Balduin Groller
Detektiv Dagoberts Taten und Abenteuer. Band IV - VI
Balduin Groller

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Sechster Band

Empfang beim Ministerpräsidenten.

»Heute sollte ich Sie eigentlich irgendwie bestrafen, lieber Dagobert,« sagte Frau Violet, als sie nach Tische dem getreuen Hausfreunde den gewohnten kleinen Schwarzen zurechtmachte. Sie sagte es aber mit einem so liebenswürdigen Lächeln, daß eine Besorgnis über allzu große Schwere der Strafe kaum aufkommen konnte.

»Verdient hätte er's reichlich,« bemerkte der Hausherr, ihr würdiger Gatte, zustimmend. »Ich an deiner Stelle würde ihm heute den Genuß des Schwarzen überhaupt entziehen, und ich überlege gerade, ob ich nicht als Strafverschärfung, gerechtfertigt durch die besonders erschwerenden Umstände, ihm heute die gewohnte Zigarre vorenthalten soll.«

»Du kannst das halten wie du willst,« entgegnete Dagobert, indem er sich selber eine Zigarre, und zwar mit Kennerblick, aus der kostbarsten der aufliegenden Kistchen herauslangte. »Was aber Sie betrifft, meine liebe Gnädige, so möchte ich Sie ergebenst darauf aufmerksam machen, daß wir in einem Rechtsstaate leben. Die Entziehung des Schwarzen wäre ein Gewaltakt, den ich mir einfach nicht gefallen ließe. Es gibt auch ein Gewohnheitsrecht, und ich bin nicht der Mann, den man so ohne weiteres in seinen Rechten verkürzen dürfte. Wer schenkt denn mir etwas, daß ich Ihnen meinen Schwarzen schenken sollte? Fällt mir nicht ein!«

»Sie kriegen ihn ja, Dagobert; hier lächelt er Ihnen schon entgegen.«

4 »Also her mit dem lächelnden Schwarzen! Ah, er ist wirklich köstlich; übrigens alles was recht ist, wie immer bei Ihnen! Wissen Sie, Frau Violet, ich trinke in der Welt doch ziemlich viel Schwarzen, aber so gut wie –«

»Schon gut, Dagobert; für Schmeicheleien bin ich nicht empfänglich.«

»Ich weiß – wie alle Damen.«

»Entschuldigen sollten Sie sich wenigstens!«

»Wofür, meine Gnädigste?«

»Tun Sie nicht so unschuldig! Sie haben sich gestern abscheulich benommen. Ich sollte Ihnen wirklich böse sein!«

»Ich? Wie, wann, wo? Habe keine Ahnung!«

»Du, André, das Neueste – Dagobert ist ein ahnungsloses Gemüt! Sei so gut und halte du ihm sein Sündenregister vor.«

»Bitte! Durch das allgemeine Vertrauen zum Vorsitzenden dieser Strafverhandlung erwählt, ersuche ich den Angeklagten sich zu verantworten.«

»Als Angeklagter habe ich das Recht zu lügen.«

»Es gibt Leute, die dazu manchmal nicht erst auf die Rechtswohltat einer Anklage warten. Das nur so nebenbei, ohne anzüglich sein zu wollen.«

»Möchte ich mir auch ausgebeten haben. Übrigens auch nur so nebenbei: Vorsitzende, die durchaus ihren Geist glänzen lassen wollen, taugen selten etwas.«

»Schon gut; kommen wir zur Sache. Also gestern war Rout beim Ministerpräsidenten. Auch wir hatten uns eingefunden.«

»Auch meine Wenigkeit hatte die Ehre, dort zu erscheinen.«

»Ganz richtig. Von mir rede ich nichts –«

5 »Hast recht, Bruderherz!«

»– aber meine schuldlose Gattin hatte sich darauf gefreut, daß ihr unser Freund, unser angeblicher Freund Dagobert, dort Gesellschaft leisten, ihr Cicerone sein und sie auf alle Zelebritäten aufmerksam machen werde. Wer aber gar nicht daran dachte, sich um uns zu bekümmern, ja, der sich geradezu geflissentlich um uns herumdrückte –«

»War das Werk eines Augenblicks.«

»– war jener angebliche Freund. Nicht genug an dem. Als er gleichwohl und trotz alledem zum Schlusse doch von uns aufgefordert wurde, mit uns zu fahren und bei uns noch ein Tasse Tee zu nehmen, da lehnte er einfach ab unter ganz nichtigen Vorwänden und faulen Ausreden.«

»Ja, Dagobert, so war es,« unterbrach Frau Violet hier das Verfahren, »das war nicht schön von Ihnen!«

»Frau Violet, Ihnen will ich Rede stehen, der Vorsitzende imponiert mir doch zu wenig.«

»Ich verbiete dem Angeklagten, den Vorsitzenden zu beleidigen!« rief Grumbach entrüstet.

Dagobert zuckte in ganz perfider Art die Achsel und fuhr fort: »Ihnen, Gnädige, brauche ich ja meine Gefühle für Sie nicht zu schildern. Sie wissen, daß ich keine Dame auf der Welt höher schätze als Sie.«

»Wünschen die Herrschaften vielleicht, daß ich mich einstweilen hinausbegebe?« fragte Grumbach gemütlich.

»Unnötig. Wir wollen ihn dulden – nicht wahr, meine Gnädigste? Wohlgemerkt – dulden! Meinen bekannten Gefühlen nach könnte es also für mich gar kein größeres Vergnügen geben, als mich Ihnen zu widmen. Ich durfte aber gestern nicht 6 vergnügungssüchtig sein. Sie wissen – erst das Geschäft und dann das Vergnügen!«

»Was – Dagobert! Sie hatten Geschäfte! Natürlich weiß ich, daß Sie von Ihrem ›Geschäfte‹ nicht abzubringen sind, wenn das Jagdfieber Sie einmal hat. Aber gerade bei einer Soiree des Ministerpräsidenten – wer hätte das denken sollen! Das ist ja höchst interessant. Wenn ich das gewußt hätte! Sie müssen erzählen.«

»Das wollte ich ja gerade, aber in diesem Hause läßt man ja einen Menschen gar nicht zu Worte kommen. Zunächst wird man immer erst beschimpft –«

»Aber Dagobert, Sie sind unausstehlich! Keinem Menschen ist es eingefallen, Sie zu beschimpfen. Jetzt nur keine Geschichten weiter, ich bin riesig gespannt!«

»Ich fürchte nur, Gnädigste, daß Sie mit Ihrer Spannung nicht recht auf die Kosten kommen werden. Es war gerade keine besonders große Affäre. Man kann sie sich aber nicht aussuchen und muß sie nehmen, wie sie kommen. Also ich berichte: Es war – einen Augenblick! Was haben wir heute? Samstag – richtig! – also es war am letzten Dienstag, daß gegen zwölf Uhr einer der jüngeren Präsidialisten, nebenbei gesagt ein Neffe des Ministerpräsidenten, bei mir erschien, eine Karte des Chefs der Regierung abgab und die Botschaft ausrichtete, Exzellenz lasse – in einer privaten Angelegenheit – um halb fünf Uhr um meinen Besuch im Ministerratspräsidium bitten. Ich war pünktlich zur Stelle, ward, obschon der prunkvolle Wartesaal reichlich besetzt war, sofort gemeldet und auch sofort außer der Reihe angenommen.«

»Einen Augenblick, Dagobert! Welcher Saal ist das? Ich habe ja gestern alle Säle gesehen und 7 bewundert, und da möchte ich mich nun ein wenig orientieren können.«

