genau zu studieren.«
»Nicht nur anvertrauen will ich es, lieber Dagobert, ich hätte es Ihnen am liebsten zum Geschenk gemacht – zur freundschaftlichen Erinnerung! – wenn wir nicht so unvorsichtig gewesen wären, gleich auch den Preis zu bereden.«
»Vielen Dank, Exzellenz, aber als Geschenk wäre es mir zu kostbar gewesen. Sie wissen, ich bin in meinem Fache Amateur und starte nicht um Geldpreise, auch nicht um Ehrenpreise, die als Ersatz für das Geld angesehen werden könnten. Also ich darf die Kassette mitnehmen?«
»Verfügen Sie darüber. Übrigens könnte Andor jetzt schon – ach, lupus in fabula! da meldet er sich wieder!«
Tatsächlich war der Graf durch ein leises Signal mitten in der Rede unterbrochen worden. Er lud Dagobert wieder ein, zuzuhören.
»Hallo, hier Anzbach!«
»Zu Befehl, Exzellenz, hier Andor!«
»Gibt's was Neues?«
»Nichts von Bedeutung, Exzellenz. Die Herrschaften sind ausgegangen.«
»Bleibt es dabei, daß morgen nach St. Gilgen gefahren wird?«
70 »Zu dienen, Exzellenz; ich habe bereits telephonisch Appartements bestellt und die Zusicherung erhalten, daß alles bereit sein wird.«
»Schön. Jetzt merk auf, Andor, was ich sage. Bei mir am Telephon sitzt ein Herr, der mein Freund ist. Er wird gleich selber mit dir reden. Vorher will ich dir nur sagen, daß er im Begriffe ist, mir einen sehr wichtigen Freundschaftsdienst zu erweisen. Er wird dich aufsuchen, wobei du dich nicht auffällig machen darfst. Sollte er dir Befehle erteilen, so hast du blind zu gehorchen, genau so, als hätte ich dir sie erteilt. Hast du mich gut verstanden?‹
»Zu Befehl, Exzellenz.«
»Jetzt paß auf, jetzt wird der Herr selber sprechen!«
»Hallo, Herr Andor,« begann nun Dagobert, »wann gedenken Sie morgen abzureisen?«
»Bitte gehorsamst, um zehn Uhr. Das Diner ist im Seehotel zu St. Gilgen für ein Uhr bestellt.«
»Ich werde Sie vor dem Seehotel erwarten.«
»Erbitte gehorsamst ein besonderes Kennzeichen oder Losungswort.«
»Losungswort genügt. Sagen wir – Mercedes. Das wird einem Chauffeur gegenüber nicht auffallen.«
»Zu Befehl – Mercedes!«
»Abgemacht. Jetzt sagen Sie mir, wie steht es mit dem Gepäck der Herrschaften? Wie viele Stücke haben sie mit und wie wird es transportiert?«
»Wir haben drei Stück, zwei Koffer und einen Reisekorb, die ich auf dem Auto mitführe. Die Herrschaften haben nur das Nötigste für die Reise mitgenommen. Erst in Paris sollen dann die neuen Ausstattungen eingekauft werden.«
71 »All right, Herr Andor, nur eine Bitte noch: Achten Sie sehr genau darauf, daß nichts von den Gepäckstücken wegkommt. Mehr habe ich vorläufig nicht zu sagen. Auf Wiedersehn denn morgen – danke – Schluß!«
»Sie wollen also wirklich reisen?« nahm nun Graf Anzbach wieder das Wort.