»Gestern haben die Säle allerdings einen etwas anderen Eindruck gemacht; denn die meisten waren ja ganz ausgeräumt. Also wenn man die breite Feststiege hinaufkommt und den großen Vorraum betritt, wo die Garderoben etabliert sind, hat man eine lange Reihe von Türen vor sich. Die Tür in der Mitte führt in den Wartesaal. Selbstverständlich gibt es noch eine Anzahl von mehr versteckt liegenden Wartekabinetten für Besucher, die nicht von dem ersten besten gesehen zu werden brauchen. Jener Wartesaal war es, in dem gestern der Ministerpräsident, umgeben von seinen Präsidialisten, seine Gäste empfing.«

»Nun erinnere ich mich, Dagobert. Der Arme! Er war dort den ganzen Abend festgenagelt und mußte drei Stunden lächeln und liebenswürdig sein.«

»Ich glaube nicht, daß ihm das schwer gefallen ist. Es liegt in seiner Natur.«

»Das ist der schönste Saal, Dagobert. Stilvoller Stuckplafond, Vertäfelung Weiß und Gold, Wandverkleidung tiefroter Brokat in Goldrahmen, an den zwei Hauptwänden je ein großes Gemälde in die Wand eingelassen. Die Fauteuils ebenfalls roter Brokat, die Holzteile in Barock geschnitzt und vergoldet.«

»Ganz richtig. Im Saale rechts davon, sonst der Empfangsraum des ersten Sektionschefs, machte die Gattin des Ministerpräsidenten in ihrer bezaubernd temperamentvollen Art die Honneurs. Sie konnten sie ja gestern an der Arbeit sehen, Gnädigste.«

»Sie war entzückend.«

»Vom Wartesaal links liegt das Kabinett des Ministerpräsidenten. Dahin wurde ich nun geleitet. 8 Er war sehr scharmant, entschuldigte sich, daß er mich nicht selber aufgesucht habe, aber mit ihm müsse man Nachsicht haben. Ich hätte ja selber wahrnehmen können, wieviel seiner noch harre. Übrigens habe er nur in höherem Auftrage gehandelt, als er mich bitten ließ.«

Frau Violet machte große Augen. »In noch höherem Auftrage!?«

»Im Auftrage seiner Gattin. Er selbst wisse gar nicht, worum es sich eigentlich handle. Wahrscheinlich um den bevorstehenden Rout, der ihre große Sorge bilde, und die er ihr auch gern ganz überlasse. Darauf führte er mich höchst persönlich in den Salon ihrer Exzellenz, die mich mit vieler Herzlichkeit empfing und ihren Herrn Gemahl auch sofort wieder abschaffte. Es sei gar nicht nötig, daß er unser Tete-a-tete störe. Er verschwand auch sofort. Du siehst, mein lieber Grumbach, wie man sich in anderen Häusern zu benehmen weiß!«

»Ich sehe nichts Besonderes darin,« ripostierte der Hausherr, »wenn einer so ungefährlich ist!«

»Meine Gnädige, wenn ein Ehemann so mit einer nördlich gelegenen Brustkrankheit geschlagen ist, dann ist es nicht an uns, uns darüber zu beklagen.«

»Dagobert, ich verbiete Ihnen solche Witze. Sie haben zu erzählen!«

»Ein merkwürdiges Haus! Man wird bald gar nichts mehr reden dürfen! Also ich berichte weiter:

›Es ist‹, begann die Gräfin, ›eine ganz eigentümliche und sehr vertrauliche Sache, die ich mit Ihnen zu besprechen hätte, eine richtige – Dagobert-Sache!‹

›Exzellenz erweisen mir eine liebenswürdige Auszeichnung durch diese Wortbildung, die Sie zugleich zu einem Gattungsbegriff erheben.‹

9 ›Mein Gott, alle Welt weiß –‹

›Nicht mein Verdienst, Exzellenz. Mein literarischer Freund, der mich ein wenig überschätzt, plaudert alles aus. Ich kann mich ja kaum mehr unter Leuten sehen lassen.‹

›Das wäre auch gar nicht mehr nötig, vermute ich. Ich denke mir nämlich, daß die Leute Ihnen ohnedies das Haus einrennen, wie nun ich. Es ist so angenehm, sich in kritischen Fällen einem Manne wie Sie anvertrauen zu können. Für mich läge es ja nahe genug, mich des polizeilichen Apparates zu bedienen, aber ich habe eine heilige Scheu davor. Mit Unrecht, ich gebe es ohne weiteres zu, und doch – ich habe so das Gefühl, als würde mein Haus dadurch entehrt. Jedenfalls ist es besser, wenn sich die Sache ganz diskret und in aller Stille abtun läßt. Denken Sie nur, Herr Dagobert – Sie lächeln? Sie müssen mir schon gestatten, daß ich Sie bei Ihrem nom de guerre nenne.‹

›Das ist nur eine neue Auszeichnung.‹

›Ich bin der Meinung, daß Dichtern und – Künstlern der Name gebührt, den sie sich gemacht haben. Also denken Sie nur – in meinem Hause wird gestohlen!‹

›Ich bin nicht sehr erstaunt darüber, Gräfin. Es scheint sich hier zu lohnen.‹

›Sie dürfen mich nicht mißverstehn – nicht überhaupt und immer. Ich wäre eine schlechte Hausfrau, wenn ich da nicht Ordnung schaffen könnte. Nein, nur bei besonderen Anlässen und gerade dann, wenn ich wehrlos bin.‹

,Das wäre?‹

›Bei unseren Routs. Da habe ich sechs- bis achthundert Gäste zu begrüßen, und Sie können sich denken, 10 daß ich da genügend in Anspruch genommen bin und meine Augen nicht überall haben kann.‹

›Nur bei den Routs und sonst nicht?‹

›Sonst nicht das mindeste.‹

›Sonderbar. Und was wird mit Vorliebe gestohlen?‹

›Was sich überhaupt stehlen läßt. Daß hinterher immer ein Dutzend und mehr silberne und goldene Löffelchen fehlen, davon will ich gar nicht reden, wie ich denn überhaupt aus der ganzen Sache keine Affäre machen, jedenfalls Sie nicht belästigen würde, wenn nur ich die Leidtragende wäre, – aber meine Gäste werden bestohlen. Stellen Sie sich das vor – in meinem Hause bestohlen! Das ist ein unheimlicher, ganz unerträglicher Gedanke.‹

›Seit wann machen Exzellenz die unerfreuliche Wahrnehmung?‹

›Wir sind ja erst drei Jahre im Dienst und haben im ganzen etwa neun- oder zehnmal Empfänge gegeben. Die ersten zwei drei Male ist meines Wissens nichts passiert, aber dann ist jedesmal etwas durchgesickert. Man hat geschickt und nachfragen lassen, ob nicht das oder jenes Schmuckstück gefunden worden sei. Mir persönlich bekannte Damen und Herren haben mir auch persönlich und ganz im Vertrauen ihr Leid geklagt. Der Fürstin Korolewska ist ein Blaufuchspelz im Werte von achttausend Kronen abhanden gekommen.‹

›Aus der Garderobe?‹

›Aus meiner Garderobe kommt nichts weg, Herr Dagobert, ist noch nie etwas weggekommen. Die ganz hohen Herrschaften geben ihre Sachen nicht in der Garderobe ab. Die behält der mitgebrachte Diener auf dem Arm und pflanzt sich so im Stiegenhaus auf, wo 11 er wie eine Statue steht und wartet, um sofort zur Hand zu sein, wenn die Herrschaften wieder erscheinen.‹

›Und der Esel hat sich den Pelz stehlen lassen?‹

›Mein Gott, ein Kosak aus der Ukraine! War zufällig wirklich ein Trottel. Ein ordengeschmückter ehrwürdiger Kavalier klopft ihn auf die Schulter, schnauzt ihn im kernigsten Russisch an, er solle sofort um den Wagen der Durchlaucht rennen. Nimmt ihm den Pelz einstweilen ab, damit er schneller laufen könne, und damit war die Angelegenheit erledigt. Sie sehen, Herr Dagobert, Sie müssen mir helfen!‹

›Eine schwierige Sache, verehrte Frau Gräfin! Da wäre doch vielleicht die Polizei mit dem ihr zur Verfügung stehenden großen Apparat besser am Platze. Wie soll ein einzelner Mensch eine Gesellschaft von achthundert Personen überwachen?!‹

›Wenn nun aber dieser einzelne Mensch Dagobert heißt! Ich will die Polizei mit ihrem großen Apparat nicht. Mein Mann würde ganz gewiß etwas bemerken und – ich kenne ihn – wenn er etwas bemerkt, regt er sich gleich auf und bekommt eine riesige Wut. Er weiß noch gar nicht, welchen Umfang das Übel angenommen hat, und ich möchte ihm die Stimmung nicht verderben.‹

›Aber er weiß, daß ich hier bin, er hat mich ja selbst hierhergeführt!‹

›Das verschlägt nichts. Ich habe vor jedem Empfang hundert Konferenzen. Es ist doch keine Kleinigkeit, bis alles ordnungsgemäß zustande gebracht ist, und da ist er mir nur dankbar, wenn ich ihn nicht mit allen meinen kleinen Sorgen behellige. Er hat größere.‹

›Das läßt sich denken. Ich werde also bei Ihrem nächsten Empfang zur Stelle sein und die Augen offen 12 halten. Ich kann mich nicht der Hoffnung hingeben, daß ich imstande sein werde, etwaige neuerliche Diebstähle zu verhindern –‹

›Ich bin nicht so töricht, zu glauben, daß das möglich wäre, aber ich hoffe, daß Sie doch etwas finden werden, was uns für die Zukunft schützen könnte.‹

›Sie sind eine allerliebste kluge kleine Frau, Gräfin, und ich entschuldige mich gar nicht wegen dieser meiner tiefsinnigen Bemerkung. Was so offenkundig ist, darf auch gesagt werden. In diesem Sinne also will ich gern ans Werk gehen. Können Sie mir die Liste der Eingeladenen vorlegen?‹

Die Exzellenzfrau drückte auf den elektrischen Taster, und sofort war ein Diener zur Stelle. Sie befahl die Liste. Ich sah sie durch und plauderte dazwischen weiter:

›Es war mir sehr angenehm, gnädigste Gräfin, den Diener von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Wenn es Ihnen nicht zu viele Mühe macht – an Aufträgen und Vorwänden wird es Ihnen jetzt gewiß nicht fehlen –, möchte ich Sie bitten, jetzt auch noch die übrigen Diener der Reihe nach vorzuladen.‹

So wurden mir nun etwa zehn Diener vorgeführt. Jeder erhielt seinen Auftrag, und ich redete immer mit dadrein, als gehörte ich zum Hause.

Als die Defilierung vorüber war, äußerte die Gräfin, daß ich nach ihrer festen Überzeugung der Dienerschaft unrecht getan hätte.

›Womit?‹

›Mit Ihrem Verdacht.‹

›Ich glaube, Sie tun jetzt mir unrecht, Exzellenz. Nach allem, was ich bisher schon gehört habe, war ein Verdacht auf die Dienerschaft von vornherein 13 abzuweisen, es wäre denn, daß am Festabende selbst noch fremde Aushilfskräfte zu Verwendung gelangen.‹

›Das ist nicht der Fall, Herr Dagobert. Unsre Dienerschaft reicht aus.‹

›Desto besser. Also – nicht um Ihre Leute zu sehen, habe ich sie vorladen lassen, sondern um von ihnen gesehen zu werden. Sie sollten in ungezwungener und unauffälliger Weise darüber belehrt werden, daß ich jetzt eine Vertrauensstellung bei Ihnen einnehme. Es könnte nämlich geschehen – vorläufig weiß ich noch gar nicht, wie sich die Dinge entwickeln werden –, es könnte aber doch sein, daß ich am nächsten Freitag in die Lage komme, über sie herumzukommandieren, als sei ich der Herr im Hause – das müssen Sie mir zugestehen, Exzellenz. Denn wie unter Umständen der Arzt mehr zu befehlen hat als selbst der Kaiser, so muß auch mir in unserem Falle ein ganz unbeschränktes Verfügungsrecht zuerkannt werden. Das ist die Indemnität, die ich erbitte.‹

›So leichten Herzens erteile ich sie niemandem wie Ihnen, Herr Dagobert. Nur eine Bitte: nur um Gottes willen kein Aufsehen! Es darf nichts in die Öffentlichkeit dringen!‹

›Wäre ich der Mann des Aufsehens, ich hieße nicht der Tell.‹

›Nicht der Dagobert‹

›Erwarten Sie nur nicht zuviel, Gnädigste! Auch der Gott Zufall, auf den ich immer rechne, muß geneigt sein.‹

›Da Sie auf ihn rechnen, ist es doch kein rechter Zufall mehr.‹

›Mit den Zufällen ist das so eine Sache. Es gehört, wie soll ich nur sagen, eine gewisse Affinität 14 dazu. Ich kannte einen jungen Gymnasiasten, dem kamen beinahe täglich Zufälle zu, die anderen Leuten in Jahren nicht unterkommen. Wenn ein Unglücksfall auf der Straße passierte, war er zufällig immer in der Nähe und leistete die erste Hilfe. Er ist heute ein berühmter Chirurg. Oder es wird einer vom Blitz erschlagen. Ein kolossaler Zufall! Aber der Blitz hatte immer seinen guten Grund, gerade den Mann zu erschlagen. Das ist der Zufall.‹

›Herr Dagobert, mein Kompliment! Wenn wir auch nichts herauskriegen, so werde ich mich doch immer zu meinem Entschluß beglückwünschen, Ihre Bekanntschaft zu suchen.‹

›Und es ist gar nicht so unwahrscheinlich, daß wir nichts herauskriegen werden, worauf ich mich dann allerdings sehr schämen und mir die Äuglein rot weinen werde. Denn gerade Ihnen, Gräfin, möchte ich für mein Leben gern einen rechten Gefallen erweisen.‹

›Haben Sie aus der Liste etwas entnehmen können?‹

›Nicht das mindeste. Habe auch nicht erwartet, etwas zu finden. Es ist, wie nur selbstverständlich, die Creme unserer Gesellschaft, und wieder ganz selbstverständlich ist auch keiner einzigen Person unter den angeführten auch nur im entferntesten ein Diebstahl zuzutrauen. Allerdings – Kleptomanie. Das wäre immer noch möglich, und das gibt dann immer die schwierigsten Fälle, aber die Zahl solcher Kranken ist eine sehr geringe, und diese Kunden sind mir selbstverständlich bekannt. Auf der Liste findet sich kein verdächtiger Name.‹

›Sie wissen einmal alles!‹

›Ich muß wissen, was zu meinem Handwerk gehört.‹

›Sagen Sie – zu Ihrer Kunst.‹

15 ›Zu gütig. Nun möchte ich aber doch noch einiges aus Ihnen herausbringen, Exzellenz. Man hat sich bei Ihnen über die Diebstähle beklagt. Hat man Ihnen auch nähere Mitteilungen zukommen lassen, wie jene Diebstähle ausgeführt worden sind?‹

›Sie sind im Irrtum, Herr Dagobert. Man hat sich nicht beklagt; man sagt mir nicht auf den Kopf zu, daß in meinem Hause gestohlen wird. Man erkundigt sich nur um "verlorne" Gegenstände. Ich weiß aber, daß sie gestohlen worden sind, die vertrautesten Bekannten waren ja auch offenherziger. Übrigens – da fällt es mir eben ein – mein eigener Neffe gehört zu den Leidtragenden. Auch ihm hat man Uhr und Kette abgezwickt.‹

›Abgezwickt?‹

›Jawohl, kurzweg abgezwickt. Die Geschichte wäre zum Lachen, wenn sie nicht so ärgerlich wäre.‹

»Ich möchte den Herrn Neffen aufsuchen, um ihn persönlich zu befragen.‹

›Diese Mühe können wir Ihnen glücklicherweise ersparen. Er ist im Hause.‹

Wenige Minuten später war der junge Hofsekretär, der mir die Einladung überbracht hatte, zur Stelle und erzählte auf meine Bitte sein Abenteuer mit gutem Humor. Ich streckte mit meinen Fragen die Fühler nach allen Richtungen aus, aber es war kein Anhaltepunkt zu gewinnen. Er hatte rein nichts bemerkt.