»Selbstverständlich, heute noch mit dem Nachtschnellzug. Also, Exzellenz, ich habe Ihre Vollmacht?«
»Meine unbeschränkte Generalvollmacht. Wort und Handschlag darauf. Sie wissen, was für mich auf dem Spiele steht. Ich bin auch sonst nicht kleinlich und ich werde es doch um Gottes willen nicht in diesem Falle sein! Wollen Sie aber für die Reise nicht lieber ein Automobil von mir benutzen? Sie reisen damit doch bequemer und sicherlich nicht weniger schnell.«
»Danke vielmals, Exzellenz, aber ich fahre mit der Eisenbahn. Ich muß unbedingt morgen früh an Ort und Stelle sein. Ein Auto kann eine Panne erleiden, dann gibt es auch noch immer unbeleuchtete Bahnschranken, diese vermaledeite Landplage für die Automobilisten. Ich darf mich keinem Akzident aussetzen. Die Eisenbahn ist sicherer. Übrigens wird mein Automobil gleichzeitig dieselbe Reise machen. Das ist für den Fall, als ich genötigt sein sollte, den Herrschaften von St. Gilgen aus nachzufahren, um sie unauffällig und doch unablässig im Auge zu behalten.«
Damit verabschiedete sich Dagobert, begleitet von den Segenswünschen seines Auftraggebers.
* * *
72 Der nächste Tag verstrich, ohne daß Graf Anzbach eine Nachricht erhielt, aber schon am übernächsten morgens um neun Uhr meldete ihm der Privatsekretär Erdmann, daß der Oberkellner vom Seehotel bitte, von Seiner Exzellenz empfangen zu werden. Der Angemeldete wurde augenblicklich vorgelassen.
»Was bringen Sie für Nachricht?« redete ihn der Graf hastig an, wobei in seiner Stimme die ganze ungeheure Erregung vibrierte, unter der er litt.
Der Mann sah ihn an und verharrte in Schweigen. Der Graf verstand. Erst mußte sich der Sekretär wieder zurückgezogen haben. Kaum aber hatte dieser die Tür hinter sich geschlossen, als auch schon in voller Ungeduld die Frage wiederholt wurde. Die Antwort lautete:
»Ich habe die Ehre, Eurer Exzellenz zu melden, daß die Arbeit getan ist.«
Graf Anzbach griff sich an den Kopf und brach dann in ein schallendes Gelächter aus.
»Meiner Seel', Herr Dagobert, wie haben Sie sich verschandelt!«
»Wie ich mußte, Exzellenz. Hab's wahrhaftig nicht gern getan.«
»Ich hätte Sie mein Lebtag nicht erkannt!«
»Ich fühle mich sehr geschmeichelt, Exzellenz. War schon geschmeichelt, als mich Ihr Herr Privatsekretär nicht wiedererkannte.«
»Und die Hauptsache – ist's gelungen?«
»Vollständig. Belieben sich zu überzeugen, Exzellenz. Hier ist das Kästchen. Es ist unversehrt, und daß es nicht geöffnet worden sein konnte, das wissen wir.«
73 Dagobert hatte aus dem weitläufigen Havelock, den er über seinem Kellner-Frackanzug trug, das verhängnisvolle Kästchen hervorgeholt und dem Grafen überreicht, der es mit zitternden Händen entgegennahm und dann sofort mit einem tiefen Atemzug der Erlösung seine Authentizität feststellte. Seine Stimme zitterte vor innerer Bewegung, als er seinen Dank aussprach.
»Ich betrachte die Sache so, Herr Dagobert, als hätten Sie mir das Leben gerettet. Denn ich hätte wahrhaftig nicht gewußt, wie ich weiterleben soll, wenn – ach, Gott sei's tausendmal gedankt! – daran will ich gar nicht mehr denken. Nun aber, Herr Dagobert – aber was soll der Unsinn, ›Herr Dagobert‹ und ›Herr Graf‹ zwischen uns! Ein Mann, der mir das getan hat, ist mein Freund fürs Leben, ist mein Bruder. Schlag ein, Dagobert, und erzähle!«
»Die Sache war nicht so schwierig, wie du dir das vielleicht vorstellst, Exzellenz. Fast möchte ich sagen – leider!«
»Nicht schwierig für – dich! Schon wie du dich herausgeputzt hast, ist ein Kunststück für sich.«
»Bei dem Handwerk müssen derartige kleine Kunststücke gelegentlich so nebenher mitlaufen, und stümpern darf man dabei natürlich nicht, sonst schaden sie nur!«
Dagobert hatte sich in der Tat ganz meisterhaft metamorphosiert. Seine Gestalt erschien in dem Frackanzug von schäbiger Eleganz viel schlanker als sonst. Das Gesicht war glatt rasiert, und sein Haupt zierte eine blonde Perücke, die hinten gescheitelt war, während vorne das spärliche Haar en chien in die Stirne gebürstet war, die dadurch sehr niedrig erschien und 74 der ganzen Visage einen vertrauenerweckend stupiden Ausdruck verlieh.