›Es ist‹, schloß er, ›mit einer Geschicklichkeit gearbeitet worden, der man die ganze hochachtungsvolle Anerkennung nicht versagen kann. Alles, was mir von meiner Uhr und Kette – es waren mir zwei sehr liebe Erbstücke – geblieben ist, ist ein kläglicher Rest, der Ring, mit dem die Kette im Knopfloch meiner 16 Weste befestigt war, und ein kleines Endchen von der Kette bis zu der Stelle, wo sie abgezwickt worden ist.‹

›Haben sie jenen – Rest noch?‹

›Ja; ich trage ihn als Anhängsel an meiner neuen Kette. Er ist mir eine schmerzliche Erinnerung an die Vergangenheit und eine Mahnung zur Vorsicht für die Zukunft.‹

Ich ließ mir das Bruchstück reichen und untersuchte es. Sie wissen, Frau Violet, daß in die Mitte des goldenen Deckels meiner Uhr ein kreisrundes kleines Glas eingesetzt ist, das zu einem Mikroskop zugeschliffen ist. Ich besah mir die Schnittspur genau und unterbrach sodann die Verhandlung.«

»Haben Sie denn da etwas entdecken können, Dagobert?« fragte Frau Violet gespannt.

»Es war mir lieb, daß ich nun wenigstens doch zu einem Korpusdelikti gelangt war. Ich bat um die Erlaubnis, das Stück mit mir zu nehmen, und erhob mich sodann, um mich zu verabschieden.

›Nun, Herr Dagobert, können Sie uns Hoffnung geben?‹ forschte die Gräfin.

›Hoffnung, Exzellenz – ich weiß es nicht, aber eine ganz bestimmte Erklärung kann ich Ihnen geben.‹

Par exemple!

›Es wird bei Ihrem nächsten Empfang überhaupt nicht gestohlen werden, oder man wird stehlen, und zwar recht viel.‹

›Aber, verehrter Herr Dagobert, dazu brauchte kein Geist vom Himmel zu steigen, um uns einen solchen Orakelspruch zu verkünden!‹

›Ich bin noch nicht zu Ende. Wenn aber gestohlen werden sollte, dann, Gräfin, verlassen Sie sich darauf, dann wird uns der Dieb nicht entkommen.‹

17 ›Das ist beinahe alles, was ich zu hoffen gewagt habe!‹

›Sie dürfen mich beim Wort nehmen, Exzellenz.‹

Darauf küßte ich ihr die Hand und entfernte mich.«

»Aber Dagobert,« fiel hier Frau Violet ein, »wie konnten Sie sich und gleich so engagieren! Bei aller Bewunderung für Ihr Talent – es war doch recht unvorsichtig! Wie leicht konnte es geschehen, daß alles schief ging – und dann?!«

»Meine Gnädige, wenn man sich nicht einmal in einer so geringfügigen Sache sollte auf sich selbst verlassen können, dann wäre es ja gleich besser, das Geschäft überhaupt aufzugeben und sich das Lehrgeld zurückgeben zu lassen, notabene wenn man es bekäme, worein ich noch gelinde Zweifel setzte.«

»Also haben Sie wirklich etwas herausgebracht?«

»Einiges. Man hat ja manchmal Glück.«

»Jetzt ist er wieder der Bescheidene! Glück – schon gut! Bei Ihnen verhält es sich mit dem ›Glück‹ genau so, wie mit dem ›Zufall‹.«

»Dank für die hübsche Bemerkung, Frau Violet. Also gestern begab ich mich in Ihrer Gesellschaft zum Empfang beim Ministerpräsidenten –«

»Ich möchte doch bitten,« erlaubte sich Herr Grumbach, der Präsident des Klubs der Industriellen, zu bemerken, »mich nicht gar so sehr als quantité négligeable zu betrachten. Meine Wenigkeit war nämlich auch dabei!‹

»Du hast mich vorhin beleidigt – du bist für uns Luft. Also in Ihrer Gesellschaft, meine Gnädige. Der Empfang war, wie Sie gesehen haben, sehr schön.«

»Nur hübsch der Reihe nach, Dagobert! Von dem Empfang brauchen Sie mir nichts zu erzählen. Mich 18 interessiert jetzt Ihre Detektivkunst. Sie haben einige Tage Zeit gehabt. Ich weiß, daß Sie eine solche Zeit nicht ungenützt verstreichen lassen. Über Ihre Vorarbeiten und Vorkehrungen möchte ich etwas erfahren.«

»Ich habe ein dringenderes Interesse, meine Gnädige, mich vor Ihnen rein zu waschen. Das ist mir wichtiger als die kleine Affäre, die ich zu besorgen hatte. Ich will Ihnen den Nachweis erbringen, daß nicht böser Wille und rohe Verleugnung meiner zärtlichsten Gefühle die Ursache war, daß ich mich Ihnen dort nicht gewidmet und Sie auch nicht nach Hause geleitet habe. Ich konnte nicht. Hätte ich dem Zug des Herzens folgen dürfen –«

»Schon gut, Dagobert. Jetzt wünschen wir Tatsachen. Erzählen Sie.«

»In manchen Bars im wilden Westen findet man gelegentlich Plakate mit der Inschrift: ›Es wird ersucht, nicht auf den Klavierspieler zu schießen. Er spielt so gut er kann!‹ Auch ich möchte eine Rechtswohltat für mich in Anspruch nehmen. Ich erzähle, so gut ich kann.«

»Also gut. Spielen Sie; ich werde nicht schießen.«

»Während der ganzen Dauer der Festivität war ich durch Amtsgeschäfte in Anspruch genommen.«

»Kann ich mir denken.«

»Als es zum Schluß ging – Sie wissen, Frau Violet, daß derlei Veranstaltungen sich rasch abzuwickeln pflegen –, lud mich die Gräfin ein, zu verweilen und dann noch in ihrer Gesellschaft eine Tasse Tee zu nehmen.«

»Dann begreife ich allerdings, daß Sie mich nicht begleiten konnten.«

»Bei meiner bekannten Liebe –«

19 »Dagobert!«

»– wäre das für mich noch kein Grund gewesen, Ihnen einen Ritterdienst zu verweigern. Es gab einen anderen, zwingenderen, auf den ich gleich zu sprechen kommen werde. So gegen Mitternacht hatten sich die Gäste verzogen und wenige Minuten darauf saßen wir im Boudoir der Gräfin – alle anderen Gemächer waren ja ausgeräumt –, sie, meine Wenigkeit und der Herr Ministerpräsident! Ich war natürlich einigermaßen in Verlegenheit, denn er sollte ja von der ganzen Geschichte nichts wissen. Er wußte aber und nun beliebte er, mich ein wenig aufzuziehen.

›Wenn ich nicht zu sehr störe,‹ begann er in guter Laune, ›so möchte ich bitten, dableiben zu dürfen. Ich werde sonst ein Opfer der Hungersnot. Ich muß was zu essen kriegen, und ein Glas Champagner wird meinem bedrängten Herzen auch wohltun.‹

Ich fand mich in die Situation, richtete einen fragenden Blick auf die Exzellenzfrau, ob wir das auch genehmigen sollten, und ich für meine Person gestattete dann gnädigst.

Die Gräfin gab dann auch gleich die Aufklärung.

›Wir müssen ihm schon erlauben, zu bleiben, Herr Dagobert. Er kennt unser Geheimnis. Während ich sonst mit tausend Leuten verhandeln kann, ohne daß er eine Frage täte, hat er sofort gefragt, was es gäbe, nachdem ich mich einmal mit Herrn Dagobert besprochen hatte.‹

›Ja – Dagobert,‹ bemerkte der Ministerpräsident huldvoll, ›das ist aber auch etwas Besonderes!‹

›Nun, da habe ich ihm dann auch reinen Wein eingeschenkt, und jetzt möchte natürlich auch er wissen, wie die Geschichte ausgegangen ist.‹

20 ›Natürlich möchte er das!‹ lautete die Bestätigung.

Als richtiger Grandseigneur tat er aber dann keine weitere Frage über unsere gemeinsame Angelegenheit, solange nun ein Diener uns dieselben köstlichen Delikatessen auftrug, an denen sich vorher die Gäste gütlich getan hatten. Wir griffen auch alle drei ordentlich zu. Hatte doch jedes von uns ein tüchtig Stück Arbeit geliefert, ohne auch nur einen Bissen genießen zu können.

Als wir uns genügend gestärkt hatten und der silberne Champagnerkühler auf Befehl des Hausherrn frisch geladen war, bedeutete er dem Kammerdiener, daß er zu verschwinden und sich nur dann wieder blicken zu lassen habe, wenn ihm geläutet werde. Dann erst wandte er sich, das bisherige gleichgültige Gespräch fallen lassend, mit der Frage an mich: ›Nun, Herr Dagobert, haben Sie uns etwas zu berichten?‹

›Exzellenz kennen die Alternative, auf die ich mich verpflichtet habe?‹

›Ja, ich kenne das Delphische Orakel, das recht bequem und namentlich sehr sicher ist: es wird gestohlen werden oder es wird nicht gestohlen werden!‹

›Es hat zwar ein wenig anders gelautet, aber deshalb werden wir uns nicht verfeinden.‹

›Das auf keinen Fall, mein verehrter Freund! Nun – ist gestohlen worden?‹

›O ja.‹

›Schöne Geschichte! Viel?‹

›Beträchtlich. Alles was recht ist – man muß gerecht sein – es ist sehr fleißig gearbeitet worden. Übrigens – bitte sich zu überzeugen!‹

Damit griff ich in meine hinteren Fracktaschen und legte Händevoll Uhren und Ketten, kostbare Anhängsel, 21 Ordenssterne mit Brillanten, goldene Löffelchen, Solitärs, die als Hemdknöpfe gedient hatten, Brillantsterne aus den Frisuren der Damen, diamantene Spangen und Schnallen und dergleichen mehr auf den Tisch des Hauses nieder.

Beide Exzellenzen sahen nur starr auf diese gleißende Beute.

›Na, ich danke!‹ rief der Graf resigniert. ›Das ist eine Bescherung! Ja, wo haben Sie das nur alles her?!‹

›Habe mir bereits zu bemerken erlaubt – es ist gestohlen worden.‹

›Ja natürlich! Aber von wem?!‹

›Wenn Exzellenz es nicht ungütig aufnehmen wollten – von mir.‹

›Das wäre kein schlechter Spaß!‹ rief der Exzellenzherr lachend. ›Wir engagieren einen Diebsfänger, und der macht dabei ein so gutes Geschäft!‹

›Das Geschäft wäre in der Tat kein schlechtes. Meiner ungefähren Schätzung nach stellt das nach dem Anschaffungspreise gerechnet einen Wert von ungefähr vierzigtausend Kronen vor.‹

›Und wie sind Sie dazu gekommen?‹

›Wie bereits erwähnt, gestohlen habe ich es, eigenhändig gestohlen. Allerdings gibt es zwei mildernde Umstände dabei: erstens die wenigstens versuchte Gutmachung des Schadens vor erstatteter Anzeige, indem ich die gestohlenen Gegenstände hier ausliefere, und zweitens, daß ich all das dem eigentlichen Diebe selbst entwendet habe. Ich habe mir nämlich erlaubt, ihm die Taschen auszuräumen, während er sich mit Ihnen unterhielt, gnädigste Gräfin!‹

›Mit mir – ich fall' um!‹ rief die Gräfin entsetzt.

22 ›Ich auch – Nachbarin, euer Fläschchen!‹ schrie der Ministerpräsident und wälzte sich dabei vor Vergnügen auf einem Fauteuil.

Hier, Frau Violet, haben Sie die eigentliche Erklärung dafür, daß ich Sie nicht begleitet habe. Mit den gefüllten Taschen konnte ich das Haus nicht verlassen. Es lag also wirklich kein Grund vor, an meiner berühmten Liebe zu zweifeln.«

»Schon gut, Dagobert. Die berühmte Liebe kennen wir nun zur Genüge. Jetzt erzählen Sie nur weiter. Ich bin zu neugierig!«

»Ganz dasselbe äußerten die hohen Herrschaften. Ich begann also zu berichten und ging dabei systematisch vor.«

»Kann ich mir denken! Bei Ihnen geht es ja nie ab, ohne daß Sie Ihre Leute ein wenig auf die Folter spannten.«

»Man tut, was man kann.

›Zunächst muß ich Ihnen bekennen, Exzellenz,‹ wandte ich mich an den Ministerpräsidenten, ›daß man in ganz Wien, und wenn man mit der Laterne suchte, nicht wieder eine so leichte und bequeme Gelegenheit zu stehlen finden kann, wie bei Ihren Empfängen. Das ist das eine, und dem habe ich nur noch hinzuzufügen, daß ich selbst vielleicht noch niemals eine so kinderleichte Aufgabe zu lösen hatte, wie in diesem Falle.‹

›Darin scheint mir ein Widerspruch zu liegen,‹ meinte der Exzellenzherr. ›Wo das Stehlen so leicht ist, müßte eigentlich das Erwischen um so schwerer sein.‹

›Wir werden ja sehn! Anfänglich habe ich mir die Sache auch recht schwierig vorgestellt. Ich bitte Sie! Achthundert Menschen zu überwachen und noch 23 dazu ohne das geringste Aufsehen zu erregen – das ist doch keine Kleinigkeit! Zu Ihnen kann ja jeder kommen, der nur Lust hat.‹

›O bitte sehr! Es werden nur auf Namen lautende Karten ausgegeben!‹

›Ich weiß. Diese Karten sind mir bekannt. Sie sind feudal ausgestattet und fein lithographiert: Der Ministerpräsident und Gräfin X. bitten – es folgen wunderschön kalligraphiert Name und voller Titel. Es ist nur in der Ordnung, daß gerade der Ministerpräsident über die beste Schreibkraft verfügt, die überhaupt aufzutreiben ist. – Also: Bitten Herrn oder Frau Soundso, ihnen die Ehre erweisen zu wollen, den Abend des 20. Februar bei ihnen zu verbringen. Links unten: Herrengasse 7. – Rechts unten: neun Uhr.‹

›Gut. Diese Karten kommen nur in sichere Hände. Die Namen sind mit großer Sorgfalt ausgewählt.‹

›Ganz selbstverständlich! Darin liegt aber, wenn es natürlich auch gar nicht zu ändern ist, die eigentliche Fehlerquelle.‹