»Es wird Wochen dauern,« bemerkte Dagobert schmerzlich lächelnd, »bis ich wieder zu meiner gewohnten Schönheit komme. Also höre, wie es zuging. Als ich dich vorgestern abends verließ, hatte ich noch verschiedenes zu besorgen. Es mußten Vorbereitungen getroffen werden für den glatten Verlauf meiner Tätigkeit. Ich hatte zunächst einen bestimmten Plan im Auge, ohne mich aber von vornherein ausschließlich auf diesen zu verlassen. Mißlang der, so mußte etwas anderes versucht werden. Ich telephonierte also nach Salzburg an einen meiner Schüler, der dort bei dem starken Fremdenverkehr reichlich Gelegenheit zu ersprießlicher und verdienstvoller Tätigkeit gefunden hat.«
»Schüler hast du auch, Dagobert?«
»Eine ganze Anzahl. Ich habe nämlich die Ehre, in der Detektivschule unserer Kriminalpolizei einen Unterrichtskurs zu leiten. Viele meiner begabteren Schüler stehen schon, in alle Welt verstreut, recht erfolgreich im Beruf. Dem Salzburger – Schaffler heißt der Mann – trug ich auf, noch am selben Abend nach St. Gilgen zu fahren und womöglich für uns die zwei Zimmer zu sichern, die auf beiden Seiten an die für das flüchtige Paar bestellten Räume grenzten. Einem Fachmann brauchte ich nicht erst lange Auseinandersetzungen zu machen. Er verstand sofort und versprach auch gleich, für unauffällige Löcher in den Türen zum Zwecke der Beobachtung zu sorgen. Das war auch mein Plan. Wenn es nötig werden sollte, mußte der auf der einen Seite aufpassen, ich auf der andern. Ich hatte aber noch 75 etwas Wichtigeres zu besorgen. Ich mußte mir die Möglichkeit schaffen, nach meinem Belieben die Gemächer der Herrschaften zu betreten, ohne damit irgendwie aufzufallen. Dafür gab es nur ein Mittel: ich mußte ihr Zimmerkellner werden. Keine ganz einfache Sache. Denn zu diesem Zwecke mußte der regierende Oberkellner ad hoc abgesetzt werden. Diese Mission wollte ich bei allem Respekt vor Schafflers Fähigkeiten ihm doch nicht anvertrauen. Er hätte mit dem Hotelbesitzer und dem Oberkellner verhandeln müssen, und wenn ich auch ihm trauen durfte, so war ich doch nicht sicher, ob nicht ein unbedacht oder böswillig fallen gelassenes Wort eines oder der beiden andern alles verderben könnte. Das mußte ich also selber besorgen, und das habe ich denn auch besorgt.«
»Bist ein Sackermenter, Dagobert! Wie hast du das angestellt?«
»Ich bin also, schon als Oberkellner adjustiert, wie du mich hier siehst, bei dem Hotelbesitzer angetreten. Im Kontor sperrte ich die Tür hinter mir ab und bat ihn, um nicht erst viel reden zu müssen, eine Wiener Telephonnummer, die ich ihm nannte, anzurufen.