›Das verstehe ich nicht.‹

›Werde sofort aufklären. Die Karten werden nämlich bei Ihnen und vielleicht nur noch bei den übrigen Ministerempfängen, für die dieselbe Liste maßgebend sein dürfte, beim Eintritt nicht vorgewiesen und nicht abgegeben. Ganz begreiflich. Eingeladen sind nur hohe und höchste Herrschaften und auch sonst nur Persönlichkeiten, die so ziemlich allgemein bekannt sind. Die Dienerschaft und die Herren, die beim Eingang den Empfang besorgen, verneigen sich, und der Gast passiert ohne weitere Förmlichkeit. Man kennt ja fast alles. Wenn man aber fünfzig Gäste so hat passieren lassen, kann man den einundfünfzigsten nicht stellen. Das würde 24 Aufsehen machen und könnte fast als Beleidigung empfunden werden. Es hätte auch sein Mißliches. Warum gerade ich und die andern nicht?! Es kann also einfach jeder kommen, wenn er nur über einen gutsitzenden Frack verfügt und, um nicht aufzufallen, einige Orden angesteckt hat.‹

›Sie haben recht, Herr Dagobert. Wir werden da auf Abhilfe sinnen müssen.‹

›Ich hatte mich am Eingang in der Nähe meines Freundes, des kaiserlichen Rates Wilhelm, aufgepflanzt. Sie kennen ihn ja, Exzellenz.‹

›Natürlich! Den Herausgeber der Korrespondenz Wilhelm, wer kennt den nicht, und wen kennt er nicht! Auch ich zähle ihn zu meinen Freunden.‹

›Ein Unikum an Pflichttreue, Gewissenhaftigkeit und Verläßlichkeit. Er hat in der Nacht noch den Zeitungen den Bericht und die Präsenzliste zu liefern. Bei Ihnen, Exzellenz, hat er den schwersten Dienst. Sonst wird die Präsenzliste nach den abgegebenen Karten festgestellt und dem Range nach und innerhalb dieses alphabetisch geordnet. Hier hatte er in der hohlen Hand einen Stoß kleingeschnittener Zettel. Ein Blick auf jeden Ankömmling und er notierte Namen, Titel und Würden. Da fehlt aber auch kein Tüpfelchen. Er besorgt seinen Dienst seit mehr als dreißig Jahren, kennt also wirklich alles. Mit ihm hatte ich mich verständigt. Er sollte mir ein unauffälliges Zeichen geben, so oft einer käme, der ihm nicht bekannt sei. Das war eine meiner Vorsichtsmaßregeln, die ebenso wie manche andere eigentlich überflüssig war, ich wollte aber doch nichts versäumen.‹

›Warum überflüssig?‹ forschte die Gräfin.

›Weil ich meinen Mann erwartete.‹

25 ›Wie war aber das nur möglich?‹

›Gnädigste Gräfin waren selbst so gütig, mir den Mann ans Messer zu liefern. Kam der nicht, dann konnte ich ziemlich sicher sein, daß nichts gestohlen werden würde.‹

›Ich sollte Ihnen jemanden ans Messer geliefert haben, Herr Dagobert, wo ich doch selbst nicht eine blasse Ahnung habe!‹

›Es war genau halb zehn Uhr, als der kaiserliche Rat einen fragenden Blick zu mir herübersandte, gleichzeitig fühlte ich förmlich auf mir die Blicke zweier anderer Herren. Na also! Endlich! Da hatte ich ja die Ehre, den Erwarteten von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Ich muß sagen, ich war ihm von Herzen dankbar für sein Erscheinen. Und er war nicht allein –‹

›Einen Augenblick, Herr Dagobert,‹ unterbrach mich hier die Gräfin, ›ich muß mich erst zurechtfinden. Was hatte es denn mit den zwei anderen Herrn für Bewandtnis?‹«

»Sie sehen, Dagobert,« mischte sich nun Frau Violet wieder ein, »man beschwert sich auch anderwärts über Ihre Art zu erzählen!«

»Und man hat sich auch dort wie anderswo die Folgen nur selber zuzuschreiben. Man hält mich nur unnötig auf. Ich gab also die Erklärung: ›Es waren, Exzellenz, zwei meiner Schüler.‹

›Was – Schüler haben Sie auch?‹

›Eine große Anzahl. Die Polizeidirektion unterhält nämlich im Anschluß und in Verbindung mit unserem Polizeimuseum eine Detektivschule, und mir wurde die Auszeichnung zuteil, an dieser regelmäßige Vortragskurse abhalten zu dürfen. Durch Ihre Vermittlung, Frau Gräfin – Ihnen also allein ist auch 26 der ganze Erfolg zu danken – war ich in den Besitz eines sehr wichtigen Beweisstückes gelangt. Ein Blick auf den Kettenrest Ihres Herrn Neffen hatte genügt, mir volle Gewißheit über den Urheber der Diebstähle zu geben.‹

›Wie ist das aber nur möglich?!‹

›Wenn ich eine Handschrift kenne, genau kenne, und es wird mir dann eine unverstellte Probe dieser selben Handschrift vorgelegt, dann ist doch keine Hexerei dabei, wenn ich sie wiedererkenne. Hier war die Schnittfläche mit der charakteristischen Zahnung so gut wie eine Handschrift. Jahraus jahrein doziere ich meinen Schülern an der Hand der im Museum befindlichen Kuriositäten, die nun als Lehrmittel dienen, derartige Spuren von Verbrechern. Die Technik aller besseren Einbrecher und Diebe ist uns genau bekannt. Solche Kettenreste, angebohrte oder gesprengte Kassen sind für uns instruktive Lehrmittel. Wir lernen aus der Arbeit, den Meister zu bestimmen. Ich kann Ihnen sagen, Herr Ministerpräsident, daß Sie die Auszeichnung genossen haben, von einem genialen Künstler in seinem Fache, dem Meisterdieb der internationalen Gilde, beehrt zu werden.‹

›Ich bedanke mich schön für diese Auszeichnung!‹

›Er ist kein Wiener. Wir sind noch nicht so weit. Die uns nächste hohe Schule ist Budapest. Im Vergleiche mit den Budapester Taschendieben sind die unsrigen nur Stümper und Dilettanten. Der Rector magnificus jener Hochschule, der Großmeister der Gilde, ist Herr Samuel Weinstein. Er heißt so, legt aber kein Gewicht auf seinen ehrlichen bürgerlichen Namen und zieht es vor, als Marquis de Lacaze die Welt zu beglücken. Es ist ein würdiger Herr von 27 achtundsechzig Jahren – siebenundzwanzig davon hat er benutzt, um sich eine umfassende, internationale Bekanntschaft mit den europäischen Gefängnissen zu erwerben. Eine interessante Erscheinung. Sie kennen ihn ja, gnädigste Gräfin.‹

›Wie soll ich mich erinnern!‹

›Werde mir sofort erlauben, Ihrem Gedächtnis zu Hilfe zu kommen. Hohe Figur, dichtes silberweißes Haupthaar und wallender, ebenfalls silberweißer Bart. Das Urbild eines feudalen Kavaliers; ich gebe zu, daß es keineswegs naheliegt, in ihm einen geriebenen Taschendieb zu vermuten.‹

›Mein Gott, ich erinnere mich. Mit so einem Herrn habe ich wirklich gesprochen!‹

›Jawohl. Er hatte die Unverschämtheit, sich Ihnen noch so gegen Schluß vorstellen zu lassen, um Ihnen seinen Dank und seine besondere Anerkennung für das wohlgelungene schöne Fest auszusprechen. Er habe sich ausgezeichnet unterhalten.‹