›Aber,‹ rief er erstaunt, ›das ist ja die Nummer –!‹
›Ganz richtig,‹ unterbrach ich, ›es ist die Nummer – Sie brauchen den Namen gar nicht auszusprechen. Ihr Anruf wird erwartet.‹
Er rief an und erhielt die Weisung, meine Aufträge unbedingt und unverzüglich zu erfüllen. Auch für die geringste Unterlassung werde er persönlich verantwortlich gemacht werden! Die Wirkung war eine verblüffende. Er stellte sich mir sofort bedingungslos zur Verfügung.«
76 »Wer ist denn nun das, der eine solche Macht auszuüben vermag?«
»Eine Persönlichkeit, die alljährlich im Sommer Aufenthalt im Seehotel nimmt, und auf die Stücke zu halten der Besitzer alle Ursache hat. Den Namen lasse mich verschweigen. Man hat seine Verbindungen, aber bei meinem Metier taugt es nichts, Namen eitel zu nennen. Kurz, eine Persönlichkeit, der man den Willen tut und der man nicht widerspricht.«
»Richtig – Séjour in St. Gilgen – nun weiß ich's ja ohnedies! Da freilich ist es kein Wunder! Mein Kompliment, Dagobert, für die Idee!«
»Den Mann hatte ich also sicher. Nun mußte noch der Oberkellner aus dem Wege geräumt werden. Ich ließ ihn kommen, drückte ihm eine Hundertkronennote in die Hand, setzte ihn, ohne ihm Gelegenheit zu lassen, mit irgend jemanden ein Wort zu wechseln, in mein Automobil, das inzwischen auch angelangt war, und bedeutete ihm, daß er nun eine schöne Landpartie machen werde. Mein Chauffeur hatte den Auftrag, ihn nach Berchtesgaden zu bringen. Das Wetter war allerdings für eine Landpartie nicht recht geeignet, Salzburger Schnürlregen, einfach scheußlich, aber dafür konnte ich nichts. Das war sein Pech.«
»Schneidig gemacht – das muß man sagen!«
»Nun war ich allerdings Herr der Situation. Schaffler hatte meine Aufträge brav erfüllt und wurde, damit er nicht überflüssigerweise gesehen werde, in dem einen der beiden Seitenzimmer interniert, um, wenn's not tat, sofort seinen Beobachtungsposten beziehen zu können. Und nun kommt der Humor von der Sache. Die Herrschaften, die ihre Flucht unter deinen Auspizien unternommen hatten, wurden im 77 Hotel auch unter deinen Auspizien empfangen. Als sie vorfuhren, machte ich ihnen die Honneurs. Den Chauffeur fragte ich so nebenbei mit sachkundigem Blick auf den Kraftwagen: Mercedes? Der machte Augen, hielt sich aber stramm. Ich begleitete die Herrschaften in ihre Gemächer, überwachte den Transport ihres Gepäcks vom Automobil hinauf und sorgte dafür, daß sie in allem so bedient wurden, wie sich's für Herrschaften gehört, die unter deinen Auspizien reisen.«
»Diese zarte Rücksicht ehrt mich.«
»Sie waren um zwölf Uhr vorgefahren; das Diner war für ein Uhr bestellt. Sie gingen sofort daran, dafür Toilette zu machen, und so gewann ich Zeit, mit Andor einige Worte zu wechseln. Etwas Bemerkenswertes war in der Zwischenzeit nicht vorgefallen, aber etwas berichtete Andor doch, was mich in Unruhe versetzte und mir schwere Sorge machte. Mit Rücksicht auf das elende Hundewetter hatten sie nämlich ihre Reisepläne geändert. Sie hatten genug vom Salzkammergut; sie wollten nun so rasch als möglich wieder in eine Stadt, und das nächste Ziel war München. Gleich nach Tisch sollte die Reise fortgesetzt werden. Für mich hieß es nun: Hic Rhodus, hic salta! Hier und jetzt mußte ich die Sache fertigmachen. Eine weitere Chance hatte ich kaum noch. Denn schon hatte ich, wie ich nun einsehn mußte, eine große Dummheit gemacht, die mich hindern mußte, mich auch weiterhin an ihre Fersen zu heften. Sie hatten mich schon gesehn! Das war entscheidend. Noch weiter in Verkleidungen arbeiten – derlei taugt höchstens für Sensationsnovellen oder Schauerdramen, die für ein naives Publikum berechnet sind – 78 ein vernünftiger Mensch von Fach läßt sich auf derlei nicht ein. Die Zwangslage, in die ich da geraten war, war mir im Grunde nicht unlieb. Sie drängte zu rascher Entscheidung, und wenn etwas sein muß, dann konzentrieren sich auch die Gedanken besser. Ich mußte mich den Verhältnissen anpassen und hatte meinen Plan bald fertig.«
»Glücklicher Dagobert, dem immer gleich was einfällt!«
»Die Herrschaften machten Toilette für das Diner. Sie wollten es sich also im Speisesaal servieren lassen, wo tatsächlich schon ein festlich gedeckter Tisch für sie bereitstand. Das war die Gelegenheit, die einzige, die sich mir darbot. Ich begab mich auf das für mich reservierte Zimmer, hielt mich aber mit Beobachtungen nicht weiter auf, zumal da ich leicht erspäht hatte, daß sie es mit der Toilette nicht eilig hatten, sondern setzte mich ruhig hin und schrieb einen Brief. Zeit hatte ich ja.«
»Immerhin viel Gemütsruhe!«
»Als nun einige Gongschläge verkündeten, daß es Essenszeit sei, verließen sie ihre Gemächer, die sie hinter sich absperrten, und nun betrat ich diese von meinem Zimmer aus. Vorher schon hatte ich Andor beauftragt, sie bei Tisch aus sicherer Ferne zu beobachten und, falls sie unerwartet früh aufbrechen sollten, mir ein zweifaches kräftiges Hupensignal zu geben. Natürlich hatte ich auch Schaffler im Stiegenhaus aufgestellt, der mich ebenfalls durch ein verabredetes Zeichen zu verständigen hatte, wenn Gefahr im Anzuge sei. So konnte ich in leidlicher Sicherheit operieren. Ich war darauf vorbereitet, die Koffer, falls es nötig sein sollte, mit meinen Instrumenten 79 zu öffnen. Bei meinem Metier muß man auch derlei verstehen. Es war nicht nötig. Die Koffer waren nicht wieder versperrt worden. Natürlich begann ich bei dem Koffer der Gräfin. In zwei Minuten war die Angelegenheit erledigt, hatte ich das Kästchen.«
»Sei tausendfach dafür gesegnet!«
»Damit durfte ich mich aber nicht begnügen. Es war die Möglichkeit vorhanden, daß der Verlust des Kästchens sofort vor Abreise noch bemerkt wurde, und es war gar nicht abzusehen, was es dann vielleicht für Aufsehen gegeben hätte. Das war eine Gefahr, der vorgebeugt werden mußte. Ich habe vorgebeugt.«
»Und wie hast du das angestellt, Dagobert?«
»Ich hatte das zweite Kästchen mitgenommen, und nun wurde die Kopie an Stelle des Originals hinterlegt. Kein Mensch ist imstande, die Verwechslung zu bemerken. Ich brachte unseren Schatz in Sicherheit, und die Herrschaften hatten ihre Suppe noch nicht gegessen, als ich schon wieder bei ihnen war und mit aller gebotenen Sorgfalt darüber wachte, daß sie nur ja tadellos bedient würden. Sie waren auch sehr befriedigt, und als sie gleich nach Tisch die Weiterreise antraten, wobei ich mithalf, das Gepäck hinunterzuschaffen – nicht einmal ein Mittagsschläfchen hatten sie sich gegönnt –, da genoß ich das Glück, ein Goldstück als huldvolles Trinkgeld in Empfang zu nehmen. Auf dieses Goldstück bin ich stolz, und ich werde es mir fassen lassen, um es als eine angenehme Erinnerung an meiner Uhrkette zu tragen. Ich glaube, es ist so gut wie ein Orden.«
»Es wird auch für mich eine Erinnerung sein, Dagobert, so oft ich dich sehe, wieviel Dank ich dir schuldig bin!«