›Wirklich eine Unverschämtheit!‹

›Allerdings. Nun vertrage ich aber gewisse Unverschämtheiten nicht. Darum habe ich ihn auch gleich abgestraft und ihm die Taschen ausgeräumt. Übrigens tat ich das auch noch aus einem anderen wichtigen Grunde. Jetzt will ich nur rasch noch Ihr Erinnerungsvermögen besser auffrischen, als es meine Beschreibung vermochte. Hier seine Photographie und, was Sie wohl weniger interessieren wird, seine Fingerabdrücke und hier auf der Karte alle auf ihn bezüglichen anthropometrischen Vormerkungen. Ich hatte schon alles vorher in unserem Erkennungsamt ausgehoben und zu mir gesteckt.‹

28 ›Ja, das ist er! Ich dachte es mit dem Gesandten irgendeines südamerikanischen Raubstaates zu tun zu haben. Er sprach französisch, seine Gattin auch.‹

›Der Herr Marquis de Lacaze spricht französisch wie ein Franzose und russisch wie ein Russe. Es dürfte überhaupt wenige europäische Sprachen geben, die er nicht perfekt spräche. Er hat ja auch ganz Europa bereist. Seine ›freie‹ Zeit, will sagen, wenn er nicht durch ›Sitzungen‹ in Anspruch genommen ist, verbringt er am liebsten in Paris. Er besitzt ein reizendes kleines Palais in Neuilly. Was aber nun seine ›Gattin‹ betrifft, so braucht Sie ihr gutes Französisch nicht weiter wunderzunehmen. Sie ist Französin. Noch immer trotz des grauen Haares eine fesselnde Erscheinung! Auch sie ist eine hervorragende Künstlerin, und das Zusammenspiel mit ihrem Gatten und Partner ist ein bewunderungswürdig feines und exaktes. Früher allerdings hatte sie ein anderes Metier; sie war – sagen wir Sängerin, und ihre Kunst war sehr bekannt, man könnte fast sagen Gemeingut in der Pariser Lebewelt. Als sie dann einen Rollenwechsel eintreten lassen mußte, da entschied sie sich nicht für das Fach der Komischen Alten, sondern nahm lieber ein Engagement bei unserem Marquis an.‹

›In was für einer Welt leben wir!‹

›Ja, gnädigste Gräfin, es geht in ihr manchmal wirklich recht bunt zu! Doch ich wollte ja auch noch über meine beiden Hilfskräfte berichten. Als ich im Besitze jenes Kettenrestes war, nahm ich mir die zwei begabtesten meiner Schüler vor und stellte ihnen die Fleißaufgabe, das Ding zu bestimmen. Die Aufgabe war nicht allzu schwer. Ich hatte ihnen nämlich erst wenige Wochen vorher an der Hand des im Museum 29 zur Verfügung stehenden Materials die Methode Samuel Weinsteins demonstriert. Sein Schnitt ist für ein geschultes Auge unverkennbar. Eine der kleinen Schneidezangen, die er zu benützen pflegt – übrigens vorzügliche englische Arbeit – liegt im Museum. Besonders charakteristisch werden ihre Schnittflächen durch die Spur eines winzigen zugespitzten Stahlbolzens, der sich bei entsprechendem Druck in das Metall eingräbt und so ein störendes Abgleiten verhindert. Meine zwei Leute hatten in vierundzwanzig Stunden ihre Aufgabe zu meiner vollsten Befriedigung gelöst und sie erzählten mir nun haarklein, was ich ohnedies schon wußte. Nachdem sie so ihren Befähigungsnachweis erbracht hatten, beschloß ich, sie auf die Expedition mitzunehmen. Ich mußte auf Unterstützung bedacht sein. Denn in einer Wohnung, und sei sie auch so weitläufig wie die Ihrige, Exzellenz, gibt es doch ein arges Gedränge, wenn sich in ihr achthundert Menschen zusammenfinden, und da durfte ich mich nicht auf meine zwei Augen verlassen. Ich stattete also meine zwei Leute, damit sie nicht auffielen, mit einigen meiner Orden aus, wodurch sie nun ganz präsentabel wurden. Ich hoffe, Herr Ministerpräsident, Sie werden diesen meinen Übergriff nicht verraten. Selbstverständlich hatte ich ihnen nur ausländische Dekorationen angehängt. Einen solchen Unfug mit heimischen Orden hätte meine Loyalität nicht gestattet.‹

›Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen,‹ bemerkte Seine Exzellenz beschwichtigend, ›zumindest nicht einem Staatsmann gegenüber. Wir sind es gewohnt, die Mittel dem Zwecke anzupassen.‹

›Ich erteilte die nötigen Instruktionen, insbesondere bezeichnete ich einen Punkt, wo wir uns zu etwaigen 30 notwendigen Mitteilungen zusammenfinden sollten, wenn wir uns im Gedränge aus den Augen verloren hätten. Ich ging sofort an die Arbeit, als der Marquis erschien, das heißt ich heftete mich an seine Fersen, natürlich so, daß er es nicht bemerken konnte. Die erste Stunde verlief, wie ich es nicht anders erwartet hatte, ganz ergebnislos, aber dann ging's los und dann gleich ordentlich.‹

›Und Sie haben ihn ganz ruhig stehlen lassen?‹ erkundigte sich naiv die Gräfin.

›Ich mußte wohl, Exzellenz, es ging nicht anders. Ich hätte ihn ja bequem beim ersten Angriff in flagranti ertappen können, aber wie hätte dann Ihr Rout ausgesehen! Einen ungeheuren Skandal hätte es gegeben. Das ist kein heuriger Hase. Weinstein weiß ganz genau, daß er in einem solchen Falle nur noch vom Skandal seine einzige Rettung zu erhoffen habe. Er wäre entrüstet aufgefahren, hätte mich laut beschimpft, hätte versucht, mich zu ohrfeigen oder nur pathetisch seine Karte aufzudrängen. Die Marquise hätte mitgeschrien, und die Beute wäre längst nicht mehr in seinem Besitze gewesen. Das hätte ihm zwar alles doch nichts genützt, aber Ihr Fest, Exzellenz, wäre gründlich gestört gewesen. Die Reporter und die Interviewer hätten Ihnen noch in der Nacht das Haus eingerannt, und morgen wären spaltenlange Berichte über den Sensationsfall in den Zeitungen zu lesen gewesen. Mir hätte es ja recht sein können; denn schließlich hatte doch ich ihn ertappt, aber mein kleiner Ehrgeiz durfte da nicht ins Spiel kommen. Es war Ihr Wille und Ihr Befehl, Gräfin, daß alles ohne Aufsehen abgehen müsse, und danach hatte ich mich zu richten.‹

31 Der Ministerpräsident gab mir recht, und ich fuhr fort: ›Ich habe vorhin schon erwähnt, daß es in der ganzen Reichshaupt- und Residenzstadt Wien nicht wieder so glänzende, bequeme und dankbare Gelegenheiten für einen Dieb gibt, der etwas kann und auf sich hält, wie gerade bei Ihnen, meine Exzellenzen. Nicht nur weil jeder, dem es beliebt, hereinkommen kann, sondern auch noch aus anderen Gründen. Daß nirgends sonst so viele und so kostbare Schmuckstücke getragen werden – das nur nebenbei. Die Hauptsache ist – vorausgesetzt, daß es Sie überhaupt interessiert, Näheres über die Umstände und die Methode Weinsteins zu erfahren, was ich nicht wissen kann –‹«

»Wieder ein echter Dagobert – da erst noch zu fragen!« warf Frau Violet ein.

»›Das interessiert uns sehr!‹ meinten auch wirklich beide Herrschaften.