80 »Die Wohnung hatten sie natürlich anstandslos für die bedungenen zwei Tage bezahlt. Bei meinem Handstreich ist mir eine Rechtsfrage aufgeschossen, ob ich so handeln durfte. Ich habe mir nicht lange den Kopf darüber zerbrochen. In keinem anderen Falle vielleicht hätte ich so gehandelt, hier konnte ich nicht anders. Hier kam kein irgendwie bestimmbarer Wert in Frage. Etwaige Verhandlungen konnten scheitern, Angebote, und waren sie noch so glänzend, konnten unbedingt zurückgewiesen werden, das Kästchen aber mußte ich haben. Es war ein Ausnahmefall. Ich nehm's auf meine Kappe und trage auch die Verantwortung.«
»Und ich natürlich mit!«
»Auf den wahren Sachverhalt wird die Gräfin niemals kommen. Mit dem Kästchen wird sie sich eingehender wahrscheinlich erst in Paris beschäftigen, zunächst darum, weil sie es vorläufig noch gar nicht öffnen kann. Auch die Kopie ist nämlich versperrt, und den Schlüssel habe ich natürlich nicht dazu gelegt, aber dieses Kästchen wird schließlich doch leicht zu öffnen sein. Auf irgendeinen Verdacht wird sie nicht kommen können, und auf den Zimmerkellner von St. Gilgen, den sie nur so flüchtig zu sehen bekam, wird sie schon gar nicht verfallen. Bis sie nach Paris kommt, wird sie in so vielen Hotels gewesen und so vielen Kellnern begegnet sein, daß sie schwerlich noch eine Erinnerung an den Jean von St. Gilgen bewahren wird.«
»Wenn es nach meinem Sinne gegangen wäre, Dagobert, so hättest du ruhig noch eine Geldsumme oder einige kostbare Schmuckstücke in das Kästchen hinterlegen können.«
81 »Ich habe etwas anderes hinterlegt, Exzellenz, und glaube auch damit nach deinem Sinne gehandelt zu haben. Die Gräfin wird, wenn sie das Kästchen endlich öffnet, eine sinnige Überraschung erleben.«
»Eine Überraschung?« fragte Exzellenz.
»Ja, eine zarte, sinnige Überraschung, die ihr einiges Kopfzerbrechen verursachen dürfte. Es ist ausgeschlossen, daß du je wieder mit ihr in Berührung kommen könntest. Nun war es aber doch notwendig, ihr einiges zur Kenntnis zu bringen. Das habe ich nun besorgt. Sie wird in dem Kästchen einen Brief vorfinden.«
»Einen Brief?!«
»Und zwar folgenden Inhalts – du erlaubst, Exzellenz, daß ich dir mein Brouillon vorlese; denn mein Gekritzel wirst du doch schwerlich lesen können. Also:
Eure Exzellenz, hochverehrte Frau Gräfin!
Da Eure Exzellenz die Absicht haben, plötzlich zu verreisen, und anscheinend den Wunsch hegen, Seiner Exzellenz damit eine Überraschung zu bereiten, und da er selbst nicht durch eine persönliche Intervention Ihre geschätzte Unternehmung stören möchte, beauftragt er mich, Ihnen auf diesem Wege in seinem Namen die besten Wünsche für eine glückliche Reise zu entbieten. Gleichzeitig habe ich die Ehre, Eure Exzellenz in seinem Namen davon zu verständigen, daß selbstverständlich Seine Exzellenz bereits Sorge dafür getragen hat, daß es Ihnen solange Sie im Auslande weilen, niemals an den Mitteln zu einer standesgemäßen Lebensführung fehle. Die Zentralbank ist beauftragt, Ihren Wünschen und Bedürfnissen, ich betone nochmals: solange Sie im 82 Ausland leben, mit der größten Pünktlichkeit Genüge zu leisten.
Gestatten Eure Exzellenz, daß ich mich den Wünschen Seiner Exzellenz anschließe und Ihnen ebenfalls aus aufrichtigem Herzen eine glückliche Reise wünsche, womit ich die Ehre habe zu zeichnen als Eurer Exzellenz
sehr ergebener Dagobert.
Nun, Exzellenz, bist du damit einverstanden?«
»Famos gemacht, Dagobert! So haben sie wenigstens die Genugtuung nicht, daß wir die Dupierten sind.« – –
Graf Anzbach war zu zartfühlend, um Dagobert in irgendeiner greifbaren Art seinen tiefgefühlten Dank zum Ausdruck zu bringen. Dagobert war aber sehr glücklich, als er wenige Tage später von aller Welt zu der hohen, ihm gewordenen Auszeichnung beglückwünscht wurde. Im Amtsblatt war nämlich die Verleihung des Ordens der Eisernen Krone an ihn veröffentlicht worden.