›Die Hauptsache ist das Büfett. Solange die Gäste zirkulieren, ist's ja gut. In drei entlegeneren Sälen ist je ein Büfett eingerichtet. Dort staut sich die Menge. Die Leute sind hungrig geworden, und die dort aufgestapelten Köstlichkeiten locken mächtig. Natürlich geht es noch immer anständig zu; denn es ist ein sehr feines Publikum, das dort versammelt ist; aber ein gewaltiges Gedränge gibt es doch. Hundert oder zweihundert Menschen Körper an Körper gepreßt. Und unter welchen Umständen! Stellen Sie sich das nur recht deutlich vor. Dreißig, fünfzig, hundert Herren erheben aus der drangvoll fürchterlichen Enge den Arm. Ein aufmerksamer Diener reicht Teller und Besteck, ein anderer füllt die Teller je nach Wunsch mit Hummer, dazu Mayonnaise oder Sauce tartare – wir brauchen nur zu befehlen – oder 32 Rheinlachs, Fasan, Rehrücken, Filet, Torte, Kompott, Eis, Tee oder Limonade. Da der Hunger meist ein reeller ist, gibt man sich Mühe, sich durchzuessen, und ein reeller Geschmack geht dann vom Biere zu Rheinwein und Bordeaux über und verweilt dann gern beim Champagner, um dann mit grüner Chartreuse und schwarzem Kaffee einen gedeihlichen Schluß zu machen. Das hört sich ganz angenehm an, aber ich bitte, gütigst nachzurechnen, wie viele Hände so ein Herr, im Gedränge stehend, haben müßte, um da mit allem zurechtzukommen! Zum Überfluß hat er auch noch einen Claque-Zylinder in der Hand und soll womöglich auch noch eine Dame bedienen. Die equilibristischen Leistungen nehmen seine Aufmerksamkeit vollständig in Anspruch. Man möchte doch als wohlerzogener Mensch nicht seinem Nachbar die Mayonnaise auf den Frack und seiner Nachbarin den wohlgekühlten Champagner nicht auf die entblößte Schulter schütten. So ist die Situation. Die linke Hand hält den zusammengeklappten Claque, dieser dient als Unterlage für das Tellerchen, auf dem die Leckerbissen und das Besteck liegen. Die Rechte hält das gefüllte Weinglas. Wenn ein Bissen genossen werden soll, muß auch noch das Glas auf den Teller gestellt und dort balanciert werden. Was unterhalb des Tellers vorgeht, kann sein Träger natürlich nicht sehen und, da er fortwährend und von allen Seiten geschoben und gestoßen wird, auch nicht fühlen. Da hat es dann ein Meister wie Weinstein sehr leicht, Uhren und Ketten abzuzwicken, so viel er nur will.‹

›Da könnte sogar ich es!‹ beliebte der Ministerpräsident huldvoll zu scherzen.

›Nicht alle aber, die wertvolle Ketten tragen, haben einen Teller in der Hand. Auch da muß man sich 33 zu helfen wissen. Das wird so gemacht: Weinstein streckt einen Arm aus, als wolle er etwas von einem Diener in Empfang nehmen. Der Arm reckt sich gerade unter dem Kinn des ausgewählten Opfers zur Seite, so daß dieses gezwungen wird, den Kopf zu heben. Gleichzeitig klopft ihn hinten jemand auf die Schulter, so daß er sich bemüht, den Kopf auch noch zu wenden, was unter diesen Umständen und bei dem Gedränge überhaupt kaum noch möglich ist. Wer geklopft hat, kriegt er nie heraus, es hat es auch sonst niemand bemerkt. Es war die Marquise. Weinstein bringt noch in elegantem Französisch eine Entschuldigung ob der momentanen Störung vor, und dann trägt ihn die Menschenflut weiter. Das Gewünschte hat er bereits. Die Marquise ist auch sonst nicht untätig. Sie handhabt ihre Echarpe ganz unauffällig mit der Geschicklichkeit einer Serpentinentänzerin, und unter ihren schützenden Falten nimmt sie den Damen die Schmuckstücke ab. Sie wählt mit Vorliebe weibliche Opfer, weil sie mit den Techniken und Praktiken der weiblichen Toilette besser vertraut ist als ihr erlauchter Gemahl.‹

›Eine ganz tolle Sache!‹ rief Seine Exzellenz. ›Und dabei müssen Sie wissen, Herr Dagobert, daß uns die Polizei immer für den Abend einige Detektivs herschickt!‹

›Ich habe sie wohl gesehen, Exzellenz. Mein Gott, man darf von ihnen nicht zuviel verlangen. Für die Bezahlung, die sie kriegen, leisten sie immer noch genug. Als dann zum Schluß Weinstein noch die Dreistigkeit hatte, sich von Ihnen, Frau Gräfin, persönlich zu verabschieden, da habe ich mir den Scherz gestattet, ihm die Taschen auszuräumen. Wenn ich 34 will, kann ich es nämlich geradesogut wie er. Meine zwei Schüler haben mir dabei die Mauer gemacht.‹

›Es war ein genialer Scherz,‹ bemerkte gnädig die Gräfin.

›Es sollte nicht nur ein Scherz sein, Exzellenz; ich hatte auch einen sehr ernsten Grund dafür. Sie hatten befohlen, daß es ohne Aufsehen abgehen müsse. Wenn der nun mit gefüllten Taschen zur Polizei geliefert wurde, dann war die mächtige Sensation doch da.‹

›Und Sie haben nun die beiden einfach laufen lassen?!‹

›Das durfte ich nicht. Das wäre gegen meine Grundsätze gegangen. Sie kamen beide unbehelligt bis zum Haustor. Dort wurden sie ohne Aufsehen in Empfang genommen und getrennt in zwei Wagen unter entsprechender Bewachung zur Polizei gebracht.‹

›Und nun kommt es also doch zu einer öffentlichen Gerichtsverhandlung!‹

›Nicht doch, Exzellenz! Es gibt keinen Kläger, keine Anzeige, und kein Beschädigter hat sich gemeldet.‹

›Dann muß die Polizei sie laufen lassen!‹

›Auch nicht. Die Budapester Behörden interessieren sich wieder einmal für die beiden. Sie haben sie bisher vergeblich gesucht. Morgen werden sie ihnen dank der Findigkeit der Wiener Polizei überstellt werden. Die Sache ist erledigt. Dort werden sie wieder für längere Zeit versorgt werden, und es kommt nicht mehr darauf an, ob noch ein Faktum mehr oder weniger in die Anklage einbezogen werden wird.‹

›Herr Dagobert,‹ rief der Ministerpräsident, mir die Hand reichend, ›Sie haben ein Meisterstück geleistet, für das ich Ihnen sehr zu Danke verpflichtet bin.‹

35 ›Ich glaube Ihnen gezeigt zu haben, Exzellenz, daß es wirklich kein schwieriger Fall ist.‹

›Das ist die Bescheidenheit, die erst der richtige Stolz ist. Was aber fangen wir nun mit dieser Beute da an?‹

›Dafür ist schon gesorgt. Freund Wilhelm wird eine Notiz in die Blätter lancieren: Auf dem gestrigen Rout beim Ministerpräsidenten sind mehrere Wertsachen abhanden gekommen. Die Betroffenen werden ersucht, ihr Eigentum auf dem Fundbureau der Polizei zu reklamieren. Nur eine Kleinigkeit habe ich noch aufzuklären. Gräfin hatten bemerkt, daß bei den ersten zwei drei Routs nichts passiert sei und die Diebstähle dann erst begonnen hätten. Sehr begreiflich. Damals saß nämlich unser Freund, wie ich festgestellt habe, in Amsterdam hinter Schloß und Riegel. Wieder im Genusse der Freiheit mochte er sich dann diese schönen Gelegenheiten nicht entgehen lassen.‹

Ich bin zu Ende. Nun, Frau Violet, wird meine Entschuldigung genehmigt?«

»Dagobert, ich erteile Ihnen die Absolution und meinen Segen zu weiteren Großtaten!« 36

 


 


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